Einleitung
Gem § 19 JN kann ein Richter von einer Partei abgelehnt werden, wenn er ausgeschlossen ist (Z 1) oder ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (Z 2). Sowohl Ausschließungs- als auch Befangenheitsgründe sind nicht nur aufgrund eines Ablehnungsantrages einer Partei, sondern auch von Amts wegen durch Selbstmeldung des Richters (§ 22 GOG) wahrzunehmen.
Zweck
Im Fall einer erfolgreichen Ablehnung wird die Sache einem anderen Richter (dem Vertreter nach der Geschäftsverteilung), wenn notwendig auch einem anderen Gericht zugewiesen (notwendige Delegation, § 30 JN).1 Jeder Akt, der unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zustande kam, ist nichtig (§ 25 Satz 2 JN). War der Richter von Prozessbeginn an beteiligt, ist das Verfahren ab einschließlich der Zustellung der Klage als nichtig aufzuheben2 und von Neuem durchzuführen.
Begriffe
Ausschließungsgründe | Nach § 20 JN sind Richter von der Ausübung ihres Amtes in bürgerlichen Rechtssachen ausgeschlossen:
Nach § 20 Abs 2 JN bleibt der Richter auch nach Aufhebung der in Abs 1 Z 2 und 3 genannten Naheverhältnisse ausgeschlossen. |
Befangenheitsgründe | Der OGH stellt der Nahebeziehung des Richters zu einer Partei die entsprechende Nahebeziehung zu ihrem Vertreter gleich.6 Befangenheitsgründe sind im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Es handelt sich hierbei um Umstände, die nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, dass die Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen ist. Es genügt, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte7 – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte. Bei Prüfung der Unbefangenheit ist zwar im Interesse des Ansehens der Gerichtsbarkeit ein strenger Maßstab8 anzulegen, die Ablehnung soll jedoch nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines nicht genehmen Richters entledigen können.9 |
Selbstmeldung | Ein Richter hat jene Verhältnisse, die einen gesetzlichen Ausschließungsgrund darstellen sowie jene Umstände, die geeignet sind, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, unverzüglich durch Selbstmeldung beim Gerichtsvorsteher oder beim Präsidenten anzuzeigen (§ 22 GOG). |
Geltendmachung
Zuständigkeit | Der Ablehnungsantrag ist bei jenem Gericht einzubringen, bei dem der abgelehnte Richter tätig ist (§ 22 Abs 1 JN).10 Der Richter hat eine Stellungnahme abzugeben (§ 22 Abs 2 JN). | |
Frist | Grundsätzlich ist der Ablehnungsantrag an keine Frist gebunden. Zu beachten ist allerdings § 21 Abs 2 ZPO, wonach eine Befangenheit nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn sich der Antragsteller in Kenntnis des Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung eingelassen hat oder Anträge gestellt hat. Die Rsp dazu ist sehr streng,11 um prozesstaktisches Abwarten mit einem Ablehnungsantrag auszuschließen.12 |
Befangenheitsgründe/Fälle:
1. Wann ist eine Befangenheit – einzelfallbezogen – zu bejahen?
- bei privaten persönlichen Beziehungen des Richters zu einer der Prozessparteien,13 zu deren Vertretern,14 zu einem Nebenintervenienten,15 zu einem Zeugen16 oder einem Sachverständigen,17
- bei unsachlichen persönlichen Bemerkungen zu Parteien oder Parteienvertretern,18
- bei auffallend einseitiger Verhandlungsführung,19
- bei eingehender Rechtsberatung einer Partei,20 die über die Notwendigkeiten im Rahmen der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens (§ 258 Abs 1 Z 3 ZPO) hinausgeht.
2. Wann wird eine Befangenheit – einzelfallbezogen – verneint?
- bei Bekanntschaften auf kollegialer Basis,21
- bei einem einmaligen Besuch eines am Verfahren beteiligten Arztes,22
- bei Vertreten einer bestimmten Rechtsansicht durch den Richter, selbst wenn diese Ansicht nicht der hM entspricht,23
- bei Besuch derselben Oberstufenklasse eines Gymnasiums,24
- bei Verfahrensmängeln, unrichtiger Beweiswürdigung25 oder rechtlich unrichtiger Entscheidung, außer bei offensichtlichen, eine Partei ungebührlich bevorzugenden Verstößen, die mangelnde Objektivität erkennen lassen.26
Ablauf
- 1. Das Ablehnungsverfahren wird durch einen Ablehnungsantrag der Partei oder von Amts wegen aufgrund einer Selbstmeldung des Richters eingeleitet.
- 2. Der Ablehnungsantrag hat substantiiert darzulegen, weshalb der Richter im konkreten Fall ausgeschlossen und/oder befangen ist (§ 22 Abs 1 Satz 2 JN).
- 3. Der betroffene Richter hat sich zu einem Ablehnungsantrag zu äußern (§ 22 Abs 2 JN). Bestreitet dieser die geltend gemachten Ablehnungsgründe, sind diese von der antragstellenden Partei gem § 22 Abs 3 JN glaubhaft zu machen.
- 4. Unaufschiebbare Handlungen müssen trotz Ablehnung vom betroffenen Richter weiter vorgenommen werden. Handelt es sich um einen offenbar unbegründeten Ablehnungsantrag in Verschleppungsabsicht, ist die begonnene Verhandlung fortzusetzen. Eine Entscheidung darf allerdings nicht vor rechtskräftiger Zurück- oder Abweisung des Ablehnungsantrages gefällt werden (§ 25 JN).
- 5. Das Verfahren über die Ablehnung eines Richters ist grundsätzlich zweiseitig. Dem Gegner des Ablehnungswerbers ist – außer bei offenkundig unbegründeten Anträgen – durch Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit Gehör zu gewähren, und zwar sowohl in erster als auch ggf in zweiter Instanz.27
- 6. Über die Ablehnung eines Richters eines Bezirksgerichtes entscheidet der Gerichtsvorsteher; über die Ablehnung eines Gerichtsvorstehers entscheidet ein besonderer Senat des übergeordneten Gerichtshofes; über die Ablehnung eines Richters eines Gerichtshofes entscheidet ein besonderer Senat dieses Gerichtshofes (§ 23 JN).
- 7. Die Entscheidung über die Ablehnung erfolgt ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 24 JN).
- 8. Gegen einen stattgebenden Beschluss ist kein Rechtsmittel zulässig. Dies gilt auch für jene Fälle, in denen die Entscheidung auf einer Selbstmeldung des Richters beruht, mit der eine Partei nicht einverstanden ist.28
- 9. Gegen die Zurück- bzw Abweisung eines Ablehnungsantrags ist ein Rekurs an das übergeordnete Gericht zulässig (§ 24 Abs 2 JN).29
- 10. Bestätigt die zweite Instanz die Zurückweisung eines Ablehnungsantrags, ist ein Revisionsrekurs ausgeschlossen,30 außer das Rekursgericht hat den Rekurs ohne Vornahme einer meritorischen Prüfung der Ablehnungsgründe aus formellen Gründen zurückgewiesen.31
- 11. Soweit die §§ 19–25 JN keine Sonderregeln enthalten, richtet sich das Rechtsmittelverfahren nach den Vorschriften des Verfahrens, in dem die Ablehnung erfolgt. Das gilt zB für das Neuerungsverbot oder die Vertretungspflicht.32 Besteht im Ausgangsverfahren keine Vertretungspflicht im Rekursverfahren, müssen auch Rekurse im Ablehnungsverfahren nicht mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts versehen sein.
- 12. Das Ablehnungsverfahren ist ein Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist.33
Praxistipps
- Die Vorschriften über die Ablehnung von Richtern (einschließlich fachkundiger Laienrichter)34 gelten auch für andere gerichtliche Organe (§ 26 JN), sowie für Rechtspfleger (§ 7 RPflG) und Notare, die im Verlassenschaftsverfahren zu Gerichtskommissären bestellt wurden (§ 6 Gerichtskommissärsgesetz).
- Im schiedsgerichtlichen Verfahren sind Sonderregeln in den §§ 588, 589 ZPO enthalten. Den (potenziellen) Schiedsrichter trifft eine Offenlegungsverpflichtung in Bezug auf alle Umstände, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit wecken könnten. Eine Verletzung der Offenlegungspflicht kann ein Indiz für die Befangenheit bilden.35
- Eine „Pauschalablehnung“ eines ganzen Gerichts ist unzulässig.36 Abgelehnt werden können nur einzelne Richter.37 Daraus kann sich aber ergeben, dass alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden können, wenn bei jedem einzelnen Richter im Wesentlichen dieselben Ablehnungsgründe vorliegen.38 Die bloße Befürchtung einer „ungünstigen allgemeinen Stimmung“ reicht dafür ebenso wenig aus wie der bloß berufliche Kontakt mit einem Rechtsanwalt oder Notar.39
- Befangenheitsgründe müssen immer unverzüglich geltend gemacht werden, da mit Streiteinlassung in Kenntnis eines Befangenheitsgrundes die Möglichkeit der Geltendmachung verloren geht (§ 21 Abs 2 ZPO). Hat sich die Partei bereits in das Verfahren eingelassen, muss sie glaubhaft machen, dass ein von ihr im Lauf des Verfahrens geltend gemachter Ablehnungsgrund erst später entstanden ist oder ihr erst später bekannt geworden ist (§ 22 Abs 3 Satz 2 JN).
Typische Fehler
- Zu langes Zuwarten mit einem Ablehnungsantrag. Die Rsp zu § 21 Abs 2 JN ist sehr streng. Wenn bspw ein Richter einen möglichen Befangenheitsgrund mit dem Hinweis anzeigt, er sehe keinen Grund für eine Selbstmeldung nach § 22 GOG, kann dieser Grund nicht mehr als Befangenheitsgrund herangezogen werden, wenn nicht sofort ein Ablehnungsantrag gestellt wird.
- Keine Darlegung der Gründe, die dafür sprechen, dass der Ablehnungsgrund erst im Laufe des Verfahrens entstanden ist oder der Partei erst im Lauf des Verfahrens bekannt geworden ist (§ 22 Abs 3 Satz 2 JN). Es ist daher der Zeitpunkt des Entstehens bzw Bekanntwerdens des Grundes offenzulegen.
- Die Geltendmachung von Rechtsmittelgründen im Gewand von Befangenheitsgründen, nach dem Motto: Die dargestellte Unrichtigkeit der Beweiswürdigung zeigt, dass die Erstrichterin ganz offensichtlich voreingenommen agierte. Entweder zeigte sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren ein entsprechendes Verhalten (dann ist die Richterin sofort abzulehnen) oder es ist eine Konzentration auf die Ausführung der Rechtsmittelgründe zielführender. Eine allein auf Indizien aus dem Ersturteil gestützte Ablehnung verspricht wenig Erfolg.
- Das Ablehnen eines Richters, um eine Entscheidung zu verhindern oder hinauszuzögern (zB in einem Besitzstörungsverfahren, um die Verkündung des Endbeschlusses zu verhindern). Sachlich unbegründete, zu verfahrensfremden Zwecken gestellte Ablehnungsanträge können den Anlass für ein Disziplinarverfahren bilden.
Was man sonst noch wissen sollte
- Im Allgemeinen ist ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn der Richter selbst seine Befangenheit anzeigt.40 Anderes gilt, wenn der Richter lediglich Bedenken in Richtung eines möglichen Anscheins einer Voreingenommenheit äußert41 oder wenn Anzeichen für einen Missbrauch der Selbstanzeige vorhanden sind.42
- Ein Delegierungsantrag nach §§ 30, 31 JN kann nicht auf die Existenz von Ablehnungsgründen gestützt werden.43
- Beim Ablehnungsverfahren handelt es sich um einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist.44
- Bei einer Befangenheit bewirkt erst der rechtskräftige Ablehnungsbeschluss die Nichtigkeit des Verfahrens (§ 25 Satz 2 JN). Demgegenüber wirken Ausschließungsgründe absolut und sind in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmen (§ 22 Abs 4 JN).
- Die Geltendmachung einer Befangenheit ist auch nach der Erlassung der erstgerichtlichen Entscheidung zulässig. Der Antrag kann gesondert gestellt werden; üblich ist die Aufnahme in den Rechtsmittelschriftsatz.45 In einem solchen Fall ist vor der Entscheidung über das Rechtsmittel über den Ablehnungsantrag zu entscheiden.
- Nach Rechtskraft der Sachentscheidung ist eine Ablehnung wegen Befangenheit ausgeschlossen.46 Die Ausgeschlossenheit eines Richters kann mit Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 1 ZPO geltend gemacht werden.