OGH 1Ob113/22g

OGH1Ob113/22g22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. HR Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T* G*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH, Linz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 12.602,93 EUR sA, über den Rekurs des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Linz Dr. W* S* gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 17. Mai 2022, GZ 13 Nc 2/22z‑5, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00113.22G.0622.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Befangenheit des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Linz Dr. W* S* festgestellt wird.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Anlassverfahrens sind Amtshaftungsansprüche des Klägers, die er aus behauptungsgemäß rechtswidrigen und schuldhaften Entscheidungen des Bezirksgerichts Urfahr und des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht ableitet. Gegen das klageabweisende Urteil im Amtshaftungsprozess hat der Kläger Berufung an das Oberlandesgericht Linz erhoben.

[2] Der Senatspräsident dieses Oberlandesgerichts Dr. W* S* zeigte – neben anderen Richtern dieses Gerichts, deren Befangenheit mit dem angefochtenen Beschluss festgestellt wurde – seine Befangenheit an. Er sei mit einem bestimmten Mitglied des Berufungssenats des Landesgerichts Linz, aus dessen Entscheidung Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, im Vorstand der „Richtervereinigung“ einer bestimmten Sektion tätig. Er erachte sich als subjektiv befangen.

[3] Das Oberlandesgericht Linz sprach mit dem angefochtenen Beschluss (unter anderem) aus, dass Dr. W* S* nicht befangen sei. Das Bestehen eines kollegialen Verhältnisses der Richter des zur Entscheidung berufenen Gerichtshofs „zu einem abgelehnten Richter“ allein vermöge weder dessen Befangenheit noch auch etwa die Zweckmäßigkeit einer Delegierung zu begründen, weil der Gesetzgeber selbst in § 23 JN die Entscheidungspflicht des Gerichtshofs, „welchem der abgelehnte Richter angehört“, normiere und damit das Vorliegen eines kollegialen Verhältnisses nicht als entscheidungshindernd ansehe. Da ein (bloß) kollegiales Verhältnis bzw die gemeinsame Tätigkeit in der „Richtervereinigung“ keinen objektiven Anschein der Befangenheit begründeten, sei Dr. W* S* nicht befangen.

[4] Dagegen richtet sich der Rekurs von Dr. W* S* mit dem Antrag, seine Befangenheit auszusprechen. Er könne „nicht gänzlich ausschließen“, dass seine besondere Wertschätzung, die er dem Senatsmitglied des Landesgerichts Linz wegen der gemeinsamen Zusammenarbeit in der „Richtervereinigung“ entgegenbringe, ihn unbewusst an einer gänzlich unparteiischen Entscheidung hemme.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt:

[5] 1. Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu (RIS‑Justiz RS0043747; Mayr in Rechberger/Klicka 5 § 24 JN Rz 4 mwN). Das Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung entfällt gemäß § 28 Abs 1 ZPO (RS0113115 [T2]). Wenn der Richter selbst seine Befangenheit anzeigt und Rekurs gegen die darüber ergehende Entscheidung erhebt, ist das Rechtsmittelverfahren nach wie vor einseitig ausgestaltet (vgl 9 Nc 36/12m). Die besondere Funktion der Selbstmeldung eines Richters liegt einerseits in der Vorsorge für eine den Ansprüchen des Art 6 EMRK, aber auch des Art 47 der Grundrechtecharta entsprechende Gerichtsbarkeit, aber aus dienstrechtlicher Sicht auch in der Entbindung des Richters von seinen Dienstpflichten im Sinn des § 57 Abs 1 RStDG.

[6] 2. Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte – oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RS0045949 [T2, T5]; RS0046052 [T12]; RS0109379 [T7]). Es ist im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RS0046053). Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen (RS0045943 [T4]; RS0046053 [T4]).

[7] 3. Die bloße Mitgliedschaft bei einem Verein oder die bloße Zugehörigkeit zu Großorganisationen  begründet für sich allein keine Befangenheit, sofern nicht über die bloße Mitgliedschaft hinaus persönliche Interessen oder Aktivitäten befürchten lassen, dass unsachliche Motive die Entscheidung beeinflussen könnten (vgl RS0045944; RS0045892 [T1, T3]).

[8] In der Entscheidung zu 8 Nc 38/16d bejahte der Oberste Gerichtshof den objektiven Anschein der Befangenheit eines Richters bei dessen intensivem privaten Engagement gemeinsam mit einem Mitglied des verfahrensgegenständlichen Stiftungsvorstands im selben Verein. Ein Verfahrensbeteiligter könnte den Eindruck gewinnen, dass diese Situation einen Einfluss auf die Willensbildung des Entscheidungsorgans haben könnte.

[9] 4. Im vorliegenden Fall hat der Rechtsmittelwerber in seiner Befangenheitserklärung auf die gemeinsame Tätigkeit im Vorstand der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter einer bestimmten Sektion hingewiesen und ausdrücklich bekanntgegeben, dass er sich subjektiv für befangen erachte. Das Oberlandesgericht Linz wertete diese Bekanntgabe der gemeinsamen Tätigkeit in der „Richtervereinigung“ nicht für geeignet, einen objektiven Anschein der Befangenheit zu begründen. Dem ist entgegenzuhalten, dass bei Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter unter Beachtung der Interessen am Ansehen der Justiz kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen ist (RS0045943 [T3]). Es liefe dem Interesse der Parteien an einem objektiven Verfahren zuwider, wenn ihre Angelegenheit von einem Richter entschieden würde, der selbst Bedenken dagegen äußert, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können (RS0045943 [T5]). Im konkreten Fall liegen zureichende Anhaltspunkte vor, um aus der Sicht eines objektiven Beurteilers die volle Unbefangenheit des betreffenden Richters in Zweifel zu ziehen. Durch die (langjährige) gemeinsame Vorstandstätigkeit mit dem Mitglied des Berufungssenats, aus dessen Entscheidung Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, ist erkennbar, dass es sich nicht bloß um kollegiale Kontakte oder um die bloße Mitgliedschaft in einem Verein handelt, sondern darüber hinausgehende persönliche Beziehungen bestehen. Damit ist die angezeigte Befangenheit zu bejahen.

[10] 5. Dem Rekurs ist daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss dahin abzuändern, dass die Befangenheit des Rechtsmittelwerbers festgestellt wird.

Stichworte