OGH 3Ob145/23d

OGH3Ob145/23d5.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Mag. Herbert Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, *, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Nichtigkeitsklage, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Mai 2023, GZ 2 R 64/23k-17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00145.23D.1005.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Mit Urteil vom 3. Februar 2022, AZ 2 R 101/21w, gab das Landesgericht Innsbruck der Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner Oppositionsklage (Streitwert 4.600,03 EUR) nicht Folge.

[2] Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht Innsbruck die gegen dieses Urteil vom Kläger erhobene Nichtigkeitsklage zurück.

[3] Dem Vorbringen des Klägers lasse sich kein tauglicher Anfechtungsgrund im Sinn des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO entnehmen, weil er nicht behaupte, dass ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter an der Entscheidung mitgewirkt habe, sondern nur Befangenheitsgründe geltend mache. Mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung heile aber der Mangel der Mitwirkung eines befangenen Richters.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der dagegen vom Kläger erhobene Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RS0043868 [T3]), aber nicht berechtigt.

[5] 1.1 Nur die Ausgeschlossenheit kraft Gesetzes, nicht die Befangenheit des erkennenden Richters ist in § 529 Abs 1 Z 1 ZPO als Nichtigkeitsklagegrund angeführt (RS0041972 [T2], RS0042070 [T2]). Es muss also bei einem erkennenden Richter einer der im § 20 JN erschöpfend aufgezählten Ausschließungsgründe vorliegen (RS0044390). In diesem Sinn kann eine Nichtigkeitsklage nicht auf die Behauptung einer noch nicht rechtskräftig festgestellten Befangenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters gestützt werden (RS0041974 [T5]). Selbst eine Entscheidung durch einen schon rechtskräftig abgelehnten Richter kann nicht mit Nichtigkeitsklage bekämpft werden (RS0041974 [T3]), weil ein Mangel dieser Art mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung heilt (RS0041974).

[6] 1.2 Einen gesetzlichen Ausschließungsgrund (§ 20 JN) macht der Rekurswerber weder in der Klage noch in seinem Rechtsmittel geltend. Das Berufungsurteil sei von einem Richtersenat gefällt worden, gegen dessen Vorsitzenden der Kläger bereits mehrere Ablehnungsanträge in anderen Verfahren eingebracht habe; die jeweils geltend gemachte Befangenheit dieses Richters bestehe darin, dass er offenbar erhebliche Vorbehalte gegenüber der Person des Klägers habe. Damit begründet der Kläger sein Begehren ausschließlich mit Befangenheitsgründen, eine Ausgeschlossenheit eines beteiligten Richters behauptet er hingegen nicht.

[7] 1.3 Zu der vom Rekurswerber zitierten Entscheidung 2 Ob 238/18s besteht entgegen seiner Rechtsansicht kein Widerspruch, weil diese über einen Rekurs gegen eine erstinstanzliche Ablehnungsentscheidung erging. Zur Frage der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage wegen Ausgeschlossenheit oder Befangenheit eines Richters enthält diese Entscheidung keine Aussage.

[8] 2.1 Ein zulässiger Analogieschluss setzt eine echte Gesetzeslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts voraus. Eine solche Lücke ist nur dann gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereichs keine Anordnung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung nach dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift aus Sicht des Gesetzgebers erwartbar wäre bzw wenn die Wertungen und der Zweck der konkreten gesetzlichen Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RS0008866 [T9]). Wurde vom Gesetzgeber hingegen für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet, so fehlt es an einer Gesetzeslücke und daher auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (RS0008866 [T8]). Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke steht es den Gerichten nicht zu, gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt rechtsfortbildend zu schaffen (3 Ob 58/23k mwN).

[9] 2.2 Aus den Gesetzesmaterialien zu § 529 ZPO, RGBl Nr 113/1895, geht hervor, dass die Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters dem Mangel der Ausgeschlossenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters nicht gleichwertig und „die außerordentliche Abhilfe der Nichtigkeitsklage“ daher nicht gerechtfertigt sei (AH 688 BlgNR 11.  Sess 314). Dass jedenfalls nach dem Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung eine allfällige Befangenheit eines beteiligten Richters nicht mehr geltend gemacht werden und daher eine Nichtigkeitsklage nicht rechtfertigen kann, entspricht außerdem der zu dieser Frage völlig einheitlichen Lehre (Jelinek in Fasching/Konecny 3 § 529 Rz 29 mwN; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 529 Rz 4; Ploier in Höllwerth/Ziehensack, ZPO § 529 Rz 6). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendbarkeit des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO auf Ablehnungsgründe zeigt das Rechtsmittel daher nicht auf.

[10] 2.3 Der Rekurswerber meint schließlich, die in der Begründung des angefochtenen Beschlusses zitierten Entscheidungen hätten sämtlich solche Fälle betroffen, in denen eine rechtskräftige Ablehnung eines Richters erfolgt sei, während hier über die Ablehnungsanträge noch gar nicht entschieden worden sei. Wenn aber eine erfolgreiche Ablehnung keinen Nichtigkeitsgrund verwirklichen kann, so kann eine noch nicht erfolgreich geltend gemachte Ablehnung dafür umso weniger geeignet sein.

[11] 3. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

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