OGH 4Ob186/11y

OGH4Ob186/11y22.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** R*****, vertreten durch Dr. Marcus Januschke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. G***** V*****, vertreten durch Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, den Erstnebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. H***** F*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und den Zweitnebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. P***** Z*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.977,40 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über den Rekurs des Richters des Oberlandesgerichts Wien MMag. M***** M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 16. September 2011, GZ 13 Nc 8/11t-2, womit seine Befangenheit nicht festgestellt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Befangenheit des Richters des Oberlandesgerichts Wien MMag. M***** M***** festgestellt wird.

Text

Begründung

Im Anlassverfahren, 11 Cg 69/07h des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, wurde ein Urteil von beiden Seiten mit Berufung bekämpft. Mittlerweile hat Mag. C***** M***** die Leitung dieser Gerichtsabteilung übernommen. Deren Ehemann und für die Entscheidung über die Berufung am Oberlandesgericht Wien zuständige Berichterstatter, MMag. M***** M*****, erklärte sich für befangen. Im Falle einer Aufhebung müsste er seiner Frau Aufträge erteilen und würde sie mit Mehrarbeit belasten. Es bestehe damit eine subjektive Befangenheit sowie ein objektiver Anschein einer Voreingenommenheit bei der Entscheidungsfindung.

Der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien stellte die Befangenheit nicht fest. Zwar sei in der Regel bei einer Selbstmeldung von Befangenheit auszugehen, der Richter habe darin aber nicht behauptet, dass er tatsächlich nicht in der Lage sei, frei von unsachlichen Erwägungen zu entscheiden, weil er nicht vorbringe, eine allfällige Mehrarbeit seiner Frau würde ihn beeinflussen. Auch der Anschein der Voreingenommenheit bestehe nicht, weil er gerade kein Urteil seiner Frau überprüfe und im Allgemeinen nicht angenommen werde, dass eine unrichtige Entscheidung gefällt werde, um seine Frau von der Bearbeitung eines Akts zu bewahren.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Richters MMag. M***** M***** aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Der gegebene Sachverhalt könnte die Besorgnis erwecken, dass bei der Entscheidungsfindung andere als rein sachliche Überlegungen eine Rolle spielten. Bei der Prüfung der Befangenheit sei im Interesse der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen, sodass im Zweifel ein objektiver Anschein der Befangenheit anzunehmen sei. Im Übrigen habe der Rechtsmittelwerber in seiner Befangenheitsmeldung ausdrücklich bekannt gegeben, dass er sich subjektiv als befangen erachte; er habe auch angezeigt, dass die von ihm vorzubereitende Entscheidung zwangsläufig Auswirkungen auf die Arbeits- und damit Zeitbelastung seiner Frau haben könnte. Dies hätte zur Feststellung seiner Befangenheit führen müssen.

Die Verfahrensparteien erstatteten keine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt:

1. Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu (RIS-Justiz RS0043747; Mayr in Rechberger 3, § 24 JN Rz 4 mwN). Die grundsätzlich erforderliche Anwaltsunterschrift (RIS-Justiz RS0113115) entfällt gemäß § 28 Abs 1 ZPO.

2. Bei der Prüfung der Unbefangenheit, im Interesse des Ansehens der Justiz, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RIS-Justiz RS0045949; RS0109379; RS0046052). Es ist im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RIS-Justiz RS0046053). Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen (Ballon in Fasching 2 § 19 JN Rz 8).

3. In der Entscheidung 1 Nc 68/04x führte der Oberste Gerichtshof aus, dass ein Naheverhältnis zu einem Richter, dessen Entscheidung zu überprüfen sei, regelmäßig keinen Befangenheitsgrund darstelle, sofern der überprüfende Richter nicht selbst seine Befangenheit anzeige. Dies müsse auch für ein Verwandtschaftsverhältnis gelten, das nicht so eng sei, dass der überprüfende Richter selbst Bedenken dagegen habe, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können.

4. Im vorliegenden Fall hat der Rechtsmittelwerber in seiner Befangenheitserklärung ausdrücklich bekannt gegeben, dass er sich subjektiv befangen erachte. Das Oberlandesgericht Wien wertete diese Bekanntgabe nicht als konkret genug, um eine tatsächliche Befangenheit zu erkennen. Dem ist entgegen zu halten, dass bei der Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen ist (RIS-Justiz RS0045943). Es liefe dem Interesse der Parteien an einem objektiven Verfahren zuwider, wenn ihre Angelegenheit von einem Richter entschieden würde, der selbst Bedenken dagegen äußert, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können. Im konkreten Fall liegen weder Anzeichen von einem Missbrauch des Rechts auf Geltendmachung der Befangenheit vor (der Rechtsmittelwerber „erspart“ sich durch die Befangenheitsanzeige keine Aktenerledigung, da ihm bei Feststellung der Befangenheit ein anderer Berufungsakt zur Berichterstattung zugeteilt würde), noch sind die angegebenen Umstände ihrer Natur nach ungeeignet, eine Befangenheit zu begründen. Die angezeigte Befangenheit ist daher (im Zweifel) zu bejahen.

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass die Befangenheit des Rechtsmittelwerbers festgestellt wird.

Stichworte