OGH 13Os48/06t; 14Os59/06t (RS0120790)

OGH13Os48/06t; 14Os59/06t20.2.2024

Rechtssatz

Was die sogenannte Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft anlangt, prüft der Oberste Gerichtshof, ausgehend von der Vorgabe des GRBG, wonach nicht die Haft, vielmehr die vom OLG getroffene Entscheidung über die Haft den Prozessgegenstand bildet, in jüngerer, jedoch bereits gefestigter Rechtsprechung in zwei Schritten, ob angesichts der vom OLG angeführten bestimmten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO) und - zusätzlich nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung - ob die Gerichte alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 193 Abs 1 StPO). Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung des § 193 Abs 1 StPO.

Normen

GRBG §1 Abs1
GRBG §2 Abs1
GRBG §3
StPO §5
StPO §170 Abs3
StPO §173 Abs1 B
StPO §174 Abs3 Z4
StPO §174 Abs4
StPO §176 Abs1 Z2
StPO §177 Abs1 B
StPO §180 Abs1
StPO §193 Abs1

13 Os 48/06tOGH15.05.2006
14 Os 59/06tOGH13.06.2006

Auch

13 Os 70/06bOGH12.07.2006
14 Os 77/06iOGH28.07.2006

Auch

15 Os 98/06kOGH20.09.2006

Auch

11 Os 84/06xOGH22.08.2006

Vgl auch; Beisatz: Die bloße Behauptung einer Verletzung der „Bestimmung des § 193 StPO insoweit, als Verfahrensverzögerungen ursächlich für die unangemessene lange Dauer der Untersuchungshaft sind" wird dem Begründungsgebot des § 3 Abs 1 Satz 1 GRBG nicht gerecht, sodass sich das Rechtsmittel einer meritorischen Erledigung entzieht. (T1)

15 Os 24/07dOGH19.03.2007

Auch; nur: Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung des § 193 Abs 1 StPO. (T2)

15 Os 55/07pOGH30.05.2007

Auch; Beis ähnlich wie T1

11 Os 69/07tOGH19.06.2007

Vgl auch; Beisatz: Auch in Bezug auf eine Übergabe ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen. (T3)

13 Os 79/07bOGH09.07.2007

Vgl auch; Beisatz: Bei vorläufiger Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO hat sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die fehlende zeitliche Beschränkung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB nur an der Bedeutung der Sache zu orientieren. (T4)

15 Os 69/07xOGH21.06.2007

Auch; Beisatz: Hier: Grundrechtsverletzung infolge Untätigkeit des Gerichtes. (T5)

12 Os 77/07aOGH05.07.2007
14 Os 106/07fOGH22.08.2007

Vgl auch; Beisatz: Die Festsetzung der Hauptverhandlung auf einen mehr als drei Monate nach Übermittlung des Aktes an die Vorsitzende liegenden Termins in einem keineswegs umfangreichen oder rechtlich schwierigen Verfahren, in dem die Angeklagte zudem seit fast zwei Monaten in Untersuchungshaft angehalten ist und neben der Ausschreibung der Hauptverhandlung, in der lediglich die Einvernahme von vier im Inland wohnhaften Zeugen geplant ist, keine weiteren Erhebungen im Zwischenverfahren erforderlich sind, widerspricht dem sich aus § 193 Abs 1 StPO ergebenden Beschleunigungsgebot. (T6)

12 Os 148/07tOGH29.11.2007

Auch; Beisatz: Die (grundrechtlich geforderte) im österreichischen Strafverfahrensrecht durch den Begriff der Verhältnismäßigkeit bestimmte Angemessenheit der Dauer einer Untersuchungshaft entzieht sich einer schematischen Beurteilung. Die Schwere der angelasteten Tat, die im vom Erstgericht gefundenen und trotz fehlender Rechtskraft Indizwirkung entfaltenden Strafmaß einen messbaren Ausdruck findet, sowie das Gewicht des angenommenen Haftgrundes sind bei der nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmenden Abwägung von essentieller Bedeutung. (T7)<br/>Beisatz: Umstände der von der Grundrechtsbeschwerde reklamierten Art - nämlich die sich aus der Haft ergebenden, bei jeder inhaftierten Person in mehr oder weniger starker Ausprägung auftretenden Beeinträchtigungen persönlicher, insbesondere familiärer Beziehungen - sind keine die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft nach § 180 Abs 1 StPO mitbestimmenden Faktoren. (T8)

15 Os 151/07fOGH08.01.2008

Auch; Beisatz: Hier: Auslieferungshaft gem § 29 Abs 1 ARHG. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nur auf die in § 173 Abs 1 letzter Satz StPO idF BGBl I 2007/93 (§ 180 Abs 1 letzter Satz StPO aF) genannten Kriterien und den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung abzustellen. Mit den Hinweisen auf den Stand und die voraussichtliche Dauer des beim VwGH anhängigen Asylverfahrens sowie die behauptete Unzulässigkeit der Auslieferung orientiert sich die Beschwerde in dieser Hinsicht nicht am Gesetz. (T9)

14 Os 13/08fOGH19.02.2008

Vgl auch; Beisatz: Nach ständiger Rechtsprechung kann eine grundrechtswidrige Verletzung des Beschleunigungsgebots aufgrund einer ins Gewicht fallenden Säumigkeit in Haftsachen auch ohne Verletzung der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO nF vorliegen. (T10)<br/>Beisatz: Hier: Die bei der vorläufigen Anhaltung in diesem Zusammenhang allein maßgebliche Bedeutung der Sache ließ fallbezogen die Untätigkeit der Untersuchungsrichterin, die trotz Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer Substituierung der vorläufigen Anhaltung einem Beweisantrag auf nochmalige Begutachtung nicht entsprach, noch gravierender erscheinen. (T11)

15 Os 27/08xOGH10.03.2008

Beisatz: Nach dem Strafprozessreformgesetz (BGBl I 15/2004) nunmehr § 173 Abs 1 StPO und § 177 Abs 1 StPO. (T12)

14 Os 65/08bOGH27.05.2008

Vgl auch; Beis wie T12

14 Os 68/08fOGH02.06.2008

Beisatz: Diese Grundsätze erfahren durch die explizite Statuierung des Beschleunigungsgebots in den §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 der neuen StPO keine Änderung und gewähren insbesondere nicht ohne weiteres den Anspruch auf sofortige Enthaftung. Dieser ist vielmehr nach § 9 Abs 2 StPO, aber auch Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und Art 5 Abs 1 PersFrG nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gegeben, zwingt aber das Gericht nicht gleichsam automatisch zur Enthaftung. (T13)

14 Os 108/08aOGH13.08.2008

Beisatz: Die richterliche Haftprüfung dient nicht bloß der Entscheidung über Fortdauer oder Aufhebung der Untersuchungshaft, sondern vielmehr darüber hinausgehend der Einhaltung sämtlicher haftrelevanter Vorschriften, sodass das Oberlandesgericht der Haftbeschwerde Folge geben kann, ohne den Beschwerdeführer zu enthaften (so auch schon 14 Os 43/07s). (T14)<br/>Beisatz: Prozessgegenstand jeder richterlichen Haftprüfung ist demnach stets auch die Einhaltung aller die Haft regelnden gesetzlichen Vorschriften. Dazu zählen unter anderem die Einhaltung der Begründungsvorschriften des § 174 Abs 3 Z 4 und Abs 4 zweiter Satz StPO, auf deren Befolgung der vom Zwangseingriff Betroffene demnach ebenso ein subjektives Recht hat (das er sogar mit Grundrechtsbeschwerde geltend machen kann; vgl nur RIS-Justiz RS0120817), und die Einhaltung des Beschleunigungsgebots, selbst wenn dessen Verletzung noch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Haft nach § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO und damit zur Enthaftung führt. (T15)<br/>Beisatz: Nach Maßgabe dieser am Erfordernis eines effektiven Grundrechtsschutzes ausgerichteten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann vermittels eines Antrags auf Freilassung nach § 176 Abs 1 Z 2 StPO auch bloß eine - die Verhältnismäßigkeit des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO gar nicht in Frage stellende - Verletzung des Beschleunigungsgebots nach §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO releviert werden, ohne dass der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) indes an einem anderen - gegenüber dem in Haftsachen bestehenden Rechtszug subsidiären (grundlegend: 14 Os 62/08m) - Rechtsbehelf gehindert wäre. (T16)<br/>Bem: Zur Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, zwecks Verfahrensbeschleunigung im Rahmen der Entscheidung über eine Haftbeschwerde erteilte Anordnungen des Gerichts zu befolgen, siehe auch RS0124006. (T17)

13 Os 160/08sOGH05.11.2008

Vgl auch; Beis ähnlich wie T13; Beis ähnlich wie T16

12 Os 186/08gOGH27.01.2009

Vgl; Beisatz: § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO stellt nämlich allein auf die Relation der Haftdauer zur Bedeutung der Sache sowie zu der zu erwartenden Strafe ab. Beurteilungsbasis dieser beiden Kriterien ist nach der Systematik der Bestimmungen über die Untersuchungshaft die - entsprechend qualifizierte - Verdachtslage (§§ 173 Abs 1 erster Satz, 174 Abs 1 erster und zweiter Satz, Abs 3 Z 2 und Z 4, 177 Abs 2 StPO). (T18)<br/>Beisatz: In concreto wird diese - wie bereits dargelegt - durch den (noch nicht rechtskräftigen) Schuldspruch determiniert. (T19)

14 Os 43/09vOGH29.04.2009

Vgl; Beisatz: Hier: Unverhältnismäßigkeit der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts etwas mehr als zwei Jahre andauernden Untersuchungshaft ist angesichts der Höhe der in erster Instanz verhängten Freiheitsstrafe nicht gegeben. (T20)

14 Os 59/09xOGH04.06.2009

Vgl; Beis wie T1; Beis ähnlich wie T15

13 Os 122/09dOGH19.11.2009

Auch; Beisatz: Der Enthaftungsantrag des Angeklagten löste nicht bloß die Verpflichtung aus, ohne Verzug eine Haftverhandlung anzuberaumen, sondern - wie sich nicht zuletzt aus § 175 Abs 5 StPO ergibt - innerhalb dieser zeitlichen Vorgaben auch über den Antrag zu entscheiden. (T21)

14 Os 149/09gOGH15.12.2009

Auch; Beisatz: Keine die sofortige Enthaftung des Beschwerdeführers nach sich ziehende „Fristüberschreitung in U-Haft-Sachen", wenn die Wirksamkeit eines Beschlusses auf (Verhängung oder) Fortsetzung der Untersuchungshaft durch die Haftfrist nicht mehr begrenzt ist. (T22)

15 Os 15/10kOGH03.03.2010

Beis wie T1;Beisatz: § 177 Abs 1 StPO. (T23)<br/>Beisatz: Im Hinblick auf die vielfältigen und auf eine Beschleunigung hinzielenden Verfahrensschritte (Aufklärungsersuchen, Urgenzen sowie die prozessual vorgesehenen Möglichkeiten zur Äußerung von Oberstaatsanwaltschaft und Verteidigung) liegt keine Säumnis des Oberlandesgerichts vor. (T24)

14 Os 24/10aOGH30.03.2010

Vgl; Beis wie T12; Beis ählich wie T13

15 Os 165/10vOGH23.12.2010

Vgl auch; Beis ähnlich wie T21; Beisatz: Hier: Keine Säumnis im Hinblick auf die angesichts der beantragten Fortsetzung der Untersuchungshaft als Hausarrest notwendige Anordnung der Bewährungshilfe, Beauftragung mit Umfelderhebungen und Klärung technischer Voraussetzungen der Überwachung durch die Justizanstalt. (T25)

14 Os 18/12xOGH21.02.2012

Auch; Beis ähnlich wie T13

11 Os 100/12hOGH21.08.2012

Vgl auch

15 Os 129/12bOGH17.10.2012

Auch; nur T2

14 Os 95/13xOGH03.07.2013

Vgl auch; Beisatz: Bei der Prüfung der Frage, ob der Haft‑(hier: Anhalte‑)Zweck durch gelindere Mittel erreicht werden kann, hat der Oberste Gerichtshof auf deutlich und bestimmt zu bezeichnende, in der angefochtenen Entscheidung übergangene, indes zu diesem Zeitpunkt bereits aktenmäßig belegte Tatumstände Rücksicht zu nehmen, ohne dass jedoch mangelnde Erörterung solcher Umstände für sich allein bereits eine Grundrechtsverletzung darstellen würde. (T26)

15 Os 27/14fOGH19.03.2014

Auch; Beis wie T21

12 Os 22/14yOGH06.03.2014

Vgl auch; Beisatz: Bei der Prüfung der Frage, ob der Haftzweck durch gelindere Mittel erreicht werden kann, hat der Oberste Gerichtshof auf deutlich und bestimmt zu bezeichnende, in der angefochtenen Entscheidung übergangene, indes zu diesem Zeitpunkt bereits aktenmäßig belegte Umstände Rücksicht zu nehmen. (T27)

14 Os 37/14vOGH09.04.2014

Vgl

15 Os 91/15vOGH28.07.2015

Auch; Beis wie T1

11 Os 30/16wOGH22.03.2016

Auch; Beis wie T26

14 Os 15/16mOGH08.03.2016

Auch

13 Os 78/16vOGH25.07.2016

Auch

13 Os 77/16xOGH25.07.2016

Auch; nur T2; Beis wie T1; Beis wie T10; Beis wie T13

12 Os 139/16gOGH24.11.2016

Auch

12 Os 162/16iOGH30.12.2016

Auch; Beis wie T3; Beisatz: Die in § 21 Abs 2 erster und letzter Satz EU‑JZG genannten Fristen sind keine Fallfristen, deren Überschreitung zur Enthaftung des Betroffenen führt (vgl § 21 Abs 3 erster Satz EU‑JZG), sondern gesetzliche Konkretisierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. (T28)

15 Os 110/17sOGH19.09.2017

Auch

12 Os 114/17gOGH12.10.2017

Auch

14 Os 2/18bOGH15.01.2018

Vgl

15 Os 150/17yOGH13.12.2017

Auch; Beisatz: Hier: Zur Verhältnismäßigkeit einer Festnahme prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ob angesichts der vom Oberlandesgericht angeführten bestimmten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache (§ 170 Abs 3, § 5 StPO) vertretbar war . (T29)

14 Os 27/18dOGH06.03.2018

Auch; Beisatz: Hat das Oberlandesgericht ohnehin verfahrensbeschleunigende Maßnahmen durch die Staatsanwaltschaft angeordnet, hat die Grundrechtsbeschwerde darzulegen, weshalb dies keinen angemessenen Ausgleich für die anerkannte Verletzung des Beschleunigungsgebots darstellen, die Entscheidung also grundrechtswidrig sein sollte. (T30)

12 Os 3/18kOGH15.02.2018

Auch; Beis wie T1

12 Os 45/18mOGH17.05.2018

Auch; Beis wie T1

12 Os 61/18iOGH21.06.2018

Auch; Beis wie T1

14 Os 75/18pOGH11.07.2018

Auch; Beis wie T26

14 Os 11/19bOGH29.01.2019

Auch; Beisatz: Der Beschwerdeführer hat gemäß § 3 Abs 1 erster Satz GRBG konkret darzulegen, in welcher (genau bezeichneten) Verzögerung der im Strafverfahren tätigen Behörden eine ins Gewicht fallende und somit grundrechtswidrige Säumigkeit vorliege. (T31)

12 Os 13/19gOGH13.02.2019

Auch

11 Os 104/19gOGH02.08.2019

Vgl

12 Os 119/19wOGH15.10.2019

Vgl; Beis wie T8

15 Os 39/20dOGH27.04.2020

Vgl

12 Os 38/21mOGH24.06.2021

Vgl; Beis wie T13; Beis wie T15

14 Os 65/21xOGH22.06.2021

Vgl

14 Os 129/21hOGH22.11.2021

Vgl

15 Os 6/22dOGH27.01.2022

Vgl

11 Os 31/22aOGH22.03.2022

Vgl; Beis wie T13; Beis wie T15

11 Os 39/22bOGH20.04.2022

Vgl

15 Os 36/22sOGH27.04.2022

Vgl

14 Os 133/22yOGH14.12.2022

Vgl

13 Os 31/23tOGH19.04.2023

vgl; Beisatz wie T1

13 Os 121/23bOGH20.12.2023

vgl; Beisatz wie T1

14 Os 13/24dOGH20.02.2024

vgl

Dokumentnummer

JJR_20060515_OGH0002_0130OS00048_06T0000_001