Spruch:
Andrzej S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe :
Andrzej S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 21. September 2009, GZ 37 Hv 42/09t-214, im zweiten Rechtsgang erneut des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 erster und zweiter Fall und Z 3, 130 dritter und vierter Fall StGB (I), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (II) sowie des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (V) schuldig erkannt und hiefür unter Einbeziehung der bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche (wegen eines weiteren Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 12 dritter Fall, 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 ½ Jahren verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs - soweit vom Oberlandesgericht als haftrelevant angesehen - hat er
„I. mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren und durch Einbruch begangenen Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, anderen fremde bewegliche Sachen weggenommen, und zwar
1. zwischen 11. und 13. November 2007 in Wien Dr. Thomas M***** zwei KFZ-Kennzeichentafeln unbekannten Werts;
2. in der Nacht zum 16. November 2007 in Z***** Verfügungsberechtigten des A***** G***** durch Einschlagen einer Fensterscheibe und anschließendes Einsteigen in eine Holzhütte etwa 30 Fahrzeugschlüssel unbekannten Wertes und einen PKW der Marke Audi A6 Avant, 2,5 TDI, im Verkaufswert von ca 19.000 Euro durch Eindringen mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel;
II. am 16. November 2009 in W***** den Polizeibeamten Werner K***** mit Gewalt an seiner Festnahme zu hindern versucht, indem er mit seinem Fahrzeug mit unvermindertem Tempo auf den Beamten zufuhr, der auf der Straße stand, um ihn anzuhalten, sodass sich dieser nur durch einen Sprung zum Fahrbahnrand in Sicherheit bringen konnte, und indem er kurz nach seiner Anhaltung im Zuge der Festnahme versuchte, sich loszureißen und Werner K***** umzurennen und wegzudrücken;
V. am 18. November 2007 und am 29. April 2008 in S***** die Polizeibeamten Werner K***** und Benedikt O***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie der von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung des Quälens oder Vernachlässigens eines Gefangenen nach § 312 Abs 1 StGB falsch verdächtigte, indem er anlässlich seiner Vernehmungen vor dem Journalrichter des Landesgerichts Salzburg und in der Hauptverhandlung behauptete, die Genannten hätten ihn am 16. November 2007 in W***** nach seiner Fesselung mittels Handschellen mehrfach massiv geschlagen, getreten, seinen Kopf gegen den Asphalt geschlagen und ihn auf diese Weise am Körper verletzt, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch war.“
Über die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten (ON 254) wurde bislang noch nicht entschieden.
Mit Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 8. Jänner 2010 wurde die über Andrzej S***** am 18. November 2007 verhängte (ON 4) und bereits wiederholt fortgesetzte Untersuchungshaft nach - in Entsprechung eines Auftrags des Obersten Gerichtshofs (§ 7 Abs 2 GRBG; vgl das Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, AZ 14 Os 149/09g) durchgeführter - Haftverhandlung aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit b und c StPO neuerlich fortgesetzt (ON 261).
Einer dagegen erhobenen Beschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 26. Jänner 2010, AZ 7 Bs 18/10m (ON 272), nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den vom Erstgericht angenommenen Haftgründen an.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, mit der er erneut das Vorliegen dringenden Tatverdachts bestreitet, unvollständige Begründung der Annahme der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft durch das Oberlandesgericht sowie weitere angebliche Verletzungen des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen behauptet und sich durch die trotz (teilweise festgestellter) mehrfacher Verstöße gegen § 177 Abs 1 zweiter Satz StPO unterlassene Anordnung seiner Enthaftung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt erachtet, kommt keine Berechtigung zu.
Wie bereits in mehreren in dieser Strafsache ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs dargelegt, ist auf Einwendungen gegen die Dringlichkeit des Tatverdachts angesichts der Verurteilung in erster Instanz nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0061112).
Ebenso hat der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, AZ 14 Os 149/09g (ON 258) festgestellt, dass Andrzej S***** bis zum Zeitpunkt der zum AZ 7 Bs 341/09k vom 22. Oktober 2009 getroffenen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Linz (ON 225) in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit durch einen - vom Oberlandesgericht als Kontrollinstanz zu Unrecht verneinten - Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) verletzt wurde, und dabei auch zum Ausdruck gebracht, dass es zu ausreichendem Grundrechtsschutz nicht notwendig angestellter Erwägungen zu sämtlichen vom Beschwerdeführer als das Beschleunigungsgebot verletzend reklamierten Vorgängen bedurfte. Soweit sich das hiezu erstattete Vorbringen ein weiteres Mal auf den Zeitraum bis zur Beschlussfassung des Beschwerdegerichts (teilweise sogar auf eine - bei der Strafbemessung im zweiten Rechtsgang durch Reduktion der Freiheitsstrafe um ein halbes Jahr ausdrücklich berücksichtigte [US 33 in ON 214; vgl zur Möglichkeit des Ausgleichs einer solchen Grundrechtsverletzung durch eindeutige und messbare Minderung der Sanktion die Urteile des EGMR in den Fällen Dzelili, Beschwerde Nr 65.745/01, und Donner, Beschwerde Nr 32.407/04] - angeblich schleppende Verfahrensführung im ersten Rechtsgang) bezieht und erneut Rechtsverletzungen, die bereits Gegenstand früherer Grundrechtsbeschwerden waren, geltend macht, steht einer meritorischen Erledigung somit das Prozesshindernis der res iudicata entgegen.
Dem Beschwerdestandpunkt zuwider wurde das im angespochenen Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs formulierte Ziel, die Entscheidung einer kassatorischen Erledigung soweit wie möglich anzunähern, um das Bemühen der Gerichte zu unterstreichen, einen Ausgleich für die festgestellte Grundrechtsverletzung zu finden und das Fortwirken der Grundrechtsverletzung zu unterbinden, bereits durch diese Entscheidung selbst, nämlich die Anordnung einer neuerlichen Prüfung der Haftvoraussetzungen in Verbindung mit der Durchführung dieses Auftrags durch das Landesgericht Salzburg erreicht.
Danach erfolgte, in der aktuellen Haftbeschwerde erstmals reklamierte weitere Verstöße gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (durch verspätete Vorlage einer am 29. Dezember 2009 beim Erstgericht eingelangten Grundrechtsbeschwerde sowie der gegen das im zweiten Rechtsgang gefällte Urteil gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten an den Obersten Gerichtshof) aber hat das Oberlandesgericht in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich als Verletzung des § 177 Abs 1 StPO beanstandet (BS 7).
Eine solche ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung der §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0120790), gewährt aber nicht ohne weiteres den von der Beschwerde geforderten Anspruch auf sofortige Enthaftung (vgl EBRV 25 BlgNR 22. GP 22; vgl zum Ganzen Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 176 Rz 15, § 177 Rz 2 ff). Dieser ist vielmehr nach § 9 Abs 2 StPO, aber auch Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und Art 5 Abs 1 PersFrG nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gegeben.
§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO stellt in Betreff der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Relation der Haftdauer zur Bedeutung der Sache sowie der zu erwartenden Strafe ab. Beurteilungsbasis dieser beiden Kriterien ist nach den Bestimmungen über die Untersuchungshaft die - entsprechend qualifizierte - Verdachtslage (§§ 173 Abs 1 erster Satz, 174 Abs 1 erster und zweiter Satz, Abs 3 Z 2 und Z 4, 177 Abs 2 StPO).
In concreto wird diese - wie bereits dargelegt - durch den (noch nicht rechtskräftigen) Schuldspruch determiniert. Davon ausgehend steht aber die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund zwei Jahre und drei Monate andauernde Untersuchungshaft weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe (vgl die vom Schöffengericht ausgesprochene Sanktion) außer Verhältnis.
Weil ein Fortwirken der Säumigkeit mit der - mittlerweile nachgeholten - Verfahrenshandlung nicht erkennbar, die Anordnung einer verfahrensbeschleunigenden Maßnahme - auch mit Blick auf das in erster Instanz bereits abgeschlossene Erkenntnisverfahren - nicht zusätzlich erforderlich und Enthaftung nicht sachgerecht war, stand dem Oberlandesgericht mehr als die Feststellung der Verletzung des § 177 Abs 1 StPO nicht zu Gebote.
Was letztlich die - in der Grundrechtsbeschwerde erstmals aufgestellte und damit schon zufolge fehlender Ausschöpfung des Instanzenzugs unbeachtliche - Behauptung eines im zweiten Rechtsgang erfolgten Verstoßes gegen die in der Schöffenliste vorgegebene Reihenfolge betrifft, genügt der Hinweis, dass analoges Heranziehen der Z 1 des § 281 Abs 1 StPO im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht kommt (14 Os 43/09v mwN), wobei davon abgesehen dadurch Nichtigkeit nur dann bewirkt würde, wenn vom gesetzlich determinierten Prinzip der nach dem Zufall zu erfolgenden Besetzung des Schöffengerichts willkürlich, mithin in sachlich unvertretbarer Weise abgewichen wird.
Andrzej S***** wurde demnach durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Angeklagten - ohne Kostenausspruch abzuweisen war.
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