Spruch:
Cemil S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. September 2009, GZ 31 HR 546/09b-6, wurde über Cemil S***** die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO verhängt, wobei der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren vom dringenden Verdacht ausging, der Beschuldigte habe Marie H***** am 1. und 2. September 2009 zu Boden gerissen, mit den Füßen getreten und geschlagen und dadurch leicht am Körper verletzt (§ 83 Abs 1 StGB) sowie damit bedroht, „sie umzubringen, bzw zu schlagen, bis sie ihm hörig sei" (§ 107 Abs 1 und Abs 2 StGB - ON 6 S 5).
Noch innerhalb der 14-tägigen Haftfrist (§ 175 Abs 2 Z 1 StPO) brachte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am 15. September 2009 einen Strafantrag gegen den Angeklagten wegen jeweils mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB ein, weshalb eine weitere Haftverhandlung von Amts wegen nicht mehr durchgeführt wurde (§ 175 Abs 5 StPO). Über ausdrückliche Anfrage des dann zuständigen (§§ 31 Abs 4, 210 Abs 2 StPO) Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck unter Hinweis auf die „bisherige Unbescholtenheit" (des Angeklagten) erklärte die Staatsanwaltschaft, „dass der Haftantrag nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO aufrecht bleibt" (ON 1 S 7).
Dem am 16. September 2009 per Fax übermittelten Enthaftungsantrag des Angeklagten trat die Staatsanwaltschaft Innsbruck am 17. September 2009 entgegen; noch am selben Tag wurde die Haftverhandlung für den 1. Oktober 2009 anberaumt (ON 18 S 10).
Mit am 23. September 2009 gestelltem Antrag „gemäß § 176 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 9 Abs 2 StPO" begehrte der Angeklagte gestützt auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen, „unverzüglich" über seinen Enthaftungsantrag zu entscheiden und führte dazu aus, die Abhaltung einer „Haftprüfungsverhandlung mehr als zwei Wochen später" sei „in keinster Weise angemessen" (ON 19 S 5). Zufolge eines Amtsvermerks des Vertreters der laut Geschäftsverteilung zuständigen Richterin werde diese am 28. September 2009 aus ihrem Urlaub zurückkehren, während der vertretende Richter selbst am 24. und 25. September 2009 Hauptverhandlungen durchzuführen habe. Die Haftverhandlung sei jedoch unverzüglich „noch am Tag des Einlangens des Enthaftungsantrages für einen Termin zwei Wochen später anberaumt" worden, weshalb die Dauer der Untersuchungshaft „jedenfalls nicht unverhältnismäßig" sei (ON 19 S 8).
In der am 1. Oktober 2009 durchgeführten Haftverhandlung wurde der Angeklagte „mit der Weisung, sich von Maria H***** fern zu halten", enthaftet (ON 19a S 3).
Rechtliche Beurteilung
Die aus Anlass der Enthaftung (der Sache nach § 2 Abs 2 GRBG) auf eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) gestützte Grundrechtsbeschwerde ist - wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt - zulässig (RIS-Justiz RS0061399) und berechtigt.
Unabhängig von der Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft erachtet der Oberste Gerichtshof in mittlerweile ständiger Rechtsprechung das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, wenn er nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung zum Ergebnis kommt, dass die Gerichte nicht im Sinne des § 177 Abs 1 StPO alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (RIS-Justiz RS0120790; Kier, WK-StPO § 9 Rz 49). Der Enthaftungsantrag des Angeklagten löste entgegen der Ansicht des Landesgerichts Innsbruck nicht bloß die Verpflichtung aus, ohne Verzug eine Haftverhandlung anzuberaumen, sondern - wie sich nicht zuletzt aus § 175 Abs 5 StPO ergibt - innerhalb dieser zeitlichen Vorgaben auch über den Antrag zu entscheiden. Ob dieser Verpflichtung entsprochen wurde, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht nach starren Fristen (etwa der hier nicht maßgeblichen, einwöchigen des Art 6 Abs 1 PersFrG) zu prüfen, sondern an den besonderen Umständen des Einzelfalls zu messen und zu beurteilen, „wobei oberste Maxime tunlichst rasches Handeln und möglichst kurze Untersuchungshaft sein muss" (RIS-Justiz RS0112353; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 174 Rz 25). Deshalb ist vorliegend ohne Bedeutung, dass die Enthaftung gerade nicht mehr innerhalb von 14 Tagen nach Einlangen des Antrags erfolgte (welcher Zeitraum nach den Gesetzesmaterialien - JAB 1157 BlgNR 18. GP, 13 f - übrigens nur im Zusammenhang mit § 181 Abs 3 letzter Satz StPO aF [nunmehr § 175 Abs 5 StPO], nicht jedoch mit Blick auf § 193 Abs 5 StPO aF [nunmehr § 176 Abs 1 Z 2 StPO] als äußerste, noch zulässige Grenze des Begriffs „ohne Verzug" angesehen wurde), denn die Möglichkeit, über den Antrag im Rahmen einer Hauptverhandlung zu entscheiden, war vorliegend im Zeitpunkt der Anberaumung der Haftverhandlung (mangels Ausschreibung) noch nicht abzusehen. Nur in einem solchen - hier nicht gegebenen - Fall wäre allenfalls ein etwas längeres Zuwarten mit der Entscheidung über die Haftfrage, die dann eben (aus prozessökonomischen Überlegungen) mit jener über die Anklage zu verbinden ist, mit Blick etwa auf die gemäß § 221 Abs 2 StPO einzuhaltenden Fristen, vertretbar.
Unter dem Aspekt der gesetzlich auferlegten Verpflichtung (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) bedeutet hingegen fallbezogen die Entscheidung über den - nicht offenbar unbegründeten (vgl ON 1 S 7) - Enthaftungsantrag mehr als zwei Wochen nach dessen Einlangen eine ins Gewicht fallende Säumnis (vgl Reiter, ÖJZ 2007, 391 [394 f]), wobei in concreto insbesondere zu berücksichtigen ist, dass eine (nochmalige) gerichtliche Überprüfung der einmal verhängten Untersuchungshaft zufolge der im Sinne des § 175 Abs 5 StPO eingetretenen Konstellation nicht mehr stattgefunden hat, der Sachverhalt keine besondere Komplexität aufweist und der - erstmals das Haftübel verspürende (vgl ON 2 S 13 und ON 18 S 7) - Angeklagte im Zeitpunkt der Anberaumung der Haftverhandlung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (vgl § 46a Abs 2 iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG; Schroll in WK2 § 46a JGG Rz 10). Im Sinn der ständigen Rechtsprechung ist dabei nicht auf ein Verschulden der befassten Organe abzustellen, denn der Staat hat den Schutz des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherzustellen (Kier, WK-StPO § 9 Rz 51; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 177 Rz 2; Grabenwarter, EMRK4 § 21 Rz 32, jeweils mwN). Die urlaubsbedingte Abwesenheit der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richterin oder die Auslastung ihres Vertreters mit der Durchführung von Hauptverhandlungen an zwei Tagen vermögen die eingetretene Verzögerung daher nicht zu rechtfertigen. (Objektive) Gründe, die einer früheren Entscheidung entgegengestanden wären, sind (anders als etwa beim zu 15 Os 23/09k entschiedenen Sachverhalt) hingegen nicht aktenkundig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.
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