OGH 14Os108/08a (RS0124006)

OGH14Os108/08a14.12.2022

Rechtssatz

Hat die Staatsanwaltschaft über Einspruch wegen Rechtsverletzung ergangene stattgebende Entscheidungen des Gerichts (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO) dadurch zu befolgen, dass sie „den entsprechenden Rechtszustand mit den" ihr „zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen" hat (§ 107 Abs 4 StPO), und sind Staatsanwälte nach Art 90a B-VG Organe der Gerichtsbarkeit, so kann nicht zweifelhaft sein, dass diese Pflicht per analogiam auch bezüglich der in Haftsachen ergehenden gerichtlichen Entscheidungen besteht, weil sonst das Beschleunigungsgebot in Haftsachen, das wegen seiner grundrechtlichen Bedeutung gleich zweimal als subjektives Recht des Beschuldigten (§ 48 Abs 2 StPO) ausdrücklich im neuen Gesetz hervorgestrichen wird, weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde und gegenüber dem alten Recht eine vom Gesetzgeber keinesfalls beabsichtigte, nicht hinnehmbare Lücke im (Grund-)Rechtsschutz entstünde. Dem Gericht ist mithin die Anordnung konkreter verfahrensbeschleunigender Maßnahmen keineswegs untersagt (vgl auch § 108 Abs 1 Z 2 StPO). Diese können unter Umständen auch zur Hintanhaltung einer Grundrechtsverletzung geboten sein.

Normen

B-VG Art90a
GRBG §1 Abs1
GRBG §2 Abs1
StPO §48 Abs2
StPO §106 Abs1 Z2
StPO §107 Abs4
StPO §108 Abs1 Z2
StPO §173 Abs1 B
StPO §177 Abs1

14 Os 108/08aOGH13.08.2008

Beisatz: Hier: Vom OLG im Rahmen der Entscheidung über eine Haftbeschwerde ausgesprochene Anordnung der Ausscheidung des Verfahrens gegen einen von mehreren Beschuldigten gemäß § 27 StPO zwecks Verfahrensbeschleunigung. (T1)

13 Os 122/08bOGH27.08.2008

Auch; Beisatz: Gegen eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen im Bereich der Staatsanwaltschaft, der es im neu geregelten Ermittlungsverfahren (unter anderem) grundsätzlich obliegt, Sachverständige zu bestellen (§ 126 Abs 3 StPO) und erforderlichenfalls die Erstattung von Befund und Gutachten zu urgieren (vgl § 127 Abs 5 StPO), kann gerichtlicher Rechtsschutz erreicht werden, indem ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Antrag „auf Enthaftung" oder - bedeutungsgleich -„auf Freilassung" gestellt wird (dessen auf die häufigste Beschwerdeintention, nämlich Beendigung der Haft, abgestellte gesetzliche Bezeichnung [§ 174 Abs 3 Z 8, § 176 Abs 1 Z 2 StPO] nichts daran ändert, dass damit auch gezielt bloß die Einhaltung haftrelevanter Vorschriften begehrt werden kann) und nötigenfalls gegen die darüber ergangene Entscheidung Beschwerde geführt wird: Erfordert auch die Verletzung des Beschleunigungsgebots für sich allein noch keine Freilassung (vgl demgegenüber § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO), wohl aber - selbstverständlich - das konzentrierte Hinwirken auf eine (jedenfalls von da an) in ganz besonderem Maß vorrangige Verfahrensführung, kann auf diesem Weg ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnende) Maßnahmen Rechnung zu tragen. Diese Bindung der Staatsanwaltschaft an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechts lässt sich aus den Bestimmungen über den Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO). Für den Fall der Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft, mit dem das Gericht im Weg eines - auf Prüfung der Einhaltung einer die Haft betreffenden Vorschrift zielenden - Antrags auf Freilassung befasst wird, kann (per analogiam) nichts anderes gelten. (T2)

13 Os 37/09dOGH07.05.2009

Auch; Beisatz: Hat die Staatsanwaltschaft das zunächst Verabsäumte inzwischen nachgeholt, ist zwar für einen gerade darauf gerichteten Auftrag - naturgemäß - kein Raum mehr. Diesfalls obliegt es allerdings dem (wegen der Verzögerung mit Haftbeschwerde angerufenen) Oberlandesgericht, nach Möglichkeit Abhilfe gegen Folgen der Säumnis zu schaffen, um ein Fortwirken der Verzögerung hinanzuhalten. (T3)<br/>Beisatz: Im gegebenen Fall war mit der vom Oberlandesgericht konstatierten Verletzung der Verpflichtung, dem Verfahrenshilfeverteidiger unverzüglich Kopien des Aktes von Amts wegen zuzustellen, eine gewichtige Schmälerung der Verteidigungsrechte verbunden, denn der Beschuldigte war durch diese Säumnis nicht in der Lage, zur Vorbereitung der Haftverhandlung die ihm nach dem Gesetz zustehenden Verteidigungsrechte (vgl § 176 Abs 4 StPO) effizient in Anspruch zu nehmen. Indem das Oberlandesgericht die ins Gewicht fallende Säumnis der Staatsanwaltschaft zwar als nicht zu vertretende Verzögerung der Gewährung von Akteneinsicht beanstandete, daran aber keine konkreten Maßnahmen wie insbesondere einen Auftrag zu umgehender neuerlicher Haftprüfung durch das Erstgericht knüpfte, stattdessen selbst die Fortsetzung der Untersuchungshaft beschloss, ohne dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger noch Gelegenheit zu inhaltlicher Stellungnahme zur Haftfrage (nach Erhalt einer vollständigen Aktenkopie) zu geben, verletzte es den Beschuldigten im Grundrecht auf persönliche Freiheit. (T4)

13 Os 57/10xOGH17.06.2010

Auch; Beis wie T3; Beisatz: Trifft das Gericht nach § 176 Abs 1 Z 2 iVm § 175 Abs 5 StPO die Pflicht, über einen sogenannten Enthaftungsantrag unverzüglich zu entscheiden und haben nach § 177 Abs 1 erster Satz StPO sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere, so kann nicht zweifelhaft sein, dass eine ohne ersichtlichen Grund erst am 11. Tag nach Einlangen (nach gerichtlicher Urgenz) übermittelte Stellungnahme der Staatsanwaltschaft den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht. Dass Ostern in diesen Zeitraum fiel, spielt keine entscheidende Rolle. (T5)

11 Os 53/11wOGH14.07.2011

Vgl; Vgl Beis wie T2

14 Os 167/11gOGH29.12.2011

Auch; Beis wie T2 nur: Erfordert auch die Verletzung des Beschleunigungsgebots für sich allein noch keine Freilassung (vgl demgegenüber § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO), wohl aber - selbstverständlich - das konzentrierte Hinwirken auf eine (jedenfalls von da an) in ganz besonderem Maß vorrangige Verfahrensführung, kann auf diesem Weg ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnende) Maßnahmen Rechnung zu tragen. Diese Bindung der Staatsanwaltschaft an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechts lässt sich aus den Bestimmungen über den Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO). Für den Fall der Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft, mit dem das Gericht im Weg eines - auf Prüfung der Einhaltung einer die Haft betreffenden Vorschrift zielenden - Antrags auf Freilassung befasst wird, kann (per analogiam) nichts anderes gelten. (T6)<br/>Beis wie T3

15 Os 118/11hOGH29.02.2012

Vgl auch; Vgl auch Beis wie T2

11 Os 131/13vOGH10.12.2013

Auch; Beis wie T2

11 Os 8/14gOGH11.02.2014

Vgl

13 Os 77/16xOGH25.07.2016

Vgl; Beisatz: Geltendmachung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO), setzt die Behauptung voraus, das Oberlandesgericht habe es verabsäumt, in seiner Haftentscheidung nach Möglichkeit Abhilfe gegen die vermeintlichen Verzögerungen zu schaffen. (T7)

15 Os 110/17sOGH19.09.2017

Auch; Beis wie T7

14 Os 27/18dOGH06.03.2018

Auch; Beisatz: Hat das Oberlandesgericht ohnehin verfahrensbeschleunigende Maßnahmen durch die Staatsanwaltschaft angeordnet, hat die Grundrechtsbeschwerde darzulegen, weshalb dies keinen angemessenen Ausgleich für die anerkannte Verletzung des Beschleunigungsgebots darstellen, die Entscheidung also grundrechtswidrig sein sollte. (T8)

14 Os 133/22yOGH14.12.2022

Vgl; Beis wie T7

Dokumentnummer

JJR_20080813_OGH0002_0140OS00108_08A0000_001