OGH 14Os13/08f

OGH14Os13/08f19.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin in dem beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 10 Hv 142/07x geführten Verfahren zur Unterbringung des Franz H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 4. Jänner 2008, AZ 9 Bs 481/07i (ON 34), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Franz H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

In dem beim Landesgericht für Strafsachen Graz gegen Franz H***** geführten Strafverfahren brachte die Staatsanwaltschaft am 7. September 2007 einen Strafantrag (ON 3) wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I) und wegen der Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II) ein.

Danach hat der (am 11. November 1939 geborene, unbescholtene) Franz H***** am 20. August 2007 in St. J***** Annemarie S***** (mit der er zeitweise eine Beziehung unterhielt, durch Hinterlassen von Nachrichten auf deren Mobilbox)

I. mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1. durch die Ankündigung „I daschmeiß di, long wirst nimmer leben, i hau di in Grobn eini!" und

2. durch die Ankündigung „Du elende Bestie du, di dawisch i, donn streck i di nieda und daschlog di! Wennst mit nit in Ruh losst, dann streck i di nieda, du Sau!";

II. durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu den nachangeführten Handlungen zu nötigen versucht und zwar

1. durch die Äußerung „Du Satan, gib den Schlüssel und die Mastercard her! Der Ofen is a hin. Wenn i das nicht griag, erledig ich dich. I hau di in den Grobn eini, dann bist dron, das schwöre ich bei Gott!" (zur Rückgabe seines Schlüssels und seiner Bankomatkarte sowie zur Leistung von Schadenersatz für seinen defekten Ofen),

2. durch die Äußerung „2.000 Euro, die Schlüssel und das Telefon will

i zruck, sonst streckst die Fiaß! Ich bin glei drübn in G*****, du Sauhex du verdammte, ober dalli!" (zur Rückgabe eines Bargeldbetrages, seiner Schlüssel und seines Mobiltelefons). Nach dem vom Landesgericht für Strafsachen Graz zufolge eines stationären Aufenthalts des Franz H***** in der Landesnervenklinik Sigmund Freud veranlassten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 8. Oktober 2007 (ON 4) war Franz H***** im Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig im Sinne des § 11 StGB und lagen die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB und eine vorläufige Anhaltung nach § 429 StPO vor (AS 49).

Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Voruntersuchung wurde mit Beschluss vom 1. November 2007 die vorläufige Anhaltung des Franz H***** wegen Tatbegehungs- und -ausführungsgefahr sowie Fremdgefährlichkeit (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO iVm § 429 Abs 4 StPO) angeordnet (ON 14).

In einem Ergänzungsgutachten vom 12. November 2007 (ON 18) beschreibt der Sachverständige eine Abschwächung des psychotischen Zustandsbildes bei Franz H*****. Angesichts fehlender Krankheitseinsicht und mangelnder Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme ging der Sachverständige jedoch von einer anhaltenden Gefährlichkeit aus, sowie davon, dass „die Voraussetzungen zur Unterbringung nach dem § 21 Abs 1 StGB noch gegeben" waren und diese „noch nicht durch entsprechende Weisungen substituiert werden" konnten (S 119 f).

Mit Beschluss vom 14. November 2007 wurde die vorläufige Anhaltung mit Wirksamkeit bis längstens 14. Dezember 2007 fortgesetzt (ON 22). In einem dem Gericht am 5. Dezember 2007 per Telefax übermittelten - auf eine nochmalige Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen abzielenden - Beweisantrag (S 151) brachte der Verteidiger unter Vorlage eines Aktenvermerks vom 30. November 2007 über ein Gespräch mit dem Franz H***** behandelnden Stationsarzt zusammengefasst vor, dieser hätte eine - seit der letzten Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen eingetretene - weitere Besserung des Zustands des Betroffenen bestätigt und sei dieser nun völlig symptomfrei und krankheitseinsichtig auch im Betreff der erforderlichen Medikation. Die vorläufige Anhaltung könne durch eine ambulante Behandlung mit periodischen Kontrollen der Medikamenteneinnahme im psychosozialen Zentrum Leibnitz, einem Facharzt für Neurologie oder in der Landesnervenklinik Sigmund Freud substituiert werden.

Eine weitere Begutachtung wurde von der Untersuchungsrichterin nicht mehr veranlasst. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2007 wurde die vorläufige Anhaltung mit Wirksamkeit bis längstens 14. Februar 2008 fortgesetzt (ON 28). Die Gefährlichkeit des Franz H***** wurde auf Basis der bisherigen Gutachten bejaht, das Vorbringen im Beweisantrag blieb unerwähnt.

In der dagegen erhobenen Beschwerde kritisiert der Betroffene, dass es das Gericht trotz des konkreten Hinweises auf den Entfall der Voraussetzungen für eine vorläufige Anhaltung unterlassen hat, den gerichtlichen Sachverständigen zur Haftverhandlung beizuziehen oder mit einer neuerlichen Begutachtung zu beauftragen.

Am 19. Dezember 2007 brachte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Unterbringung des Franz H***** in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB wegen der im Wesentlichen bereits im Strafantrag angeführten Taten ein.

Mit Beschluss vom 4. Jänner 2008 gab das Oberlandesgericht Graz der Haftbeschwerde nicht Folge (ON 38). Zu den hier relevanten Voraussetzungen der vorläufigen Anhaltung bzw deren Substituierbarkeit bezog sich das Oberlandesgericht darauf, dass „die Aktualität des psychiatrischen Ergänzungsgutachtens auch mit Beziehung auf die spezifische Gefährlichkeitsprognose zu bejahen" sei (BS 6). In Bezug auf den Aktenvermerk über die Auskunft des behandelnden Arztes der Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz vom 30. November 2007 verneinte das Oberlandesgericht die Möglichkeit einer (einverständlichen) Behandlungsweisung. Im Aktenvermerk sei nämlich die Einschätzung des Behandlungsleiters dokumentiert, „dass es bei Franz H***** unter Druck, trotz Medikation wieder zu kritischen Zuständen kommt, also unter Druck auch das nochmals geschehen könne, was zuletzt passiert ist". Ferner sei nach den „Erklärungen des Behandlungsleiters eine Überwachung der Medikamenteneinnahme durch eine Privatperson keinesfalls hinreichend und eine kompetente Kontrolle unabdingbar". Von einem „Wegfall der Haft- bzw Anhaltegründe, aber auch einer nunmehrigen Substituierbarkeit der vorläufigen Anhaltung durch eine Behandlungsweisung" könne „keine Rede sein", „woran auch die Tatsache nichts zu ändern vermag, dass Franz H***** sich nunmehr krankheitseinsichtig und therapiewillig zeigte". Schließend hielt das Oberlandesgericht fest, dass „die mit dem gegenständlichen Beschluss des Beschwerdegerichtes angeordnete weitere Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung impliziert, dass - der Beschwerde zuwider - die Beiziehung eines (des) psychiatrischen Sachverständigen zur Haftverhandlung oder die Veranlassung eines neuerlichen Ergänzungsgutachtens vor der Haftentscheidung entbehrlich war".

In einem vom Vorsitzenden des Schöffensenats veranlassten Gutachten vom 16. Jänner 2008 bestätigte der gerichtliche Sachverständige die Substituierbarkeit der vorläufigen Anhaltung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den bezeichneten Beschluss des Oberlandesgerichts gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist - soweit sie einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot releviert - berechtigt.

Zunächst ist dem unter dem Aspekt einer Aktenwidrigkeit vorgetragenen Einwand, wonach das Oberlandesgericht den erwähnten Aktenvermerk falsch zitiert habe, womit sich der „Eindruck einer bewusst sinnentstellten Wiedergabe des Beweisantrages bzw seiner Begründung" ergebe, zu erwidern, dass die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren oder der im Unterbringungsverfahren anzustellenden Prognose vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft wird, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806). Solcherart kommt Aktenwidrigkeit nur dann in Betracht, wenn angesichts des aktenwidrig zitierten Beweises unklar bleibt, woraus der Haftgrund (die Prognoseentscheidung) im angefochtenen Beschluss tatsächlich abgeleitet wird (Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 417 f).

Demgegenüber ergibt sich aus jenen Passagen, in welchen sich das Oberlandesgericht mit dem wesentlichen Inhalt des Aktenvermerks auseinandersetzt hat (BS 7), zweifellos dessen Annahme anhaltender Fremdgefährlichkeit. Im Übrigen ist der Wortlaut des Aktenvermerks in der Wiedergabe der Einschätzung des behandelnden Arztes nicht restlos klar (vgl Punkt 5 auf S 161), sodass es auch an der Erheblichkeit des behaupteten Widerspruchs im Hinblick auf dessen Bedeutung für die Beweiswürdigung insgesamt unter dem Aspekt des relevierten Begründungsmangels fehlt. Die in weiterer Folge eindeutig formulierte Substituierbarkeit der vorläufigen Anhaltung (Punkt 3 auf S 163) stellt hinwieder das vom Behandlungsleiter antizipierte Ergebnis der empfohlenen, ergänzenden Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen dar.

Zutreffend weist der Beschwerdeführer jedoch darauf hin, dass sich aus dem genannten Beweisantrag eine Verpflichtung der Untersuchungsrichterin ergab, die Voraussetzungen der vorläufigen Anhaltung auf Basis einer breiteren Entscheidungsgrundlage erneut zu überprüfen und solcherart dem Beschleunigungsgebot (§§ 9 Abs 2 und 177 Abs 1 StPO) zu entsprechen.

Auch wenn dem Aktenvermerk per se die Eignung fehlt, eine Entlassung nahe zu legen, so lässt die folgende Unterlassung der neuerlichen Befassung des gerichtlichen Sachverständigen oder zumindest einer kurzfristigen Kontaktaufnahme der Untersuchungsrichterin mit dem behandelnden Arzt der Landesnervenklinik Sigmund Freud zur Verifizierung des plausiblen Hinweises auf eine Substituierbarkeit der vorläufigen Anhaltung nicht erkennen, dass die verantwortlichen Organe alles unternommen haben, um auf eine möglichst kurze Dauer der freiheitsbeschränkenden Maßnahme hinzuwirken. Fallbezogen ist dies umso augenscheinlicher, weil die im Beweisantrag dargelegte Einschätzung des im Rahmen der Anhaltung behandelnden Arztes insofern seine Bestätigung im Ergänzungsgutachten vom 12. November 2007 findet, als dort die Möglichkeit einer Substituierung der vorläufigen Anhaltung infolge Verbesserung des bei Franz H***** dynamischen Krankheitszustandes für einen späteren Zeitpunkt bereits angedeutet wurde (S 121).

Ein Grund, warum die beantragte Beweisaufnahme unterblieb, ist nicht aktenkundig, zumal allein der Hinweis auf das Einlangen des Antrags auf Unterbringung bei Gericht am 19. Dezember 2007 die überprüfte Aufrechterhaltung der freiheitsbeschränkenden Maßnahme nicht rechtfertigt (BS 2).

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine grundrechtswidrige Verletzung des Beschleunigungsgebots aufgrund einer ins Gewicht fallenden Säumigkeit in Haftsachen auch ohne Verletzung der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO vorliegen (RIS-Justiz RS0120790; Reiter, Neuere Entwicklungen in der Judikatur zur Grundrechtsbeschwerde, ÖJZ 2007, 395), wobei die bei der vorläufigen Anhaltung in diesem Zusammenhang allein maßgebliche Bedeutung der Sache (13 Os 79/07b) fallbezogen die Untätigkeit der Untersuchungsrichterin noch gravierender erscheinen lässt. Im Hinblick darauf, dass das Oberlandesgericht als Kontrollinstanz diesem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die Untersuchungsrichterin nicht entgegen gewirkt, diese Vorgangsweise vielmehr ausdrücklich gebilligt hat, wurde Franz H***** - wie in der Stellungnahme der Generalprokuratur dargelegt - im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Angesichts zwischenzeitiger Entlassung des Franz H***** aus der vorläufigen Anhaltung war die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht erforderlich.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

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