OGH 15Os15/10k

OGH15Os15/10k3.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. März 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Keibel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter B***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 066 Hv 4/10f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Jänner 2010, AZ 19 Bs 504/09w, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung Recht erkannt:

 

Spruch:

Peter B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien legt Peter B***** mit rechtswirksamer Anklageschrift vom 15. Jänner 2010 (ON 31) das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a (ergänze: Abs 1 fünfter Fall), Abs 4 Z 3 SMG sowie des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 (ergänze: Abs 1 erster und zweiter Fall) Abs 2 SMG zur Last.

Über Peter B***** wurde mit Beschluss vom 5. September 2009 die Untersuchungshaft verhängt (ON 8) und diese letztlich mit Beschluss vom 7. Dezember 2009 (ON 23) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt.

Gegen diesen letzten Beschluss richtete sich die am 9. Dezember 2009 beim Landesgericht eingebrachte Haftbeschwerde des Angeklagten (ON 25), die nach Herstellung von Aktenkopien am 15. Dezember 2009 beim Oberlandesgericht Wien einlangte. Nach Einholung einer Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft (vom 21. Dezember 2009; § 89 Abs 1 StPO) sandte das Oberlandesgericht den Akt mit Note vom 22. Dezember 2009 zur Aufklärung binnen fünf Tagen zurück (§ 89 Abs 5 StPO). Insbesondere verlangte es darin die dringende Betreibung der noch ausstehenden - zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts notwendigen - chemischen Untersuchung des beim Angeklagten sichergestellten Suchtgifts.

Urgenzen dieser chemischen Analyse durch das Bundeskriminalamt erfolgten (bereits) am 1. Dezember 2009 durch den Staatsanwalt, am 28. Dezember 2009 durch die Haft- und Rechtschutzrichterin sowie am 8. und am 12. Jänner 2010 durch das Oberlandesgericht Wien. Schließlich langte der Untersuchungsbericht am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft Wien ein, von wo er sogleich im Telefaxweg an das Oberlandesgericht Wien weitergeleitet wurde. Mit Note vom 13. Jänner 2010 wurde der Bericht dem Verteidiger mit dem Bemerken zur Kenntnis gebracht, dass der Beschwerdesenat beabsichtige, die Verdachtslage auch in Richtung § 28 Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG zu prüfen, und ihm Gelegenheit zu einer allfälligen Äußerung eingeräumt.

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. Jänner 2010 (ON 36) wurde der Beschwerde nicht Folge gegeben und die Untersuchungshaft aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO fortgesetzt. Unter einem stellte das Oberlandesgericht im Spruch fest, dass „durch die zu lange Frist bis zum Vorliegen des Untersuchungsberichts über den Reinheitsgehalt des Suchtgifts das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt wurde". Der Staatsanwaltschaft wurde der Auftrag erteilt, unverzüglich die Anklageschrift einzubringen.

Diese Entscheidung wurde dem Verteidiger am 26. Jänner 2010 zugestellt. Mittlerweile war am 22. Jänner 2010 beim Landesgericht die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft eingebracht worden, die zufolge Verzichts auf den Anklageeinspruch seit 29. Jänner 2010 ihm gegenüber rechtswirksam ist.

In seiner Grundrechtsbeschwerde bringt der Angeklagte nun vor, das Oberlandesgericht Wien habe über seine Haftbeschwerde erst nach sechs Wochen entschieden, wodurch das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen und somit das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Haft im engeren Sinn, sondern nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung auch, ob die Gerichte alles ihnen mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 177 Abs 1 StPO). Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung des § 177 Abs 1 StPO (RIS-Justiz RS0120790; Kirchbacher/Rami, § 177 Rz 4).

Vorweg ist festzuhalten, dass das Oberlandesgericht Wien eine Verfahrensverzögerung nicht - wie die Beschwerde behauptet - bloß angemerkt, sondern eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die zu lange Frist bis zum Vorliegen des Untersuchungsberichts explizit festgestellt und mit einem konkreten Auftrag an die Staatsanwaltschaft verbunden hat. Aktenfremd ist auch das weitere Vorbringen, das Oberlandesgericht habe „dazu ausgeführt, dass aufgrund eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot ohnehin nie enthaftet werden könnte" (s hingegen S 7 der Beschwerdeentscheidung, wonach eine Enthaftung auf diese Verletzung des § 9 Abs 2 StPO allein nicht gestützt werden könne; vgl auch Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 176 Rz 15, § 177 Rz 5).

Was nun die von der Beschwerde behauptete Verfahrensverzögerung durch das Oberlandesgericht Wien betrifft, ist im Hinblick auf die dargestellten, vielfältigen und auf eine Beschleunigung hinzielenden Verfahrensschritte (Aufklärungsersuchen, Urgenzen sowie die prozessual vorgesehenen Möglichkeiten zur Äußerung von Oberstaatsanwaltschaft und Verteidigung) eine Säumnis oder gar Inaktivität des Oberlandesgerichts nicht zu ersehen. Darin liegt auch der Unterschied zu der von der Beschwerde zitierten Entscheidung 15 Os 82/93, EvBl 1993/141, nach deren Sachverhalt das angerufene Oberlandesgericht wochenlang vollkommen untätig blieb.

Die tatsächlich gegebene Verfahrensverzögerung durch die verspätete Übermittlung des kriminalpolizeilichen Untersuchungsberichts erst am 12. Jänner 2010 wiederum wurde ohnehin als das Beschleunigungsgebot verletzend festgestellt und damit dem Standpunkt des Beschwerdeführers, der insoweit somit nicht beschwert ist, Rechnung getragen. Wo darüber hinaus eine ins Gewicht fallende Säumnis des Oberlandesgerichts vorliegen sollte, vermag die Beschwerde nicht anzugeben.

Somit wurde der Angeklagte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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