OGH 14Os95/13x

OGH14Os95/13x3.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Joseph U***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 28 Hv 33/13s (vormals 70 Hv 177/12z) des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 14. Mai 2013, AZ 11 Bs 141/13t, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Joseph U***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 20. Dezember 2012, GZ 70 Hv 177/12z-43 (nun 28 Hv 33/13s), wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Joseph U***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er am 13. Juli 2012 in I***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht, Thomas G***** durch die mit entsprechenden Drohgebärden untermauerte, in aggressiver Weise mehrfach wiederholte Äußerung: „Ich mache dich kaputt“ und „Gib mir Geld, sonst mache ich dich kaputt!“, mithin durch gefährliche Drohung mit dem Tode oder zumindest einer erheblichen Verstümmelung, zur Herausgabe von (weiterer) Sozialhilfe in Höhe von 100 Euro zu nötigen versucht, und dadurch das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB begangen.

Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 11. Juni 2013, AZ 14 Os 50/13d, bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückgewiesen (§ 285d StPO), über seine Berufung hat das damit zuständige Oberlandesgericht (§ 285i StPO) noch nicht entschieden.

Mit (noch nicht einjournalisiertem) Beschluss vom 29. April 2013 wies die Vorsitzende des Schöffengerichts den Enthaftungsantrag des Betroffenen ab und setzte die am 24. Juli 2012 angeordnete (ON 10) und mit Beschlüssen vom 6. August und 6. September 2012 fortgesetzte (ON 22 und 28) vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO „aufgrund bestehender Selbst- und Fremdgefährlichkeit sowie ärztlicher Behandlungs-bedürftigkeit aus dem Anhaltegrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO“ erneut fort.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 14. Mai 2013 mit der Maßgabe nicht Folge, „dass die Anhaltegründe der Selbstgefährlichkeit und der Erforderlichkeit der ärztlichen Beobachtung nach § 429 Abs 4 zweiter und vierter Fall StPO zu entfallen haben“ und setzte die vorläufige Anhaltung seinerseits gemäß § 429 Abs 4 erster und dritter Fall StPO aus den Anhaltegründen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO und der Fremdgefährlichkeit fort.

Dagegen wendet sich die Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen, die unterlassene Einholung eines „Obergutachtens“ trotz widersprüchlicher Expertisen hinsichtlich der Substituierbarkeit der vorläufigen Anhaltung kritisiert und eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen behauptet.

Sie ist nicht im Recht.

Bei der Prüfung der Frage, ob der Haft-(hier: Anhalte-)Zweck durch gelindere Mittel erreicht werden kann, hat der Oberste Gerichtshof auf deutlich und bestimmt zu bezeichnende, in der angefochtenen Entscheidung übergangene, indes zu diesem Zeitpunkt bereits aktenmäßig belegte Tatumstände Rücksicht zu nehmen, ohne dass jedoch mangelnde Erörterung solcher Umstände für sich allein bereits eine Grundrechtsverletzung darstellen würde (Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 419; vgl auch 15 Os 129/12b, EvBl 2013/35 [Praxishinweis]).

Das Oberlandesgericht hat die Feststellungen zur Fremdgefährlichkeit des Betroffenen und zur mangelnden Substituierbarkeit der Anhaltung durch gelindere Mittel logisch und empirisch einwandfrei (solcherart keineswegs willkürlich) auf das - insoweit mit der fachärztlichen Beurteilung der behandelnden Ärztin Dr. M***** übereinstimmende - schriftliche, in der Hauptverhandlung am 20. Dezember 2012 mündlich erörterte und aufgrund des Enthaftungsantrags am 27. April 2013 ergänzte Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. K***** gestützt und dabei - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - sehr wohl berücksichtigt, dass die entsprechende Einschätzung der Expertin auch darauf basiert, dass derzeit kein Wohngemeinschaftsplatz für den Betroffenen „organisiert wurde“ (BS 11).

Inwiefern vor diesem Hintergrund die - nur unter dem Aspekt einer Verletzung des Beschleunigungsgebots relevante (vgl 14 Os 13/08f; eine analoge Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO kommt im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht, womit infolge deren Subsidiarität zur Verfahrensrüge aus Z 4 auch eine Aufklärungsrüge analog der Z 5a ausscheidet; vgl RIS-Justiz RS0122321; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 26; RIS-Justiz RS0115823) - Notwendigkeit der Einholung eines „Obergutachtens“ (vgl dazu § 127 Abs 3 StPO) bestanden hätte, erklärt die Beschwerde mit dem Hinweis auf eine einzelne Passage aus der - zudem nicht zur Sachverständigen bestellten - Äußerung der behandelnden Ärztin (die schon die Substituierbarkeit der Anhaltung durch Aufnahme des Betroffenen in einer betreuten Wohngemeinschaft verneinte) nicht.

Die ohne konkreten Vorwurf aufgestellte Behauptung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots, weil die „beteiligten Behörden“ „betreffend die Substitution der Anhaltung in eine betreute WG mit medizinischen Auflagen“ seit dem Urteil erster Instanz „schlicht nichts mehr unternommen“ hätten „außer auf die Rechts-mittelentscheidung zu warten“, lässt die erforderliche Darlegung vermissen, welche konkreten, dem Gericht zuzurechnenden und ins Gewicht fallenden, somit grundrechtswidrigen Säumigkeiten nach Ansicht des Beschwerdeführers vorliegen sollen, und wird solcherart den prozessualen Erfordernissen nicht gerecht (§ 3 Abs 1 erster Satz GRBG; vgl 11 Os 84/06x, 15 Os 55/07p, 14 Os 59/09x, 14 Os 49/12f). Soweit mit diesem Vorbringen die in der Beschwerde gegen den Fortsetzungsbeschluss thematisierte Unterlassung der „Schaffung eines externen WG-Platzes“ durch Staatsanwaltschaft, Gericht und psychiatrische Anstalt kritisiert werden soll, wird im Übrigen nicht dargelegt, woraus sich eine Befugnis oder Verpflichtung der am Strafverfahren beteiligten Behörden (§ 177 Abs 1 StPO) ergeben soll, für eine externe (also außerhalb der Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher [§ 429 Abs 5 zweiter Satz StPO iVm § 158 StVG] gelegene) und geeignete Wohnmöglichkeit des Betroffenen als Voraussetzung für die Anwendbarkeit gelinderer Mittel zu sorgen.

Joseph U***** wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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