European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00030.16W.0322.000
Spruch:
Ali K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Im Ermittlungsverfahren Zl 25 St 1/16v der Staatsanwaltschaft St. Pölten wurde über den Beschuldigten Ali K***** mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 25. Jänner 2016 aus den Haftgründen der Verdunkelungs‑ und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 2, Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 13) und ‑ nach einem Enthaftungsantrag (ON 23) ‑ mit Beschluss vom 8. Februar 2016 aus denselben Haftgründen fortgesetzt (ON 26).
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Beschuldigten (ON 27) gegen den letztgenannten Beschluss nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft (nur mehr) aus dem Haftgrund des § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit b StPO an (ON 31).
Dabei erachtete es Ali K***** als dringend verdächtig, in St. Pölten und andernorts vorschriftswidrig anderen Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen und zu überlassen versucht zu haben, indem er zwischen November 2015 und Jänner 2016 in mehreren Angriffen insgesamt 20 Gramm Kokain an Patrick R***** verkaufte und gemeinsam mit diesem in drei Angriffen zwischen 17. Dezember 2015 und 22. Jänner 2016 einer verdeckten Ermittlerin 4 Gramm Kokain verkaufte und 100 Gramm Kokain zu verkaufen suchte. In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, § 15 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten (ON 33), die sich gegen die Annahmen des dringenden Tatverdachts und der mangelnden Substituierbarkeit der Haft wendet.
Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die Begründung des dringenden Tatverdachts in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0110146).
Somit können ‑ unter Beachtung sämtlicher Erwägungen des Beschwerdegerichts (RIS‑Justiz RS0119370) ‑ formale Mängel der Begründung der Konstatierungen entscheidender Tatsachen releviert (Z 5) werden oder es kann nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in Z 5a genannten Erheblichkeitsschwelle der Versuch unternommen werden, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu wecken.
Das Oberlandesgericht stützte den dringenden Tatverdacht im Wesentlichen auf die Ermittlungsergebnisse der Landespolizeidirektion Niederösterreich, die Sicherstellungen und auf die Angaben des Mitbeschuldigten R***** sowohl zu den eigenen Suchtgiftankäufen als auch zum gemeinsamen Vorgehen in Ansehung der (teils versuchten) Verkaufshandlungen an die verdeckte Ermittlerin sowie auf deren Bericht (BS 3 ff).
Während das Erstgericht von einem Reinheitsgehalt von ca 33 % Kokain ausging (ON 26 S 1), gab das Beschwerdegericht einem (nur) gegen diesen Reinheitsgehalt gerichteten Einwand in der Haftbeschwerde (ON 27 S 2) insofern Recht, als es aussprach, es sei „nach derzeitigem Ermittlungsstand“ nicht von diesem höheren, sondern von dem notorischen Reinheitsgehalt von 20 % bei Kokain auszugehen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0119257 [T8]). Unter dieser Prämisse ergäbe sich aber ebenso das Überschreiten der verordneten Grenzmenge von 15 Gramm Cocain und damit ein dringender Tatverdacht in Bezug auf das Verbrechen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (BS 6 f).
Der Vorwurf, das Oberlandesgericht habe gegen das
Überraschungsverbot verstoßen, weil es dem Beschuldigten keine Gelegenheit geboten habe, zu dieser gerichtsnotorischen Tatsache Stellung zu beziehen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 463; RIS‑Justiz RS0119094), schlägt schon deshalb fehl, weil der Beschwerdeführer ein darauf gegründetes Unterschreiten der Grenzmenge weder in der Haftbeschwerde (ON 27 S 2) noch in der Grundrechtsbeschwerde behauptet; die Frage, ob der Reinheitsgehalt 33 % oder 20 % betrug, betrifft damit keine entscheidende Tatsache (Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 398 f), weil die Erfüllung des Tatbestands nach § 28a Abs 1 SMG von dieser Frage im Gegenstand gar nicht berührt wird (vgl RIS‑Justiz RS0120681).
Aus der ins Treffen geführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 15 Os 113/07t ist für den Beschuldigten nichts zu gewinnen, weil bei dieser ‑ anders als hier ‑ die Frage des Reinheitsgehalts gerade die Subsumtion und somit eine entscheidende Tatsache betraf.
Entgegen der weiteren Argumentation der Grundrechtsbeschwerde durfte das Oberlandesgericht bei Beurteilung des Additionsvorsatzes eine „lebensnahe Betrachtung“ einfließen lassen (BS 6). Dem Vorwurf zuwider liegt fallbezogen schon deshalb keine Scheinbegründung im Sinne einer bloßen Behauptung vor, weil die kritisierte Passage bloß die Ableitung des dringenden Tatverdachts zur subjektiven Tatseite aus den Erhebungsergebnissen einleitet (BS 7).
Eine Grundrechtsbeschwerde muss bei der Frage nach der Anwendung gelinderer Mittel einen Beurteilungsfehler des Beschwerdegerichts aufzeigen (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]).
Vor allem wegen des verwendeten Literaturzitats (Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 50) ist die geübte Kritik unverständlich, weil die Ausführungen einer Psychologin zur Suchtmittelergebenheit des Beschuldigten (ON 23 Blg ./2) sehr wohl berücksichtigt wurden (BS 10), diese aber ‑ aus (dort) ausführlich dargelegten Gründen ‑ an der Einschätzung der Beschwerderichter, die Haftzwecke könnten nicht substituiert werden (vgl § 173 Abs 4 StPO), nichts zu ändern vermochten. Dass eine gesundheitsbezogene Maßnahme als gelinderes Mittel willkürlich verwehrt würde (anders gelagert 12 Os 87/15h), kann der Beschwerdeführer nicht aufzeigen.
Er stellt bloß eigenständige Erwägungen an, ohne vom Rechtsmittelgericht ‑ das aus dem Leugnen des Drogenkonsums durch den Beschuldigten und der fehlenden Verabreichung von Substitutionsmitteln (mag auch deren Notwendigkeit bestritten werden) durch die Justizanstalt St. Pölten an diesen auf eine mangelnde Gewöhnung an Suchtmittel geschlossen hat (ON 31 S 10) ‑ übergangene Umstände zu bezeichnen (vgl RIS‑Justiz RS0120790 [T26, T27]).
Die Beschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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