European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00121.23B.1220.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
* S* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 26. Oktober 2023 (ON 57) verhängte das Landesgericht Innsbruck über * S* die Untersuchungshaft und setzte diese am 8. November 2023 (ON 72) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO fort. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Genannten (ON 75) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem nämlichen Haftgrund fort.
[2] In der Sache erachtete das Beschwerdegericht * S* dringend verdächtig, er habe am 29. August 2023 in G* im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit sowie unter sonstiger Beteiligung (§ 12 dritter Fall StGB) jeweils einer weiteren Person mit Gewalt gegen die 82-jährige * A* dieser fremde bewegliche Sachen, nämlich 300 Euro Bargeld, ein Mobiltelefon und eine Luftdruck-Pistole, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen oder abgenötigt, indem sie die Genannte, nachdem diese ihnen die Eingangstür ihres Wohnhauses geöffnet hatte, ins Haus stießen und drängten sowie mit den Worten „Überfall“, „Geld“ und „Schmuck“ die Herausgabe werthaltiger Gegenstände forderten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten * S*, die sich gegen die Annahme des bezeichneten Haftgrundes wendet sowie Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft und deren Substituierbarkeit durch die Anwendung gelinderer Mittel behauptet.
[4] Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sie sich angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).
[5] Dem Vorwurf der „Scheinbegründung“ zuwider folgerte das Beschwerdegericht die angesprochene Gefahr – willkürfrei – aus der „hohe[n] kriminelle[n] Energie“ sowie der „deutlich herabgesetzte[n] Hemmschwelle“ des Beschwerdeführers „zur Begehung schwerer strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen unter Einsatz von Gewalt, um eigenen finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können“. Diese Tatsachenannahmen wiederum leitete es auf der Basis der Aktenlage aus den näheren Umständen der – nach reiflicher Planung und Vorbereitung arbeitsteilig begangenen – angesonnenen Tat (in Gestalt einer „Home-Invasion“) im Zusammenhalt mit den ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers und dessen (von ihm selbst beschriebener) Tatmotivation ab (BS 6 f). Überdies ging es davon aus, dass – durch bloßen Zeitablauf während der Inhaftierung (vgl RIS-Justiz RS0114303) und mit Blick auf die „nach wie vor angespannte finanzielle Situation“ des Beschwerdeführers sowie „den sich durch die nunmehrige Geburt des[sen] Sohnes sogar noch ergebenden finanziellen Mehraufwand“ – keine (für die Prognoseentscheidung maßgebende) Änderung jener Verhältnisse eingetreten sei, unter denen die dem Beschwerdeführer angelastete Tat begangen worden sei (BS 7).
[6] Soweit die Beschwerde mangelnde Begründetheit nicht der rechtlichen Annahme der in § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO genannten Gefahr, sondern der dieser zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen einwendet, verlässt sie den Anfechtungsrahmen (erneut RIS-Justiz RS0117806 [insbesondere T17], jüngst 13 Os 31/23t).
[7] Auch der Vorwurf, einzelne Umstände, die aus Beschwerdesicht gegen das Vorliegen des herangezogenen Haftgrundes sprächen, seien unberücksichtigt geblieben, stellt die Prognoseentscheidung nicht prozessförmig in Frage (RIS‑Justiz RS0117806 [T1, T11] und Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49 mwN).
[8] Anhand eigenständig entwickelter Überlegungen (teils zudem in Bezug auf Umstände, die erst nach dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung entstanden sein sollen) reklamiert die Beschwerde eine – aus ihrer Sicht gar wohl eingetretene – „Änderung der Verhältnisse“, die zum Entfall des Haftgrundes geführt hätte.
[9] Indem sie solcherart einzelne der in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen beweiswürdigend bestreitet, behauptet sie – abermals – keine Willkür der Prognoseentscheidung.
[10] Was die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft anlangt, prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in zwei Schritten, ob angesichts der qualifizierten Verdachtslage (§§ 173 Abs 1 erster Satz, 174 Abs 1 erster und vierter Satz, Abs 3 Z 2 und 4, 177 Abs 2 StPO) der vom Oberlandesgericht gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) und – zusätzlich nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung – ob die Gerichte alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 177 Abs 1 StPO, RIS-Justiz RS0120790).
[11] In diese Prüfung hat der Oberste Gerichtshof aber von vornherein nur dann einzutreten, wenn – nach Ausschöpfung des Instanzenzugs – entsprechende Verstöße durch das Gericht (§ 1 Abs 1 GRBG) in der Beschwerde konkret behauptet werden (§ 3 Abs 1 erster Satz GRBG, vgl dazu Kier in WK2 GRBG § 3 Rz 16 mwN und RIS-Justiz RS0120790 [T1]), was hier nicht der Fall ist.
[12] Mit bloßem Bestreiten der Einschätzung des Oberlandesgerichts, die Untersuchungshaft sei durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) nicht substituierbar (BS 7), sowie der Bekundung seiner Bereitschaft, „jedes gelindere Mittel zu akzeptieren, geforderte Gelöbnisse abzulegen und Weisungen zu befolgen“, zeigt der Beschwerdeführer keinen konkreten Beurteilungsfehler auf (siehe aber RIS-Justiz RS0116422 [T1]).
[13] Die Grundrechtsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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