Spruch:
Ali M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 5. Juli 2012 (ON 109) gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Ali M***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 22. Mai 2012 (ON 97 S 27), mit dem die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt worden war, nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem vom Erstgericht genannten Haftgrund an.
Das Beschwerdegericht bejahte den dringenden Tatverdacht, Ali M***** habe in Graz Personen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlung genötigt, und zwar:
1) in der Nacht zum 6. Februar 2011 Melina H*****, indem er an ihr nach Verabreichung nicht näher bekannter Chemikalien, die ihre Willensbildung völlig ausschalteten, einen vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog;
2) in der Nacht zum 30. April 2011 Anna G*****, indem er ihr nicht näher bekannte Chemikalien verabreichte, die ihre Fähigkeit zum physischen Widerstand herabsetzten, sie zur Überwindung der verbliebenen „Wehrkraft“ mit seinem Körper niederdrückte, ihre zum Schutz vor einer Penetration vor die Scheide gehaltene Hände wegführte und mit seinem Penis zunächst in ihre Vagina und anschließend in ihren Anus eindrang.
Diese für sehr wahrscheinlich gehaltenen Taten subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Die Grundrechtsbeschwerde des Ali M***** verfehlt ihr Ziel.
Der (aus Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene) Einwand, die Subsumtion des genannten Verhaltens des Angeklagten unter § 205 Abs 1 StGB durch das im ersten Rechtsgang ergangenen - vom Obersten Gerichtshof in den Schuldsprüchen zur Gänze kassierten (GZ 11 Os 37/12v-4) - Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 3. November 2011, GZ 14 Hv 133/11h-64, entfalte zufolge § 17 StPO und „Art 7 des 4. Zusatzprotokolls“ (gemeint: Art 4 des 7. ZP) der MRK eine - die Tatbeurteilung nach § 201 Abs 1 StGB im nachfolgenden Verfahren verhindernde - ne-bis-in-idem-Wirkung, verkennt grundsätzlich, dass die „Sperrwirkung“ des Art 4 7. ZP MRK ein für durch rechtskräftiges Urteil oder Freispruch endgültig abgeschlossenes strafrechtliches Verfahren erfordert (Grabenwarter/Pabel EMRK5 § 24 Rz 147).
Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens - vorbehaltlich der in § 173 Abs 3 StPO genannten Tatumstände, welche jedenfalls in Rechnung zu stellen sind - dahin, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806 [T6, T13]). Mit dem Vorwurf, die Beschlussbegründung sei nicht „mit der Systematik des gesamten Strafgesetzbuches und den Umständen des gegenständlichen Falles vereinbar“, „zumal auf fehlende Schuldeinsicht abgestellt“ werde, unterlässt die Beschwerde die gebotene Auseinandersetzung mit der (im Übrigen äußerst sorgfältigen) Argumentation des Oberlandesgerichts zur Gänze (BS 11 f) und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0106464).
Der weiteren Beschwerde zuwider ist auf Basis der Sachverhaltsannahmen, die das Beschwerdegericht der Annahme dringenden Tatverdacht zu Grunde legte (BS 6 bis 11), die Bejahung der Verhältnismäßigkeit der Fortsetzung der Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache (§ 173 Abs 1 StPO) nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0120790; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 6 ff). Trotz der - ohne weitere Begründung erhobenen - „ausdrücklichen Rüge“ durch den Beschwerdeführer sieht sich der Oberste Gerichtshof auch nicht veranlasst, von seiner ständigen Rechtsprechung zu den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl dazu die Übersicht bei Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 15 f) abzugehen.
Die Überschreitung der vierwöchigen Frist des § 270 Abs 1 StPO um drei Wochen und einen Tag (ON 1 S 25) für die Ausfertigung des Urteils im ersten Rechtsgang stellt mit Blick auf die Komplexität des Verfahrens und den Aktenumfang noch keine grundrechtswidrige Säumigkeit des Gerichts dar (vgl RIS-Justiz RS0097928 [T1]; Kier, WK-StPO § 9 Rz 50).
Das Vorbringen zur Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen durch verspätete Anberaumung der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang kann auf sich beruhen. Denn über die behauptete Grundrechtsverletzung hat das Oberlandesgericht bereits mit - unbekämpft gebliebenem - Beschluss vom 12. Juni 2012, AZ 10 Bs 208/12g (ON 92 der HV-Akten) abgesprochen.
Die Beschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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