OGH 14Os59/06t (14Os60/06i, 14Os61/06m)

OGH14Os59/06t (14Os60/06i, 14Os61/06m)13.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juni 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 38 Ur 74/06p des Landesgerichtes Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten Dalma K*****, István R***** und György S***** gegen „die Verhängung der Untersuchungshaft, ihre Verlängerung durch das Landesgericht Innsbruck und" den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 16. Mai 2006, AZ 6 Bs 217/06x (ON 139), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dalma K*****, István R***** und György S***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der mit je 700 Euro, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, festgesetzten Beschwerdekosten an die Beschwerdeführer auferlegt.

Soweit sich die Beschwerden gegen die Verhängung der Untersuchungshaft und ihre Verlängerung durch das Landesgericht Innsbruck richten, werden sie zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 16. Mai 2006, AZ 6 Bs 217/06x (ON 139), wurde die vom Untersuchungsrichter am 8. April 2006 über Dalma K*****, István R***** und György S***** verhängte (ON 46/II) und sodann fortgesetzte (ON 87/III) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO fortgesetzt.

Das Oberlandesgericht führte zur Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts folgendes aus:

„Die in mehreren Erhebungsberichten des Landeskriminalamtes des Landespolizeikommandos für Tirol dargelegten Erhebungsergebnisse (Vernehmungen, Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen etc) begründen den dringenden Verdacht, dass die vier Beschwerdeführer" (zu denen auch Dalma K*****, István R***** und György S***** gehörten) „zumindest ab dem Jahr 2005 im Rahmen eines gut organisierten arbeitsteiligen Vorgehens am Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 StGB und am Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 dritter und vierter Fall und Abs 3 StGB beteiligt waren.

Nach der Verdachtslage organisierten und kontrollierten (auch) die vier Beschwerdeführer zusammen mit weiteren Beschuldigten die Wohnungsprostitution mit ungarischen Prostituierten in I***** im großen Stile bzw. wirkten zumindest unterstützend mit gemeinsamer Zielsetzung mit. Herbert P***** und Christian K***** hätten dabei im Laufe der letzten Jahre eine firmenähnliche Organisationsstruktur mit dem Ziele aufgebaut, durch die illegale Wohnungsprostitution von vorwiegend ungarischen Frauen sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Dabei hätten die Brüder P***** und der Beschuldigte Christian K***** in I***** zumindest 20 Prostitutionswohnungen betrieben. Es besteht weiters der dringende Verdacht, dass den ausländischen Prostituierten nach ihrer Ankunft in I***** bestimmte Wohnungen zugewiesen wurden, ihnen Bedingungen der Ausübung der Prostitution, beispielsweise durch Vorgabe bestimmter Preise und Verhaltensweisen, vorgeschrieben wurden und dass ... mehrere Personen zugleich ausgenützt wurden. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Täter für die von den Prostituierten empfangenen finanziellen Vorteile nicht adäquate Gegenleistungen erbrachten. Die Beschwerdeführer erscheinen nach den Erhebungsergebnissen hinreichend verdächtig, teils als unmittelbare Täter, teils als Beitragstäter, etwa durch Kontrollen, Abkassieren oder sonstiges Mitwirken im Rahmen der Organisation beteiligt gewesen zu sein. Weiters besteht der dringende Verdacht, dass die ungarischen Prostituierten, mögen sie auch bereits in Ungarn der Prostitution nachgegangen sein, im Rahmen der Organisation für die Prostitution in Österreich angeworben wurden. Auch diesbezüglich besteht der dringende Verdacht der Beteiligung der Beschwerdeführer im Sinne einer Alternative des § 12 StGB. Aufgrund der guten Organisation und der mutmaßlich großen Anzahl der ungarischen Prostituierten, die laufend nach I***** gebracht oder vermittelt wurden, ist von hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen, dass die Frauen bereits in ihrem Heimatland zur Ausübung der Prostitution in Österreich verpflichtet wurden. Dabei können das Tatziel der führenden Mitglieder der Organisation erleichternde Tätigkeiten ebenso Beihilfe zur tatbildlichen Anwerbung sein (Fabrizy StGB 9. Aufl § 217 Rz 4). Auch insoweit sind die Beschwerdeführer dringend verdächtig, zumindest in diesem Sinn als Beitragstäter mitgewirkt zu haben."

Rechtliche Beurteilung

Gegen Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft durch den Untersuchungsrichter sind die Grundrechtsbeschwerden - abgesehen von der Nichteinhaltung der in § 4 Abs 1 erster Satz GRBG genannten Frist - nach § 1 Abs 1 GRBG, welcher die Erschöpfung des Instanzenzugs verlangt, nicht zulässig. In Betreff der durch das Oberlandesgericht angeordneten Fortsetzung der Untersuchungshaft aber kommt ihnen Berechtigung zu:

Soweit sie sich in bloßer Wiedergabe des Wortlauts des § 2 Abs 1 GRBG erschöpfen, fehlt ihnen allerdings die von § 3 Abs 1 GRBG verlangte Begründung. Da bereits ein Haftgrund die Fortsetzung der Untersuchungshaft rechtfertigt (RIS-Justiz RS 0061196), bedarf auch die gegen die Annahme von Verdunkelungsgefahr gerichtete Beschwerdeargumentation keiner Erörterung.

Zutreffend weisen die Beschwerdeführer jedoch darauf hin, dass der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichtes, welcher nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen hat (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS 0116421), in Betreff der Sachverhaltsannahmen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise undeutlich geblieben ist.

Nach § 179 Abs 4 Z 4 StPO (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jeder Beschluss eines Oberlandesgerichtes über die Fortsetzung der Untersuchungshaft „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass einerseits mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien, also Tatbeständen; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich als entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (sog Feststellungsebene), andererseits klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sog erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die sog entscheidenden Tatsachen ruhen (sog [Sachverhalts-]Begründungsebene). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO; RIS-Justiz RS0114488, RS0112012, RS0110146; eingehend: Ratz, JBl 2000, 536 f [Pkt 3], ÖJZ 2005, 417, ÖJZ 2005, 705 f, ÖJZ 2006, 319, WK-StPO § 281 Rz 4 f, 419; vgl auch RZ 2003, 194-196 und 200 f). Insoweit unterscheidet sich die formale Begründungspflicht für Haftbeschlüsse übrigens nicht von derjenigen für ein Strafurteil.

Vorliegend hat sich das Oberlandesgericht zur Begründung seiner Sachverhaltsannahmen hinsichtlich der Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts mit einem Verweis auf nicht näher genannte „Erhebungsergebnisse (Vernehmungen, Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen etc)" begnügt und den gesetzlichen Deutlichkeitserfordernissen solcherart nicht entsprochen. Dies erfordert zwar eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht aber die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; vgl ÖJZ 2005, 419).

Sollte, wie die Beschwerden - ohne dass dieser Umstand als Verletzung des Beschleunigungsgebotes beim Oberlandesgericht gerügt worden wäre (ON 98/III und S 387/III; vgl § 1 Abs 1 GRBG, RIS-Justiz RS0114487) - behaupten, die Sicherheitsbehörde über haftrelevante Erhebungsergebnisse verfügen, welche dem Gericht noch nicht übermittelt wurden, werden diese zur Haftverhandlung beizuschaffen sein (vgl § 193 Abs 3 StPO).

Ob ohne dringenden Verdacht des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels die Haft zur Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stünde (§ 180 Abs 2 zweiter Satz StPO), bedarf vor der solcherart erfolgenden Klarstellung der Haftvoraussetzung des dringenden Verdachts der Begehung einer oder mehrerer strafbarer Handlungen nach § 217 Abs 1 StGB keiner Erörterung.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

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