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Häufige Kritikpunkte an Urteilen und staatsanwaltlichen Rechtsmitteln aus der Sicht eines OGH-Richters1)1)Vortrag, gehalten am 26. Mai 2003 bei den Vorarlberger Tagen 2003 in Schruns. Auf eine Auseinandersetzung mit Lehrmeinungen wurde verzichtet. Zu diesem Zweck und zur Vertiefung dienen die Verweise in den Fußnoten, insb jene zu meiner Kommentierung des Rechtsmittelverfahrens im WK-StPO.

WissenschaftEckart Ratz*)*)HR d OGH, Hon.-Prof. Dr. Eckart RatzRZ 2003, 194 Heft 9 v. 1.9.2003

1. Einleitung

Nicht das Erarbeiten neuer Lösungen für strafrechtsdogmatische Fragen sind mein Thema. Ich möchte vielmehr versuchen, eine Hilfestellung zu bieten, um gleichsam handwerkliche Fehlleistungen zu verhindern, die meinen Kollegen im OGH und mir bei unserer alltäglichen Arbeit stets von neuem auffallen. Wenn ich von Handwerk spreche, bedeutet das keinerlei Abwertung richterlichen oder staatsanwaltlichen Tuns. Im Gegenteil: Just darin, wie sehr jemand in der Lage ist, auftauchende Probleme mit der selbstverständlichen Routine, welche den guten Handwerker auszeichnet, zu erledigen, zeigt sich auch das Beherrschen der Rechtsmaterie. Einer Richterin, einem Staatsanwalt, von denen gesagt wird, sie leisteten "handwerklich" gute Arbeit, wird damit keineswegs unterstellt, zu höherer Juristerei nicht fähig zu sein. Im Gegenteil: Aufgrund ihrer Fähigkeit, rasch das Wesentliche zu erkennen, brauchen sie keinen Rucksack voller Randprobleme mit sich herumzuschleppen und sind frei, sich mit unvermittelt während der Hauptverhandlung auftauchenden Problemen zupackend auseinanderzusetzen, statt gleich zu vertagen oder gar das Verfahren an den Untersuchungsrichter zurückzuleiten, um sich vorläufig Luft zu verschaffen und das Gesicht zu wahren. Sie ergehen sich bei der Behandlung von Beweisanträgen nicht in nebuloser Floskulatur, sondern machen sich selbst und Anderen sofort klar, was davon zu halten ist. Das drückt sich dann aber auch in einer klaren Sprache aus. Verworrene Anträge werden als solche sofort vor aller Öffentlichkeit erkennbar und der Antragsteller zu geordneter Gedankenführung angehalten, womit die Hauptverhandlung an Struktur und Übersichtlichkeit gewinnt. Beim Verfassen des Urteils warten sie nicht zu, sondern nützen die frische Erinnerung an das Vorgefallene. Sie schreiben nichts Unnützes, vergessen aber nie das Entscheidende anzuführen. Weil sie selbst geordnet vorgegangen sind, findet sich in ihren Urteilen fast immer die genaue Fundstelle neben den gerade erwogenen Beweisergebnissen, und zwar schlicht deshalb, weil sie beim Diktat nochmals einen Blick darauf geworfen haben, um nichts zu übergehen. Ihre rechtliche Beurteilung drückt sich in der Auswahl der getroffenen Feststellungen aus. Denn die rechtliche Beurteilung dient ja ganz eigentlich bloß dazu, vorweg das Prozessziel klarzustellen und sich vor Augen zu führen, welche Tatsachenfragen durch ja oder nein beantwortet werden müssen, um die Rechtsfragen vollständig beurteilen zu können.

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