BVwG L506 2189609-1

BVwGL506 2189609-123.5.2023

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L506.2189609.1.00

 

Spruch:

 

 

L506 2189609-1/43E

L506 2189610-1/21E

L506 2189606-1/19E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX geb. XXXX StA Jordanien (BF1), der XXXX , geb. XXXX StA Jordanien (BF2), vertreten durch die Kindesmutter (BF1) und der XXXX geb. XXXX StA Jordanien (BF3), vertreten durch die Kindesmutter (BF1), diese vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX Zlen. XXXX Regionaldirektion Niederösterreich, Ast Wr. Neustadt, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

 

 

A) 1. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I und Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides der BF1 wie folgt zu lauten hat:

„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 26.10.2017 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen.“

 

2. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und dieser Spruchpunkt jeweils ersatzlos behoben.

3. Hinsichtlich Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Frau XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung“ auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

 

Frau XXXX wird gemäß § 55 Abs. 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus“ auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

 

 

Frau XXXX wird gemäß § 55 Abs.2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus“ auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

 

4. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte V. und VI. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und diese Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.

 

 

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

I. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin 1 (nachfolgend: BF1), eine jordanische Staatsangehörige, reiste zusammen mit ihren minderjährigen Töchtern, den Beschwerdeführerinnen 2 und 3 (nachfolgend BF2 bzw. BF3), ebenfalls jordanische Staatsangehörige, legal mit Reisepässen mit dem Flugzeug aus Jordanien aus und mittels Flugroute XXXX am XXXX illegal in Österreich ein, wo sie Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Am Flughafen XXXX gab die BF1 am XXXX als Grund für ihre Asylantragstellung an, dass ihre Eltern gestorben seien und es ihr gesundheitlich nicht gut gehe.

2. Am XXXX erfolgte die Erstbefragung der BF1 im Asylverfahren.

Dort gab die BF1 an, geschieden, moslemischen (sunnitischen) Glaubens und Angehörige der Volksgruppe der Araber zu sein. Sie habe vor zwei Monaten den Ausreiseentschluss gefasst und nach Österreich kommen wollen. Sie sei am XXXX gemeinsam mit ihren minderjährigen Töchtern, den BF2 und 3, direkt mit dem Flugzeug nach XXXX gereist.

Zur Begründung ihres Asylantrages und der Anträge der BF2 und BF3 gab die BF1 an, ihr Mann habe acht Frauen. Als sie mit ihrer Tochter vor zweieinhalb Jahren schwanger gewesen sei, seien auch noch zwei andere Frauen schwanger gewesen. Ihr Mann sei öfter betrunken gewesen und habe mit allen Frauen Sex haben wollen. Er habe sie zum Sex mit anderen Frauen gezwungen. Sie habe das dem Richter gesagt und sei gegen den Willen ihres Mannes geschieden worden. Ihr Mann habe sie auch gezwungen, Alkohol zu trinken und sie geschlagen, sodass sie Unterleibsblutungen gehabt habe. Ihr Schwiegervater habe sie unterstützt, da er nicht mehr mit ansehen können habe, was sein Sohn mit den Frauen mache. Sie habe geheiratet, da sie bei ihren Brüdern gelebt habe und ihre Schwägerinnen sie geschlagen hätten, da sie nicht gewollt hätten, dass sie bei ihnen lebe. Sie habe geheiratet, da sie geglaubt habe, dass alles besser werde. Sie habe das Leben nicht mehr ausgehalten und sei mit ihren Töchtern geflüchtet. Dies seien alle Gründe.

Bei einer Rückkehr in die Heimat werde ihr Mann sie zerstückeln.

 

3. Am 20.12.2017 erfolgte die Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA).

Die BF1 erklärte, erstmals XXXX , insgesamt jedoch drei Mal geheiratet zu haben. Sie habe im Haus ihres ersten Mannes mit seiner Familie gewohnt, doch sei dieser drogensüchtig gewesen und habe sie ständig geschlagen. Sie habe sich von ihrem ersten Mann im Jahr XXXX scheiden lassen und ihren zweiten Mann geheiratet. Mit diesem habe sie ihre Tochter, die BF2. Der zweite Mann habe ebenfalls Drogen konsumiert, sei alkoholabhängig und immer in Haft gewesen. Sie habe sich scheiden lassen und vor vier Jahren (im Jahr XXXX ) ihren dritten Mann geheiratet, da sie sonst niemanden gehabt habe. Ihr Vater sei 1994 gestorben; zwei ihrer Brüder seien auch gestorben, der eine vor drei Monaten, der andere XXXX und ihre Mutter XXXX . Voriges Jahr, im Winter, zwischen Dezember und Jänner XXXX , habe sie sich von ihrem dritten Mann scheiden lassen.

Zu ihren Ausreisegründen befragt, gab die BF1 an, nicht zu wissen, wo sie in Jordanien bleiben solle, da sie dort mit Rassismus konfrontiert werde, weil sie Palästinenserin sei. Es herrsche viel Armut und werde sie schlecht behandelt; dies auch hinsichtlich sozialer und finanzieller Unterstützung aufgrund ihrer Herkunft.

Aufgefordert, konkrete Gründe für die Ausreise zu nennen, erklärte die BF1 ferner, sie sei in Gefahr gewesen und habe ihre Kinder (die BF2 und 3) schützen wollen. Die Väter der Kinder seien sehr gewalttätig und hätten die Töchter haben wollen, um sie an Saudi-Arabien zu verheiraten und für sie Geld zu bekommen.

Auf mehrmalige Nachfrage hin führte die BF1 weiter aus, dass sie von den Vätern verfolgt werde. Jeden Tag habe sie Probleme gehabt und sei ihr Leben eine einzige Tragödie. Sie habe keine Bleibe und wegen ihrer Ex-Männer sei es ihr nicht gut gegangen. Sie habe nach Sicherheit gesucht und gewollt, dass es ihren Mädchen gut gehe. Sie habe nicht noch einmal heiraten wollen, um eine Bleibe zu haben. Die ersten zwei Ex-Männer hätten Angst, dass sie die BF1 wegen des Drogen- und Alkoholkonsums anzeige und hätten ihr beide gedroht, sie zu töten. Sie seien bekannt und vorbestraft. Die Bedrohungen seien jedenfalls während der Ehe erfolgt, ein Datum könne sie jedoch nicht mehr nennen.

Erneut aufgefordert, die Gründe für ihre Ausreise konkret und lebensnah zu schildern, gab die BF1 an, öfter SMS und Anrufe von den Vätern der BF2 und 3 bekommen zu haben. Sie hätten wissen wollen, wo sie sich aufhalte. Sie sei vor ihnen geflüchtet, da sie nicht auf den Tod habe warten wollen.

 

Die BF2 und 3 hätten nach Angaben der BF1 keine eigenen Fluchtgründe, sondern seien wegen der Gründe der BF1 da; die BF1 wolle ihre Töchter beschützen.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurden die Anträge der BF1-3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jordanien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den BF1-3 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1-3 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Jordanien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

 

Das BFA begründete seine abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen der BF1 die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Die BF1 habe keine konkreten Vorfälle oder nachhaltigen Verfolgungsmaßnahmen ins Treffen führen können, sondern habe sich durchwegs auf allgemein gehaltene Angaben beschränkt. Ferner sei der Eindruck entstanden, die BF1 habe bewusst Informationen verschwiegen, um eine ausweglose Situation vorbringen zu können. Insbesondere aufgrund der legalen Ausreise sei überdies davon auszugehen, dass die BF1 mit ihren Töchtern mit dem Einverständnis der Väter ausgereist sei, weshalb eine nachhaltige Verfolgung durch die Ex-Gatten der BF1 nicht festzustellen sei.

 

Spruchpunkt II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zu verneinen sei.

 

Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für die BF1-3 keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

 

5. Gegen diese Bescheide erhoben die BF1-3 durch ihre Vertretung binnen offener Frist vollumfänglich Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

 

Es wurden die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge:

 

-) eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen;

-) falls nicht alle zu Lasten der BF1-3 gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochten Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufgreifen;

-) die angefochtenen Bescheide – allenfalls nach Verfahrensergänzung – beheben und den BF1-3 den Status des Asylberechtigten zuerkennen;

-) in eventu die angefochtenen Bescheide – allenfalls nach Verfahrensergänzung – bezüglich des Spruchpunktes II. beheben und den BF1-3 den Status der subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkennen;

-) in eventu die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen;

-) in eventu die Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG erteilen;

-) in eventu einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen.

 

6. Gegenständliche Beschwerde langte samt den bezug habenden Verwaltungsakten am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde – nach Unzuständigkeitseinrede infolge der Behauptung eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung – der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung am XXXX zugewiesen.

 

7. Am 28.09.2021 langte hg. eine Kopie der UNRWA „Family Registration Card“ der BF1 ein.

 

8. Am 03.12.2021 langte hg. die Bevollmächtigungsanzeige der nunmehrigen Vertretung der BF1-3 ein und wurden zudem eine Scheidungsurkunde der BF1, die Todesurkunden der Eltern der BF1, die Geburtsurkunden der BF2 und BF3 und erneut die UNRWA „Family Registration Card“ der BF1 vorgelegt.

 

9. Am 08.08.2022 wurde der BF1 das aktuelle Länderinformationsblatt Jordanien von Juli 2022 übermittelt und ihr mitgeteilt, dass die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme dazu bis zur mündlichen Verhandlung am XXXX möglich ist.

 

10. Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der die Beschwerdeführerinnen1-2 und das BFA geladen wurden. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde eine schriftliche Stellungnahme zum Länderinformationsblatt Jordanien vorgelegt.

 

11. Am 23.08.2022 langten hg. ein Jahreszeugnis des Schuljahres 2021/2022 betreffend die BF2 sowie eine Schulbesuchsbestätigung betreffend die BF3 ein.

 

12. Am 24.08.2022 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die Österreichische Botschaft Amman um Veranlassung von Erhebungen und Beantwortung übermittelter Fragen betreffend die Versorgungslage in Jordanien hinsichtlich der Situation der Beschwerdeführerinnen.

 

13. Am 13.09.2022 langte hg. die Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Amman betreffend Sozialleistungen in Jordanien ein.

 

14. Mit hg. Schriftsatz vom 12.10.2022 wurde die Anfragebeantwortung den Parteien zum Gehör übermittelt. Am 21.10.2022 wurde seitens der Vertretung der BF eine Stellungnahme abgegeben.

 

15. Am 21.10.2022 erfolgte nach entsprechender Einverständniserklärung der BF1 eine Anfrage an die Staatendokumentation des BFA hinsichtlich ihrer UNRWA-Registrierung.

Am 31.10.2022 langte hg. eine Anfragebeantwortung ein, wonach die BF1 bei UNRAWA registriert ist und für die BF2 und die BF3 eine Registrierung möglich ist und alle BF Leistungen und Unterstützung der UNRWA in Anspruch nehmen können.

Die betreffende Anfragebeantwortung sowie die hg. Feststellungen zur Situation von Frauen, alleinerziehenden Müttern, Sorgerecht, Versorgungslage, Gewaltschutz für Kinder und zur Situation von Palästinensern wurde zur Stellungnahme ausgesandt und langte am 17.11.2022 eine solche hg. ein.

 

16. Mit hg. Schreiben vom 19.04.2023 wurde die BF1 aufgefordert, allfällige Änderungen seit der genannten mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Privat- und Familienlebens und des Gesundheitszustandes für sich und ihre Kinder (BF2 und BF3) bekanntzugeben.

Am 03.05.2023 langte bzgl. der BF1-3 die Mitteilung der Vertretung ein, wonach seit der hg. Verhandlung weder im Privat- und Familienleben noch hinsichtlich deren Gesundheitszustandes eine Änderung eingetreten sei.

 

17. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in die behördlichen Verwaltungsakte der BF1-3 unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben der BF1, der Bescheidinhalte sowie der Inhalte der gegen die Bescheide des BFA erhobenen Beschwerden und durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX Einsicht genommen wurde zudem in die aktuellen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der BF1-3, die dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen, in die vom BVwG in Auftrag gegebenen Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Amman, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA hinsichtlich der Registrierung der BF bei UNRWA, sowie in die seitens der BF1 im Beschwerdeverfahren vorgelegten Beweismittel.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

 

1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

 

Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurden die gegenständlichen Verfahrensakte - nach Unzuständigkeitseinrede infolge Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung (§ 20 AsylG 2005) - der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.

 

1.1.3. Familienverfahren

§ 34 AsylG 2005 lautet:

"(1) Stellt ein Familienangehöriger von1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder3. einem Asylwerbereinen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn1. dieser nicht straffällig geworden ist und(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Gemäß § 2 Absatz 1 Z 22 leg. cit. ist somit ein Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren zwischen der BF1, der BF2 und der BF3 vor. Bei der BF1 handelt es sich um die Mutter der minderjährigen BF2 und der minderjährigen BF3.

 

 

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1.1. Zur Person der Beschwerdeführerinnen 1-3 wird festgestellt:

 

Die Beschwerdeführer 1-3 sind jordanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Araber/Palästinenser und dem moslemischen Glauben zugehörig.

Die Identität der Beschwerdeführerinnen 1-3 steht fest.

 

Die BF1 wurde in XXXX , die BF2 in XXXX und die BF3 in XXXX geboren.

 

Die BF1 hat in Jordanien die Grundschule und ein Gymnasium besucht, hat die Matura jedoch nicht bestanden und in einem nicht näher feststellbaren Zeitraum, zumindest jedoch für mehrere Monate als Security gearbeitet. Sie war in Jordanien drei Mal verheiratet und wurde die letzte Ehe im Februar XXXX geschieden. Die BF2 entstammt der zweiten, die BF3 der dritten Ehe der BF1.

Die BF1 hat das Sorgerecht für die BF2 und die BF3.

Die BF1-3 verfügen in Jordanien über die Geschwister der BF1 (fünf Brüder, eine Schwester), standen vor der Ausreise zu ihren Verwandten in Form von oftmaligen Besuchen in engem Kontakt und besteht von Österreich aus zu zumindest einem Bruder und einer Schwester der BF1 regelmäßig Kontakt. Die BF1 hat ferner noch drei Onkel und zehn Tanten mütterlicherseits in Jordanien und steht sie auch mit diesen in Kontakt.

Die BF1-3 verfügten in Jordanien bis zu ihrer Ausreise durchgehend über eine Wohnmöglichkeit bzw. Unterkunft und wurden unter anderem von den Brüdern und dem (Ex-)Schwiegervater der BF1 sowie von einer Freundin finanziell unterstützt. Ferner bezog die BF1 in der Vergangenheit auch staatliche Unterstützungsleistungen und bekam Lebensmittel von einer wohltätigen Organisation; die BF1 erzielte auch Einkünfte aus ihrer Beschäftigung als Securitymitarbeiterin.

Die BF1-3 sind gesund und befinden sich nicht in ärztlicher Behandlung. Die BF1 ist arbeitsfähig.

 

Die BF1 spricht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau und verfügen auch die BF2-3 über Kenntnisse der arabischen Sprache; die BF1-3 unterhalten sich im Familienverband vorwiegend auf Arabisch.

 

Die Beschwerdeführerin1 ist beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA)) in Jordanien als Flüchtling registriert (vgl. dazu auch Pkt. 23.3.) und war bzw. ist zu Leistungen durch diese Organisation berechtigt.

Für die BF2 und die BF3 als deren Kinder, die infolge des Grundsatzes der Familieneinheit ebenso als Flüchtlinge gelten, ist eine Registrierung möglich, sodass pro futuro alle genannten Personen Unterstützung durch die UNRWA erhalten können.

 

Die BF2 hat in Jordanien zwei Jahre lang die Schule besucht.

 

2.1.2. Bereits im Jahr 2015 hatte die BF1 bei der ungarischen Botschaft in Amman einen Visumsantrag gestellt, welcher abgelehnt wurde. Die Beschwerdeführer 1-3 reisten legal mit ihren Reisepässen mit dem Flugzeug aus Jordanien aus und mittels Flugroute XXXX am XXXX nach Österreich, wo sie am Flughafen XXXX Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte für sich und ihre Kinder in Jordanien Reisepässe und organisierte die Ausreise selbst ohne Beiziehung eines Schleppers. Für die Ausreise der minderjährigen BF2 und BF3 ist die Zustimmung der Kindesväter erforderlich.

 

Seit ihrer Einreise halten sich die Beschwerdeführer im Bundesgebiet auf.

 

Ein konkreter Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates Jordanien durch die Beschwerdeführer konnte nicht festgestellt werden.

 

Die BF1-3 waren vor ihrer Ausreise keinen asylrelevanten Verfolgungshandlungen seitens staatlicher Akteure oder Privatpersonen, insbesondere seitens der Ex-Männer der BF1/Väter der BF2-3, ausgesetzt und haben auch bei einer Rückkehr nach Jordanien keine solchen zu erwarten.

 

Dass den Beschwerdeführerinnen1-3 aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu arabischen/ palästinensischen Volksgruppe und der Scheidung der BF1 die Lebensgrundlage in Jordanien entzogen war, bzw. die Beschwerdeführer in einem intensiven, asylrelevanten Ausmaß diskriminiert waren, kann nicht festgestellt werden und können auch pro futuro keine solchen Feststellungen getroffen werden.

 

Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen Gefahr liefen, in Jordanien einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

 

Ferner kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle der Rückkehr nach Jordanien in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würden oder als Zivilpersonen einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wären.

Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführerinnen in ihrem Herkunftsstaat festgestellt werden.

 

2.1.3. Die BF1-3 haben mit Ausnahme voneinander keine Verwandten oder enge Bezugspersonen in Österreich und sind keine Mitglieder eines Vereins.

Der Volleyballverein der Schule, dem die BF2 angehörte, wurde aufgrund der Coronakrise aufgelöst.

 

Die BF2 besucht aktuell die Neue Mittelschule XXXX und schloss im Schuljahr 2021/2022 die erste Klasse positiv ab;

Die BF2 verfügt aufgrund ihres Schulbesuches über Deutschkenntnisse auf gutem Niveau. Das Unterrichtsfach „Deutsch“ hat die BF2 im Schuljahr 2021/2022 mit „Genügend“ abgeschlossen.

 

Die BF2 verfügt über Freunde aus der Schule, mit denen sie auch oft ihre Freizeit verbringt und gemeinsam einkaufen geht oder Sport macht. Die BF2 übernachtet auch gelegentlich bei ihren Freunden oder diese bei ihr. Dem Freundeskreis der BF2 gehören mehrere Österreicher, zwei Albaner und eine Türkin an.

 

Die BF3 besucht die Volksschule sowie vom XXXX bis XXXX die Nachmittagsschule der Ganztagesschule XXXX . Sie muss die erste Klasse Volksschule wiederholen und ist davon auszugehen, dass sie über Deutschkenntnisse verfügt.

 

Die BF1 geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht seit der Einreise für sich und die BF2-3 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Sie hat in Österreich bisher keine Deutschkurse besucht oder Prüfungen abgelegt und verfügt über bloß rudimentäre Deutschkenntnisse. Sie verfügt über keinen Freundeskreis, ist kein Mitglied in einem Verein und nicht gemeinnützig tätig.

 

Die BF1-3 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten bzw. strafunmündig.

2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:

1. Neueste Ereignisse –Integrierte Kurzinformationen

Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.

 

2. COVID-19

Am 2. März 2020 bestätigte das Gesundheitsministerium den ersten COVID-19-Fall in Jordanien und veränderte damit die politische Landschaft und die Prioritäten. Am 14. März wurden öffentliche Versammlungen verboten, Schulen ausgesetzt und die Grenzen geschlossen. Jordanien führte zu diesem Zeitpunkt eine der härtesten Lockdown-Regelungen weltweit ein (BS 23.2.2022).

Jordanien stellte COVID-19-Patienten kostenlose Behandlungen zur Verfügung und richtete eine Website und eine Hotline ein, um die Bevölkerung für das Virus zu sensibilisieren (UNICEF 8.2020; vgl. MoH 20.7.2022). Zum Schutz besonders vulnerabler Personen vor Kontakt mit dem Corona-Virus, wurden die Besuchsrechte in den staatlichen Unterkünften für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Opfer häuslicher Gewalt und Kinder ohne familiäre Betreuung frühzeitig ausgesetzt (UNICEF 8.2020). Die Auswirkungen der Pandemie und der daraus resultierende wirtschaftliche Stress aufgrund von Verschuldung, Arbeitslosigkeit und der Angst vor Obdachlosigkeit haben zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen und Kinder geführt (CARE 12.2.2022).

Zum Schutz von Arbeitnehmern, erklärte die Regierung deren Entlassung für die Dauer des Notstands für unzulässig (UNICEF 8.2020). Aus UNICEF-Daten geht allerdings auch hervor, dass ein breites Spektrum von Dienstleistungen unterbrochen wurde, darunter Gesundheitsversorgung, WASH (Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene) und Kinderbetreuung. Eine von den Vereinten Nationen im April/Mai 2020 durchgeführte Umfrage ergab, dass 69,3 % der Befragten angaben, dass sie während der Pandemie Schwierigkeiten beim Zugang zur medizinischen Grundversorgung hatten (BS 23.2.2022).

Die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Jordanien stellen eine weitere große Herausforderung im Umgang mit COVID-19 dar. In den syrischen Flüchtlingslagern stehen Überbelegung und fehlende sanitäre und hygienische Einrichtungen einer Eindämmung der Ausbreitung von Krankheiten entgegen. In städtischen Gebieten leben syrische Flüchtlinge in ähnlich beengten Verhältnissen, mit Wohnungen, die aus zwei oder drei Zimmern für Haushalte mit fünf oder mehr Personen bestehen. Ohne Zugang zu Einkommen können viele Flüchtlinge selbst bei einem Lockdown von nur einem Monat keine lebensnotwendigen Dinge mehr kaufen oder die Miete bezahlen (MERIP 4.8.2020). Die jordanische Regierung hat Mittel und Ressourcen zur

Unterstützung der großen Zahl von Flüchtlingen (Palästinenser, Iraker und Syrer) im Königreich bereitgestellt. Die Syrer wurden in das jordanische Gesundheits-und Bildungssystem integriert, eine Tatsache, die trotz der Pandemie und des wirtschaftlichen Abschwungs des Königreichs anhält (BS 23.2.2022).

Im Rahmen des nationalen COVID-19-Impfplans in Jordanien haben alle im Land lebenden Personen, einschließlich Flüchtlingen und Asylbewerbern, Anspruch auf den kostenlosen Impfstoff erhalten (UNHCR 14.1.2021). Laut Informationen des Gesundheitsministeriums haben in Jordanien 4.806.658 Menschen ihre 1. Impfdosis, 4.545.299 die 2. Impfdosis und 668.749 die 3. Impfdosis erhalten (Stand 20.7.2022) (MoH 20.7.2022). Mehr als die Hälfte der in Jordanien lebenden Flüchtlinge ≥18 Jahren sind gegen COVID-19 geimpft. In den Lagern Za'atari und Azraq haben 90 % der erwachsenen Flüchtlinge eine oder mehrere Dosen des Impfstoffs erhalten (UNHCR7.2.2022).

Mit insgesamt 1.705.116 Infektionen und 14.070 Todesfällen (Stand 20.7.2022) (MoH 20.7.2022), hat die COVID-19-Pandemie trotz mehrerer Lockdowns, die sich negativ auf die sozioökonomischen Möglichkeiten auswirkten, schwere Spuren im Königreichhinterlassen (BS 23.2.2022).

 

Quellen:

 

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 20.7.2022

- CARE (12.2.2022): Growing psycho-social and economic pressures on vulnerable Jordanians and refugees in the Kingdom, https://www.care-international.org/news/growing-psycho-social-and-economic-pressures-vulnerable-jordanians-and-refugees-kingdom , Zugriff 20.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 20.7.2022

- MERIP –Middle East Research and Information Project (4.8.2020): Refugees at Risk in Jordan’s Response to COVID-19, https://merip.org/2020/04/refugees-at-risk-in-jordans-response-to-covid-19/ , Zugriff 20.7.2022

- MoH –Ministry of Health [Jordanien] (20.7.2022): Covid-19 Statistical report –Jordan, https://corona.moh.gov.jo/en , Zugriff 20.7.2022

- UNHCR –United Nations High Commissioner for Refugees (7.2.2022): Refugee vaccinations against COVID-19 increase in Jordan, https://www.unhcr.org/jo/17339-refugee-vaccinations-against-covid-19-increase-in-jordan.html , Zugriff 20.7.2022

- UNHCR –United Nations High Commissioner for Refugees (14.1.2021): Refugees receive COVID-19 vaccinations in Jordan, https://www.unhcr.org/news/press/2021/1/5ffffe614/refugees-receive-covid-19-vaccinations-jordan.html , Zugriff 20.7.2022

- UNICEF –United Nations Children's Fund (8.2020): Jordan’s National Social Protection Response During Covid-19, https://www.unicef.org/jordan/media/3921/file/Jordan%27s%20National%20SP%20Response%20During%20COVID-%20UNICEF%20%20JSF.pdf , Zugriff 20.7.2022

 

3. Politische Lage

Jordanien ist eine konstitutionelle Erbmonarchie (AA 3.2.2022a; vgl. AA 3.2.2022b) und als Zentralstaat mit zwölf Gouvernements organisiert (AA 3.2.2022b). Staatsoberhaupt ist König Abdullah II (AA 3.2.2022b; vgl. USDOS 12.4.2022). König Abdullah II regiert das Land seit 1999, als er seinem Vater, König Hussein, der Jordanien 47 Jahre lang regiert hatte, auf den Thron folgte. Die königliche Familie der Hashemiten beruft sich auf die Abstammung vom Propheten Mohammed (CRS 14.4.2022). König Abdullah II gilt als quasi-neutrale Autorität, die die Einheit Jordaniens gewährleistet. Obwohl die königliche Familie weder zu den transjordanischen Stämmen noch zur Mehrheitsgesellschaft gehört, die aus den palästinensischen Gebieten nach Jordaniengeflohen ist, wird sie akzeptiert (Deutschlandfunk Kultur 20.1.2022). Der Islam ist Staatsreligion (FH 28.2.2022). Die Staats-und Amtssprache ist Arabisch (BMEIA 19.7.2022).

Formal sind Exekutive, Legislative und Judikative unabhängig. Faktisch ist die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt, da der König über weitreichende Kompetenzen verfügt (AA 3.2.2022b). Die jordanische Verfassung verleiht dem König weitreichende Exekutivbefugnisse: Er ernennt den Premierminister und kann ihn entlassen. Er hat auch die alleinige Befugnis, den Kronprinzen, hochrangige Militärs, Richter des Verfassungsgerichts und alle 75 Mitglieder des Senats sowie die Minister des Kabinetts zu ernennen. Die Verfassung ermöglicht es dem König, beide Kammern des Parlaments aufzulösen und die Wahlen zum Unterhaus um zwei Jahre zu verschieben. Der König kann das Parlament durch einen Verfassungsmechanismus umgehen, der es dem Kabinett erlaubt, vorläufige Gesetze zu erlassen, wenn das Parlament nicht tagt oder aufgelöst wurde (CRS 14.4.2022). Die jüngsten jordanischen Verfassungsänderungen im Jahr 2022 konzentrieren die Macht des Königs noch stärker in der Exekutive. Die umstrittenste der vom Parlament verabschiedeten umfangreichen Änderungen ist diejenige, die es dem König erlaubt, wichtige Ernennungen per königlichem Dekret vorzunehmen, ohne den Ministerrat zu konsultieren. Der jordanische Monarch kann nun den Obersten Richter, den Vorsitzenden des Scharia-Rates, den Großmufti, den Vorsitzenden des Königlichen Gerichtshofs, den Minister des Gerichtshofs und die Berater des Königs ernennen und entlassen. Obwohl der König in der Praxis immer das letzte Wort bei all diesen Entscheidungen hatte, sehen Oppositionsgruppen diese neuen Änderungen als einen Versuch, verfassungswidrige Verstöße zu legalisieren. Sie befürchten, dass die „parlamentarische Monarchie“, die in der Verfassung von 1952 verankert ist, ausgehebelt wird (Carnegie 1.3.2022).

Das jordanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem vom Volk gewählten Repräsentantenhaus (Majlis al-Nuwwab) und einem vom König ernannten Senat (Majlis al-Ayan) (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Wahlen sind ein Merkmal des jordanischen politischen Systems. Die Mitglieder der Gemeinderäte, der Gouverneursräte sowie des Repräsentantenhauses werden in freien Wahlen bestimmt (BS 23.2.2022). Die Wahlen werden von der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) geleitet, die von internationalen Beobachtern in Bezug auf die technische Durchführung im Allgemeinen positiv bewertet wird, obwohl immer wieder von Unregelmäßigkeiten berichtet wird. Die Mitglieder der IEC werden per königlichem Dekret ernannt (FH 28.2.2022). Die Mitglieder des Repräsentantenhauses werden in 23 Wahlbezirken mit mehreren Mitgliedern gewählt, wobei 15 Sitze für weibliche Spitzenkandidaten reserviert sind, die in den Bezirken keinen Sitz erringen konnten. Zwölf Bezirkssitze sind für religiöse und ethnische Minderheiten reserviert (FH 28.2.2022). Bürger palästinensischer Herkunft machen die Mehrheit der Gesamtbevölkerung aus (FH 28.2.2022), sind aber politisch unterrepräsentiert (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Die Wahlbezirke sind so gestaltet, dass ländliche Gebiete gegenüber städtischen Gebieten bevorzugt werden, wodurch die Vertretung von Gebieten, die stark von Jordaniern palästinensischer Herkunft bewohnt werden, die einen großen Teil der 10,5 Millionen Einwohner des Landes ausmachen, beeinträchtigt wird. Die städtischen Gebiete sind auch Hochburgen der Muslimbruderschaft, die den Großteil ihrer Unterstützung aus der palästinensischen Bevölkerung bezieht (KAS 2.2021). Darüber hinaus begünstigt das Wahlsystem stammesverbundene Unabhängige gegenüber politischen Parteien mit spezifischen Ideologien und Programmen, was auch für die auf Klientelismus basierende politische Kultur gilt (FH 28.2.2022).

Die letzte Wahl, die inmitten der COVID-19-Pandemie am 10. November 2020 stattfand, hatte mit 29,88 % der Wahlberechtigten die niedrigste offizielle Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten. Obwohl es Vorwürfe über unseriöses Verhalten gab, wird der Ablauf des Wahltages insgesamt als Erfolg gewertet. Die Beibehaltung des vorgesehenen Wahlzyklus war zwar ein positives Zeichen für die Demokratie, doch die dahinterstehenden Abläufe unterstrichen das anhaltende Fehlen von politischen Wettbewerb. Die niedrige Wahlbeteiligung ist zum einen auf die Besorgnis der Gesellschaft über das Coronavirus zurückzuführen, aber auch auf das mangelnde Vertrauen in das etablierte Wahlverfahren, ein Parlament hervorzubringen, das im Gegensatz zu persönlichen und familiären Interessen ein breites bürgerliches Spektrum vertritt (BS 23.2.2022).

Parteiunabhängige Abgeordnete, von denen viele Stammesangehörige und Geschäftsleute sind, die als loyal gegenüber der Monarchie gelten, gewannen 133 Sitze. Das politische System -einschließlich der Überrepräsentation ländlicher Wähler -schränkt die Möglichkeiten einer parteibasierten Opposition signifikante Gewinne zu erzielen ein. Die Islamische Aktionsfront (IAF) und ihr Verbündeter, die Islah-Allianz, errangen bei den Wahlen im November 2020 zusammen 8,7 % der Sitze im Repräsentantenhauses (FH 28.2.2022).

In den Wahlen wurde kein Premierminister und keine Regierung gewählt. Stattdessen ernannte der König Bisher al-Khasawneh zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Zusammenstellung eines Kabinetts (BS 23.2.2022). Die verfassungsrechtliche Autorität der Monarchie führt dazu, dass keine Oppositionskraft die Kontrolle über die Exekutive allein mit demokratischen Mitteln gewinnen kann. Der bereits 2016 beobachtete Stimmenkauf wurde bei der Wahl im November 2020 häufiger, was teilweise auf die durch die Pandemie verursachte schlechte wirtschaftliche Lage zurückzuführen ist (FH 28.2.2022).

Frauen haben gleiche politische Rechte, und weibliche Kandidaten haben in der Vergangenheit Sitze außerhalb der gesetzlichen Quoten für das Parlament und die subnationalen Räte gewonnen, aber kulturelle Vorurteile sind in der Praxis weiterhin ein Hindernis für die volle Beteiligung von Frauen. Bei den Wahlen im November 2020 gewann keine Frau einen zusätzlichen Sitz im Parlament, der über die Quote von 15 Sitzen hinausgeht (FH 28.2.2022).

Die jordanische Regierung hat die Bemühungen um eine dauerhafte Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts seit langem als eine ihrer höchsten Prioritäten bezeichnet. Im Jahr 1994 unterzeichneten Jordanien und Israel einen Friedensvertrag. Fast 28 Jahre nach der Unterzeichnung des jordanisch-israelischen Friedensvertrags stellt der anhaltende israelisch-palästinensische Konflikt nach wie vor eine große Herausforderung für Jordanien dar. Die Frage der Rechte der Palästinenser hallt in weiten Teilen der Bevölkerung nach und der Konflikt hat die Bemühungen um eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Jordaniern und Israelis beeinträchtigt (CRS 14.4.2022). Auf internationaler Ebene ist Jordanien nach wie vor eines der wichtigsten Aufnahmeländer für Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien und (in geringerem Maße) dem Jemen. Sowohl in politischer und wirtschaftlicher, als auch in sozialer Hinsicht stellen die Flüchtlinge aus den benachbarten Konfliktländern, die Jordanien aufnimmt, eine große Belastung für die jordanische Bevölkerung dar (BS 23.2.2022).

 

Quellen:

 

- AA –Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.2.2022ba): Jordanien: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/steckbrief/218006 , Zugriff 6.7.2022

- AA –Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.2.2022b): Jordanien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/politisches-portrait/218042 , Zugriff 6.7.2022

- BMEIA –Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.7.2022): Jordanien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/jordanien/ , Zugriff 19.7.2022

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 7.7.2022

- Carnegie –Carnegie Endowment for International Peace (1.3.2022): Constitutional Amendments in Jordan, https://carnegieendowment.org/sada/86538 , Zugriff 8.7.2022

- CRS –CongressionalResearch Service (14.4.2022): Jordan: Background and U.S. Relations, https://sgp.fas.org/crs/mideast/RL33546.pdf , Zugriff 7.7.2022

- Deutschlandfunk Kultur (20.1.2022): Stabilität in Jordanien. Die Jugend zahlt die Zeche, https://www.deutschlandfunkkultur.de/jordanien-102.html , Zugriff 14.7.2022

- FH -Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 6.7.2022

- KAS –Konrad-Adenauer-Stiftung (2.2021): Jordan’s 2020 Parliamentary Election: Settling for the Status Quo, https://www.kas.de/documents/279984/280033/Elections+Article.pdf/4504ba80-43e8-1e18-c5ef-0fd525b30e01?version=1.2&t=1614079882642 , Zugriff 14.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 6.7.2022

 

4. Sicherheitslage

Laut den Sicherheits-und Reiseinformationen des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland besteht insbesondere aufgrund der Lage in Syrien und im Irak landesweit die Gefahr von Terroranschlägen in Jordanien und eine Sicherheitsgefährdung, auch an Orten, die von Ausländern besucht werden. Die jordanischen Behörden haben daher ihre Sicherheitsvorkehrungen an diesen Orten entsprechend erhöht (AA 14.7.2022). An den Grenzen zu Syrien und dem Irak kommt es wiederholt zu Zwischenfällen und vereinzelten Auseinandersetzungen. Das syrisch-jordanische und das irakisch-jordanische Grenzgebiet sind militärisches Sperrgebiet (AA 14.7.2022; vgl. BMEIA 14.7.2022).

Terroristische Anschläge stellen weiterhin eine Bedrohung für die physische Sicherheit dar. Im November 2019 erklärten die jordanischen Behörden, sie hätten Anfang des Jahres einen Anschlag auf US-amerikanische und israelische Ziele im Land vereitelt; zwei Verdächtige, die sich angeblich von der militanten Gruppe Islamischer Staat (IS) inspirieren ließen, standen damals vor Gericht (FH 28.2.2022).

Es kommt sowohl in der Hauptstadt Amman als auch in anderen Städten und Ortschaften des Landes vor allem an den Wochenenden nach dem Freitagsgebet des Öfteren zu Demonstrationen und Protestaktionen, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen artikulieren. In der Folge kann es zu Verkehrsbeeinträchtigungen und auch vereinzelten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen (AA 14.7.2022).

 

Quellen:

 

- AA –Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.7.2022): Jordanien -Reise-und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008#content_1 ,Zugriff 14.7.2020

- BMEIA –Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich](14.7.2022): Jordanien, Reiseinformationen, Gesundheit & Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/jordanien/ , Zugriff 14.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 14.7.2022

 

5. Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, was laut US-amerikanischem Außenministerium im Allgemeinen auch respektiert wird (USDOS 12.4.2022). Laut der NGO Freedom House wird die Unabhängigkeit der Justizallerdings auch eingeschränkt und ordnungsgemäße Verfahren können häufig nicht gewährleistet werden. Nach den Verfassungsänderungen von 2016 ernennt der König einseitig das gesamte Verfassungsgericht und den Vorsitzenden des Justizrates, der die Richter für das Zivilgerichtssystem benennt und sich überwiegend aus hochrangigen Mitgliedern der Justiz zusammensetzt. Die Richter, sowohl des Zivilgerichts als auch des Scharia-Gerichts (islamisches Recht), die sich mit Personenstandsangelegenheiten von Muslimen befassen, werden per königlichem Erlass formell ernannt. Das Justizministerium ist befugt, die Richter zu überwachen, sie zu befördern und ihre Gehälter festzulegen, was die Autonomie der Richterschaft schwächt (FH 28.2.2022).

Per Gesetz sind alle Zivilgerichtsverhandlungen und Verhandlungen zu staatssicherheits-relevanten Fällen öffentlich, es sei denn das Gericht beschließt, dass es für den Schutz der Allgemeinheit notwendig ist, die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Es gilt die Unschuldsvermutung (USDOS 12.4.2022). Die Polizei kann Verdächtige bis zu sechs Monate festhalten, ohne formelle Anklage zu erheben, und die Gouverneure sind befugt, Verwaltungshaft bis zu einem Jahr zu verhängen. In der Praxis ignorieren die Behörden oft die verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen gegen willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und halten Personen ohne Kontakt zur Außenwelt oder über die gesetzlichen Fristen hinaus fest. Angeklagte haben in der Regel vor Prozessbeginn keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, was ihre Möglichkeiten zur Verteidigung beeinträchtigt. Trotz eines verfassungsrechtlichen Verbots akzeptieren Gerichte unter Folter erzwungen Geständnisse (FH 28.2.2022). Angeklagte haben das Recht auf einen Rechtsbeistand, der –im Fall von Anklagen für Verbrechen, die mit der Todesstrafe bzw. lebenslänglicher Haft bestraft werden –bedürftigen Personen auf Staatskosten zur Verfügung gestellt wird (USDOS 12.4.2022). Jedoch haben in der Praxis viele Angeklagte in strafrechtlichen Fällen vor und während des Verfahrens keinen Rechtsbeistand (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Die Behörden missachten das Recht der Angeklagten auf frühzeitige und detaillierte Information über ihre Anklagepunkte, auch wurde ihnen oft keine angemessene Zeit zur Vorbereitung des Gerichtsprozesses zur Verfügung gestellt. Ausländische Einwohner, insbesondere Gastarbeiter, die nicht arabisch sprechen, erhielten zum Teil keine Übersetzungen bzw. keinen Rechtsbeistand. Angeklagte können Einspruch erheben. In Zusammenarbeit mit der jordanischen Anwaltskammer und einer Menschenrechts-NGO richtete das Justizministerium eine Stelle ein, die, wie es das Gesetz vorsieht, Zeugen und Angeklagten Rechtsbeistand leisten soll (USDOS 12.4.2022).

Gegen alle Urteile des Staatssicherheitsgerichts (SSC) wird automatisch Berufung beim höchsten Gericht des Landes, dem zivilen Kassationsgerichtshof, eingelegt, der für die Überprüfung von Sach-und Rechtsfragen zuständig ist (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden hielten weiterhin Verdächtige nach dem Verbrechensverhütungsgesetz von 1954 fest, das Haftstrafen von bis zu einem Jahr ohne Anklage, Gerichtsverfahren oder andere Rechtsmittel zuließ (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Lokalen und Internationalen NGOs zufolge nahmen die Behörden routinemäßig Frauen in „Schutzhaft“ (eine Art informeller Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren), um Fälle von außerehelichem Geschlechtsverkehr über Abwesenheit von zu Hause bis hin zur sexuellen Gewalt zu bearbeiten, die Frauen dem Risiko sogenannter „Ehrenverbrechen“ aussetzen könnten. Seit 2018 werden Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt und „Ehren“-Verbrechen bedroht sind, an Schutzeinrichtungen des Ministeriums für soziale Entwicklung verwiesen. Nach Angaben des Ministeriums für soziale Entwicklung wurden zwischen Oktober 2020 und September 2021 etwa 103 Frauen für unterschiedliche Zeiträume in die Unterkünfte des Ministeriums überwiesen (USDOS 12.4.2022).

Die Zivilgesellschaft in Jordanien hat ihre Wurzeln im Stammessystem, das tief in der Gesellschaft verankert ist und neben dem formellen Rechtssystem funktioniert. Die Stämme in Jordanien spielen eine politische Rolle, bieten ein alternatives Rechtssystem und erbringen Dienstleistungen für die Gemeinschaften. Das formelle Rechtssystem, das die Gesellschaften definiert, beseitigt das Stammeskonzept der Familien nicht (ICNL 15.4.2022). Stammestribunale und Stammesrechtsbräuche (z.B. „Jalwa“, die Verbannung von Großfamilien als kollektive Bestrafung für die verurteilten Verbrechen eines Familienmitglieds) können in die reguläre Gerichtsbarkeit einfließen (BS 23.2.2022).

 

Quellen:

 

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 7.7.2022

- FES –Friedrich-Ebert-Stiftung (10.2020): Jordan, International and Financial Institutions and Social Justice, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/amman/16643.pdf , Zugriff 8.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 6.7.2022

- HRW –Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 7.7.2022

- ICNL –International Center for Not-for-Profit Law (15.4.2022): Civic Freedom Monitor –Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan , Zugriff 8.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.04.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 7.7.2022

 

6. Sicherheitsbehörden

Das Direktorat für öffentliche Sicherheit (PSD, Public Security Directorate) ist für die Strafverfolgung zuständig und untersteht dem Innenministerium (USDOS 12.4.2022). Das PSD und das GID (General Intelligence Department, Anm.: der Geheimdienst, arabisch "Mukhaabaraat") teilen sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Das GID berichtet in der Praxis direkt dem König. Die Streitkräfte unterstehen verwaltungstechnisch dem Verteidigungsminister und haben eine unterstützende Funktion für die innere Sicherheit. Es gibt kein separates Verteidigungsministerium; der Premierminister fungiert auch als Verteidigungsminister. Die zivilen Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab glaubwürdige Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte einige Übergriffe begangen haben (USDOS 12.4.2022).

Der König ernennt eigenmächtig die Leitung der Streitkräfte, des Geheimdienstes und der Gendarmerie (FH 28.2.2022). Polizeibeamte müssen sich vor Polizeigerichten verantworten, wenn sie entweder strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich bestraft werden sollen. Das National Center for Human Rights (NCHR) und mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) forderten wiederholt, dass Polizeibeamte, die grober Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, vor unabhängigen Zivilgerichten und nicht vor Polizeigerichten verurteilt werden sollten. Da diese dem Innenministerium unterstehen und nach Ansicht der NGOs als weniger unabhängig gelten. Die NGOs beklagten sich häufig darüber, dass sie keinen Zugang zu Informationen über die Ergebnisse der Verfahren erhalten haben (USDOS 12.4.2022).

Es gab keine Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch Sicherheitskräfte. Es gab Entwicklungen in Bezug auf Todesfälle in Gewahrsam aus den Vorjahren. Beispielsweise äußerte eine NGO ihre Besorgnis darüber, dass nach dem Tod einer namentlich nicht genannten Person in einem Krankenhaus in Irbid, nicht genügend Informationen öffentlich zugänglich seien, um eine willkürliche oder unrechtmäßige Tötung durch Sicherheitskräfte auszuschließen (USDOS 12.4.2022).

 

Quellen:

 

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 8.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 8.7.2022

 

7. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter, einschließlich psychischer Schäden, durch Amtsträger und sieht Strafen von bis zu drei Jahren Freiheitsentzug für ihre Anwendung vor, bei schweren Verletzungen

 

bis zu 15 Jahre (USDOS 12.4.2022). Während das Gesetz solche Praktiken verbietet, berichten internationale und lokale NGOs weiterhin über Folter und Misshandlungen in Polizei-und Sicherheitsgefängnissen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Laut der NGO Freedom House werden solche Praktiken häufig angewandt (FH 28.2.2022).

Laut Angaben des PSD wurden zwischen Oktober 2020 und September 202181 Beschwerden gegen Beamte wegen angeblicher Schädigung (ein geringerer Vorwurf als Folter, bei dem kein Vorsatz nachgewiesen werden muss) gemeldet; 64 Beschwerden wurden an die Gerichte weitergeleitet. Das Büro für Menschenrechte und Transparenz meldete, dass im selben Zeitraum 12 Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlung in Gefängnissen und Rehabilitationszentren eingegangen seien (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 8.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 8.7.2022

 

8. Korruption

Der Corruption Perception Index von Transparency International liegt im Fall von Jordanien bei 49/100 (0 für sehr korrupt, 100 für nicht korrupt). Jordanien belegt damit im Ranking den 58sten von 180 Plätzen (TI 2022; vgl. TI 25.1.2022). Die geringe Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und dem Parlament begünstigt die Korruption ebenso wie das Hinauszögern der seit Jahren versprochenen demokratischen Reformen (TI 25.1.2022).

Während der COVID-19-Pandemie hat die Regierung Berichten zufolge Sicherheitsmaßnahmen missbraucht, um die Versammlungs-und Redefreiheit zu verletzen. Das Cybersicherheitsgesetz von 2019 war ein entscheidendes Instrument zur Einschränkung dieser Rechte und zur Beschränkung des Zugangs zu Informationen. Die Regierung hat auch auf die Verhaftung und Inhaftierung von Journalisten zurückgegriffen, die die staatliche Reaktion auf die Pandemie kritisiert haben (TI 25.1.2022). Aktivisten und Journalisten fanden es schwierig, Zugang zu staatlichen Berichten und Statistiken zu erhalten. Sie führten den mangelnden Zugang auf die ineffiziente Aktenführung und die Vorenthaltung von Informationen durch die Regierung zurück (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung hat Bemühungen unternommen, um die weitverbreitete Korruption zu bekämpfen. Die Integrity and Anticorruption Commission (JIACC) ist als Antikorruptionsbehörde zuständig für die Untersuchung von Korruptionsvorwürfen. Erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung bleibt allerdings selten, vor allem wenn es sich um hochrangige Beamte handelt (FH 28.2.2022). Die Behörden zeigten in den letzten Jahren eine zunehmende Bereitschaft, Ermittlungen wegen Korruption im öffentlichen Dienst einzuleiten. Gerichte verurteilten im Laufe des Jahres einen ehemaligen Minister für öffentliche Arbeiten und Wohnungsbau, den Generaldirektor der Zollbehörde und mehrere lokale Mandatsträger in getrennten Verfahren. Die Nutzung von familiären, geschäftlichen und anderen persönlichen Verbindungen zur Förderung persönlicher wirtschaftlicher Interessen ist weit verbreitet (USDOS 12.4.2022).

„Wasta“-Netzwerke -oder die Bevorzugung durch persönliche Beziehungen -sind in Jordanien weit verbreitet und führen zu Vetternwirtschaft, die Unternehmen und Sektorendazu veranlasst, Mitarbeiter innerhalb ihrer eigenen Teilgemeinschaften einzustellen. Die Regierung war bislang nicht in der Lage, das Erbe der mit der Elite verbundenen Privilegien und Wasta-Netzwerke zu überwinden und gleichzeitig Sparmaßnahmen zu ergreifen. Da die Korruption in Jordanien immer stärker wahrgenommen wird, fühlen sich große Teile der jordanischen Gesellschaft von der herrschenden Klasse und der von ihr gesteuerten Wirtschaftspolitik entfremdet (FES 10.2020). Auch dem Justizsystem mangelt es an Unabhängigkeit, was dazu führt, dass ein ordnungsgemäßes Verfahren wird häufig nicht gewährleistet werden kann (FH 28.2.2022).

 

Quellen:

 

- FES –Friedrich-Ebert-Stiftung (10.2020): Jordan, International and Financial Institutions and Social Justice, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/amman/16643.pdf , Zugriff 8.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 8.7.2022

- TI –Transparency International (25.1.2022): CPI 2021 for Middle East & North Africa, https://www.transparency.org/en/news/cpi-2021-middle-east-north-africa-systemic-corruption-endangers-democracy-human-rights , Zugriff 8.7.2022

- TI –Transparency International (2022): Jordan –Corruption Perception Index 2021, https://www.transparency.org/en/countries/jordan , Zugriff 8.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 8.7.2022

 

9. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Reihe von nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen sind mit einigen Einschränkungen im Land tätig. Das Gesetz gibt der Regierung die Möglichkeit, die inneren Angelegenheiten der NGOs zu kontrollieren, einschließlich der Annahme ausländischer Gelder (USDOS 12.4.2022). Zwar können viele lokale und internationale NGOsim Land tätig sein, doch gibt es erhebliche Beschränkungen für die Zivilgesellschaft. Das Ministerium für soziale Entwicklung verfügt über weitreichende Aufsichtsbefugnisse über die Tätigkeit der NGOs. Es ist befugt, die Registrierung und die Beantragung ausländischer Mittel zu verweigern und kann Organisationen auflösen, die es für bedenklich hält. Die Vorstandsmitglieder von NGOs müssen von staatlichen Sicherheitsbeamten überprüft werden. In der Praxis werden diese Vorschriften auf undurchsichtige und willkürliche Weise angewandt (FH 28.2.2022).

In Jordanien sind NGOs im Allgemeinen in der Lage, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und öffentlich darüber zu berichten, obwohl Regierungsbeamte nicht immer kooperativ sind. Eine Rechtshilfeorganisation berichtete, dass Anwälte weiterhin schikaniert werden, wenn sie gewisse Fälle verfolgen. Ihnen wurde von der jordanischen Anwaltskammer der Ausschluss aus der Anwaltschaft angedroht (USDOS 12.4.2022). Viele formelle zivilgesellschaftliche Organisationen in Jordanien konzentrierten sich zunächst auf karitative Aktivitäten. Nach dem Beitritt Jordaniens zu internationalen Übereinkommen wie beispielsweise dem UN-Übereinkommen über bürgerliche und politische Rechte wurden einige Organisationen gegründet, um die Öffentlichkeit für die Menschenrechte, einschließlich des Versammlungs-und Vereinigungsrechts, zu sensibilisieren (ICNL 15.4.2022).

Das Gesetz verlangt, dass der Gouverneur mindestens 48 Stunden vor der Abhaltung von Sitzungen oder Veranstaltungen lokaler oder internationaler NGOs darüber informiert wird. Mehrere NGOs berichteten, dass Hotels vor der Durchführung von Schulungen, privaten Treffen oder öffentlichen Konferenzen von ihnen die Vorlage eines entsprechenden Genehmigungsschreibens des Gouverneurs verlangten, wobei derartige Genehmigungen durchaus auch verweigert wurden. Ohne Genehmigungsschreiben der Regierung wurden die Veranstaltungen und Schulungen von den Hotels abgesagt. In einigen Fällen verlagerten NGOs die Veranstaltungen und Schulungen in private Büros. NGOs konnten ihre Aktivitäten freier durchführen, wenn sie Videokonferenzsoftware verwendeten, da die Behörden diese Online-Plattformen nicht zensieren konnten (USDOS 12.4.2022).

 

Quellen:

 

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 8.7.2022

- ICNL –International Center for Not-for-Profit Law (15.4.2022): Civic Freedom Monitor –Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan , Zugriff 8.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 8.7.2022

 

10. Wehrdienst und Rekrutierungen

Mit 17 Jahren kann dem freiwilligen Militärdienst beigetreten werden. Die anfängliche Dienstdauer beträgt zwei Jahre, mit der Option sich für weitere 18 Jahre zu verpflichten. Die Wehrpflicht wurde 1991 abgeschafft. 2020 kündigte die jordanische Regierung die Wiedereinführung der Wehrpflicht für arbeitslose Männer zwischen 25 und 29 Jahren an, mit eine Dienstdauer von 12 Monaten (CIA 5.7.2022), um die Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen (Arab News 9.9.2020). Die Vereinbarung sieht vor, dass die Männer eine dreimonatige militärische Ausbildung absolvieren und alle Wehrpflichtigen in den verbleibenden neun Monaten ihres Dienstes in der Privatwirtschaft ausgebildet und eingesetzt werden. Die Armee zahlt den Wehrpflichtigen 100 Dinar (141 US-Dollar) pro Monat und übernimmt ihre Gehälter bis zu einem Mindestlohn von 220 Dinar, wenn sie eine Stelle in einem Privatunternehmen antreten (Arab News 9.9.2020).

2019 wurde ein freiwilliger viermonatiger Wehrdienst für Männer und Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren, die seit mindestens sechs Monaten arbeitslos sind, angekündigt. Der Dienst würde einen Monat militärische Ausbildung und die restlichen drei Monate berufliche Ausbildung in den Bereichen Bauwesen und Tourismus umfassen (CIA 5.7.2022).

Frauen können sich freiwillig zum Dienst in militärischen Positionen außerhalb des Kampfes im Frauenkorps der Königlichen Jordanischen Arabischen Armee melden (CIA 5.7.2022).

 

Quellen:

 

- Arab News (9.9.2020): Jordan orders army conscription for 25-29-year-olds to help tackle unemployment, https://www.arabnews.com/node/1732116/middle-east , Zugriff 27.7.2022

- CIA -Central Intelligence Agency [USA] (5.7.2022): The World Fact Book -Jordan, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/jordan/#military-and-security , Zugriff 8.7.2022

 

11. Allgemeine Menschenrechtslage

Die jordanische Verfassung garantiert grundlegende bürgerliche Freiheitsrechte (USDOS 12.4.2022). Dennoch sind wichtige Grundrechte und -freiheiten nach wie vor Gegenstand staatlicher Eingriffe, wobei sich die Regierung auf den Schutz der nationalen Sicherheit beruft (ICNL 15.4.2022). Die Regierung stützt sich bei Straftaten im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung regelmäßig auf das Gesetz zur Terrorismusbekämpfung, was zur Verhaftung und strafrechtlichen Verfolgung einer Reihe von Journalisten führte (OHCHR 31.12.2021).

Die jordanische Verfassung überträgt alle Fragen des Personenstandsrechts von Muslimen an spezielle Gerichte, die familienbezogene Fälle auf der Grundlage der Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, behandeln. Scharia-Gerichte behandeln Frauen vor dem Gesetz nicht als gleichgestellt (Aljazeera 18.2.2022).

Jordanien verfügt in Übereinstimmung mit den einschlägigen UN-Konventionen über ein staatlich gelenktes nationales Menschenrechtszentrum, das National Center for Human Rights (NCHR) (USDOS 12.4.2022). Das Zentrum hat ein umfassendes Menschenrechtsmandat und befasst sich mit Fällen von Menschenrechtsverletzungen, Beschwerden, Aufklärung und Förderung, Überwachung und Integration der Menschenrechte in die jordanische Gesetzgebung und Praxis (APF o.D.). Darüber hinaus existieren auch mehrere unabhängige Organisationen, die sich auf verschiedene Weise für die Einhaltung der Menschenrechte und für die Menschenrechtsbildung im Land einsetzen (CSO o.D.).

Laut U.S. Department of State gehören zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen glaubwürdige Berichte über: Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung in staatlichen Einrichtungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung; politische Gefangene oder Häftlinge; willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-und Medienfreiheit, einschließlich der Existenz von Gesetzen zur strafrechtlichen Verleumdung und Zensur; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; erhebliche Eingriffe in die Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit, einschließlich übermäßig restriktiver Gesetze über die Organisation, Finanzierung oder Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft; fehlende Untersuchung von und Rechenschaftspflicht für geschlechtsspezifische Gewalt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf häusliche oder intime Partnergewalt, sexuelle Gewalt und andere schädliche Praktiken; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen, die sich gegen lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere oder intersexuelle Personen richten; und erhebliche Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit von Arbeitnehmern (wie Drohungen gegen Gewerkschaftsaktivisten) (USDOS 12.4.2022).

Es kommt zu Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Arbeitsmigranten. Jordanien beherbergte im Jahr 2021 schätzungsweise 70.000 ausländische Hausangestellte, vor allem aus den Philippinen, Sri Lanka und Indonesien. NGOs verwiesen Hausangestellte, die mehrfach missbraucht worden waren, an die Ermittler des Arbeitsministeriums. Zu den Missbräuchen zählte die Nichtzahlung von Löhnen, unsichere Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten, die Beschlagnahme von Dokumenten sowie körperlicher, verbaler und sexueller Missbrauch (HRW 13.1.2022).

Die Straffreiheit bei Menschenrechtsverletzungen blieb bestehen, obwohl die Regierung einige begrenzte Schritte unternahm, um gegen Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Informationen über die Ergebnisse dieser Maßnahmen waren nicht für alle Fälle öffentlich zugänglich (USDOS 12.4.2022).

Im Gegensatz zu den Vorjahren berichteten lokale und internationale NGOs nicht von routinemäßigen schweren körperlichen Misshandlungen von Häftlingen durch Mitarbeiter der Drogenbekämpfungseinheit. Dennoch meldeten NGOs einzelne Fälle von Misshandlungen. Im Laufe des Jahres 2021 gab es Beschwerden über Misshandlungen durch das GID. Örtliche NGOs berichteten, dass es immer wieder zu Misshandlungen kam, die Bürger diese jedoch aus Angst vor Repressalien nicht meldeten. Die Behörden beschränkten den Zugang zu Informationen über die Untersuchungsergebnisse von Folter-oder Misshandlungsfällen (USDOS 12.4.2022).

Sowohl das quasi-staatliche Zentrum für Menschenrechte NCHR, als auch einige NGOs forderten, dass Polizeibeamte, die grober Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, vor unabhängigen Zivilgerichten statt vor Polizeigerichten gestellt werden, die dem Innenministerium unterstehen und nach Ansicht mehrerer NGOs als weniger unabhängig gelten. Die NGOs beklagten sich häufig darüber, dass sie keinen Zugang zu Informationen über die Ergebnisse der Verfahren hatten (USDOS 12.4.2022).

Jordanien begann im Januar 2021 mit der Verteilung des Covid-19-Impfstoffs und war nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR eines der ersten Länder, das kostenlose Impfungen für alle, auch für Flüchtlinge und Asylbewerber, anbot (AI 29.3.2022). Allerdings nutzte die jordanische Regierung die Notstandsbefugnisse und den auf Grund von Covid-19 verhängten Ausnahmezustand aus, um in die bürgerliche Freiheit einzugreifen und politische Interessen durchzusetzen. Am 16. Juli 2020 löste der Kassationsgerichtshof des Landes die Muslimbruderschaft auf, eine Organisation, die seit 1945 in Jordanien tätig war. Noch im selben Monat wurde das Lehrersyndikat, dessen 140 000 Mitglieder gegen die Regierung protestiert hatten, aufgelöst und einige seiner Vorstandsmitglieder verhaftet. Im Dezember 2020 löste das Strafgericht Amman das Syndikat auf, das erst 2011 nach jahrelanger Lobbyarbeit gegründet worden war (BS 23.2.2022).

 

Quellen:

 

- AI–Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Jordan 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070335.html , Zugriff 11.7.2022

- Aljazeera (18.2.2022): ‚Elephant in the room‘: Jordanian women and equal rights, https://www.aljazeera.com/news/2022/2/18/elephant-in-the-room-jordanian-womens-struggle-for-rights , Zugriff 11.7.2022

- APF –Asia Pacific Forum (o.D.): Jordan -Jordan National Centre for Human Rights, https://www.asiapacificforum.net/members/jordan/ , Zugriff 11.7.2022

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 11.7.2022

- CSO –Guide to Civil Society Organizations in Jordan (o.D.): Human Rights Organizations, http://www.civilsociety-jo.net/en/organizations/16/human-rights-organizations , Zugriff 11.7.2022

- HRW –Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 11.7.2022

- ICNL –International Center for Not-for-Profit Law (15.4.2022): Civic Freedom Monitor –Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan , Zugriff 8.7.2022

- OHCHR –Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (31.12.2021): Mid-term report on Jordan’s Commitment to Implement the Recommendations of the Universal Periodic Review for Human Rights (UPR), https://www.ohchr.org/sites/default/files/2021-12/Mid-term-report-on-Jordan-Commitment.docx , Zugriff 11.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 11.7.2022

 

12. Meinungs-und Pressefreiheit

Das jordanische Recht kriminalisiert Äußerungen, die als kritisch gegenüber dem König, dem Ausland, Regierungsbeamten und -institutionen (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022), dem Islam und dem Christentum gelten oder als diffamierend wahrgenommen werden (HRW 13.1.2022). Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Die Regierung schränkte die Möglichkeit von Einzelpersonen ein, die Regierung zu kritisieren, indem sie mehrere Aktivisten wegen politischer Äußerungen verhaftete. Die Behörden griffen auf Gesetze gegen Verleumdung von Amtsträgern zurück, um die öffentliche Diskussion einzuschränken, und von der Medienkommission verbreitete Erlasse der Staatsanwaltschaft, um die Pressefreiheit zu beschneiden (USDOS 12.4.2022).

Alle Medien bzw. Publikationen benötigen Lizenzen der Regierung. Die Regierung beeinflusste die Berichterstattung und die Kommentare durch politischen Druck auf die Redakteure und die Kontrolle über wichtige redaktionelle Positionen in regierungsnahen Medien. Einheimische und ausländische Journalisten, die im Land tätig sind, sahen sich weiterhin zunehmenden Beschränkungen ihrer Berichterstattung in Form von Nachrichtensperren, Schikanen durch Sicherheitskräfte und der Verweigerung von Genehmigungen zur Berichterstattung ausgesetzt. (USDOS 12.4.2022).

Journalisten sind nur selten mit ernsthafter Gewalt oder erheblichen Haftstrafen für ihre Arbeit konfrontiert, üben aber häufig Selbstzensur. Journalisten waren im Rahmen der Covid-19-Maßnahmen starken Einschränkungen ausgesetzt. Im März 2020 stellte das Kabinett das Erscheinen aller Zeitungen für zwei Wochen ein. Im April erließ die Regierung einen vage formulierten Erlass, der die Verbreitung von Informationen über die Pandemie verbietet, die „Panik auslösen“ würden (FH 28.2.2022).

Die Regierung verfügt über die Mehrheit der Sitze im Aufsichtsrat der führenden halbamtlichen Tageszeitung al-Rai und über einen Teil der Sitze im Aufsichtsrat der Tageszeitung ad-Dustour. Nach Angaben von Verfechtern der Pressefreiheit muss die Medienabteilung des GID die Chefredakteure der regierungsnahen Zeitungen genehmigen. Medienbeobachter stellten fest, dass das staatliche jordanische Fernsehen und Radio und die jordanische Nachrichtenagentur bei der Berichterstattung über kontroverse Themen nur den Standpunkt der Regierung wiedergaben (USDOS 12.4.2022).

Es gab laut US-amerikanischem Außenministerium glaubwürdige Berichte, dass die Regierung die private Online-Kommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht hat. Das Gesetz schreibt die Lizenzierung und Registrierung von Online-Nachrichten-Websites vor, macht Redakteure für die Leserkommentare auf ihren Websites verantwortlich, verlangt von den Website-Besitzern, dass sie der Regierung die persönlichen Daten ihrer Nutzer zur Verfügung stellen, und schreibt vor, dass Chefredakteure Mitglieder des jordanischen Presseverbandes (JPA) sein müssen.

Das Gesetz gibt den Behörden ausdrücklich die Befugnis, Webseiten zu blockieren und zu zensieren. Das Presse-und Veröffentlichungsgesetz erlaubt es dem Medienbeauftragten, Webseiten ohne Gerichtsbeschluss zu sperren (USDOS 12.4.2022).

Nach der Gesetzgebung zur Cyberkriminalität können Internetnutzer mit Geld-oder Gefängnisstrafen von bis zu drei Monaten bestraft werden, wenn sie wegen Verleumdung von Online-Kommentaren verurteilt werden. Mehrere Aktivisten und Demonstranten, die in den Jahren 2020 und 2021 verhaftet wurden, wurden wegen Vergehen im Zusammenhang mit Beiträgen in sozialen Medien angeklagt, in denen sie die Regierung kritisiert hatten (FH 28.2.2022).

 

Quellen:

 

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 11.7.2022

- HRW–Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 11.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 11.7.2022

 

13. Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Verfassung gewährt Versammlungsfreiheit (USDOS 12.4.2022), aber die Regierung beschränkt dieses Recht in der Praxis (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022).

Öffentliche Versammlungen und Demonstrationen müssen seit einem im März 2011 geänderten Gesetz nicht mehr von der Regierung genehmigt werden. Es ist aber weiterhin eine Genehmigung des Innenministeriums oder des Allgemeinen Nachrichtendienstes einzuholen (HRW 13.1.2022). Das Innenministerium hat geplante öffentliche Veranstaltungen ohne Vorankündigung oder Erklärung abgesagt. Verstöße gegen das Versammlungsgesetz können mit Geld-und Haftstrafen geahndet werden. Die Sicherheitskräfte sind dafür bekannt, dass sie gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen (FH 28.2.2022).

Die Regierung hat das Versammlungsrecht als Reaktion auf die anhaltende Covid-19-Pandemie weiter eingeschränkt, selbst nachdem andere Maßnahmen im Juni 2020 zurückgenommen wurden. Bei einer Demonstration in Amman, die mehrere Tage nach der Schließung des Lehrersyndikats Ende Juli 2021 stattfand, wurden mehrere Dutzend Demonstranten verhaftet. Einige Demonstranten wurden von der Polizei körperlich angegriffen, andere wurden später unter Androhung hoher Geldstrafen zur Unterzeichnung von Verpflichtungserklärungen gedrängt, sich weiterer Aktivitäten zu enthalten (FH 28.2.2022).

Die Verfassung sieht das Recht auf Vereinigungsfreiheit vor, aber in der Praxis wurde diese Freiheit durch die Regierung beschränkt. Laut Gesetz steht mehreren Ministerien das Recht zu, Anträge für die Registrierung einer Organisation oder für den Erhalt ausländischer Finanzierung aus beliebigen Gründen abzulehnen. Außerdem verbietet das Gesetz, Vereinigungen zur Stärkung politischer Organisationen zu nutzen. Das Gesetz gewährt den Ministerien außerdem signifikante Kontrolle über das interne Management von Vereinigungen, darunter das Recht, die Vereinigung aufzulösen, neue Vorstände zu ernennen und Regierungsvertreter zu den Vorstandstreffen zu senden. Vereinigungen sind verpflichtet, das Ministerium für soziale Entwicklung über Vorstandssitzungen zu informieren, die Namen aller Mitglieder preiszugeben und alle Vorstandsentscheidungen dem Ministerium zur Genehmigung vorzulegen. Vorstandsmitglieder benötigen eine Sicherheitsfreigabe des Innenministeriums. Das Gesetz sieht Sanktionen, einschließlich Geldstrafen, für Verstöße gegen diese Vorschriften vor. Das Ministerium für soziale Entwicklung ist gesetzlich befugt, in die Aktivitäten von NGOs einzugreifen und bei Verstößen gegen das Gesetz Verwarnungen auszusprechen. In der Bevölkerung ist der Verdacht weit verbreitet, dass die Regierung zivilgesellschaftliche Organisationen, politische Parteien und Menschenrechtsorganisationen unterwandert und dass die Sicherheitsdienste politische und zivilgesellschaftliche Konferenzen und Treffen überwachen (USDOS 12.4.2022).

Politische Parteien, die auf ethnischer Zugehörigkeit, Rasse, Geschlecht oder Religion basieren, sind in Jordanien verboten. Parteien müssen vom Ministerium für politische und parlamentarische Angelegenheiten genehmigt werden. Berichten zufolge haben die Behörden Personen eingeschüchtert, die versuchten, politischen Parteien zu gründen. Die Islamic Action Front (IAF, Anm.: eine wichtige Oppositionspartei) wird zwar geduldet, leidet aber unter der Fehlverteilung im Wahlsystem, die sich auf ihre Unterstützerbasis in den Städten auswirkt. Ihre Mutterorganisation, die Muslimbruderschaft, wurde 2015 aus dem Register gestrichen, als die Regierung ihre Ablegergruppe, die Muslim Brotherhood Society (MBS), zuließ. Die Büros der Muslimbruderschaft wurden 2016 gewaltsam geschlossen, nachdem das Regime sie an der Durchführung interner Wahlen gehindert hatte, was die bereits bestehenden Spaltungen verschärfte und die Organisation politisch schwächte. Im Juli 2020 verlor die Organisation einen Einspruch gegen die Übertragung ihrer Büros an die MBS, woraufhin der Kassationsgerichtshof ihre Auflösung anordnete. Die Muslimbruderschaft versprach, Berufung einzulegen, und die IAF nahm trotz des Urteils an den Wahlen im November 2020 teil (FH 28.2.2022).

 

Quellen:

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 11.7.2022

- HRW –Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 11.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 11.7.2022

 

14. Haftbedingungen

Die Bedingungen in den 18 Gefängnissen des Landes sind unterschiedlich: alte Einrichtungen weisen schlechte Bedingungen auf, während neue Gefängnisse internationalen Standards entsprechen. Internationale Nichtregierungsorganisationen und Rechtshilfeorganisationen wiesen auf Probleme wie Überbelegung, begrenzte medizinische Versorgung, unzureichende Rechtshilfe für die Insassen und begrenzte soziale Betreuung der Insassen und ihrer Familien hin. Obwohl in allen Haftanstalten eine medizinische Grundversorgung zur Verfügung steht, beklagte das medizinische Personal, dass es in den Haftanstalten im ganzen Land an angemessenen medizinischen Einrichtungen, Material und Personal mangelt. Gefangene beklagten sich über Einzelhaft, Isolation und lange Untersuchungshaft von bis zu sechs Monaten. Lokale und internationale NGOs erhielten Berichte über Misshandlungen, Missbrauch und Folter in den Hafteinrichtungen des GID (USDOS 12.4.2022).

Lokale Gouverneure nutzten weiterhin die Bestimmungen des Gesetzes zur Verbrechensverhütung von 1954, um Personen unter Umgehung des Strafverfahrensrechts bis zu einem Jahr in Verwaltungshaft zu nehmen. Im März 2021 setzten die jordanischen Behörden die Inhaftierung von Personen, die ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, bis Ende des Jahres aus. Diese Ankündigung erfolgte kurz nach der Veröffentlichung eines Berichts von Human Rights Watch, in dem die harte Behandlung von Menschen in Jordanien, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können, dokumentiert wurde (HRW 13.1.2022).

Die Behörden haben Schritte unternommen, um Alternativen zu Gefängnisstrafen für gewaltlose Straftäter zu nutzen. Das Justizministerium hat bis Oktober 2021 264 Straftäter in alternative Strafverfahren eingewiesen (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- HRW–Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 –Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 11.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 11.7.2022

 

15. Todesstrafe

Das jordanische Strafrecht beinhaltet die Todesstrafe (AA 11.7.2022), die auch weiterhin verhängt wird (AA 11.7.2022; vgl. AI 29.3.2022). Bis November 2021 hatten die Behörden im Jahr 2021 keine Hinrichtungen vollstreckt (HRW 13.1.2022; vgl. AI 29.3.2022). In Jordanien befinden sich 219 Verurteilte in der Todeszelle, darunter 22 Frauen (Arab News 5.7.2022).

 

Quellen:

 

- AA -Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2022): Jordanien: Reise-und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008 , Zugriff 11.7.2022

- AI -Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Jordan 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070335.html , Zugriff 11.7.2022

- Arab News (5.7.2022): Pressure to enforce death penalty mounts in Jordan after brutal murders, https://www.arabnews.com/node/2116496/middle-east , Zugriff 11.7.2022

- HRW -Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 11.7.2022

 

16. Religionsfreiheit

Die Bevölkerung besteht offiziell zu 97,1 % aus (vorwiegend) sunnitischen Muslimen und 2,1 % Christen. Buddhisten und Hindus sowie andere Religionen sind mit weniger als einem Prozent vertreten (CIA 5.7.2022).

Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion (USDOS 2.6.2022; vgl. FH 28.2.2022), garantiert aber die freie Ausübung aller Formen des Glaubens und religiöser Rituale, sofern diese mit der öffentlichen Ordnung und Moral vereinbar sind. Die Verfassung sieht vor, dass es keine Diskriminierung aufgrund der Religion geben darf (USDOS 2.6.2022).

Die Scharia ist vorrangig zu beachten, was beispielsweise für Muslime ein Konversionsverbot zu anderen Religionen mit sich bringt. Dennoch berichtet USDOS weiterhin von Konversionen von Muslimen. Die Verfassung lässt religiöse Gerichte zu, darunter Scharia-Gerichte für Muslime und kirchliche Gerichte für von der Regierung anerkannte christliche Konfessionen. Angelegenheiten, die den persönlichen und familiären Status von Muslimen betreffen, fallen in die Zuständigkeit der Scharia-Gerichte (USDOS 2.6.2022). Die Regierung überwacht weiterhin Predigten in Moscheen und verlangt, dass Prediger auf politische Kommentare verzichten und sich an genehmigte Themen und Texte halten (USDOS 2.6.2022; vgl. FH 28.2.2022). Ein offizieller Ausschuss unter dem Vorsitz des Großmuftis regelt, welche islamischen Geistlichen Fatwas erlassen dürfen (USDOS 2.6.2022)

Viele christliche Gruppen sind als religiöse Konfessionen oder Vereinigungen anerkannt und können ihre Religion frei ausüben. Die Missionierung unter Muslimen ist jedoch verboten (FH 28.2.2022).

Einige Konvertiten zum Christentum berichten über Ausgrenzung sowie körperlichen und verbalen Missbrauch und, dass Sicherheitsbeamte sie nach der Konversion weiterhin über ihre religiösen Überzeugungen und Praktiken befragen. Manche von ihnen beten aufgrund des sozialen Stigmas, mit dem sie als Konvertiten konfrontiert sind, weiterhin heimlich (USDOS 2.6.2022). Die Regierung verfolgt Konvertiten aus dem Islam zwar nicht wegen Apostasie (USDOS 2.6.2022; vgl. FH 28.2.2022), Betroffene berichten aber zum Teil von anhaltenden und glaubwürdigen Drohungen von Familienmitgliedern, die mit dem Schutz der traditionellen Ehre argumentieren (USDOS 2.6.2022) oder davon bürokratischen Hürden und Belästigungen ausgesetzt zu sein (FH 28.2.2022). Nach dem Personenstandsgesetz sind gemäß der Auslegung der Scharia Eheschließungen zwischen einer muslimischen Frau und einem nicht-muslimischen Mann nicht zulässig; der Mann muss zum Islam konvertieren, damit die Ehe als rechtmäßig gilt (USDOS 2.6.2022).

Die Regierung verwehrt weiterhin einigen religiösen Gruppen, darunter den Baha’is und den Zeugen Jehovas, die offizielle Anerkennung (USDOS 2.6.2022). Nicht registrierte Gruppen können ihren Glauben ausüben, sind aber aufgrund ihres illegalen Status einer Reihe von Nachteilen ausgesetzt (FH 28.2.2022). So hatten die Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Probleme bei der Registrierung ihrer Ehen und der religiösen Zugehörigkeit ihrer Kinder (USDOS 2.6.2022).

Es wird über eine Zunahme von Online verbreiteten Hassreden gegen religiöse Minderheiten und Gemäßigte berichtet. Der Hass und die Beleidigungen im Internet und in den sozialen Medien richteten sich besonders auch gegen die jüdische Bevölkerung (USDOS 2.6.2022).

 

Quellen:

 

- CIA –Central IntelligenceAgency [USA] (5.7.2022): The World Fact Book -Jordan, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/jordan/#military-and-security , Zugriff 12.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 12.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074090.html , Zugriff 12.7.2022

 

17. Minderheiten

Zwischen 95 und 97 % der Jordanier sind Araber (WPR o.D.). Zu den ethnischen Minderheiten in Jordanien gehören Tscherkessen, Tschetschenen, Armenier, Assyrer, Bani Murra (jordanische/syrische „Roma“, die in der Region als „Dom“ bekannt sind) sowie die syrische, irakische, jemenitische und sudanesische Flüchtlingsbevölkerung (USDOS 12.4.2022; vgl. MRG 6.2020). Die Minority Rights Group International berichtete, dass die Bani Murra in der gesamten Region mit weit verbreiteten Vorurteilen und Feindseligkeiten konfrontiert sind, unter einer hohen Armutsquote leiden und nur begrenzten Zugang zu Bildung, Beschäftigung und staatlichen Dienstleistungen haben (USDOS 12.4.2022).

Die Staatsbürgerschaft bleibt ein umstrittenes Thema. Dies liegt weniger an der Spaltung der jordanischen Gesellschaft in Transjordanien und Palästina, sondern vielmehr an der zunehmenden Klassenspaltung und dem ungleichen Zugang der verschiedenen Nationalitäten zu den Möglichkeiten in Jordanien. Zwei Themen (Wahrnehmung ethnischer Unterschiede und sozioökonomische Chancen) verschmelzen also miteinander und prägen zunehmend die Lebenserfahrungen der Jordanier (BS 23.2.2022).

Die meisten Jordanier, einschließlich eines Teils der großen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung, stammen von Beduinen oder Stammesangehörigen ab (MRG 6.2020). Schätzungsweise 60 %der Bevölkerung Jordaniens sind palästinensischer Herkunft (BESA 12.9.2021), davon sind 2,3 Millionen bei UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) registrierte Palästina-Flüchtlinge (UNRWA 6.9.2021). Weiters zählt UNHCR 675.000 offiziell registrierte syrische Flüchtlinge (UNHCR 30.6.2022), wobei die jordanische Regierung insgesamt von rund 1,3 Millionen syrischen Flüchtlingen ausgeht (CNN 25.7.2021). Flüchtlinge aus Palästina, Syrien und dem Irak machen fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung Jordaniens aus (BS 23.2.2022). Bürger palästinensischer Herkunft waren auf allen Ebenen der Regierung und des Militärs unterrepräsentiert. Gleichzeitig sind laut Gesetz drei Sitze im Repräsentantenhaus für die ethnischen Minderheiten der Tscherkessen und Tschetschenen reserviert, was eine Überrepräsentation dieser Minderheiten bedeutet. Neun Sitze sind für Christen reserviert (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022).

[Anm.: Zu den Palästinensern siehe nachfolgendes Unterkapitel „Palästinenser“. Zu den syrischen und irakischen Flüchtlingen siehe Abschnitt „Flüchtlinge“]

 

Quellen:

 

- BESA–Begin-Sadat-Center for Strategic Studies (12.9.2021): The Old Peace Treaties vs. the Abraham Accord, https://besacenter.org/the-old-peace-treaties-vs-the-abraham-accords/ , Zugriff

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 11.7.2022

- CNN (25.7.2021): GPS Web Extra: The fate of Jordan's many refugees, https://edition.cnn.com/videos/tv/2021/07/25/exp-gps-0725-king-abdullah-syria-refugees.cnn , Zugriff 12.7.2022

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 12.7.2022

- MRG –Minority Rights Group International (6.2020): Jordan, https://minorityrights.org/country/jordan/ , Zugriff 12.7.2022

- UNRWA–United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (6.9.2021): UNRWA in figures 2020-2021, https://www.unrwa.org/sites/default/files/content/resources/unrwa_in_figures_2021_eng.pdf , Zugriff 12.7.2022

- UNHCR –The UN Refugee Agency (30.6.2022): Syria Regionel Refugee Response, https://data.unhcr.org/en/situations/syria/location/36 , Zugriff 12.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 11.7.2022

- WPR –World Population Review (o.D.): Jordan Population 2022, https://worldpopulationreview.com/countries/jordan-population , Zugriff 12.7.2022

 

17.1 Palästinenser

Schätzungsweise 60 %der Bevölkerung Jordaniens sind palästinensischer Herkunft (BESA 12.9.2021), davon sind fast die Hälfte, rund 2,3 Millionen, bei UNRWA registrierte Palästina-Flüchtlinge (Anm.: die UNRWA ist eine für die Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen zuständige UN-Hilfsorganisation) (UNRWA 6.9.2021). In der Vergangenheit wurden Jordanier palästinensischer Herkunft in Bezug auf die Beschäftigung diskriminiert, insbesondere in den oberen Rängen des Militärs, der Sicherheitsdienste und des öffentlichen Sektors (BS 23.2.2022).

Die meisten palästinensischen Flüchtlinge sind im Besitz der vollen jordanischen Staatsbürgerschaft (UNRWA o.D.). Bis Ende der 1980er Jahre erhielt die Mehrheit der Palästinenser automatisch die jordanische Staatsbürgerschaft, doch seitdem sind Tausende von Palästinensern staatenlos geworden (MRG 6.2020). In Jordanien gibt es zehn offizielle palästinensische Flüchtlingslager, in denen mit fast 370.000 Menschen in etwa 18 % der insgesamt in Jordanien lebenden Palästinenser leben (UNRWA o.D.). Zehntausende palästinensische Flüchtlinge aus Syrien haben um die Unterstützung der UNRWA in Jordanien angesucht. Die Mehrheit dieser Flüchtlinge dürfte laut UNRWA in bitterer Armut leben und über einen unsicheren rechtlichen Status verfügen (UNRWA o.D.).

Vier verschiedene Gruppen von Palästinensern leben in Jordanien, ausgenommen sind Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien. Zum einen handelt es sich um Palästinenser und ihre Kinder, die nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 in das Land und in das von Jordanien kontrollierte Westjordanland eingewandert waren. Sie erhielten die volle Staatsbürgerschaft. Das Gleiche galt für Palästinenser, die nach dem Krieg von 1967 in das Land einwanderten und keine Aufenthaltsgenehmigung für das Westjordanland besaßen. Palästinenser und ihre Kinder, die nach dem Krieg von 1967 noch einen Wohnsitz im Westjordanland hatten, hatten keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft, konnten jedoch befristete Reisedokumente ohne nationale Identifikationsnummer erhalten, sofern sie nicht auch ein Reisedokument der Palästinensischen Behörde mit sich führten. Diese Personen hatten Zugang zu einigen staatlichen Dienstleistungen; sie zahlten in Krankenhäusern 80 % des Tarifs für nicht versicherte Ausländer und in Bildungseinrichtungen und Ausbildungszentren den Tarif für Nicht-Staatsangehörige. Flüchtlinge und ihre Kinder, die nach dem Krieg von 1967 aus dem Gazastreifen geflohen waren, hatten keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft, und die Behörden stellten ihnen befristete Reisedokumente ohne nationale Nummern aus. Diese Flüchtlinge hatten keinen Zugang zu staatlichen Dienstleistungen und waren fast vollständig von der UNRWA abhängig (USDOS 12.4.2022).

[Anm.: Informationen zu palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien finden sich in Abschnitt „Flüchtlinge“.]

Palästinenser sind im Parlament sowie in höheren Regierungsämtern und Positionen im Militär unterrepräsentiert, ebenso wie bei Universitätszulassungen. Auch ist der Zugang zu Universitätsstipendien eingeschränkt. Im privaten Sektor hingegen sind sie gut vertreten (USDOS 12.4.2022). Jordanier palästinensischer Herkunft, die die Staatsbürgerschaft besitzen, laufen Gefahr, dass ihnen die Staatsbürgerschaft oder die Papiere willkürlich entzogen werden, und sind häufig von Stellen im öffentlichen Sektor und bei den Sicherheitskräften ausgeschlossen, die von Stämmen aus Transjordanien dominiert werden (FH 28.2.2022).

 

Quellen:

 

- BESA –Begin-Sadat-Center for Strategic Studies (12.9.2021): The Old Peace Treaties vs. the Abraham Accord, https://besacenter.org/the-old-peace-treaties-vs-the-abraham-accords/ , Zugriff 12.7.2022

- BS –Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4 , Zugriff 11.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 12.7.2022

- MRG –Minority Rights Group International (6.2020): Jordan, https://minorityrights.org/country/jordan/ , Zugriff 12.7.2022

- UNRWA –United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (6.9.2021): UNRWA in figures 2020-2021, https://www.unrwa.org/sites/default/files/content/resources/unrwa_in_figures_2021_eng.pdf , Zugriff 12.7.2022

- UNRWA –United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (o.D.): Where We Work: Jordan, http://www.unrwa.org/where-we-work/jordan , Zugriff 12.7.2022

- USDOS –US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 12.7.2022

 

18. Relevante Bevölkerungsgruppen

 

18.1 Frauen

Die Verfassung sieht die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vor (USDOS 12.4.2022). Frauen sind sowohl rechtlichen als auch faktischen Diskriminierungen ausgesetzt, v.a. in Bereichen, die der Rechtsprechung der Scharia Gerichte unterliegen. Auch hinsichtlich bestimmter Sozialleistungen werden Frauen benachteiligt (FH 28.2.2022), weiters in Erbschafts-, Scheidungs-, Sorgerechts-und Staatsbürgerschaftsangelegenheiten, am Arbeitsplatz und unter gewissen Umständen auch was das Gewicht ihrer Aussage vor Schariagerichten betrifft, da Zeugenaussagen von Männern teils mehr wiegen als die von Frauen (USDOS 12.4.2022). Die persönlichen sozialen Freiheiten werden durch die konservative Kultur und die spezifischen Gesetze des Landes eingeschränkt (FH 28.2.2022). Die Regierung erkennt Eheschließungen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (FH 28.2.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Angelegenheiten wie Eheschließung und Scheidung werden von religiösen Gerichten behandelt, die Frauen und Konvertiten aus dem Islam benachteiligen und einige interreligiöse Ehen einschränken (FH 28.2.2022).

Im Laufe des Jahres 2021 wurden keine Fälle von Zwangsverheiratung als Alternative zu einem potentiellen „Ehrenmord“ gemeldet. NGOs stellten allerdings fest, dass einige wenige Fälle von Zwangsverheiratung kurz nach einer Vergewaltigungsbeschuldigung auf Grund von familiärem und gesellschaftlichem Druck erfolgten, bevor ein formelles Verfahren eingeleitet wurde. Beobachter wiesen darauf hin, dass eine Frau, die ihren Vergewaltiger heiratet, nach landesüblichem Glauben von ihren Familienmitgliedern nicht getötet werden muss, um „die Familienehre zu bewahren“, obwohl das entsprechende Gesetz zu dieser Strafmilderungsmöglichkeit aufgehoben wurde. Dennoch stellten NGOs fest, dass dieses Gesetz dazu beigetragen hat, derartige Fälle zu verringern und mehr Frauen zu ermutigen, Vergewaltigungen anzuzeigen, insbesondere seit der Einrichtung eines Frauenhauses. Die Gouverneure verwiesen potenzielle Opfer von „Ehren“-Verbrechen an das Frauenhaus des Ministeriums für soziale Entwicklung. Von Anfang bis Oktober des Jahres 2021 hatte das in Amman ansässige Frauenhaus 268 Frauen aufgenommen. Dennoch nutzten einige Provinzgouverneure das Gesetz zur Verbrechensverhütung, um Frauen zu ihrem Schutz in Verwaltungshaft zu nehmen (USDOS 12.4.2022).

Artikel 98 des 2017 geänderten jordanischen Strafgesetzbuchs, besagt, dass eine Verteidigung wegen eines „Wutausbruches“ nicht für Täter von Verbrechen gegen Frauen geltend gemacht werden kann, und diese auch keine mildernden Strafen erhalten können. Richter verhängten allerdings weiterhin mildere Strafen gemäß Artikel 99, wenn Familienmitglieder der Opfer die Verfolgung ihrer männlichen Familienmitglieder nicht unterstützten. Solche diskriminierenden Gesetze setzen Frauen der Gewalt aus. Der jordanische Oberste Bevölkerungsrat meldete im Oktober einen „dramatischen Anstieg“ der häuslichen Gewalt im Jahr 2020 mit insgesamt 54.743 Fällen, von denen 82 % von Ehemännern gegen ihre Ehefrauen verübt wurden (HRW 13.1.2022). Emotionale und körperliche Gewalt, die häufig von einem Intimpartner oder einem Familienmitglied ausgeübt wurde, ist die häufigste Form der Gewalt (USDOS 12.4.2022). Tadamon (Sisterhood is Global Institute Jordan –SIGI) berichtete, dass zwischen Januar und Oktober 2021 14 Frauen durch häusliche Gewalt getötet wurden (HRW 13.1.2022 vgl. AI 29.3.2022).

Laut Arabbarometer gab im März 2021 die Hälfte der jordanischen Bevölkerung an, dass die geschlechtsspezifische Gewalt als Folge der Covid-19-Pandemie zugenommen hat. Was die Hindernisse für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von Frauen angeht, so nannte die Mehrheit der Jordanier fehlende Kinderbetreuung (81 %), niedrige Löhne (66 %), fehlende Transportmöglichkeiten (65 %) und die Bevorzugung von Männern (59 %) als die größten Hindernisse (Arabbarometer 15.3.2021).

Im August 2021 gab der Nationale Rat für Familienangelegenheiten (NCFA), Leitlinien für die Reaktion auf häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder heraus. Frauen können bei bestimmten NGOs oder direkt bei den Justizbehörden Anzeige wegen Vergewaltigung oder körperlicher Misshandlung erstatten. Aufgrund gesellschaftlicher Tabus und einer erniedrigenden Behandlung auf den Polizeistationen wurden geschlechtsspezifische Straftaten jedoch häufig nicht angezeigt (USDOS 12.4.2022).

Eine Verfassungsänderung steht im Einklang mit dem offiziellen Ziel der Regierung, die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu erreichen. Im Januar 2022 billigte der Senat die Änderung von Artikel 6. Offiziell heißt es nun in der Verfassung: „Jordanische Männer und Frauen sind vor dem Gesetz gleich. Sie dürfen in ihren Rechten und Pflichten nicht aufgrund ihrer Rasse, Sprache oder Religion diskriminiert werden“. Im vorherigen Artikel hieß es einfach „Jordanier“ ohne weitere Angaben. Frauenaktivistinnen befürchten, dass die neue Änderung mehr ein Lippenbekenntnis als ein wirklicher Fortschritt sein könnte (DW 3.2.2022).

 

Quellen:

 

- AI –Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Jordan 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070335.html , Zugriff 12.7.2022

- Arabbarometer (15.2.2021): Arab Barometer VI. Jordan Country Report 2021, https://www.arabbarometer.org/wp-content/uploads/Public-Opinon_-Jordan-Country-Report-2021-ENG-.pdf , Zugriff 12.7.2022

- DW –Deutsche Welle (3.2.2022): Jordan's ambitious push for gender equality, https://www.dw.com/en/jordans-ambitious-push-for-gender-equality/a-60634852 , Zugriff 12.7.2022

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 12.7.2022

- HRW–Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 12.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 12.7.2022

 

18.2 Kinder

 

Bildungssystem und Infrastruktur

Schulpflicht besteht für Kinder im Alter von sechs Jahren bis 16 Jahren; bis zum Alter von 18 Jahren ist der Schulbesuch kostenlos. Es gibt keine Gesetze, die die Schulpflicht durchsetzen oder die Vormunde bei Verletzung der Schulpflicht bestrafen. Kinder ohne legalen Wohnsitz stoßen bei der Anmeldung an öffentlichen Schulen auf Hindernisse (USDOS 12.4.2022).

 

Frühe Heirat/Zwangsheirat

Das Mindestalter für die Heirat ist 18 Jahre. Mit der Zustimmung eines Richters und eines Vormunds kann ein Kind im Alter von 16 Jahren verheiratet werden (USDOS 12.4.2022). Richter haben die Befugnis zu entscheiden, ob die Heirat von Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren „in ihrem besten Interesse“ ist, und über den Ehevertrag zu entscheiden (USDOS 12.4.2022; vgl. UNICEF 6.2021). Nach den 2017 eingeführten Vorschriften kann eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestalter von 18 Jahren für die Eheschließung gewährt werden, wenn der Altersunterschied zwischen dem Mädchen und dem Mann nicht mehr als 15 Jahre beträgt, der Mann keine anderen Frauen hat und die Ehe das Mädchen nicht daran hindert, seine Ausbildung fortzusetzen (UNICEF 6.2021).

Eine lokale NGO meldete im Laufe des Jahres 2021 höhere Raten von Kinderehen. Die Zahl der Früh-und Zwangsverheiratungen in der Flüchtlingsbevölkerung ist nach wie vor hoch. Im Laufe des Jahres wurde vielen Quellen zufolge bei einer großen Zahl von Eheschließungen von Syrern im Land eine minderjährige Braut verheiratet. Lokalen und internationalen Organisationen zufolge haben einige syrische Flüchtlingsfamilien ihre Töchter früh verheiratet, um den Armutsdruck zu mildern (USDOS 12.4.2022).

Laut UNICEF besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass die Covid-19-Pandemie negative Auswirkungen auf die Bekämpfung schädlicher Praktiken wie der Kinderheirat hat. Die Pandemie führte zu einer Zunahme von Kinderehen in Flüchtlingslagern in Jordanien. Im Juli 2020 waren im Lager Zaatari 37 von 65 Eheschließungen Kinderehen. Insgesamt lag die Rate der Kinderehen im Jahr 2019 bei 58 % und im Juli 2020 bei 60 % (UNICEF 6.2021).

Am 14. Januar 2020 veröffentlichte Jordanien einen Gesetzesentwurf über die Rechte von Kindern (ARDD 7.2020), der am 17.4.2022 vom Kabinett gebilligt wurde (Jordan News 20.4.2022). Der Entwurf ist Teil der neuen Verfassungsänderungen, die die Notwendigkeit betonen, Kinder zu schützen, indem Gesetze geschaffen werden, die die Behandlung von Kindern regeln. Das Gesetz soll die Rechte in rechtsverbindliche Artikel umsetzen, die für die Betroffenen verbindlich sind. Zu diesen Artikeln gehört die medizinische Grundversorgung für alle Kinder, das Recht auf Bildung, die Qualität und die Verpflichtung zur Bildung, die Rolle der Eltern gegenüber ihren Kindern, die Bestrafung von Eltern, deren Kinder betteln oder die Schule abbrechen, und der Schutz vor Gewalt. Der Gesetzentwurf muss noch vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden (Jordan News 20.4.2022).

 

Quellen:

 

- ARDD –Arab Renaissance for Democracy & Development (7.2020): Legal Paper on children’s rights draft bill, https://firebasestorage.googleapis.com/v0/b/ardd-94d08.appspot.com/o/publications%2Fa3b0apsvq1v.pdf?alt=media&token=1cd718fa-c96a-44aa-8b2b-a99e6b9489ae , Zugriff 13.7.202

- Jordan News (20.4.2022): Cabinet approves child rights bill, next to be discussed under the Dome, https://www.jordannews.jo/Section-109/News/Cabinet-approves-child-rights-bill-next-to-be-discussed-under-the-Dome-15878 , Zugriff 13.7.2022

- UNICEF–Middle East And North Africa Regional Office and UNFPA Arab States Regional Office (6.2021): Child Marriage In The Context Of Covid-19. Analysis of trends, programming and alternative approaches in the Middle East and North Africa,

https://www.nolostgeneration.org/media/3561/file/Child%20marriage%20in%20the%20context%20of%20COVID-19%20-%20MENA%20regional%20analysis.pdf , Zugriff 13.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 13.7.2022

 

Für die Ausreise der Kinder muss die Sorgeberechtigte eine schriftliche Einverständniserklärung des Kindesvaters vorweisen, die mit dem Datum, Unterschrift des Kindesvaters und dem Stempel der Polizei versehen werden muss (der Kindesvater geht selbst mit Ausweis und Familienbuch zur Polizei, wo entweder er selbst oder ein Polizist seine Einverständniserklärung festhält (Auskunft des Verbindungsbeamten für den Mittleren Osten vom 13.11.2017 an das BFA)).

Der Kindesvater kann das Sorgerecht im Falle der Wiederverheiratung der Frau wiedererlangen, da es ihm zusteht, dass seine Kinder nicht bei einem fremden Vater aufwachsen. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder vor einer Wiederverheiratung ihrer Mutter überträgt, wenn diese noch lebt, womit der Kindesvater wieder aus dem Anspruch des Sorgerechts fällt (Auskunft des VB des BMI vom 22.3.2017 an das BFA).

 

 

18.3 Sexuelle Minderheiten

Obwohl einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen nicht kriminalisiert werden, ist die gesellschaftliche Diskriminierung von LGBTI Personen weit verbreitet und schließt die Androhung von Gewalt ein (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). LGBTI Personen sind häufig Ziel von Gewalt und Missbrauch, einschließlich Vergewaltigung, und hatten kaum rechtliche Möglichkeiten, gegen die Täter vorzugehen. Transgender-Personen laufen besonders der Gefahr, Opfer von Gewalttaten und sexuellen Übergriffen zu werden, und die Behörden boten ihnen keinen rechtlichen Schutz (USDOS 12.4.2022). Das jordanische Recht verbietet keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).

Behörden können LGBTI Personen wegen angeblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes verhaften. Mitglieder der LGBTI-Community bestätigten, dass es ihnen im Allgemeinen an sicheren Räumen fehlte, und berichteten, dass sie von der Polizei ins Visier genommen wurden, wenn sie eine der wenigen mit der Gemeinschaft verbundenen Einrichtungen verließen. Die staatlichen Vorschriften über die Registrierung von NGOs, sowie die Finanzierung aus dem Ausland hinderten zivilgesellschaftliche Gruppen weitgehend daran, an Aktivitäten mit vermeintlichen Verbindungen zur LGBTI-Community zu arbeiten (USDOS 12.4.2022). Die Behörden haben NGOs, die sich für die Gleichberechtigung von LGBTI Menschen einsetzen, die Registrierung verweigert (FH 28.2.2022).

LGBTI Personen berichteten außerdem über Diskriminierung in den Bereichen Wohnen, Beschäftigung, Bildung und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Einzelpersonen berichteten, dass ihnen aufgrund ihrer LGBTI-Identität gekündigt oder berufliche Chancen verweigert wurden. Einige wurden mit Erpressung und der Drohung konfrontiert, sie würdenentlassen, enterbt, verleugnet, verhaftet oder strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere LGBTI Personen fanden es aufgrund ihrer LGBTI-Identität unmöglich, im Land zu leben und verließen daher das Land oder waren dabei, dies zu tun. Viele fürchteten um ihr Leben oder Missbrauch durch Familienmitglieder oder Behörden. Eltern konnten bei den Sicherheitsdiensten informelle „Haftbefehle“ für Kinder, einschließlich erwachsener Kinder, beantragen, um ihre Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes auszusetzen, Reisen ins Ausland zu verhindern oder von den Behörden zu verlangen, dass sie zwangsweise in Gewahrsam der Familie zurückgebracht werden, selbst wenn Familienmitglieder zuvor das Leben der Person bedroht hatten (USDOS 12.4.2022).

 

Quellen:

 

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 13.7.2022

- HRW–Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 13.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 13.7.2022

 

19. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz erlaubt im Allgemeinen Freizügigkeit im Inland und im internationalen Reiseverkehr, obwohl einige internationale Flüge aufgrund von Gesundheitsmaßnahmen, die die Ausbreitung von COVID-19 verhindern sollen, eingeschränkt wurden (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Zu den Einschränkungen der Freizügigkeit aufgrund von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie gehörten auch vorübergehende Reisebeschränkungen zwischen den Regierungsbezirken (USDOS 12.4.2022).

[Anm.: Zu den Zugangsbeschränkungen für Flüchtlinge aus Syrien und Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen s. Abschnitt „IDPs und Flüchtlinge“.]

 

Quellen:

 

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 13.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 13.7.2022

 

20. IDPs und Flüchtlinge

Jordanien hat die Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet (UNO Flüchtlingshilfe o.D.). Die Gesetze des Landes bieten kein Recht auf Gewährung des Asyl-oder Flüchtlingsstatus und die Regierung hat kein formales System zum Schutz von Flüchtlingen vorgesehen (USDOS 12.4.2022). Jordanien unterzeichnete jedoch 1998 eine Vereinbarung mit dem UNHCR, in der die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und dem UNHCR in der Flüchtlingspolitik für Nicht-Palästinenser betont wird. Jordanien verpflichtet sich außerdem zur Einhaltung des „Grundsatzes der Nichtzurückweisung“ (IOM 15.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Außerdem erlaubt die Vereinbarung anerkannten Flüchtlingen einen Aufenthalt von maximal einem Jahr, währenddessen der UNHCR eine dauerhafte Lösung für sie finden muss (USDOS 12.4.2022).

Jordanien ist eines der am stärksten von der Syrien-Krise betroffenen Länder und beherbergt den zweithöchsten Anteil an Flüchtlingen pro Kopf der Bevölkerung weltweit (UNHCR 9.2021). Die Regierung gewährt [geflüchteten] Personen vorübergehenden Schutz. Die Grenzübergänge des Landes zu Syrien blieben für neu ankommende Flüchtlinge allerdings geschlossen. Syrer dürfen ohne vorherige Genehmigung des Innenministeriums oder eine gültige Aufenthaltsgenehmigung in einem Drittland nicht nach Jordanien einreisen. Syrer, die sich als Flüchtlinge in Jordanien aufhalten, können Syrien offiziell für einen kurzen Zeitraum besuchen, ohne ihren Status in Jordanien zu verlieren, wenn sie im Voraus eine Genehmigung des Innenministeriums für die Wiedereinreise nach Jordanien einholen (USDOS 12.4.2022).

Syrische Flüchtlinge, die zwischen 2017 und 2021 freiwillig aus Jordanien nach Syrien zurückkehrten, sahen sich laut Human Rights Watch schweren Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung durch die syrische Regierung und ihr nahestehende Milizen ausgesetzt. Obwohl Jordanien kein formelles Wiedereinreiseverbot für syrische Flüchtlinge verhängt hat, erklärten jordanische Grenzbeamte, dass sie drei bis fünf Jahre lang nicht wieder nach Jordanien einreisen dürften (HRW 13.1.2022). Laut den NGOs Freedom House und Human Rights Watch wurden syrische Flüchtlinge zuweilen gewaltsam in Gebiete gebracht, in denen sie Gefahr laufen, zurückgewiesen zu werden, wie z. B. in das Lager Rubkan nahe der syrischen Grenze (FH 28.2.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Bei einer Zurückweisung besteht für sie die Gefahr von Folter, Vergewaltigung und weiterer körperlicher Gewalt (FH 28.2.2022).

Über 85 % der nach Jordanien geflüchteten Syrer lebten außerhalb der Flüchtlingslager. Die Behörden setzten weiterhin einen Beschluss vom Januar 2019 durch, der es dem UNHCR verbietet, Personen als Asylsuchende zu registrieren, die offiziell zum Zweck der medizinischen Behandlung, des Studiums, des Tourismus oder der Arbeit in das Land eingereist sind. Dadurch wird die Anerkennung von Nicht-Syrern als Flüchtlinge effektiv verhindert, was dazu führt, dass viele Personen ohne UNHCR-Dokumente oder Zugang zu Dienstleistungen bleiben (HRW 13.1.2022). Bis September 2021 betraf der Registrierungsstopp mehr als 5.500 Personen (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung toleriert den verlängerten Aufenthalt vieler Iraker und anderer Flüchtlinge über den Ablauf der Besuchserlaubnis hinaus (USDOS 12.4.2022).

Jordanien beherbergt neben den über 2 Millionen palästinensischen Flüchtlingen weiterhin rund 670.000 syrische Flüchtlinge und mehr als 87.000 geflüchtete Personen anderer Nationalitäten (UNHCR 9.2021; vgl. FH 28.2.2022). Die jordanischen Behörden schoben 2021 mindestens sechs beim UNHCR registrierte jemenitische Asylbewerber ab und erließen Abschiebungsanordnungen gegen weitere, die Asylanträge gestellt hatten (HRW 13.1.2022).

Die Behörden setzten die Umsetzung des Jordan Compact Plans fort, der darauf abzielt, die Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge durch die Gewährung neuer legaler Arbeitsmöglichkeiten und die Verbesserung des Bildungssektors zu verbessern (HRW 13.1.2022). Die Regierung gewährte syrischen Flüchtlingskindern weiterhin Zugang zu kostenloser Grund-und Sekundarschulbildung. Bis zum Ende des Schuljahres 2020-21 blieben jedoch schätzungsweise 50.650 Syrer und 21.540 Nicht-Syrer ohne Schulbildung. Nicht-syrische Flüchtlinge müssen für den

Besuch von staatlichen Schulen bezahlen (USDOS 12.4.2022). Formelle Arbeit für UNHCR-registrierte nicht-syrische Flüchtlinge ist nicht erlaubt. Nicht-syrische Flüchtlinge, die eine Arbeitserlaubnis beantragen wollten, müssen auf ihre Registrierung beim UNHCR verzichten. Der informelle Arbeitsmarkt ist weiterhin der wichtigste Beschäftigungssektor für Flüchtlinge. Syrische Flüchtlinge sind hauptsächlich im informellen Sektor beschäftigt, da nur eine begrenzte Anzahl von gebührenfreien Arbeitserlaubnissen zur Verfügung steht und die Sektoren, in denen Flüchtlinge arbeiten durften, begrenzt sind. Seit 2016 hat die Regierung mehr als 239.000 Arbeitserlaubnisse für vom UNHCR registrierte syrische Flüchtlinge ausgestellt, davon 94,5 % für Männer. Die meisten dieser Arbeitserlaubnisse, die Zugang zu Sektoren gewähren, die für ausländische Arbeitskräfte offen sind, sind nicht mehr gültig. Die Erteilung von neuen Arbeitserlaubnissen ging im Laufe des Jahres weiter zurück, was zum Teil auf die COVID-19-Maßnahmen zurückzuführen ist (USDOS 12.4.2022).

Jordanien setzte seine differenzierte Politik in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der Flüchtlinge fort: Seit Oktober 2012 verweigert Jordanien allen Palästinensern die Einreise aus Syrien -bis dahin waren etwa 7.000 Palästinenser nach Jordanien eingereist. Viele wurden entweder nach Syrien zurückgeschickt oder in Einrichtungen wie dem CyberCity-Flüchtlingslager untergebracht, das sie nur verlassen konnten, um nach Syrien zurückzukehren, außer sie fanden einen jordanischen Bürgen (MAGYC 4.2022).

Der Zugang zu grundlegenden Behördendiensten, einschließlich der Erneuerung von Ausweispapieren und der Registrierung von Eheschließungen, Todesfällen und Geburten, war für palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS -Palestinian Refugees from Syria) weiterhin äußerst kompliziert. Diese Schwachstellen setzten Flüchtlinge ohne Papiere einem zusätzlichen Risiko des Missbrauchs durch Dritte wie Arbeitgeber und Vermieter aus (USDOS 12.4.2022).

Langjährige palästinensische Flüchtlinge, meist aus dem Gaza-Streifen stammend und ohne jordanische Staatsbürgerschaft, leiden unter starker Benachteiligung unter anderem bei der Arbeitssuche (Aljazeera 18.12.2021). Für PRS mit jordanischer Staatsbürgerschaft blieb der mögliche Entzug dieser Staatsbürgerschaft ein Problem. Dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) waren mindestens 50 Fälle bekannt, in denen die Staatsbürgerschaft seit Beginn des Syrienkonflikts im Jahr 2011 entzogen wurde. In den meisten Fällen machten die Behörden keine Angaben zu den Gründen für den Entzug. Einige PRS mit legalen Papieren berichteten darüber hinaus von Verzögerungen von bis zu vier Jahren bei der Erneuerung ihrer Papiere (USDOS 12.4.2022). Einige PRS und andere Flüchtlinge wohnen im König-Abdullah-Park (KAP), einem ungenutzten, eingezäunten öffentlichen Raum, der seit 2016 für die Unterbringung von PRS, gemischten syrischen PRS-Familien und einigen Personen anderer Nationalitäten, die aus Syrien kamen, genutzt wurde. Die Flüchtlinge im Park waren einer ganzen Reihe von Problemen ausgesetzt, unter anderem Überbelegung und Platzmangel. Das Lager entspricht nicht den internationalen Standards und es fehlt an mehreren wichtigen Einrichtungen. Die dort untergebrachten PRS waren nicht in der Lage, die Aufenthaltsgebühren an das Innenministerium zu zahlen, um einen legalen Status zu erhalten, ohne den sie keinen Zugang zu formalen Lebensunterhaltsmöglichkeiten hatten. Viele PRS, die keinen legalen Status in Jordanien haben, schränken ihre Bewegungsfreiheit selbst ein, um nicht in Kontakt mit den Behörden zu kommen (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden ließen keine Hilfslieferungen aus Jordanien an Zehntausende Syrer in Rukban zu, einem inoffiziellen Lager an der jordanischen Grenze zu Syrien. Die Behörden haben darüber hinaus im Jahr 2020 Syrer nach Rukban abgeschoben, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Abschiebung anzufechten (HRW 13.1.2022).

Es gab auch Berichte über Zwangsumsiedlungen straffälliger syrischer Flüchtlinge in das Azraq-Flüchtlingslager, darunter viele in das beschränkte/gesperrte Dorf von Azraq (Village 5), als Alternative zur Abschiebung (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung schränkte die Bewegungsfreiheit von registrierten syrischen Flüchtlingen und Asylbewerbern innerhalb des Landes ein. Bewohner von Flüchtlingslagern mussten eine Genehmigung beantragen, wenn sie das Lager für Familienbesuche oder zum Arbeiten verlassen wollten, was ihre Bewegungsfreiheit einschränkte. Durch die Pandemie sank die Wahrscheinlichkeit, eine solche Genehmigung zu erhalten, erheblich. Die Papiere von PRS und anderen Flüchtlingen wurden von den Behörden während ihres Aufenthalts im Lager einbehalten, und die Bewohner mussten eine Ausreise beantragen, um das Lager verlassen zu können (USDOS 12.4.2022).

 

Quellen:

 

- Aljazeera (18.12.2021): Jordan: Palestinian refugees struggle amid UNRWA funding cuts, https://www.aljazeera.com/news/2021/12/18/jordan-palestinian-refugees-struggle-amid-unrwa-funding-cuts , Zugriff 13.7.2022

- Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Jordan 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070335.html , Zugriff 13.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 13.7.2022

- HRW –Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html , Zugriff 13.7.2022

- IOM –International Organisation for Migration (15.2.2022): Jordan Country Trends Report Study Research On Vulnerability To Trafficking In Persons Among The Crisis-Affected Populations In The Levant Region, 2021, https://jordan.iom.int/sites/g/files/tmzbdl991/files/documents/jo_country-trends_0.pdf , Zugriff 13.7.2022

- MAGYC –Migration Governance and Asylum Crises (4.2022): The Jordan Compact, https://www.magyc.uliege.be/upload/docs/application/pdf/2022-05/d.2.6_v3_april2022.pdf , Zugriff 18.7.2022

- UNHCR –United Nations High Commissioner for Refugees (9.2021): Fact Sheet: Jordan, https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/Jordan%20country%20factsheet%20-%20September%202021.pdf , Zugriff 13.7.2022

- UNO Flüchtlingshilfe (o.D.): Hilfe für Flüchtlinge in Jordanien, https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/jordanien , Zugriff 14.7.2022

- UNRWA –United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (o.D.): Where We Work: Jordan, http://www.unrwa.org/where-we-work/jordan , Zugriff 12.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 13.7.2022

 

21. Grundversorgung und Wirtschaft

Ein großes Problem in Jordanien ist vor allem der Mangel an natürlichen Ressourcen (GIZ 31.12.2021).

Ende Februar dieses Jahres hat die Regierung den Gesamthaushaltsplan für 2022 mit einem Ausgabenvolumen von mehr als 12 Mrd. JD gebilligt. Dieser sieht einen Zuwachs der Staatsausgaben vor, während Maßnahmen zur Erhöhung der Einnahmen fehlen. Das hohe Haushaltsdefizit im Jahr 2022 wird Jordanien weiterhin von ausländischen Zuschüssen und der Aufnahme von Krediten bei Banken und Finanzmärkten abhängig machen. Die Staatsverschuldung lag Ende des Jahres 2021 bei 101,9 % des BIP (WKO 4.2022a).

Im November 2021 haben hunderte Jordanier gegen steigende Preise und die Verteidigungsgesetze protestiert, die der Regierung außerverfassungsmäßige Befugnisse einräumen. In Jordanien kommt es nur noch selten zu Protesten, da die zunehmenden autoritären Maßnahmen der Regierung die Demonstranten abschrecken. Die Wut über die wirtschaftlichen Bedingungen und die als hart empfundenen Verteidigungsgesetze haben jedoch zu einer der seltenen öffentlichen Aktionen geführt (TNA 12.11.2021).

Die jordanische Wirtschaft wurde von der Covid-19-Pandemie schwer getroffen (TNA 12.11.2021; vgl. WKO 4.2022a) und die Auswirkungen der regionalen Krisen sind anhaltend spürbar. Nach einem Wirtschaftsabschwung von 1,6 % im Jahr 2020 erholte sich die Wirtschaft 2021 mit einem Wachstum von 2,5 % (WKO 4.2022a). Mit dem niedrigen Wachstum geht eine hohe Arbeitslosenquote von, im Jahr 2020, fast einem Viertel der Erwerbsbevölkerung einher (TNA 12.11.2021; vgl. WKO 4.2022a). Im Jahr 2021 konnte Jordanien diese Zahl auf 22 % senken (WKO 4.2022a), wobei die tatsächliche Arbeitslosenquote wahrscheinlich höher ist, da eine erhebliche Anzahl von Menschen in Jordanien im informellen Sektor arbeitet (TNA 12.11.2021). Die Inflationsrate (Veränderung des Preisindex) ist von 0,4 % im Jahr 2020 auf 1,3 % im Jahr 2021 gestiegen (WKO 4.2022b), was auf die weltweit steigenden Lebensmittel-und Ölpreise zurückzuführen ist. Ein schwächer werdender US-Dollar, an den der jordanische Dinar gekoppelt ist, erzeugt weiterhin einen gewissen importbedingten Inflationsdruck (WKO 4.2022a).

Der Mindestlohn für jordanische Arbeitnehmer ist derzeit auf 260 JD (ca. 365 Euro, für Ausländer 230 JD/323 Euro) festgelegt (ILO 3.2021; vgl. TJT 25.1.2022). Aufgrund der negativen Auswirkungen der Pandemie auf viele Sektoren hat der dreigliedrige Arbeitsausschuss beschlossen, die für 2022 geplante Erhöhung des Mindestlohns auf das nächste Jahr zu verschieben (TJT 25.1.2022). Der netto Durchschnittslohn liegt bei 480,96 JD (ca. 674 Euro) (GTAI 5.2022). Dabei werden Arbeitnehmerrechte wie Löhne, Überstunden, Sicherheits-und andere Standards oft nicht eingehalten (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Einige ausländische Arbeitnehmer sehen sich gefährlichen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt (USDOS 12.4.2022), insbesondere in bestimmten Sektoren wie der Landwirtschaft und dem Baugewerbe sowie bei Arbeitsmigranten. Syrische Flüchtlinge sind besonders gefährdet, ausgebeutet zu werden, und da viele von ihnen keine Arbeitserlaubnis haben, arbeiten sie oft im informellen Sektor zu niedrigen Löhnen (FH 28.2.2022). Rund ein Drittel der jordanischen Bevölkerung lebt weiterhin in relativer Armut, und Frauen sind in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gegenüber Männern benachteiligt (GIZ 31.12.2021).

Die jordanische Bevölkerung ist sehr jung: Knapp 33 % der 10,2 Millionen Einwohner sind unter 15 Jahre alt (WKO 4.2022b). Der jungen Bevölkerung mangelt es an produktiven Einkommensmöglichkeiten (GIZ 31.12.2021). Dies führt dazu, dass die Jugendarbeitslosenquote bei den 15 bis 24-Jährigen bei über 40 % liegt (WKO 4.2022b), andere Quellen schätzen sie sogar auf über 50 % (DGVN 21.12.2021; vgl. TNA 12.11.2021). Die Erwerbsquote der Frauen liegt trotz eines etwas höheren Anteils an gebildeten Frauen im Vergleich zu Männern unter 14 % (WKO 4.2022b).

Neben der Syrienkrise liegt die größte Herausforderung für Jordanien weiterhin in der langfristigen Wasser-und Energieversorgung des Landes. Jordanien zählt zu den wasserärmsten Ländern der Welt und die jährlichen erneuerbaren Wasserressourcen Jordaniens liegen bei etwa 88 m3pro Person, was als einer der niedrigsten Werte der Welt gilt und unter der globalen Grenze für absolute Wasserknappheit von 500 m3liegt. Durch die Corona-Krise ist der Wasserverbrauch um etwa 10 % gestiegen. Heute liegt das Wasserdefizit bei 30-35 % (WKO 4.2020a). Darüber hinaus ist die Industrie in Jordanien schwach ausgeprägt, das Bevölkerungswachstum hingegen mit 2,6 % (Stand 2017) hoch. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in Städten (GIZ 31.12.2021), die Einwohner des Gouvernorates Amman machen schätzungsweise allein 42 % der jordanischen Bevölkerung aus (DOS 2021).

Mit dem Zustrom von bis zu 1,2 Millionen Syrern zu Beginn des Arabischen Frühlings und des syrischen Bürgerkriegs bis Mitte 2018, als Jordanien seine Grenzen schloss, gehörte Jordanien zu den Staaten, die an erster Stelle mit der großen Anzahl an den Flüchtlingen zu tun hatten. Die Schätzungen der Flüchtlingszahlen reichen von 671.000 beim UNHCR registrierten Flüchtlingen bis zu 1,2 Millionen nach Schätzungen der jordanischen Regierung (FES 10.2020). Die hohe Anzahl an Flüchtlingen verstärkt zusätzlich den Druck auf knappen natürlichen Ressourcen des Landes (v.a. Wasser) (GIZ 31.12.2021). 33.000 Flüchtlingsfamilien in Jordanien erhalten vom UNHCR direkte finanzielle Hilfe. Der Bedarf ist aber wesentlich höher, über 80 % der Geflüchteten leben unterhalb der Armutsgrenze (DGVN 21.12.2021).

Laut einer ILO-Umfrage berichteten 95 % der syrischen Flüchtlings-Haushalte in Jordanien von Einkommensverlusten nach dem Ausbruch von Covid-19 (TNA 12.11.2021).

 

Quellen:

 

- DGVN –Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (21.12.2021): UN-Flüchtlingshilfe in Jordanien: Kampf gegen Armut und Perspektivlosigkeit, https://dgvn.de/meldung/un-fluechtlingshilfe-in-jordanien-kampf-gegen-armut-und-perspektivlosigkeit , Zugriff 14.7.2022

- DOS –Department of Statistics [Jordanien] (2021): Statistical Yearbook of Jordan, 2021, http://dosweb.dos.gov.jo/DataBank/Population_Estimares/PopulationEstimates.pdf , Zugriff 14.7.2022

- FES –Friedrich-Ebert-Stiftung (10.2020): Jordan, International Financial Institutions and Social Justice, https://library.fes.de/pdf-files/bueros/amman/16643.pdf , Zugriff 14.7.2022

- FH –Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 13.7.2022

- GIZ –Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (31.12.2021): Jordanien, https://www.giz.de/de/weltweit/360.html , Zugriff 14.7.2022

- GTAI –Germany Trade & Invest (5.2022): Wirtschaftsdaten Kompakt. Jordanien, https://www.gtai.de/resource/blob/12346/bac1f429e03629f3c089a8994e68d613/GTAI-Wirtschaftsdaten_Mai_2022_Jordanien.pdf , Zugriff 14.7.2022

- ILO –International Labour Organization (3.2021): Regulatory Framework Governing Migrant Workers, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_776521.pdf , Zugriff 14.7.2022

- TJT –The Jordan Times (25.1.2022): Minimum wage increase deferred due to COVID crisis —Labour Ministry, https://www.jordantimes.com/news/local/minimum-wage-increase-deferred-due-covid-crisis-%E2%80%94-labour-ministry , Zugriff 14.7.2022

- TNA –The New Arab (12.11.2021): Jordanians march against defence laws, rising prices, https://english.alaraby.co.uk/news/jordanians-march-against-defence-laws-rising-prices , Zugriff 27.7.2022

- UNESCO –UNESCO-UNEVOC -United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization –International Centre for Technical and Vocational Educationand Training (2.2020): Facilitating female employment in Jordan. Key Issues and Trends, https://unevoc.unesco.org/yem/Female+unemployment+in+Jordan+YEM+Blog&context =, Zugriff 14.7.2022

- WKO –Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (4.2022a): Außenwirtschaft Wirtschaftsbericht Jordanien (Gesamtjahr 2021), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/jordanien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 14.7.2022

- WKO –Wirtschaftskammer Österreich [Österreich](4.2022b): Länderprofil Jordanien, http://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-jordanien.pdf , Zugriff 14.7.2022

 

22. Medizinische Versorgung

Das Versorgungsniveau ist in Amman sehr gut. Hier sind besonders die beiden großen Privatkrankenhäuser der Maximalversorgung, das Al-Khalidi Medical Center und das Arab Medical Center, zu nennen. Außerhalb der Hauptstadt ist mit starken Einschränkungen zu rechnen, v.a. auch hinsichtlich des Rettungsdienstes bei Unfällen (AA 14.7.2022). Jordanien ist regional führend im Medizintourismus, wobei Staatsangehörige aus den Nachbarländern und den Ländern des Golfkooperationsrates (GCC) sich in Jordanien behandeln lassen (ITA 25.10.2021).

Der medizinische Standard in den öffentlichen Krankenhäusern ist gut, die Krankenpflege entspricht nicht immer europäischem Niveau. Privatkliniken haben einen besseren Standard. Medikamente sind ausreichend erhältlich. Die medizinische Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht oder nur mit Einschränkungen westeuropäischem Standard. Private Krankenhäuser sind besonders im Raum Amman zahlreich und mit westeuropäischem Standard größtenteils vergleichbar (BMEIA 14.7.2022).

Kinder unter 6 Jahren, Personen im Alter von ≥ 70 Jahren und Bürger, die in den am wenigsten begünstigten und abgelegenen Gebieten wohnen, wurden von den Nutzungsgebühren für die in den Einrichtungen des Gesundheitsministeriums erbrachten Gesundheitsdienstleistungen befreit (EMHR 24.2.2020). Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund 75 Jahren (WKO 4.2022b).

Die Regierung gewährte Männern großzügigere Sozialversicherungsleistungen als Frauen. Bei Hinterbliebenenpensionen unterscheidet sich z.B. der ausgezahlte Betrag je nach Geschlecht des Empfängers. Die Gesetze und Verordnungen über die Krankenversicherung für Beamte erlauben es Frauen, ihren Krankenversicherungsschutz auf Familienangehörige oder Ehepartner auszudehnen (USDOS 12.4.2022). Das Zivilversicherungsprogramm ist ein halbautonomer Fonds, der vom Gesundheitsministerium verwaltet wird und 41,7 % der formal krankenversicherten Jordanier eine Krankenversicherung bietet. Das Zivilversicherungsprogramm deckt alle Staatsbediensteten und ihre Angehörigen für die Versorgung in Einrichtungen des Gesundheitsministeriums und in anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ab, auf der Grundlage eines nach Dienstgrad und Dienstjahren gestaffelten Systems (EMHR 24.2.2020).

Die Hälfte der Flüchtlinge in Jordanien gilt laut Vereinten Nationen als medizinisch vulnerabel Der UNHCR unterstützt weiterhin eine Reihe von Maßnahmen der primären, sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung (UN 4.8.2020). Syrischen Flüchtlingen, die außerhalb von Lagern leben –laut UNO Flüchtlingshilfe ca. 83 % (UNO Flüchtlingshilfe o.D.), wird der Zugang zur subventionierten Gesundheitsversorgung versagt (FH 28.2.2022). Flüchtlinge, die in Städten leben, haben Schwierigkeiten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu erhalten (EC 10.5.2022).

 

Quellen:

 

- AA–Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.7.2022): Jordanien -Reise-und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008 , Zugriff 14.7.2022

- BMEIA –Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.7.2022): Jordanien, Reiseinformationen, Gesundheit & Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/jordanien/ , Zugriff 14.7.2022

- EC –European Commission (10.5.2022): European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations –Jordan Factsheet, https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/where/middle-east/jordan_en , Zugriff 27.7.2022

- EMHR –Eastern Mediterranean health journal (24.2.2020): Actuarial cost and fiscal impact of expanding the Jordan Civil Insurance Programme for health coverage to vulnerable citizens, https://applications.emro.who.int/emhj/v26/02/10203397-2020-2602-206-211.pdf?ua=1&ua=1 , Zugriff 14.7.2022

- FH–Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 -Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html , Zugriff 13.7.2022

- IT –International Trade Administration (25.10.2021): Jordan –Country Commercial Guide: Healthcare, https://www.trade.gov/country-commercial-guides/jordan-healthcare , Zugriff 14.7.2022

- UN –United Nations Jordan (4.8.2020): Covering the cost of healthcare remains a struggle for refugees in Jordan, https://jordan.un.org/en/86561-covering-cost-healthcare-remains-struggle-refugees-jordan , Zugriff 14.7.2022

- UNO Flüchtlingshilfe (o.D.): Hilfe für Flüchtlinge in Jordanien, https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/jordanien , Zugriff 14.7.2022

- USDOS –United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html , Zugriff 14.7.2022

- WKO –Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (1.4.2022b): Länderprofil Jordanien, http://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-jordanien.pdf , Zugriff 14.7.2022

 

23. Rückkehr

Informationen zum Umgang mit Rückkehrern stehen nicht zur Verfügung.

 

 

 

 

23. Individuell (geschiedene, alleinerziehende Frauen, Kinder, Versorgungslage, Gewaltschutz, Frauen allgemein, UNRWA Registrierung der BF1, Palästinenser)

 

 

23.1. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Informationen über rund 80 Länder zu Themen der internationalen Zusammenarbeit liefert, berichtete unter anderem, dass es mehr als 90 jordanischen Frauenorganisationen gibt, die Mitglieder der staatlich kontrollierten General Federation of Jordanian Women sind:

 

Unabhängige Frauenorganisationen, die sich für verbesserte Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen einsetzen, existieren in Jordanien seit den 1940er Jahren. Die genderpolitische Wirkung der Arbeit der Frauenorganisationen blieb unter anderem aus zwei Gründen begrenzt: 1) die starke Politisierung eines Teils der Organisationen (z.B. für die Befreiung Palästinas), die zu Konflikten mit dem jordanischen Sicherheitsapparat bzw. zur Schließung von Organisationen führte; 2) die Vereinnahmung und Monopolisierung des Genderthemas durch Mitglieder der Königsfamilie, vor allem durch Prinzessin Basma, eine Schwester von König Hussein I. Exemplarisch ist hier das Nationale Jordanische Frauenkomitee zu nennen, das mit Hilfe internationaler Entwicklungsgelder unter der Schirmherrschaft von Prinzessin Basma über Jahre zahllose Hochglanzbroschüren produziert hat, ohne dass sich an der für Frauen miserablen Gesetzeslage etwas Wesentliches geändert hätte.

Alle jordanischen Frauenorganisationen (nach staatlichen Angaben mehr als 90) sind Mitglied der staatlich kontrollierten General Federation of Jordanian Women (GFJW)

•Jordanian Women's Union »

•Arab Women Organisation » (Vorsitzende: Leila Hamarneh)

•Sisterhood is Global/Jordan (Vorsitzende: Asma Khader)

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (2.2017): Jordanien, Gesellschaft, https://www.liportal.de/jordanien/gesellschaft/ , Zugriff 22.3.2017

 

Die oben schon erwähnte GIZ berichtete weiter, dass die von Königin Rania gegründete Organisation Jordan River Foundation unter anderem in der Anti-Gewalt-Prävention und im Kinderschutz arbeitet:

 

Die Vorreiterrolle bei der Armutsbekämpfung beanspruchen in Jordanien sogenannte "RONGOs" (Royal NGOs), Nichtregierungsorganisationen, die Mitgliedern der Königsfamilie unterstehen. All diese Organisationen sind im Bereich der sogenannten "Income Generation" aktiv. Die Königin Noor-Stiftung hat unter anderem ein Mikrokredit-Programm aufgelegt; der Jordanian Hashemite Fund for Human Development finanziert Maßnahmen für Frauen und Jugendliche; die von Königin Rania gegründete Jordan River Foundation arbeitet unter anderem in der Anti-Gewalt-Prävention und im Kinderschutz.

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (2.2017): Jordanien, Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/jordanien/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 22.3.2017

 

23.2. Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Amman vom 13.09.2022, hg. eingelangt am selben Tag

 

1. Welche staatlichen Sozialleistungen (Familienbeihilfe, Kindergeld, Mindesteinkommen) gibt es und sind diese für eine alleinstehende, geschiedene Frau mit zwei minderjährigen Kindern zugänglich, wenn sie das Sorgerecht hat und die Väter der Kinder keinen Unterhalt für die Kinder zahlen?

- Die Frau sollte vor dem zuständigen Gericht gegen jeden Vater zwei separate Klagen einreichen, in welchen sie abhängig von ihrer Religion (als Familie) Unterhaltszahlungen verlangt.

- Beachten Sie bitte weiters, dass wir das Ministerium für Sozialentwicklung aufsuchten, um Erkundigungen über Sozialleistungen einzuholen, welche in der Praxis in einem solchen Fall bereitgestellt werden können und sie gaben uns die folgenden Informationen: a. Die Frau sollte über das Onlineportal `Nationaler Beihilfefond´ (naf.gov.jo ) beim National Aid Fund / Nationalen Beihilfefond einen Antrag zum `Unified Cash Transfer Program´/ Einheitlichen Geldtransferprogramm einbringen. Die Frau wird aufgefordert werden, Informationen hinsichtlich der finanziellen Situation, des Einkommens, der Ausgaben etc. vorzulegen. b. Sobald der besagte Antrag eingetroffen ist, wird sie ein Angestellter des National Aid Fund befragen. Danach wird sie ein vom National Aid Fund ernanntes Organ zuhause aufsuchen, um die in ihrem Antrag angeführten Informationen zu bestätigen.

 

- Die im Ministerium für Sozialentwicklung angestellte Person verständigte uns weiterhin darüber, dass derartige Fälle üblicherweise pro Monat im Durchschnitt JOD 100,00 (einhundert Jordanische Dinar) erhalten, wobei dies von ihrer finanziellen Situation und den Umständen abhängig ist.

- Die angestellte Person unterrichtete uns weiterhin auch darüber, dass, sollte der Fall eintreten, dass die Familie (die Frau und ihre zwei minderjährigen Kinder) zur „mittellosen Familie“ erklärt wird, diese Familie dann auch eine Krankenversicherung erhält.

 

2. Gibt es eine Möglichkeit über die staatliche Unterstützung hinaus oder zusätzlich dazu von NGOs Hilfe zu erhalten (wenn diese nicht ausreichend ist)?

Es gibt NGOs und/oder Einrichtungen der Zivilgesellschaft (Civil Society Organisations / CSOs), welche in Jordanien Familien mit niedrigen Einkommen finanzielle Unterstützung zukommen lassen, wobei dies von deren finanzieller Situation und/oder den Umständen abhängig ist.

Die in Jordanien tätigen CSOs und die von ihnen angebotenen Dienstleistungen sind in dieser Website aufgelistet: Civil Society Organizations in Jordan, Comprehensive Guide to Civil Society Organizations in Jordan (civilsociety-jo.net) / zivilgesellschaftliche Einrichtungen in Jordanien, umfassender Leitfaden zu zivilgesellschaftlichen Einrichtungen in Jordanien.

3. Stellt die jordanische Regierung irgendeine Art von grundlegender Mindestunterstützung zur Verfügung? Sollte dies bejaht werden, wie hoch ist diese und wer kann sie beantragen? Welche allgemeinen Sozialleistungen gibt es (z.B. staatliche Krankenversicherung)?

Bitte beachten Sie unsere Antwort zur obigen Frage Nr. 1.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Amman vom 13.09.2022, hg. eingelangt am selben Tag)

 

23.3. Lt. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022 ist Frau XXXX (BF1) bei UNRWA als Flüchtling registriert, sodass sie in den Genuss von Unterstützung von UNRWA kommt.

Die Kinder (BF2, BF3) sind nicht bei UNRWA registriert, womit sie zwar derzeit keinen Anspruch auf UNRWA-Unterstützung haben, sie können aber potenziell als Nicht-Flüchtlingskinder registriert werden und somit Anspruch auf UNRWA Unterstützung erlangen.

Nach internationalem Recht und dem Grundsatz der Einheit der Familie gelten die Kinder von Flüchtlingen und ihre Nachkommen ebenfalls als Flüchtlinge, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist.

UNRWA stellt direkte Dienst- und Hilfsleistungen zur Verfügung.

Das Tätigkeitsspektrum des Hilfswerks umfasst Bildung, medizinische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, die Infrastruktur, Verbesserung der Flüchtlingslager, Mikrokredite und Nothilfe.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022)

 

23.4. Lt. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 23.03.2017 bekommt eine alleinerziehende Mutter in Bezug auf die Erziehung der Kinder auf alle Fälle das Sorgerecht, wenn sie unter normalen Bedingungen lebt (Ausnahmen sind Sonderfälle, wo man der Kindesmutter vorwerfbares Verhalten nachweisen kann, zB unmoralisches Verhalten, Drogensucht, Alkoholsucht, unmoralisches Verhalten). In diesen Fällen wird der Vater zum Unterhalt von einem Zivilgericht verpflichtet, jedoch meist nur in geringem Ausmaß (zB ca. 120 Euro pro Kind), was natürlich im realen Leben nicht ausreicht.

Der jordanische Staat ist in der Lage und willens, Kindern Schutz vor gewalttätigen Vätern zu gewähren, wenn solche Anschuldigungen von Gewalt nachgewiesen werden können. Dafür wurde eine Sonderabteilung bei der Polizei (PSD: Public Security Directorate), ‚Family Protection Unit‘ eingerichtet. Abteilungen der Family Protection Unit sind in jedem Regierungsbezirk eingerichtet.

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 23.03.2017)

 

23.5. Im August veröffentlichte der Nationale Rat für Familienangelegenheiten (NCFA), eine zivilgesellschaftliche Organisation unter dem Vorsitz der Königin, Richtlinien für die Reaktion auf häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder. Frauen können Beschwerden über Vergewaltigung oder körperliche Misshandlung bei bestimmten NGOs oder direkt bei den Justizbehörden einreichen. Aufgrund gesellschaftlicher Tabus und erniedrigender Behandlung auf Polizeistationen wurden geschlechtsspezifische Straftaten jedoch oft nicht gemeldet. NGOs betonten auch, dass es keine offiziellen Zahlen über die Prävalenz von Gewalt gegen unverheiratete Mädchen und Frauen ab 50 Jahren gebe.

Im Januar verurteilte der Große Strafgerichtshof einen Mann zu siebeneinhalb Jahren Haft mit Zwangsarbeit, weil er seine 16-jährige Tochter mehr als 300 Mal sexuell missbraucht hatte. Social-Media-Aktivisten und Frauenrechtler verurteilten das Urteil als zu milde im Verhältnis zum Ausmaß des Verbrechens und forderten eine Rechtsreform, um die Verwendung mildernder Faktoren durch Richter bei der Verhängung von Strafen für solche Verbrechen zu beseitigen.

Die FPD untersuchte im Laufe des Jahres mehr als 4.000 Fälle und überwies 90 Fälle an staatliche Unterkünfte und mehr als 100 an eine nichtstaatliche Unterkunft. Einige NGOs und Anwälte berichteten über Druck, Fälle von körperlicher Misshandlung vor Gericht zu bringen, und behaupteten, dass Gerichte routinemäßig zwei Drittel der Fälle von Körperverletzung fallen ließen, die zu geringen oder keinen körperlichen Verletzungen führten. Ehegattenmissbrauch ist technisch gesehen ein Scheidungsgrund, aber Ehemänner beanspruchten manchmal kulturelle Autorität, um ihre Frauen zu schlagen. Beobachter stellten fest, dass, während die Richter im Allgemeinen die Behauptung einer Frau über Missbrauch vor Gericht unterstützten, aufgrund von gesellschaftlichem und familiärem Druck und Angst vor Gewalt wie "Ehrenmorden" nur wenige Frauen rechtliche Rechtsmittel suchten.

Im März kündigte die PSD die Fusion der Jugendpolizei mit der FPD an, um die Bemühungen zum Schutz von Kindern und Familien zu vereinen. Die PSD, die Justiz und die Ministerien für Justiz, Gesundheit und soziale Entwicklung entwickelten gemeinsam ein formelles Mediationsverfahren, einschließlich eines Handbuchs mit Richtlinien. Ein spezialisierter "Vergleichsrichter" muss die Lösung jedes Falles überwachen und die Zustimmung beider Parteien bestätigen, Empfehlungen von Anbietern für psychische Gesundheit und Sozialarbeitern erhalten und gemeinnützige Arbeit anordnen, Strafanzeigen aufheben und Schutzanordnungen erlassen.

NGO-Vertreter berichteten, dass weniger Frauen Gefahr laufen, Opfer von "Ehren"-Verbrechen zu werden, aber mehr Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen, die im Land tätig sind, hat geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere häusliche Gewalt, während der COVID-19-Pandemie zugenommen. Emotionaler und körperlicher Missbrauch, der oft von einem intimen Partner oder Familienmitglied begangen wurde, waren die häufigsten Formen des Missbrauchs.

Gouverneure nutzten das Verbrechensverhütungsgesetz, um Frauen zu ihrem Schutz administrativ zu inhaftieren. Das Ministerium für soziale Entwicklung betrieb ein Frauenhaus für Frauen, die von Gewalt und "Ehren"-Verbrechen bedroht waren. Bis Oktober hatte das in Amman ansässige Frauenhaus für Frauen, die von "Ehrenverbrechen" bedroht sind, 268 Frauen betreut, darunter Verwaltungshäftlinge aus dem Juweideh Women's Correctional and Rehabilitation Center, Frauen, die von der FPD an das Frauenhaus verwiesen wurden, und Frauen, die von Gouverneuren direkt an das Frauenhaus verwiesen wurden. Das Ministerium für soziale Entwicklung änderte die Satzung, um Kindern unter 10 Jahren zu erlauben, ihre Mütter zu begleiten, einschließlich Müttern, die zuvor in Schutzhaft gehalten worden waren.

Die FPD betrieb eine Hotline für häusliche Gewalt und erhielt Anfragen und Beschwerden per E-Mail und persönlich. Das Ministerium für soziale Entwicklung unterhielt eine zweite Unterkunft für weibliche Opfer häuslicher Gewalt in Irbid. NGO-Berichte deuteten darauf hin, dass vor und während der COVID-19-Pandemie alle von der Regierung betriebenen Unterkünfte weit unter der Kapazität arbeiteten.

Die NCFA veröffentlichte einen dreijährigen nationalen Plan, um auf geschlechtsspezifische Gewalt, häusliche Gewalt und Kinderschutz zu reagieren. NGOs berichteten, dass Gesundheitsdienstleister und Lehrer aufgrund fehlender Zeugenschutzgarantien immer noch zögerten, Missbrauch zu melden. Spezialisierte Richter beschleunigten weiterhin Fälle häuslicher Gewalt; Ordnungswidrigkeitenfälle dauerten laut FPD etwa drei Tage, um gelöst zu werden. Die NCFA unterstützte die Regierung bei der Entwicklung von Mediationsrichtlinien.

NGOs berichteten über Verbesserungen der Verfahren und Richtlinien im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in Strafverfolgung und Justiz, seit Revisionen von einem NCFA-Ausschuss empfohlen wurden, der nach Protesten gegen den Umgang mit einem Fall von 2020 eingerichtet wurde, in dem ein Mann angeblich seine erwachsene Tochter mit einem Ziegelstein zu Tode geprügelt hat. Im März verurteilte das Grand Felonies Court einen Mann, der seiner Frau 2019 die Augen ausgestochen hatte, ein Fall, der als Jerash-Verbrechen bekannt ist, wegen vorsätzlichen Mordes und verurteilte ihn zu 30 Jahren Haft mit Zwangsarbeit.

 

Das Gesetz sieht nicht unbedingt den gleichen Rechtsstatus, die gleichen Rechte und Erbschaftsbestimmungen für Frauen vor wie für Männer. Frauen wurden in verschiedenen Bereichen diskriminiert, darunter Scheidung, Sorgerecht, Staatsbürgerschaft, Arbeitsplatz und unter bestimmten Umständen der Wert ihrer Aussage vor einem Scharia-Gericht, das sich mit zivilrechtlichen Angelegenheiten befasst. Die jordanische Nationale Frauenkommission, eine quasi-staatliche Organisation, betrieb eine Hotline, um Diskriminierungsbeschwerden entgegenzunehmen.

 

23.6. Jordanier palästinensischer Herkunft waren im Parlament und in leitenden Positionen in Regierung und Militär sowie bei der Zulassung zu öffentlichen Universitäten unterrepräsentiert. Sie hatten nur begrenzten Zugang zu Universitätsstipendien, waren aber in der Privatwirtschaft gut vertreten.

 

(Quelle: USDOS- US Department of State, 2021 Country Report on Human Rights Practices, Jordan, veröffentlicht: 12.04.2022)

 

Beweiswürdigung:

 

3.1. Die Feststellungen zur Identität, zur Staatsangehörigkeit und Herkunft der BF1-3 ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben der BF1, an denen auf Grund ihrer Sprachkenntnisse, der örtlichen Kenntnisse und Gegebenheiten auch nicht zu zweifeln war, sowie aus den im Verfahren vorgelegten original jordanischen Reisepässen der BF1-3 inkl. Nationalnummern. Die Feststellung hinsichtlich eines Visumsantrages im Jahr 2015 durch die BF1 bei der ungarischen Botschaft in Amman resultiert aus einem betreffenden Aktenvermerk im behördlichen Verfahren und einem do. Auszug aus dem Visa-Informationssystem.

 

Die Feststellung, wonach die BF1 bei UNRAWA registriert ist und die BF2 und 3 als deren Kinder ebenso als Flüchtlinge gelten und eine entsprechende Registrierungsmöglichkeit und die Möglichkeit eines Leistungsbezuges besteht, ergibt sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022, an deren Richtigkeit kein Grund zu zweifeln besteht. Dies entspricht ferner auch der seitens der BF1 vorgelegten Family Registration Card (OZ 10) und den damit in Einklang stehenden Angaben der BF1 in der Beschwerdeverhandlung (VHS, S 14).

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit der BF1-3 resultieren aus den in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben der BF1.

 

Die getroffenen Feststellungen zu den familiären Verhältnissen und dem Privat- und Familienleben der BF1-3 im Herkunftsstaat, ergeben sich aus den Angaben der BF1, den Angaben der BF2 und den vorgelegten Unterlagen (Geburtsurkunden der BF2-3, Scheidungsurkunde der BF1 von ihrem dritten Ehemann, Familienregisterauszug bezüglich des dritten Ehemannes im Original, vgl. OZ 10, Beilagen zur VHS).

Die festgestellte Anzahl der in Jordanien lebenden Geschwister der BF1 resultiert aus deren Angaben in der hg. Verhandlung und besteht kein ersichtlicher Grund, zumindest an dieser Anzahl zu zweifeln. Eine abschließende Feststellung hinsichtlich der familiären Verhältnisse, insbesonders hinsichtlich des Todes von Angehörigen in Jordanien und zu allfälligen weiteren Geschwistern in Jordanien und dem Aufenthalt von Geschwistern in Deutschland, konnte jedoch aufgrund der Widersprüche im Vorbringen der BF1 nicht getroffen werden.

Die Feststellungen hinsichtlich der Ausbildung der BF1 sowie deren Berufstätigkeit und des Schulbesuches der BF2 in Jordanien ergeben sich aus den Angaben in der hg. Verhandlung.

 

Aufgrund der gravierend widersprüchlichen Angaben der BF1 zu ihren Lebensumständen in Jordanien konnten jedoch keine abschließenden bzw. näheren Feststellungen zu ihrer persönlichen Situation vor der Ausreise getroffen werden, es ergibt sich jedoch aus den Ausführungen der BF1 in der hg. Verhandlung insgesamt zweifelsfrei, dass diese und die BF2 und BF3 durchgehend bis zur Ausreise über eine eigene Wohnmöglichkeit verfügten und ihnen Unterstützung zur Bestreitung ihres Unterhaltes zukam bzw. die BF1 selbst durch die Aufnahme einer Arbeit als Mitarbeiterin eines Securitydienstes dazu beitrug.

 

Was die Ausführungen der BF1 zu ihren Lebensumständen vor der Ausreise betrifft, so fällt auf, dass diese insbesondere ihre persönlichen und familiären Verhältnisse in der behördlichen Einvernahme weitaus prekärer darstellte, als in der späteren Beschwerdeverhandlung, doch weichen auch die Angaben der BF1 in der Beschwerdeverhandlung markant voneinander ab.

Zu ihren Wohnverhältnissen in Jordanien erklärte die BF1 vor dem BFA, ständig bei Freunden und ihrer Schwester untergekommen zu sein (AS 63), da sie nach ihrer Scheidung „keine Bleibe“ gehabt habe (AS 65). Sie habe ihre Kinder bei einer Bekannten baden dürfen (AS 63) und von einer Freundin, die im Krankenhaus arbeite, Essen bekommen (AS 67). Sie habe jeden Tag woanders übernachtet und die Tage in einem Park verbracht (AS 67).

Vor dem erkennenden Gericht machte die BF1 demgegenüber keine Angaben mehr, die auf eine wie in der behördlichen Einvernahme gleichsam vorliegende Obdachlosigkeit der BF1-3 vor der Ausreise hindeuten würden, sondern gab die BF1 an, nach ihrer dritten Scheidung (laut vorgelegter Scheidungsurkunde am XXXX vgl. OZ 10) bis zur Ausreise bei ihrem Bruder „zuhause“ gelebt zu haben, der auch für ihren Unterhalt aufgekommen sei (vgl. VHS, S 10).

Davor habe sie mit der BF2 unter anderem bei ihrer Mutter im Haus der Familie gelebt, doch habe einer ihrer Brüder ( XXXX ) das Haus geerbt und nicht gewollt, dass die BF1 weiter dort lebe, weswegen sie nach dem Tod der Mutter in eine Mietwohnung gezogen sei, welche ihr Bruder XXXX für fünf Monate bezahlt habe (VHS, S 11). Ein weiterer Bruder der BF, XXXX , werde von einer Person aus den Golfstaaten unterstützt. Diese Person bzw. ihr Bruder XXXX hätten auch die BF1-3 ein Jahr nach dem Tod der Mutter der BF1 im Jahr XXXX bis zur Ausreise unterstützt und die Wohnung finanziert (VHS, S 12).

 

Ob die BF1-3 kurz vor der Ausreise alleine in einer Mietwohnung oder bei einem Bruder der BF1 lebten, konnte aufgrund der aufgezeigten divergierenden Darstellung nicht abschließend festgestellt werden, wobei jedoch anzumerken ist, dass die BF1 hg. angab, dass alle ihre Angehörigen in XXXX leben würden (VHS, S 5), die BF1-3 zuletzt jedoch in XXXX gewohnt hätten, was ein Zusammenleben mit dem Bruder des BF1 bis zu Ausreise ausschließt.

Auch wenn aufgrund der unterschiedlichen Angaben die konkreten Wohnorte der BF nicht feststellbar waren, ist jedoch – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Angaben der BF2 in der hg. Verhandlung, wonach sie vor der Ausreise in einer Wohnung gelebt hätten und die BF2 auch ihr eigenes Zimmer gehabt habe, jedenfalls davon auszugehen, dass die BF1-3 (entgegen der Angaben der BF1 vor dem BFA) in Jordanien durchgehend über eine eigene Unterkunft bzw. Wohnmöglichkeit verfügt und zu ihren Angehörigen Kontakt hatten (Angaben der BF2 in der hg. Verhandlung) und hinsichtlich der Lebenserhaltungskosten unterstützt wurden (VHS 12: Finanzierung des Unterhalts und der Wohnung durch zumindest zwei Brüder bis zur Ausreise, Unterstützung durch eine Person aus den Golfstaaten, Unterstützung durch eine Organisation für Waisen und auch durch ihren ehemaligen Schwiegervater, staatliche Unterstützung) bzw. die BF1 selbst einer Arbeit nachging.

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die BF1 hg. angab, von einer Freundin, welche in Kanada und Jordanien lebe, den Hausschlüssel für ihre Wohnung in Amman bekommen zu haben. Aus welchen Gründe ihr ihre „Familie“ verboten haben sollte, diesen Schlüssel anzunehmen, konnte die BF1 dabei jedoch nicht plausibel erklären (VHS, S 18), weswegen von einer weiteren Wohnmöglichkeit für die BF1-3 vor der Ausreise auszugehen ist.

 

Auch bezüglich ihrer Familienangehörigen in Jordanien machte die BF1 im Verfahren markant widersprüchliche Angaben und erwähnte sowohl in der Erstbefragung als auch vor dem BFA vorhandene Geschwister, zu denen Kontakt bestehe, trotz konkreter Nachfrage nicht. So berichtete die BF1 im Rahmen der Erstbefragung lediglich von zwei Brüdern und ihren Eltern, die jedoch alle bereits verstorben seien (AS 21). Vor dem BFA nach Verwandten in Jordanien befragt, erklärte die BF1 vorerst vage, nur entfernte Verwandte zu haben und fügte erst auf Vorhalt der Einvernahmeleiterin, wonach sie bei Schilderung ihrer Lebensverhältnisse auch eine Schwester angeführt habe, hinzu, auch eine Schwester und einen jüngeren Bruder in Jordanien zu haben; eine Schwester würde in XXXX leben, zwei weitere Brüder seien verstorben. Die daraufhin gestellte Frage, ob sie nun alle Geschwister aufgezählt habe, bejahte die BF1 (AS 63).

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung befragt, welche Verwandten die BF1 noch im Heimatland habe, führte sie vorerst lediglich ihre Onkel und Tanten, erneut jedoch keine Geschwister an (VHS, S 10). Zwar wurden von der BF1 im Laufe der Verhandlung Brüder und Schwestern erwähnt, wonach sie insgesamt acht Brüder und drei Schwestern (gehabt) habe und davon fünf Brüder und eine Schwester in Jordanien leben würden, gab die BF1 jedoch erst auf wiederholtes, konkretes Nachfragen hin an (vgl. VHS, S 13). Befragt, warum sie in der Erstbefragung lediglich zwei verstorbene Brüder (AS 21) nannte, entgegnete die BF, auch dort sieben Brüder erwähnt zu haben, was jedoch nicht zutrifft.

 

Das soeben dargelegte Antwortverhalten der BF1 bzw. der Versuch, Informationen vorerst zurückzuhalten, wirkt sich zu Lasten ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit aus. Vor allem bestärkt auch die Reaktion der BF1 auf Vorhalt ihrer früheren Angaben (vgl. VHS, 13: VR: Warum gaben Sie in der Erstbefragung nur zwei Brüder an? BF1: Ich habe nur XXXX nicht erwähnt, weil er verstorben ist. Die anderen sieben habe ich erwähnt. VR: Sie sagten, dass XXXX und XXXX gestorben seien. Mehr sagten Sie nicht. BF1: Nein, XXXX und XXXX ist gestorben. XXXX ist bereits als Baby verstorben. VR: Beim BFA haben Sie die Anzahl Ihrer Geschwister anders angegeben. [Vorhalt AS 63] BF1: Ich habe geantwortet, wie ich gefragt wurde.), die den von der BF1 unterschriebenen Protokollen widerspricht, den Eindruck mangelnder Bereitschaft, konkrete Angaben zu ihren familiären Verhältnissen sowie zu ihrer tatsächlichen und potentiellen Versorgungslage in Jordanien zu machen.

 

Auch das BFA hielt im angefochtenen Bescheid bereits beweiswürdigend fest, dass die BF1 den Eindruck erweckte, bewusst Informationen zu verschweigen, um eine ausweglose Situation in Jordanien ins Treffen führen zu können und schließt sich auch die erkennende Richterin nach Berücksichtigung sämtlicher Aussagen der BF1 im Verfahren und der Durchführung der hg. Verhandlung, in der ein persönlicher Eindruck von der BF gewonnen werden konnte, dieser Ansicht an.

 

In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass nicht abschließend festgestellt werden konnte, ob die Eltern der BF1 noch leben. Zwar gab die BF1 im Verfahren durchwegs an, dass ihre Eltern verstorben seien und legte auch deren Sterbeurkunde in Kopie vor. Aus der Kopie der Sterbeurkunde der Mutter der BF ist XXXX als Todesjahr vermerkt. Es ergaben sich in ihren Aussagen jedoch vielfach Ungereimtheiten, die gravierende Zweifel am Vorbringen der BF1 aufkommen lassen. Eine Verifizierung des in Kopie vorliegenden Schriftstückes war nicht möglich.

So fällt auf, dass die BF1 in der Erstbefragung und der behördlichen Einvernahme erklärte, dass ihre Mutter XXXX gestorben sei (AS 21, 62), während sie in der mündlichen Verhandlung angab, diese sei XXXX verstorben. Darüber hinaus, führte die BF1 in der Beschwerdeverhandlung gänzlich unschlüssig an, dass ihr ihre Eltern vor circa zwei Jahren, somit im Jahr 2020, Dokumente aus Jordanien geschickt hätten (VHS, S 9). Schließlich meinte die BF1, dass ihre Mutter zum Zeitpunkt ihrer dritten Eheschließung, welche sie ungefähr im Jahr XXXX einordnete (vgl. VHS, S 15: die dritte Ehe habe nur drei Monate gedauert und sei geschieden worden, als sie im siebten Monat schwanger gewesen sei, gerechnet vom Geburtsdatum der BF3 somit Ende XXXX ), zu ihr nach XXXX gekommen sei (VHS, S 20), was ebenfalls gegen deren Tod im Jahr XXXX spricht.

Ihre dritte Ehescheidung ordnete die BF in der behördlichen Einvernahme im Gegensatz zu ihren Angaben in der hg. Verhandlung, wonach sie anlässlich der Scheidung schwanger gewesen sei, weiters dahingehend ein, dass ihre Tochter XXXX (BF3, geb. am XXXX ungefähr zwei Jahre alt gewesen sei, als sie geschieden worden sei (AS 66). Lt. vorgelegter Kopie der Scheidungsurkunde erfolgte die Scheidung jedoch am XXXX

 

Dass Kontakt zu Onkeln und Tanten sowie einer Schwester der BF1 besteht, wurde von der BF1 in der Beschwerdeverhandlung selbst glaubhaft angegeben (VHS, S 11, 14). Der festgestellte Kontakt zu Geschwistern der BF1 (VHS, S 5: Es ist spontan, wenn wir sie anrufen. Wir facetimen.) ergibt sich aus den Angaben der BF2 (VHS, S 5).

 

Ferner lässt sich aus den Angaben der BF1 auch ableiten, dass sie sowohl von ihren Geschwistern (vgl. VHS, S 10: „Mein Bruder hat mich finanziell unterstützt.“…“Ich habe bei ihm zuhause gewohnt und er ist für unseren Unterhalt aufgekommen“ VHS, S 11: „Mein Bruder XXXX hat mich unterstützt und für mich die Miete fünf Monate lang bezahlt.“ VHS, S 12: „Mein Bruder XXXX hat meinen Unterhalt und meine Wohnung finanziert...“ VHS, S 15: „…Mein Bruder hat Schulsachen für die Kinder gekauft“), ihrem ehemaligen Schwiegervater (VHS, S 18: „Er hat nur 50 Dinar für XXXX bezahlt. Nachgefragt, alle zwei bis drei Monate einmal bezahlte er es.“) als auch von Freunden und Bekannten (vgl. VHS, S 12: „Mein Bruder XXXX hat meinen Unterhalt und meine Wohnung finanziert, weil er finanzielle Unterstützung von einer Person aus den Golfstaaten bekommt. Diese Person hat auch mich und meine Kinder unterstützt“… „Nur 80 Dinar. Er hat die Miete bezahlt“…VHS, S 19: „Ich habe mir die 4000 von der Freundin in Kanada ausgeborgt.“) (finanziell) unterstützt worden sei.

 

Auch der (zeitweilige) Erhalt von staatlichen Leistungen in der Vergangenheit wurde von der BF1 glaubhaft angegeben (vgl. VHS, S 10, 11).

 

Dass die BF1 in Jordanien einer Erwerbstätigkeit nachging und einen nicht näher feststellbaren Zeitraum, zumindest jedoch für mehrere Monate – abschließende Feststellungen zum betreffenden Zeitraum waren aufgrund der Antworten der BF1 nicht möglich - als Security tätig war, wurde von der BF1 erstmals in der Beschwerdeverhandlung angegeben (VHS, S 10), nachdem die BF2 angegeben hatte, dass ihre Mutter (BF1) während des Aufenthaltes in der alten Wohnung, in der die BF2 ein eigenes Zimmer besessen und alltäglich Besuch von ihren Cousins und Cousinen erhalten habe, immer gearbeitet habe und sie einen Babysitter gehabt hätten. Auch aus den Schilderungen der BF2, wonach die BF1 „immer“ gearbeitet habe und sie und die BF3 deswegen einen Babysitter gehabt haben und die BF1 nach Erhalt eines besseren Jobs in der Nähe des Hauses sich um die BF2 und die BF3 selbst gekümmert habe, ergibt sich, dass die BF1 – entgegen ihren Angaben vor dem BFA (vgl. AS 63) – in Jordanien bereits berufstätig war. Auch fällt auf, dass die BF1 in der Einvernahme beim BFA ausführte, in Jordanien nicht arbeiten gegangen zu sein, in der hg. Verhandlung erst nach den Angaben der BF2 jedoch erklärte, drei Monate als Security gearbeitet zu haben, um Geld zu sparen. Über Vorhalt der Angaben ihrer Tochter (BF2), wonach sie ‚immer‘ gearbeitet habe, modifizierte die BF1 ihre Ausführungen erneut und erklärte, auch zwei Monate am Flughafen, sohin insgesamt 5 Monate gearbeitet zu haben (VHS 10). Aufgrund der dargelegten widersprüchlichen Ausführungen der BF1 und der Angaben der BF2 ist davon auszugehen, dass die BF1 in Jordanien längere Zeit einer Arbeit nachging, der betreffende Zeitraum ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Angaben der BF1 und der BF2 und des soeben dargelegten Antwortverhaltens der BF1 nicht abschließend feststellbar.

 

Dass die BF2-3 über Arabischkenntnisse verfügen, ergibt sich aus den Angaben der BF1-2 in der hg. Beschwerdeverhandlung (VHS, S 6). Da die BF1 über bloß rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt ist ferner davon auszugehen, dass die BF1 mit ihren Töchtern überwiegend, wenn nicht ausschließlich, auf Arabisch kommuniziert, die BF2-3 mit der arabischen Sprache dementsprechend gut vertraut sind und sie diese – entgegen der Angaben der BF1 – auf gutem Niveau beherrschen. Ferner ist im Fall der BF2 auch aufgrund des Schulbesuches und der Aufenthaltsdauer in Jordanien davon auszugehen, dass sie in der Lage ist, Arabisch gut zu verstehen und zu sprechen und ist im Zuge des angegebenen zweijährigen Schulbesuches im Herkunftsstaat auch davon auszugehen, dass sie die arabische Schrift zumindest in Grundzügen gelernt hat.

 

Die legale Ausreise der BF1-3 aus Jordanien mit einem Flugzeug, die Flugroute, die Asylantragstellung am Flughafen XXXX die illegale Einreise in das österreichische Bundesgebiet sowie das Datum der Asylantragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

 

Was die legale Ausreise der BF mit Reisepässen betrifft, so kann dem BFA in seiner Beweiswürdigung auch nicht entgegengetreten werden, wenn es darauf verweist, die BF1 habe in der Erstbefragung über Befragen zur Organisation ihrer Ausreise ausdrücklich erklärt, sie habe alles selbst erledigt (AS 25), ohne die Beiziehung eines Schleppers zu nennen. Es wird auch darauf verwiesen, dass für die Ausreise der Kinder die Sorgeberechtigte jedoch eine schriftliche Einverständniserklärung des Kindesvaters vorweisen muss, die mit dem Datum, Unterschrift des Kindesvaters und dem Stempel der Polizei versehen werden muss (der Kindesvater geht selbst mit Ausweis und Familienbuch zur Polizei, wo entweder er selbst oder ein Polizist seine Einverständniserklärung festhält (Auskunft des Verbindungsbeamten für den Mittleren Osten vom 13.11.2017 an das BFA)).

 

Erst in der behördlichen Einvernahme gab die BF erstmalig an, einem Bekannten 2000 Dinar gegeben zu haben und erklärte über Vorhalt der einvernehmenden Referentin, wonach man lt. vorliegenden Länderinformationen das Einverständnis der Väter der minderjährigen Kinder benötige, der Mann, dem sie die 2000 Dinar bezahlt habe, habe dies ermöglicht und habe man am Flughafen gesehen, dass die Väter verurteilt seien. Die BF1 gab über Vorhalt der Feststellung hinsichtlich der Ausreisemodalitäten minderjähriger Kinder in der hg. Verhandlung an, die beschriebene gesetzliche Lage treffe zu, doch habe der Schlepper alles für sie organisiert. Auch die Reisepässe habe der Schlepper organisiert.

 

Die dargelegte markante Unstimmigkeit bezüglich der Organisation ihrer Ausreise spricht nicht für die Glaubwürdigkeit der Angaben der BF1, sondern vielmehr dafür, dass die BF1 ihre Ausreise aus Jordanien selbst organisierte, wie sie dies in der Erstbefragung schilderte und auch die dafür notwendige Zustimmung der jeweiligen Väter für die Ausreise erhalten und das Land legal verlassen hat, wobei die Zustimmung der Väter lt. den vorgenommenen Feststellungen anlässlich der Ausreise überprüft wird. Bereits dieser Umstand der notwendigen Zustimmung der Väter für die Ausreise spricht dafür, dass die BF1-3 keine Gefährdung durch ihre Exmänner bzw. Väter zu gewärtigen hatten.

Lt. Akteninhalt (AS 79) hatte die BF1 auch bereits im Jahr 2015 einen Visumsantrag bei der ungarischen Botschaft in Amman gestellt, welcher jedoch abgelehnt worden war. In der hg. Verhandlung befragt, ob sie bereits einmal ein Visum beantragte, verneinte dies die BF. Auch diese Ungereimtheit spricht gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben der BF und vermag ihre Erklärung über Vorhalt des Widerspruches, wonach der Schlepper alles selber gemacht habe, und sie nicht gewusst habe, was dieser tat, die dargelegte Divergenz nicht auszuräumen.

Die Visumsbeantragung im Jahr 2015 steht ferner in Widerspruch zur Angabe der BF in der Erstbefragung, wonach sie zwei Monate vor der Erstbefragung (26.10.2017), zurückgerechnet sohin Ende August 2017 den Ausreiseentschluss gefasst habe.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF1-3 ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der BF1, zuletzt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (VHS, S 3). Es wurden auch keine medizinischen Unterlagen die BF1-3 betreffend vorgelegt, die auf eine Erkrankung der BF1-3 hindeuten würden.

 

Die festgestellte Arbeitsfähigkeit der BF1 ergibt sich aus dem Umstand, dass die BF1 bereits in Jordanien berufstätig war. Es sind angesichts des Alters und Gesundheitszustandes der BF1 keine Hinweise ersichtlich, weshalb sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte.

 

Dass die BF1-3 abgesehen von einander über keine weiteren Familienangehörigen oder nahe Bezugspersonen in Österreich verfügen und kein Mitglied eines Vereins sind und die BF1 kaum Integrationsbemühungen unternahm, konnte anhand der unwiderlegten Angaben der BF1-2 festgestellt werden (VHS, S 4f.).

 

Dass die BF2 über Schulfreunde verfügt und mit diesen ihre Freizeit verbringt, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der BF2 in der Beschwerdeverhandlung.

 

Der Schulbesuch der BF2 in Jordanien und in Österreich konnte anhand der unwiderlegten Angaben der BF2 in der Beschwerdeverhandlung (vgl. VHS, S 5) und des vorgelegten Jahreszeugnisses der Neuen Mittelschule XXXX betreffend das Schuljahr 2021/2022 festgestellt werden (OZ 17). Aus dem vorgelegten Jahreszeugnis ergibt sich auch die Beurteilung des Verhaltens der BF2 in der Schule sowie im Unterrichtsfach Deutsch.

Die Feststellung zum Besuch der Nachmittagsschule durch die BF3 konnte anhand der vorgelegten Bestätigung der Marktgemeinde XXXX getroffen werden (vgl. OZ 17). Von einem Besuch der Volksschule durch die BF3 ist insbesondere aufgrund der Angaben der BF1 in der Beschwerdeverhandlung auszugehen. Die BF1 gab dabei glaubhaft an, dass ihre Tochter die erste Klasse der Volksschule wiederholen muss (VHS, S 7). Ein Schulzeugnis bzw. eine Bestätigung der Schule wurden jedoch nicht vorgelegt.

 

Dass die BF1 in Österreich nicht erwerbstätig und daher auch nicht selbsterhaltungsfähig ist, sondern seit ihrer Einreise für sich und die BF2-3 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem des Bundes und den damit übereinstimmenden Angaben der BF1-2.

 

Dass die BF1 bisher keine Deutschkurse besucht oder Deutschprüfungen abgelegt hat, wurde von ihr glaubhaft vorgebracht. Die festgestellten rudimentären Deutschkenntnisse der BF1 beruhen auf den persönlichen Wahrnehmungen der entscheidenden Richterin in der mündlichen Verhandlung (vgl. VHS, S 7).

Hinsichtlich der BF2 kann aufgrund des Schulbesuches bzw. des positiven Abschlusses des Unterrichtsfaches „Deutsch“ vom Erwerb der deutschen Sprache auf einem guten Niveau ausgegangen werden und konnte sich die erkennende Richterin in der Beschwerdeverhandlung einen persönlichen Eindruck von den Deutschkenntnissen der BF2 verschaffen. Es kann aufgrund des Schulbesuches der BF3 und der Angabe der BF2, wonach sie mit ihrer Schwester Arabisch und Deutsch spreche, davon ausgegangen werden, dass die BF3 auch über Deutschkenntnisse verfügt.

 

Dass die BF1 einen Wertekurs begonnen, jedoch nicht abgeschlossen hat und an keinen weiteren Integrationskursen teilgenommen oder Prüfungen absolviert hat, wurde von der BF1 in glaubwürdiger Weise vorgebracht. Es wurden im Verfahren auch keine Kursbesuchsbestätigungen oder Prüfungszeugnisse vorgelegt.

 

Die festgestellte Unbescholtenheit der BF1 ergibt sich aus dem hg. erstellten aktuellen Strafregisterauszug, die Strafunmündigkeit der BF2-3 aus ihrem Alter.

 

3.2. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH, 25.03.1999, 98/20/0559).

Seitens des Höchstgerichtes wurde auch in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH, 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357).

 

Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass für die Glaubhaftmachung der Angaben des Fremden es erforderlich ist, dass er die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, 95/21/0294, 95/18/1291) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, 93/18/0289), wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 23.01.1997, 95/20/0303,0304).

 

Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern.

 

Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988, 86/01/0268).

Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation des Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

 

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (VwGH v. 29.06.2000, 2000/01/0093).

Ferner ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG (Anm.: bzw. nach dessen Nachfolgerbestimmung § 3 AsylG) bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen die Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts (1991), 137 f, s. a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck, AsylG 1997, RZ 314, 524).

 

Kriterien der Glaubhaftmachung finden sich exemplarisch auch in Art. 4 Abs. 5 der StatusRL (Richtlinie 2004/83/EG ), worin folgende Faktoren angeführt werden:

 

Dass der Antragsteller sich offensichtlich bemüht hat, seinen Antrag zu substantiieren;

Dass alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

Dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

Dass der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war.

Dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

 

3.3. Die BF1 wurde in der hg. Verhandlung sowohl zu ihren Ausreisegründen als auch zu jenen der BF2-3 befragt. Die Angaben der BF in der behördlichen Einvernahme und in der hg. Verhandlung erfüllen jedoch die soeben genannten Kriterien für die Glaubwürdigkeit eines Vorbringens nicht.

 

3.3.1. Zu den Ausreisegründen der BF1-3:

Hinsichtlich der seitens der BF1 geltend gemachten Gründe für die Asylantragstellung hat bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seiner Beweiswürdigung dargelegt, dass die von der Beschwerdeführerin1 vorgebrachte Bedrohungssituation aufgrund ihrer widersprüchlichen, vagen, allgemein gehaltenen und gänzlich unkonkreten Angaben nicht glaubhaft ist.

 

Auch das erkennende Gericht kommt nach gesamtheitlicher Würdigung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung, dass das geltend gemachte ausreisekausale Vorbringen der Beschwerdeführerin als unglaubhaft zu qualifizieren ist, insbesondere da die BF1 ihre Asylantragstellung im Laufe des Verfahrens unterschiedlich begründete, durchwegs vage sowie widersprüchliche Aussagen tätigte und vor dem BFA behauptete Vorfälle trotz mehrmaligem Nachfragen in der hg. Verhandlung nicht anführte oder dazu keine konkreten Angaben machen konnte.

 

Erneut darf an dieser Stelle auch auf die markant divergierende Darstellung der konkreten Lebensumstände der BF1-3 vor der Ausreise und die Nichterwähnung vorhandener Geschwister in der behördlichen Einvernahme, die die BF1-3 in Jordanien unterstützt haben, hingewiesen werden, welche die persönliche Glaubwürdigkeit der BF1 stark in Zweifel ziehen. Vor diesem Hintergrund ist auch das weitere Vorbringen der BF1, welches auf die schwierige persönliche, finanzielle sowie familiäre Situation der BF1-3 Bezug nimmt, erheblich anzuzweifeln.

 

3.3.1.1. Die BF1 hatte anlässlich ihrer Asylantragstellung am Flughafen zur Begründung ihres Asylantrages für sich und die BF2-3 kurz angegeben, dass ihre Eltern verstorben seien und es ihr gesundheitlich nicht gut gehe (AS 1), ohne Misshandlungen oder Bedrohungen durch ihre Exmänner oder eine befürchtete Entführung bzw. Zwangsverheiratung der BF2 und der BF3 zu nennen. Im weiteren Verfahren gab die BF1 hingegen durchgehend an, gesund zu sein. Anlässlich der Erstbefragung schilderte die BF1 ausschließlich Probleme während ihrer Ehe, wohingegen sie erst in der behördlichen Einvernahme erstmalig Bedrohungen durch mehrere Exmänner und die befürchtete Entführung und Zwangsverheiratung ihrer Töchter angab.

 

Die BF1 brachte anlässlich der Erstbefragung zu ihren Ausreisegründen befragt vor, dass ihr Mann, der acht Frauen habe, öfter betrunken gewesen sei und die BF1 zum Sex mit anderen Frauen gezwungen habe. Der (Ex-)Mann der BF habe sie auch gezwungen, Alkohol zu trinken und sie geschlagen, bis sie Unterleibsblutungen gehabt habe. Sie habe dies dem Richter gesagt und sei gegen den Willen ihres Mannes geschieden worden. Sie habe geheiratet, da sie bei ihren Brüdern gelebt habe und von ihren Schwägerinnen geschlagen worden sei. Sie habe geglaubt, dass mit der Heirat alles besser werde. Sie habe das Leben nicht mehr ausgehalten und sei deswegen mit ihren Töchtern, den BF2-3, geflüchtet.

Dezidiert erklärte die BF1 abschließend, alle Gründe, aus denen sie nach Österreich gereist sei, angegeben und keine weiteren Gründe für die Antragstellung zu haben. Im Rückkehrfall würde ihr Mann sie zerstückeln (AS 25f.).

 

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar „insbesondere“ der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12). Ferner bestehen zwar Bedenken gegen eine unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189 mwN).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf die Fluchtgründe bezog und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden.

Dennoch fällt im gegenständlichen Fall ins Gewicht, dass die BF1 bei der Erstbefragung weder eine persönliche Verfolgung bzw. Bedrohung durch mehrere Ex-Männer (nach ihrer jeweiligen Scheidung) noch die den BF2-3 erst später im Verfahren angegebene drohende Entführung und Zwangsverheiratung durch deren Väter erwähnte. Entspräche dieses Vorbringen den Tatsachen, wäre unter den konkreten Umständen zumutbar und zu erwarten gewesen, dass die BF1 diese Gefahren bzw. Befürchtungen bereits in der Erstbefragung zumindest anspricht und sich nicht, wie in der Erstbefragung ausschließlich auf Probleme mit ihrem Mann während der Ehe beschränkt, wobei diese (dritte) Ehe lt. vorgelegter Scheidungsbestätigung am XXXX geschieden wurde, die BF jedoch erst am XXXX sohin mehr als zweieinhalb Jahre später ausreiste. Bezüglich des genannten Zeitraumes nannte die BF jedoch in der Erstbefragung keinerlei Probleme mit ihrem Exmann oder anderweitige Umstände, die sie zur Ausreise veranlasst hätten.

 

Wenn in der Beschwerde dazu ausgeführt wird, die BF sei anlässlich der Erstbefragung verunsichert und ängstlich gewesen, da ihr Bruder kurz zuvor verstorben sei und sie eigentlich nach Deutschland zu ihren Geschwistern gewollt habe und aufgrund ihres Aufenthaltes im Sondertransit am Flughafen in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen sei, so ist dem zu entgegnen, dass die BF in der Erstbefragung entgegen ihrer späteren Angaben, wonach eine Schwester in Deutschland lebe, nicht erwähnte, Angehörige in der EU zu haben, sondern dies verneinte (AS21), sie dort erklärte, keine Beschwerden zu haben, die sie an der Einvernahme hindern (AS21) und sie zweimal dezidiert erklärte, nur nach Österreich gewollt zu haben. Sie machte die betreffenden Angaben nach Erhalt eines Merkblattes und Belehrung, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Bundesamtes sind und unwahre Aussagen nachteilige Folgen für sie haben können. Ferner bestätigte die BF die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben nach deren Rückübersetzung mit ihrer Unterschrift (AS 29).

 

Auch gab die BF1 eingangs der behördlichen Einvernahme an, bei der vergangenen Befragung die Wahrheit gesagt zu haben. Auch in der hg. Verhandlung zu Anmerkungen hinsichtlich ihrer bisherigen Angaben befragt, machte die BF keine Ausführungen zu einer psychischen Ausnahmesituation, die ihre Angaben in der Erstbefragung beeinträchtigt hätten, sodass nicht davon auszugehen ist, dass dies tatsächlich der Fall war. Die in der Beschwerde gemachten Ausführungen hinsichtlich der Erstbefragung sind sohin als Schutzbehauptung zu qualifizieren.

 

3.3.1.2. In der behördlichen Einvernahme berichtete die BF1 zwar ebenfalls von Problemen mit ihrem drogen-bzw. alkoholabhängigen, gewalttätigen Ex- Mann bzw. sprach sie erstmals davon, dass es sich um mehrere Ex-Männer gehandelt habe. Sie begründete ihre Ausreise auf Aufforderung, die ausschlaggebenden Ausreisegründe chronologisch, für eine außenstehende Person nachvollziehbar und detailreich zu nennen, jedoch lediglich damit, in Jordanien mit Rassismus konfrontiert worden zu sein, da sie Palästinenserin sei; es herrsche viel Armut und sei die BF1 aufgrund ihrer Herkunft, vor allem auch hinsichtlich sozialer und finanzieller Unterstützung, benachteiligt worden (AS 64). Weitere Ausführungen dazu tätigte die BF1 jedoch nicht und ist insbesondere hervorzuheben, dass die BF1 die Frage nach Problemen aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit über konkretes Nachfragen zuvor ausdrücklich verneint hatte (vgl. ebenfalls AS 64).

 

Im Folgenden erneut aufgefordert, konkrete Gründe für die Ausreise zu nennen, ging die BF1 auch nicht weiter auf die vorerst behaupteten Diskriminierungen/Benachteiligungen, welche ihr als Palästinenserin widerfahren seien, ein und konkretisierte diese abgesehen von der in der hg. Verhandlung genannten Bezeichnung als ‚Belgier‘ anlässlich der Arbeitssuche (VHS S 14) auch vor dem erkennenden Gericht nicht weiter, weswegen solche auch nicht festgestellt werden konnten.

 

Vielmehr stellte die BF1 beim BFA über mehrmaliges Nachfragen der einvernehmenden Referentin Bedrohungen/Verfolgung durch ihre Ex-Ehemänner und die Absicht der gewalttätigen Kindesväter, die Töchter bald gegen Geld nach Saudi Arabien zu verheiraten, in den Raum, die sie jedoch trotz wiederholtem Nachfragen weder konkretisierte noch lebensnah schildern konnte. Die BF1 brachte in diesem Zusammenhang auch erstmals die Gefahr der Zwangsverheiratung ihrer minderjährigen Töchter, der BF2 und 3, vor, nachdem sie eigene Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen hinsichtlich der BF2-3 zuvor ausdrücklich verneint hatte (AS 61). Nähere Ausführungen tätigte die BF1 dazu jedoch ebenfalls nicht, sondern blieben ihre Angaben auf ausweichende, teilweise unschlüssige und inkonsistente Aussagen reduziert (AS 64ff, AS 71).

Die Beschwerdeführerin1 beschränkte sich insgesamt bei der Darstellung ihrer Ausreisegründe durchwegs darauf, vage und substanzlose Behauptungen aufzustellen, die nicht den Eindruck vermitteln, als würde sie tatsächliche erlebte Vorfälle schildern. Vor allem wurden die von der BF1 angesprochenen Bedrohungen/Verfolgungshandlungen nur über mehrmaliges Nachfragen seitens der einvernehmenden Referentin behauptet, ohne weitere Angaben dazu zu machen, obwohl es sich dabei um Informationen handelt, die für die Glaubhaftmachung ihres Vorbringens von besonderer Relevanz wären und seitens der einvernehmenden Referentin versucht wurde, durch Aufforderungen und Nachfragen, den Sachverhalt zu erhellen. Die konkrete Frage nach Übergriffen auf ihre Person, verneinte die BF1.

 

Über mehrmaliges und dezidiertes Fragen erwähnte die BF1 in der behördlichen Einvernahme auch erstmals, ihr zweiter Exmann habe Männer zur Schule der Tochter (BF2) geschickt, um diese zu beobachten und sie zu entführen. Nachgefragt, ob es zu einer Entführung gekommen sei, verneinte dies die BF, erklärte jedoch, ihr Exmann habe es versucht (AS 65).

Derartige Angaben hinsichtlich einer Bedrohung der BF2 machte die BF1 in der hg. Verhandlung trotz Nachfragen der Richterin (vgl. dazu die weiteren beweiswürdigenden Ausführungen) nicht, ebensowenig in der Erstbefragung, sodass aufgrund dieser Divergenzen auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die betreffenden Angaben glaubhaft sind.

 

Im Übrigen wich die BF1 der Aufforderung in der behördlichen Einvernahme, konkrete Vorfälle zu schildern auch dahingehend aus, auf ihre schlechte finanzielle Lage hinzuweisen und insbesondere das Fehlen einer Unterkunft und ausreichend Nahrung vorzubringen, ohne Vorkommnisse in Zusammenhang mit ihren Exmännern zu nennen (vgl. insbesondere AS 66, 67: LA: Schildern Sie nun Ihr Leben konkret und detailreich, beginnend nach der dritten Scheidung und führen Sie sämtliche Vorfälle konkret und lebensnah an. Anmerkung: Die VP wird über eine lebensnahe Schilderung belehrt. VP: Ich habe jeden Tag wo anders übernachtet. Mal bei meiner Schwester, mal bei meinem Bruder oder Freunde. Ich habe eine Freundin, die im Krankenhaus arbeitet, ich konnte dort meinen Töchtern was zum Essen besorgen. Die Tage habe ich teilweise im Park verbracht, damit ich den Leuten nicht auf die Nerven gehe, bei denen ich übernachtet habe. Ich möchte von dem ganzen Elend weggehen.)

 

Da die BF1 ihre Wohn-/Lebenssituation vor dem erkennenden Gericht jedoch gänzlich anders darstellte, war – wie bereits näher dargelegt – von der mangelnden Glaubhaftigkeit der betreffenden Angaben hinsichtlich schlechter Wohnverhältnisse auszugehen und lassen die offensichtlich unzutreffenden Angaben der BF1 in diesem Zusammenhang auch gravierende Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihres weiteren Vorbringens aufkommen.

 

3.3.1.3. Vor dem erkennenden Gericht, wo der BF erneut die Gelegenheit geboten wurde, umfassend sämtliche Gründe für das Verlassen ihres Herkunftsstaates zu schildern, aufgefordert, die Gründe für die Ausreise und nachfolgende Asylantragstellung so genau als möglich und von sich aus zu schildern, erklärte die BF1 vorerst Folgendes: „Die schlechten Lebensumstände, gerade ich als Frau erlebt habe. Der Vater von XXXX wollte mir XXXX immer wegnehmen. Wenn ich in Jordanien eine Arbeit suche und mich vorstellen, bekomme ich keine und sie sagen zu mir, ich komme aus Belgien. Sie verwenden diesen Ausdruck um mich nicht zu verletzten und zu sagen, dass ich Palästinenserin bin. Als alleinstehende Frau kann ich dort nicht leben.“ und fügte auf die Frage, ob sie alle Gründe angegeben habe, hinzu, dass sie „hier“ gespürt habe, ein Mensch zu sein während sie in Jordanien das Gefühl gehabt habe, nichts zu sein (VHS, S 14), ohne weiter auf die Frage einzugehen.

 

Konkrete Vorfälle in Zusammenhang mit ihren Ex-Männern oder hinsichtlich einer befürchteten Entführung und Zwangsverheiratung der BF2 und der BF3 brachte die BF1 – auch auf entsprechendes, weiteres Nachfragen hin (vgl. VHS, S 15: VR: Was war der Auslöser für Ihre Ausreise? BF1: Ich habe dort wie eine Tote gelebt und habe dort nichts. VR: Haben Sie alle Probleme und Vorfälle, die zu Ihrer Ausreise führten geschildert? BF1: Ja, das ist alles.) – abermals nicht vor. Vielmehr legte sie den Fokus ihres ausreisekausalen Vorbringens auf die schwierige Situation für alleinstehende Frauen bzw. Mütter in Jordanien und erklärte – ihren eigenen Angaben, wonach sie insbesondere von ihren Geschwistern als auch von weiteren Personen, wie ihrem Ex-Schwiegervater und einer Freundin und einer wohltätigen Organisation (vgl. auch VHS, S 15, S 18) finanziell unterstützt worden sei, deutlich widerstreitend – niemanden zu haben, der sie dort unterstützte und ihr helfe.

 

Soweit die BF1 in diesem Zusammenhang auch mangelnde staatliche Unterstützung vorbringt, ist auf die seitens Bundesverwaltungsgerichts eingeholte Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Amman vom 13.09.2022 zu verweisen, wonach der BF1 die Möglichkeit offensteht, in Jordanien einen Antrag beim National Aid Fund / Nationalen Beihilfefond zu stellen und staatliche Sozialleistungen in der Höhe von üblicherweise JOD 100,00 (einhundert Jordanische Dinar) zu erhalten. Ferner würden sie und die BF2-3 im Fall der Mittellosigkeit auch eine Krankenversicherung erhalten und gibt es auch NGOs und/oder Einrichtungen der Zivilgesellschaft (Civil Society Organisations/CSOs), welche in Jordanien Familien mit niedrigen Einkommen finanzielle Unterstützung zukommen lassen.

Schließlich hat die BF1 lt. den in das Verfahren integrierten Feststellungen auch die Möglichkeit, die ihr von ihren Ex-Männern zustehenden Unterhaltsleistungen bei Gericht einzuklagen. Dass der Vater der BF3 Geld hat, der Vater der BF2 über Grundstücke und somit Vermögen verfügt, wurde von der BF1 selbst vorgebracht (VHS, S 10 und 11).

Die Angaben der BF, die auch in anderen Bereichen nicht plausibel sind, wonach sie mehrmals versucht habe, staatliche Hilfe zu erlangen, sie jedoch nichts bekommen habe (VHS, S15), vermögen im Lichte der genannten Anfragebeantwortung jedoch nicht zu überzeugen.

Die nunmehr festzustellende auch aktuell vorliegende UNRWA Registrierung der BF1 hat ferner zur Folge, dass diese für sich und auch für die (bislang) nicht registrierten BF2 und BF3, deren Registrierung jedoch im Zuge der Familieneinheit möglich ist, Leistungen (direkte Dienst- oder Hilfsleistungen wie Bildungs- und Gesundheitsdienste, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite, Nothilfe) beziehen kann bzw. solche auch vor ihrer Ausreise beziehen konnte.

 

Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539), was im gegebenen Fall jedoch aus den soeben genannten Gründen und der bereits vor der Ausreise existenten Berufstätigkeit der BF1 zu verneinen ist. In einem darf auf die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur verwiesen werden, wonach allein wirtschaftliche Gründe eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen (VwGH 91/01/0146, 18.12.1991 Hinweis auf StammrechtssatzGRS wie 85/01/0052 E 20. Februar 1985 RS 2 (hier: Eine Enteignung von Grund und Haus ohne massive Bedrohung der Lebensgrundlage stellt lediglich einen wirtschaftlichen Nachteil dar, zumal der Asylwerber gegen Bezahlung einer Miete weiterhin dort leben konnte); gleichlautend: VwGH 90/01/0086, 30.05.1990; 88/01/0190, 09.11.1988).

 

Dem Rechercheergebnis der Botschaft vom 13.09.2022 und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022 hinsichtlich der UNRWA Registrierung und der Möglichkeit des Erhalts von Unterstützungsleistungen für alle drei Beschwerdeführerinnen kommt im gegebenen Fall aufgrund der zur Objektivität verpflichteten dortigen Beamten mehr Beweiskraft zu als den diesbezüglichen Angaben der BF1, welche auch in anderen Teilen des Vorbringens nicht plausibel sind.

Hierzu ist des Weiteren anzuführen, dass nach Ansicht des erkennenden Gerichtes den Ausführungen der österreichischen Botschaft aufgrund der als notorische Tatsache bekannten Qualität bzw. Seriosität der Arbeit österreichischer Vertretungsbehörden eine besonders hohe Beweiskraft zukommt.

 

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch festgehalten, dass die BF1 eine asylrelevante Diskriminierung von (geschiedenen) Frauen mit Kindern nicht ansatzweise darlegen konnte, sondern sich lediglich vage auf die „schlechten Lebensumstände“ und die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, die auch ihrer Volksgruppenzugehörigkeit geschuldet seien, berief (VHS, S 14 und 15).

 

Zwar wird in den Länderfeststellungen ausgeführt, dass Frauen sowohl rechtlichen als auch faktischen Diskriminierungen (v.a. in Bereichen, die der Rechtsprechung der Schariagerichte unterliegen) ausgesetzt sind, sie hinsichtlich bestimmter Sozialleistungen (FH 28.2.2022), sowie in Erbschafts-, Scheidungs-, Sorgerechts- und Staatsbürgerschaftsangelegenheiten und am Arbeitsplatz benachteiligt werden. Diesbezüglich sei jedoch angemerkt, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme als Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0396). Im Übrigen war es der BF1 laut eigener Angaben trotz allfälliger Diskriminierung bzw. Benachteiligung von Frauen in Jordanien möglich, eine Arbeit als Securitymitarbeiterin zu erhalten, (vgl. VHS, S 19), das Sorgerecht über die BF2 und BF3 zu erlangen und sich gegen den Willen zumindest eines ihrer Ex-Männer scheiden zu lassen. Auch war die BF1 imstande, mit den BF2-3 legal mit Reisepässen aus Jordanien auszureisen.

 

Erneut ist darauf hinzuweisen, dass die BF1, trotz der relativ niedrigen Quote von Frauen, die lt. Länderfeststellungen in Jordanien einer Arbeit nachgehen, vor ihrer Ausreise auch einer Arbeit als Securitymitarbeiterin nachging und den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass Jordanier palästinensischer Herkunft zwar im Parlament und in leitenden Positionen in Regierung und Militär sowie bei der Zulassung zu öffentlichen Universitäten unterrepräsentiert sind und nur begrenzten Zugang zu Universitätsstipendien haben, in der Privatwirtschaft jedoch gut vertreten sind.

Dass Palästinenser oder Frauen generell und speziell am Arbeitsmarkt massiv diskriminiert werden, ergibt sich aus den Länderfeststellungen somit nicht und sei an dieser Stelle auch festgehalten, dass Brüder der BF1 als Lehrer und Krankenhausmitarbeiter berufstätig sind (AS 63, VHS, S 12)

Auch eine Diskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche konnte die BF1 sohin nicht glaubhaft machen.

 

Davon abgesehen verfügt die BF1 in Jordanien über mehrfache familiäre Anknüpfungspunkte sowie aktuell bestehende Kontakte und kann daher auch nicht als auf sich allein gestellt angesehen werden. Dass sich ihre zahlreichen Verwandten, die ihr bisher geholfen haben, von ihr abgewandt hätten und sie in der Folge bei einer Rückkehr nicht mehr unterstützen würden, brachte die BF1 nicht glaubhaft vor und ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Angaben der BF2, wonach sie ihre Cousins und Cousinen „alltäglich“ besucht hätten (VHS, S 7), davon auszugehen, dass ein enges Verhältnis zwischen den Beschwerdeführerinnen1-3 und ihren Angehörigen in Jordanien besteht.

 

Die BF1 wurde in der hg. Verhandlung wiederholt zu ihren Ausreisegründen sowie konkreten Problemen und Vorfällen befragt, gab dazu jedoch keine konkreten Antworten, sondern beschränkte sich ihr Vorbringen auf lediglich vage und ausweichende Erklärungen, die sich auf wenige Sätze reduzierten (VHS S 14: Hier habe ich gespürt, dass ich ein Mensch bin. In Jordanien hatte ich das Gefühl, gar nichts zu sein. VHS S 15: Ich habe wirklich als Mutter und als Frau niemanden, der mich dort unterstützt und mir hilft. Es ist schwer, als alleinstehende Frau dort zu leben.) Konkret nach dem Auslöser für ihre Ausreise gefragt, gab sie an, sie habe dort wie eine Tote gelebt und nichts gehabt (VHS S 15), ohne konkrete Vorfälle oder Umstände zu benennen.

Über Befragen, warum sie Angaben, die sie im behördlichen Verfahren (Schläge durch den Mann, Zwang zum Trinken von Alkohol und zum Sex mit anderen Frauen) gemacht hatte, in der hg. Verhandlung gänzlich unerwähnt ließ, erklärte die BF, nicht danach gefragt worden zu sein und auf die Frage zu warten (VHS 15), obwohl sie zuvor wiederholt zu den Gründen und Vorfällen für ihre Ausreise befragt worden war und letztlich auch ausdrücklich erklärt hatte, alle Probleme und Vorfälle, die zu ihrer Ausreise geführt hatten, geschildert zu haben (VHS S 15). Auf die Frage nach weiteren Problemen und Vorfällen erklärte die BF, dies sei alles (VHS S 16), um über Nachfragen, warum sie weder in der Erstbefragung noch in der hg. Verhandlung die beabsichtigte Entführung und Zwangsverheiratung ihrer beiden Töchter gegen Geld erwähnte, wiederum zu entgegnen, auf die entsprechende Frage dazu gewartet zu haben (VHS S 16).

Was konkret der BF2 und der BF3 passiert sei, vermochte die BF jedoch auch über Nachfragen nicht anzugeben, sondern erklärte vage, Angst gehabt zu haben, dass die Kindesväter ihr die Töchter wegnehmen und heiraten lassen. Konkrete Vorfälle schilderte sie dazu nicht und erwähnte entgegen ihrer Angaben in der behördlichen Befragung, wonach ihr zweiter Mann Männer zur Schule der BF2 geschickt habe, um die Tochter zu entführen und dieser versucht habe, die Tochter zu entführen (AS 65), keinerlei solcher Vorkommnisse in der hg. Verhandlung.

Vielmehr erklärte die BF1 aber auch in der behördlichen Einvernahme, die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe (AS 61) und verneinte auch die Frage nach eigenen Asylgründen der Kinder in der hg. Verhandlung (VHS 14).

 

Hinsichtlich der Behauptung der BF1, wonach ihre Ex-Männer ihre Töchter entführen und zwangsverheiraten wollten, ist weiters festzuhalten, dass die BF1 in der behördlichen Einvernahme nicht vermochte, konkrete (Verfolgungs-)Handlungen ihrer Ex-Männer zu schildern (vgl. AS 65f.: LA: Wurde Ihre Tochter entführt? Welche Maßnahmen hat der zweite Mann getroffen? VP: Nein, er hat es aber versucht. Die Frau meines zweiten Ex-Mannes hat mir berichtet, dass er vorhat die Tochter zu entführen, das hat sie unter anderem gesagt, dass ich nicht zu ihm zurückgehe. LA: Welche Maßnahmen hat Ihr zweiter Mann noch getroffen? VP: Er hat mir ständig erzählt, er will sie an die Saudis verheiraten, verkaufen. Ich habe gesagt, dass ich mit meinen Töchtern keinen Handel betreibe. Er ist ein Drogendealer, er wird es nicht schaffen.) und die BF1 auch nach wie vor über die Obsorge über ihre Töchter verfügt (VHS, S 19).

 

Darüber hinaus ist hinsichtlich des zweiten Ex-Mannes der BF1/Vaters der BF2 zu berücksichtigen, dass dieser die Familie laut Angaben der BF1 in der Beschwerdeverhandlung verlassen habe (vgl. VHS, S 11: „…Als XXXX (BF2) neun Monate alt war, hat der Vater von ihr eine Beziehung zu meiner Freundin und Nachbarin aufgenommen und ist mit ihr weggereist. Er hat uns verlassen, mich in Stich gelassen und ist nicht mehr gekommen. Nach sechs Jahren habe ich mich von ihm scheiden lassen in seiner Abwesenheit. Ich hatte auch einen Anwalt. Anlässlich der Scheidung ist er bei Gericht erschienen.“) und ferner die Möglichkeit, die Obsorge über die BF2 während der dritten Ehe der BF1 zu erlangen, überhaupt nicht genutzt hat, was ebenfalls gegen ein allfälliges Interesse an der BF2 spricht (vgl. dazu AS 66: LA: Das habe ich gemeint. Hat Ihr zweiter Mann, solange sie verheiratet waren, eine Obsorgeentscheidung beantragt? VP: Nein, hat er nicht, weil der permanent im Gefängnis war. Als er das letzte Mal entlassen wurde, hatte ich auch mit dem dritten Mann Probleme, weshalb ich ging.).

 

Es wird nicht übersehen, dass die BF1 auf die Frage nach ihren Ausreisegründen in der hg. Verhandlung kurz erwähnte, der Vater der BF3 habe sie ihr immer wegnehmen wollen. Die BF führte diese Angabe jedoch trotz Nachfragen nicht näher aus und nannte keine damit zusammenhängenden Vorfälle, obwohl sie nach konkreten Vorfällen bzw. dem Auslöser für ihre Ausreise gefragt wurde (VHS 14,15), sodass im Lichte der bisherigen Ausführungen nicht von der Glaubwürdigkeit der betreffenden Angaben auszugehen war. Von der seitens der BF1 in der hg. Verhandlung in Zusammenhang mit ihren Ausreisegründen kurz erwähnten befürchteten Wegnahme eines Kindes ist aber auch die Furcht vor einer drohenden Entführung und Zwangsverheiratung gegen Bezahlung bezüglich beider Kinder zu unterscheiden, die die BF1 auch aus obigen Erwägungen nicht glaubhaft machen konnte.

 

Abgesehen davon, dass die BF1 eine ihren Töchtern drohende Entführung und Zwangsverheiratung nicht glaubhaft machen konnte, ergibt sich auch aus den in das Verfahren integrierten länderkundlichen Feststellungen keine der BF2 und der BF3 konkret und unmittelbar drohende Gefährdung oder eine generelle Gefahr von Zwangsverheiratungen in Jordanien.

So ist den betreffenden Feststellungen zur Thematik ‚Kinder‘ zu entnehmen, dass das Mindestalter für eine Heirat 18 Jahre ist und nur mit der Zustimmung eines Richters und eines Vormunds ein Kind im Alter von 16 Jahren verheiratet werden kann und haben die Richter die Befugnis zu entscheiden, ob eine solche Eheschließung im besten Interesse für das Mädchen ist. Was Kinderehen betrifft, so ist die Zahl solcher Früh- und Zwangsverheiratungen lt. Länderinformationsblatt zwar in der syrischen Flüchtlingsbevölkerung und in Flüchtlingslagern hoch. Bei den BF handelt es sich jedoch nicht um eine syrische Flüchtlingsfamilie, die in einem Flüchtlingslager lebt, sondern um jordanische Staatsangehörige, die über eigene Wohnsitze verfügte.

 

Trotz dem soeben geschilderten wiederholten Nachfragen, gab die BF entgegen ihrer Angaben beim BFA in der hg. Verhandlung auch nicht an, von den Kindesvätern während und nach der Ehe verfolgt worden zu sein, sondern bejahte dies erst über dezidiertes Nachfragen. Substantiierte Angaben zu einer konkreten Verfolgung vermochte sie jedoch nicht zu machen (VHS S 16: VR: Wie wurden Sie verfolgt? BF: Sich haben mich dauernd verfolgt und beobachtet. Sie hatten Angst, dass ich heirate und wollten ihre Töchter zu sich nehmen.)

Auch zu beim BFA behaupteten Drohungen durch ihre Exmänner vermochte die BF1 trotz eingehendem Nachfragen in der hg. Verhandlung keine konkreten Angaben zu machen und erklärte auch nicht, öfter per SMS und telefonisch bedroht worden zu sein, wie sie dies in der behördlichen Einvernahme angegeben hatte. Erst über Vorhalt dieser Angaben antwortete die BF, diese würden stimmen, ohne weitere Angaben dazu zu machen.

 

Weitere oder eigenständige Ausführungen im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung bzw. Bedrohung der BF1-3 machte die BF1, die im Herkunftsstaat bis zur Matura ein Gymnasium besuchte und somit über eine relativ gute Ausbildung verfügt, in der hg. Verhandlung somit von sich aus nicht, sondern bestätigte ihre früheren Aussagen wiederholt erst auf Vorhalt, ohne dazu jedoch nähere Auszuführungen zu machen.

Begründend für die Nichterwähnung der vor dem BFA bzw. in der Erstbefragung behaupteten Vorfälle gab sie zudem lediglich an, auf die jeweilige Frage gewartet zu haben, obwohl sie zuvor aufgefordert worden war, alle Gründe für ihre Ausreise von sich aus zu nennen, mehrmals nach Problemen und Vorfällen und dem Auslöser für ihre Ausreise gefragt worden war und die Frage, ob dies alle Probleme und Vorfälle, die zu ihrer Ausreise geführt hätten, ausdrücklich bejaht hatte, sodass die Erklärung, auf die jeweilige Frage gewartet zu haben, kein taugliches Argument für das Unterbleiben von eigenständigen Angaben der BF ist.

Exemplarisch sei hierzu aus den Seiten 15ff. der hg. Verhandlungsschrift zitiert:

 

VR: In der Erstbefragung ist nur von einem Mann die Rede, welcher Sie geschlagen und gezwungen habe, Alkohol zu trinken und Sex mit anderen Frauen zu haben. Probleme mit früheren Ehemännern brachten Sie hingegen nicht vor?

BF1: Ja das stimmt, das war der Vater von XXXX .

VR: Warum geben Sie das heute nicht an?

BF1: Sie haben mich nicht gefragt, ich warte auf die Frage.

VR: Ich habe Sie mehrmals nach Problemen und Vorfällen gefragt.

BF1 schweigt.

VR: Ich frage Sie jetzt noch einmal. Gab es weitere Probleme und Vorfälle?

BF1: Das ist alles.

VR: In der Erstbefragung und auch heute erwähnten Sie auch nicht, dass die Väter Ihrer Töchter diese entführen und nach Saudi-Arabien verkaufen bzw. zwangsverheiraten wollten.

Die D gibt an, die Frage mehrmals zu wiederholen.

BF1: Ich warte immer auf die Fragen dazu.

VR: Sie waren in Jordanien und können die betreffenden Vorfälle schildern.

BF1: Ich warte auf Ihre Fragen.

VR: Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal. Gab es weitere Vorfälle?

BF1: Beide Väter wollten die Mädchen als Kinder heiraten lassen, genau wie das meine Eltern mit mir gemacht haben. Sie nehmen die Mädchen und verkaufen sie in Saudi-Arabien.

VR: Beim BFA gaben Sie an, dass Sie von den Vätern Ihrer Kinder verfolgt werden. Was können Sie dazu sagen?

BF1: Ja.

VR: Beim BFA haben Sie angegeben, Sie sind öfters per SMS und mit Anrufen bedroht worden.

BF1: Ja, das stimmt, der Vater von XXXX hat mich so bedroht.

 

Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei tatsächlicher Existenz der seitens der BF1 geschilderten Geschehnisse bzw. Gefahren es der BF1 auch unter Berücksichtigung etwaiger kultureller Unterschiede und allfälliger Nervosität ein Anliegen gewesen wäre, diese von sich aus darzulegen. Eine derartige Vorgangsweise entspricht auch den aus mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit im Asylverfahren resultierenden Erfahrungswerten der erkennenden Richterin und werden gerade freie, emotionale Erzählungen unter Nennung zahlreicher Details auch als sog. „Realkennzeichen“ einer glaubwürdigen Darlegung in einschlägiger Literatur und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik „Glaubwürdigkeitsprüfung“, welche die erkennenden Richterin besuchte, genannt.

 

Die BF1 war jedoch in der hg. Verhandlung abermals weder in der Lage, ihre Ausreisegründe von sich aus noch über wiederholtes Nachfragen und unter Nennung von Details und Gefühlslagen darzulegen, sondern ergab sich das ausreiskausale Vorbringen aus den kurzen, vagen Antworten auf die der BF1 gestellten Fragen. Diese Angaben der BF1 in der hg. Verhandlung, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, sind dabei als abstrakt sowie emotional distanziert zu werten und sind die Antworten auf die der BF1 gestellten Fragen als ausweichend und unsubstantiiert zu qualifizieren. Eine solche Art der Darlegung der Ausreisegründe lässt jedoch nicht darauf schließen, dass die BF1 die geschilderten Geschehnisse persönlich erlebt hat und wird dadurch im vorliegenden Fall die Ansicht der erkennenden Richterin, wonach das von der BF1 behauptete Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, zusätzlich untermauert.

Auch stehen, wie bereits dargelegt, die in der hg. Verhandlung gemachten Angaben nicht in Einklang mit den Ausführungen der BF1 vor dem BFA.

 

Es ist in diesem Konnex auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren Bedacht zu nehmen (§ 15 AsylG 2005, § 13 BFA-VG) und im Rahmen der Beweiswürdigung - und damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung - zu berücksichtigen (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Die BF wurde eingangs der hg. Verhandlung hinsichtlich ihrer Mitwirkungspflicht und der Konsequenzen bei Verletzung der Mitwirkungspflicht belehrt, kam dieser Verpflichtung mit dem bereits dargelegten Antwortverhalten jedoch nicht nach, was sich einmal mehr zum Nachteil der Glaubwürdigkeit ihrer Angaben auswirkt.

 

3.3.1.4. Sofern in der Beschwerde ausgeführt wird, dass die BF1 wiederholt Opfer massiver häuslicher Gewalt gewesen sei, ist Folgendes auszuführen:

 

Auch das diesbezügliche Vorbringen war aus bereits dargelegten Gründen nicht widerspruchsfrei.

Die BF1 gab in der Erstbefragung an, sowohl von ihrem Ex-Mann als auch von ihren Schwägerinnen geschlagen worden zu sein (AS 25). Dies ordnete sie in der hg. Verhandlung dem dritten Exmann zu.

Auch vor dem BFA erklärte sie, dass sie von ihrem ersten Ex-Mann ständig geschlagen worden sei (AS 62) und bestätigte dies auch vor dem erkennenden Gericht (VHS, S 15). Sie führte an späterer Stelle der behördlichen Einvernahme jedoch auch an, dass sie mit ihrem ersten Mann während der Ehe mit ihrem dritten Mann keine Probleme mehr gehabt habe, da sie kein gemeinsames Kind mit ihm habe (AS 65). Auch vor dem erkennenden Gericht erwähnte die BF1 keine weiteren Gewalttätigkeiten durch einen ihrer Männer oder ihre Schwägerinnen nach dem Auszug bzw. der Beendigung ihrer Ehe. Sie gab jedoch, bezugnehmend auf den Vorhalt ihrer Angaben in der Erstbefragung an, von ihrem dritten Exmann während ihrer Ehe misshandelt worden zu sein (VHS, S 15).

 

Die BF ordnete die Eheschließung mit dem zweiten Exmann 2007 oder 2008 ein und erklärte, diese habe nur neun Monate gedauert. Die dritte Ehe habe nur drei Monate gedauert und sei während ihrer zweiten Schwangerschaft sohin im Jahr 2015 geschieden worden. Die vorgelegte betreffende Scheidungsbestätigung datiert mit XXXX

Die Ausreise der BF erfolgte jedoch mehr als zweieinhalb Jahr später am XXXX , sodass, sollte die BF während ihrer ersten Ehe, ihrer neunmonatigen Ehe im Jahr 2007/2008 oder ihrer dreimonatigen Ehe im Jahr 2014/2015 entgegen der Ansicht des erkennenden Gerichts tatsächlich häuslicher Gewalt ausgesetzt gewesen sein, kein zeitlicher Konnex mehr zu ihrer Ausreise besteht. Nach einschlägiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurückliegen nicht mehr beachtlich; die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung muss vielmehr bis zur Ausreise andauern (VwGH 27.06.1995, 94/20/0689, VwGH 16.02.2000, 99/01/0435). Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise mangelt, sind nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet.

 

Der BF war es auch möglich, sich scheiden zu lassen und zumindest die dritte Ehescheidung erfolgte ohne Zustimmung des betreffenden Mannes (AS 25, AS 67).

 

Nur ergänzend darf in diesem Zusammenhang nochmals angemerkt, werden, dass die BF1 in der hg. Verhandlung trotz wiederholtem Nachfragen von sich aus nicht angab, von ihren geschiedenen Männern geschlagen oder misshandelt worden zu sein.

Lediglich auf Vorhalt ihrer Angaben der Erstbefragung erklärte sie, dass es sich bei dem erwähnten, gewalttätigen Ex-Mann um den Vater der BF3 handle, führte dazu aber nicht näher aus. Gewalt gegenüber den BF2-3 brachte sie im Verfahren ebenfalls nicht vor. Ebensowenig konnte die BF Drohungen durch ihre geschiedenen Männer nach Beendigung der jeweiligen Ehe aus den bereits dargelegten Gründen glaubhaft darlegen.

 

Auch wenn die schwierige und belastende Lage von Opfern häuslicher Gewalt seitens des Gerichtes keineswegs verkannt wird, brachte die Beschwerdeführerin somit nicht vor, dass nach Auflösung der jeweiligen Ehe (zuletzt im Februar XXXX ), es weiterhin zu (häuslicher) Gewalt durch die geschiedenen Männer gekommen ist.

Ferner darf in diesem Zusammenhang pro futuro auch auf Pkt. 23.5. der hg. länderkundlichen Feststellungen verwiesen werden, wonach der jordanische Staat auf häusliche Gewalt reagiert und auch in der Lage ist, Schutz zu gewähren.

 

Es kann daher auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Jordanien tatsächlich einer Bedrohung durch ihre geschiedenen Männer ausgesetzt wäre, zumal sie auch nicht zu diesen zurückkehren müsste und der jordanische Staat auch bei potentiellen Übergriffen den hg. Feststellungen zufolge auch schutzfähig ist, sodass diesbezüglich nicht von einer aktuellen Gefährdung der BF1 ausgegangen werden kann.

 

3.3.1.5. Schließlich ist ergänzend hervorzuheben, dass laut Ausführungen der BF1 fünf Monate vor der Ausreise, als sie in XXXX gelebt habe, „nichts passiert“ sei und sie XXXX nur verlassen habe, da es dort sehr teuer sei (VHS, S 20). Auch diese Aussage der BF1 lässt den Rückschluss darauf zu, dass die BF1 Jordanien nicht aufgrund von Verfolgungshandlungen verlassen hat, sondern nicht näher feststellbare und allenfalls wirtschaftliche Gründe bzw. eine allenfalls nicht einfache Lebenssituation als Alleinerzieherin ausschlaggebend für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat waren.

 

3.3.1.6. Insofern in der Beschwerde ausgeführt wird, die BF1 sei psychisch belastet, ist festzuhalten wie folgt:

Die BF1 selbst erwähnte ein derartiges Problem im gesamten bisherigen Verfahren nicht, sondern erklärte vielmehr eingangs der Befragungen und Einvernahmen und auch zu Beginn der hg. Verhandlung über konkretes Nachfragen, psychisch und physisch in der Lage zu sein, daran teilzunehmen und in keiner ärztlichen Behandlung zu stehen.

 

Auch während der Verhandlung wurde nichts Gegenteiliges seitens der BF1 behauptet und konnte die erkennende Richterin auch keine Auffälligkeiten oder ein Unvermögen der BF1, den Fragen zu folgen und diese darauf bezugnehmend und umfassend zu beantworten, feststellen. Auch seitens der in der hg. Verhandlung anwesenden Vertretung wurde kein derartiges Vorbringen erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/01/0482, mwN).

Medizinische Unterlagen hinsichtlich einer psychischen Erkrankung hat die BF1 darüber hinaus diesbezüglich nicht in Vorlage gebracht, sodass keine diesbezüglichen Feststellungen zu treffen oder hinsichtlich des Aussageverhaltens der BF1 zu berücksichtigen waren.

 

Zusammengefasst war sohin auch für das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis zu gelangen, dass aufgrund der zahlreichen Widersprüche sowie der vagen und nicht nachvollziehbaren Angaben der BF1 insgesamt von keiner glaubhaften Verfolgungsgefahr hinsichtlich der BF1-3 auszugehen ist.

3.4. Die hg. getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den aktuellen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Die allgemeinen länderkundlichen Feststellungen resultieren aus den zitierten Länderdokumenten, welche auf verschiedenartigen, objektiven Quellen, die inhaltlich miteinander in Einklang stehen, basieren.

 

3.4.1. Die Vertretung der BF1-3 trat diesen mit ihrer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vorgelegten schriftlichen Stellungnahme vom 17.08.2022 und vom 17.11.2022 nicht substantiiert entgegen, sondern wurde aus den Länderberichten zitiert und ausgeführt, dass häusliche Gewalt und Misshandlungen von Frauen in Jordanien weit verbreitet seien und Ehrenverbrechen und Vergewaltigungen stattfinden und im Jahr 2020 ein Anstieg häuslicher Gewalt zu verzeichnen sei und Frauen massiven Diskriminierungen ausgesetzt seien und nicht ausreichend Schutz vor Gewalt erhalten. Rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierungen von Palästinensern und Frauen sei weiterhin ein Problem und laufen Jordanier palästinensischer Herkunft Gefahr, dass ihnen die Staatsbürgerschaft willkürlich entzogen werde, Grundversorgung, Wirtschaftslage und Arbeitsmarktlage haben sich verschlechtert und seien aufgrund des Flüchtlingsstromes aus Syrien Ressourcen, insbesonders Wasser knapp und seien Frauen stark von Arbeitslosigkeit betroffen, die Rate von Kinderehen sei stark angestiegen und sei das Justizsystem nicht immer unabhängig, die betreffenden Ausführungen mit dem Vorbringen der der BF1 decken.

In der Stellungnahme vom 21.10.2022 wird ausgeführt, dass die BF keine Familienangehörigen in Jordanien habe, die sie versorgen können, sie keinen Unterhalt von den Kindesvätern erhalten habe und der Vater der BF3 diese verheiraten habe wollen; ferner seien Frauen und Personen palästinensischer Abstammung in Jordanien massiven und rechtlichen Diskriminierungen ausgesetzt und müssen für ein geringeres Gehalt arbeiten und würden als ‚Belgienleute‘ beschimpft, auch sei der BF keine Hilfe durch NGOS zugekommen. Ferner wurde auf die hohe Arbeitslosigkeit und Gewalt gegen Frauen verwiesen und sei letztlich das Kindeswohl durch eine Abschiebung nach Jordanien massiv gefährdet.

 

Da auf die betreffenden Themen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung im gegenständlichen Erkenntnis eingegangen wird, wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die jeweiligen betreffenden hg. Ausführungen dazu verwiesen.

Was die Gefahr einer möglichen willkürlichen Entziehung von Staatsbürgerschaften von Jordaniern palästinensischer Herkunft betrifft, ist festzuhalten, dass die BF1 nicht vorgebracht hat, dass ein solcher Umstand ihr oder ihrer Familie konkret droht bzw. anderen Familienangehörigen die Staatsbürgerschaft bereits aberkannt wurde und kann daraus auch keine konkrete Gefährdung der BF abgeleitet werden.

Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289).

 

Darüber hinaus ist die BF1 als Flüchtling bei UNRWA registriert, sodass sie Anspruch auf diesbezügliche Leistungen hat bzw. besteht für die BF2-3 lt. den eingeholten Informationen zufolge ebenso ein Anspruch auf Versorgung durch UNRWA.

 

Aus der in den länderkundlichen Informationen thematisierten Wasserknappheit in Jordanien kann mangels entsprechender weiterer Ausführungen nicht generell geschlossen werden, dass dadurch die Grundversorgung der Bevölkerung nicht mehr geleistet werden kann (vgl. dazu die Ausführungen zu § 8 AsylG) und hat die BF1, die mit ihren Angehörigen in Jordanien in Kontakt steht, auch in der hg. Verhandlung kein entsprechendes Vorbringen erstattet.

 

Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind.

Zur Auswahl der Quellen wird angeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges bediente, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers machen zu können. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann.

Jedenfalls handelt es sich bei den dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann.

Die in das Verfahren integrierten Länderinformationen wurden schließlich von der Staatendokumentation des BFA, zusammengestellt, deren Qualität ob der gesetzlichen Verpflichtung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der gesammelten Tatsachen nach objektiven Kriterien (§ 5 Abs. 2 BFA-G) nicht in Zweifel gezogen wird.

 

3.4.2. Was die allgemeine Sicherheitslage in Jordanien betrifft, ist festzuhalten, dass die Lage in Syrien und im Irak landesweit die Gefahr von Terroranschlägen in Jordanien und eine Sicherheitsgefährdung, auch an Orten, die von Ausländern besucht werden, darstellt. Die jordanischen Behörden haben daher ihre Sicherheitsvorkehrungen an diesen Orten entsprechend erhöht (AA 14.7.2022). An den Grenzen zu Syrien und dem Irak kommt es wiederholt zu Zwischenfällen und vereinzelten Auseinandersetzungen. Das syrisch-jordanische und das irakisch-jordanische Grenzgebiet sind militärisches Sperrgebiet (AA 14.7.2022; vgl. BMEIA 14.7.2022).

Terroristische Anschläge stellen weiterhin eine Bedrohung für die physische Sicherheit dar. Im November 2019 erklärten die jordanischen Behörden, sie hätten Anfang des Jahres einen Anschlag auf US-amerikanische und israelische Ziele im Land vereitelt; zwei Verdächtige, die sich angeblich von der militanten Gruppe Islamischer Staat (IS) inspirieren ließen, standen damals vor Gericht (FH 28.2.2022).

Es kommt sowohl in der Hauptstadt Amman als auch in anderen Städten und Ortschaften des Landes vor allem an den Wochenenden nach dem Freitagsgebet des Öfteren zu Demonstrationen und Protestaktionen, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen artikulieren. In der Folge kann es zu Verkehrsbeeinträchtigungen und auch vereinzelten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen (AA 14.7.2022).

Diese als notorisch bekannt zu erachtende allgemeine Sicherheitslage in Jordanien ist jedoch nicht dergestalt, dass quasi jeder Bürger in Jordanien einer über die bloße Möglichkeit hinausgehenden, realen Gefährdung von Leib und Leben ausgesetzt wäre.

 

3.5. Zur Beschwerde der BF1-3

 

Da sämtliche Ausführungen in der Beschwerde die Glaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens der BF1 voraussetzen, welche jedoch aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verneinen war, ist, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht weiter auf den Beschwerdeinhalt einzugehen bzw. hinsichtlich der thematisierten Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe auf die rechtlichen Ausführungen des gegenständlichen Erkenntnisses zu verweisen.

 

4. Rechtliche Beurteilung (Zu Spruchteil A):

 

4.1. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide

 

4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der GFK genießt. Gemäß Abs. 2 kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt. § 8 gilt.

Nach Art. 1 Abschnitt D GFK findet die GFK keine Anwendung auf Personen die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen. Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.

Nach Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.

 

4.1.2. Zu § 6 Abs. 1 Z. 1 AsylG hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0273, unter Hinweis auf die Rsp des EuGH (vgl. die E des EuGH vom 19.12.2012, El Kott, C-364/11) zu Art 12 Abs. 1 lit. a der Statusrichtlinie, festgehalten, dass mit Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL verweist, in Anbetracht der besonderen Situation der palästinensischen Flüchtlinge, für diese gezielt eine privilegierte Rechtsstellung geschaffen wurde. Asylwerber, welche unter dem Schutz einer von Art. 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation oder Institution stehen, sind im Gegensatz zu anderen Asylwerbern gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, genießen jedoch bei Wegfall ebendieses Schutzes oder Beistands "aus irgendeinem Grund" "ipso facto" den Schutz der Status-RL (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 80). Dabei bezieht sich die Wendung "genießt (...) den Schutz dieser Richtlinie" in Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz der Status-RL als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft und nicht auf die Eigenschaft eines subsidiär Schutzberechtigten (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 66 ff); eine Verfolgung im Sinne des Art. 2 lit. c Status-RL muss in diesem Fall gerade nicht dargetan werden. Voraussetzungen für den ipso-facto Schutz sind lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL vorliegt.

Für die erforderliche Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz von UNRWA im Sinne der Status-RL bzw. des Art. 1 Abschnitt D GFK tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. VwGH, 01.03.2018, Ra 2017/19/0273 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61; siehe auch VfGH 29.06.2013, U 706/2012).

Ein Zwang, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes von UNRWA, hängt nicht vom Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A GFK ab, sondern ist vielmehr auch gegeben, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 63, 65).

Beispielsweise steht die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz an den Fremden und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA der Annahme, der Fremde könne weiterhin den Schutz durch UNRWA genießen, entgegen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf VfGH 22.9.2017, E 1965/2017).

 

Aufgrund der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022 war die Feststellung zu treffen, dass die BF1 auch aktuell bei UNRWA registriert ist, dass diese Organisation nach wie vor in Jordanien tätig ist und nicht festgestellt werden konnte, dass der Schutz durch die UNRWA weggefallen ist, auch für die BF2 und die BF3 besteht die Möglichkeit einer Registrierung und der Inanspruchnahme von UNRWA-Hilfsleistungen und gelten diese lt. der genannten Anfragebeantwortung nach internationalem Recht und dem Grundsatz der Familieneinheit als Nachkommen von Flüchtlingen ebenfalls als Flüchtlinge.

Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation iSd Art. 1 Abschnitt D GFK und § 12 Abs. 1 lit. a der Status-RL. Eine Registrierung bei dieser ist ein ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfe der UNRWA (vgl. VfGH 29.06.2013, U 706/2012 mit Hinweis aus EuGH 17.06.2010, Nawras Bolbol, C-31/09, Rz. 52).

Die BF erklärte im Verfahren, UNRWA-Leistungen erhalten zu haben, als sie noch ein Kind gewesen sei, doch reicht bereits die bloße Registrierung als Nachweis für die tatsächliche Inanspruchnahme der Hilfe aus (vgl. abermals VfGH 29.06.2013, U 706/2012).

Die BF1 fällt daher in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D. der GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. a der Status-RL. Vor dem Hintergrund der og. hg. Judikatur war daher noch zu prüfen, ob der Beistand der UNRWA nicht länger gewährt wird, was u.a. voraussetzt, dass ihr Wegzug durch nicht von ihr zu kontrollierende und von ihrem Willen unabhängige Gründe begründet war, die sie zum Verlassen des Gebietes zwangen und auch pro futuro daran hindern den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen.

Die von der BF1 angegebene Bedrohung bzw. pro futuro drohende Gefährdung wurde als nicht glaubhaft festgestellt. Sie war folglich nicht aus nicht von ihr zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Gründen zum Verlassen des Mandatsgebiets der UNRWA gezwungen.

Diese Erwägungen trafen in gleicher Weise auf die Annahme zu, dass die BF den Beistand der UNRWA nach ihrer Rückkehr in Anspruch nehmen könnte.

Schließlich sind auch keine stichhaltigen Hinweise darauf hervorgekommen, dass die UNRWA ihre Aufgaben in Jordanien wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde.

Es war daher zum Ergebnis zu gelangen, dass die BF1 den Schutz und Beistand der UNRWA genoss bzw. ihr dieser vor der Ausreise zur Verfügung stand, sich diesem Schutz freiwillig entzogen sowie, dass dieser Schutz auch weiterhin gewährt wird und ihr Wegzug daher nicht gerechtfertigt war. Sie ist somit gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 AsylG von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen.

Die Beschwerde war sohin zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides der BF1 als unbegründet abzuweisen, wobei im Hinblick auf das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes die Beschwerde mit der betreffenden Maßgabe abzuweisen war.

 

4.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF1 hinsichtlich der BF1-3, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Nach hg. Ansicht sind im Falle der Beschwerdeführerinnen die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK genannten Gründen nicht gegeben.

Das ausreisekausale Vorbringen der Beschwerdeführerinnen war, sofern es sich auf individuelle Verfolgungselemente bezog, in seiner Gesamtheit – wie in der Beweiswürdigung detailliert ausgeführt – nicht als glaubhaft zu qualifizieren, weshalb es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist (vgl. VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

4.1.4. Insofern im Verfahren Diskriminierung bzw. Rassismus aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der palästinensischen Araber thematisiert wurde, ist Folgendes festzuhalten:

 

Zwischen 95 und 97 % der Jordanier sind Araber (WPR o.D.). Schätzungsweise 60 % der Bevölkerung Jordaniens sind palästinensischer Herkunft (BESA 12.9.2021), davon sind 2,3 Millionen bei UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) registrierte Palästina-Flüchtlinge (UNRWA 6.9.2021). Flüchtlinge aus Palästina, Syrien und dem Irak machen fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung Jordaniens aus (BS 23.2.2022).

 

Bürger palästinensischer Herkunft waren auf allen Ebenen der Regierung und des Militärs unterrepräsentiert. In der Vergangenheit wurden Jordanier palästinensischer Herkunft in Bezug auf die Beschäftigung diskriminiert, insbesondere in den oberen Rängen des Militärs, der Sicherheitsdienste und des öffentlichen Sektors (BS 23.2.2022).

Palästinenser sind im Parlament sowie in höheren Regierungsämtern und Positionen im Militär unterrepräsentiert, ebenso wie bei Universitätszulassungen. Auch ist der Zugang zu Universitätsstipendien eingeschränkt. Im privaten Sektor hingegen sind sie gut vertreten (USDOS 12.4.2022).

 

Die BF1 gab im Verfahren an, mit Rassismus konfrontiert und aufgrund ihrer Herkunft – auch hinsichtlich sozialer und finanzieller Unterstützung – schlecht behandelt worden zu sein (AS 64). Ferner würde sie keine Arbeit bekommen und würde man ihr beim Vorstellungsgespräch sagen, dass „sie aus Belgien komme“ um sie nicht zu verletzen und zu sagen, dass sie Palästinenserin sei (VHS, S 14).

Weitere, insbesondere auch konkrete Diskriminierungen brachte die BF1 nicht vor. Vielmehr gab sie in der Beschwerdeverhandlung selbst an, dass sie in Jordanien einen Job als Securitymitarbeiterin erhalten habe, ohne diesbezüglich Probleme zu benennen (VHS S 19: Es gab ein Büro für Security-Arbeiten. Ich war dort und habe gesagt, dass ich als Security arbeiten möchte. Sie waren einverstanden und ich habe monatlich 160 Dinar verdient.) und ihr in der Vergangenheit auch staatliche Unterstützung und Hilfe durch NGOs zugekommen sei.

Auch den hg. Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass Palästinenser, was den Berufszugang betrifft, im privaten Sektor gut vertreten sind.

Dass die BF1, wie in der Beschwerde ausgeführt wird, während ihrer Berufsausübung beschimpft, belästigt oder beleidigt oder geringer entlohnt worden sei (vgl. AS 179) gab sie selbst in der hg. Verhandlung nicht an, sodass nicht von der Glaubwürdigkeit des betreffenden Vorbringens auszugehen ist. Im Übrigen hat die BF1, wie bereits dargelegt, in der behördlichen Einvernahme vor dem BFA ausdrücklich erklärt, aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keine Probleme gehabt zu haben (AS 64). Doch selbst der Verlust des Arbeitsplatzes ohne massive Bedrohung der Lebensgrundlage (Hinweis E 17.6.1992, 91/01/0207) und daher umso weniger der Ausschluss von Aufstiegschancen (Hinweis E 20.5.1992, 91/01/0202) und eine Schlechterstellung am Arbeitsplatz (Hinweis E 31.5.1989, 89/01/0091), jeweils weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft ausreichen (VwGH, 22.06.1994, 93/01/0443). Benachteiligungen eines Asylwerbers wegen seiner Religionsausübung durch Vorwürfe, Beschimpfung, Zurechtweisung und Schlechterstellung am Arbeitsplatz sind ebenfalls nicht als Verfolgung iSd FlKonv zu werten (VwGH 31.05.1989, 79/01/0091) und kann dieses Judikat auch auf Benachteiligungen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit umgelegt werden.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zwar nicht, dass Palästinenser in Jordanien gewissen Einschränkungen bzw. Benachteiligungen unterworfen sein können, jedoch kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung des konkreten Sachverhaltes bzw. einer Asylgewährung für die BF1-3 führen. Die allgemein geltend gemachten Benachteiligungen und in den Länderfeststellungen umschriebenen möglichen Diskriminierungen sind nämlich von ihrer Intensität her nicht asylrelevant bzw. kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die BF1 in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr auch künftig in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen.

 

Darüber hinaus handelt es sich bei Angehörigen der Palästinenser in Jordanien auch um keine Minderheit, sondern machen Bürger palästinensischer Herkunft laut Länderinformationen die Mehrheit der Gesamtbevölkerung aus (FH 28.2.2022).

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich aus den aktuellen länderkundlichen Informationen, welche sich aus verschiedenen voneinander unabhängigen Quellen ergeben, zur Thematik Palästinenser keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Angehörige dieser Ethnie schon alleine wegen dieser Zugehörigkeit Verfolgung iSd GFK ausgesetzt wären.

 

4.1.5. Soweit die Beschwerdeführerin insbesondere in der Beschwerde (vgl. AS 159) auf ihre Eigenschaft als alleinerziehende, geschiedene oder alleinstehende Frau verweist, ist dem zu entgegnen, dass den angeführten Länderberichten zur Lage von Frauen keine asylrelevante Verfolgung zu entnehmen ist. Frauen werden zwar sowohl rechtlichen als auch faktischen Diskriminierungen (v.a. in Bereichen, die der Rechtsprechung der Schariagerichte unterliegen) ausgesetzt; es wird auch keinesfalls verkannt, dass die persönlichen sozialen Freiheiten durch die konservative Kultur und die spezifischen Gesetze des Landes eingeschränkt werden können. Dennoch ergibt sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat schlichtweg keine Verfolgung rein aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen im Allgemeinen, oder geschiedenen, alleinerziehenden und alleinstehenden Frauen.

Auf die hg. Feststellung, wonach die jordanische Nationale Frauenkommission, eine quasi-staatliche Organisation eine Hotline betreibt, um Diskriminierungsbeschwerden entgegenzunehmen, sei hingewiesen, sodass auch in diesem Zusammenhang ein Anstreben hinsichtlich der Verbesserung der Lage erkennbar ist.

Was die mögliche Hinderung an der Teilnahme am Erwerbsleben von Frauen angeht, nannte lt. länderkundlichen Feststellungen eine Mehrheit der Frauen die fehlende Kinderbetreuung, niedrige Löhne, fehlende Transportmöglichkeiten und die Bevorzugung von Männern als größte Hindernisse.

Dass Frauen per se gehindert sind, am Erwerbsleben teilzunehmen, ergibt sich aus diesen Feststellungen nicht.

Die BF1 ist in Jordanien bereits einer Arbeit nachgegangen, hatte einen Babysitter und kann aufgrund des fortgeschrittenen Alters der BF2 (nunmehr vierzehn Jahre) und der BF3 (nunmehr sieben Jahre) und auch der damit einhergehenden Schulpflicht auch nicht mehr von der unbedingten Notwendigkeit einer vollumfänglichen Kinderbetreuung ausgegangen werden. Überdies verfügt die BF1 über ein soziales Netz von Geschwistern, Onkeln und Tanten in Jordanien mit denen sie in Kontakt steht und waren Besuche durch Cousins und Cousinen lt. Angaben der BF2 alltäglich und erfolgte auch eine Unterstützung durch verschiedene Verwandte, sodass von einer engen familiären Bindung der BF in Jordanien ausgegangen werden kann.

Aus der in das Verfahren integrierten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 23.03.2017 ergibt sich, dass bei einer Scheidung die Mutter unter normalen Bedingungen auf alle Fälle das Sorgerecht bekommt und der Vater von einem Zivilgericht zum Unterhalt verpflichtet wird. Dies war auch bei der BF1 der Fall. Diese hat auch nicht angegeben, dass einer der Väter das Sorgerecht beansprucht habe.

In diesen Fällen wird der Vater auch zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Auch in der aktuellen Anfragebeantwortung vom 13.09.2022 wird auf die Möglichkeit, den Unterhalt bei den jeweiligen Vätern einzuklagen, verwiesen. Die BF gab dazu in der behördlichen Einvernahme vage an, die Beantragung koste viel Geld, womit sie jedoch nicht nachvollziehbar darzulegen vermochte, aus welchen Gründen sie den ihr für die Kinder zustehenden Unterhalt nicht einklagte, erhielt sie doch auch in anderen Lebensbereichen Unterstützung durch Verwandte und Bekannte und erklärte auch, die Kosten für ihre Ausreise in der Höhe von 2000 Dinar (AS 67) bzw. 4000 Dinar (VHS S 19) von einer Freundin erhalten zu haben.

Darüber hinaus sind Insgesamt 90 Frauenorganisationen in Jordanien existent, die Mitglieder der staatlich kontrollierten General Federation of Jordanian Women sind und sich für verbesserte Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen einsetzen. Auch die von Königin Rania gegründete Organisation Jordan River Foundation arbeitet unter anderem in der Anti-Gewalt –Prävention und im Kinderschutz, die Königin Noor Stiftung hat ua ein Mikrokredit-Programm aufgelegt. Der Jordanian Hashemite Fund for Human Development finanziert Maßnahmen für Frauen und Jugendliche, woraufhin die BF1 in der hg. Verhandlung dazu erklärte, die Frauenorganisationen seien nur ‚bla bla‘ und würden nicht helfen und verlangen, dass eine Frau eine Berufsausbildung mache oder studiere, was sie selbst jedoch nicht machen könne und weiter damit begründete, die Leute am Land seien anders als in der Stadt. Abgesehen davon, dass dies eine wenig plausible Erklärung der BF1 ist, hat diese jedoch an mehreren Stellen ihres Vorbringens erklärt, mit ihren Eltern auch in der Hauptstadt Amman und nach der Eheschließung mit ihrem dritten Exmann in Amman und auch fünf Monate vor der Ausreise in Amman gelebt zu haben (VHS S 20), wo sie keine Probleme gehabt habe. Dass die BF1 keine Unterstützung durch Frauenorganisationen erhalten kann, ist jedoch aus ihren Angabe nicht zu schließen.

Auf die mehrfach erwähnte Unterstützungsmöglichkeit der Beschwerdeführerinnen durch UNRWA sei abschließend verwiesen.

 

Die Beschwerdeführerin hat demnach nicht bereits aufgrund ihrer palästinensischen Abstammung oder ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen eine individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung zu befürchten bzw. kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die BF1 in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen

 

4.1.5.1. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch auf die seitens des UNHCR vertretene Auffassung zu verweisen, wonach bloße Diskriminierung in der Regel noch nicht Verfolgung bedeutet (UNHCR, Auslegung Art. 1, Abs. 16).

Besonders schwerwiegende Formen der Diskriminierung sind allerdings zweifellos als Verfolgung anzusehen, ebenso wie stetige und anhaltende Diskriminierungen durch ihre Kumulierung auf Verfolgung hinauslaufen können (UNHCR, Handbuch, Abs 51-54); vgl. dazu die bereits zitierte höchstgerichtliche Judikatur.

Beispielhaft sei an dieser Stelle das Erkenntnis VwGH 16.04.2002, 99/20/0483 genannt, in dem bezüglich afghanischer Frauen die Summe zahlreicher Diskriminierungen den Schluss auf eine Vorliegende asylrelevante Verfolgung zuließ. („Betrachtet man die Eingriffe der Taliban in die Lebensbedingungen der afghanischen Frauen in ihrer Gesamtheit, so kann kein Zweifel bestehen, dass hier einer der Fälle vorliegt, in denen eine Summe von Vorschriften gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung von insgesamt so extremer Natur ist, dass die Diskriminierung das Ausmaß einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention erreicht. In dieser Hinsicht ist abgesehen von anderen bizarren Aspekten des von den Taliban errichteten - und in der Praxis als Grundlage für willkürliche Gewaltanwendung benützten - Regelwerks vor allem auf die systematische Behinderung der medizinischen Versorgung hinzuweisen, die zumindest im Umkreis der zuvor auch der weiblichen Bevölkerung zugänglichen Einrichtungen eine unmittelbare Bedrohung des Lebens bedeutete. Schon das Fehlen der auch nur den Mindestanforderungen der Menschlichkeit entsprechenden Ausnahmen von den verordneten Regeln in Bezug auf den jederzeit möglichen Bedarf nach einer ärztlichen Behandlung kennzeichnet den Verfolgungscharakter dieser Form von Repression. Der zusätzlichen Betroffenheit etwa infolge fehlender Mittel zum Unterhalt oder durch das Fehlen männlicher Angehöriger, um sich "ausführen" lassen zu können oder Lebensmittel ins Haus zu bringen, bedarf es dazu nicht mehr. Erreichen die diskriminierenden Regeln selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität, so kommt es auch auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Falle des Zuwiderhandelns und mithin darauf, ob vom konkret betroffenen Asylwerber ein Zuwiderhandeln zu erwarten wäre, nicht an (ausführliche Judikatur- und Literaturhinweise im Erkenntnis“).

 

Ein vergleichbarer Fall, auf den die obzitierte höchstgerichtliche Judikatur umgelegt werden kann, liegt hier jedoch nicht vor und bleibt es die BF1 schuldig, nachvollziehbar bzw. glaubwürdig zu erklären, welchen zahlreichen Diskriminierungen sie selbst und BF2-3 ausgesetzt sein sollen.

 

Dazu ist letztlich jedoch auch hervorzuheben, dass seitens des Gerichtes keinesfalls verkannt wird, dass die Situation als alleinerziehende Mutter für die BF1 in Jordanien nicht einfach gewesen sein mag, sie jedoch Unterstützung durch ein familiäres und soziales Netzwerk erhielt, es ihr unbenommen war, die Kindesväter auf Unterhalt zu klagen, staatliche Hilfe oder Hilfsleistungen durch NGOs und von UNRWA zu beantragen und schließlich auch selbst durch die Aufnahme einer Arbeit für den Unterhalt gesorgt hat. Dass diese Situation für sie fordernd war, wird nicht in Abrede gestellt, doch ist daraus keine asylrelevante Verfolgung abzuleiten bzw. kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die BF1 in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen.

 

Ferner verwies der VwGH in seinem Erkenntnis vom 02.08.2018, Ra 2018/19/0396-5, unter Verweis auf Art 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darauf, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen sei, sondern nur in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen und haben dies die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung dazulegen.

 

Das Asylrecht soll zudem nicht jedem, der in seiner Heimat benachteiligt wird, die Möglichkeit eröffnen, seine Heimat zu verlassen oder dorthin nicht zurückkehren zu müssen, weil er in Österreich eine bessere Lebenssituation vorfindet. Vielmehr ist eine Rechtsgutbeeinträchtigung von asylerheblicher Intensität erforderlich. Bei Eingriffen, die nicht unmittelbar das Leben, die Gesundheit und die physische Bewegungsfreiheit betreffen, ist das erst der Fall, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben. (vgl. Erkenntnis d. VwGH vom 22.06.1994, Z. 93/01/0443; VwGH vom 15.09.1994, Zl. 94/19/0389; VwGH 11.11.1987, 87/01/0136).

4.1.5.2. Der pauschale Verweis auf die „Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der alleinerziehenden, geschiedenen Frauen“ ist für sich alleine nicht geeignet, eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft zu machen (vgl. dazu VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, worin der Grundsatz wiederholt wird, dass das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen und dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, dem nicht gerecht wird).

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt wird oder ihr deswegen Schutz verweigert würde.

Der Ausdruck "soziale Gruppe", der als Auffangtatbestand in die Genfer Flüchtlingskonvention eingefügt wurde, wurde in Lehre und Rechtsprechung durchaus unterschiedlich definiert. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof wurde einerseits auf die Definition des UNHCR abgestellt, derzufolge eine soziale Gruppe in der Regel Personen mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Gewohnheiten oder ähnlichem sozialen Status umfasst (vgl. Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, S. 219, aber auch den Gemeinsamen Standpunktes des Rates der Europäischen Union vom 4.3.1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffes des "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge), wobei aber - unter Hinweis auf das genannte Handbuch des UNHCR - darauf hingewiesen wird, dass hinter der angesprochenen Regelung die Erwägung stehe, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe Anlass zu Verfolgung sein kann, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber bestehe oder wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernisse für die Politik der Regierung angesehen werden (vgl. VwGH 18.12.1996, Zl. 96/20/0793).

Andererseits wies der Verwaltungsgerichtshof auf die Definition des kanadischen Obersten Gerichtshofes (Supreme Court) hin, nach der eine soziale Gruppe iSd GFK folgende drei Personenkreise umfasse:

Personen, die ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal wie Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung aufweisen; Personen, die freiwillig aus Gründen verbunden sind, die für ihre Menschenwürde derart fundamental sind, dass sie nicht gezwungen werden sollten, diese Verbindung aufzugeben und schließlich Personen, die durch einen früheren freiwilligen Zustand verbunden sind, der aufgrund seiner historischen Dauer nicht geändert werden kann (vgl. die in Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 1996, p. 359 f., wiedergegebenen Fälle, insbesondere den Fall Canada v. Ward).

Auf diese Definitionen nimmt - zumindest zum Teil - auch Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 ("Statusrichtlinie") - auf den im Übrigen § 2 Abs. 1 Z 12 Asylgesetz 2005 verweist - Bezug, wenn er in seiner lit. d eine bestimmte soziale Gruppe folgendermaßen umschreibt: "Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe wenn - die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten; geschlechterbezogene Aspekte können berücksichtigt werden, rechtfertigen aber für sich allein genommen noch nicht die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist."

Die Beschwerdeführerin gehört sohin auch keiner sozialen Gruppe der geschiedenen, alleinerziehenden Frauen in Jordanien an, da es sich bei ‚geschieden und alleinerziehend‘ um keine angeborenen oder unabänderlichen Merkmale handelt.

Es ist zwar zutreffend, dass Frauen in Jordanien im allgemeinen einer Diskriminierung bzw. Schlechterstellung gegenüber Männern ausgesetzt sind und dass für alleinstehende Frauen in Jordanien auch schwierige Lebensbedingungen herrschen. Frauen werden aber nicht allgemein als inferior angesehen. Aufgrund der Heterogenität dieser Gruppe und der unterschiedlichen Situation im Einzelfall kann von einer sozialen Gruppe der wegen ihres Geschlechts in Jordanien diskriminierten Frauen nicht gesprochen werden.

Die Situation in Jordanien ist in diesem Zusammenhang differenziert auf den Einzelfall zu betrachten und ist jeder Fall unterschiedlich zu beurteilen, sodass auch eine ausreichend homogene soziale Gruppe nicht vorliegt. Gleiches spricht geschlechtsunabhängig gegen die Annahme einer sozialen Gruppe solcher Frauen, die geschieden und alleinerziehend sind, handelt es sich doch dabei um kein unabänderliches Merkmal; eine derartig extensive Interpretation würde auch die in Art. 1 Abschn. A Z 2 GFK getroffene Beschränkung der für die Asylgewährung erforderlichen Verfolgungsgründe unterlaufen, respektive ad absurdum führen.

 

4.1.6. Vollständigkeitshalber ist zu erwähnen, dass lt. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 23.03.2017 Kinder in Jordanien auch vor gewalttätigen Vätern geschützt werden können und der Staat dazu willig und in der Lage ist und eine Sonderabteilung der Polizei (PSD: Family Protection Unit), wobei in jedem Bezirk entsprechende Abteilungen existieren, gerade für solche Fälle eingerichtet ist, sodass hinsichtlich der von der BF1 angegebenen häuslichen Gewalt auch von der staatlichen Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit ausgegangen werden kann.

Auch hinsichtlich geltend gemachter häuslicher Gewalt gegen Frauen ist den länderkundlichen Feststellungen zu entnehmen, dass ein Frauenhaus des Ministeriums für soziale Entwicklung existiert. Im August 2021 gab der Nationale Rat für Familienangelegenheiten (NCFA) Leitlinien für die Reaktion auf häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder heraus. Frauen können bei bestimmten NGOs oder direkt bei den Justizbehörden Anzeige wegen Vergewaltigung oder körperlicher Misshandlung erstatten. Im Januar verurteilte der Große Strafgerichtshof einen Mann zu siebeneinhalb Jahren Haft mit Zwangsarbeit, weil er seine 16-jährige Tochter mehr als 300 Mal sexuell missbraucht hatte. Social-Media-Aktivisten und Frauenrechtler verurteilten das Urteil als zu milde im Verhältnis zum Ausmaß des Verbrechens und forderten eine Rechtsreform, um die Verwendung mildernder Faktoren durch Richter bei der Verhängung von Strafen für solche Verbrechen zu beseitigen.

Die FPD untersuchte im Laufe des Jahres mehr als 4.000 Fälle und überwies 90 Fälle an staatliche Unterkünfte und mehr als 100 an eine nichtstaatliche Unterkunft.

Ehegattenmissbrauch ist technisch gesehen ein Scheidungsgrund, aber Ehemänner beanspruchten manchmal kulturelle Autorität, um ihre Frauen zu schlagen. Beobachter stellten fest, dass, während die Richter im Allgemeinen die Behauptung einer Frau über Missbrauch vor Gericht unterstützten, aufgrund von gesellschaftlichem und familiärem Druck und Angst vor Gewalt wie "Ehrenmorden" nur wenige Frauen rechtliche Rechtsmittel suchten.

Im März kündigte die PSD die Fusion der Jugendpolizei mit der FPD an, um die Bemühungen zum Schutz von Kindern und Familien zu vereinen. Die PSD, die Justiz und die Ministerien für Justiz, Gesundheit und soziale Entwicklung entwickelten gemeinsam ein formelles Mediationsverfahren, einschließlich eines Handbuchs mit Richtlinien. Ein spezialisierter "Vergleichsrichter" muss die Lösung jedes Falles überwachen und die Zustimmung beider Parteien bestätigen, Empfehlungen von Anbietern für psychische Gesundheit und Sozialarbeitern erhalten und gemeinnützige Arbeit anordnen, Strafanzeigen aufheben und Schutzanordnungen erlassen. Die FPD betrieb eine Hotline für häusliche Gewalt und erhielt Anfragen und Beschwerden per E-Mail und persönlich. Das Ministerium für soziale Entwicklung unterhielt eine zweite Unterkunft für weibliche Opfer häuslicher Gewalt in Irbid.

Die NCFA veröffentlichte einen dreijährigen nationalen Plan, um auf geschlechtsspezifische Gewalt, häusliche Gewalt und Kinderschutz zu reagieren. NGOs berichteten, dass Gesundheitsdienstleister und Lehrer aufgrund fehlender Zeugenschutzgarantien immer noch zögerten, Missbrauch zu melden. Spezialisierte Richter beschleunigten weiterhin Fälle häuslicher Gewalt; Ordnungswidrigkeitenfälle dauerten laut FPD etwa drei Tage, um gelöst zu werden. Die NCFA unterstützte die Regierung bei der Entwicklung von Mediationsrichtlinien.

NGOs berichteten über Verbesserungen der Verfahren und Richtlinien im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in Strafverfolgung und Justiz, seit Revisionen von einem NCFA-Ausschuss empfohlen wurden.

Auch, wenn es in Jordanien zu gewaltsamen Übergriffen auf Frauen und Kinder kommt, so kann aus den soeben wiedergegebenen Feststellungen nicht der Schluss gezogen werden, dass der jordanische Staat nicht schutzwillig und schutzfähig wäre.

 

4.1.7. Nach den getroffenen Feststellungen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Personen aus Jordanien, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

 

4.1.8. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Bescheide hinsichtlich der BF2-3 und hinsichtlich der BF1 mit der betreffenden Maßgabe abzuweisen. Dies auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Beschwerdeführerinnen auch aus dem Verfahren ihrer jeweiligen Familienangehörigen keinen derartigen Status ableiten können, da deren Beschwerden mit dem gegenständlichen Erkenntnis im Ergebnis ebenfalls gleichlautend entschieden wurden.

 

4.2. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

 

4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

 

4.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind.

 

Dass die BF1-3 im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

 

Bei der BF1 handelt es sich um eine gesunde, arbeitsfähige Erwachsene, bei welcher die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum sie als Erwachsene in Jordanien selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte. Die BF1 ist in Jordanien aufgewachsen, wurde dort sozialisiert, spricht die Sprache der Majoritätsbevölkerung Arabisch und hat die Grundschule und bis zur Matura ein Gymnasium besucht, die Matura jedoch nicht bestanden. Sie war vor ihrer Ausreise auch bereits als Securitymitarbeiterin tätig. Die BF1-3 verfügen zudem in Jordanien über Familienangehörige (mehrere Geschwister sowie Onkel und Tanten der BF1), mit denen sie in Kontakt stehen und von denen sie vor der Ausreise über mehrere Jahre (finanziell) unterstützt wurden und die ihnen Wohnmöglichkeiten boten. Die BF1-3 wären sohin im Falle einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage, auf ein soziales Netzwerk zurückzugreifen, welches über allfällige Anfangsschwierigkeiten hinweghelfen könnte.

Ferner leisteten ihnen auch Freunde/Bekannte sowie der Ex-Schwiegervater der BF1 finanzielle Unterstützung und besteht überdies die Möglichkeit beim National Aid Fund/ Nationalen Beihilfefond einen Antrag zum `Unified Cash Transfer Program´/ Einheitlichen Geldtransferprogramm einzubringen und monatlich im Durchschnitt JOD 100,00 zu erhalten. Im Falle der Mittellosigkeit würden sie überdies auch eine Krankenversicherung bekommen.

Ferner gibt es NGOs und /oder Einrichtungen der Zivilgesellschaft (Civil Society Organisations/CSOs), welche in Jordanien Familien mit niedrigen Einkommen finanzielle Unterstützung zukommen lassen, wobei dies von deren finanzieller Situation und/oder den Umständen abhängig ist; diese sind auf der Website civilsociety-jo.net aufgelistet.

 

Die BF1 ist, wie eine aktuelle Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergab, darüber hinaus bei UNRWA registriert und können künftig daher alle drei BF in den Genuss von Unterstützung von UNRWA kommen.

Die Kinder (BF2, BF3) sind nicht bei UNRWA registriert, womit sie zwar derzeit keinen Anspruch auf UNRWA-Unterstützung haben, sie können aber potenziell als Nicht-Flüchtlingskinder registriert werden und somit Anspruch auf UNRWA Unterstützung erlangen.

Nach internationalem Recht und dem Grundsatz der Einheit der Familie gelten die Kinder von Flüchtlingen und ihre Nachkommen ebenfalls als Flüchtlinge, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist.

UNRWA stellt direkte Dienst- und Hilfsleistungen zur Verfügung.

Das Tätigkeitsspektrum des Hilfswerks umfasst Bildung, medizinische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, die Infrastruktur, Verbesserung der Flüchtlingslager, Mikrokredite und Nothilfe. (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA vom 28.10.2022)

 

Für den Unterhalt der minderjährigen Kinder (BF2 und BF3) hat den in das Verfahren integrierten Feststellungen zufolge auch der jeweilige Vater, sohin die geschiedenen Ehemänner der BF1, zu sorgen, welcher mit ca. 120 Euro im Monat nicht ausreichend ist und ist es der BF1 unbenommen, die Väter bei Nichtleistung von Unterhalt zu klagen, was sie lt. ihren Angaben bislang nicht getan hat. Die BF kann – falls die Väter dennoch keinen Unterhalt leisten - jedoch zusätzlich bei Bedarf auf die bereits im vorigen Absatz genannten Möglichkeiten und Unterstützung durch Frauenhilfsorganisationen, die verschiedene Unterstützungsleistungen anbieten, zurückgreifen. Um Wiederholungen zu vermeiden wird dazu auch auf die rechtlichen Ausführungen zu Pkt. 4.1. des gegenständlichen Erkenntnisses verweisen.

 

Die BF2-3 sind gesunde, jedoch noch minderjährige Kinder, bei welchen es sich daher um besonders vulnerable Personen handelt (vgl. dazu etwa die Begriffsdefinition in Art 21 der Richtlinie 2013/33/EU , VwGH 07.01.2021, Ra 2019/18/0451), sodass sich das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen mit der Lage der minderjährigen Beschwerdeführer im konkreten Rückkehrfall auseinanderzusetzen hat (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089) und eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die eine Familie mit minderjährigen Kindern im Rückkehrfall zu erwarten hat, durchzuführen ist (VwGH, 03.02.2022, Ra 2020/18/0185-0188).

 

In diesem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, dass unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Möglichkeiten der Hilfeleistung durch UNRWA, bestehenden Sozialleistungen, Unterstützung von Familienangehörigen, mit denen die BF1 in Kontakt steht und die die BF auch mehrere Jahre vor der Ausreise unterstützten, Freunden und NGOs sowie der Arbeitsfähigkeit und Berufserfahrung der BF1 unter Einbeziehung der genannten Aspekte von einer gesicherten Existenzgrundlage auszugehen ist. Unter Bedachtnahme auf die (Aus-)Bildung der BF1 ist davon auszugehen, dass sie – wie bereits vor ihrer Ausreise - einen Arbeitsplatz erlangen können wird, der zumindest in Zusammenschau mit staatlicher, nichtstaatlicher (NGOs) und familiärer Unterstützung und Unterstützung durch UNRWA auch ohne Unterhaltsleistungen der Väter der BF2-3 den Aufbau einer bescheidenen Existenz ebenso ermöglicht, wie eine hinreichende Absicherung aller Beschwerdeführer in ihren Grundbedürfnissen. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, konnten nicht erhoben werden, sodass keine dahingehenden Schwierigkeiten im Herkunftsstaat feststellbar sind.

 

Die BF1 machte ferner keine Schwierigkeiten bei der Betreuung der minderjährigen Beschwerdeführerinnen in Jordanien glaubhaft und gab die BF2 in der Beschwerdeverhandlung auch an, in der Vergangenheit während der Berufstätigkeit der BF1 über einen Babysitter verfügt zu haben. Bezüglich des Betreuungsbedarfes der minderjährigen Kinder, ist festzuhalten, dass dieser im Vergleich zur Situation vor der Ausreise aufgrund des fortgeschrittenen Alters der BF2 (vierzehn Jahre) und der BF3 (sieben Jahre) und deren Schulpflicht nicht mehr so intensiv ist wie vor der Ausreise, und wird die BF1 zudem im Bedarfsfall nach der Rückkehr auf die in Jordanien aufhältigen zahlreichen Verwandten, die die BF bereits vor der Ausreise über mehrere Jahre unterstützten, insbesondere ihre Geschwister sowie Onkel und Tanten, zurückgreifen können.

 

Den minderjährigen Beschwerdeführerinnen steht ferner in der Zukunft der Zugang zum jordanischen Schulsystem offen; bis zum Alter von 18 Jahren ist der Schulbesuch laut Länderinformationen kostenlos. Gegenteiliges wurde seitens der BF1 nicht vorgebracht.

 

Dass die minderjährigen Beschwerdeführerinnen in Jordanien nicht von geschlechtsspezifischer Gewalt, wie etwa häuslicher Gewalt (auch auf die diesbezügliche bei Bedarf existente staatliche Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit sei erneut verwiesen) sowie Früh- und Zwangsverheiratungen betroffen sein werden, wurde bereits erörtert.

 

Zusammenfassend ist hinsichtlich der Bedürfnisse der Beschwerdeführer somit von einer gesicherten Existenzgrundlage in Jordanien - wenngleich auf einem niedrigeren Niveau als in Österreich - auszugehen. Auch die medizinische Versorgung ist nach den in das Verfahren integrierten Länderfeststellungen gegeben und ist insbesonders im Amman, wo die BF1 mit ihren Eltern, während ihrer dritten Ehe und auch vor der Ausreise lebte, das Versorgungsniveau sehr gut. Jordanien ist regional führend im Medizintourismus, wobei sich Staatsangehörige aus den Nachbarländern in Jordanien behandeln lassen. Ferner erhalten mittellose Familien eine Krankenversicherung.

 

Eine schwierige Lebenssituation insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 27.05.2019 Ra 2019/14/0153-8, VwGH 12.03.2020 Ra 2019/01/0347-8).

 

In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverwaltungsgericht auch auf das Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2009, 2008/19/0174, in dem die Schwelle einer Verletzung von Art 3 EMRK in einem Fall einer alleinstehenden Mutter eines Kleinkindes (ohne Berufserfahrung) trotz Erwartung einer tristen finanziellen Situation ohne familiäre Unterstützung im Heimatland mangels realer Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse verneint und die Behandlung der Beschwerde abgelehnt wurde.

 

Da (notfalls) von einer Unterkunftnahme der BF bei den zahlreichen Verwandten der BF und darüber hinaus auch bei UNRWA ausgegangen werden kann, stellt sich in casu die Unterkunftssituation auch als weit besser gesichert dar, als die laut dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, als zwar prekär aber unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK als noch erträglich beurteilte Situation der Unterbringung einer fünfköpfigen Familie in einem beheizbaren Zelt in der Größe von neun Quadratmetern.

 

Letztlich war zu berücksichtigen, dass die BF1-3 den ihnen zur Kenntnis gebrachten und der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr nach Jordanien nicht substantiiert entgegengetreten sind und in weiterer Folge auch nicht glaubhaft dargelegt haben, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf ihre individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit die BF1-3 durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären. Die BF1 nahm in der hg. Verhandlung hinsichtlich ihrer Erwartungen im Rückkehrfall befragt, lediglich darauf bezug, dass man ihr die Töchter wegnehmen und sie vielleicht töten werde, wozu auf die Ergebnisse der hg. Beweiswürdigung verwiesen wird. Eine schlechte Versorgungslage führte sie hingegen nicht ins Treffen.

 

4.2.3. In Jordanien erfolgen weder grobe, massenhafte Menschenrechtsverletzungen unsanktioniert, noch ist nach den länderkundlichen Feststellungen von einer völligen behördlichen Willkür auszugehen, weshalb auch kein "real Risk" (dazu jüngst VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582) einer unmenschlichen Behandlung festzustellen ist.

Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Es ist unter Berücksichtigung ihrer dargelegten individuellen Situation nicht ersichtlich, warum der BF1 eine Existenzsicherung in Jordanien, zumindest durch die genannten Möglichkeiten von Zuwendungen zur Bestreitung des Unterhalts und Gelegenheitsarbeiten, nicht möglich und zumutbar sein sollte. Es wäre der BF1 letztlich auch zumutbar, durch eigene und notfalls wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB. Verwandte, sonstige sie schon vor der Ausreise unterstützende Personen, Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen und auch durch UNRWA - erforderlichenfalls unter Anbietung ihrer gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung - jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zum Lebensunterhalt der BF1-3 unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können.

Es gibt auch keine entsprechenden Hinweise darauf, dass eine existenzielle Bedrohung der Beschwerdeführer im Hinblick auf ihre Versorgung und Sicherheit in Jordanien gegeben ist.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden.

Weder droht ihnen im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte noch bestünde die Gefahr der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in das Herkunftsgebiet für die Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person der Beschwerdeführer begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

 

Auch aus den aktuellen, in das Verfahren integrierten Quellen zur COVID19-Pandemie ergibt sich keine Rückehrgefährdung der Beschwerdeführer im Sinne eines realen Risikos, ist doch aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer1-3 nicht darauf zu schließen, dass diese Angehörige einer Risikogruppe sind und hat die BF1 die Covid-Erkrankung in Österreich bereits einmal überstanden (VHS, S 2). Ferner ist auf die in der Vergangenheit und aktuell bestehende Möglichkeit, in Österreich eine Impfung zu erhalten, zu verweisen.

 

Bei COVID 19 handelt es sich um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Art 3 EMRK tangierende Krankheit und hat die BF1 zu den diesbezüglichen hg. Feststellungen auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde.

 

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Judikatur des EGMR zu verweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09).

 

Dazu auch VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188-3, Rz 17 – 19 hinsichtlich der Ausführungen zur aktuellen Covid-Pandemie: es reicht nicht, wenn eine Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).

 

Insgesamt kann sohin im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerinnen weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes beim diesen, noch insgesamt auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.

 

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemein existenten Notlage im Herkunftsstaat der BF1-3 (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

 

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der BF1-3 (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es bestehen jedoch keine glaubhaften Hinweise, dass die BF1-3 einen Sachverhalt verwirklichten, welcher in Jordanien mit der Todesstrafe bedroht ist) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

 

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF1-3 in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder, der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen zu sein.

 

Da sich der Herkunftsstaat der BF1-3 nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

 

Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK ist jedenfalls nicht auszugehen.

 

Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß § 52a BFA-VG zB. auch eine finanzielle Rückkehrhilfe (über diese wird im behördlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in Jordanien gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen (http://www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation in Jordanien schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

 

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person der BF1-3 begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

 

Auf Grund der eben dargelegten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat erübrigt sich eine weitere Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005.

 

4.2.4. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF1-3 somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF1-3 als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen. Dies auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Beschwerdeführerinnen auch aus dem Verfahren ihrer jeweiligen Familienangehörigen keinen derartigen Status ableiten können, da deren Beschwerden mit dem gegenständlichen Erkenntnis im Ergebnis ebenfalls gleichlautend entschieden wurden.

4.3. Zu Spruchpunkt III.-V. der angefochtenen Bescheide (zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung - § 57 AsylG sowie § 52 FPG):

 

4.3.1. Zu Spruchpunkt A) 2.

 

Zu Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide (zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG):

 

Im vorliegenden Fall ist auf folgende einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0121 zu verweisen: § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 steht im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, der normiert, dass eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung - zu ergänzen: vorbehaltlich ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 9 BFA-VG 2014 - zu verbinden ist, wenn von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Die letztgenannte Voraussetzung gilt somit nur für den Fall der Verbindung der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz mit einer Rückkehrentscheidung. Ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und daher nicht zu erlassen, so lässt sich dem Gesetz für die diesbezügliche, nach § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 vorzunehmende Feststellung nicht die Bedingung entnehmen, dass zuvor über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 negativ abgesprochen wurde. Vielmehr entfällt diesfalls eine amtswegige Prüfung der Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, weil gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 (jedenfalls) ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Anderenfalls wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 vorrangig dieser Aufenthaltstitel zu erteilen und es käme trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht zur Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und zur Erteilung des - aufenthaltsrechtlich eine bessere Rechtsposition einräumenden (vgl. § 54 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 sowie § 43 Abs. 3, § 41a Abs. 9 und § 45 Abs. 2 NAG 2005) - Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Dass eine solche (gleichheitswidrige) Konsequenz vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen wäre, kann ihm nicht unterstellt werden. Die Anordnung eines negativen Ergebnisses der amtswegigen Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 als Bedingung für eine Rückkehrentscheidung hat offenbar auch nur den Zweck zu verhindern, dass eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, obwohl der Drittstaatsangehörige nach der genannten Bestimmung Anspruch auf eine Aufenthaltsberechtigung hat (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024). Diese teleologische Überlegung trifft aber auf den Fall, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, gerade nicht zu.

 

Da im vorliegenden Fall für die BF1-3 die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und daher nicht zu erlassen ist, waren im Lichte der soeben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur die Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben.

 

4.3.2. Zu Spruchpunkt A) 3.

 

4.3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die BF1-3 sind als Staatsangehörige Jordaniens keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

4.3.2.2. Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).

 

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01).

So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

* die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

* das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

* die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

* den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

* die Bindungen zum Heimatstaat,

* die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

* auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

 

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigen das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR 16.09.2004, Ghiban / BRD; 07.10.2004, Dragan / BRD; 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH 17.03.2005, G 78/04; EGMR 08.04.2008, Nnyazi / GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa die Vortäuschung eines Asylgrundes (vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH 29.09.2007, B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).

 

Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, B 950/10 sind betreffend die Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjähriger Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.

Es ist weiters als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) - die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.

 

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Auf die Judikatur des VfGH in Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Familien und die weitere höchstgerichtliche Judikatur ist zu verweisen, wonach das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (v VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330 verweisend auf VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH sind gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 unter Hinweis auf VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR).

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen Beschwerdeführern der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua.).

Ein anpassungsfähigen Alter wird in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua

 

4.3.2.3. Anwendung der Rechtsgrundlagen in den gegenständlichen Verfahren:

 

Die Beschwerdeführer 1-3 halten sich seit XXXX sohin gut fünfeinhalb Jahre durchgehend in Österreich auf. Sie haben am Verfahren mitgewirkt, die Verfahrensdauer ist ihnen nicht anzulasten.

 

Die Beschwerdeführerin 1, die keinen Sprachkurs abgeschlossen und keine Deutschprüfung abgelegt hat, verfügt, wie in der hg. Verhandlung hervorkam, über lediglich rudimentäre Deutschkenntnisse. Sie ging bislang keiner Arbeit nach und war auch nicht ehrenamtlich tätig, abgesehen von den Nachbarn verfügt sie kaum über soziale Kontakte.

 

Die Beschwerdeführer beziehen seit ihrer Einreise in Österreich staatliche Grundversorgung.

 

Die BF2 besuchte in Österreich vorerst die Volksschule und nunmehr die Mittelschule, die BF3 besucht die erste Klasse Volksschule.

 

Die Beschwerdeführer sind gerichtlich unbescholten.

 

Die Integrationsbemühungen der BF1 sind sohin als gering zu bewerten und kam im Verfahren keine besondere Integration der BF1 in beruflicher, sprachlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht hervor, sodass auch unter Einbeziehung des fünfeinhalbjährigen Aufenthaltes in einer Gesamtbetrachtung von einer tiefgreifenden Integration von außergewöhnlichem Ausmaß nicht gesprochen werden kann. Demgegenüber kann nach wie vor von einem Bestehen von Bindungen der Beschwerdeführer zu ihrem Herkunftsstaat Jordanien ausgegangen werden, zumal die BF1 und die BF2 dort den weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben. Sie sprechen nach wie vor ihre Muttersprache arabisch und ist auch bei der BF3 davon auszugehen, dass sie die arabische Sprache beherrscht, zumal diese im Familienverband vorwiegend gesprochen wird. Auch sind sie mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der jordanischen Kultur weiterhin vertraut. Zudem verfügen die BF1-3 über familiäre Anknüpfungspunkte in Jordanien, zumal sich mehrere Geschwister, Nichten und Neffen der BF1 und somit Tanten und Onkel sowie Cousins und Cousinen der BF2 und der BF3 in Jordanien aufhalten und Kontakt zu diesen besteht.

Von einer völligen Entwurzelung im Hinblick auf ihren Herkunftsstaat kann daher nicht ausgegangen werden. Somit ist festzuhalten, dass die BF1 nicht durch die erlassene Rückkehrentscheidung in ihren verfassungsmäßig geschützten Rechten verletzt wird.

 

Die Situation der minderjährigen BF2 und der minderjährigen BF3 ist jedoch im Lichte des zu berücksichtigenden Kindeswohles anders zu beurteilen als bei der BF1.

Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieses Kindes, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen es im Heimatstaat begegnet, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 6.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter („adaptable age“; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, - 39 - Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132). Eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit wird in der Rechtsprechung für Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren angenommen (vgl VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422).

 

Die nunmehr achtjährige BF3 wurde in Jordanien geboren und lebte dort bis zum Alter von rd. zweieinhalb Jahren, sie reiste dann mit den BF1-2 in Österreich ein. Es ist daher davon auszugehen, dass sie keinen (oder zumindest nur einen sehr geringen) persönlichen Bezug zu Jordanien hat. Sie befindet sich jedoch in einem anpassungsfähigen Alter (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0059) und ist zudem im Familienverband mit der BF1 und der BF2 aufgewachsen, weshalb davon auszugehen ist, dass sie mit den kulturellen Gegebenheiten des Heimatlandes und zumindest ihrer Muttersprache vertraut gemacht wurde. Überdies würde die minderjährige BF3 in Begleitung der BF1 und der BF2 in den Herkunftsstaat zurückkehren, wodurch das Kindeswohl nicht verletzt werden würde und die soziale Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtert ist. Selbst der Umstand, dass der Großteil des bisherigen Lebens in Österreich verbracht wurde, steht einer erfolgreichen Eingliederung im Herkunftsstaat nicht entgegen. Im Übrigen wird die BF3 aufgrund ihres jungen Alters Kultur, gesellschaftliche Werte, Sitten, Normen und soziale Rollen ohnehin erst weitgehend erlernen müssen. Maßgeblich prägend für ihre Sozialisierung ist im vorliegenden Fall die Mutter (BF1). Die Anpassung an jene Lebensverhältnisse, in denen die BF3 vor ihrer Ausreise gelebt hat, ist daher bei einer Rückkehr im Verbund mit der BF1 und der BF2 auch angesichts der in Jordanien noch lebenden weiteren Verwandten, zu denen Kontakt besteht, zumutbar. In Anbetracht der gemeinsamen Rückkehr im Familienverband kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Anwesenheit sämtlicher Bezugspersonen keine das Kindeswohl beeinträchtigende Entwurzelung eintritt (VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162).

 

Die rd. vierzehneinhalbjährige BF2 befindet sich in keinem anpassungsfähigen Alter mehr und ist aufgrund ihres mehrjährigen Schulbesuches, wie sie in der hg. Verhandlung ausführte, in ihrem Freundeskreis gut vernetzt.

 

Hinsichtlich der BF2 und der BF3 ist jedoch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in den Blick zu nehmen, wonach die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln sind und bei der Interessensabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK berücksichtigt werden müssen (VfGH 14.06.2022, E 2681/2012 mwN). Dieser Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen gefolgt (vgl zuletzt VwGH 12.10.2022, Ra 2022/18/0124).

Es wird nicht verkannt, dass das Wohl der mj. BF2 und der mj. BF3 durch die Rückkehr gemeinsam mit ihrer Mutter (BF1) nicht beeinträchtigt wird und daher dieser Umstand keinen Ausschlag zu ihren Gunsten geben kann. Jedoch ist im vorliegenden Fall Art 1 des BVG über die Rechte von Kindern, BGBl I Nr 4/2011 zu berücksichtigen.

Dabei ist der nunmehr fünfeinhalbjährigen Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet, der Schulbesuch der BF2-3 und die daraus resultierenden sozialen Bindungen in Verbindung mit der exzeptionellen Situation der BF2 und BF3, die als Minderjährige von ihrer alleinerziehenden Mutter betreut werden und in Österreich im Gegensatz zu ihrer Situation in Jordanien, wo sie gegebenenfalls als weibliche Staatsangehörige und Angehörige der palästinensischen Volksgruppe mit allfälligen (zwar nicht asylrelevanten) Diskriminierungen und Benachteiligungen zu rechnen haben und wo durch die konservative Kultur eine Einschränkung persönlicher und sozialer Freiheiten möglich ist, in den Blick zu nehmen.

Die BF1 war in Jordanien insgesamt dreimal verheiratet und wurde die Ehen jeweils durch Ehescheidung beendet. Die Situation für alleinerziehende Frauen in Jordanien stellt sich nicht einfach dar und kommt erschwerend die Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe hinzu und ist im diesbezüglichen Vorbringen der BF1 in der hg. Verhandlung auch eine gewisse Überforderung mit ihrer soeben beschriebenen Situation und ihrer finanziellen Lage im Herkunftsstaat erkennbar, was sich im vorliegenden Fall auch darin zeigt, dass die BF2 in Jordanien mehrere Monate nicht die Schule besuchte und es den Länderfeststellungen zufolge in Jordanien - im Gegensatz zu Österreich - auch keine Gesetze gibt, die die Schulpflicht (zum Wohl des Kindes) durchsetzen. Letztlich ist auch auf die seitens des BFA festgestellten und in das Beschwerdeverfahren einbezogenen Ausführungen zu einer potentiellen Wiederverheiratung der BF1 zu verweisen, wonach der Kindesvater das Sorgerecht diesfalls wiedererlangen könnte, da es ihm zustehe, dass seine Kinder nicht bei einem fremden Vater aufwachsen. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder vor einer Wiederverheiratung ihrer Mutter übertrage, wenn diese noch lebe, womit der Kindesvater wieder aus dem Anspruch des Sorgerechts falle (Auskunft des VB des BMI vom 22.3.2017 an das BFA). Auch aus diesem Blickwinkel spricht in Anbetracht der Angaben der BF1, wonach ihre Mutter bereits verstorben sei, das zu beachtende Kindeswohl für einen Verbleib der BF2-3 in Österreich.

 

Im Hinblick auf das den BF2-3 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung ihrer Interessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die soeben beschriebene allgemeine und persönliche Situation der BF 2-3 diesem Recht entgegensteht, da diese im Herkunftsstaat Gefahr laufen könnten, in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung beeinträchtigt zu werden. Daher erweist sich die Rückkehr der mj. BF2-3 nach Jordanien als dauerhaft unzulässig.

Für ihre Mutter, die BF1, ist in weiterer Folge auch die Rückkehrentscheidung für unzulässig zu erklären, da die Auflösung des Familienverbandes durch die Rückkehr der obsorgeberechtigten BF1 dem Kindeswohl widersprechen würde.

 

Zusammenfassend erweist sich die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs 3 BFA-VG für sämtliche Beschwerdeführer als auf Dauer unzulässig.

 

Aus dem Blickwinkel des Kindeswohles spricht angesichts der dargelegten Faktoren im gg. Fall daher mehr für den Verbleib im Bundesgebiet als für die Rückkehr in den Herkunftsstaat, wobei dieses private Interesse mit dem öffentlichen Interesse eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Österreich korreliert (vgl. VwGH 25.04.2019, Ra 2018/22/0251).

 

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer 1-3 dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. So ist im vorliegenden Fall auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass die Beschwerdeführer 1-3 Österreich verlassen müssten.

Das BFA, welches an der hg. Verhandlung nicht teilnahm, hat auch kein Vorbringen hinsichtlich einer missbräuchlichen Antragstellung der Beschwerdeführer erbracht.

 

Im Hinblick auf die dargelegten fallbezogenen Umstände geht das Bundesverwaltungsgericht sohin davon aus, dass die privaten Interessen der Beschwerdeführer 1-3 an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens überwiegen, und eine Rückkehrentscheidung daher im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK unverhältnismäßig wäre.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen fallbezogenen Umstände zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer 1-3 auf Dauer unzulässig ist.

 

4.3.2.4. Aufenthaltstitel bzw. „Aufenthaltsberechtigung“

 

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

§ 55 AsylG 2005 samt Überschrift lautet:

 

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

 

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht, einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt. Bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

 

Das Modul 1 dient gemäß § 7 Absatz 2 Integrationsgesetz dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung. Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres durch Verordnung festzulegen.

 

Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 10 Abs. 2 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 12 vorlegt (Z 1), minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (§ 3 Abs. 3 Schulorganisationsgesetz (SchOG) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat (Z 3), minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Sekundarschule (§ 3 Abs. 4 SchOG) besucht (Z 4) und die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ durch das zuletzt ausgestellte Jahreszeugnis oder die zuletzt ausgestellte Schulnachricht nachweist, einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach „Deutsch“ auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat oder eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung gemäß Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz nachweist (Z 5), einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach „Deutsch“ nach zumindest vierjährigem Unterricht in der deutschen Sprache an einer ausländischen Sekundarschule nachweist (Z 6), über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz oder eine Facharbeiterprüfung gemäß den Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzen der Länder verfügt (Z 7) oder mindestens zwei Jahre an einer postsekundären Bildungseinrichtung inskribiert war, ein Studienfach mit Unterrichtssprache Deutsch belegt hat und in diesem einen entsprechenden Studienerfolg im Umfang von mindestens 32 ECTS-Anrechnungspunkten (16 Semesterstunden) nachweist bzw. über einen entsprechenden postsekundären Studienabschluss verfügt (Z 8). Dies gilt gemäß Abs. 3 nicht für Drittstaatsangehörige, die zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig sind und noch nicht der allgemeinen Schulpflicht unterliegen (Z 1) oder denen auf Grund ihres physisch oder psychisch dauerhaft schlechten Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann (Z 2); der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen. Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 2 Z 1 das Modul 2 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 nicht erfüllt hat (Abs. 4).

Gemäß § 11 Abs. 1 und 2 IntG wird die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom Österreichischen Integrationsfonds durchgeführt. Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

 

Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1:

 

§ 11. (1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom Österreichischen Integrationsfonds durchgeführt.

 

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

 

(3) Der Prüfungsinhalt, die Modalitäten der Durchführung, die Qualifikationen der Prüfer sowie die Prüfungsordnung zur Erfüllung des Moduls 1 werden durch Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres festgelegt.

 

Prüfungsinhalt und Standards für die Durchführung der Integrationsprüfung gemäß Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres über die Integrationsvereinbarung (Integrationsvereinbarungs-Verordnung – IV-V 2017), BGBl. II Nr. 242/2017:

 

§ 7. (1) Die Integrationsprüfungen zur Erfüllung des Moduls 1 („A2 Integrationsprüfung“) und

Moduls 2 („B1 Integrationsprüfung“) umfassen Fragen zur Sprachkompetenz sowie Fragen zu Werte-und Orientierungswissen. Die Sprachkompetenz umfasst die Fertigkeiten Hören, Schreiben, Sprechen und Lesen. Wertefragen werden im Multiple- oder Single-Choice Testverfahren auf entsprechendem Sprachniveau durchgeführt und testen Werteinhalte nach Maßgabe der Rahmencurricula (Anlage A und B). Alle Prüfungsinhalte sind im Rahmen eines Prüfungsantritts zu absolvieren. Das Ausstellen von Teilbestätigungen ist nicht zulässig.

(2) …

(3) Die „A2 Integrationsprüfung“, die den Abschluss des Integrationskurses bildet, und die „B1 Integrationsprüfung“ werden von je zwei qualifizierten Prüfern (§ 8), welche während der gesamten Dauer der Prüfung im Prüfungsraum anwesend sein müssen, nach einheitlichen Standards (Anlage C) im Inland durchgeführt. Integrationsprüfungen sind nicht öffentlich.

(4) …

(5) Der Nachweis über die erfolgreiche Absolvierung einer Integrationsprüfung erfolgt in Form eines Prüfungszeugnisses, das dem Muster der Anlage D (Zeugnis zur Integrationsprüfung) zu entsprechen hat…

(6) Im Prüfungszeugnis ist schriftlich zu bestätigen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige über

1. Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest auf A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung oder

2. Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest auf B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und über vertiefte Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung verfügt. Fehlt eine solche Bestätigung, gilt der Nachweis über ausreichende Deutsch- und Wertekenntnisse auf der entsprechenden Niveaustufe als nicht erbracht.

(7) …

 

Übergangsbestimmung:

 

§ 81 Absatz 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) lautet:

 

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

 

Gemäß des mit Ablauf des 30. September 2017 außer Kraft getretenen § 14a Abs 4 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs 2 Z 1 NAG („Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung“) vorlegt. Gemäß § 14 Abs 3 NAG hat(te) die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

 

Die Integrationsvereinbarungs-Verordnung, BGBl II 449/2005 idF BGBl II 205/2011, sah bzw. sieht diesbezüglich in deren § 7 Abs 1 vor, dass das Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben, ist. Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 14a Abs 4 Z 2 und § 14b Abs 2 Z 1 NAG galten bzw. gelten gemäß § 9 Abs 4 erster Satz der Verordnung Zeugnisse des ÖIF nach erfolgreichem Abschluss einer Prüfung auf A2-Niveau oder B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

 

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

 

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;

2. "Aufenthaltsberechtigung ", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

 

Aus den EB zum FRÄG 2015 ergibt sich, dass damit zusätzlich klargestellt werden soll, dass auch das Bundesverwaltungsgericht - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26.

 

Den Beschwerdeführern sind daher gemäß § 54 Abs 1 und 2 iVm § 55 AsylG 2005 folgende Aufenthaltsberechtigungen auf die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen: Der BF1, die das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels Erfüllung eines Nachweises des Sprachniveaus Deutsch A2 nicht erfüllt und keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, gemäß § 55 Abs 1 Z 1 und Abs 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ und den mj. BF2 und BF3 die das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllen, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführern den jeweiligen Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen, die Beschwerdeführer haben hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

 

 

4.3.3. Zu Spruchpunkt A) 4.

 

Da mit Spruchpunkt A) 2. des vorliegenden Erkenntnisses die rechtliche Voraussetzung für die Erlassung der Spruchpunkte V. und VI. der angefochtenen Bescheide wegfällt (vgl. § 52 Abs 9 und § 55 Abs 1 FPG), sind diese Spruchpunkte jeweils ersatzlos zu beheben.

 

Es ist daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen Glaubwürdigkeitsprüfung, wohlbegründete Furcht, Verfolgungsintensität, Interessensabwägung und Rückkehrentscheidung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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