Normen
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
MRK Art3;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
MRK Art3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten, einer weißrussischen Staatsangehörigen, nach Weißrussland gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz nicht zulässig sei. Gleichzeitig wurde der Mitbeteiligten eine befristete Aufenthaltsberechtigung gewährt und die erstinstanzlich verfügte Ausweisung ersatzlos behoben.
Begründend stellte die belangte Behörde fest, die Mitbeteiligte sei seit 9. Oktober 2007 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Bei negativem Abschluss des Asylverfahrens müsse sie aber allein nach Weißrussland zurückkehren, weil nicht davon auszugehen sei, dass ihr Ehemann als österreichischer Staatsbürger auf Dauer mit ihr in Weißrussland leben dürfe. Den in der Berufungsverhandlung zitierten Länderberichten zufolge seien Frauen in Weißrussland dem Gesetz nach gleichberechtigt, jedoch würden sie selten führende Positionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft einnehmen. Etwa 67 % aller Arbeitslosen in Weißrussland seien Frauen. Die Mitbeteiligte habe eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert. Ihr Gehalt wäre sehr niedrig. Unabhängig davon sei es sogar unwahrscheinlich, dass sie im erlernten Beruf Arbeit finden würde, da sie ihre Ausbildung vor langer Zeit abgeschlossen, jedoch nie als Krankenschwester gearbeitet habe. Zusätzlich müsse sie als allein erziehende Mutter für ihre vierjährige Tochter sorgen. Das Kindergeld in Weißrussland betrage nur etwa 20 Dollar im Monat. Vor ihrer Ausreise aus Weißrussland sei die Mitbeteiligte von ihrer Mutter finanziell unterstützt worden. Früher habe die Mutter der Mitbeteiligten vom Handel gelebt, indem sie nach Polen gefahren sei, Waren gekauft und diese dann in Weißrussland verkauft habe. Nunmehr könne die Mutter der Mitbeteiligten aufgrund der Schließung der Schengengrenzen nicht mehr nach Polen reisen, weswegen die Mutter der Mitbeteiligten ihr Einkommen verloren habe. Aufgrund dieser geschilderten tristen finanziellen Situation der Mitbeteiligten als allein erziehender Mutter einer vierjährigen Tochter in Weißrussland sei nicht mit der nötigen Gewissheit auszuschließen, dass die Mitbeteiligte im Fall ihrer Rückkehr nach Weißrussland in eine unmenschliche Lage versetzt würde. Deshalb sei ihr subsidiärer Schutz zu gewähren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen hat:
Die Amtsbeschwerde rügt, die belangte Behörde verkenne, dass die Gewährung von Refoulementschutz nur dann in Betracht käme, wenn "in concreto eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition" der Mitbeteiligten bei Rückkehr in den Herkunftsstaat zu befürchten sei. Davon könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden, aufgrund derer eine Verletzung von Art. 3 EMRK glaubhaft sei. Solche Umstände lägen im gegenständlichen Fall nicht vor.
Mit diesem Vorbringen ist die Amtsbeschwerde im Recht.
Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) in der hier maßgeblichen Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, hat die Asylbehörde im Falle der Abweisung eines Asylantrags von Amtswegen festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist. Die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn dem Asylwerber im Herkunftsstaat eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2009, 2008/19/0271 und 2008/19/0653).
Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, 2000/01/0443, u.a.; siehe auch die zusammenfassende Darstellung der Rechtsprechung in Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung (2009(, 132 ff).
In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK aber eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2004, 99/20/0573, u.a.).
Auf der Grundlage der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zur Person der Mitbeteiligten und unter Einbeziehung der im angefochtenen Bescheid ebenfalls enthaltenen Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat (denen zufolge die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und medizinischen Leistungen gewährleistet ist) teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der Amtsbeschwerde, dass die Schwelle des Art. 3 EMRK im vorliegenden Fall keinesfalls erreicht ist.
Die Mitbeteiligte war - im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids - eine 27 jährige Frau mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Krankenschwester. Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen der Mitbeteiligten sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Sie verfügt im Herkunftsstaat über familiäre Bezugspersonen (Mutter; nach ihrer Aussage vor der belangten Behörde überdies einen Bruder mit dessen Familie). Dass sie bei diesen (sei es auch nur vorübergehend) keine Unterkunft nehmen könnte, lässt der angefochtene Bescheid nicht erkennen.
Dass die Mitbeteiligte trotz dieser (nicht ungünstigen) Ausgangslage Abschiebeschutz benötige, begründet die belangte Behörde vor allem damit, dass sie als allein erziehende Mutter einer vierjährigen Tochter im Falle der Rückkehr eine "triste finanzielle Situation" vorfinden könne. Es sei unwahrscheinlich, dass sie in ihrem Beruf Arbeit finden werde; wenn doch, so sei das Gehalt sehr niedrig. Ihre Mutter könne sie nicht (mehr) finanziell unterstützen, weil sie ihr seinerzeitiges Einkommen verloren habe. Das staatliche Kindergeld sei gering. Mit diesen Überlegungen zeigt die belangte Behörde zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für die Mitbeteiligte im Herkunftsstaat auf; die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze wird damit aber nicht dargetan.
Ausgehend davon erfolgte die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht zu Recht. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde allerdings zu klären haben, ob eine Ausweisung der Mitbeteiligten aus dem Bundesgebiet trotz der Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK überhaupt in Betracht kommt. Da sich die belangte Behörde mit dieser Frage bislang nicht beschäftigt hat, kann - mangels Entscheidungsreife - auch die ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Ausweisung keinen Bestand haben.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Wien, am 6. November 2009
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