VwGH 2012/22/0143

VwGH2012/22/014319.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde 1. des H, 2. der R, 3. des G und

4. des T, sämtliche vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom 27. Juni 2012, Zl. 161.968/2-III/4/2012 (ad. 1., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0143), Zl. 161.968/3-III/4/12 (ad. 2., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0144), Zl. 161.968/5-III/4/12 (ad. 3., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0145) und Zl. 161.968/6-III/4/12 (ad. 4., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0146), jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer (Ehepaar und ihre Kinder armenischer Staatsangehörigkeit) auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde in den zitierten Bescheiden annähernd gleichlautend aus: Die Beschwerdeführer seien am 2. September 2006 nach Österreich eingereist und hätten noch am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Diese Anträge seien in Verbindung mit einer Ausweisung gemäß §§ 3 und 8 Asylgesetz 2005 abgewiesen worden. Der Asylgerichtshof habe die Beschwerden gegen diese Bescheide mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2011 als unbegründet abgewiesen und die Ausweisungen bestätigt. In der Folge hätten die Beschwerdeführer am 18. November 2011 Anträge auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG gestellt. Dabei sei vorgebracht worden, dass der Drittbeschwerdeführer das Oberstufenrealgymnasium mit sehr guten Schulerfolgen besuchen würde und der Viertbeschwerdeführer die erste Klasse der Volksschule besuchte. Die gesamte Familie wäre seit Jahren "bei der Kirche" aktiv und in die Pfarrgemeinde gut integriert. Es gebe "viele tiefe Freundschaften" mit österreichischen Familien. Weiters hätte die Familie gemeinnützige Tätigkeiten geleistet und es hätten die Eltern als Aushilfskräfte Aufgaben für die Gemeinde übernommen.

Mit einer Stellungnahme vom 9. März 2012 seien weitere Unterstützungserklärungen vorgelegt worden. Bezüglich der Zweitbeschwerdeführerin, die "insbesondere psychisch angeschlagen" sei, seien Krankheitsbefunde vorgelegt worden.

Die erstinstanzliche Behörde sei zu dem Schluss gekommen, dass eine inhaltliche Beurteilung der Anträge auf Grundlage des Art. 8 EMRK erforderlich wäre, weshalb auch im Berufungsverfahren eine Neubewertung nach Art. 8 EMRK vorzunehmen sei. Dieser verlange eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse der Fremden am Verbleib in Österreich. Die Abweisung der beantragten Aufenthaltstitel stelle einen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer dar. Weil jedoch keiner der Familienangehörigen über einen Aufenthaltstitel verfüge und alle ausgewiesen worden seien, werde durch die Nichtgewährung von Aufenthaltstiteln nicht in ein Familienleben eingegriffen. Ein volljähriger Sohn (ein fünftes Familienmitglied) verfüge auch nicht über einen Aufenthaltstitel und sei aus Österreich ausgewiesen worden. Dem Vorbringen zur Integration der Familie während des ca. sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich sei entgegenzuhalten, dass dieser Aufenthalt auf einer illegalen Einreise beruhte. Die Beschwerdeführer hätten letztlich unbegründete Asylanträge gestellt. Im Hinblick auf die negativen behördlichen Beurteilungen der Asylanträge hätten die Beschwerdeführer von einem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus ausgehen müssen. Sie hätten nicht damit rechnen können, dass eine "weitere" Niederlassung in Österreich bewilligt werde. Dadurch sei das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert. Auch die auf die Familie zutreffenden integrationsbegründenden Umstände (Ablegen von Deutschprüfungen, Knüpfen von sozialen Kontakten in Österreich, Unterstützung durch österreichische Familien und Institutionen, Teilnahme am Gemeindeleben, Schulbesuch und außergewöhnliche schulische Leistungen, das Vorliegen von Einstellungszusagen sowie der Erwerb eines österreichischen Führerscheines) gründeten auf letztlich unberechtigten Asylanträgen und seien durch Schaffung vollendeter Tatsachen erzwungen worden. Eine derartige Gesamtbetrachtung habe aber nicht die Konsequenz, dass der Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre. Die integrationsbegründenden Umstände würden jedoch nicht ausreichen, dass den Beschwerdeführern unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Privatleben in Österreich ermöglicht werden müsse. Den die Einreise und den Aufenthalt regelnden Normen komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zu. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien erst im Erwachsenenalter nach Österreich eingereist und es hätten sowohl der mittlerweile volljährige Sohn als auch der Drittbeschwerdeführer den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht in Österreich verbracht. Sie hätten sich in den prägenden Jahren ihrer Kindheit im Heimatstaat aufgehalten. In Bezug auf den Viertbeschwerdeführer sei zu würdigen, dass auf Grund seines geringen Alters von einer hohen Anpassungsfähigkeit auszugehen sei.

Weiters hätten Fremde im Allgemeinen kein Recht, in einem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden. Ein mentaler Stress durch eine Abschiebungsentscheidung rechtfertige nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung.

§ 43 Abs. 3 (gemeint: § 41a Abs. 9) NAG lege dem Fremden eine besondere "Vorbringenslast" auf. Ob bei einer Rückkehr nach Armenien Lebensgefahr für die Söhne bestehe, sei nicht Gegenstand des Niederlassungsverfahrens. Sprachprüfungen und abgeschlossenen Dienstvorverträgen sei keine solche Bedeutung beizumessen, dass dadurch ein maßgeblich geänderter Sachverhalt verwirklicht werde. Insgesamt betrachtet erreichten die im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren vorliegenden integrationsbegründenden Umstände noch keinen solchen Grad, dass von einem Gebot zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels auszugehen wäre. Überdies habe sich der Sachverhalt seit der rechtskräftigen Ausweisung durch den Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2011 nicht maßgeblich verändert. Somit wäre auch eine Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG "anzudenken" gewesen. Im Zweifel sei jedoch eine neuerliche Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde erwogen:

Voraussetzung für die Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG (eingefügt mit BGBl. I Nr. 38/2011) ist eine zu Gunsten der Beschwerdeführer vorzunehmende Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK, somit ein Überwiegen des persönlichen Interesses der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich über das öffentliche Interesse an der Verweigerung der Aufenthaltstitel. Dieses öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften ist hoch anzusetzen, weshalb Fremde nach Ablehnung ihrer Asylanträge grundsätzlich zum Verlassen des Bundesgebietes anzuhalten sind. Ein Eingriff in das Familienleben liegt auf Grund des Fehlens eines Aufenthaltstitels und der bereits erfolgten gemeinsamen Ausweisung nicht vor (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, 2010/22/0013, 0014).

In der Beschwerde wird im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sich die Beschwerdeführer seit etwa sechs Jahren in Österreich aufhielten, über intensive private Bindungen und hervorragende Deutschkenntnisse verfügten, der Drittbeschwerdeführer ein sehr guter Schüler sei und für ihn eine verbindliche Einstellungszusage vorliege. Die gesamte Familie habe sich in ihrem Umfeld sehr gut integriert.

Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, das Ergebnis der von der belangten Behörde durchgeführten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK als rechtswidrig darzustellen. Maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die behauptete Integration in einer Zeit entstanden ist, in der sich die Beschwerdeführer ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren. Weiters ist die Aufenthaltsdauer nicht so lang, dass der Familie jedenfalls der Verbleib in Österreich zu gestatten wäre; eine berufliche Integration liegt nicht vor. Auch wenn soziale Beziehungen aufgebaut wurden, haben diese nicht ein solches Gewicht, dass die Aufenthaltstitel erteilt werden müssten.

Verfehlt ist der Beschwerdehinweis auf eine "unmittelbare Gefahr für Leib und Leben" des Drittbeschwerdeführers, ist doch eine solche Gefahr nicht im Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln zu prüfen. Darauf war im Asylverfahren Bedacht zu nehmen.

Zu Recht verwies die belangte Behörde darauf, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ihr Heimatland in einem solchen Alter verlassen haben, dass eine Wiedereingliederung möglich ist.

Letztlich bleibt zu prüfen, ob aus dem Alter der beschwerdeführenden Kinder ein durchschlagendes Interesse der ganzen Familie an einem Verbleib in Österreich abzuleiten ist. Diesbezüglich verweist die Beschwerde auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2011, VfSlg. Nr. 19.357.

Gerade diese Entscheidung festigt jedoch die angefochtenen Bescheide. Der Verfassungsgerichtshof sprach nämlich unter Hinweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus, dass für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit anzunehmen ist. Dies trifft auf den Viertbeschwerdeführer zu, der sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung in einem Alter von (erst) acht Jahren befand. Der im Jahr 1994 geborene Drittbeschwerdeführer war hingegen zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich bereits etwa 12 Jahre alt, weshalb dieser die grundsätzliche Sozialisierung bereits in seinem Heimatstaat erfahren hatte, was eine Wiedereingliederung ermöglicht. Das Alter des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers und deren Aufenthaltsdauer in Österreich vermögen somit nicht der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

Daher erweist sich das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles als rechtmäßig.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 19. September 2012

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