VwGH 99/01/0435

VwGH99/01/043516.2.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des KJ in S, geboren am 8. Juni 1982, vertreten durch Mag. Richard Regner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. August 1999, Zl. 211.797/0-V/15/99, betreffend 1.) Asylgewährung und

2.) Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt 1.) des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

Hingegen wird Spruchpunkt 2.) des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Punkt 1.) des im Instanzenzug ergangenen Bescheides der belangten Behörde vom 18. August 1999 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999 - AsylG -, abgewiesen.

Spruchpunkt 2.) des angefochtenen Bescheides lautet:

"Gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des XY nach Algerien zulässig ist."

In der gemäß § 29 Abs. 1 erster Satz AsylG im Spruch enthaltenen Übersetzung in eine dem Asylwerber verständliche Sprache finden sich als genannte Gesetzesstellen die §§ "75" bzw. "8", als Name ist "KJ" eingetragen.

Die belangte Behörde stellte gestützt auf die Angaben des Beschwerdeführers als entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland Ende Mai 1999 auf Grund der in Algerien herrschenden, von radikalen Fundamentalisten ausgehenden Terrorwelle verlassen habe, von welcher er insofern betroffen gewesen sei, als er im Jahre 1997 und Ende des Jahres 1998 zu Hause von Terroristen mit dem Tode bedroht worden sei. Er habe sich danach bis Mai 1999 zu Hause aufgehalten. Er habe bis zu seiner Ausreise keine Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt, er sei keinen konkreten Verfolgungen aus politischen, rassischen, religiösen oder sonstigen Gründen ausgesetzt gewesen und habe sich niemals in Haft befunden.

Die belangte Behörde leitete daraus ab, der Beschwerdeführer habe keinen ausreichend konkreten Grund für eine Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen vorgebracht. Des Weiteren mangle es an dem für eine Asylgewährung notwendigen zeitlichen Zusammenhang "zwischen den erlebten Vorfällen und dem Verlassen des Heimatlandes". Des Weiteren lasse sich aus seinem Vorbringen erkennen, die algerische Polizei sei gewillt gewesen, Abhilfe gegen die ausgesprochenen Drohungen zu schaffen. Denn der Beschwerdeführer habe erklärt, nach Erstattung einer Anzeige "Waffenübungen erhalten" zu haben. In der Folge sei von der Polizei eine Waffe (wegen des jugendlichen Alters des Beschwerdeführers) an den Vater des Beschwerdeführers ausgehändigt worden.

Zu Spruchpunkt 2.) begründete die belangte Behörde, sie schließe sich auch in diesem Punkt den Rechtsausführungen der erstinstanzlichen Behörde an und ergänzte, dass die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation auch das Feststehen der Identität des Fremden voraussetze. Es sei dem Beschwerdeführer im Zuge des gesamten Verfahrens nicht gelungen, amtliche Dokumente oder sonstige Unterlagen beizuschaffen, welche Aufschluss über seine Identität geben könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.) Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858).

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe bis zur Ausreise andauern muss und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können bloß zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Daher ist zunächst zu prüfen, inwieweit die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht (Ausreise Ende Mai 1999) vorlag. Weder anlässlich seiner Vernehmung noch in seinen Berufungsausführungen gab der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen ihm ein früheres Verlassen seines Heimatlandes angesichts der letzten behaupteten Verfolgungshandlung Ende 1998 unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Im Ergebnis kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, dass unter Zugrundelegung der Darstellung des Beschwerdeführers diesem die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender aktueller Verfolgung nicht gelungen sei (vgl. zum zeitlichen Konnex aus vielen das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081).

Gerade die ergänzenden Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerde, er habe sich auch nach der letzten Drohung bis zum Verlassen seines Wohnhauses Ende Mai 1999 weiterhin zu Hause aufgehalten, weil "das Haus gegenüber der Polizeistation gelegen ist, dies also eine gewisse Sicherheit darstellte", lassen eine dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung noch weniger als auf Grund des der belangten Behörde zur Entscheidung vorliegenden Sachverhaltes als möglich erscheinen.

Zudem ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass eine nicht von staatlichen Stellen ausgehende Verfolgung - im gegenständlichen Fall erübrigt sich die Prüfung, ob der Beschwerdeführer ausreichend konkret einen Zusammenhang mit den Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention dargetan hat - nur dann Asylrelevanz erreicht, wenn der betreffende Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren, wobei hinsichtlich der praktischen Schutzgewährung nicht von einem umfassenden Schutz gegen jede Gefahr ausgegangen werden darf. Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer schon anlässlich seiner ersten Einvernahme angegeben, die Polizei habe ihm "Waffenübungen zukommen" lassen, seinem Vater sei eine Waffe ausgehändigt worden, welche der Vater bei der letzten Bedrohung Ende 1998 auch eingesetzt habe. Weiters sei während dieses Schusswechsels die Polizei verständigt worden, welche nach Flucht der Terroristen gekommen sei und alles aufgenommen habe. Es kann daher im konkreten Fall nicht von mangelnder Schutzwilligkeit oder Unfähigkeit des algerischen Staates zur Schutzgewährung ausgegangen werden.

Im Hinblick auf den für die Asylgewährung notwendigen zeitlichen Konnex hat der Beschwerdeführer nie behauptet, er habe sich versteckt gehalten, sondern spricht auch das von ihm vorgebrachte Verhalten, er habe sich nach dem letzten Vorfall, bei dem er zu Hause gewesen sei, in der Folge weiterhin zu Hause aufgehalten, für die Richtigkeit der diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Bescheides.

Die Beschwerde gegen Punkt 1.) des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.) Dass die belangte Behörde bei einer auf § 7 AsylG gestützten Abweisung eines Asylantrages in der gemäß § 8 AsylG zu treffenden Feststellung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in sein Heimatland sich nicht mit der Prüfung der Gründe des § 57 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 begnügen darf, hat der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/01/0397, ausgesprochen. Auf dieses Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Im gegenständlichen Fall ist der Spruch zu Punkt 2.) des angefochtenen Bescheides aber auch noch aus einem weiteren Grund inhaltlich rechtswidrig. Denn die belangte Behörde hat in der deutschen Fassung des Spruches die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des "XY" nach Algerien für zulässig erklärt und sich ausdrücklich auf § 57 Abs. 1 FrG gestützt; hingegen findet sich in der Übersetzung in die dem Asylwerber verständliche Sprache neben der Bezeichnung des § 8 die Nennung eines § "75" sowie unter Nennung der Person der Name des Beschwerdeführers.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entscheidet, erweist sich ein Bescheid als mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet, wenn Spruch und Begründung zueinander in Widerspruch stehen (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 437, E 19, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Dies gilt umso mehr, wenn der Spruch selbst für sich gesehen bereits widersprüchlich ist. Die belangte Behörde hat ohne jeden Zweifel sowohl die deutsche Fassung als auch deren Übersetzung in eine dem Asylwerber verständliche Sprache als Bestandteil ihres Spruches in den angefochtenen Bescheid aufgenommen. Die unterschiedliche Namensnennung macht Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides schon allein für sich rechtswidrig, weil nicht mehr nachvollziehbar ist, welche Person von der Feststellung gemäß § 8 AsylG tatsächlich betroffen ist. Hinzu kommt noch der Unterschied in der Normenbezeichnung (§ 57 Abs. 1 bzw. § 75).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher in diesem Spruchpunkt mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Februar 2000

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