VwGH 97/21/0560

VwGH97/21/056030.5.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 17. Juli 1971 geborenen H in Graz, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 24. Juni 1997, Zl. FR 1130/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 24. Juni 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsangehöriger, in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Nach seinem Vorbringen bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Graz am 17. September 1996 sei der Beschwerdeführer von Italien kommend am 2. September 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Das Asylverfahren sei mittels Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 9. Oktober 1996 negativ abgeschlossen worden. Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer als Fluchtgrund angegeben, dass in Liberia Bürgerkrieg herrsche und eine Rebellengruppe ihn für das Militär rekrutieren hätte wollen. Er hätte sich geweigert, da ihm seine christliche Religion das Töten verbiete, worauf er zusammengeschlagen worden sei. Er würde jedoch wieder nach Hause gehen, sobald in seinem Land wieder Frieden herrsche.

Die belangte Behörde führte aus, dass nach § 37 Abs. 1 FrG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig sei, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Die Verfolgungsgründe nach § 37 Abs. 2 FrG würden sich mit dem Begriff des Flüchtlings decken, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass diese Verfolgungsgründe nicht vorliegen würden. Der Bundesminister für Inneres habe mit Bescheid vom 9. Oktober 1996 rechtskräftig festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und er in seinem Heimatland vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sicher sei. Zudem habe der Beschwerdeführer im darauf folgenden fremdenpolizeilichen Verfahren keine neuen Tatsachen vorgebracht und, was die Fluchtgründe anlange, auf das Vorbringen im Asylverfahren verwiesen bzw. diese wiederholt. Der Beschwerdeführer habe sein Land demnach ausschließlich wegen des Krieges verlassen.

Gefahren im Sinne der angeführten Bestimmungen lägen nur dann vor, wenn sie von dem betreffenden Staat ausgingen oder von ihm gebilligt würden, es sei denn, der Staat wäre nicht in der Lage, die Verfolgung einer bestimmten Gruppe durch eine andere zu verhindern. Darunter fielen keineswegs etwaige Bedrohungen durch Rebellengruppen. Es obliege weiters dem Fremden, der eine Feststellung gemäß § 54 FrG begehrt, zumindest glaubhaft zu machen, dass ihm aktuell, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat konkret die in § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gefahren drohen. Die Behörde sei nicht verpflichtet, von sich aus Ermittlungen darüber anzustellen, ob und inwieweit der Beschwerdeführer im Sinne des § 37 FrG bedroht sein könnte, sondern es sei vielmehr Aufgabe des Beschwerdeführers, konkrete Umstände für eine derartige Schlussfolgerung darzutun, wobei die beschriebene Gefahr bzw. Bedrohung auf Grund konkreter Angaben des Fremden objektivierbar sein müsse. Es fehle im vorliegenden Fall an einem konkreten Vorbringen, weshalb die Glaubhaftmachung einer Gefahr im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 FrG nicht geglückt sei. Hinweise auf die Brisanz der politischen Situation im Heimatstaat des Beschwerdeführers bzw. die Verweisung auf Berichte verschiedener, wenn auch namhafter und kompetenter Organisationen und auf Länderberichte seien für eine Beurteilung nach § 37 FrG irrelevant.

Die Angaben des Beschwerdeführers seien durch keinerlei Dokumente belegt. Wenn man noch bedenke, dass der Beschwerdeführer die Hilfe von Schleppern in Anspruch genommen habe und es zu den Dienstleistungen von Schlepperorganisationen gehöre, auch entsprechende Dokumente und "Argumentationshilfen" im Bedarfsfall nachzuliefern, schienen die Angaben des Beschwerdeführers noch unglaubwürdiger.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 96/21/0528.)

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil sich die belangte Behörde in vagen Mutmaßungen erschöpfe. Er habe dezidiert angegeben, persönlich von Rebellen heimgesucht und zur Teilnahme an den Kämpfen aufgefordert worden zu sein. Für den Fall einer Weigerung sei ihm unmissverständlich seine Ermordung angedroht worden. Es könne also keinesfalls von einer Vermutung seitens des Beschwerdeführers oder von einem allgemein gehaltenen Hinweis die Rede sein. Ebenso sei die Mutmaßung der Behörde, der Beschwerdeführer habe sich einer Schlepperorganisation bedient und diese sei in der Lage, Dokumente und Argumentationshilfen auf Anfrage zu liefern, nicht geeignet, Teil der Beweiswürdigung durch die Behörde zu sein. Die belangte Behörde wäre außerdem verpflichtet gewesen, von Amts wegen Erhebungen über die derzeitige konkrete Lage in Liberia durchzuführen; gemäß einer Auskunft der UNHCR-Zentrale in Genf bestehe weiterhin für jeden abgelehnten Asylwerber im Falle einer Abschiebung nach Liberia die Gefahr, Opfer von schwer wiegenden Menschenrechtsverletzungen zu werden; es lasse sich in ganz Liberia kein abgegrenztes Territorium ermitteln, wo abgelehnte Asylwerber allenfalls vor unmenschlicher Behandlung Schutz finden könnten.

Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet. Zunächst kann die Schlussfolgerung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei mit Hilfe einer Schlepperorganisation eingereist und aus diesem Grund seien seine Angaben "noch unglaubwürdiger", nicht geteilt werden. Aus der Art und Weise der Einreise eines Fremden kann nämlich nicht ohne Weiteres auf die Glaubwürdigkeit seiner Angaben hinsichtlich ihm im Fall seiner Abschiebung in einen bestimmten Staat dort drohender Gefahren geschlossen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach auch bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im Übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt dem gemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen einer Feststellung gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 96/21/0480).

Somit verkannte die belangte Behörde mit ihrer Ansicht, sie müsse sich mit den Hinweisen des Beschwerdeführers auf die brisante Bürgerkriegssituation in Liberia nicht befassen, die Rechtslage, zumal der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, die Truppen des Charles Taylor hätten bereits versucht, ihn zwangsweise zu rekrutieren. Wie bereits dargelegt, können nämlich die aus einer Bürgerkriegssituation resultierenden Gefahren bei Fehlen einer ordnenden Staatsgewalt eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG begründen.

Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung nicht zu Grunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflusszonen der Bürgerkriegsparteien und es könnte die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gebe - erfolgen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 96/21/0480).

Zusammenfassend belastete die belangte Behörde dadurch, dass sie die Angaben des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Mai 2001

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