Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und reiste am 8. Oktober 1994 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 10. Oktober 1994 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Er wurde am selben Tag vor dem Bundesasylamt schriftlich einvernommen und gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, er sei chaldäisch-katholischen Glaubens und gehöre der chaldäischen Volksgruppe an. Er habe seit dem Jahre 1960 mit seiner Familie in Bagdad gelebt und dort seit dem Jahre 1981 ein Viersternhotel mit ca. 100 Zimmern gehabt. Am 28. November 1990 seien in seinem Hotel drei irakische Staatsangehörige festgenommen worden, weil sie sich angeblich lautstark negativ über Saddam Hussein geäußert hätten. Es sei im Irak üblich, daß sich von Zeit zu Zeit immer wieder zivile Geheimdienstbeamte in den Hotels einquartierten, um die Gäste stichprobenweise zu kontrollieren. Diese drei Personen hätten das Pech gehabt, daß die Geheimdienstbeamten im Nebenzimmer logiert hätten. Er selbst habe die drei Festgenommenen nicht näher gekannt. Noch am gleichen Tag sei er jedoch auch verhaftet und zur Geheimdienstzentrale seines Bezirkes in Bagdad gebracht worden, wo die vernehmenden Beamten von ihm hätten wissen wollen, ob er diese Personen kenne. Als er dies verneint habe, hätten sie ihm vorgeworfen, sie könnten ihm als Christen nicht glauben und er sei verpflichtet, solche Vorkommnisse sofort dem Geheimdienst zu melden. Während der Verhöre sei er beschimpft, geschlagen, jedoch nicht verletzt worden. Am 2. Dezember 1990 habe er ein Schriftstück unterschreiben müssen, das die Verpflichtung enthalten habe, jeden verdächtigen Gast sofort dem Geheimdienst zu melden. Er habe dieses Schriftstück unterschrieben, weil ihm im Falle seiner Weigerung eine längerdauernde Haftstrafe angedroht worden sei. Nach Unterzeichnung des Schriftstückes sei er aus der Haft entlassen worden. Er habe in der Folge niemals Anlaß gehabt, einen Gast dem Geheimdienst zu melden, weil ihm niemand verdächtig vorgekommen sei. Am 5. Jänner 1991 habe im Hotel ein kurdischer Gast genächtigt, der am 7. Jänner 1991 im Hotel verhaftet worden sei. Diesem Kurden sei vorgeworfen worden, ein Feind des Landes zu sein, weil er angeblich Informationen an den Nordirak weitergegeben habe. Noch am gleichen Tag seien auch er und sein Bruder vom Geheimdienst abgeholt worden, wieder in die Geheimdienstzentrale ihres Bezirkes gebracht und dort bis 9. Jänner 1991 festgehalten worden. Während dieser Zeit sei ihm wiederum vorgeworfen worden, den verdächtigen Kurden dem Geheimdienst nicht gemeldet zu haben. Bei den Verhören sei er wiederum geschlagen worden, habe jedoch dadurch keine schweren Verletzungen erlitten. Am 9. Jänner 1991 sei er aus der Haft entlassen worden, wobei ein Beamter gemeint habe, dies sei die letzte Warnung gewesen, er müsse von nun an jeden verdächtigen Gast sofort melden. Ab Beginn des Jahres 1993 bis Ende 1993 habe er beinahe alle zwei Wochen eine Ladung zur Geheimdienstzentrale erhalten, der er auch immer Folge geleistet habe. Die Beamten hätten wissen wollen, warum er keine verdächtigen Personen weiter melden würde, er sei bei diesen Verhören immer beschimpft und beleidigt worden. Sie hätten ihm auch vorgeworfen, daß sein Hotel Treffpunkt der Kurden sei. In der Tat nächtigten viele kurdische Händler in seinem Hotel. Es sei ihm vorgeworfen worden, daß einige Gäste nicht in das Gästebuch eingetragen worden seien, was jedoch nicht der Wahrheit entsprochen habe. Am 10. März 1993 habe er eine Ladung zur Geheimdienstzentrale bekommen und sei dort drei Tage lang festgehalten worden unter dem Verdacht, er habe Gäste in seinem Hotel ohne Eintragung nächtigen lassen, wobei man ihm Namen genannt habe, die er überhaupt nicht gekannt habe. Am 4. Juni 1994 sei sein Auto Marke Toyota Corolla in Bagdad gestohlen worden, er habe Anzeige bei der Polizei erstattet, die jedoch nur gemeint habe, er habe sein Auto sicherlich Kurden geschenkt, und sich dementsprechend um die Auffindung des Fahrzeuges gar nicht bemüht hätte. Am 15. September 1994 habe er sich gerade auf den Weg zum Hotel begeben, als ein Mitarbeiter seines Hotels erschienen sei und ihm mitgeteilt habe, er solle nicht ins Hotel fahren, weil dort Geheimdienstbeamte auf ihn warteten. Er solle verhaftet werden, weil er angeblich mit Kurden im Norden zusammenarbeite. Gleich nachdem er dies erfahren habe, sei er allein nach Tel Kev geflüchtet, weil er angenommen habe, daß er bei der Verhaftung nun mit einer längeren Haftstrafe zu rechnen habe, weil ihm schon bei seiner letzten Inhaftierung angedroht worden sei, er habe damit zu rechnen, wenn er keine Informationen über Gäste liefere. Dies wäre somit der Fall gewesen. Er habe auch nicht gleich seine Familie mitnehmen können, weil er sich nicht mehr nach Hause getraut habe, in der Annahme, daß auch dort Geheimdienstbeamte bereits auf ihn warteten. Am 16. September 1994 sei seine Gattin von Geheimdienstbeamten über seinen Aufenthaltsort befragt worden. Dies sei der Anlaß für seine Flucht gewesen. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak habe er infolge des gegen ihn erhobenen Vorwurfs, Informationen an die Kurden weitergegeben zu haben, mit der Todesstrafe zu rechnen.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. November 1994 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers im wesentlichen infolge der Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft sowie Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in den Ländern seiner Durchreise (insbesondere Bulgarien und Slowenien) abgewiesen.
In seiner fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens im Sinne einer Verletzung des § 16 AsylG, unrichtige Beweiswürdigung durch unzulässige Zerlegung der einzelnen Vorkommnisse ohne Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer geschilderten Gesamtsituation und unrichtige rechtliche Beurteilung betreffend die Glaubhaftmachung der die Flucht auslösenden Verfolgungshandlungen geltend, bekräftigte im übrigen seine bereits in erster Instanz gemachten Angaben und bestritt insbesondere die von der Behörde erster Instanz angenommene Verfolgungssicherheit in den Ländern seiner Durchreise.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie übernahm die im Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. November 1994 wiedergegebenen Feststellungen, ohne sie im einzelnen zu wiederholen und beurteilte diese rechtlich dahingehend, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (auch religiösen) Minderheit sei noch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling. Dies gelte auch für die angeblichen Festnahmen, nach denen der Beschwerdeführer immer wieder freigelassen worden sei, ohne daß der Vorwurf einer strafbaren Handlung gegen ihn erhoben worden sei. Festnahmen, Verhöre oder Befragungen allein seien, sofern sie ohne weitere Folgen geblieben seien, regelmäßig keine asylrelevanten Verfolgungshandlungen. Hinsichtlich der seine Flucht auslösenden Mitteilung seines Angestellten, es warte die Geheimpolizei in seinem Hotel auf ihn, handle es sich lediglich um eine Annahme bzw. um eine bloße Vermutung ohne stichhältige Anhaltspunkte, die für die Glaubhaftmachung einer Verfolgungsgefahr nicht ausreiche. Die belangte Behörde fügt im übrigen an:
"Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen von derartigen aus subjektiver Sicht betrachtet, asylrelevanten Umständen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden".
Die belangte Behörde erachte es daher als nicht nachvollziehbar, warum ein weiterer Verbleib für den Beschwerdeführer aus objektiver Sicht in seiner Heimat unerträglich hätte sein sollen. Die aus objektiver Sicht betrachtete Unerträglichkeit des weiteren Aufenthaltes sei jedoch Voraussetzung für die Annahme einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung. Allgemein herrschende politische Verhältnisse, d.h. auch allgemeine Benachteiligungen beruflicher, wirtschaftlicher oder schulischer Natur von Personen, die nicht Mitglied der herrschenden Partei oder der Staatsreligion seien, stellten ebenfalls keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar. Im übrigen nahm die belangte Behörde das Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative" im Nordirak in der nördlich des 36. Breitengrades eingerichteten Sicherheitszone an. Der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers begegnete sie unter Hinweis auf § 16 Abs. 1 AsylG 1991, der nicht dahingehend interpretiert werden könne, den Asylwerber durch Fragestellung und andere geeignete Weise derart zu lenken, daß die Erfassung und Würdigung dieser Angaben dann zur Asylerlangung führen müsse. Auch Anfragen bei AI oder UNHCR könnten nicht zur Glaubhaftmachung individueller Furcht vor Verfolgung herangezogen werden, da die Ergebnisse solcher Anfragen lediglich die allgemeine Situation widerspiegeln könnten, in keiner Weise jedoch auf die Situation des Einzelnen eingingen, damit aber für die Feststellung einer konkreten, gegen den Asylwerber persönlich gerichteten Verfolgung nicht genügten.
Im Gegensatz zur Behörde erster Instanz ging die belangte Behörde auf die Frage der Verfolgungssicherheit nicht näher ein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, daß es nicht angeht, daß die belangte Behörde einzelne Vorkommnisse, die vom Asylwerber illustrativ für die Gesamtsituation, in der er sich im Heimatland befunden hat, beschrieben wurden, aus dem Zusammenhang gerissen, einer Einzelbeurteilung unterzieht, deren Unrichtigkeit sich bereits aus der Zitierung der hiefür herangezogenen Verwaltungsgerichtshofjudikatur ergibt (Zugehörigkeit zu einer bestimmten, auch religiösen Minderheit ALLEIN...... ; Festnahmen, Verhöre oder Befragungen ALLEIN .....). Der Mehrzahl der Beschwerdeakten ist demgegenüber zu entnehmen, daß niemals "allein" diese Umstände als Fluchtgründe geltend gemacht werden, sondern lediglich im Rahmen höchst individueller Gegebenheiten, die in ihrer Gesamtheit dahingehend zu überprüfen sind, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist oder nicht. Auch die Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers, er habe durch einen Mitarbeiter erfahren, daß die Geheimpolizei in seinem Hotel bereits auf ihn warte, was er zum Anlaß der Flucht genommen habe, als bloße "Vermutung ohne stichhältigen Anhaltspunkt" entbehrt einer entsprechend nachvollziehbaren Begründung. Der daran anschließende - von der belangten Behörde wiederholt in Anwendung gebrachte - Satz, beginnend mit "würde es bereits genügen...." erweist sich als nicht nachvollziehbar und entzieht sich daher einer inhaltlichen Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.
"Glaubhaftmachung" im Sinne des § 1 Abs. 1 AsylG 1991 (inhaltsgleich mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen.
In diesem Sinne hätte die belangte Behörde im vorliegenden Fall zwei Möglichkeiten gehabt. Zum einen die Darstellung des Beschwerdeführers über die Mitteilung seines Angestellten, Geheimdienstleute warteten bereits auf ihn, als wahr festzustellen und sodann der Eignungsprüfung zu unterziehen, ob diese Tatsache ausreiche, um wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Diese Frage wäre zu bejahen gewesen, da der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zutreffend darauf hinweist, daß durchaus nicht von der Hand gewiesen werden kann, daß einem Angehörigen einer religiösen Minderheit regimefeindliche Umtriebe unterstellt werden, auch wenn dies nicht den Tatsachen entspräche, und sich daran Gefahren (insbesondere Inhaftierung, Folter und Tod) knüpften, die Anlaß für wohlbegründete Furcht vor Verfolgung sein können. Dies hat der Beschwerdeführer durch den Hinweis in seiner Ersteinvernahme auf die ihm angedrohte längere Haftstrafe behauptet. Oder aber die belangte Behörde hätte diese Angaben als unwahr erkannt. Sie hätte aber in diesem Falle in ihrer Darlegung zur Beweiswürdigung zu begründen gehabt, aus welchen Erwägungen sie den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers nicht folgen konnte.
Eine Begründung im aufgezeigten Sinne enthält der angefochtene Bescheid jedoch nicht. Es ließe sich allenfalls aus der pauschalen Übernahme der von der Erstbehörde getroffenen Feststellungen durch die Behörde zweiter Instanz entnehmen, sie habe die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers zwar für wahr gehalten, ihnen die Eignung zur Darlegung begründeter Furcht vor Verfolgung jedoch abgesprochen. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde dies entsprechend klarzustellen haben. Es darf dazu allerdings bemerkt werden, daß die vom Beschwerdeführer befürchteten Folgen seiner neuerlichen Inhaftierung in Anbetracht des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der Kollaboration mit den Kurden des Nordirak und den daraus zu erwartenden Folgen einen Weiterverbleib in seiner Heimat doch wohl unerträglich erscheinen ließen.
Zutreffend rügt der Beschwerdeführer des weiteren, die belangte Behörde habe - im übrigen ohne entsprechende Einräumung des Parteiengehörs im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG - eine "inländische Fluchtalternative" in der nördlich des 36. Breitengrades im Nordirak eingerichteten Sicherheitszone angenommen, ohne zu berücksichtigen, daß es sich dabei auch nach ihren eigenen Ausführungen um eine "Kurdenzone" handle. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer jedoch nicht Kurde, sondern christlicher Chaldäer, sodaß die belangte Behörde nicht ohne weiteres, insbesondere ohne näheren Vorhalt, von einer Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in diesem Gebiet hätte ausgehen dürfen. Da die belangte Behörde im aufgezeigten Sinn ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994.
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