Rechtssatz
Da die Feststellung einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch den EGMR nicht bloß als notwendige, sondern auch als hinreichende Bedingung für die Erneuerung des Strafverfahrens verstanden werden kann und sich seit Einführung der §§ 363a bis 363c StPO durch das StRÄG 1996 die Rechtsprechung des EGMR zu den das gerichtliche Verfahren betreffenden Garantien signifikant verändert hat, ist (jedenfalls nachträglich entstandene) Planwidrigkeit des § 363a Abs 1 StPO nicht von der Hand zu weisen und Lückenschließung dahin gerechtfertigt, dass es eines Erkenntnisses des EGMR als Voraussetzung für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf. Vielmehr kann auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst - aufgrund eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens - festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichtes dazu führen.
15 Os 136/06a | OGH | 06.09.2007 |
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14 Os 60/08t | OGH | 26.08.2008 |
Auch; nur: Eine Planwidrigkeit des § 363a Abs 1 StPO ist nicht von der Hand zu weisen und Lückenschließung dahin gerechtfertigt, dass es eines Erkenntnisses des EGMR als Voraussetzung für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf. Vielmehr kann auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst - aufgrund eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens - festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch ein Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichtes dazu führen. (T1) |
13 Os 16/09s | OGH | 16.04.2009 |
Auch; Beisatz: Schon die weite Umschreibung des möglichen Prüfungsgegenstands bringt zum Ausdruck, dass diese Erneuerungskompetenz nicht auf in rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergangene (End-)Entscheidungen beschränkt ist. Vielmehr sieht sich der Oberste Gerichtshof aufgerufen, als - nicht an völkerrechtliche Beschränkungen als Ausdruck staatlicher Souveränität gebundene - oberste Instanz in Strafrechtssachen (Art 92 Abs 1 B-VG) über die Einhaltung von Grundrechten in Strafverfahren zu wachen und dabei nicht bloß die Rechtsprechung des EGMR nachzuvollziehen, sondern erforderlichenfalls selbst Akzente ihrer Weiterbildung zu setzen. (T2) |
14 Os 25/09x | OGH | 12.05.2009 |
Vgl; Beisatz: Hier: Einstellungsbeschluss nach § 191 Abs 1 und 2 StPO (wegen Geringfügigkeit) und nachfolgender Erneuerungsantrag mit der Begründung, dass „durch die Ausführungen im angefochtenen Beschluss, wodurch die Schuld des Beschwerdeführers festgestellt wird" das Gebot der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK (§ 8 StPO) verletzt worden sei. Der Antrag ist zulässig, aber nicht berechtigt. (T3); Beisatz: Zwar kommt eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK grundsätzlich auch dann in Frage, wenn (bloß) in der Begründung einer (nicht verurteilenden) gerichtlichen Entscheidung Schuldannahmen entsprechend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl SSt 51/8, dazu EGMR vom 26. März 1982, Nr 8269/78, Adolf gg Österreich und weiters vom 25. März 1983, Nr 8660/79, Minelli gg Schweiz); bei dieser Beurteilung können aber die Stellung der Entscheidung im Verfahren und ihre tatsächlichen Auswirkungen auf den Betroffenen nicht gänzlich außer Betracht bleiben. (T4); Beisatz: Mit dem hier bekämpften Beschluss sind keinerlei rechtliche Konsequenzen zum Nachteil des Angeklagten verbunden, der solcherart mit Sperrwirkung iSd Art 4 Z 1 7. ZPMRK außer Verfolgung gesetzt wurde. Die Entscheidungsbegründung vermag - ungeachtet der missverständlichen Wortwahl - unter keinen Umständen bindende Wirkung für ein allenfalls folgendes zivilrechtliches (RIS-Justiz RS0106015) oder disziplinarrechtliches (vgl VwGH vom 18. März 1992, 87/12/0085 und vom 18. Dezember 2008, 2007/09/0383 im Zusammenhang mit § 95 Abs 2 BDG 1979) Verfahren zu entfalten. (T5) |
15 Os 171/08y | EGMR | 14.10.2009 |
Auch |
13 Os 138/11k | OGH | 15.12.2011 |
Auch |
15 Os 4/12w | OGH | 28.03.2012 |
Vgl auch |
11 Os 84/12f | OGH | 21.08.2012 |
vgl; Beisatz ähnlich wie T3<br/>Beisatz: Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, grundsätzlich zulässig. (T5) = nunmehr (T5a)<br/>Anm: Änderung der versehentlich doppelt vergebenen Beisatznummer T5 auf T5a |
15 Os 52/12d | EGMR | 11.12.2013 |
Auch |
14 Ns 32/17t | OGH | 04.07.2017 |
Aber; Beisatz: Für den gerichtlichen Rechtsschutz in Strafvollzugssachen, die ursprünglich von der Vollzugsbehörde entschieden wurden (§ 11 Abs 1 StVG), ist das Oberlandesgericht Wien auch in Betreff behaupteter Grundrechtsverletzungen als bundeseinheitliches Höchstgericht (§ 16a StVG) eingerichtet worden. Lückenschließung durch Anwendung des § 363a StPO kommt daher bei derartigen Strafvollzugssachen nicht in Betracht. (T6) |
15 Os 78/17k | OGH | 19.09.2017 |
Auch; Beisatz: Mit der Behauptung eines Verstoßes gegen den „Gleichheitsgrundsatz“ wird der Sache nach Art 14 MRK angesprochen. (T7) |
13 Os 49/16d | OGH | 30.11.2018 |
Verstärkter Senat; Auch; Beisatz: Ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens kann auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO ‑ dessen Wortlaut folgend ‑ nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden. (T8) |
14 Os 122/19a | OGH | 14.01.2020 |
Vgl; Beisatz: Dass eine Grundrechtsbeschwerde und ein ‑ zu dieser subsidiärer ‑ Erneuerungsantrag nach § 363a StPO ohne vorangegangenes Urteil des EGMR (RS0122228) nicht zustehen, wenn sich ein behaupteter Verstoß gegen Art 5 MRK auf die Bedingungen (des Vollzugs) von Freiheitsentzug bezieht, schließt nicht aus, dass die Behauptung der Verletzung anderer Grundrechte (insb Art 3 und 8 MRK) während eines Freiheitsentzugs mittels Erneuerungsantrags geltend gemacht werden kann (in diesem Sinn bereits 14 Os 37/15w, der Sache nach auch 11 Os 148/09p; zu ursprünglich von der Strafvollzugsbehörde entschiedenen Strafvollzugssachen s aber 14 Ns 32/17t). (T9) |
24 Ds 3/22h | OGH | 27.03.2023 |
vgl; Beisatz: Eine analoge Anwendung des § 363a Abs 1 StPO im Sinne der erweiterten Erneuerungsmöglichkeit des Verfahrens ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt in Disziplinarverfahren im Wege des § 77 Abs 3 DSt nicht in Betracht. (T10) |
Dokumentnummer
JJR_20070801_OGH0002_0130OS00135_06M0000_001
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