Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 24. Oktober 2008, GZ 6 U 233/08m-15, wurde das gegen Bernhard M***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB geführte Strafverfahren gemäß § 191 Abs 1 und 2 StPO (wegen Geringfügigkeit) eingestellt.
Begründend ging das Bezirksgericht Bregenz dabei ua von folgendem Sachverhalt, der sich im Zuge eines Beziehungsstreits ereignet habe, aus: „Nachdem sie (das Opfer Vanessa F*****) sein Zimmer nicht verließ, stand der Angeklagte auf und hob seine Freundin mit beiden Händen hoch. Er wollte sie aus dem Zimmer befördern. Sie strampelte und wehrte sich dagegen. Aufgrund dessen gelang es dem Angeklagten nicht, seine Freundin aus dem Zimmer zu bringen. Daraufhin warf er sie auf das Bett und versuchte, sie zu beruhigen. Dabei hielt er auch mit beiden Händen ihren Hals fest und drückte sie dabei nach unten. Vanessa F***** bezeichnete diesen Vorgang als 'Würgen', wobei sie jedoch erklärte, immer Luft bekommen zu haben. Durch dieses 'Festhalten' erlitt Vanessa F***** beidseitig am Hals Hämatome, die auch noch am Mittag des 19. 7. 2008 (10 Stunden nach der Tat) deutlich sichtbar waren." Diese Hämatome seien als Körperverletzung iSd § 83 Abs 1 StGB zu qualifizieren, wenngleich diese Verletzung „gerade erst die Grenze einer relevanten Beeinträchtigung überschritten" habe (ON 15 S 2 f).
Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt Bernhard M***** die Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO, weil seiner Ansicht nach „durch die Ausführungen im angefochtenen Beschluss, wodurch die Schuld des Beschwerdeführers festgestellt wird" das Gebot der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK (§ 8 StPO) verletzt worden sei. Überdies sei er in seinem Anspruch auf ein Rechtsmittel in Strafsachen nach Art 2 7. ZPMRK beeinträchtigt, weil er den Einstellungsbeschluss - trotz dezidierter Schuldfeststellungen in dessen Begründung, die für ihn mit beruflichen Nachteilen verbunden seien - mangels Beschwer (gemeint offenbar im strafprozessualen Sinn - vgl dazu Ratz, WK-StPO § 282 Rz 23 ff und § 290 Rz 21 ff; vgl hingegen zur Opfereigenschaft nach Art 34 MRK: Grabenwarter, EMRK3 § 13 Rz 13 ff) nicht bekämpfen könne.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag ist zulässig (RIS-Justiz RS0122228), aber nicht berechtigt. Zwar kommt eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK grundsätzlich auch dann in Frage, wenn (bloß) in der Begründung einer (nicht verurteilenden) gerichtlichen Entscheidung Schuldannahmen entsprechend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl SSt 51/8, dazu EGMR vom 26. März 1982, Nr 8269/78, Adolf gg Österreich und weiters vom 25. März 1983, Nr 8660/79, Minelli gg Schweiz); bei dieser Beurteilung können aber die Stellung der Entscheidung im Verfahren und ihre tatsächlichen Auswirkungen auf den Betroffenen nicht gänzlich außer Betracht bleiben.
§ 191 StPO normiert ein amtswegig wahrzunehmendes, auf verfahrensökonomischen Überlegungen beruhendes prozessuales Verfolgungshindernis (Schroll, WK-StPO § 191 Rz 5 ff), bei dessen beschlussmäßiger Anwendung auch in oder nach der Hauptverhandlung die Feststellung tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handelns des Angeklagten nicht nur nicht geboten, sondern tunlichst zu vermeiden ist. Vielmehr hat das Gericht (die Staatsanwaltschaft) - der verfahrensökonomischen Zielsetzung dieser Regelung entsprechend - die Notwendigkeit einer Bestrafung oder diversionellen Vorgehens anhand des in einer Gesamtabwägung zu ermittelnden (geringen) Störwerts der Tat zu prüfen und bei negativem Ergebnis von einer weiteren Erörterung des für diese Prüfung nur hypothetisch zu Grunde gelegten Sachverhalts Abstand zu nehmen (vgl zum Ganzen: Schroll, WK-StPO § 191 Rz 24 und 34).
Die eingangs wiedergegebenen - vom Antragsteller im Übrigen nicht näher bezeichneten - Begründungspassagen enthalten demgegenüber mit diesem Gebot in gewissem Spannungsverhältnis stehende Feststellungen zum Tathergang, die recht besehen jedoch (insbesondere auch in subjektiver Hinsicht) keine Zuordnung der bloß objektiv als Körperverletzung gemäß § 83 Abs 1 StGB qualifizierten Tatfolgen iS strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Angeklagten zum Ausdruck bringen.
Entscheidend für die Beurteilung einer relevierten Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR nicht die exakte Wortwahl, sondern der Sinngehalt der in Rede stehenden Formulierungen. So bewirkt die Verwendung „zweideutiger und wenig zufriedenstellender" Ausdrücke per se noch keine Konventionsverletzung, wenn die Entscheidungsbegründung der Sache nach bloß eine Verdachtslage und keine Schuldfeststellung enthält (EGMR vom 25. August 1987, Nr 8/1986/106/154, Lutz gg Deutschland; ähnlich: jeweils vom gleichen Tag, Nr 9/1986/107/155, Englert gg Deutschland und Nr 10/1986/108/156 Nölkenbockhoff gg Deutschland), während umgekehrt auch eine vorsichtige Wortwahl allein die Einhaltung des Gebots der Unschuldsvermutung nicht sicherzustellen vermag (EGMR vom 25. März 1983, Nr 8660/79, Minelli gg Schweiz).
Der Sinngehalt einer Formulierung zeigt sich nicht zuletzt an den rechtlichen Schlussfolgerungen, die das Gericht aus der Entscheidungsbegründung zieht. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass - im Gegensatz zu den Fällen nicht gewährter Haftentschädigung (ua EGMR vom 25. August 1993, Nr 13126/87, Sekanina gg Österreich; vom 5. November 2002, Nr 35437/97, Demir gg Österreich) oder auferlegter Kostenersatzpflicht trotz Verfahrenseinstellung (EGMR vom 25. März 1983, Nr 8660/79, Minelli gg Schweiz; vgl Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 6 Rz 86a) - mit dem hier bekämpften Beschluss keinerlei rechtliche Konsequenzen zum Nachteil des Angeklagten verbunden sind, der solcherart mit Sperrwirkung iSd Art 4 Z 1 7. ZPMRK außer Verfolgung gesetzt wurde. Die Entscheidungsbegründung vermag nämlich - ungeachtet der missverständlichen Wortwahl - unter keinen Umständen bindende Wirkung für ein allenfalls folgendes zivilrechtliches (RIS-Justiz RS0106015) oder disziplinarrechtliches (vgl VwGH vom 18. März 1992, 87/12/0085 und vom 18. Dezember 2008, 2007/09/0383 im Zusammenhang mit § 95 Abs 2 BDG 1979) Verfahren zu entfalten.
Überdies ist fallbezogen zu beachten: Art 6 Abs 2 MRK soll als Teilaspekt des Anspruchs auf ein faires Verfahren insbesondere auch sicherstellen, dass Richter in Ausübung ihres Amtes nicht mit der vorgefassten Meinung in ein Verfahren gehen, der Angeklagte habe die Tat begangen (Grabenwarter, EMRK3 § 24 Rz 122; Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 6 Rz 86). Diese Gefahr ist aber dann nicht (mehr) gegeben, wenn das Gericht - wie hier - seine Entscheidung nach Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Verantwortung des Angeklagten trifft (in diesem wesentlichen Element unterscheidet sich die hier gegenständliche von der SSt 51/8 zugrundeliegenden Verfahrenskonstellation) und dabei zwar von einer diesen nicht gänzlich entlastenden Sachverhaltsvariante ausgeht, ohne ihm jedoch die in Rede stehende Tat strafrechtlich zuzurechnen (vgl dt. BVerfG vom 26. März 1987, BvR 589/79, veröffentlicht in EuGRZ 1987, 203 ff und vom 29. Mai 1990, 2 BvR 254, 1343/88, veröffentlicht in NJW 1990, 2741 ff zu § 153 dStPO).
Insoweit der Antragsteller schließlich auch eine Verletzung von Art 2 Z 1 7. ZPMRK behauptet, verkennt er, dass der Begriff der gerichtlichen Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung zwar vertragsautonom auszulegen ist, ein Freispruch (oder eine diesem in den Auswirkungen gleichkommende Verfahrenseinstellung) in Ermangelung des Schuldnachweises jedoch die angesprochene Verfahrensgarantie niemals auszulösen vermag (Grabenwarter, EMRK3 § 24 Rz 147). Auf die Frage, ob vorliegend nicht ohnehin ein Ausnahmetatbestand im Sinne der Z 2 des Art 2 7. ZPMRK vorliegt, muss - da die kritisierte Entscheidung dem Anwendungsbereich dieses Konventionsrechts gar nicht unterliegt - daher nicht eingegangen werden.
Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher der Stellungnahme der Generalprokuratur folgend (§ 363b Abs 1 StPO) schon bei nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).
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