OGH 24Ds3/22h

OGH24Ds3/22h27.3.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 27. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann als weitere Richterin und durch die Rechtsanwälte Dr. Niederleitner und Dr. Vas als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, AZ D 139/09, D 22/10 und D 125/10, über den Antrag des Disziplinarbeschuldigten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00003.22H.0327.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. Jänner 2012, AZ D 139/09, 22/10, 125/10, wurde Rechtsanwalt * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ (zu AZ D 139/09) es in seiner mit Rechtsanwalt Dr. * W* geführten Korrespondenz, insbesondere in zwei E‑Mails vom 27. und 28. Juli 2009 abgelehnt, mit diesem zu verhandeln, ihn unnötig in den Streit gezogen und auch persönlich angegriffen;

2./ (zu AZ D 22/10)

a./ in einem E‑Mail vom 29. Jänner 2010 an Rechtsanwalt Mag. * R* dessen fachliche Qualifikation angezweifelt, indem er wie folgt ausführte und dieses Schreiben auch Mag. * Ö* in Kopie sandte: „Ohne Ihnen näher treten zu wollen, benötigt dieser Akt jahrelange praktische Erfahrung im Revisionsrecht und jur. Berufshaftungsrecht.“;

b./ Information zum Verfahren AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien „bzw“ Aktenübermittlung mit E‑Mail vom 3. Februar 2010 vom Erlag eines Kostenvorschusses abhängig gemacht, welcher sich auf 8 x 300 Euro zuzüglich USt belaufen hätte, weiters die Informationserteilung sowie Aktenübermittlung von seiner zeitlichen Verfügbarkeit abhängig gemacht und dazu ausgeführt, dass diese nicht gegeben wäre;

c./ mit E‑Mail vom 1. Februar 2010 Mag. * Ö* vorsätzlich den falschen Rat erteilt, dass nur der Rechtsanwalt das Vollmachtsverhältnis kündigen kann;

3./ (zu AZ D 125/10) den angemessenen sachlichen Umgangston gegenüber Klienten und Kollegen nicht eingehalten, indem er

a./ in einem E‑Mail vom 12. Dezember 2009 an * B* folgende Formulierungen verwendete: „ich frage mich, ob Sie überhaupt noch durchschauen was Sie tun…. Sich Dumm zu stellen, ist ein starkes Stück, denn Sie wissen genau, worum es geht. (…) Und ich bin nicht verantwortlich, falls Ihnen der nächste Anwalt den Fall nun verhaut oder Sie sich selbst.“;

b./ in einem Schriftsatz am 28. April 2010 zum Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde, behauptete: „Schließlich ist das Vorbringen, es würde keine Stundensatzvereinbarung geben, obwohl seit dem Jahr 2005 mit 16 Honorarnoten abgerechnet worden ist (14 bezahlt!), eine definitive Frechheit.“;

c./ mit Schriftsatz vom 28. April 2010 zum Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde ausführte: „Die Beklagte war, bevor sie vom Kläger vertreten wurde, durch Dr. * Bi*, eine bekannte Scheidungsexpertin vertreten, die es allerdings nicht geschafft hatte, nach Mediation und 3-jährigem Scheidungsverfahren, das für die Beklagte kostenpflichtig endete, überhaupt eine Ehescheidung der Beklagten herbeizuführen….. Die Beklagte ist Unternehmerin und musste für die verfehlte Scheidungsklage ihrer Voranwältin bereits Kostenersatz zahlen.“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Rechtsanwalt * wurde hierfür zur Disziplinarstrafe der Geldbuße in Höhe von 6.000 Euro verurteilt.

[4] Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 19. April 2016, AZ 26 Os 9/15s, wurde der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld teilweise Folge gegeben und * unter Aufhebung der betreffenden Schuldsprüche und somit des Strafausspruchs von den Vorwürfen, er habe

1./ (AZ D 139/09) es in seiner mit Rechtsanwalt Dr. * W* geführten Korrespondenz, insbesondere in zwei E‑Mails vom 27. und 28. Juli 2009 abgelehnt, mit diesem zu verhandeln, und ihn unnötig in den Streit gezogen sowie auch persönlich angegriffen;

2./ (AZ D 22/10)

a./ in einem an Mag. * Ö* in Kopie gesandten E‑Mail vom 29. Jänner 2010 an Rechtsanwalt Mag. * R* dessen fachliche Qualifikation angezweifelt, indem er schrieb: „Ohne Ihnen näher treten zu wollen, benötigt dieser Akt jahrelange praktische Erfahrung im Revisionsrecht und jur. Berufshaftungsrecht.“;

b./ Information zum Verfahren AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien „bzw“ Aktenübermittlung mit E‑Mail vom 3. Februar 2010 vom Erlag eines Kostenvorschusses abhängig gemacht, welcher sich auf 8 x 300 Euro zuzüglich USt belaufen hätte, weiters die Informationserteilung sowie Aktenübermittlung von seiner zeitlichen Verfügbarkeit abhängig gemacht und dazu ausgeführt, dass diese nicht gegeben wäre;

3./ (AZ D 125/10) mit Schriftsatz vom 28. April 2010 zum Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde, den angemessenen sachlichen Umgangston gegenüber Kollegen nicht eingehalten, indem er ausführte: „Die Beklagte war, bevor sie vom Kläger vertreten wurde, durch Dr. * Bi*, eine bekannte Scheidungsexpertin vertreten, die es allerdings nicht geschafft hatte, nach Mediation und 3-jährigem Scheidungsverfahren, das für die Beklagte kostenpflichtig endete, überhaupt eine Ehescheidung der Beklagten herbeizuführen….. Die Beklagte ist Unternehmerin und musste für die verfehlte Scheidungsklage ihrer Voranwältin bereits Kostenersatz zahlen.“

freigesprochen.

[5] Im Übrigen wurde der Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

[6] In Neubemessung der Geldbuße wurde unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer vom 11. März 2011, AZ D 103/09 eine Zusatzstrafe von 1.500 Euro verhängt.

[7] Mit seiner Berufung wegen Strafe wurde der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

[8] Mit beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Antrag begehrt Rechtsanwalt * nun die Erneuerung des Disziplinarverfahrens gemäß § 363a StPO mit der Begründung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe „auf Beschwerde des Antragstellers gegen das Urteil des OGH 26 Os 9/15s als Disziplinargericht über Rechtsanwälte am 29.09.2019 im Verfahren 79457/17 entschieden, dass die Verurteilung wegen überlanger Verfahrensdauer gegen Art 6 EMRK verstößt“. Da der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Folge zu leisten sei, sei das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 19. April 2016, AZ 26 Os 9/15s, aufzuheben und der Disziplinarbeschuldigte zur Gänze freizusprechen.

[9] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Antrag zurückzuweisen:

[10] Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt, so ist gemäß § 363a Abs 1 StPO das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte. Den Antrag kann gemäß § 363a Abs 2 StPO (ua) der von der festgestellten Verletzung Betroffene stellen.

[11] Voraussetzung für eine Verfahrenserneuerung im direkten Anwendungsbereich des § 363a StPO ist das Vorliegen eines (endgültigen) Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit dem eine Konventionsverletzung durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wurde. Davon erfasst sind auch Entscheidungen und Verfügungen des Obersten Gerichtshofs, weil auch sie von der innerstaatlichen Umsetzung eines Urteils des EGMR (vgl Art 46 MRK) betroffen sein können (vgl Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c, Rz 145 ff mwN).

[12] Die Bestimmungen über die Erneuerung des Strafverfahrens sind gemäß § 77 Abs 3 DSt in Disziplinarverfahren sinngemäß anzuwenden (28 Ns 1/19i; VfSlg 16.747, B 942/02): Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Konventionsverletzung in einem Disziplinarverfahren festgestellt, so gelangt der Rechtsbehelf der Erneuerung des Verfahrens zur Anwendung.

[13] Das von * angeführte, seinem Antrag angeschlossene – auch auf der Website des Gerichtshofs (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbare – Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 19. September 2019, Kilches v. Austria, 79457/17, betrifft allerdings ein – am 11. Dezember 2008 begonnenes und am 12. Oktober 2017 beendetes – Zivilverfahren (vgl „civil proceedings“) und somit nicht das gegenständliche Disziplinarverfahren.

[14] Dies bestätigt auch eine Auskunft des Bundeskanzleramts vom 21. September 2022, wonach das dem genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Grunde liegende Verfahren Mahnklagen wegen Honoraransprüchen zum Gegenstand hatte.

[15] Da demnach ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das eine Konventionsverletzung im vorliegenden Disziplinarverfahren festgestellt hätte, nicht vorliegt, war der Antrag gemäß § 363b Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

[16] Daran vermag auch die zur Stellungnahme der Generalprokuratur abgegebene Äußerung des Disziplinarbeschuldigten, wonach der von § 363a Abs 1 StPO vorausgesetzte Urteilsbezug damit begründet werde, dass es bereits mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu seinen Gunsten und auch offene Beschwerden gebe, nichts zu ändern. Vielmehr bestätigen auch der Äußerung angeschlossene Beilagen, dass die dem Erneuerungsantrag zu Grunde liegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das obgenannte Zivilverfahren zum Gegenstand hatte.

[17] Angemerkt sei, dass eine analoge Anwendung des § 363a Abs 1 StPO im Sinne der erweiterten Erneuerungsmöglichkeit des Verfahrens ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl RIS‑Justiz RS0122228; Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c, Rz 1 ff) in Disziplinarverfahren im Wege des § 77 Abs 3 DSt nicht in Betracht kommt (28 Ns 1/19i mit eingehender Begründung).

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