VfGH B942/02

VfGHB942/022.12.2002

Beschwerdelegitimation gegeben infolge noch nicht erfolgter Tilgung einer Disziplinarstrafe; keine Verfassungswidrigkeit der auch im Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte anwendbaren Bestimmung der Strafprozeßordnung über die Erneuerung eines Strafverfahrens infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung eines Antrags auf Erneuerung eines Disziplinarverfahrens nach Feststellung der überlangen Verfahrensdauer durch den EGMR aufgrund der denkmöglichen Verneinung eines nachteiligen Einflusses der Verfahrensdauer auf das Disziplinarstraferkenntnis

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art46
DSt 1990 §77
StPO §363a, §363b
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art46
DSt 1990 §77
StPO §363a, §363b

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Oberösterreich.

1.2.1. Am 15. und 30. April 1985 erstattete der Vorsteher des Bezirksgerichtes M gegen den Beschwerdeführer Disziplinaranzeige bei der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer. Mit Beschluß vom 15. Juni 1987 wurde das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer "eingeleitet". Mit Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18. Jänner 1989, D 19/85, wurde der Beschwerdeführer der Disziplinarvergehen der Verletzung der Pflichten seines Berufes und der Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes in drei Fällen schuldig erkannt; so habe er

"a) im Verfahren C130/84 des BG M in der am 2.11.1984 beim Erstgericht eingelangten Berufung die unrichtige Behauptung aufgestellt, daß der Verhandlungsrichter Dr. E im Verhandlungsprotokoll vom 19.9.1984 insofern falsch protokolliert habe, als er feststellte, daß sich der Beklagtenvertreter vor Schluß der Verhandlung entfernt habe;

b) im Verfahren C76/85 des BG M in der mündlichen Streitverhandlung am 24.4.1985 die Behauptung aufgestellt, daß die im Verhandlungsprotokoll vom 12.4.1985 bekundete Verlesung des Aktes C176/83 BG M tatsächlich nicht stattgefunden habe;

c) im Verfahren 3 C270/87 des KG R in der Streitverhandlung am 23.11.1987 den Verhandlungsrichter Dr. K B während der Parteienvernehmung der K Ö trotz vorheriger Abmahnung mehrmals unterbrochen und selbst an die Parteien Fragen gestellt, ohne daß ihm der Verhandlungsrichter vorher das Fragerecht zuerkannt habe".

Er wurde hiefür zu einer Geldbuße von S 5.000,- und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt. Von weiteren Anschuldigungen wurde der Beschwerdeführer freigesprochen. Dagegen haben sowohl der Beschwerdeführer als auch der Kammeranwalt mit Schriftsätzen vom 17. bzw. 20. April 1990 Berufung beim Disziplinarrat eingebracht. Mit Schreiben vom 9. Mai 1990 legte der Disziplinarrat die Rechtsmittel (zusammen mit dem Disziplinarakt) der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vor.

1.2.2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4. April 1990, D 52/88, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Verletzung der Pflichten seines Berufes und der Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes dadurch begangen zu haben, daß er

"a) am 17.2.1988 dem Rechtsvertreter der Firma F W, Rechtsanwalt Dr. M L am 17.2.1988 bei einem einvernehmlich festgelegten Termin zur Besichtigung der Baustelle mit einem Bausachverständigen den Zutritt zur Baustelle und damit die Teilnahme an der Befundaufnahme verwehrt hat;

b) in der Rechtssache 1 Cg 299/84 des Landesgerichtes L zur Verhandlung am 16.6.1988 einen nicht substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter (mit kleiner Legitimationsurkunde) entsandt hat".

Hiefür wurde er zu einer Geldbuße von S 15.000,- verurteilt. Hingegen wurde er von weiteren Anschuldigungen freigesprochen. Auch gegen dieses Erkenntnis wurde sowohl vom Beschwerdeführer (am 24. Juli 1990) und vom Kammeranwalt (am 30. Juli 1990) Berufung erhoben. Diese Rechtsmittel wurden mit Schriftsatz vom 20. August 1990 der OBDK vorgelegt.

1.2.3. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 7. Oktober 1991, DV 10/91, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt und die Berufspflichten dadurch verletzt zu haben, daß er

"1.) eine gegen ihn vor dem Kreisgericht R im Innkreis zu 3 Cg 206/89 eingeklagte berechtigte Architektenhonorarforderung in Höhe von S 617.572,- mutwillig bestritten hat;

2.) in diesem Verfahren eine ihm zu anderen Zwecken zur Verfügung gestellte Privaturkunde mißbräuchlich verwendet hat, um sich dadurch eine günstigere Prozeßsituation zu verschaffen;

3.) bei seiner Honorarforderung gegen C P Leistungen mit überhöhten Tarifansätzen verrechnet hat, so die Kommissionen vom 18. und 25.4.1990, das Rangordnungsgesuch vom 24.4.1990 und das Pfandrechtslöschungsgesuch vom 25.5.1990".

Er wurde hiefür zu einer Geldbuße von S 70.000,- und zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verurteilt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. Februar 1992 Berufung. Mit Schreiben des Disziplinarrates vom 8. April 1992 wurde die Berufung der OBDK vorgelegt.

1.3. Die OBDK verband diese unter Punkt 1.2. dargelegten Disziplinarverfahren und entschied darüber mit Erkenntnis vom 25. Jänner 1993, Bkd 43,88/90, 10 Bkd 4/92. Darin wurde den Berufungen des Beschwerdeführers und des Kammeranwaltes wegen Schuld teilweise Folge gegeben. Es wurden

"A. das Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18.1.1989, D 19/85, das im übrigen unberührt bleibt, im Freispruch zu 2a) und b) und demgemäß auch im Strafausspruch, ferner

B. das Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4.4.1990, D 52/88, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung des Schuldspruchfaktums a) auch als Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und demgemäß gleichfalls im Strafausspruch sowie schließlich

C. das Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 7.10.1991, DV 10/91,

zur Gänze aufgehoben".

Im Umfang dieser Aufhebungen wurde in der Sache selbst zu Recht erkannt:

"1) Dr. W R ist schuldig, er hat

a) am 20.2.1985 im Verfahren C313/84 des Bezirksgerichtes M die Äußerung des Richters Dr. E, es liege dem Rechtsstreit wohl eher ein Pacht- als ein Mietverhältnis zugrunde, als lachhaft bezeichnet, sowie

b) am 24.4.1985 im Verfahren C76/85 des Bezirksgerichtes M sich als Parteienvertreter gegenüber der Zeugin A B aggressiv verhalten, das Fragerecht mißbraucht und Drohgebärden eingenommen. Dr. W R hat hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen.

2) Dr. W R hat durch das in Punkt a) des Erkenntnisses des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4.4.1990, D 52/88, festgestellte Verhalten lediglich das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen.

3) Dr. W R wird für die ihm demnach zur Last fallenden Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes insgesamt, nämlich gemäß den Punkten 1a) bis c) des Erkenntnisses vom 18.1.1989, D 19/85 und gemäß dem Punkt b) des Erkenntnisses vom 4.4.1990, D 52/88, sowie laut den Punkten 1) und 2) dieses Erkenntnisses zu einer Geldbuße in Höhe von S 25.000,- (Schilling fünfundzwanzigtausend) verurteilt.

4) Die Disziplinarsache DV 10/91 wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die 1. Instanz zurückverwiesen.

5) Mit ihren Berufungen wegen Strafe werden der Disziplinarbeschuldigte und der Kammeranwalt teils auf die Strafneubemessung und teils auf die kassatorische Entscheidung verwiesen."

1.4. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis wurde am 17. Mai 1993 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte "auf zügige Abwicklung der Disziplinarverfahren D 19/85 und D 52/88 gemäß Art6 Abs1 MRK" sowie des Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz "oder anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte" geltend gemacht wurde. Mit Erkenntnis vom 12. Oktober 1994, VfSlg. 13920/1994, wurde die Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof als unbegründet abgewiesen.

1.5. In der Folge wandte sich der Beschwerdeführer an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). In seiner Beschwerde rügte er (unter anderem) unter Berufung auf Art6 EMRK die unangemessene Dauer der gegen ihn geführten Disziplinarverfahren. Der EGMR sprach im Urteil vom 21. Dezember 1999, Appl. Nr. 26602/95 (W.R. gg. Österreich), aus, daß die Gesamtdauer des "at three levels of jurisdiction" geführten Disziplinarverfahrens von sieben Jahren und vier Monaten nicht als angemessen iSd. Art6 EMRK angesehen werden könne, sodaß eine Verletzung dieser Bestimmung stattgefunden habe. Dem Beschwerdeführer wurde eine Entschädigung in der Höhe von S 30.000,- für ideellen Schaden und S 42.860,- für Kosten und Auslagen des innerstaatlichen Verfahrens sowie des Verfahrens vor dem EGMR zugesprochen.

2.1. Am 28. Mai 2001 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf "Erneuerung des Disziplinarverfahrens gemäß §363a StPO" und begründete ihn damit, es sei nicht auszuschließen, daß die festgestellte "überlange Verfahrensdauer" einen für ihn nachteiligen Einfluß auf den Inhalt der disziplinarrechtlichen Entscheidung ausüben hätte können.

2.2. Dieser Antrag wurde mit Beschluß der OBDK vom 25. Februar 2002 zurückgewiesen. Die OBDK begründete ihren als Bescheid zu wertenden Beschluß (einleitend mit der Wiedergabe der Stellungnahme der Generalprokuratur) wie folgt:

"Nach Ansicht der Generalprokuratur ist der auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Dezember 1999 gestützte Antrag des Betroffenen Dr. W R, Rechtsanwalt in M, auf Erneuerung des Verfahrens D 19/85 des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer und des Rechtsmittelverfahrens Bkd 43/90 der OBDK zulässig.

Die Vorschrift des §77 Abs1 DSt sieht für die Wiederaufnahme des Verfahrens die sinngemäße Geltung der Bestimmungen der Strafprozessordnung vor. Bei der Regelung über die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß §363a ff StPO handelt es sich - wie die Einordnung in das XX. Hauptstück zeigt - um eine Form der Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Demnach hat unter den sinngemäßen Voraussetzungen des §363a Abs1 StPO die OBDK über derartige Erneuerungsanträge zu entscheiden.

Der Antrag wäre aber nach §363b Abs2 Z3 StPO in nichtöffentlicher Sitzung als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

Dies aus folgenden Erwägungen:

Es ist auszuschließen, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte unangemessene Verfahrensdauer einen für den Verurteilten nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der ergangenen Disziplinarerkenntnisse ausüben konnte. Insoweit liegt ein klarer Ausspruch des Gerichtshofes vor, wonach eine kausale Verbindung zwischen dem als Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten angenommenen Zeitfaktor und der Auferlegung einer Disziplinarstrafe nicht gefunden wurde. Der Versuch des Antragstellers, dennoch einen zu seinem Nachteil ausschlagenden Verfahrensumstand herzuleiten, hält einer Überprüfung nicht Stand. Grundsätzlich ist festzustellen, dass eine Verfahrensdauer an sich nur dann einen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt eines Straferkenntnisses ausüben kann, wenn vom Zeitablauf in irgendeiner Weise ein für den Betroffenen abträglicher Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausgeht. Weiterführende Hypothesen über denkbare Auswirkungen einer anderen Verfahrensführung haben dabei ebenso außer Betracht zu bleiben, wie allfällige Mängel ergangener Erkenntnisse, die sich nicht auf die Verfahrensdauer beziehen. Das hiezu erstattete Detailvorbringen des Antragstellers ist aus folgenden Überlegungen nicht stichhältig:

1./ Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1990, BGBl 474 (Disziplinarstatut), am 1. Jänner 1991 wurde tatsächlich die Obergrenze der Geldbuße angehoben, jedoch durfte die Erhöhung für die Ahndung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes begangener Disziplinarvergehen keine Anwendung finden (ArtV Z5 des Bundesgesetzes). Daher ist eine von der Änderung der Rechtslage ausgegangene nachteilige Auswirkung auf den Antragsteller auszuschließen.

2./ Der Umstand, dass die OBDK in der Begründung ihres Erkenntnisses vom 25. Jänner 1993, Bkd 43, 88/90, 10 Bkd 4/92, die überlange Verfahrensdauer nicht ausdrücklich als Milderungsgrund bezeichnet hat, ist einerseits keine nachteilige Auswirkung und vermag andererseits die in den Entscheidungsgründen (S 22) ohnehin ausgedrückte Berücksichtigung zeitlicher Gegebenheiten bei der Sanktionierung nicht zu ändern. Eine Milderung der Strafe wäre unter diesem Aspekt nicht vertretbar.

3./ Die Darlegung, dass wegen überlanger Verfahrensdauer 'jedenfalls der Nichtigkeitsgrund des §281 Abs1 Z4 StPO nicht herangezogen werden konnte und bei Anwendung dieser nunmehr geltenden innerstaatlichen Regelung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verjährung der Disziplinarvergehen eingetreten wäre', ist rechtlich nicht nachvollziehbar und einer näheren inhaltlichen Auseinandersetzung nicht zugänglich.

4./ Dass bei rascherer Verfahrensabwicklung unter bestimmten Umständen aus dem gegebenenfalls dann noch nicht beendeten Parallelverfahren D 49/87 des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer kein Erschwerungsumstand zu gewinnen gewesen wäre (die Berücksichtigung als Vorstrafe durch die OBDK im Erkenntnis vom 25. Jänner 1993 bedeutet der Sache nach eine Wertung im Sinne der §§31, 40 StGB als zusammengetroffenes Delikt bei Zusatzstrafbemessung) ist durchaus zutreffend, jedoch hätte dann eben möglicherweise das früher abgeschlossene gegenständliche Verfahren eine im Verfahren D 49/87 erschwerend wirkende Vorstrafe hervorgebracht, weshalb auch insoweit eine Benachteiligung des Antragstellers nicht ersichtlich ist. Im übrigen geht es bei dieser Spekulation des Verurteilten nicht unmittelbar um die Folgen der Verfahrensdauer, sondern einer zusätzlich zu verantwortenden Delinquenz, die mit der hier aktuellen Menschenrechtsverletzung nicht ursächlich verknüpft werden kann.

Die OBDK schließt sich dieser eingehenden Äußerung an.

Ergänzend ist dem Antragsteller noch entgegenzuhalten:

Gemäß §363a StPO ist, soferne in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt wurde, das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach eine Erneuerung des Strafverfahrens nur auf ein Urteil des EGMR gestützt werden kann, das nach Einführung der §§363a ff StPO (in Kraft seit 1.3.1997, BGBl 1996/762) ergangen ist (OGH 24.6.1998, 14 Os 73/97; OGH 18.12.1998, 12 Os 63/97). Das ist hier der Fall. Das Urteil des EGMR datiert vom 21. Dezember 1999 und ist sohin nach Inkrafttreten der §§363 a ff StPO ergangen.

Die für die Entscheidung der OBDK maßgebliche Frage war die, ob auf Grund der vom EGMR festgestellten Verletzung des Artikels 6 Abs1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer dies einen Einfluss auf den Inhalt des Erkenntnisses der OBDK vom 25. Jänner 1993, 10 Bkd 4/92, haben konnte, respektive, ob auszuschließen ist, dass diese Verletzung keinen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt des disziplinarrechtlichen Erkenntnisses ausüben konnte.

Die vom EGMR festgestellte Konventionsverletzung besteht ausschließlich darin, dass das abgeführte Disziplinarverfahren zu lange gedauert hat. Aus dem Erkenntnis selbst gehen keine Anhaltspunkte hervor, die ausweisen würden, dass die lange Verfahrensdauer auf den Inhalt des ergangenen Disziplinarerkenntnisses einen negativen Einfluss gehabt hätte. Da somit die stattgefundene Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die lange Verfahrensdauer inhaltlich auf das ergangene Disziplinarerkenntnis keinen Einfluss hatte, ist ein gemäß §363a Abs1 StPO nachteiliger Einfluss auf dieses durch die Konventionsverletzung auszuschließen.

Diese Rechtsmeinung wird dadurch erhärtet, als dem Erkenntnis der OBDK vom 25. Jänner 1993 entnommen werden kann, dass der erkennende Senat ausdrücklich die lange Verfahrensdauer als solche erkannt, zum Anlass genommen und es als 'kriminalpolitisches Bedürfnis' erachtet hat, wegen der überwiegenden Zahl rechtskräftiger Schuldsprüche mit einer sofortigen Strafneubemessung vorzugehen. Obgleich es zum damaligen Zeitpunkt den neuen Strafmilderungsgrund des §34 Abs2 StGB - in Kraft seit 1.3.1997 gemäß Strafrechtsänderungsgesetz 1996 (BGBl 762/96) - noch nicht gab, hat der damals erkennende Senat den Zeitfaktor bei seinem Erkenntnis berücksichtigt und es kann kein Zweifel bestehen, dass dies auch auf die Strafbemessung Einfluss fand.

Keinen nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung konnte die Änderung des Disziplinarstatuts mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 28.6.1990 BGBl 474/90, ab 1.1.1991 gehabt haben, mit welcher die Obergrenze der Geldbuße angehoben wurde. Es entspricht geltender Rechtslage, wonach die Erhöhung für die Ahndung vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes begangener Disziplinarvergehen keine Anwendung findet.

Dem Argument des Antragstellers, wonach wegen der überlangen Verfahrensdauer 'jedenfalls der Nichtigkeitsgrund des §281 (1) Zif 4 StPO nicht herangezogen werden konnte und bei Anwendung dieser nunmehr geltenden innerstaatlichen Regelung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verjährung der Disziplinarvergehen eingetreten wäre', konnte nicht gefolgt werden, zumal die Argumentation rechtlich nicht nachvollziehbar und einer näheren inhaltlichen Auseinandersetzung nicht zugänglich ist.

Ein schlüssiges Vorbringen, das eine Verjährung der Disziplinarvergehen oder einzelner derselben erkennen ließe, hat der Antragsteller nicht erstattet und sind auch augenscheinlich keine Sachverhalte verwirklicht, die auf eine Verjährung hinweisen würden.

Ebenfalls kein griffiges Argument kann aus der Behauptung des Antragstellers gewonnen werden, dass bei rascherer Verfahrensabwicklung unter bestimmten Umständen aus dem gegebenenfalls dann noch nicht beendeten Parallelverfahren D 49/87 des Disziplinarverfahrens der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer kein Erschwerungsumstand zu gewinnen gewesen wäre. Würde dies zutreffen, dann hätte eben das früher abgeschlossene Verfahren D 49/87 als erschwerend wirkende Vorstrafe berücksichtigt werden müssen, sodass also eine Benachteiligung des Antragstellers nicht offenkundig ist. Im übrigen hat das Erkenntnis des EGMR vom 21.12.1999 lediglich festgestellt, dass eine überlange Verfahrensdauer des Disziplinarverfahrens vorlag; es gibt keine Anhaltspunkte, wie lange die angemessene Dauer dieses Verfahrens gewesen wäre. Aus diesem Grunde, wie der Vertreter der Generalprokuratur zutreffend ausführt, sind Überlegungen zur Verfahrensdauer reine Spekulation."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf "angemessene Verfahrensdauer" gemäß Art6 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

5. Auf Anfrage des Verfassungsgerichtshofes teilte die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer mit, daß die Disziplinarstrafe, mit der der Beschwerdeführer mit Erkenntnis der OBDK vom 25. Jänner 1993 rechtskräftig zu einer Geldbuße von

S 25.000,- verurteilt wurde, noch nicht getilgt sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde ist aufgrund des Umstandes, daß hier die Disziplinarstrafe noch nicht getilgt ist und daher die Beschwer - anders als im Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2000, VfSlg. 15760/2000 ("Gradinger") - nicht weggefallen ist, zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat daher in der Sache zu entscheiden:

2.1. Die für die Beurteilung der Beschwerde maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2.1.1. §77 Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt 1990), BGBl. Nr. 474/1990, idF BGBl. I Nr. 71/1999 lautet:

"Sinngemäße Anwendung von Bestimmungen der

Strafprozeßordnung

§77. (1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung.

(2) Für die Wiedereinsetzung gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung mit der Maßgabe, daß die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung aller Fristen - ausgenommen die Wiedereinsetzungsfrist und die im §33 Abs2 genannte Frist - zulässig ist. Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Disziplinarbehörde, bei der die versäumte Prozeßhandlung vorzunehmen war.

(3) Im übrigen sind die Bestimmungen der Strafprozeßordnung im Disziplinarverfahren auch insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt und die Anwendung der Bestimmungen der Strafprozeßordnung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist."

2.1.2. §363a StPO, BGBl. Nr. 631/1975, idF BGBl. Nr. 762/1996, lautet:

"II. Erneuerung des Strafverfahrens

§363a. (1) Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, daß die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluß auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.

(2) Über den Antrag auf Erneuerung des Verfahrens entscheidet in allen Fällen der Oberste Gerichtshof. Den Antrag können der von der festgestellten Verletzung Betroffene und der Generalprokurator stellen; §282 Abs1 ist sinngemäß anzuwenden. Der Antrag ist beim Obersten Gerichtshof einzubringen. Zu einem Antrag des Generalprokurators ist der Betroffene, zu einem Antrag des Betroffenen ist der Generalprokurator zu hören; §35 Abs2 ist sinngemäß anzuwenden."

2.2. Nach Art46 EMRK (vormals Art53 EMRK) sind die Vertragsstaaten in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, verpflichtet, das endgültige Urteil des EGMR zu befolgen. Mit §363a StPO ist im Wege des Strafrechtsänderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 762/1996, eine Regelung geschaffen worden, die die Einhaltung dieser Verpflichtung für den Bereich der Strafrechtspflege innerstaatlich gewährleisten soll (vgl. die Regierungsvorlage zum Strafrechtsänderungsgesetz 1996, 33 BlgNR XX. GP, 64 ff.).

Der EGMR betont in ständiger Rechtsprechung, daß es dem betroffenen Staat obliege, die Mittel zu wählen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen sind, um seinen Verpflichtungen gemäß Art46 EMRK nachzukommen (EGMR 13.6.1979, Marckx gg. Belgien, EuGRZ 1979, 454 ff. [460]; EGMR 26.10.1988, Norris gg. Irland, ÖJZ 1989, 628 ff. [631]; EGMR 25.2.1997, Z gg. Finnland, ÖJZ 1998, 152 ff. [155]). Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes kann daher ein verfassungsrechtliches Gebot, wonach in jedem Fall einer vom EGMR festgestellten Konventionsverletzung (so auch im Fall der festgestellten überlangen Verfahrensdauer) das Verfahren innerstaatlich wiederaufzunehmen ist, aus der EMRK nicht abgeleitet werden (vgl. etwa Okresek, Art46 EMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht Rz 9 f.). §363a StPO (auch in Verbindung mit §77 Abs1 DSt 1990) begegnet daher aus dieser Sicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlage könnte ein willkürliches Verhalten der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Ein gehäuftes Verkennen der Rechtslage kann aber der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie davon ausgeht, daß allein die Länge der Verfahrensdauer keinen für den Beschwerdeführer nachteiligen Einfluß auf den Inhalt des Disziplinarstraferkenntnisses der OBDK vom 25. Jänner 1993, Bkd 43,88/90, 10 Bkd 4/92 iS des §363a StPO haben könne. Die belangte Behörde hat sich ausführlich und in nachvollziehbarer Weise mit dem Antragsvorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Ob dabei die Auslegung des §363a StPO iVm. §77 Abs1 DSt 1990 in jeder Hinsicht rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996).

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Der - nicht näher substantiierten - Behauptung des Beschwerdeführers, er sei durch den angefochtenen Bescheid (abermals) in seinem gemäß Art6 Abs1 EMRK gewährleisteten Recht verletzt worden, ist zu entgegnen, daß sich die Feststellung der Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer nur auf jenes Disziplinarverfahren erstreckt, das nach der Berechnung des EGMR sieben Jahre und vier Monate gedauert hat. Eine Neudurchführung käme daher von vorneherein nur für dieses (eine) Verfahren in Betracht.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der EGMR in der Entscheidung W.R. gg. Österreich selbst zum Ausdruck gebracht hat, daß "kein Kausalzusammenhang zwischen der Verhängung der Geldstrafe [im innerstaatlichen Disziplinarverfahren] und der festgestellten Verletzung besteht" (Rz 41). Es hat daher selbst nach Auffassung des EGMR die festgestellte Konventionsverletzung keine Auswirkung auf die Begründetheit der mit Erkenntnis der OBDK vom 25. Jänner 1993 erfolgten (und bereits vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 13920/1994 als verfassungsmäßig erachteten) Verurteilung des Beschwerdeführers, sodaß auch aus diesem Blickwinkel die "Erneuerung" des in Frage kommenden Disziplinarverfahrens nicht geboten erscheint.

5. Dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers mit dem Inhalt, der Antrag auf "Erneuerung des Verfahrens" wäre von der belangten Behörde - anstatt zurückzuweisen - abzuweisen gewesen, ist bereits die Bestimmung des §363b Abs2 Z3 StPO entgegenzuhalten, wonach der Antrag auch dann zurückgewiesen werden kann, "wenn der Gerichtshof den Antrag einstimmig als offenbar unbegründet erachtet".

6. Da der Beschwerdeführer weder in seinen gemäß Art6 EMRK gewährleisteten Rechten, noch in sonstigen - von ihm nicht geltend gemachten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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