OGH 12Os63/97

OGH12Os63/9718.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 1998 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. E. Adamovic, Dr. Zehetner und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Holy als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard O***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB über den Antrag des Verurteilten Gerhard O***** auf Erneuerung des Strafverfahrens AZ 9b E Vr 4.679/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Gerhard O***** wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Mai 1984, GZ 9b E Vr 4.679/83-44, auf Grund einer von Walter G***** erhobenen Privatanklage des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er durch die Verfassung und Veröffentlichung bestimmter Textstellen in der Ausgabe des periodischen Medienwerkes "F*****" vom 20. April 1983 den Privatankläger in einem Druckwerk einer nationalsozialistischen Denkungsart und strafbarer Handlungen, somit einer verächtlichen Gesinnung und unehrenhaften Verhaltensweise beschuldigt hatte, die geeignet waren, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.

Seiner dagegen gerichteten Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über die Schuld gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 17. Dezember 1984, AZ 27 Bs 558/84, nicht Folge.

Auf Grund einer Beschwerde des Verurteilten stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Entscheidung vom 23. Mai 1991, Nr 6/1990/197/257, eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK mangels Unparteilichkeit des Oberlandesgerichtes und des Art 10 EMRK durch die Urteile der beiden nationalen Instanzen fest und erkannte dem Beschwerdeführer eine Entschädigung für materielle Schäden sowie für Kosten und Auslagen zu.

Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung des EGMR beantragte Gerhard O***** am 1. März 1997 die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß den §§ 363a f StPO.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Antrag ist unzulässig:

§ 363a Abs 1 StPO bestimmt, daß dann, wenn in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt wird, das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern ist, als nicht auszuschließen ist, daß die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluß auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.

Diese Bestimmung ist am 1. März 1997 in Kraft getreten (Art XI Abs 1 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1996 BGBl 762). Mit diesem Tag ist somit der Beginn des zeitlichen Bedingungs- und Rechtsfolgenbereiches des Gesetzes festgelegt (vgl Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechts, 8. Aufl, Rz 493; Mayer, Bundesverfassungsgesetz, 2. Aufl, Art 49 III.2.). Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 24. Juni 1998, GZ 14 Os 73/97-24, ausgesprochen hat, erhellt aus der Verwendung der Gegenwartsform ("Wird ... festgestellt") für die im ersten Halbsatz des § 363a Abs 1 StPO normierte materielle Grundlage einer Erneuerung des Strafverfahrens, daß eine solche Erneuerung nur auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegründet werden kann, welche nach Inkrafttreten der §§ 363a ff StPO ergangen sind. Eine rückwirkende Geltung der zitierten Bestimmungen auf alle seit der innerstaatlichen Genehmigung der EMRK (BGBl 1958/210) festgestellten Konventionsverletzungen durch strafgerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen normiert das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 nicht; es enthält auch keine Übergangsregelung nach Art des § 12 Abs 2 GRBG. § 61 StGB hinwieder bezieht sich auf den zeitlichen Geltungsbereich des materiellen Strafrechts und hat mit demjenigen prozessualer Vorschriften, zu denen die §§ 363a ff StPO unbestrittenermaßen zählen, nichts zu tun. Die Gesetzesmaterialien bieten aber auch keinen Anhalt für eine (historisch-)teleologische Interpretation dahin, daß der Gesetzgeber speziell (auch) für Fälle wie dem vorliegenden die Erneuerung des Strafverfahrens ermöglichen wollte.

Da Gerhard O***** seinen Antrag auf ein vor Inkrafttreten der Bestimmungen der §§ 363a ff StPO erflossenes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stützt, welches somit außerhalb des zeitlichen Geltungsbereiches der in Rede stehenden Bestimmungen liegt, sind die materiellen Voraussetzungen für die angestrebte Erneuerung des Verfahrens nicht erfüllt, woraus folgt, daß der Antrag bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Stichworte