OGH 26Os9/15s

OGH26Os9/15s19.4.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 19. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Hausmann und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kühlmayer als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. Jänner 2012, AZ D 22/10 (DV 30/11), D 139/09 (DV 10/10), D 125/10 (DV 31/11), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Erste Generalanwältin Dr. Sperker, des Kammeranwalts der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Meyenburg und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0260OS00009.15S.0419.000

 

Spruch:

Der Berufung wegen Schuld wird teilweise Folge gegeben und der Disziplinarbeschuldigte unter Aufhebung der betreffenden Schuldsprüche und somit des Strafausspruchs von den Vorwürfen, er habe

1. (D 139/09) es in seiner mit Rechtsanwalt ***** geführten Korrespondenz, insbesondere in zwei E‑Mails vom 27. Juli 2009 (18:16 Uhr) und vom 28. Juli 2009 (0:46 Uhr), abgelehnt, mit diesem zu verhandeln, und ihn unnötig in den Streit gezogen sowie auch persönlich angegriffen;

2. (D 22/10)

a) in einer an ***** in Kopie gesandten E‑Mail vom 29. Jänner 2010 an Rechtsanwalt ***** dessen fachliche Qualifikation angezweifelt, indem er schrieb: „Ohne Ihnen näher treten zu wollen, benötigt dieser Akt jahrelange praktische Erfahrung im Revisionsrecht und jur. Berufshaftungsrecht“;

b) Information zum Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** „bzw“ Aktenübermittlung mit E‑Mail vom 3. Februar 2010 vom Erlag eines Kostenvorschusses abhängig gemacht, welcher sich auf 8 x 300 Euro zuzüglich USt belaufen hätte, weiters die Informationserteilung sowie Aktenübermittlung von seiner zeitlichen Verfügbarkeit abhängig gemacht und dazu ausgeführt, dass diese nicht gegeben wäre;

3. (D 125/10) mit Schriftsatz vom 28. April 2010 im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts *****, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde, den angemessenen sachlichen Umgangston gegenüber Kollegen nicht eingehalten, indem er ausführte: „ Die Beklagte war, bevor sie vom Kläger vertreten wurde, durch *****, eine bekannte Scheidungsexpertin vertreten, die es allerdings nicht geschafft hatte, nach Mediation und 3‑jährigem Scheidungsverfahren, das für die Beklagte kostenpflichtig endete, überhaupt eine Ehescheidung der Beklagten herbeizuführen. ... Die Beklagte ist Unternehmerin und musste für die verfehlte Scheidungsklage ihrer Voranwältin bereits Kostenersatz zahlen.

freigesprochen.

Im Übrigen wird der Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

In Neubemessung der Geldbuße wird unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer vom 11. März 2011, AZ D 103/09 (DV 63/10), eine Zusatzstrafe von 1.500 Euro verhängt.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, Rechtsanwalt in *****, neben Freisprüchen von weiteren Vorwürfen mehrerer Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

Danach hat er

1. zu AZ D 139/09

es in seiner mit Rechtsanwalt ***** geführten Korrespondenz, insbesondere in zwei E‑Mails vom 27. Juli 2009 (18:16 Uhr) und vom 28. Juli 2009 (0:46 Uhr), abgelehnt, mit Rechtsanwalt ***** zu verhandeln, diesen unnötig in den Streit gezogen sowie auch persönlich angegriffen;

2. zu AZ D 22/10

a) in einer E‑Mail vom 29. Jänner 2010 an Rechtsanwalt ***** dessen fachliche Qualifikation angezweifelt, indem er wie folgt ausführte und dieses Schreiben auch ***** in Kopie sandte: „Ohne Ihnen näher treten zu wollen, benötigt dieser Akt jahrelange praktische Erfahrung im Revisionsrecht und jur. Berufshaftungsrecht.“;

b) Information zum Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** „bzw“ Aktenübermittlung mit E‑Mail vom 3. Februar 2010 vom Erlag eines Kostenvorschusses abhängig gemacht, welcher sich auf 8 x 300 Euro zuzüglich USt belaufen hätte, weiters die Informationserteilung sowie Aktenübermittlung von seiner zeitlichen Verfügbarkeit abhängig gemacht und dazu ausgeführt, dass diese nicht gegeben wäre;

c) mit E‑Mail vom 1. Februar 2010 ***** vorsätzlich den falschen Rat erteilt, dass nur der Rechtsanwalt das Vollmachtsverhältnis kündigen kann;

3. zu AZ D 125/10

den angemessenen sachlichen Umgangston gegenüber Klienten und Kollegen nicht eingehalten, indem er

a) in einer E‑Mail vom 12. Dezember 2009 an ***** folgende Formulierungen verwendete: „ich frage mich, ob Sie überhaupt noch durchschauen was Sie tun. ... Sich Dumm zu stellen, ist ein starkes Stück, denn Sie wissen genau, worum es geht. (...) Und ich bin nicht verantwortlich, falls Ihnen der nächste Anwalt den Fall nun verhaut oder Sie sich selbst.“;

b) in einem Schriftsatz vom 28. April 2010 zum Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts *****, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde, behauptete: „Schließlich ist das Vorbringen, es würde keine Stundensatzvereinbarung geben, obwohl seit dem Jahr 2005 mit 16 Honorarnoten abgerechnet worden ist (14 bezahlt!), eine definitive Frechheit.“;

c) mit Schriftsatz vom 28. April 2010 zum Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts *****, sohin in einer Dritten zugegangenen Urkunde, ausführte: „Die Beklagte war, bevor sie vom Kläger vertreten wurde, durch *****, eine bekannte Scheidungsexpertin vertreten, die es allerdings nicht geschafft hatte, nach Mediation und 3‑jährigem Scheidungsverfahren, das für die Beklagte kostenpflichtig endete, überhaupt eine Ehescheidung der Beklagten herbeizuführen. ... Die Beklagte ist Unternehmerin und musste für die verfehlte Scheidungsklage ihrer Voranwältin bereits Kostenersatz zahlen.

Er wurde hiefür zu einer Geldbuße von 6.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe, der der Kammeranwalt zur Gänze entgegentrat.

Vorauszuschicken ist:

Das in diesem Disziplinarverfahren ergangene Erkenntnis der Obersten Berufungs‑ und Disziplinarkommission vom 18. November 2013, GZ 3 Bkd 7/12‑10, ist gemäß § 2 Abs 3 VwGbK‑ÜG außer Kraft getreten (vgl VfGH 11. Juni 2015, B 337‑338/2014‑11).

Mangels einer rechtskräftigen Entscheidung der gegenständlichen Sache scheitert der gegen das vor dem Obersten Gerichtshof geführte Verfahren aus Art 4 7. ZPMRK vorgebrachte Einwand schon vom Ansatz her.

Die ins Treffen geführte Befangenheit des Untersuchungskommissärs ***** kann dahinstehen, weil dieser dem erkennenden Senat erster Instanz gesetzmäßig nicht angehörte.

Die Behauptung einer Befangenheit des Mitglieds des erkennenden Disziplinarrats ***** (dSn § 281 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 43 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) geht fehl: Zwar dürfen dem erkennenden Disziplinarrat die in § 26 Abs 1 DSt genannten Personen nicht angehören, doch treffen die dafür normierten Voraussetzungen auf ***** nicht einmal nach dem Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten zu. Eine Befangenheit iSv § 43 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt kann nicht in der Tatsache erblickt werden, dass der (richtig:) Rechtsvertreter des Anzeigens zu AZ D 139/09 „derzeit und offenbar auch in der Vergangenheit Mitglied des Disziplinarrates der RAK *****“ (§ 5 DSt) ist bzw war (vgl jüngst AZ 24 Ns 3/15y).

Ebenso nicht geschehen ist die vom Berufungswerber relevierte Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, weil Verhandlungen vor dem Disziplinarrat gemäß § 32 DSt nicht öffentlich seien. Die Verfassungsmäßigkeit der sich aus dem Gesetz ergebenden eingeschränkten Öffentlichkeit wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2000, AZ B 578/00, bestätigt; das VfGH‑E G 2/11 ‑ mit dem der Rechtsmittelwerber argumentiert ‑ ist vom Ausgangs-sachverhalt und rechtlich nicht vergleichbar.

Soweit der Disziplinarbeschuldigte vermeint, in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 3 lit a, lit b MRK verletzt zu sein, weil er sich zur „Anklage“ ‑ vor allem rechtlich ‑ nicht habe verteidigen können, verkennt er das Wesen des Einleitungsbeschlusses (§ 28 Abs 3 DSt; vgl Engelhart et al, RAO9 § 28 DSt Rz 4): Diese prozessleitende Verfügung konkretisiert das zu beurteilende Verhalten und grenzt damit (auch im Interesse des Disziplinarbeschuldigen) den Prozessstoff ein, ohne eine Bindungswirkung iSv § 281 Abs 1 Z 8 StPO auszulösen (RIS‑Justiz RS0056978).

Zu den einzelnen Schuldsprüchen wiederholt der Berufungswerber im Wesentlichen sein Vorbringen im Verfahren erster Instanz, das vom Disziplinarrat eingehend und unbedenklich erörtert wurde.

Es bleibt daher auszuführen:

Zu AZ D 139/09:

Da der Disziplinarbeschuldigte ausgehend von den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung nicht als Parteienvertreter, sondern in eigener Sache tätig wurde und diese nicht an die Öffentlichkeit drang, liegt weder eine Berufspflichtenverletzung noch eine Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes vor.

Der Disziplinarbeschuldigte war daher von diesem Vorwurf freizusprechen.

Zu AZ D 22/10:

Wie zu AZ D 139/09 ist hinsichtlich der E‑Mail vom 29. Jänner 2010 das Bekanntwerden bei einem größeren Personenkreis nicht festgestellt und handelt es sich um zulässige, darüber hinaus nicht als Parteienvertreter getätigte Meinungsäußerung (Art 10 MRK).

Die Originalakten waren bereits im Oktober 2009 an ***** retourniert worden (Freispruch 1a ‑ ES 4 sowie 13 und 16). Welche besonderen Informationen vom Disziplinarbeschuldigten abgefordert worden wären, lässt das angefochtene Erkenntnis im Dunkeln.

Hinsichtlich dieser Vorwürfe war daher ebenfalls mit Freispruch vorzugehen.

Das gilt nicht für die rechtlich völlig verfehlte Aussage eines Rechtsanwalts, dass nur der Rechtsanwalt ein Mandat kündigen könne. Eine Kündigung aus wichtigem Grund steht dem Klienten nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln immer zu (Csoklich in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte2 43). Unabhängig davon sind allfällige Ersatzansprüche für dann frustrierte Leistungen, die aber nicht Gegenstand des Disziplinarvorwurfs sind.

In diesem Umfang war der Schuldspruch daher zu bestätigen.

Zu AZ D 125/10:

Der Disziplinarrat hat die ‑ durch Art 10 MRK keineswegs gedeckte ‑ Wortwahl des um seine Honoraransprüche besorgten Disziplinarbeschuldigten in der E‑Mail vom 12. Dezember 2009 an seine Mandantin ***** zu Recht als grob herabsetzend und daher als Berufspflichtenverletzung qualifiziert.

Neue Beweisanbote dazu im Berufungsverfahren scheitern im Gegenstand an § 49 DSt.

Weiters ist die ‑ im vom Disziplinarbeschuldigten geführten Honorarprozess verwendete ‑ Bezeichnung des prozessualen Vorbringens der Gegenseite in einem Schriftsatz als „definitive Frechheit“ unsachlich und beleidigend und nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Zufolge der dem an das Gericht adressierten Schriftsatz zukommenden Publizität wurde eine Beeinträchtigung von Ansehen und Ehre des Standes verwirklicht. Die vom Disziplinarbeschuldigten zur Verteidigung seiner Wortwahl ins Treffen geführten Schriftsätze anderer Rechtsanwälte sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Hingegen war hinsichtlich der gerade noch sachlichen Ausführungen zur Vertretung der Voranwältin mit Aufhebung des Schuldspruchs und Freispruch vorzugehen, weil es sich um inhaltlich richtige Angaben zum Ergebnis der Vertretungstätigkeit handelte.

Zur Strafneubemessung:

Die Aufhebung eines Teils der Schuldsprüche zog eine Aufhebung des Strafausspruchs zwingend nach sich.

Mangels Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Disziplinarbeschuldigten war von durchschnittlichen Vermögens‑ und Einkommensverhältnissen auszugehen.

Unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der ***** Rechtsanwaltskammer vom 11. März 2011, AZ D 103/09 (DV 63/10; 3 Bkd 4/12) ‑ 3.500 Euro Geldbuße wegen diverser schriftlicher Beschimpfungen und Unterstellungen im Jahr 2009 ‑ war erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen, mildernd die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit und das längere Zurückliegen der Fehlverhalten. Eine (Zusatz‑)Geldbuße von 3.000 Euro entspricht Schuld‑ und Unrechtsgehalt der gehäuften Disziplinarvergehen.

Gemäß § 34 Abs 2 StGB waren davon jedoch 1.500 Euro als Ausgleich für die in überlanger Dauer des (Rechtsmittel‑)Verfahrens bestehenden Grundrechtsverletzung abzuziehen (RIS‑Justiz RS0114926).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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