Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des United States District Court, Northern District of Florida, Gainesville Division, vom 29. Dezember 1998, wurde Claude D***** wegen Drogenhandels zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und wegen Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren verurteilt. Zugleich wurde ausgesprochen, dass Vermögenswerte im Ausmaß von 100 Millionen US-Dollar an den Staat fallen sollen (S 143). Auf dieser Grundlage erließ das obgenannte Gericht am 23. September 1999 unter Punkt 72 die endgültige Verfallsanordnung („Final Order of Forfeiture“) über das beim Bankhaus G***** in Wien (S 121 ff) erliegende Vermögen des Claude D*****. Diese Anordnung ist seit Anfang Juni 2004 rechtskräftig.
In der Folge wurde beim Landesgericht für Strafsachen Wien das gegenständliche Rechtshilfeverfahren eingeleitet. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Vollstreckung der amerikanischen Einziehungsentscheidung wurde vom Erstgericht zunächst im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Vollstreckung einer ausländischen vermögensrechtlichen Anordnung nach § 64 Abs 1 ARHG sei nur auf Ersuchen eines anderen Staats zulässig, ein solches läge aber nicht vor. Gegen diesen Beschluss erhob die Staatsanwaltschaft - unter Anschluss des Ersuchens des Justizministeriums der Vereinigten Staaten vom 9. Juni 2004 auf Vollstreckung der Final Order of Forfeiture in Österreich (S 167 bis 169) - Beschwerde, der das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 19. Juni 2007 Folge gab, den angefochtenen Beschluss aufhob und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung über den Antrag auftrug (ON 25).
Das Erstgericht räumte im darauf folgenden zweiten Rechtsgang auch der Nebenbeteiligten Robin D***** gemäß § 64 Abs 5 ARHG sowohl im Rechtshilfeweg über die amerikanischen Behörden (ON 29) als auch im Zuge gerichtlicher Vernehmung am 26. März 2008 (ON 35) die Möglichkeit ein, sich zur begehrten Vollstreckung der endgültigen Verfallsanordnung in Österreich zu äußern. Sie nahm mittels Schriftsatz vom 23. April 2008 dazu Stellung und vertrat die Auffassung, dass kein Ersuchen der Vereinigten Staaten von Amerika vorliege und im Übrigen die Vollstreckung generell unzulässig sei (ON 40).
Mit Beschluss vom 4. Juni 2008 (ON 43) wurde die Vollstreckung der in Punkt 72 der „Final Order of Forfeiture“ beschlagnahmten Vermögensgegenstände des Claude D***** beim Bankhaus G***** Wien übernommen.
Gegen diesen Beschluss erhoben sowohl Claude D***** als auch Robin D***** fristgerecht Beschwerden (ON 46, 47), denen das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 30. Dezember 2008, AZ 22 Bs 257/08t (ON 53), nicht Folge gab.
Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt Robin D***** rechtzeitig (innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung; Art 35 MRK) die Erneuerung des Rechtshilfeverfahrens nach § 363a StPO mit der Begründung, durch den Beschluss des Oberlandesgerichts in ihrem Recht auf Eigentum gemäß Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur MRK verletzt worden zu sein.
Im Wesentlichen führt sie hiezu aus, sie sei die ehemalige Ehefrau des Verurteilten Claude D*****, von dem sie am 13. Jänner 1989 in Santo Domingo geschieden worden sei. Nach dem maßgeblichen kalifornischen Familienrecht würden ihr als Folge der Scheidung zumindest 50 % des Vermögens ihres Mannes (je nach dessen Verschulden an der Trennung auch mehr) zustehen. Zu einer entsprechenden Einigung über die Vermögenswerte sei es zunächst nicht gekommen, auch eine im Jahr 1991 eingebrachte Klage auf Aufteilung des Vermögens verbunden mit einem Antrag auf Offenlegung der vorhandenen Werte wäre erfolglos geblieben. Erst im Juli 1999 habe sie im Zuge des gegen ihren früheren Mann geführten Strafverfahrens von einem Vermögen bei der Bank G***** erfahren, das jedoch bereits zwei Monate später durch die Final Order of Forfeiture für verfallen erklärt worden war.
Am 24. Februar 2004 habe sie eine Liste ihrer Forderungen erstellt und ihrem geschiedenen Mann zur Kenntnis gebracht, der diese Verbindlichkeiten in der Folge anerkannt habe. Daher sei ein von beiden Parteien unterfertigter, vollstreckbarer Notariatsakt errichtet worden, mit dem sie am 28. Februar 2005 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien, AZ *****, ein Pfandrecht am Vermögen des Claude D***** bei der Bank G***** erwirkt hätte.
Durch die Übernahme der Vollstreckung der endgültigen Verfallsanordnung vom 23. September 1999 werde daher zu Unrecht in ihre Vermögensrechte eingegriffen. Denn die Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts, mit der vermögensrechtliche Anordnungen getroffen werden, sei gemäß § 63 Abs 4 ARHG nur zulässig, soweit nach österreichischem Recht die Voraussetzungen für eine Abschöpfung der Bereicherung oder für den Verfall vorliegen. Dies sei jedoch wegen ihres Anspruchs an den betroffenen Vermögenswerten nicht der Fall.
Darüber hinaus behauptet die Antragstellerin eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 MRK und eine unangemessen lange Verfahrensdauer.
Rechtliche Beurteilung
§ 363a StPO ermöglicht die Erneuerung eines Strafverfahrens, wenn in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wird. Das Verfahren ist auf Antrag zu erneuern, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.
In gefestigter Rechtsprechung bejaht der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der Erneuerung eines Verfahrens auch dann, wenn er selbst aufgrund eines Antrags eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts feststellt (RIS-Justiz RS0122228). Das Vorliegen einer Entscheidung des EGMR ist daher nicht zwingend Voraussetzung für einen Antrag nach § 363a StPO. Neben die Betroffenheit (§ 363a Abs 1 StPO) von einer Konventionsverletzung tritt als Erfordernis der Zulässigkeit in formeller Hinsicht, dass ein entsprechender Antrag von einem Verteidiger (§ 363b Abs 2 Z 1 StPO) unterschrieben sein muss.
Der Begriff des Verteidigers ist in § 48 StPO definiert und betrifft Angeklagte (Verurteilte) und diesen gesetzlich gleichgestellte Beteiligte, wie etwa Betroffene nach § 21 Abs 1 StGB und die Gruppe der Antragsgegner nach dem MedienG. Haftungsbeteiligte, somit Personen, die nach § 64 Abs 1 StPO, ohne selbst angeklagt zu sein, - unter anderem - von der Abschöpfung der Bereicherung oder vom Verfall bedroht sind, haben in der Hauptverhandlung und im Rechtsmittelverfahren, soweit es sich um die Entscheidung über diese vermögensrechtlichen Anordnungen handelt, die Rechte des Angeklagten. Zwar können sich diese, wenn sie die Sache nicht selbst führen, eines Vertreters (§ 73 StPO) bedienen, haben daher keinen Verteidiger, doch muss § 363b Abs 2 Z 1 StPO analog auf Vertreter von Haftungsbeteiligten ausgedehnt werden, weil andernfalls, wie schon aus der Tatsache erhellt, dass ihnen die selben Rechte zustehen wie dem Angeklagten, eine planwidrige Lücke entstünde.
Der somit zulässige Antrag ist aber offenbar unbegründet.
Das Rechtshilfeverfahren ist wie jenes zum Zweck der Auslieferung ganz allgemein vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht, dh die Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Rechtshilfeersuchen dargestellt wird, um der endgültigen Klärung des Sachverhalts im ersuchenden Staat nicht vorzugreifen (Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 127 f und 292 f; H. Schütz, JBl 1996, 507 f FN 39; Burgstaller, Triffterer-FS 751).
Eine eigenständige Prüfungspflicht des Tatverdachts bzw der zu vollstreckenden Entscheidung des ausländischen Gerichts besteht im ersuchten Staat nur dann, wenn der von der Rechtshilfe Betroffene durch entsprechend substantiiertes Vorbringen erhebliche Bedenken (im Sinn der §§ 33 Abs 2, 39, 49 Abs 3 Z 1 ARHG) aufzuzeigen vermag. Die Annahme einer weitergehenden Prüfungspflicht im ersuchten Staat liefe dem Wesen der Rechtshilfe zuwider, das gerade darauf aufbaut, dass sich der Betroffene im ersuchenden Staat gegen die dem Ersuchen zugrunde liegende Entscheidung im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Wehr setzen kann (RIS-Justiz RS0125233).
Die Prüfpflicht der inländischen Gerichte in einem solchen Verfahren umfasst daher (zunächst bloß) die Bedingungen zur Bewilligung der Vollstreckung, nicht aber die Begründetheit der ausländischen Entscheidung. Nur in dem Fall, dass der bzw die von der Rechtshilfe Betroffene durch substantiiertes Vorbringen beim inländischen Gericht erhebliche Bedenken dagegen weckt, entsteht eine erhöhte Prüfpflicht.
Der gegenständliche Antrag auf Erneuerung des Rechtshilfeverfahrens legt aber, soweit er sich - direkt oder indirekt - auf Entscheidungen und Verfügungen in den Vereinigten Staaten von Amerika bezieht, nicht deutlich und bestimmt dar, aus welchen Gründen der Grundrechtsschutz diesfalls im ersuchten Staat zu reklamieren sei, indem er auch keinen Versuch unternimmt, im Sinn der obigen Ausführungen erhebliche Bedenken an der Rechtsstaatlichkeit der ausländischen Entscheidung zu wecken.
Insoweit sich der - in seiner Argumentationslinie stets beides vermengende - Antrag allein auf das inländische Verfahren bezieht, ist vorauszuschicken, dass sämtliche Argumente der Robin D*****, die die Bestimmungen des StGB bzw des ARHG betreffen, bereits ausführlich vom Oberlandesgericht Wien erwogen und behandelt wurden.
Soweit Robin D***** eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK behauptet, legt sie nicht substantiiert und schlüssig (vgl zuletzt 15 Os 168/09h) dar, worin diese bestehen soll, indem undifferenziert auf die Verfahren gegen Claude D***** in den USA, gegen sie selbst und auf das Rechtshilfeverfahren Bezug genommen wird.
Zwar reicht der zivilrechtliche Anwendungsbereich des Art 6 MRK auch in ein Exequaturverfahren, sodass - mag eine solche auch von § 67 ARHG nicht verlangt werden - gegebenenfalls dennoch die (daher aber dispensable) Anordnung einer mündlichen Verhandlung erforderlich sein kann. Umstände aber, die das Landesgericht für Strafsachen Wien oder das Oberlandesgericht Wien verpflichtet hätten, sich einen persönlichen Eindruck von der Antragstellerin zu verschaffen (vgl EGMR 18. 12. 2008, Nr 69917/01, Saccocia gegen Österreich; ÖJZ 2009, 619), werden im Antrag nicht dargetan. Gelegenheit zur Äußerung und Darlegung ihres Standpunkts wurde ihr durch beide Gerichte eingeräumt (wozu ergänzend angemerkt sei, dass Robin D***** zwar der Ladung des Landesgerichts für Strafsachen Wien zum Zweck ihrer Vernehmung nachkam, aber erklärte, sich schriftlich äußern zu wollen [ON 35]).
Insoweit der Antrag eine Verletzung des Art 1 1. ZPMRK behauptet, ist er darauf zu verweisen, dass die Vollstreckung der Final Order of Forfeiture, die Claude D***** die in Rede stehenden Vermögenswerte auf Dauer entzog, (nur) im Sinne des Rechts des Staats zu prüfen ist, „diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse“ für notwendig hält (s Butler gegen das Vereinigte Königreich, Nr 41661/98, EGMR 2002-VI). Einerseits gelingt es der Antragstellerin auch unter diesem Gesichtspunkt nicht, darzutun, dass die österreichischen Gerichte grundrechtswidrig die bezughabenden gesetzlichen Bestimmungen des ARHG angewendet hätten, andererseits wurde sie durch das ihr zustehende und eingeräumte Äußerungs- und Beschwerderecht in die Lage versetzt, jene Maßnahmen, die in ihre möglichen Rechte nach Art 1 1. ZPMRK eingriffen, zu bekämpfen, wobei sie weder in jenen Verfahren noch in ihrem Antrag substantiiert und schlüssig darzulegen vermag, dass verabsäumt wurde, ein faires Gleichgewicht zwischen der Achtung ihrer Rechte und dem Allgemeininteresse der Gemeinschaft herzustellen, zumal die Vollstreckung der Final Order of Forfeiture im (grenzüberschreitend bedeutsamen) Kampf gegen Drogenhandel und Geldwäscherei zweifellos sogar von internationalem Interesse ist und im Verhältnis zu dem Recht der Antragstellerin (insbesondere unter dem Aspekt des erst nachträglichen Erwerbs des exekutiven Pfandrechts) überwiegt.
Der Antrag war daher schon in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO - im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Antragstellerin - zurückzuweisen.
Der Anregung auf Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens in Bezug auf § 20 und § 20b StGB verbleibt zu erwidern, dass der Oberste Gerichtshof diese Bestimmungen im Gegenstand nicht anzuwenden hat.
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