OGH 14Os47/14i

OGH14Os47/14i11.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Strafsache gegen August S***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB, AZ 6 Vr 474/99, Hv 262/99 des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00047.14I.0911.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit (am 28. Mai 1999) unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. Mai 1999, GZ 6 Vr 474/99, Hv 262/99‑33, wurde August S***** ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB (in der am 13. August 2002 außer Kraft getretenen Fassung BGBl 1988/599) schuldig erkannt, hiefür zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 9. Jänner 2001, GZ 2 BE 73/00‑27, sprach dieses die bedingte Entlassung des Verurteilten nach § 47 StGB unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit aus, ordnete Bewährungshilfe an und erteilte Weisungen.

Diese Verurteilung, die Einweisung nach § 21 Abs 2 StGB sowie die vorerst bedingte und seit 12. Februar 2007 (ON 69 des genannten BE‑Aktes) endgültige Entlassung sind (bis heute unverändert) aus der Strafregisterauskunft des Verurteilten ersichtlich.

Mit Erkenntnis des VfGH vom 21. Juni 2002, AZ G 6/02, wurde § 209 StGB unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde mit Ablauf des 13. August 2002 (Art 49 Abs 1 B‑VG in der Fassung BGBl 1996/659 iVm Art IX BGBl I 2002/134) die Strafbestimmung des § 209 StGB durch jene des § 207b StGB ersetzt.

Gestützt auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), mit welchen, beginnend mit dem Erkenntnis vom 9. Jänner 2003 (L & V gegen Österreich, Nr 39392/98 und 39829/98; ÖJZ 2003/19, 394), der Gerichtshof eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK durch die diesen ‑ das gegenständliche Strafverfahren nicht betreffenden ‑ Beschwerdefällen zu Grunde gelegenen Verurteilungen nach § 209 StGB feststellte, beantragte der Verurteilte August S***** daraufhin gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.

Diesen Antrag wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 13. November 2007, AZ 14 Os 140/06d, mit der Begründung zurück, dass er nicht rechtzeitig, also

innerhalb von

sechs Monaten nach der endgültigen (innerstaatlichen) Entscheidung eingebracht wurde (Art 35 Abs 1 MRK).

Mit (auch) über die im Jahr 2007 erhobene Beschwerde des August S***** („Mr A.S. [the third applicant]“) ergangenem Erkenntnis vom 7. November 2013 (31913/07, 38357/07, 48098/07, 48777/07 und 48779/07, E.B. ua/Österreich, Rz 32 ff) stellte der EGMR in Ansehung der unverändert bestehenden Eintragung der genannten Verurteilung des Beschwerdeführers wegen § 209 StGB im österreichischen Strafregister Verletzungen des Art 14 iVm Art 8 sowie des Art 13 EMRK fest (Rz 83 und 93 der EGMR‑Entscheidung).

Rechtliche Beurteilung

Mit Schriftsatz vom 21. April 2014 (elektronisch eingebracht am 23. April 2014) beantragt August S***** nun ein weiteres Mal die Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO.

Darin behauptet er zunächst ‑ gänzlich wortident mit seinem Vorbringen im früheren Erneuerungsantrag ‑ eine durch die Verurteilung wegen § 209 StGB bewirkte Verletzung von Art 8 und 14 MRK, die in grundrechtswidriger Weise durch die „fortgesetzte Speicherung und Verarbeitung“ dieser Verurteilung (sowie der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und die „bloß bedingte Entlassung aus derselben“) im Strafregister „auf Jahre hinaus“ fortwirke und zudem die „Tilgungsfrist für die anderen im Strafregister eingetragenen Verurteilungen“ (§ 4 TilgG) verlängere.

Ausdrücklich macht er nunmehr geltend, durch die nach wie vor aufrechte Eintragung der Verurteilung (und Einweisung) im Strafregister nicht nur in seinen gemäß Art 8 und 14 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, sondern ‑ für den Fall der Abweisung des unter einem gestellten Antrags auf Aufhebung der konventionswidrigen Verurteilung und Freispruch von dem wider ihn erhobenen Vorwurf ‑ auch in seinem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK verletzt zu sein, und beruft sich zum Ganzen in einem Klammerausdruck auf die (dem Antrag in Kopie angeschlossene) zuvor angeführte Entscheidung des EGMR

vom 7. November 2013.

Soweit sich der

Erneuerungsantrag gegen den Schuldspruch im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. Mai 1999, GZ 6 Vr 474/99, Hv 262/99‑33, richtet, stützt er sich ‑ zu Recht ‑ nicht auf dieses Erkenntnis des EGMR, weil darin eine dadurch bewirkte Konventionsverletzung gerade nicht festgestellt, vielmehr mehrfach betont wurde, dass sich die der Entscheidung zugrunde liegenden Beschwerden nicht gegen die Verurteilungen wegen § 209 StGB „per se“, (Rz 66, 70 der EGMR‑Entscheidung; vgl auch NLMR 6/2013-EGMR, 403 [404]), sondern bloß gegen deren fortgesetzte Speicherung im Strafregister wendeten (Rz 63, 66, 70, 84, 87 der EGMR‑Entscheidung; vgl dazu auch Reindl-Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 34).

Einer Erneuerung des Strafverfahrens ohne vorangegangenes Erkenntnis des EGMR im Sinn der seit 1. August 2007 etablierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (statt vieler RIS-Justiz RS0122228) steht wiederum nicht nur die unterbliebene Ausschöpfung des nationalen Instanzenzugs, sondern auch der Umstand entgegen, dass der gegenständliche Antrag (insoweit) im Wesentlichen mit dem vom Obersten Gerichtshof am 13. November 2007 zu AZ 14 Os 140/06d geprüften Erneuerungsantrag übereinstimmt (Art 35 Abs 2 MRK; vgl RIS‑Justiz RS0122737; Reindl-Krauskopf, WK‑StPO Vor §§ 363a‑c Rz 16; § 363a Rz 24, 30 ff).

Voraussetzung für eine Verfahrenserneuerung nach § 363a StPO ist zu dem die Verletzung eines Grundrechts durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts, wobei der EGMR ‑ aus der Art der ihm obliegenden Grundrechtskontrolle (nämlich der Feststellung der Staatenverantwortlichkeit überhaupt) resultierend ‑ regelmäßig (so auch im vorliegenden Fall) keine ausdrücklichen Feststellungen dazu trifft, welche Staatsgewalt und welches konkrete Staatsorgan (auch innerhalb einer Staatsgewalt) die staatliche Verantwortlichkeit ausgelöst hat. Erneuerung des Strafverfahrens kommt darauf aufbauend (nur) in Betracht, wenn sich aus dem Urteil insgesamt ergibt, dass die Verletzung der MRK der Strafgerichtsbarkeit zuzurechnen ist (vgl zum Ganzen Reindl-Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 5, 10 iVm Vor §§ 363a‑c Rz 5).

Vorliegend basiert zwar die in Rede stehende Eintragung im Strafregister auf Entscheidungen und Verfügungen eines Strafgerichts, nämlich der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers (§ 2 Abs 1 und Abs 3 StRegG; vgl dazu Kert, WK‑StPO StRegG § 2 Rz 63 ff mwN) und der mit Endverfügung des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 16. Juni 1999 ‑ gesetzeskonform und vor Außerkrafttreten der Strafbestimmung des § 209 StGB am 13. August 2002 ‑ angeordneten diesbezüglichen Verstän-digung der ‑ damals für die Führung des Strafregisters zuständigen ‑ Bundespolizeidirektion Wien (§ 3 Abs 1 StRegG). Eine durch die Übermittlung der Strafkarte an das Strafregisteramt bewirkte Konventionsverletzung wurde weder vom EGMR festgestellt, noch vom Erneuerungswerber behauptet.

Dass keine Löschung der Eintragung der Verurteilung des Beschwerdeführers im (österreichischen) Strafregister erfolgte, obwohl die dieser zugrunde liegende Strafbestimmung vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben wurde, und insoweit kein Recht besteht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, worin alleine der EGMR vorliegend eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 sowie Art 13 MRK erblickte, ist eine zwingende gesetzliche Folge einer strafgerichtlichen Entscheidung samt Verfügung (§ 3 Abs 1 StRegG), hinsichtlich derer eine Konventionsverletzung durch den EGMR (oder den OGH) im Sinn des § 363a Abs 1 StPO gerade nicht festgestellt wurde, weshalb eine darauf gestützte Verfahrenserneuerung von vornherein nicht in Betracht kommt. Eine Beseitigung dieses vom EGMR als grundrechtswidrig konstatierten Zustands ist vorliegend daher ‑ auch mit Blick auf § 8 StRegG und die dazu etablierte Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts (etwa VfGH 4. 10. 2006, B 742/06; VwGH 21. 3. 2007, 2006/05/0076) ‑ (nur) durch den Gesetzgeber (vgl Rz 81 des den Antragsteller betreffenden EGMR-Erkenntnisses; vgl auch EGMR 6. 4. 2000, 34369/97, Thlimmenos/Griechenland Rz 48) oder (in Bezug auf Art 14 iVm Art 8 MRK) mittels Tilgung im Gnadenweg durch den Bundespräsidenten (Art 65 Abs 2 lit c B‑VG; §§ 507 ff StPO) möglich.

Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 StPO (teilweise analog; vgl dazu 17 Os 11/12i) zurückzuweisen.

Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass für ein ‑ unter einem angeregtes ‑ Vorgehen gemäß Art 89 Abs 2 B-VG schon mangels Präjudizialität des § 207b StGB kein Anlass besteht (Mayer, B‑VG4 Art 89 Anm II.1.ff).

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