European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00038.14H.0225.000
Spruch:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Herbert G***** wurde mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem und demzufolge in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des (damaligen) Kreisgerichts Leoben vom 31. Mai 1989, GZ 19 E Vr 341/89‑9, des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) der gleichgeschlechtlichen Unzucht „mit Jugendlichen“ (richtig: mit Personen unter 18 Jahren) nach § 209 StGB (in der am 13. August 2002 außer Kraft getretenen Fassung BGBl 1988/599) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 24. März 1994, GZ 13 Vr 1309/93‑13, wurde der Genannte des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 15, 209 StGB (in der zuvor genannten Fassung) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Mit zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasstem Beschluss wurde die bedingte Nachsicht einer mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. November 1992, AZ 40 E Vr 2704/92, verhängten sechsmonatigen Freiheitsstrafe widerrufen. Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde (sowie die „Berufung wegen Schuld“) des Angeklagten wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 20. September 1994, AZ 11 Os 125, 126/94 (ON 18 der Vr‑Akten), zurück. Mit Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. November 1994, AZ 10 Bs 434, 435/94 (ON 21 der Vr‑Akten), wurde die (gegen den Strafausspruch gerichtete) Berufung „als unbegründet zurückgewiesen“ und der Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) nicht Folge gegeben.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juni 2002, AZ G 6/02, wurde § 209 StGB unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde mit Ablauf des 13. August 2002 (Art 49 Abs 1 B‑VG in der Fassung BGBl 1996/659 iVm Art IX BGBl I 2002/134) die Strafbestimmung des § 209 StGB durch jene des § 207b StGB ersetzt.
Gestützt auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit welchen, beginnend mit dem Erkenntnis vom 9. Jänner 2003 (39392/98 und 39829/98, L&V/Österreich ÖJZ 2003/19, 394), der Gerichtshof eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK durch die diesen ‑ die gegenständlichen Strafverfahren nicht betreffenden ‑ Beschwerdefällen zu Grunde gelegenen Verurteilungen nach § 209 StGB festgestellt hatte, beantragte der Verurteilte Herbert G***** in Betreff der beiden zuvor genannten Verurteilungen und entsprechenden Strafregistereintragungen daraufhin gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.
Diese Anträge wies der Oberste Gerichtshof mit Beschlüssen vom 1. August 2007, AZ 13 Os 135/06m (betreffend das Verfahren AZ 19 E Vr 341/89 des [damaligen] Kreisgerichts Leoben), und vom 23. Oktober 2007, AZ 11 Os 132/06f (betreffend das Verfahren AZ 13 Vr 1309/93 des Landesgerichts Leoben), jeweils infolge Nichteinhaltung der nach Art 35 Abs 1 MRK gebotenen sechsmonatigen Antragsfrist zurück.
Mit (auch) über die im Jahr 2007 erhobene Beschwerde des Herbert G***** („Mr H. G. [the second applicant]“) ergangenem Erkenntnis vom 7. November 2013 (31913/07, 38357/07, 48098/07, 48777/07 und 48779/07, E.B. ua/Österreich Rz 16 ff, 24 ff) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Ansehung der unverändert bestehenden Eintragungen der genannten Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen § 209 StGB im österreichischen Strafregister Verletzungen des Art 14 iVm Art 8 sowie des Art 13 MRK fest (Rz 83 und 93 des Erkenntnisses).
Mit am 21. April 2014 beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz beantragt Herbert G***** mit Beziehung auf die beiden genannten Strafverfahren nun ein weiteres Mal die Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO.
Darin behauptet der Erneuerungswerber zunächst ‑ wortident mit seinem Vorbringen in den früheren Erneuerungsanträgen ‑ eine durch die Verurteilungen wegen § 209 StGB bewirkte Verletzung von Art 8 und 14 MRK, die in grundrechtswidriger Weise durch die „fortgesetzte Speicherung und Verarbeitung“ und (durch Beauskunftung erfolgte) Verbreitung seiner im Strafregister gespeicherten Verurteilungen „auf Jahre hinaus“ fortwirke und zudem die „Tilgungsfrist für die anderen im Strafregister eingetragenen Verurteilungen“ (§ 4 TilgG) verlängere.
Ausdrücklich macht der Erneuerungswerber nunmehr ‑ unter Berufung auf das zuvor angeführte Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. November 2013 ‑ geltend, durch die nach wie vor aufrechten Eintragungen der Verurteilungen im Strafregister nicht nur in seinen gemäß Art 8 und 14 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, sondern ‑ für den Fall der Abweisung des unter einem gestellten Antrags auf Aufhebung der konventionswidrigen Verurteilungen und auf Freispruch von den wider ihn erhobenen Vorwürfen ‑ auch in seinem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK verletzt zu sein.
Für den Fall eines (nach Urteilskassation) in Aussicht genommenen Schuldspruchs nach § 207b StGB regt der Erneuerungswerber in Ansehung dieser Bestimmung die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens (Art 89 Abs 2 B‑VG) an.
Rechtliche Beurteilung
Die Erneuerungsanträge sind offenbar unbegründet:
Soweit sie sich gegen die eingangs genannten Urteile des (damaligen) Kreisgerichts und des Landesgerichts Leoben (als Schöffengericht) richten, machen sie keine Verfahrenserneuerung gemäß § 363a Abs 1 StPO geltend, weil sie sich ‑ konsequenterweise ‑ nicht auf das in Rede stehende Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. November 2013 stützen. Darin wurde nämlich eine durch die genannten Verurteilungen bewirkte Konventionsverletzung gerade nicht festgestellt, sondern vielmehr mehrfach betont, dass sich die der Entscheidung zu Grunde liegenden Beschwerden nicht gegen die Verurteilungen wegen § 209 StGB „per se“ (Rz 66, 70 des Erkenntnisses), sondern bloß gegen deren fortgesetzte Speicherung im Strafregister wendeten (Rz 63, 66, 70, 84, 87 des Erkenntnisses).
Einer Erneuerung des Strafverfahrens durch den Obersten Gerichtshof ohne vorangegangenes Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte infolge analoger Anwendung der §§ 363a ff StPO (RIS‑Justiz RS0122228 mit der hier zu Grunde gelegenen Leitentscheidung 13 Os 135/06m) steht in Betreff des Strafverfahrens AZ 19 E Vr 341/89 des (damaligen) Kreisgerichts Leoben die Unterlassung der Ausschöpfung des (innerstaatlichen) Instanzenzugs (Art 35 Abs 1 MRK) und in Ansehung der beiden hier in Rede stehenden Strafverfahren der Umstand entgegen, dass die vorliegenden Anträge (insoweit) im Wesentlichen mit den vom Obersten Gerichtshof bereits am 1. August 2007 zu AZ 13 Os 135/06m und am 23. Oktober 2007 zu AZ 11 Os 132/06f geprüften Erneuerungsanträgen übereinstimmen (Art 35 Abs 2 MRK; vgl RIS‑Justiz RS0122737; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO Vor §§ 363a bis c Rz 16, § 363a Rz 24, 30 ff).
Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Ansehung der (fortgesetzten und noch andauernden) Speicherung dieser Verurteilungen im Strafregister und im Fehlen von vom österreichischen Gesetzgeber dagegen eröffneten Rechtsmittelmöglichkeiten eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 sowie Art 13 MRK festgestellt hat, ist Folgendes festzuhalten:
Voraussetzung für ein erfolgversprechendes Begehren um Verfahrenserneuerung nach § 363a StPO (aufgrund vorangegangenen Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) ist die Verletzung eines Grundrechts durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts. Dabei führt der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ‑ aus der Art der ihm obliegenden Grundrechtskontrolle (nämlich der Feststellung der Staatenverantwortlichkeit überhaupt) resultierend ‑ regelmäßig (so auch im vorliegenden Fall) keine ausdrücklichen Feststellungen dazu trifft, welche Staatsgewalt und welches konkrete Staatsorgan (auch innerhalb einer Staatsgewalt) die staatliche Verantwortlichkeit ausgelöst hat, per se nicht zur Versagung der Erneuerung des Strafverfahrens, solange sich aus dem Urteil insgesamt ergibt, dass die Verletzung der Menschenrechtskonvention der Strafgerichtsbarkeit zuzurechnen ist (vgl zum Ganzen Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 5, 10 iVm Vor §§ 363a bis c Rz 5).
Vorliegend basieren zwar die in Rede stehenden Eintragungen im Strafregister auf Entscheidungen und Verfügungen eines Strafgerichts, nämlich den rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers (§ 2 Abs 1 und Abs 3 StRegG; vgl dazu Kert, WK‑StPO StRegG § 2 Rz 63 ff mwN) und den mit den Endverfügungen des (damaligen) Kreisgerichts Leoben vom 21. Juni 1989 (ON 10 des Akts AZ 19 E Vr 341/89) sowie des Landesgerichts Leoben vom 3. Jänner 1995 (ON 22 des Akts AZ 13 Vr 1309/93) ‑ gesetzeskonform und vor Außerkrafttreten der Strafbestimmung des § 209 StGB ‑ angeordneten diesbezüglichen Verständigungen der (damals für die Führung des Strafregisters zuständigen) Bundespolizeidirektion Wien (§ 3 Abs 1 StRegG). Eine durch die Übermittlung der Strafkarten an das Strafregisteramt bewirkte Konventionsverletzung wurde indes weder vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt noch vom Erneuerungswerber behauptet.
Dass die Eintragungen der Verurteilungen des Beschwerdeführers im österreichischen Strafregister nicht gelöscht wurden, obwohl die diesen zugrunde liegende Strafbestimmung vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben wurde, und insoweit kein Recht besteht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, worin allein der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorliegend eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 sowie Art 13 MRK erblickte, ist eine zwingende gesetzliche Folge einer strafgerichtlichen Entscheidung samt Verfügung (§ 3 Abs 1 StRegG), hinsichtlich derer eine Konventionsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (oder den Obersten Gerichtshof) im Sinn des § 363a Abs 1 StPO (per analogiam) gerade nicht festgestellt wurde, weshalb eine darauf gestützte Verfahrenserneuerung von vornherein nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0129635). Eine Beseitigung dieses vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als grundrechtswidrig erkannten Zustands ist vorliegend daher ‑ wie der Oberste Gerichtshof erst jüngst dargelegt hat (14 Os 47/14i; 15 Os 56/14w) ‑ auch mit Blick auf § 8 StRegG und die dazu ergangene Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts (etwa VfGH 4. 10. 2006, B 742/06; VwGH 21. 3. 2007, 2006/05/0076) nur durch den Gesetzgeber (vgl Rz 81 des zuvor genannten Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) oder (in Bezug auf Art 14 iVm Art 8 MRK) mittels Tilgung im Gnadenweg durch den Bundespräsidenten (Art 65 Abs 2 lit c B‑VG; §§ 507 ff StPO) möglich.
Die Erneuerungsanträge waren daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO zurückzuweisen.
Bleibt anzumerken, dass für ein ‑ unter einem angeregtes ‑ Vorgehen gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG schon mangels Präjudizialität des § 207b StGB kein Anlass besteht (Mayer, B‑VG4 Art 89 Anm II.1. ff).
Über die ‑ erstmals in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur gestellten ‑ Anträge des Erneuerungswerbers auf „Aufhebung“ der Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs vom 1. August 2007, AZ 13 Os 135/06m, und vom 23. Oktober 2007, AZ 11 Os 132/06f, wird gesondert entschieden werden.
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