European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00056.14W.1029.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem in gekürzter Form ausgefertigten, unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. August 1997, GZ 9c EVr 7545/97, Hv 4628/97‑18, wurde Alfred V***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB (in der am 13. August 2002 außer Kraft getretenen Fassung BGBl 1988/599) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Strafausspruch erfolgte unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf eine weitere zu AZ 9c EVr 13.248/96, Hv 276/97 des Landesgerichts für Strafsachen Wien erfolgte Verurteilung des Alfred V***** wegen § 209 StGB, die nach Feststellung der Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Lausch und Vasat gegen Österreich, Nr 39392/98 und 39829/98) Gegenstand eines Erneuerungsverfahrens war, das zur Aufhebung dieses Schuldspruchs führte (13 Os 106/03).
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juni 2002, AZ G 6/02, wurde § 209 StGB unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, entfiel mit Ablauf des 13. August 2002 die Strafbestimmung des § 209 StGB und wurde jene des § 207b StGB neu eingefügt.
Einen von Alfred V***** in Ansehung seiner zu AZ 9c EVr 7545/97, Hv 4628/97 des Landesgerichts für Strafsachen Wien erfolgten Verurteilung und Strafregistereintragung am 30. November 2006 erhobenen Erneuerungsantrag (§ 363a StPO analog) wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 6. September 2007, AZ 15 Os 135/06a, infolge Fehlens der Ausschöpfung des Instanzenzugs und Nichteinhaltung der nach Art 35 Abs 1 MRK gebotenen sechsmonatigen Antragsfrist zurück.
Mit (auch) über die im Jahr 2007 erhobene Beschwerde des Alfred V***** („Mr A.V. [the fourth applicant]“) ergangenem Erkenntnis vom 7. November 2013 (E.B. ua gegen Österreich, Nr 31913/07, 38357/07, 48098/07, 48777/07 und 48779/07) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Ansehung der unverändert bestehenden Eintragung der genannten Verurteilung des Beschwerdeführers wegen § 209 StGB im österreichischen Strafregister Verletzungen des Art 14 iVm Art 8 sowie des Art 13 MRK fest (Rz 83 und 93 der EGMR‑Entscheidung).
Mit am 21. April 2014 beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz beantragt Alfred V***** nun ein weiteres Mal die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.
Auf das zitierte Erkenntnis des EGMR Bezug nehmend kritisiert er eine durch die Verurteilung wegen § 209 StGB bewirkte Verletzung von Art 8 und 14 MRK, die in grundrechtswidriger Weise durch die „fortgesetzte Speicherung und Verarbeitung“ und (durch Beauskunftung erfolgte) Verbreitung seiner im Strafregister gespeicherten Verurteilung „auf Jahre hinaus“ fortwirke und zudem die Tilgungsfrist (§ 4 TilgG) in Ansehung seiner „anderen im Strafregister eingetragenen Verurteilungen“ verlängere.
Ausdrücklich macht er nunmehr geltend, durch die nach wie vor aufrechte Eintragung der Verurteilung im Strafregister nicht nur in seinen gemäß Art 8 und 14 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, sondern ‑ für den Fall der Abweisung des unter einem gestellten Antrags auf Aufhebung der konventionswidrigen Verurteilung und Freispruch von dem wider ihn erhobenen Vorwurf ‑ auch in seinem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK verletzt zu sein.
Für den Fall eines in Aussicht genommenen Schuldspruchs nach § 207b StGB regt der Erneuerungswerber in Ansehung dieser Bestimmung die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens (Art 89 Abs 2 B‑VG) an.
Rechtliche Beurteilung
Der Erneuerungsantrag erweist sich als offenbar unbegründet:
Soweit er sich gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. August 1997, AZ 9c EVr 7545/97, Hv 4628/97 richtet, bietet die angeführte Entscheidung des EGMR vom 7. November 2013 keine Grundlage hiefür, weil darin ‑ der Äußerung des Verteidigers zur Stellungnahme der Generalprokuratur zuwider (zumal die Speicherung der Verurteilung im Strafregister nicht „untrennbar“ mit der Verurteilung verbunden und nur durch Aufhebung letzterer zu beseitigen, vielmehr von den Bestimmungen des Tilgungsgesetzes und damit auch von weiteren Verurteilungen des Erneuerungswerbers abhängig ist) ‑ eine durch die Verurteilung bewirkte Konventionsverletzung gerade nicht festgestellt, vielmehr betont wurde, dass sich die Beschwerden nicht gegen die Verurteilungen wegen § 209 StGB „per se“ (Rz 66, 70 und 87 der EGMR‑Entscheidung), sondern bloß gegen deren fortgesetzte Speicherung im Strafregister wendeten (Rz 63, 66, 70, 84, 87 der EGMR‑Entscheidung).
Einer Erneuerung durch den Obersten Gerichtshof ohne vorangegangenes Erkenntnis des EGMR infolge analoger Anwendung der §§ 363a ff StPO (RIS‑Justiz RS0122228) stehen die Unterlassung der Ausschöpfung des (innerstaatlichen) Instanzenzugs und der Umstand entgegen, dass der gegenständliche Antrag (insoweit) im Wesentlichen mit dem vom Obersten Gerichtshof bereits am 6. September 2007 zu AZ 15 Os 135/06a geprüften Erneuerungsantrag übereinstimmt (Art 35 Abs 2 MRK; vgl RIS‑Justiz RS0122737; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO Vor §§ 363a-c Rz 16, § 363a Rz 24, 30 ff).
Soweit der EGMR in Ansehung der (fortgesetzten und noch andauernden) Speicherung dieser Verurteilung im Strafregister und im Fehlen vom österreichischen Gesetzgeber dagegen eröffneter Rechtsmittelmöglichkeiten eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 sowie Art 13 EMRK feststellte, ist Folgendes festzuhalten:
Voraussetzung für die erfolgreiche Geltendmachung eines Erneuerungsantrags ist, dass das in Rede stehende Grundrecht durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts verletzt wurde, wobei der Umstand, dass der EGMR ‑ aus der Art der ihm obliegenden Grundrechtskontrolle (nämlich der Feststellung der Staatenverantwortlichkeit überhaupt) resultierend - regelmäßig (so auch im vorliegenden Fall) keine ausdrücklichen Feststellungen dazu trifft, welche Staatsgewalt und welches konkrete Staatsorgan (auch innerhalb einer Staatsgewalt) die staatliche Verantwortlichkeit ausgelöst hat, per se nicht zur Versagung der Erneuerung des Strafverfahrens führt, solange sich aus dem Urteil insgesamt ergibt, dass die Verletzung der Menschenrechtskonvention der Strafgerichtsbarkeit zuzurechnen ist (vgl zum Ganzen Reindl-Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 5, 10 iVm Vor §§ 363a‑c Rz 5).
Vorliegend basiert zwar die in Rede stehende Eintragung im Strafregister auf Entscheidungen und Verfügungen eines Strafgerichts, nämlich der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers (§ 2 Abs 1 und Abs 3 StRegG; vgl dazu Kert, WK‑StPO StRegG § 2 Rz 63 ff) und der mit Endverfügung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. August 1997 (ON 20) ‑ gesetzeskonform und vor Außerkrafttreten der Strafbestimmung des § 209 StGB ‑ angeordneten diesbezüglichen Verständigung der ‑ damals für die Führung des Strafregisters zuständigen ‑ Bundespolizeidirektion Wien (§ 3 Abs 1 StRegG). Eine durch die Übermittlung der Strafkarte an das Strafregisteramt bewirkte Konventionsverletzung wurde weder vom EGMR festgestellt, noch vom Erneuerungswerber behauptet.
Dass die Eintragung der Verurteilung des Beschwerdeführers im österreichischen Strafregister unverändert fortbesteht, obwohl die dieser zugrunde liegende Strafbestimmung vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben wurde, und insoweit kein Recht besteht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, worin allein der EGMR vorliegend eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 sowie Art 13 MRK erblickte, ist eine zwingende gesetzliche Folge einerseits einer strafgerichtlichen Entscheidung samt Verfügung (§ 3 Abs 1 StRegG), hinsichtlich derer eine Konventionsverletzung durch den EGMR (oder den Obersten Gerichtshof) iSd § 363a Abs 1 StPO gerade nicht festgestellt wurde, weshalb eine darauf gestützte Verfahrenserneuerung von vornherein nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0129635), andererseits aber der ‑ hier die Löschung hindernden ‑ Bestimmungen des Tilgungsgesetzes. Eine Beseitigung dieses vom EGMR als grundrechtswidrig erkannten Zustands ist vorliegend daher ‑ auch mit Blick auf § 8 StRegG und die dazu ergangene Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts (VfGH 4. 10. 2006, B 742/06; VwGH 21. 3. 2007, 2006/05/0076) ‑ (nur) durch den Gesetzgeber (vgl Rz 81 des den Antragsteller betreffenden EGMR-Erkenntnisses) oder (in Bezug auf Art 14 iVm Art 8 MRK) mittels Tilgung im Gnadenweg durch den Bundespräsidenten (Art 65 Abs 2 lit c B‑VG; §§ 507 ff StPO) möglich.
Der Erneuerungsantrag war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass für ein ‑ unter einem angeregtes ‑ Vorgehen gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG schon mangels Präjudizialität des § 207b StGB kein Anlass besteht (Mayer, B‑VG4 Art 89 Anm II.1. ff).
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