Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Robert A***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 7b MedienG, AZ 092 Hv 171/07a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde die Antragsgegnerin mit Urteil dieses Gerichts vom 1. Februar 2008 (ON 8) - soweit vorliegend von Bedeutung - wegen Verletzung der Unschuldsvermutung in vier in den Ausgaben der Tageszeitung „H*****" vom 30. und 31. August sowie vom 3. und 12. September 2007 erschienenen Artikeln jeweils zur Bezahlung einer Entschädigung nach § 7b Abs 1 MedienG an den Antragsteller verurteilt (sowie gemäß § 8a Abs 6 MedienG die Urteilsveröffentlichung angeordnet).
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Schuld und Strafe (ON 12) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 25. Juni 2008, AZ 17 Bs 142/08v, im erstgenannten Anfechtungspunkt nicht, im zweiten jedoch Folge und setzte die vom Erstgericht bestimmten Entschädigungsbeträge herab (ON 17).
Gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK, der Antrag der Antragsgegnerin A***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO per analogiam (RIS-Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG. Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht, dass dem Leser der inkriminierten Artikel vermittelt worden sei, dass der Antragsteller mit Beziehung auf die ihm darin angelasteten Straftaten des Mordes und der Störung der Totenruhe nicht zurechnungsfähig gewesen, er somit nicht - wie von § 7b Abs 1 MedienG gefordert - einer gerichtlich „strafbaren" Handlung bezichtigt worden sei. Mangels Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands sei die Antragsgegnerin durch die (vom Berufungsgericht bestätigte) Auferlegung von Entschädigungszahlungen somit in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK verletzt worden.
Rechtliche Beurteilung
Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.
Ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, ist nach gesicherter Rechtsprechung zulässig (RIS-Justiz RS0122228), hat aber deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine - vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende - Grundrechtsverletzung zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinander zu setzen (15 Os 156/08t).
Nach den Feststellungen des Erstgerichts, die vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen (ON 17/S 6) und von der nunmehrigen Antragstellerin in ihrem Antrag nicht ausdrücklich bekämpft wurden, werden die inkriminierten Veröffentlichungen vom angesprochenen Rezipientenkreis dahin verstanden, dass Robert A***** „des Mordes und der Störung der Totenruhe überführt und schuldig sei" (ON 8/US 8, 9 f, 11 und 12). Eine Einschränkung dahin, dass dem Medienkonsumenten gleichzeitig vermittelt werde, der Betreffende sei zurechnungsunfähig oder „nicht schuldfähig", lässt sich den erstgerichtlichen Konstatierungen (ungeachtet allenfalls darauf hindeutender Wortwahl: „irrer Mörder"; „... lebenslang in der Anstalt verbleiben"; s aber § 21 Abs 2 StGB) nicht entnehmen.
Das Antragsvorbringen beschränkt sich nun darauf, in Bezug auf die Veröffentlichungen vom 30. und 31. August 2007 einzelne Passagen aus den inkriminierten Artikeln zu zitieren und auf dieser Basis zu erklären, damit sei „unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller nicht schuldfähig sei". Daran schließt sich die Behauptung der Rechtsfolge: „Wer jemanden als nicht schuldfähig bezeichnet, kann nicht gleichzeitig dessen Recht auf Unschuldsvermutung verletzen".
Zu den Artikeln vom 3. und 12. September 2007 wird bloß postuliert, diese seien unter den in früheren Artikeln „dargelegten Prämisse zu verstehen, wonach der Antragsteller gar nicht zurechnungsfähig sei".
Indem die Antragstellerin somit bloß ihr Verständnis vom Bedeutungsgehalt der inkriminierten Veröffentlichungen an die Stelle jenes der damit befassten Gerichte setzt, ohne sich mit deren Konstatierungen auseinander zu setzen oder auf deren Basis einen Rechtsfehler aufzuzeigen, wird sie den oben dargestellten Kriterien der Anfechtung nicht gerecht. Die Bekämpfung einzelner (auf das Berufungsvorbringen replizierender) rechtlicher Erwägungen des Berufungsgerichts (ON 17/S 4 f) vermag die Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung nicht zu ersetzen. Schon aus diesem Grund war der Antrag zurückzuweisen.
Verfehlt ist in diesem Zusammenhang der Einwand, bei der Auslegung des Oberlandesgerichts Wien, unter „gerichtlich strafbarer Handlung" iSd § 7b MedienG sei lediglich der objektive Tatbestand einer Straftat gemeint, handle es sich um eine unzulässige Analogie zu Lasten der Antragsgegnerin (der Medieninhaberin), „die die Rechte des Beschuldigten hat (§ 1 Abs 1 StGB iVm § 41 Abs 6 MedienG)". Die Antragstellerin übersieht dabei, dass das Analogieverbot für das materielle Strafrecht gilt und nicht durch eine Bestimmung über die prozessualen Rechte des Antragsgegners im medienrechtlichen Verfahren (§ 41 Abs 6 MedienG) auf Ansprüche nach dem MedienG ausgedehnt werden kann.
Im Übrigen ist der Antrag auch inhaltlich nicht berechtigt. Der Entschädigungstatbestand des § 7b MedienG ist eine einfachgesetzliche Ausformung des in Art 6 Abs 2 MRK geregelten Grundsatzes der Unschuldsvermutung (vgl EBRV zur Mediengesetznovelle 1992 [BGBl 1993/20] 503 BlgNR 18. GP 17; JAB 851 BlgNR 18. GP 4 f). Der Umfang des an den Vorwurf des Verdachts der Begehung einer „gerichtlich strafbaren Handlung" anknüpfenden in Rede stehenden Anspruchstatbestands bestimmt sich daher nach dem Schutzbereich des durch die Bestimmung des Art 6 Abs 2 MRK garantierten Grundrechts, der zufolge bis zum gesetzlichen Nachweis „seiner Schuld vermutet wird, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist". Der Regelungsumfang dieser Bestimmung wiederum knüpft an die Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 MRK in seinem strafrechtlichen Teil an (vgl Grabenwarter EMRK³ § 24 Rz 120; Meyer-Ladewig EMRK² Art 6 Rz 85). Für die Annahme des Vorliegens einer „strafrechtlichen Anklage" im Sinn dieser Vorschrift sind nach der Rechtsprechung des EGMR die Zuordnung der Materie zum Kriminalstrafrecht im nationalen Recht, die Natur des Vergehens sowie die Art und Schwere der Sanktion maßgeblich, wobei letztere auch andere freiheitsbeschränkende Maßnahmen als Freiheitsstrafen umfassen kann (vgl Grabenwarter aaO § 24 Rz 17 ff; Meyer-Ladewig aaO Art 6 Rz 14 ff). Wendet man diese - solcherart auch den Sanktionierungsbereich freiheitsentziehender vorbeugender Maßnahmen (§ 21 Abs 1 und Abs 2 StGB) erfassenden - Kriterien vor dem Hintergrund gleichartiger Schutzwürdigkeit des einer gerichtlich strafbaren Handlung und des einer Anlasstat iSd § 21 StGB Verdächtigen gegenüber medialer Inkriminierung auf den so verstandenen Schutzbereich des § 7b Abs 1 MedienG an, so zeigt diese verfassungskonforme Interpretation, dass auch der mediale Vorwurf der Begehung einer Anlasstat, die (nur) mit einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 1 StGB) sanktionierbar ist, anspruchsbegründend ist.
Dafür spricht auch, dass der Tatbestand des Entschädigungsanspruchs nicht allein darauf abstellt, dass eine einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtige Person als „schuldig", sondern - alternativ - als „überführt" (solcherart ohne den Vorwurf einer Schuldfähigkeit) hingestellt wird.
Eine Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK wird somit im Antrag nicht begründet dargetan. Dieser war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Antragstellerin - als offenbar unbegründet bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)