OGH 14Os37/15w

OGH14Os37/15w16.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zonsics als Schriftführer in der Strafvollzugssache des Kurt N***** wegen § 5 Abs 1 StVG, AZ 41 Hv 15/11p des Landesgerichts Feldkirch, über den gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 27. März 2015, AZ 6 Bs 63/15p (ON 110 des Akts), gerichteten Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO und den Antrag auf Hemmung des Strafvollzugs nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

Kurt N***** wurde mit (seit 21. März 2014 rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 6. Juni 2013, GZ 41 Hv 15/11p‑66, mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2004/15) sowie weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Beschluss vom 12. Februar 2015, GZ 41 Hv 15/11p‑103, wies das Landesgericht Feldkirch den Antrag des Verurteilten ab, die Einleitung des Strafvollzugs wegen Vollzugsuntauglichkeit nach § 5 Abs 1 StVG aufzuschieben; seiner dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 27. März 2015, AZ 6 Bs 63/15p (ON 110 des Akts), nicht Folge. Der Verurteilte befindet sich seit 9. April 2015 zur Verbüßung der Freiheitsstrafe im Strafvollzug (ON 125).

Mit Eingabe vom 7. April 2015 beantragte Kurt N***** ‑ unter Behauptung von Verletzungen der Art 3, 5 und 6 MRK ‑ die Erneuerung des den Strafaufschub betreffenden (Beschwerde‑)Verfahrens nach § 363a StPO und in diesem Zusammenhang die Hemmung des Strafvollzugs.

Rechtliche Beurteilung

Ein (wie vorliegend) nicht auf ein Urteil des EGMR gestützter Erneuerungsantrag hat

deutlich und

bestimmt darzulegen, worin eine ‑ vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende -

Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei, wobei er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen hat (RIS‑Justiz RS0124359).

Diesen Kriterien wird der Antragsteller nicht gerecht, indem er sein „dargestelltes bisheriges Beschwerdevorbringen“ „wiederholt“ und „zum Vorbringen dieses Erneuerungsantrags“ macht.

Nicht prozessförmig aufgezeigt wird eine Verletzung des Art 3 MRK mit den bloßen Behauptungen, der im Verfahren beigezogene Sachverständige Univ.‑Prof. Dr. Alois O***** habe „erkennbar ein falsches Entscheidungskalkül herangezogen“, und es komme nicht „allein“ darauf an, ob das Leben des Antragstellers in der Haft gefährdet wäre, sondern auch darauf, ob er unter den vom Sachverständigen genannten „Bedingungen und Auflagen (…) in einer Haftanstalt unter menschenwürdigen Bedingungen im Sinne des Artikels 3 EMRK untergebracht werden“ könne (RIS‑Justiz RS0128393). Soweit der Erneuerungswerber ‑ ohne Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beschwerdeentscheidung (ON 110 S 5 f) - behauptet, der Beschluss des Oberlandesgerichts verkenne Art 3 MRK und habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, „ob beim Beschwerdeführer bei seinen festgestellten Beeinträchtigungen und den vom Sachverständigen vorgegebenen Haftmindestvoraussetzungen eine menschenwürdige Unterbringung noch möglich wäre“, legt er seinerseits nicht schlüssig dar, warum seine Inhaftierung mit Blick auf die zu erwartenden Haftbedingungen und Möglichkeiten der medizinischen Betreuung im Rahmen der Haft (s ON 110 S 3 iVm ON 102; vgl auch §§ 66 ff StVG) eine unmenschliche oder erniedrigende

Behandlung im Strafvollzug ernsthaft befürchten lässt (zum ergänzenden Vorbringen in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur vgl RIS‑Justiz RS0123231 [T1]).

Die Behauptung einer Verletzung des Art 5 MRK kann nicht zum Gegenstand eines Erneuerungsantrags nach § 363a StPO gemacht werden, weil dieser nur ein subsidiärer Rechtsbehelf ist, das GRBG die Befugnis zur Anfechtung wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit abschließend regelt, einen Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof in Betreff des ‑ hier gegenständlichen ‑ Vollzugs von Freiheitsstrafen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen aber nicht vorsieht (§ 1 Abs 2 GRBG; vgl RIS‑Justiz RS0123350 [T1], RS0061089).Ein Ausschluss des Erneuerungsantrags durch § 1 Abs 2 GRBG kommt jedoch nur in Hinblick auf die Geltendmachung von Verletzungen des Art 5 EMRK in Betracht (vgl RIS‑Justiz RS0123350 [T1, T2], RS0122737 [T26]; s auch 11 Os 148/09p, 11 Os 76/12d, 14 Os 77/13z, 14 Os 28/15x; vgl aber RIS‑Justiz RS0123350 [T3, T5, T7], RS0122737 [T15]).

Soweit der Erneuerungswerber eine Verletzung des

Art 6 MRK im Beschwerdeverfahren behauptet, weil das Oberlandesgericht „pflichtwidrig“ nicht darauf eingegangen sei, „warum das Erstgericht das Grundrecht der Verteidigung auf Parteiengehör nicht verletzt haben soll“, eine „sachgerechte Entscheidung verweigert“ habe und dem Antragsteller die Möglichkeit der Vorlage eines Privatgutachtens einzuräumen gewesen wäre, übersieht er, dass das Verfahren zur Klärung der Vollzugstauglichkeit nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fällt, zumal sich dessen Verfahrensgarantien grundsätzlich nur auf jenen Teil des Strafprozesses beziehen, in dem über eine strafrechtliche Anklage ‑ also über Schuld oder Nichtschuld ‑ entschieden wird (Vogler IntKomm EMRK Art 6 Rz 218 f; RIS‑Justiz RS0120049; vgl auch RS0105689, RS0123200).

Der

Erneuerungsantrag war daher ‑ im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK, im Umfang des auf Art 5 bezogenen Vorbringens im Sinn des Art 35 Abs 1 MRK zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO; vgl dazu 17 Os 11/12i).

Der Antrag auf Hemmung des Strafvollzugs durch „Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach/analog Rule 39“ (gemeint: Art 39 der Verfahrensordnung des EGMR) wiederum war schon deshalb zurückzuweisen, weil der Oberste Gerichtshof mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO zwar auch im Fall eines auf § 363a StPO gestützten Antrags die Befugnis in Anspruch nimmt, den Vollzug einer mit Erneuerungsantrag bekämpften Entscheidung zu hemmen, ein Antragsrecht betroffener Personen daraus jedoch nicht abzuleiten ist (RIS‑Justiz RS0125705).

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