European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00155.18W.0116.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Verfügung vom 29. Dezember 2014 trat die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption von der Verfolgung des Mag. Dietmar K***** und des DI Christian S***** wegen des Vergehens des Missbrauchs einer Insiderinformation nach § 48b Abs 1 Z 1 BörseG jeweils nach Zahlung eines Geldbetrags gemäß § 200 Abs 5 StPO zurück (ON 1 S 21). Unter einem brachte sie beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Antrag auf Verfall gemäß § 20 Abs 3 StGB iVm § 445 Abs 2 StPO ein (ON 1 S 21, ON 53).
Mit Urteil des genannten Gerichts vom 17. Juli 2015, (richtig) GZ 17 Hv 10/15k‑61, wurden im selbständigen Verfahren gemäß § 445 StPO nach § 20 Abs 1 und 3 StGB hinsichtlich Mag. Dietmar K***** 43.679,50 CHF und hinsichtlich DI Christian S***** 2.469,75 Euro für verfallen erklärt.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen seien die Genannten in Verdacht gestanden, als Insider, das heißt als Mitarbeiter, die mit der Zusammenstellung von Geschäftszahlen betraut sind, Insiderinformationen, nämlich Vorabkenntnisse von Geschäftszahlen der a***** AG, wobei es sich um öffentlich nicht bekannte genaue Informationen gehandelt habe, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betroffen hätten und die, wenn sie öffentlich bekannt gewesen wären, geeignet gewesen wären, den Kurs der Contracts for Difference (CFDs) mit dem Basiswert („Underlying“) a***** AG erheblich zu beeinflussen, mit dem Vorsatz ausgenützt zu haben, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, indem sie davon betroffene Finanzinstrumente, nämlich CFDs mit dem Basiswert a***** AG, anlässlich der im Erkenntnis näher beschriebenen Transaktionen (US 2 f) kauften bzw verkauften.
Für die ihnen vorgeworfenen Tathandlungen hätten die beiden Genannten die Verantwortung übernommen und erklärt, damit zuvor erlittene Verluste ausgleichen haben zu wollen. Der Einzelrichter ging davon aus, dass Mag. Dietmar K***** und DI Christian S*****, hinsichtlich derer die Staatsanwaltschaft nach Zahlung eines Geldbetrags von der Verfolgung zurückgetreten sei, hiedurch insgesamt– bislang weder sichergestellte noch beschlagnahmte – Vermögensvorteile in Höhe der jeweils erfolgten Verfallsaussprüche lukrierten.
Mit Urteil vom 18. Dezember 2015, AZ 32 Bs 278/15i, gab das Oberlandesgericht Wien den dagegen wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufungen der Haftungsbeteiligten nicht Folge (ON 69). Begründend führte das Oberlandesgericht Wien unter anderem aus, die Verfallsentscheidung nach § 20 Abs 3 StGB verletze weder die Unschuldsvermutung noch stelle sie eine verbotene mehrfache Strafverfolgung dar.
Die Berufungsentscheidung wurde den Erneuerungswerbern am 18. Jänner 2016 zugestellt. Mit am 15. Juli 2016 beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz beantragen Mag. Dietmar K***** und DI Christian S***** die Erneuerung des Strafverfahrens. Gestützt auf Art 6 Abs 2 MRK und Art 48 GRC bringen sie vor, die Annahme eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens der beiden Haftungsbeteiligten nach einer diversionellen Erledigung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 200 Abs 5 StPO sei unzulässig, weil weiterhin die Unschuldsvermutung gelte.
Weiters sehen die Erneuerungswerber eine Verletzung des Art 4 des 7. ZPMRK, des Art 50 GRC sowie des Art 54 SDÜ, weil einer Verfallsentscheidung nach § 20 StGB nach einer diversionellen Erledigung auf Grund des pönalen Charakters des Verfalls das Verbot der Doppelbestrafung entgegenstehe.
Überdies rügen die Antragsteller einen Verstoß gegen Art 1 des 1. ZPMRK, weil die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung basiere, weshalb der Eingriff in das Eigentum ohne entsprechende gesetzliche Grundlage erfolgt sei.
Rechtliche Beurteilung
Am 5. April 2017 fasste der Oberste Gerichtshof den Beschluss, die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die ihm vom Obersten Gerichtshof am 23. Jänner 2017 zu AZ 13 Os 49/16d vorgelegte Frage abzuwarten. Diese war darauf gerichtet, ob das Unionsrecht dahin auszulegen sei, dass es den Obersten Gerichtshof verpflichtet, über Antrag eines Betroffenen die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Strafgerichts hinsichtlich behaupteter Verletzung von Unionsrecht vorzunehmen, wenn das nationale Recht (§ 363a StPO) eine solche Überprüfung nur hinsichtlich behaupteter Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle vorsieht. Eine solche Verpflichtung hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 24. Oktober 2018 verneint (EuGH 24. 10. 2018, C‑234/17, XC ua).
Mit Entscheidung des verstärkten Senats vom 30. November 2018, AZ 13 Os 49/16d, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens auch im von der Rechtsprechung (13 Os 135/06m, SSt 2007/53; RIS‑Justiz RS0122228) erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden kann.
Der Erneuerungsantrag ist daher in Ansehung der Relevierung einer Verletzung der Art 48 und 50 GRC sowie des Art 54 SDÜ schon aus diesem Grund unzulässig.
Zum Vorbringen der Erneuerungswerber im Übrigen:
Für den subsidiären Rechtsbehelf eines nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrags gelten alle gegenüber diesem normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).
Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK) wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]).
Dieser Anforderung wird der in den Erneuerungsanträgen erstmals erhobene Einwand der Verletzung des Rechts auf Achtung des Eigentums (Art 1 des 1. ZPMRK) nicht gerecht.
Soweit die Antragsteller eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) durch die Annahme einer „strafbaren Handlung“ (nämlich eines „tatbestandsmäßigen, rechtswidrig[en] und schuldhaften Verhaltens“) durch das Oberlandesgericht behaupten, gehen sie nicht vom Urteil des Berufungsgerichts (vgl US 7) aus ohne hinsichtlich der insoweit maßgebenden Feststellungen Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken zu wecken und verfehlen damit den Bezugspunkt des Rechtsbehelfs (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).
Im Übrigen kommt zwar eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK grundsätzlich auch dann in Frage, wenn (bloß) in der Begründung einer (nicht verurteilenden) gerichtlichen Entscheidung Schuldannahmen entsprechend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (SSt 51/8; dazu EGMR 26. 3. 1982, 8269/78, Adolf/Österreich;EGMR 25. 3. 1983, 8660/79, Minelli/Schweiz). Entscheidend für die Beurteilung einer relevierten Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR jedoch nicht die exakte Wortwahl, sondern der Sinngehalt der in Rede stehenden Formulierungen. So bewirkt die Verwendung „zweideutiger und wenig zufriedenstellender“ Ausdrücke per se noch keine Konventionsverletzung, wenn die Entscheidungsbegründung der Sache nach bloß eine Verdachtslage und keine Schuldfeststellung enthält (14 Os 25/09x; EGMR 25. 8. 1987, 9912/82, Lutz/Deutschland; ähnlich: jeweils vom gleichen Tag, 10282/83, Englert/Deutschland und 10300/83 Nölkenbockhoff/Deutschland), während umgekehrt auch eine vorsichtige Wortwahl allein die Einhaltung des Gebots der Unschuldsvermutung nicht sicherzustellen vermag (EGMR 25. 3. 1983, 8660/79, Minelli/Schweiz; vgl auch 11 Os 15/12h [11 Os 20/12v]; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 6 Rz 215 mwN).
Vorliegend wies das Oberlandesgericht auf die Rechtsnatur der diversionellen Erledigung durch die Staatsanwaltschaft als Verfolgungsverzicht unter Wahrung der Unschuldsvermutung ebenso ausdrücklich hin (US 5) wie auf den Umstand, dass in dem mit allen Garantien des Strafprozesses ausgestatteten (US 5) objektiven Verfahren über den Verfall keine Entscheidung über die Schuld getroffen wird (US 7). Eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) ist daher nicht auszumachen.
Weiters behaupten die Antragsteller einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art 4 des 7. ZPMRK) und argumentieren, der Verfall nach § 20 StGB sei auf Grund des „pönalen Charakters“ eine „Strafe“, weil infolge des sogenannten Bruttoprinzips dem „Bereicherten mehr abgenommen wird, als er durch die Tat erlangt hat“, indem „die bei der Tat aufgewendeten und damit für den Täter durch die Tatbegehung verlorengegangenen Vermögenswerte, bei der Berechnung des abzuschöpfenden Betrags nicht abgezogen werden“. Auch dieses Vorbringen kann schon deshalb dahinstehen, weil es weder vom Urteil des Berufungsgerichts ausgeht noch hinsichtlich der insoweit maßgebenden Feststellungen Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken weckt (wieder RIS-Justiz RS0125393 [T1]). Hob doch das Oberlandesgericht explizit hervor, dass in Ansehung der beiden Antragsteller bloß der infolge Insiderwissens allein verpönte Sondervorteil (vgl Hinterhofer in WK2 BoerseG § 48b Rz 127) für verfallen erklärt wurde (US 8 f iVm ON 61 S 10 f).
Eine inhaltliche Prüfung der behaupteten Grundrechtsverletzungen ist daher schon mangels Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vorzunehmen.
Der Antrag war somit im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.
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