OGH 13Os16/09s

OGH13Os16/09s16.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. April 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin in der Rechtshilfesache gegen Dr. Rüdiger K***** und andere wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 dStGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 8 HSt 47/08i der Staatsanwaltschaft Feldkirch (AZ 7 Bs 450/08x, 7 Bs 452/08s und 7 Bs 451/08v des Oberlandesgerichts Innsbruck), über den Antrag des Beschuldigten Richard M***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit jeweils am 3. Juni 2008 gefassten Beschlüssen, AZ 26 HR 129/08t, bewilligte das Landesgericht Feldkirch zwei - im Rahmen eines ua gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 dStGB und der Steuerhinterziehung nach § 370 dAO auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Bielefeld geführten Rechtshilfeverfahrens ergangene - Anordnungen der Staatsanwaltschaft Feldkirch, AZ 8 HSt 47/08i, auf Durchsuchung von Orten und Gegenständen nach § 117 Z 2 lit b StPO, nämlich der Geschäftsräume der Mo***** GmbH und der Wohnräume deren geschäftsführenden Gesellschafters Richard M***** sowie der Geschäftsräume der W***** GmbH. Den dagegen gerichteten Beschwerden gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschlüssen jeweils vom 30. Dezember 2008, AZ 7 Bs 450/08x und 7 Bs 452/08s betreffend die Beschwerde der Mo***** GmbH und des Richard M***** sowie AZ 7 Bs 451/08v betreffend die Beschwerde der W***** GmbH und der W*****GMBH & Co KG, nicht Folge.

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt Richard M***** die Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO im Wesentlichen mit der Begründung, durch die bekämpften Beschlüsse sei es zu einer „Verletzung des Hausrechtes gemäß Art 8 Abs 1 MRK" gekommen.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg Grundsätzliches:

In gefestigter Rechtsprechung bejaht der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der Erneuerung eines Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, wenn er selbst aufgrund eines darauf gerichteten Antrags eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts feststellt (RIS-Justiz RS0122228). Schon die weite Umschreibung des möglichen Prüfungsgegenstands (vgl dazu Reindl, WK-StPO § 363a Rz 4; vgl auch § 23 Abs 1 StPO und § 1 Abs 1 GRBG) bringt zum Ausdruck, dass diese Erneuerungskompetenz nicht auf in rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergangene (End-)Entscheidungen beschränkt ist. Vielmehr sieht sich der Oberste Gerichtshof aufgerufen, als - nicht an völkerrechtliche Beschränkungen als Ausdruck staatlicher Souveränität (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 13 Rz 19) gebundene - oberste Instanz in Strafrechtssachen (Art 92 Abs 1 B-VG) über die Einhaltung von Grundrechten in Strafverfahren zu wachen und dabei nicht bloß die Rechtsprechung des EGMR nachzuvollziehen, sondern erforderlichenfalls selbst Akzente ihrer Weiterbildung zu setzen (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832).

Die Übernahme der in Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen erfolgt sinngemäß, was die Unbeachtlichkeit der spezifisch aus dem völkerrechtlichen Charakter der MRK sich ergebenden Zugangsbeschränkungen für das (allein innerstaatliche) Erneuerungsverfahren bedingt. Träger der in der MRK - nicht auch nach Art und Weise ihrer innerstaatlichen Umsetzung - festgeschriebenen Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte sind nämlich die einzelnen Mitgliedstaaten, weshalb der EGMR eine Konventionsverletzung erst dann festzustellen befugt ist, wenn dem belangten Mitgliedstaat zuvor die Möglichkeit eingeräumt wurde, die gebotenen Maßnahmen zur Beseitigung der in Rede stehenden Verstöße selbst zu ergreifen (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 17 Rz 6; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 Einleitung Rz 28 f und 31; vgl auch die Möglichkeit einer gütlichen Einigung nach Art 38 f MRK).

Subsidiarität im ohne vorangegangene Entscheidung des EGMR durchgeführten Erneuerungsverfahren bedeutet demnach (bloß) Erschöpfung des Instanzenzugs in Ansehung der nach grundrechtlichen Maßstäben zu prüfenden (Einzel-)Entscheidung (vgl RIS-Justiz RS0114487 zum Grundrechtsbeschwerdeverfahren). Solcherart können Fehlentwicklungen im noch anhängigen Strafverfahren aufgezeigt und die Grundrechtskonformität einzelner gerichtlicher Entscheidungen im Interesse einer einheitlichen, menschenrechtlichen Standards entsprechenden Rechtsanwendung klargestellt werden (vgl 15 Os 89/08i, EvBl 2009/21, 135 im Zusammenhang mit einer kassatorischen Rechtsmittelentscheidung und 13 Os 176/08v hinsichtlich einer Beschwerdeentscheidung betreffend einen vor Beginn der Hauptverhandlung gefassten Beschluss).

Im Übrigen bedeutet die Erneuerungsmöglichkeit (auch ohne vorangegangene EGMR-Entscheidung) keine unzulässige Beschränkung des aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) iVm der Präambel der Konvention abgeleiteten Anspruchs auf Rechtssicherheit, maW auf Respektierung der - nach Maßgabe nur des innerstaatlichen Rechtsschutzsystems zu beurteilenden (EGMR vom 24. Juli 2003, Nr 52854/99, Ryabykh gg Russland; vom 20. Juli 2004, Nr 50178/99, Nikitin gg Russland und vom 18. Jänner 2007, Nr 55531/00 Sitkov gg Russland) - Rechtskraft von Entscheidungen durch den Staat selbst (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 24 Rz 67; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 Art 6 Rz 25, 35 und 60), denn der solcherart geschaffene (subsidiäre) Rechtsbehelf kann nur unter strikten zeitlichen und inhaltlichen Voraussetzungen (Art 34 f MRK) von einer im vorangegangenen Strafverfahren ohnehin beteiligten Partei ergriffen werden und hat nicht (unmittelbar) die neuerliche Entscheidung in der Sache selbst (vgl EGMR vom 22. März 2005, Nr 6267/02, Rosca gg Moldawien; vom 18. Jänner 2007, Nr 55531/00 Sitkov gg Russland und vom 6. Dezember 2005, Nr 19960/04, Popov gg Moldawien), sondern die Beseitigung von Konventionsverletzungen durch Überprüfung der in Rede stehenden Entscheidungen beschränkt auf grundrechtliche Aspekte zum Gegenstand. Zudem ist die Wiederaufnahme des Strafverfahrens auch zur Beseitigung schwerer, den Ausgang des Verfahrens berührender Mängel in der Konvention ausdrücklich vorgesehen (Art 4 Z 2 zweiter Fall 7. ZPMRK) und wurde vom Ministerkomitee des Europarates als Möglichkeit der Umsetzung von EGMR-Entscheidungen empfohlen (Empfehlung vom 19. Jänner 2000, Nr R [2000] 2; vgl EGMR vom 20. Juli 2004, Nr 50178/99, Nikitin gg Russland).

In Strafsachen ist daher die Aufhebung eines grundrechtswidrigen Schuldspruchs des untergeordneten Strafgerichts zum Vorteil des Angeklagten stets möglich. Wurde hingegen über zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren entschieden, ist die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich auch unter dem Aspekt einer iSd Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen (EGMR vom 28. Oktober 1999, Nr 28342/95, Brumarescu gg Rumänien; vom 6. Dezember 2005, Nr 19960/04, Popov gg Moldawien ua): Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) prävaliert im Strafverfahren der Schutz des Angeklagten; für den Privatbeteiligten allenfalls nachteilige Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung wären als Schadenersatzansprüche im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen. Wird hingegen ausnahmsweise im Strafverfahren über - vertragsautonom iSd Art 6 MRK betrachtet - zivilrechtliche, nicht akzessorische Ansprüche entschieden (§§ 6 ff, 9 f MedienG), ist die Entscheidung in der Sache, also auch die Aufhebung der Entscheidung des untergeordneten Strafgerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Antragsgegner (als zuvor am Verfahren Beteiligter) einen Erneuerungsantrag unter den oben dargestellten strikten Voraussetzungen gestellt hat, gleichviel, ob die Aufhebung in Stattgebung dieses Antrags oder einer aus dessen Anlass erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erfolgt. Lediglich bei einer nicht von einem Antrag nach § 363a StPO begleiteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (oder einem Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO) kann von dem Ermessen iSd § 292 letzter Satz StPO nicht Gebrauch gemacht werden, während die Feststellung der zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten sich auswirkenden Gesetzes-(Konventions-)verletzung stets (auch zugunsten des Privatanklägers bzw Antragstellers im vorangegangenen Verfahren) möglich ist, weil durch sie die geschützte Rechtsposition eines anderen Verfahrensbeteiligten - iS etwa eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius - nicht tangiert wird. Diese höchstgerichtliche Feststellung einer Gesetzesverletzung hat im Übrigen Bindungswirkung in einem allfälligen Amtshaftungsverfahren (SZ 68/133, SZ 67/55; Mader in Schwimann, ABGB3 VII, AHG § 1 Rz 49; Schragel, AHG3 § 1 Rz 154; vgl zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen: SZ 68/102, SZ 70/243) und ist solcherart geeignet, die Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK zu beseitigen.

Für den Anlassfall bedeutet dies:

Soweit der Erneuerungsantrag auch die bei der W***** GmbH und der W***** GMBH & Co KG durchgeführte Hausdurchsuchung thematisiert, lässt er nicht erkennen, inwieweit der Antragsteller selbst durch diesen Ermittlungsschritt in seinen grundrechtlichen Positionen berührt wurde und ihm daher Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK zukommt (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 13 Rz 13 f; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 Art 34 Rz 10 ff, jeweils mwN). Eine Organstellung des Antragstellers, die ihn zur Geltendmachung behaupteter Verletzungen von Konventionsrechten der genannten Gesellschaften berechtigen könnte, ist weder dem Antrag selbst noch den bekämpften Entscheidungen zu entnehmen.

Im Umfang der Behauptung einer Verletzung des Art 8 Abs 1 MRK durch die beim Antragsteller selbst und bei der von ihm vertretenen Mo***** GmbH durchgeführten Hausdurchsuchung mangelt es dem Antrag hingegen an der Voraussetzung der Erschöpfung des Rechtswegs (vgl Art 35 Abs 1 MRK), die einerseits die - hier vorliegende - Befassung sämtlicher nach der Rechtsordnung vorgesehenen Instanzen (vertikale Erschöpfung), andererseits aber auch die Geltendmachung der Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vor diesen Instanzen (horizontale Erschöpfung) erfordert (RIS-Justiz RS0122737, insbesondere 15 Os 22/08m; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 § 13 Rz 19, 23 und 31). Der Antragsteller hätte daher bereits im Beschwerdeverfahren eine Verletzung von Art 8 Abs 1 MRK oder anderer Bestimmungen mit ähnlichem Regelungsgehalt wie insbesondere Art 9 StGG (iVm dem Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl Nr 88 zum Schutze des Hausrechtes) relevieren müssen (EGMR vom 28. April 2004, Nr 56679/00, Azinas gg Zypern). Diesem Erfordernis wurde mit dem in der Beschwerde vom 4. Juli 2008 (entschieden zu 7 Bs 450/08x und 7 Bs 452/08s des Oberlandesgerichts Innsbruck) erstatteten Vorbringen, mit dem im Wesentlichen nur der zu Grunde liegende Tatverdacht in Frage gestellt sowie pauschal ein Verstoß gegen den ordre public und den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit (vgl § 5 StPO) behauptet wurde, nicht Genüge getan, zumal damit nicht einmal konkludent dargetan wurde, in welchem Grundrecht (denkbar wären etwa auch Art 6 Abs 1 MRK oder Art 1 1. ZPMRK) konkret sich der Beschwerdeführer verletzt erachtete.

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Vorbringen des Antragstellers, soweit es sich gegen das Vorliegen des Tatverdachts wendet und davon ausgehend die Unzulässigkeit der Hausdurchsuchungen behauptet, auch inhaltlich nicht berechtigt ist. Der kontinentaleuropäischen Rechtstradition entsprechend ist nicht nur das Auslieferungsverfahren, sondern auch die Rechtshilfe ganz allgemein vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht, dh die Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Rechtshilfeersuchen dargestellt wird, um der endgültigen Klärung des Sachverhalts im ersuchenden Staat nicht vorzugreifen (Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 127 f und 292 f; H. Schütz, JBl 1996, 507 f FN 39; Burgstaller, Triffterer-FS 751). Eine eigenständige Prüfungspflicht des Tatverdachts besteht im ersuchten Staat nur dann, wenn der von der Rechtshilfe Betroffene durch entsprechend substantiiertes Vorbringen erhebliche Bedenken aufzuzeigen vermag (Burgstaller aaO 752; H. Schütz aaO 508). Urkunden wie die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegten, die zwar der Annahme des von der ersuchenden Behörde dargestellten Tatverdachts entgegenstehen, ohne diesen unmittelbar und zweifelsfrei zu entkräften (vgl § 33 Abs 2 ARHG; Murschetz aaO 128 und 293; vgl Mayerhofer, Nebenstrafrecht5 § 33 ARHG E 2 bis 10), lösen die oa Prüfungspflicht nicht aus und machen die Vornahme der erbetenen Verfahrenshandlungen nicht unzulässig iSd § 51 ARHG.

Die Annahme einer weitergehenden Prüfungspflicht im ersuchten Staat liefe dem Wesen der Rechtshilfe zuwider, das gerade darauf aufbaut, dass sich der Betroffene im ersuchenden Staat gegen die dem Ersuchen zugrunde liegende Entscheidung im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Wehr setzen kann.

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