OGH 1Ob18/95

OGH1Ob18/9527.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Brunhilde M*****, und 2. Günter M*****, beide vertreten durch Dr.Ernst Gramm, Rechtsanwalt in Neulengbach, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen S 22.144,04 sA (erstklagende Partei) und S 108.539,54 sA (zweitklagende Partei), infolge von Rekursen der klagenden Parteien und der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 3.Jänner 1995, GZ 14 R 146/94-24, womit infolge von Berufungen der klagenden Parteien und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23.März 1994, GZ 31 Cg 24/93-18 (32 Cg 30/93), aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Rekurs der erstklagenden Partei wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Dem Rekurs der zweitklagenden Partei wird dagegen Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß, der, soweit er die erstklagende Partei betrifft, als nicht wirksam angefochten, unberührt bleibt, wird, soweit er die zweitklagende Partei betrifft, dahin abgeändert, daß er als Urteil zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei S 108.539,54 samt 4 % Zinsen aus S 86.395,50 vom 1.1.1993 bis 22.2.1994 und aus S 108.539,54 ab 23.2.1994 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei Günter Moser die mit S 34.676,15 (darin S 5.139,35 USt und S 3.840,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Verfahren aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Kläger wurden in einem gegen sie anhängigen Strafverfahren des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges schuldig erkannt. Im Beweisverfahren unterblieb die Verlesung der bei den Akten befindlichen Urkunden und Schriftstücke sowie der umfangreichen Gendarmerieanzeigen. In der Urteilsbegründung wurde jedoch auf diese Aktenteile mehrfach zur Begründung Bezug genommen. Infolge Nichtigkeitsbeschwerde beider Kläger hob der Oberste Gerichtshof dieses Urteil im Schuld- und Strafausspruch auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll gehe hervor, daß die bei den Akten erliegenden umfangreichen Gendarmerieanzeigen, Urkunden und Schriftstücke anderer Art unter Verletzung des § 252 Abs.2 StPO nicht verlesen worden seien. Entgegen der Vorschrift des § 258 Abs.1 StPO habe das Erstgericht seine die Schuldfrage betreffenden Feststellungen und die Beweiswürdigung in wesentlichem Umfang auf diese Schriftstücke gestützt. Da somit im Urteil entscheidungswesentliche Beweismittel berücksichtigt worden seien, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen seien, sei das Urteil offenbar unzureichend begründet und daher mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs.1 Z 5 StPO behaftet. Die Verteidigungskosten jedes der beiden Kläger einschließlich der Kosten der Verfassung der Nichtigkeitsbeschwerde betrugen im ersten Rechtsgang S 108.539,54. Im zweiten Rechtsgang wurde das Verfahren wiederholt, nun wurden die Gendarmerieerhebungen und Urkunden verlesen. Es erfolgte neuerlich eine Verurteilung der Kläger, die in Rechtskraft erwachsen ist. Jedem der beiden Kläger entstanden im zweiten Rechtsgang Verteidigungskosten von S 244.998,- -.

Die Erstklägerin hat den von ihr eingeklagten Amtshaftungsanspruch mit Schreiben vom 17.8.1993 bis zur Höhe von S 86.395,50 ihrem Verteidiger im Strafverfahren zediert. Der Zweitkläger befindet sich seit 18.12.1990 in Konkurs. Mit Beschluß des Konkursgerichtes vom 19.5.1993 wurde ihm „die angebliche Amtshaftungsforderung von S 86.395,50“ gemäß § 119 Abs.5 KO zur freien Verfügung überlassen; nach dem Bericht des Masseverwalters verspreche die Geltendmachung der Forderung insbesondere auch unter Bedachtnahme auf § 1304 ABGB keinen ausreichenden Erfolg.

Mit ihren im Zuge des Verfahrens verbundenen Klagen brachten die Kläger vor, der dem Strafgericht unterlaufene Verstoß gegen § 252 Abs.2 StPO sei rechtswidrig und unvertretbar, weshalb die durch den Verfahrensfehler verursachten Verteidigungskosten im Wege der Amtshaftung zu ersetzen seien. Der Aufwand habe im ersten Rechtsgang je S 108.539,54 und im zweiten Rechtsgang je S 244.998,-- betragen. Selbst wenn man die Rechtsansicht vertreten wolle, es stünden die im zweiten Rechtsgang entstandenen Kosten als Folgekosten zu, wurden diese nur bis zur Höhe der Verteidigungskosten des ersten Rechtsganges begehrt. Die Erstklägerin trug der teilweisen Zession ihrer Ansprüche an den Verteidiger Rechnung und schränkte ihr Begehren auf einen Betrag von S 22.144,04 ein. Der Zweitkläger begehre die gesamten im ersten Rechtsgang aufgelaufenen Kosten von S 108.539,54.

Die beklagte Partei wendete ein, es treffe zu, daß in der Hauptverhandlung eine formelle Verlesung des Inhalts der 31 Aktenbände sowie der in mehreren Kisten gesammelten Urkunden nicht stattgefunden habe. Es seien den Klägern aber im Zuge des Verfahrens Vorhaltungen aus der Gendarmerieanzeige und den Urkunden gemacht worden, weshalb dem Gericht die zusätzliche Verlesung nicht notwendig erschienen sei. Dieses Vorgehen des Strafgerichts sei vertretbar. Den Klägern sei überdies kein Schaden entstanden, weil im erneuerten Strafverfahren die bisherigen Verhandlungsergebnisse ohneweiteres hätten verwendet werden können. Verweigerten die Kläger die Zustimmung zur Verlesung der Verfahrensergebnisse, dann kündigten sie die Verletzung der Obliegenheit des § 1304 ABGB an. Die Kosten der Nichtigkeitsbeschwerde seien deshalb nicht zu ersetzen, weil die Kläger auch aus anderen Gründen ein derartiges Rechtsmittel erhoben hätten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Erstklägerin mit S 22.144,04 und gegen den Zweitkläger mit S 86.395,50 sA statt und wies das gegen den Zweitkläger gerichtete Mehrbegehren von S 22.144,04 sA ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß nach ständiger Rechtsprechung zu § 1 AHG als Maßstab für die „Rechtmäßigkeit“ von Organverhalten die Bestimmung des § 1299 ABGB heranzuziehen sei. Unvertretbarkeit einer Rechtsansicht und daher Verschulden sei immer dann anzunehmen, wenn das Organverhalten von einer klaren Gesetzeslage abweiche. Der Verstoß des Strafgerichtes gegen die Verfahrensvorschriften des § 252 Abs.2 StPO sei daher als unvertretbar rechtswidriges Verhalten zu qualifizieren. Da es sich um eine zwingende und von Amts wegen anzuwendende Norm handle, könne den Klägern auch keine Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne des § 1304 ABGB vorgeworfen werden. Der Erstklägerin sei daher der nicht von der Zession erfaßte Teilbetrag zuzusprechen. Dem in Konkurs befindlichen Zweitkläger sei die gegenständliche Forderung nur bis zu einer Höhe von S 86.395,50 zur freien Verfügung überlassen worden, weshalb ihm für den darüber hinausgehenden Betrag die aktive Klagslegitimation mangle.

Das Gericht zweiter Instanz gab den gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen der Parteien Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erklärte den Rekurs des Zweitklägers an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, daß die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur endgültigen rechtlichen Beurteilung nicht ausreichten. Aus der Verletzung von Verfahrensvorschriften könnten dann Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, wenn es hiedurch zu unnötigen Kosten für ein sonst vermeidbares zusätzliches Verfahren gekommen sei. Wenn aber aufgrund nicht verlesener Aktenbestandteile richtige Feststellungen getroffen worden seien und die Kläger deren Richtigkeit kannten oder kennen mußten, habe die Geltendmachung des Verfahrensfehlers nicht der Abwehr eines rechtswidrig zugefügten Schadens, sondern lediglich der Erhöhung der Verteidigerkosten gedient. Es handle sich dann um einen aus der Sicht der Kläger unnötigen Verfahrensschritt, aber nicht um die Abwehr oder Verminderung eines Schadens. Aus den Feststellungen im angefochtenen Urteil ergebe sich nicht, welche einzelnen Feststellungen im ersten Urteil aufgrund nicht verlesener Aktenbestandteile getroffen worden seien, sowie, ob diese Feststellungen, sollten sie für die Verurteilung relevant sein, auch nach dem zweiten Verfahrensgang getroffen wurden. Darüber hinaus könne aufgrund der jetzt vorhandenen Feststellungen nicht beurteilt werden, ob das Vorgehen des Strafgerichts, insbesondere seine Begründung der Feststellungen, unvertretbar rechtswidrig gewesen sei. Seien den Klägern in der Hauptverhandlung im Rahmen deren Vernehmung bzw. Anhörung zu den Aussagen der vernommenen Zeugen der wesentliche Inhalt der Anzeige zu den verschiedenen Fakten und der Inhalt der jeweiligen Urkunden vorgehalten worden bzw. seien derartige Schriftstücke gar nicht strittig gewesen, dann sei eine unterbliebene formelle Verlesung nicht als unvertretbar rechtswidrig zu beurteilen. Auch wenn diese Rechtsmeinung vom Obersten Gerichtshof in der Folge nicht geteilt worden sei, habe das Strafgericht in diesem Falle doch vertretbarerweise davon ausgehen können, daß auf eine gesonderte und vollständige Verlesung schlüssig verzichtet worden sei. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht darüber hinaus weiterhin klären müssen, ob die vom Zweitkläger eingeklagte Forderung im Gesamtumfang oder aber betraglich limitiert gemäß § 119 Abs.5 KO aus der Konkursmasse ausgeschieden worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Erstklägerin ist schon mangels Zulassung durch die zweite Instanz gemäß § 519 Abs.1 ZPO unzulässig; er wäre es aber auch angesichts des Entscheidungsgegenstands unter S 50.000,-- (Kodek in Rechberger, ZPO § 519 Rz 4).

Dem Rekurs des Zweitklägers kommt Berechtigung zu; der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof anerkennt in seiner jüngeren Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit von Verfahrenskosten und damit zusammenhängenden weiteren Aufwendungen, die einer an einem behördlichen Verfahren beteiligten Person durch rechtlich nicht vertretbare Verfahrensschritte bzw. -verzögerungen oder Entscheidungen erwachsen sind, als ersatzfähigen Schaden gemäß § 1 Abs.1 AHG. Er folgte dabei im wesentlichen Meier, Prozeßkosten und Amtshaftung, in JBl 1979, 617 ff (siehe auch Schragel, AHG2 Rdz 163 und 195). In diesem Sinne wurde wiederholt der Ersatz jener Verfahrenskosten zugesprochen, die zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes tatsächlich erforderlich waren, und zwar selbst dann, wenn die in Betracht kommende Verfahrensordnung keinen Kostenersatz kennt (SZ 59/141 = JBl 1987, 244; SZ 60/217 = JBl 1988, 176; SZ 62/6; 1 Ob 3/95).

Das Gericht zweiter Instanz gelangte im wesentlichen deshalb zur Aufhebung des Ersturteiles, weil es die Rechtsansicht vertrat, es sei zu prüfen, ob bereits im ersten Rechtsgang („richtige“) Feststellungen getroffen worden seien, deren „Richtigkeit“ die Kläger kannten oder kennen mußten; in diesem Falle habe die Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht der Abwehr eines rechtswidrig zugefügten Schadens, sondern lediglich der Erhöhung der Verteidigungskosten gedient. Mit diesen Ausführungen wollte das Berufungsgericht offenkundig das Problem der Kausalität ansprechen. Die Kläger leiten die von ihnen behauptete Amtspflichtverletzung aus der Unterlassung der gemäß § 252 Abs.2 StPO zwingend gebotenen Verlesung von Urkunden und Schriftstücken ab. Eine Unterlassung gilt nach herrschender Auffassung dann für einen Schadenserfolg als kausal, wenn die Vornahme einer bestimmten Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte und diese Handlung möglich gewesen wäre. Wäre der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten, so ist die Unterlassung ursächlich (SZ 62/73; JBl 1992, 47; Koziol/Welser, Grundriß I10 448; Schragel AHG2 Rdz 168). Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß es bei gesetzeskonformem Vorgehen des Strafgerichts nicht zur Aufhebung des Urteils wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs.1 Z 5 StPO durch den Obersten Gerichtshof gekommen wäre. Die Tatsache, daß die Kläger in ihrem Rechtsmittel auch noch andere Beschwerdepunkte vorgebracht haben, ist in diesem Zusammenhang schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Oberste Gerichtshof auf diese wegen des gegebenen Nichtigkeitsgrundes nicht eingegangen ist. Die Aufhebung des im ersten Rechtsgang ergangenen Strafurteils erfolgte vielmehr ausschließlich wegen des von den Klägern gerügten Verfahrensverstoßes. Zwingende Folge der Rechtsmittelentscheidung war die Durchführung einer neuen Verhandlung (§ 288 Abs.2 Z 1 und § 293 Abs.1 StPO) vor Richtern, die an der Verhandlung im ersten Rechtsgang nicht teilgenommen haben (§ 68 Abs.2 StPO). § 252 Abs.2 StPO ist im Zusammenhalt mit § 258 Abs.1 StPO im Lichte des Art.6 Abs.1 MRK als Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dahin zu verstehen, daß dem Angeklagten ein faires Verfahren (vgl. EGMR in ÖJZ 1993, 391) garantiert werde und sichergestellt sei, daß nur jene Beweismittel zur Urteilsbegründung herangezogen werden, die in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wurden. Besonderes Gewicht kommt der Bestimmung des § 252 Abs.2 StPO in Verfahren mit Laienbeteiligung (wie dem hier zu beurteilenden) zu, weil nur so gewährleistet ist, daß auch die Laienrichter in vollem Umfang über die entscheidungswesentlichen Aktenteile informiert sind. Angesichts dieser Erwägungen kann dem Angeklagten nicht das Recht abgesprochen werden, den Verfahrensverstoß durch ein Rechtsmittel geltend zu machen, auch wenn dadurch im Ergebnis keine - im übrigen auch kaum verläßlich vorhersehbare - andere Beurteilung der Strafsache herbeigeführt wird. Entgegen der Ansicht des Gerichts zweiter Instanz ist daher bei Beurteilung der Verursachung der begehrten Verteidigungskosten lediglich auf den Verfahrensverstoß abzustellen und nicht darauf, ob im zweiten Rechtsgang ein den Klägern günstigeres Ergebnis erzielt werden konnte.

Rechtsträger haften nicht nur für grobes, sondern auch für leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden ihrer Organe. Es begründet allerdings nicht jede objektiv unrichtige Entscheidung einen Amtshaftungsanspruch. Ein Verschulden des Organs liegt dann nicht vor, wenn seine Entscheidung auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruht. Die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit ein Verschulden des Organs wird allerdings angenommen, wenn die Entscheidung von einer klaren Gesetzeslage oder einer ständigen Rechtsprechung ohne sorgfältige Überlegung und Darlegung der Gründe abweicht (JBl 1986, 182; SZ 62/6). Gemäß § 252 Abs.2 StPO müssen Aktenteile wie die bereits mehrfach genannten verlesen werden, wenn nicht beide Teile darauf verzichten. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist es daher nicht nur „empfehlenswert“, die Verlesung vorzunehmen, sondern ist ein derartiges Vorgehen nach dem klaren Gesetzeswortlaut zwingend vorgeschrieben. Die von der beklagten Partei angestellten Zweckmäßigkeitsüberlegungen (Zeitaufwand) allein rechtfertigen die von ihr ins Treffen geführte - vom Strafgericht übrigens in keiner Weise erörterte - teleologische Reduktion der Gesetzesstelle schon im Hinblick auf den im Rahmen der Behandlung der Kausalitätsfrage dargestellten Schutzzweck der Norm nicht. Dem weiteren Einwand der beklagten Partei, die das Strafurteil aufhebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes indiziere lediglich eine Gesetzesverletzung, binde jedoch das Amtshaftungsgericht nicht, läuft im Ergebnis auf die Behauptung hinaus, daß die Rechtsmittelentscheidung in Wahrheit rechtswidrig sei. Dieser Einwand ist dem beklagten Rechtsträger aber im Amtshaftungsverfahren verschlossen: Es wäre ein Wertungswiderspruch, bestünde der amtshaftungsrechtliche Ersatzanspruch nicht, gleichviel ob der Geschädigte nun die Schadensverhütung durch ein Rechtsmittel (im Sinn des § 2 Abs.2 AHG) unterließ oder zwar das vorgesehene Rechtsmittel ergriff und damit auch erfolgreich war, den Ersatz des ihm erwachsenen Schadens aber dennoch nicht erreichen könnte, weil ihm nun vom beklagten Rechtsträger die Rechtswidrigkeit der ihm günstigen Rechtsmittelentscheidung des Organes eben dieses Rechtsträgers entgegengehalten werden könnte (1 Ob 14/94).

Es ist daher davon auszugehen, daß der dem Strafgericht unterlaufene Verfahrensverstoß schuldhaft und rechtswidrig war.

Gemäß § 2 Abs.2 AHG besteht der Ersatzanspruch nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof hätte abwenden können. Wohl hat sich die Judikatur stets zu einem weiten Verständnis des Rechtsmittelbegriffs bekannt, der nicht nur ordentliche, sondern auch außerordentliche Rechtsmittel der Gerichtsbarkeit und Verwaltung, darüber hinaus aber auch alle anderen Rechtsbehelfe umfaßt. Die vorherige erfolglose Ergreifung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe oder die Aussichtslosigkeit, daß diese Rechtsbehelfe den Schaden noch hätten abwenden können, ist anspruchsbegründendes Element (SZ 52/119; SZ 55/81; 1 Ob 32/94). Im Sinne dieser Bestimmung kann den Klägern aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie in der Hauptverhandlung keinen Antrag auf Verlesung der Akten gestellt haben. Ohne daß im vorliegenden Fall geprüft werden müßte, in welchen Fällen die gesicherte rechtliche Möglichkeit einer schadensvermeidenden Antragstellung dem Rechtsmittelbegriff des § 2 Abs.2 AHG (noch) zu unterstellen ist, darf jedenfalls der Angeklagte im gerichtlichen Strafverfahren angesichts dessen Amtswegigkeit und seinen doch äußerst eingeschränkten Mitwirkungspflichten (vgl. auch Bachler, Die allgemeine Mitwirkung der Parteien im Verwaltungsverfahren - „Pflicht“ oder „Recht“? in ÖJZ 1995, 401, 408 f) nicht, um sich Amtshaftungsansprüche im Sinne dieser Gesetzesstelle zu wahren, genötigt werden, das Gericht auf die Einhaltung zwingender Verfahrensvorschriften aufmerksam zu machen. Der Angeklagte darf sich vielmehr, auch wenn er einen Verteidiger hat, sanktionslos darauf beschränken, lediglich seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen.

Die beklagte Partei hat sich auch auf die Bestimmung des § 1304 ABGB berufen. Nach der bereits dargestellten, im Gesetz verankerten Notwendigkeit der Neudurchführung des Strafverfahrens kann die Ankündigung der Kläger, im zweiten Rechtsgang nicht mit der Verlesung von Zeugenaussagen oder sonstigen Aktenbestandteilen einverstanden zu sein, einen Mitschuldeinwand nicht begründen, weil die Kläger schon unter dem Gesichtspunkt der Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit berechtigt waren, die Neuaufnahme der Beweise vor der neu besetzten Richterbank zu begehren. Auch als Mitverschulden kann den Klägern der unterlassene Antrag auf Verlesung, zu dem sie - wie bereits dargestellt - nicht verpflichtet waren, nicht zur Last fallen. Bei Wertung eines Mitverschuldens im Bereich der Vollziehung der Gesetze im engeren Sinn ist nämlich stets zu berücksichtigen, daß Organe der Rechtsträger ohne Rücksicht auf das Verhalten der Parteien und Beteiligten verpflichtet sind, sich rechtmäßig zu verhalten, sodaß der Mitverschuldenseinwand in der Regel sich zumindest dann nicht als berechtigt erweisen wird, wenn das Gericht zur amtswegigen Beachtung von Verfahrensvorschriften verpflichtet ist (vgl. EvBl 1992/14). Da somit den Klägern schon aus rechtlichen Erwägungen deren Anspruch ungeschmälert zusteht, bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob die Kläger nach dem Gang des Strafverfahrens zumutbarerweise überhaupt in der Lage gewesen wären, das Gericht so rechtzeitig auf den Verfahrensverstoß hinzuweisen, daß ein Schade nicht hätte eintreten können.

Auch im Rahmen der Amtshaftung hat der Schädiger den Geschädigten grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne die Beschädigung gestellt wäre (SZ 50/25; SZ 51/7). Es ist eine Differenzrechnung anzustellen und vom hypothetischen heutigen Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen (SZ 51/7; Schragel AHG2 Rdz 158). Im vorliegenden Fall liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daß die Kosten eines unter Beachtung der Bestimmung des § 252 Abs.2 StPO durchgeführten Verfahrens höher als jene des zweiten Rechtsgangs gewesen wären, sodaß die Kosten des frustrierten ersten Rechtsgangs umgeschmälert zuzüglich der Kosten der Nichtigkeitsbeschwerde zu ersetzen sind. Die Höhe dieser Kosten ist im Verfahren nicht bestritten worden.

Das Erstgericht hat dem in Konkurs befindlichen Zweitkläger den so ermittelten Schaden lediglich mit jenem Betrag zugesprochen, bis zu welchem die Forderung nach dem konkursrichterlichen Beschluß dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen wurde. Das Gericht zweiter Instanz erachtete auch in diesem Umfang eine Verfahrensergänzung als erforderlich. Entgegen dieser Ansicht kann aber aufgrund des festgestellten Inhalts dieses Beschlusses schon jetzt beurteilt werden, in welchem Umfang die Aktivlegitimation des Zweitklägers trotz des Konkurses zu bejahen ist. Gemäß § 119 Abs.5 KO kann der Gläubigerausschuß mit Genehmigung des Konkursgerichts unter anderem beschließen, daß von der Veräußerung von Forderungen, deren Eintreibung keinen ausreichenden Erfolg verspricht, abzusehen sei und daß diese Forderungen dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen werden. Nach dem Sinn dieser Gesetzesstelle soll die Masse nicht mit Verfahrenskosten belastet werden, denen keine oder nur geringfügige Vorteile für die Konkursgläubiger gegenüberstehen. Da es in den Fällen des § 119 Abs.5 KO - was das Konkursgericht auch hier berücksichtigt hat - um die Beurteilung der Einbringlichkeit der gesamten Forderung geht, dient im allgemeinen die Angabe der Höhe der Forderung im Beschluß nur deren Identifizierung, ohne daß daraus mangels ausdrücklicher abweichender Begründung geschlossen werden durfte, die Konkursgläubiger wollten sich einen bereits im Zeitpunkt der Beschlußfassung bestehenden, aber etwa aufgrund eines Berechnungsfehlers nicht erkannten, den im Beschluß genannten Betrag übersteigenden Forderungsteil zur Geltendmachung vorbehalten. Nach Inhalt des Ausdehnungsschriftsatzes ON 9 im Zusammenhalt mit dem Vorbringen AS 67 ist der vom Zweitkläger begehrte Differenzbetrag nicht etwa auf späteres Hinzukommen einer weiteren Forderung, sondern auf die Neuberechnung unter Einbeziehung eines bisher nicht berücksichtigten Streitgenossenzuschlages zurückzuführen. Es war daher der Zweitkläger aufgrund des von den Vorinstanzen zitierten Beschlusses des Konkursgerichtes legitimiert, den gesamten Klagsbetrag geltend zu machen.

Es ist somit dem Rekurs des Zweitklägers Folge zu geben und gemäß § 519 Abs.2 ZPO letzter Satz in der Sache selbst im klagsstattgebenden Sinne zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO, wobei für die Zeit ab der Verbindung der beiden Verfahren die Kosten auf der Basis des jeweiligen Gesamtstreitwertes, jedoch nach Kopfteilen zuzusprechen sind. Lediglich der Ersatz der im Berufungsverfahren entrichteten Pauschalgebühr gebührt dem Zweitkläger zur Gänze, weil der in dieses Rechtsmittel aufgenommene Kostenrekurs der Erstklägerin gebührenfrei ist.

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