BVwG W107 2190522-2

BVwGW107 2190522-21.7.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W107.2190522.2.00

 

Spruch:

W107 2190522-2/47E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sibyll BÖCK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA MMag. Katrin Maringer, Laudongasse 55/5, 1080 Wien, als einstweilige Erwachsenenvertreterin, diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2018, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.06.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte hier am 19.05.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 21.05.2015 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und allfälligen Rückkehrgefährdungen befragt. Er gab an, in XXXX , Afghanistan geboren zu sein; sein Vater, XXXX , und seine drei Schwestern, XXXX XXXX und XXXX seien im Herkunftsstaat aufhältig, seine Mutter, XXXX , sei bereits verstorben; seine zwei Brüder, XXXX und XXXX , seien in Österreich, seine Brüder XXXX und XXXX seien in Norwegen aufhältig. Die Familie besitze ein Haus und ein Grundstück, die Familie habe dann in Kabul gelebt; dort habe er sieben Jahre die Grundschule besucht; vor vierzehn Monaten sei er aus Afghanistan in den Iran ausgereist; ein Jahr habe er im Iran gelebt. Von dort sei er dann mit seinen beiden Brüdern Richtung Europa geflüchtet. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, er habe in Afghanistan einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mann gestorben sei. Die Familie dieses Mannes schwöre nun Blutrache. Daher fürchte er um sein Leben.

3. Eine durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer am 16.05.2015 mit Ungarn. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) richtete am 26.05.2015 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) gestütztes Aufnahmeersuchen an Ungarn.

4. Mit Schreiben vom 08.06.2015 wurde durch das ungarische Office of Immigration and Nationality die Bereitschaft zur Aufnahme des Beschwerdeführers bekannt gegeben.

5. Am 12.08.2015 wurde der Beschwerdeführer im Hinblick auf die geplante Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz und die geplante Ausweisung nach Ungarn vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Vorgebracht wurde vom damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, dass das Verfahren seines mj. Bruders XXXX in Österreich bereits zugelassen worden sei. In Folge wurde das Verfahren des Beschwerdeführers in Österreich zugelassen.

6. Am 07.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Hier gab er an, gesund zu sein; zu seinen Familienverhältnissen befragt führte er aus, dass sein Vater und seine drei Schwestern in Kabul, Afghanistan, wohnhaft seien, zwei Brüder seien in Norwegen, ein Bruder in Frankreich und sein kleiner Bruder sei auch in Österreich, seine Mutter sei bereits verstorben; zu seiner Familie in Afghanistan habe er regelmäßigen telefonischen Kontakt; zu seinem Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, er sei vor seiner Ausreise sieben Monate wegen eines Verkehrsunfalles im Gefängnis in XXXX gewesen; er habe einen Führerschein mit achtzehn Jahren gemacht und als Taxifahrer gearbeitet; Afghanistan habe er schon immer verlassen wollen; große Schwierigkeiten habe er in Afghanistan jedoch – bis auf den Unfall - nie gehabt; wie alle Leute in seinem Alter habe er Afghanistan verlassen wollen; er sei gerne nach Europa gegangen; er habe keine Lust gehabt, in Kabul zu leben; aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen sei er nicht verfolgt worden; er sei auch noch nie konkret bedroht worden; im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan müsse er jedoch „aufpassen“, da die in den Verkehrsunfall involvierte Person „invalide“ geworden sei, diese Person auch Brüder habe und ihm selbst etwas passieren könne. Afghanistan habe er vor ca. drei Jahren Richtung Iran verlassen, dort habe er sich sieben Tage aufgehalten und sei dann Richtung Europa weitergereist.

7. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 05.01.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am 10.01.2018 in der Justizanstalt Wien- XXXX durch persönliche Übernahme zugestellt.

8. Mit Schriftsatz vom 14.03.2018 erhob der Beschwerdeführer durch die damalige Rechtsvertretung Diakonie Flüchtlingsdienst – Vollmacht vom 12.03.2018 - vollinhaltlich Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 05.01.2018 verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist sowie mit einem Antrag auf aufschiebende Wirkung.

Begründet wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung im Wesentlichen mit der dem Bescheid fehlenden Rechtsmittelbelehrung auf Dari, der fehlenden Verfahrensanordnung über die Beigabe einer Rechtsberatungsorganisation und die fehlende Verfahrensanordnung der ARGE Rechtsberatung betreffend deren Bestellung. Aus den angeführten Gründen treffe den Beschwerdeführer kein Verschulden an der Versäumung des Rechtsmittels.

9. Mit Datum 27.03.2018 übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.04.2018, GZ W107 2190522-1/4E, wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde gem. § 6 AVG iVm § 17 VwGVG zuständigkeitshalber an das BFA weitergeleitet (Spruchpunkt II.). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

11. Mit Schreiben vom 11.04.2018 wurde von der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein „Psychiatrischer Befund“ des Psychosozialen Zentrums „ESRA“, vorgelegt, demzufolge der Beschwerdeführer an einer „emotional instabilen Persönlichkeitsstörung F60.3“ und an einer „Rez.“ (Anmerkung seitens des BVwG: rezidivierenden) „Depression F 33.1“ leide sowie dem Beschwerdeführer schädlicher Gebrauch von Alkohol und Cannabinoiden diagnostiziert wurde (BFA-Akt, AS8 35 bis 839).

12. Mit Bescheid vom 14.05.2018, ZI. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben (BFA-Akt, AS 893f).

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.12.2020, GZ W107 2190522-2/4E, wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 33 VwGVG stattgegeben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

14. Mit Schreiben vom 21.12.2020 gab die damalige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers bekannt, die Bestellung eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters zugunsten des Beschwerdeführers beim zuständigen Bezirksgericht angeregt zu haben. Zudem wurde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt.

15. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.01.2021, GZ W107 2190522-2/11Z, wurde Dr. XXXX , Allgemein beeidete gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychiatrische Kriminalprognostik gemäß § 52 Abs. 2 AVG zur nichtamtlichen Sachverständigen aus den angeführten Fachgebieten bestellt und mit der Erstattung von Befund und Gutachten betreffend den Beschwerdeführer beauftragt (BVwG; OZ 11Z). Am 09.02.2021 wurde in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers durch die Sachverständige durchgeführt.

16. Mit Schreiben vom 08.02.2021 ersuchte der ausgewiesene Rechtsvertreter des Beschwerdeführers um elektronische Akteneinsicht. Diese wurde gewährt und durchgeführt.

17. Am 18.02.2021 wurde der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Schubhaft vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

18. Am 19.02.2021 erging seitens des Bundesverwaltungsgerichts ein Übersetzungsauftrag bezüglich der vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente, gehalten in der Sprache Dari, an den Dolmetscher, bestellt für die Sprache Dari, XXXX .

19. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 25.02.2021, GZ XXXX , wurde RA MMag. Katrin Maringer mit sofortiger Wirksamkeit zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers hinsichtlich dessen Vertretung in Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestellt.

20. Am 01.03.2021 wurden Befund und Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX betreffend den Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht samt Kostennote übermittelt. Das Gutachten wurde der Erwachsenenvertretung per Adresse BG XXXX sowie den Parteien mit Schreiben vom 09.03.2021 in das Parteiengehör übermittelt.

21. Mit Eingabe vom 12.03.2021 wurden die beauftragten Übersetzungen in die deutsche Sprache vom Dolmetscher XXXX dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Am 16.03.2021 wurden die übersetzten Dokumente dem BFA sowie der ausgewiesenen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers in das Parteiengehör übermittelt.

22. Mit Eingabe vom 19.03.2021 wurde vom Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung zum psychiatrischen Sachverständigengutachten eine Stellungnahme abgegeben und die Beantwortung aufgeworfener Fragen durch die Sachverständige beantragt.

23. Am 26.03.2021 legte die Sachverständige Dr. XXXX im Hinblick auf die Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 19.03.2021 ein ergänzendes Gutachten vor.

24. Am 08.06.2021 wurde dem Beschwerdeführer über seine Rechtsvertretung und Erwachsenenvertretung sowie dem BFA das ergänzende Sachverständigengutachten in das Parteiengehör übermittelt.

25. Mit Schreiben vom 08.06.2021 übermittelte der Beschwerdeführer, vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, eine Stellungnahme zu dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.

26. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.06.2021 in Anwesenheit des – aus dem Stande der Haft vorgeführten - Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters, eines Vertreters der belangten Behörde, eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie eines länderkundigen Sachverständigen (im Folgenden: SV) eine öffentliche, mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen und zu seiner Lebenssituation in Österreich befragt wurde.

In die Verhandlung wurden zudem die aktuellste, am Tag der Verhandlung den Parteien elektronisch verfügbare Version des Länderinformationsblatts zu Afghanistan (Stand 01.04.2021) sowie die Berichte von EASO und UNHCR sowie jene, die in der gegenständlichen Beschwerde bzw. Stellungnahme vom 08.06.2021 angeführt wurden, in das Verfahren eingeführt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine Tazkira in Kopie (Beilage ./1) vor. Zudem wurde die Vollmacht des ausgewiesenen Vertreters der belangten Behörde zum Verhandlungsprotokoll (VP) genommen (Beilage ./2).

Der länderkundige Sachverständige (in der Folge: SV) erstattete im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein mündliches Gutachten zu der vorgelegten Tazkira des Beschwerdeführers und zu seinem Fluchtgrund im Lichte seines bisherigen Vorbringens. Den Parteien wurde in der Verhandlung die Gelegenheit gegeben, zum Gutachten des SV Stellung zu nehmen und Fragen an den SV zu stellen.

Dem Beschwerdeführer wurde über den Antrag seiner Rechtsvertretung eine Stellungnahmefrist zum Gutachten des länderkundigen Sachverständigen bis 17.06.2021 eingeräumt. Am 17.06.2021 wurde eine diesbezügliche Stellungnahme übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die zugrundeliegenden Verwaltungsakten, insbesondere durch Einsicht in die im Verfahren vorgelegten Dokumente, Unterlagen und Befragungsprotokolle, in das beauftragte psychiatrische Sachverständigengutachten samt Ergänzungsgutachten, Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und die gutachterlicher Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung, Einsicht in die ins Verfahren eingebrachten Länderberichte, in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und ist volljähriger Staatsangehöriger von Afghanistan. Seine Muttersprache ist Dari. Er kann in Dari lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder, ist der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung.

Der Beschwerdeführer legte bereits vor dem BFA eine Tazkira in Kopie vor (VP, Beilage ./1). Mit den gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen wird festgestellt, dass es sich bei dem vorgelegten Dokument um eine Kopie handelt; die Echtheit der Tazkira kann nicht festgestellt werden (VP 18). Festgestellt wird mit den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen, dass bei der vom Beschwerdeführer vorgelegten Tazkira in Kopie eine Manipulation vorgenommen wurde (wörtlich, auszugsweise):

„[….] ist in dieser Tazkira eine Manipulation erkennbar, nämlich ein Strich durch die Rubrik Geburtsdatum und Alter. Durch diesen Strich ist das Jahr, in dem die Tazkira ausgestellt worden ist, verwischt, sodass man das Jahr der Ausstellung in Verbindung mit dem Alter nicht feststellen kann. Es kommt zwar ein Datum in der dritten Spalte von unten links (vom Betrachter aus) vor, nämlich „8 hamal 1386“, aber diese Angabe ersetzt das Datum, welches in der Spalte der Feststellung des Alters des Beschwerdeführers stehen sollte, nicht (dadurch wird erst das Alter des Antragstellers deutlich, nämlich wie alt genau der Antragsteller zum Zeitpunkt der Ausstellung der Tazkira ist), vielmehr ist dieses dort durch den Strich verwischt. Außerdem kommt in der Rubrik „Nationalität“ in seiner Tazkira „Tadschike“ vor, obwohl grundsätzlich in dieser einblättrigen Tazkira als Nationalität nur „Afghan“ geschrieben wird. […]“.

Die Identität des Beschwerdeführers steht somit mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer die gutachterlichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung betreffend die vorgelegte Tazkira verstanden und zur Kenntnis genommen hat (VP.S.20).

Der Beschwerdeführer ist in der afghanischen Provinz XXXX im Dorf XXXX geboren und dort gemeinsam mit seiner Familie (seinen Eltern, vier Brüdern – XXXX - und drei Schwestern, XXXX ) aufgewachsen; die Familie besitzt dort ein Haus samt Grundstück (BFA, AS 7); in Folge übersiedelte die Familie nach Kabul, der Beschwerdeführer hat dort sieben Jahre die Schule besucht, sei aber ein faules Kind gewesen und habe dann als Taxifahrer (VP S. 9) bzw. als Chauffeur (BFA-Akt, AS 363) gearbeitet. Zudem war er mit seinem Vater unterwegs und hat diesen als Chauffeur bei der Erledigung seiner Aufträge unterstützt (BFA-Akt, AS 363).

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitete als selbständiger Edelsteinverkäufer in Panjir und Kabul; bekam später von der afghanischen Regierung auch Aufträge, um Straßen und Moscheen zu bauen; er ist aktuell etwa sechzig Jahre alt und arbeitet nicht mehr. Die letzte Wohnadresse des Beschwerdeführers war in Kabul, XXXX (BFA, AS 361); die Familie besitzt dort ein Haus mit Garten. Der Vater des Beschwerdeführers lebt in Kabul (VP S. 13) und wird von seinem Sohn XXXX der in Norwegen lebt, finanziell unterstützt. Die Mutter des Beschwerdeführers ist bereits verstorben (BFA, AS 361). Weiters leben zwei Onkel väterlicherseits in Kabul. Der Beschwerdeführer hat telefonischen Kontakt zu seinem Vater (VP S. 13).

Der Beschwerdeführer hat vier Brüder und drei Schwestern: Der Bruder XXXX lebt in Norwegen; ebenso der Bruder XXXX (BFA, AS 361). Aufenthaltsort und Tätigkeit der Brüder konnte nicht festgestellt werden. Der Bruder namens XXXX lebte Ende 2017 in Frankreich, wurde von dort abgeschoben, ist dann gemeinsam mit dem Beschwerdeführer aus Kabul, Afghanistan, Richtung Europa ausgereist und wohnten beide in der Flüchtlingsunterkunft in XXXX (VP S. 6). Dem Beschwerdeführer sind dessen Aufenthaltsort und Tätigkeit nicht bekannt. Zwei Schwestern leben in Kabul, die jüngste davon beim Vater in Kabul (BFA, AS 361); eine Schwester hält sich gemeinsam mit ihrem Mann aktuell in Frankreich auf (VP S. 12). Sein Bruder XXXX (Beschwerdeführer zu W107 2177603-1) reiste gemeinsam mit dem gegenständlichen Beschwerdeführer im Mai 2015 nach Europa und stellten diese gemeinsam – nach illegaler Einreise – in Österreich einen Asylantrag.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer sowohl im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 07.11.2017 als auch in der mündlichen Verhandlung am 10.06.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Einwände gegen die Person des jeweiligen Dolmetschers erhoben hat. Die Übersetzung des für die Sprache Dari beigezogenen Dolmetschers stieß auf keine Schwierigkeiten, der Beschwerdeführer beantwortete die an ihn gestellten Fragen ohne Nachfrage und mit vollem Verständnis des Inhalts (VP S. 21). Die Verhandlungsschrift wurde u.a. vom Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung unterzeichnet (VP S. 23).

Festgestellt wird mit dem Beschwerdeführer, dass dieser „…nicht immer die Wahrheit gesagt“ hat. Er hat „die Befragung nicht ernst genommen …“ und „irgendwas erzählt“, wenn er einen iranischen Dolmetscher hatte (VP S. 5).

Festgestellt wird, dass sich der Beschwerdeführer noch etwa acht Monate nach Entlassung aus der - etwa sechs bis acht Monate dauernden – in Afghanistan verbüßten Haft bei seiner Familie in Kabul, Afghanistan, aufhielt (VP S. 12).

Der Beschwerdeführer reiste 2014 (Einvernahme vor dem BFA am 07.11.2017: „Ich reiste ca. vor drei Jahren aus Afghanistan aus“) in den Iran. Es kann nicht festgestellt, wie lange er sich dort aufgehalten hat (BFA, AS 363: sieben Tage im Iran; AS 7: ein Jahr). Der Beschwerdeführer stellte am 21.05.2015 ein Asylantrag im österreichischen Bundesgebiet (BFA, AS 3).

Bei dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Konvolut an Unterlagen aus Afghanistan, gehalten in der Sprache Dari (BFA, AS 619 bis 777), handelt es sich um dieselben Unterlagen, die der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX (Beschwerdeführer zu W107 2177603-1) im Zuge seines Beschwerdeverfahrens vorgelegt hat. Der Beschwerdeführer zu W107 2177603-1 befindet sich seit 2015 illegal in Österreich; seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde mit Erkenntnis vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen.

Festgestellt wird, dass bei dem vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund angeführten Verkehrsunfall niemand getötet wurde (BFA, AS 371; VP S. 13).

Zur Verfolgung wegen eines Verkehrsunfalls in Afghanistan wird mit dem länderkundigen Sachverständigen Folgendes festgestellt (wörtlich, auszugsweise):

„Grundsätzlich wird bei den Unfällen in Afghanistan eine zivile Lösung angestrebt. Die beiden Parteien und ihre Familien bzw. die Dorfältesten setzen sich zusammen und versuchen, zu einer Einigung zu kommen. Wer der Schuldige am Unfall ist, hat die Behandlungskosten und weitere Schäden, die dem Opfer verursacht wurden, zu übernehmen. Aber ich weise darauf hin, dass der BF selber nicht sicher ist, ob er schuld ist oder der Motorradfahrer oder auch beide. Der Staat versucht, sich in diese Angelegenheit nicht einzumischen, wie der BF selber auch heute angegeben hat, vielmehr gab er an, dass die Behörde ihm empfohlen hat, sie sollen miteinander auskommen. Trotzdem kann es vorkommen, dass die Polizei den Verursacher des Unfalls kurzfristig festhält und dann die Staatsanwaltschaft gewisse Strafen anschließt. Nach Verbüßung dieser Strafe wird der Verursacher freigelassen, ohne dass er weitere Nachteile zu befürchten hat.[…]“.

Zur Verfolgung in Afghanistan aus Gründen der Blutrache aufgrund eines Verkehrsunfalls wird mit dem länderkundigen Sachverständigen Folgendes festgestellt (wörtlich, auszugsweise):

„Der BF und seine Familie ist nach dem Unfall mit dem Motorradfahrer in Kontakt und in Versöhnungsverhandlung getreten. Offensichtlich ist der BF mit dem Motorradfahrer nicht mehr verfeindet, weil er einerseits eine weitschichtige Verwandtschaft mit dem Opfer hat. Andererseits war der BF nach dem Unfall 8 Monate noch in Afghanistan. Wenn bei einem Unfall oder bei einem Streit eine Feindschaft entsteht, dann ist 8 Monate lang genug, dass das Opfer und seine Familie sich an dem Täter rächen können. Dies ist nicht geschehen, obwohl das „Opfer“, wie der BF gesagt hat, mehrere Brüder hat.

Ich möchte grundsätzlich darauf hinweisen, dass in Afghanistan ständig solche Streitigkeiten, die bei Verkehrsunfällen entstehen, durch Vermittlung von Behörden oder der Bevölkerung, aber auch durch die betroffenen Seiten selbst, bald gelöst werden, wenn dabei niemand getötet worden ist. […]“.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund eines Verkehrsunfalls, an dem er beteiligt war, von der Familie des Unfallopfers verfolgt wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass aufgrund des Verkehrsunfalls zwischen der Familie des Beschwerdeführers und der Familie des Unfallopfers eine aufrechte Blutfehde oder Todesfeindschaft besteht.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner gegen ihn gerichteten Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) ausgesetzt und hat eine solche im Falle seiner Rückkehr auch nicht zu erwarten.

1.2. Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, insbesondere zu seiner Einvernahmefähigkeit, seiner Wahrnehmungsfähigkeit und seinem Erinnerungsvermögen:

Mit Beschluss des BG XXXX vom 25.02.2021, GZ XXXX , wurde RA MMag. Katrin Maringer zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers bestellt. Begründet wurde die Bestellung mit dem Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung (Wertigkeit nach 3 268 ABGB) des Beschwerdeführers (Argument: dieser scheint nicht in der Lage zu sein, dem Asyl- und Schubhaftverfahren ausreichend zu folgen bzw. sich dabei ohne die Gefahr eines Nachteils zu vertreten), (OZ 29).

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.01.2021, GZ W107 2190522-2/11Z, wurde Dr. XXXX , Allgemein beeidete gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychiatrische Kriminalprognostik zur nichtamtlichen Sachverständigen aus den angeführten Fachgebieten bestellt und mit der Erstattung von Befund und Gutachten zu den gestellten Fragen betreffend den Beschwerdeführer beauftragt. Am 09.02.2021 wurde in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers durch die Sachverständige durchgeführt.

Festgestellt wird mit dem Sachverständigengutachten zur Verdachtsdiagnose gemäß psychiatrischem Befund des psychosozialen Zentrums ESRA vom 27.03.2018 wie folgt (wörtlich, auszugsweise):

„Die angeführten Diagnosen sind nicht ausreichend begründet. Die Verdachtsdiagnose PTBS entspricht nicht den diagnostischen Kriterien. Die Pathogenese einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung lässt sich in traumatischen Erlebnissen nicht begründen […]. Die gestellten Diagnosen entsprechen weder den Klassifikationsvorgaben von ICD 10 noch von DSM V […]“.

Der „Psychopathologische Status“ des Beschwerdeführers wird mit dem Sachverständigengutachten wie folgt festgestellt (wörtlich, auszugsweise):

„Herr XXXX ist zum Zeitpunkt der Exploration wach, klar, zu allen Qualitäten orientiert und versteht die Aufgaben der SV und den Grund der gutachterlichen Untersuchung.

Er gibt an, ständig unter Stress und Anspannung zu stehen. Während der gesamten Exploration kann der Untersuchte jedoch ruhig sitzen, Zeichen einer Anspannung oder psychomotorischen Unruhe finden sich nicht.

Auf Befragen gibt er an, dass er sich in einem polizeilichen Anhaltezentrum befinde. Den Grund der Anhaltung wisse er nicht, er fühle sich ungerecht behandelt, da er an den ihm vorgeworfenen Taten nicht schuldig sei. Er habe der Polizei bloß keine Dokumente vorweisen können und habe sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort befunden.

Er erlebe sich als Opfer widriger bzw. unglücklicher Umstände und weise äußeren Einflüssen und Faktoren die Verantwortung für eigenes Verhalten sowie die darauffolgenden Konsequenzen zu.

Er neigt in Bezug auf seine Straftaten eine bagatellisierende Haltung einzunehmen, zeigt sich nur eingeschränkt zu Analyse seines strafbaren Handelns bereit und „versteckt“ sich hinter Stress, den er seit der Kindheit verspüre.

Im Duktus zeigt er sich selbstbewusst, ist bei Beantwortung der für ihn unangenehmen oder schwierigen Fragen (ua. Gründe für seine Gefängnisstrafe in Afghanistan) weitschweifig, perseverierend und vorbeiredend.

Die deutsche Sprache beherrscht er nur rudimentär.

Die klinische Einschätzung spricht für eine limitierte intellektuelle Flexibilität.

Seitens des Auffassungsvermögens, der kognitiven und mnestischen Funktionen ergeben sich keine Einbußen.

Der Untersuchte weist keine inhaltlichen Denkstörungen auf, insbesondere kein überwertiges Beschwerdenerleben bei aktiver Herangehensweise an die mit der Flucht zusammenhängenden Ereignisse. Er berichtet über seine Flucht detailreich, sachlich und abstandsvoll, ohne ins Nacherleben zu geraten.

Es findet sich keine wahnhafte Realitätsverarbeitung, kein Hinweis auf Sinnestäuschungen oder Aufhebung der Ich-Grenzen.

Weder auf der Beschwerden- noch auf der Befundebene finden sich Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Affektiv zeigt sich der Untersuchte eingeschränkt und verflacht mit geminderter Schwingungsfähigkeit, die Stimmung ist als indifferent zu bezeichnen.

Zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung ergeben sich keine Hinweise auf eine suizidale Einengung [….]“.

Festgestellt wird, dass sich - in Zusammenschau der Längsschnitterhebungen und in der Querschnittsdiagnostik - bei dem Beschwerdeführer psychische Auffälligkeiten erheben, welche auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung – ICD 10 61 mit emotional instabilen und dissozialen Anteilen hindeuten. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung kann bei dem Beschwerdeführer nur als Verdachtsdiagnose ausgesprochen werden, da objektive Hinweise auf eine Verhaltensstörung in Kindheit und Pubertät des Beschwerdeführers, als Grundlage für die Klassifizierung nach ICD 10 und DSM V, fehlen.

Mit den gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen steht fest, dass Persönlichkeitsstörungen nur durch einen langjährigen psychotherapeutischen Prozess, unter der Voraussetzung der Mitarbeit der Betroffenen, behandelt werden können. Medikamentös lassen sich Persönlichkeitsstörungen nicht behandeln. Die Störung hat höchstwahrscheinlich bereits im Herkunftsland bestanden. Der Beschwerdeführer ist in der Lage das Erlebte wiederzugeben. Bei dem Beschwerdeführer besteht keine beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit. Er ist imstande das Erlebte ungestört wahrzunehmen. Der Beschwerdeführer weist keine Bewusstseinsstörung und keine sich aus einer psychotischen Störung abgeleitete gestörte Realitätsverarbeitung auf. Der Beschwerdeführer leidet an keiner psychiatrischen Erkrankung. Er kann an einer Beschwerdeverhandlung teilnehmen und uneingeschränkt unter Zuziehung von Dolmetscher einer Einvernahme folgen. der Beschwerdeführer leidet an keiner psychischen Erkrankung, welche ihn verunmöglicht hätte die Bedeutung und die Tragweite des Verfahrens zu erfassen. Der Beschwerdeführer kann alle Angelegenheiten seines Lebens selbständig, ohne Nachteil für sich selbst, erledigen. Der Beschwerdeführer leidet an keiner psychischen Erkrankung und an keiner geistigen Behinderung, die ich daran gehindert hätte einer Beschäftigung nachzugehen. Die erhobene psychische Störung, die keine psychiatrische Erkrankung im engeren Sinne ist, begleitet den Beschwerdeführer lebenslang, dh. er ist mit den gleichen Charakterzügen nach Österreich eingereist. Es ist nicht anzunehmen, dass seine allfällige Rückkehr nach Afghanistan seine psychischen Auffälligkeiten verstärken würde.

Die gutachterliche Diagnose des Verdachts auf kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Anteilen ICD-10 F 61 ergibt sich, wie mit dem ergänzenden Gutachten der Sachverständigen ausgeführt wird, aus der Anamnese des Beschwerdeführers wie zB Impulsdurchbrüchigkeit ohne Berücksichtigung der Konsequenzen; Streitsucht; Konfliktbereitschaft mit Wutausbrüchen; launische Stimmung; deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung; Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen; geringe Frustrationstoleranz; niedrige Schwelle für aggressives, einschließlich gewalttätiges und delinquentes Verhalten; fehlendes Schuldbewusstsein und Unfähigkeit aus eigenen negativen Erfahrungen zu lernen; sind eindeutig, in Ermangelung von Hinweisen auf andere Erkrankungen, für eine emotional instabile und dissoziale Störung zeichnend.

Andere, als der Persönlichkeitsstörung zuzuschreibende Ursachen für das Verhalten des BF iS einer psychischen Störung aufgrund von Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (neurologischen Erkrankung) oder einer körperlichen Krankheit lassen sich gemäß den gutachterlichen Ausführungen nicht finden. Die Persönlichkeitsbildung (Ausbildung des Charakters), und ggf. die Ausbildung einer Persönlichkeitsstörung, ist bis zu der Pubertät abgeschlossen. Eine Verhaltensstörung in der Kindheit und Pubertät des Beschwerdeführers, als Hinweis für eine beginnende Charakternormabweichung, kann nicht objektiviert werden.

Den Kriterien der diagnostischen Klassifikationsmanuals folgend kann beim Beschwerdeführer die kombinierte Persönlichkeitsstörung, trotz psychopathologischen Vollbildes, nur als Verdachtsdiagnose ausgesprochen worden. Diese Störung beginnt in der Kindheit und Pubertät, die Charakterzüge sind bis zum 14/15 a ausgebildet, was das Einsetzen der Störung im Herkunftsland des Beschwerdeführers plausibel macht.

Die Begutachtung des Beschwerdeführers am 20.03.2018 (Befund vom 27.03.2018) hat keine Symptome ergeben, welche das Vorliegen einer rezidivierenden Depression begründen.

Mit dem Sachverständigengutachten wird festgestellt, dass sich aus den Protokollen der Erstanhörung, der Einvernahme zum Asylverfahren BFA, der Strafverfahren und aus den verhängten Urteilen und Protokollen der Amtsärzte und der FÄ f. Psychiatrie bei der Anhaltung in der Schubhaft kein Hinweis darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer den Ausführungen der Behörden und Gerichte nicht folgen konnte, nicht vernehmungsfähig oder verhandlungsfähig war.

Es besteht mit dem Sachverständigengutachten kein Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer psychiatrisch relevanten Störung nicht im Stande ist, die Angelegenheiten des Alltags zu bewältigen. Der Zustand besteht zumindest seit seiner Einreise nach Österreich.

Die im psychopathologischen Status festgestellte limitierte intellektuelle Flexibilität ist - mit dem Sachverständigengutachten - für Persönlichkeitsstörungen eigen und bedeutet keine Intelligenzminderung im Sinne einer Komorbidität.

Gemäß Befund und Gutachten der beauftragten Sachverständigen vom 24.02.2021 steht fest, dass beim Beschwerdeführer weder eine posttraumatische Belastungsstörung gegeben ist noch eine rezidivierende Depression vorliegt (OZ 24 und OZ35).

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise und seiner Asylantragstellung im Mai 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich keine Deutschkurse und legte keine Zertifikate über bestandene Deutschprüfungen vor. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer wenig lernte und lieber mit seinen Freunden zum Prater spazieren ging. Der Beschwerdeführer spricht kaum Deutsch (VP S. 16).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mehrfach strafrechtlich bescholten und auch zu unbedingten Haftstrafen verurteilt worden (s. Strafregisterauszug vom 10.06.2021):

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.11.2017, ZI. XXXX rechtskräftig seit 15.11.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB, § 269 Abs. 1 dritter Fall StGB, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 15 StGB, § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB, wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 15 StGB, § 83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei die gesamte Freiheitsstrafe auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 06.02.2018, ZI. XXXX , rechtskräftig seit 06.02.2018, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der bedingt nachgesehene Teil der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.11.2017, ZI. XXXX wurde widerrufen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13.02.2018, ZI. XXXX , rechtskräftig seit 13.02.2018, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB verurteilt, wobei unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.11.2017, ZI. 152 XXXX und das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 06.02.2018, ZI. XXXX keine Zusatzstrafe nach §§ 31, 40 StGB verhängt wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.05.2018, ZI. XXXX , rechtskräftig seit 20.09.2018, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB, § 269 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83, 84 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 30.12.2019, ZI. XXXX , rechtskräftig seit 03.01.2020, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer bezieht seit 17.04.2018 keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ging während seines Aufenthalts in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nach. Während seiner Haftaufenthalte konnte der Beschwerdeführer sieben oder acht Monate lang Berufserfahrung in der Werkstatt der Haftanstalt sammeln. Er war zu keinem Zeitpunkt ehrenamtlich tätig und ist nicht Mitglied in einem Verein.

Festgestellt wird, dass gegen den Beschwerdeführer am 14.02.2016 ein Straferkenntnis mit einem zu zahlenden Gesamtbetrag in Höhe von EUR XXXX verhängt wurde. Dem Straferkenntnis liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 14.02.2016 die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört hat, indem er die Gäste einer Ballveranstaltung belästigte, sich absolut aggressiv gegenüber den Sicherheitsmitarbeitern verhielt, gegen eine Wegweisung verstieß, den öffentlichen Anstand verletzte und sich erneut aggressiv gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht verhielt.

In Österreich ist der jüngere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX (Beschwerdeführer zu W107 2177603-1) aufhältig. Seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt. Der Beschwerdeführer lebt mit seinem Bruder in keinem gemeinsamen Haushalt und hat auch nur sporadisch telefonischen Kontakt zu diesem (VP S. 15).

Ansonsten leben keine Verwandten oder Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Dass sein Bruder XXXX aktuell in Österreich aufhältig ist, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und führt hier auch keine Lebensgemeinschaft. Besonders verfestigte Sozialkontakte sind ebenfalls nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführer leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung – ICD 10 61 mit emotional instabilen dissozialen Anteilen. Beim Beschwerdeführer liegt weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine rezidivierende Depression vor (OZ 24 und OZ35). Der mittels eingeholtem psychiatrischem Sachverständigengutachten diagnostizierte Gesundheitszustand des Beschwerdeführers steht einer Rückkehr in das Herkunftsland nicht entgegen (s. oben Punkt 1.2.; BVwG-Akt, OZ 24 und OZ 35). Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und arbeitswillig (VP S.11).

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers – Afghanistan:

Bezogen auf die Situation des Beschwerdeführers sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 01.04.2021):

 

Länderspezifische Anmerkungen

 

COVID-19:

 

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

 

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

 

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.03.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)).

 

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID- 19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

 

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

 

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

 

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

 

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

 

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

 

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

 

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

 

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonimische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maß- nahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der CO- VID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.06.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).

Zivile Opfer

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druck- platten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.01.2021). Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die „Woche der Gewaltreduzierung“ vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Chorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Chost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019). Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort (BAMF 18.1.2021).

ÖffentlichkeitswirksameAngriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen dieANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexerAngriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten ’green-on-blue-attack’: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen dieANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).

Kabul

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Suro -bi/Sarobi (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf 4.459.463 Personen (NSIA 1.6.2020).

Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 4.434.550 Personen für den Zeitraum 2020-2021 (NSIA 1.6.2020). Die genaue Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten und Schätzungen reichen von 3,5 Millionen bis zu möglichen 6,5 Millionen Einwohnern (AAN 19.3.2019; vgl. IGC 13.2.2020). Laut einem Bericht expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 10.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horziontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die Bevölkerung besteht aus Paschtunen, Tadschicken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ Kabul o.D.; vgl. NPS Kabul o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1), welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad - miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher (TN 7.7.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.2.2019; vgl. UNOCHA 23.2.2020) und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Checkpoints durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.1.2020; vgl. EASO 9.2020).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als „eine der gefährlichsten Straßen der Welt" gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen (AAN 16.12.2019) und Reisenden zufolge haben die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen (TN 7.7.2020a).

In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand März 2021 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist (F 24 o.D.).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, BalaChawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul (USDOD 1.7.2020) und alle Distrikte gelten als unter Regierungskontrolle stehend (LWJ o.D.), dennoch finden weiterhin High-Profile- Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, USDOD 1.7.2020, NYTM 26.3.2020, HRW 12.5.2020), wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel in März (USDOD 1.7.2020) sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul (GN 2.11.2020; vgl. AJ 2.11.2020) oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 (HRW 26.10.2020) für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm (HRW 26.10.2020; vgl. AJ 2.11.2020, GN 2.11.2020). Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich (AJ 15.6.2020; vgl. AP 16.6.2020, HRW 12.05.2020), wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten (AP 16.6.2020, vgl. HRW 12.5.2020). Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt (UNAMA 2.2021; vgl. UNGASC 2.2019, EASO 9.2020).

Das U.S. Department of Defence (USDOD) beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben (USDOD 23.1.2020; vgl. EASO 9.2020). Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt (USDOS 24.6.2020; vgl LI 22.1.2020, LIFOS 15.10.2019, EASO 9.2020).

Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern schwer bewacht (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Village liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und britische Einrichtungen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. GN 15.7.2020) und der von hohen Mauern umgeben ist (GN 15.7.2020).

Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßenkriminalität in Kabul ein Problem (AVA 1.2020; vgl. ArN 11.1.2020, AAN 11.2.2020, AAN 21.2.2020, TN 4.10.2020, TN 17.10.2020, TN 21.10.2020, EASO 9.2020). Im vergangenen Jahr [Anm.: 2020] wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet (ArN 11.1.2020; vgl. TN 24.7.2020). Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde (TN 17.10.2020; vgl. AN 17.10.2020, TN 21.10.2020). Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung „Security Charter" an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Als Teil dieses Plans wies Präsident Ghani die Sicherheitsbehörden an, gegen schwere Verbrechen in der Stadt vorzugehen (TN 21.10.2020; vgl. TN 17.10.2020, AN 17.10.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train Advise Assist Com- mand - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 1.7.2020). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 27.9.2020; vgl. GW 14.7.2020, EASO 9.2020, UNOCHA 3.2.2020). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018; vgl TN 27.9.2020). Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen (TN 27.9.2020). Im Juli 2020 wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet (TN 15.7.2020).

Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISKP) in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen (UNGASC 27.5.2020; vgl. EASO 9.2020). Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staats zu stören (LI 22.1.2020; vgl. UNGASC 4.2.2020, EASO 9.2020), zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben (UNAMA 2.2020; vgl. LI 22.1.2020, WP 9.2.2020, EASO 9.2020). UNAMA schrieb 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) im Jahr 2020 in Afghanistan dem ISKP zu, ein Rückgang von 45% im Vergleich zu 2019. Die überwiegende Mehrheit der zivilen Opfer von ISIL- KP wurde jedoch durch Selbstmordattentate und heftige Schusswechsel in Kabul und Jalalabad verursacht (UNAMA 2.2021).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer - auch bzgl. Problemen bei der Vergleichbarkeit der Zahlen zwischen 2019 und 2020; hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA817 zivile Opfer (255 Tote und 562 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren gezielte Tötungen, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, lEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordanschlägen (UNAMA 2.2021).

Während des zweiten Quartals 2020 hat die Gewalt Berichten zufolge wieder zugenommen (NYTM 25.6.2020; vgl. UNGASC 17.6.2020, RY 30.6.2020, EASO 9.2020). Im letzten Quartal 2020 stieg die Gewalt weiter an und war weit höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.1.2021). In Kabul wurden in den ersten Wochen des Jahres 2021 mehrere Anschläge mit kleinen „sticky bombs" verübt, die unter Fahrzeugen angebracht und ferngesteuert oder mit Zeitzündern gezündet wurden. Die Gruppe „Islamischer Staat" (ISKP) hat die Verantwortung für einige der Anschläge übernommen, während die afghanische Regierung einige den Taliban zuschreibt (RFE/RL 23.2.2021).

Selbstmordanschläge (BAMF 11.1.2021; NYTM 29.10.2020a; NYTM 29.10.2020c; HRW 26.10.2020; RFE/RL29.4.2020; REU 29.4.2020) und IEDs (RFE/RL23.2.2021; BBC 22.12.2020; WP 26.2.2020; AJ 22.8.2020; NYTM 29.10.2020c; TN 4.10.2020; KP 4.6.2020) finden statt und es wurde von gezielten Tötungen (RFE/RL 23.2.2021; BAMF 11.1.2021; BBC 22.12.2020; BBC 15.12.2020; NYTM 26.3.2020; AT 22.8.2020; TN 21.10.2020; NYTM 5.11.2020) und Angriffen auf militärische Einrichtungen bzw. Sicherheitskräfte (RFE/RL 23.2.2021; BAMF 18.1.2021; BAMF 11.1.2021; NYTM 29.10.2020b; GN 11.2.2020; TN 22.6.2020; TN 8.7.2020; TN 6.7.2020; UNAMA 6.2020; TN 6.6.2020) sowohl in Kabul-Stadt wie auch in den Distrikten der Provinz berichtet. Es gibt Berichte über Straßenblockaden und Angriffe auf Highways durch bewaffnete Gruppierungen (UNOCHA 29.1.2020; NYTM 27.2.2020).

Seit Herbst 2018 haben dieANDSF-Kräfte eine konzertierteAnstrengung zurAuflösung militanter Gruppen begonnen, die im und um den Großraum Kabul herum aktiv sind (NYTM 16.1.2019; vgl. UNGASC 27.5.2020; USDOD 1.7.2020). Die ANDSF setzen gemeinsam mit einem neuen Kommando der Gemeinsamen Streitkräfte, das im Juni 2020 eingerichtet wurde (KP 4.6.2020) ihre Aktivitäten im Jahr 2020 fort. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen Operationen gegen aufständische Gruppierungen (TN 6.5.2020; KP 6.5.2020; RFE/RL 11.5.2020; TN 11.5.2020) und kriminelle Banden (KP 18.5.2020) sowie Luftschläge (EASO 9.2020) durch und konnten hochrangige Mitglieder der Taliban und des IS festnehmen (TN 11.5.2020; KP 12.2.2020; BBC 11.5.2020; TN 11.5.2020; PAJ 26.6.2020) sowie zwei IS-Mitglieder verhaften, die angeblich Angriffe auf ein Krankenhaus und ein Medienunternehmen planten (TN 7.7.2020b).

Balkh

Letzte Änderung: 25.03.2021

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Balkh 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1.509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 01.06.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 08.07.2020).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 05.12.2017). Rund 30 Kilometer östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 05.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 04.07.2018).

Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.07.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.05.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.07.2020; vgl. TN 20.12.2019).

In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; STDOK 25.03.2019).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.02.2020, STDOK 21.07.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.02.2020; vgl. AA 16.07.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.07.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari umkämpft waren (LWJ o.D.). Im Jahr 2020 gehörte Balkh zu den konfliktreichsten Provinzen des Landes (UNGASC 09.12.2020, UNGASC 17.06.2020, UNGASC 17.03.2020; vgl. LWJ 10.03.2020), und in der Hauptstadt und den Distrikten kommt es weiterhin zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (ACCORD 27.01.2021, KP 03.03.2021).

Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.07.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019, REU 14.03.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 01.07.2020, TN 22.04.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, die von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 07.04.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 01.07.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[..] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (lEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021). Ungeachtet der Friedensgespäche finden weiterhin sicherheitsrelevante Vorfälle in der Hauptstadt und den Distrikten statt (KP 03.03.2021, ACCORD 27.01.2021).

Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 09.12.2020, UNGASC 17.06.2020, UNGASC 17.03.2020; vgl. LWJ 10.03.2020), und auch im September 2020 galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 14.09.2020). Es kommt zu direkten Kämpfen (KP 03.03.2021, UNOCHA 23.09.2020, AJ 01.05.2020, DH 08.04.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.07.2020, REU 01.05.2020, UNOCHA 26.02.2020) oder Sicherheitsposten (ANI 06.03.2021, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, AnA 18.03.2020, XI 07.01.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 03.03.2021, AN 25.06.2020, MENAFN 24.03.2020, AA 18.03.2020, XI 25.01.2020).

Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.08.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.08.2020, RFE/RL 25.08.2020; vgl. NYTM 28.08.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.08.2020, RFE/RL 25.08.2020, RFE/RL 19.09.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (ACCORD 27.01.2021, NYTM 01.10.2020, AN 19.09.2020, TN 01.07.2020, AP 14.01.2020, TN 04.01.2020) sowie Angriffen auf bzw. Tötung von Sicherheitskräften (KP 03.03.2021, ANI 06.03.2021, ACCORD 27.01.2021, BAMF 18.01.2021; vgl. PAJ 12.01.2021, AT 12.01.2021). Zudem wird von der Entführung (TN 13.03.2021, DH 08.04.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (KP 03.03.2021, ACCORD 27.01.2021, NYTM 01.10.2020, DH 08.04.2020). […]“).

Herat

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 01.06.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 03.07.2015; vgl. PAJ 01.03.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.08.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 01.06.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2.140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 01.06.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 03.02.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.06.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 05.12.2017, LCA 04.07.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 04.07.2018), wo sich einer der größten Trockenhäfen Afghanistans befindet (KN 07.07.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.09.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.09.2020). Auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde über Tötungen und Entführungen berichtet (UNAMA 7.2020, KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020), auch auf der Ring Road in Richtung Kandahar (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.01.2020, PAJ 04.01.2020; vgl. NYT 01.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.04.2020; vgl. OA 20.07.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.04.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.07.2020, AAN 21.04.2020, AN 02.01.2020).

Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.06.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.02.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 08.04.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das „Taliban-Hauptquartier“ von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.06.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SaS 02.11.2018; vgl. RUSI 16.03.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SaS 02.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, auch wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SaS 09.01.2020; vgl. UNSC 27.05.2020).

Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20.03.2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz der ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21.04.2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. ST 02.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, die von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 339 zivile Opfer (124 Tote und 215 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 15% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, lEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2021). Im Jahr 2020 wurden auch mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.02.2020, RFE/RL 22.01.2020).

Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban, sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020, NYTM 29.10.2020, PAJ 15.10.2020, NYTM 01.10.2020, KP 05.09.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 27.02.2020), NYTM 30.01.2020). Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (AN 05.09.2020, AJ 23.07.2020, XI 29.01.2020b, RFE/RL 22.01.2020). Darüber hinaus wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020, TN 10.10.2020, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, TN 05.07.2020), NYTM 30.01.2020).

Vorfälle mit IEDs, wie Detonationen von an Fahrzeugen befestigten IEDs (VBIED) (AJ 13.03.2021; REU 12.03.2021; KP 01.11.2020; ACCORD 27.01.2021), einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.08.2020) und eines weiteren IEDs kommen auch in der Stadt Herat vor (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch werden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (AJ 13.03.2021; REU 12.03.202; NYTM 29.10.2020; NYTM 01.10.2020; NYTM 28.08.2020; NYTM 27.02.2020; NYTM 30.01.2020), und es kommt zu Angriffen auf Soldaten und Sicherheitskräfte (AJ 13.03.2021; REU 12.03.2021; ACCORD 27.01.2021; AN 16.01.2021; ANI 08.01.2021. […]“

Panjsher

Letzte Änderung: 11.03.2021

Die Provinz Panjsher (auch Panjshir) liegt im Zentrum Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Baghlan und Takhar, im Nordosten an Badakhshan, im Osten an Nuristan, im Süden an Laghman und Kapisa und im Westen an Parwan (NPS Panjsher o.D.; vgl. UNODC/MCN 11.2018). Panjshir wurde 2004 von der Provinz Parwan als eigene Provinz ausgegliedert (AoN 8.2020). Die Provinzhauptstadt von Panjsher ist Bazarak. Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Bazarak, Darah (auch Hes-e-Duwumi), Hissa-e-Awal (auch Khinj), Unaba (auch Ana- wa), Paryan, Rukha und Shutul (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Panjsher 2019, UNOCHA Panjsher 4.2014, PAJ Panjsher o.D., NPS Panjsher o.D.). sowie einen temporären Distrikt Ab Shar (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Panjsher 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Panjsher im Zeitraum 2020/21 auf 169.962 Personen (NSIA 1.6.2020). Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der ethnischen Gruppe der Tadschiken an (NYT 28.9.2020; vgl. AoN 8.2020). Weitere ethnische Gruppen wohnhaft in der Provinz sind Hazara, Pashai, Nuristani und Ghilzai-Paschtunen (NPS Panjsher o.D.; vgl. PAJ Panjsher o.D.).

Die Provinz wird von hohen Bergen abgegrenzt und ist eine der unzugänglichsten Provinzen Afghanistans (AoN 8.2020). Von der Hauptstraße Kabul-Mazar e Sharif zweigt bei Jabulussaraj, Provinz Parwan, eine Straße nach Nordosten ab, die in die Provinz Panjsher führt. An der Provinzgrenze werden bei einem Polizeikontrollpunkt die Dokumente der Reisenden kontrolliert (AoN 8.2020). Die Entfernung zwischen Kabul und Bazarak beträgt 150 Kilometer (TS 4.3.2015). Ein Taxi von Kabul kostet ca. 45 US-Dollar (AoN 8.2020).

Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren

Die Provinz Panjsher führte den Widerstand gegen die Sowjetunion und gegen den TalibanAufstand in den 1980er- und 1990er-Jahren an. Die Provinz ist die Heimat des Tadschiken Ahmad Shah Massoud, des ’Löwen von Panjsher’, der gegen die Sowjets kämpfte und die Nordallianz gegen die Taliban anführte (NYT 28.9.2020; vgl. AoN 8.2020). Viele Panjsheri sind über die Bemühungen der Regierung, mit den Taliban Frieden zu schließen, empört. Einige Fraktionen rufen offen zur Neugründung der Nordallianz auf und es gibt Befürchtungen, dass die Provinz auf bewaffnetem Wege versuchen könnten, mehr Autonomie gegen den Zentralstaat zu erzwingen (NYT 28.9.2020).

Viele Panjshiri haben wenig Vertrauen in die Zentralregierung und fühlen sich durch die Regierung in Kabul nicht vertreten (NYT 28.9.2020). Dennoch sind Panjsheri als Mitglieder der afghanischen politischen und militärischen Elite gut vertreten (NYT 28.9.2020; vgl. REU 20.1.2019, PAJ Panjsher o.D.).

Die Provinz Panjsher gilt als relativ friedlich und sicher (LWJ 4.8.2019; vgl. AoN 8.2020, VoA 8.9.2020 PLM 28.9.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte und Bürgerwehren sind besonders aufmerksam im Distrikt Paryan, um diesen bei Bedarf bei Angriffen der Taliban aus der benachbarten Provinz Badachschan zu verteidigen (TN 2.8.2019; vgl. LWJ 4.8.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Panjsher im Verantwortungsbereich des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Task Force East untersteht, die von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden:

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA, wie bereits im Jahr davor, keine zivilen Opfer in der Provinz Panjsher (UNAMA 2.2021).

Erstmals im nun zwei Jahrzehnte dauernden Konflikts in Afghanistan kam es im September 2020 zu zwei Angriffen der Taliban in Panjsher (VoA 8.9.2020, AVA 8.9.2020; KP 22.9.2020, PLM 28.9.2020). Die Angriffe in den Distrikten Ab Shar (VoA 8.9.2020; vgl. AVA 8.9.2020) und Unaba (KP 22.9.2020; vgl. PLM 28.9.2020) wurden aufgrund des gemeinsamen bewaffneten Widerstandes der Bevölkerung und der Sicherheitskräfte abgewehrt (VoA 8.9.2020, AVA 8.9.2020; KP 22.9.2020, PLM 28.9.2020). Beim Vorfall in Ab Shar wurden kurzzeitig Bewohner als Geiseln genommen (VoA 8.9.2020; vgl. RIA 8.9.2020).

Erreichbarkeit

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (STDOK 4.2018; vgl. TD 5.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (STDOK 4.2018; vgl. USAID o.D.a, WB 17.1.2020, ESRI 13.4.2020, ArN 11.11.2020, TD 8.1.2019, TN 25.5.2019, CWO 26.8.2019). Seit 2017 arbeiten die Weltbank und der Treuhandfonds für den Wiederaufbau Afghanistans mit dem afghanischen Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung und dem Ministerium für öffentliche Arbeiten zusammen und haben in diesem Zeitraum mehr als 2.200 Kilometer neue Straßen gebaut und mehr als 6.000 Kilometer bestehender Straßen modernisiert und instand gehalten (WB 17.1.2020; vgl. ESRI 13.4.2020, USADI o.D.a).

Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (GIZ 7.2019; vgl. AT 23.11.2019, PAJ 12.12.2019, ABC News 1.10.2020). Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen, unter anderem auch auf den Highway 1 (Ring Road) (USDOS 24.6.2020; vgl. EASO 9.2020). Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 17.1.2020; vgl. ST 24.4.2019), Herat-Kandahar (TN 17.1.2020; cf. PAJ News 5.1.2019), Kunduz-Takhar (KP 20.8.2018; vgl. CBS News 20.8.2019) und Ghazni-Pakitika (AAN 30.12.2019).

Ring Road

Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt (HP 9.10.2015; vgl. FES 2015) und Teil des 3.360 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßenprojekts ist, das 16 Provinzen und Großstädte wie Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad miteinander verbindet (STDOK 4.201; vgl. TN 9.12.2017, USAID n.d.a).

Trotz der Ankündigung von Präsident Ghani aus dem Jahr 2015, die Ring Road in neun Monaten fertigzustellen, ist ein ein ca. 150 km langes Teilstück zwischen Badghis und Faryab (SIGAR 15.7.2018). Die fehlenden 150 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar [Anm.: Provinz Faryab] mit Dar-e Bum [Anm.: Provinz Badghis] verbinden; dieses Straßenstück ist der letzte unbefestigte Teil der 2.200 km langen Straße. Im November 2020 sind die Arbeiten an diesem Teil der Ring Road noch im Gange, wenn auch nur zögerlich, weil Hindernisse wie Unsicherheit, mangelnde Kooperation der lokalen Bevölkerung, mangelnde Leistung der zuständigen Behörden und Unterauftragnehmer es schwierig machen, den Zeitpunkt der Fertigstellung des Projekts abzuschätzen (RA KBL 20.11.2020).

 

Mitte September 2017 gewährte die Islamische Entwicklungsbank (IDB) der afghanischen Regierung ein langfristiges Darlehen in Höhe von 74 Millionen US-Dollar für den Bau der Kabuler Ring Road, die sich über 95 km erstrecken soll; die Straße soll innerhalb von fünf Jahren gebaut werden (TKT 25.9.2017). Im August 2019 kündigte der Saudi Fund for Development (SFD) an, 48 Millionen USD in ein Projekt zur Ring Road in Kabul zu investieren (CWO 26.8.2019; vgl. AVA 26.7.2020).

Autobahnabschnitt Kandahar - Kabul - Herat

Die Ring Road verbindet wichtige afghanische Städte wie Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif (TD 12.4.2018). Sie erstreckt sich südlich von Kabul und ist die Hauptverbindung zwischen der Hauptstadt und der großen südlichen Stadt Kandahar (REU 13.10.2015). Der KandaharKabul-Teil der Ring Road erstreckt sich vom östlichen und südöstlichen Teil Kandahars über die Provinz Zabul nach Ghazni in Richtung Kabul, während die Ring Road westlich von Kandahar durch Gereshk in Helmand und Delaram in Nimroz verläuft (ISW o.D.).

Der Abschnitt zwischen Kabul und Herat umfasst 1.400 km (IWPR 26.3.2018). Die an die Ring- Road anknüpfende 218 km lange Zaranj-Dilram-Autobahn (Provinz Nimroz, Anm.), auch „Route 606" genannt, soll zukünftig Afghanistan mit Chabahar im Iran verbinden (AD 15.8.2017; vgl. TET 9.8.2017, TD 24.5.2017).

Anrainer beschweren sich über den schlechten Zustand des Abschnitts Kandahar-Kabul-Herat (TN 14.3.2018). Ursachen dafür sind die mangelnde Instandhaltung und ständige Angriffe durch Aufständische (IWPR 26.3.2018). Die meisten Teile der Autobahn Kabul-Kandahar sind durch Angriffe und Gewalt beschädigt (TN 28.9.2020; vgl. HOA 7.9.2020).

Autobahnabschnitt Baghlan-Balkh

 

Die Baghlan-Balkh-Autobahn ist Teil der Ring Road und verbindet den Norden mit dem Westen des Landes. Sie gilt als eine unabdingbare Transitroute zwischen der Hauptstadt der Provinz Baghlan, Pul-e Khumri, und den nordwestlichen Provinzen Samangan, Balkh, Jawjzan, Sar-e Pul und Faryab (AAN 15.8.2016).

Salang Tunnel/Salang Korridor

Der Salang-Korridor gilt als Vorzeigeobjekt des Kalten Krieges und wurde im Jahr 1964 zum ersten Mal eröffnet (TD 21.10.2015). Er ist die einzige direkte Verbindung zwischen der Hauptstadt Kabul und dem Norden des Landes (WP 22.1.2018; TD 21.10.2015). Der Salang-Tunnel, durch den über 80 % des Nord-Süd-Handels Afghanistans verläuft (USAID n.d.b.), ist 2,7 km (1,7 Meilen) lang. Er wurde ursprünglich für eine Tagesnutzung von 1.000 - 2.000 Fahrzeuge gebaut. Heute befahren ihn jedoch täglich über 10.000 Transportmittel, was den Bedarf an Instandhaltungsarbeiten erhöht (WP 22.1.2018). Der Bau der Umspannstation des Salang-Tunnels wurde am 15.10.2019 abgeschlossen und kompensiert den Verbrauch von einer Million Liter Dieselkraftstoff pro Jahr, die bis dahin für den Betrieb der Generatoren des Tunnels erforderlich waren (USAID n.d.b; vgl. PAJ 19.12.2019).

Durch das von der Weltbank finanzierte Trans-Hindukush Road Connectivity Project soll bis 2022 u.a. der Salang-Korridor dank einer Förderung von 55 Millionen USD renoviert werden (WB o.D.; vgl. TN 15.9.2020, TN 1.9.2018, RW 6.7.2017). In Juni 2018 kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeiten (Ministry of Public Works - MoPW) an, dass die technischen und geologischen Untersuchungen sowie der Entwurf des neuen Salang-Tunnels gegen Ende 2019 abgeschlossen sein werden (TN 18.6.2018). Im September 2018 kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeit an, dass die Arbeiten an den ersten 10 km des Salang-Passes begonnen hätten (TN 1.9.2018).

Weitere Autobahnen

Gardez - Khost-Autobahn (NH08)

Die Gardez-Khost-Autobahn, auch „G-K-Autobahn“ genannt, ist 101,2 km lang (USAID 7.11.2016; vgl. PAJ 15.12.2015) und verbindet die Provinzhauptstadt der Provinz Paktia, Gardez, mit Khost City, der Provinzhauptstadt von Khost (PAJ 15.12.2015). Sie verbindet aber auch Ostafghanistan mit der Ghulam-Khan-Autobahn in Pakistan. Mitte Dezember 2015 wurde die sanierte Gardez-Khost Autobahn eröffnet. Ebenso wurden 410 kleine Brücken und 25 km Schutzwände auf dieser Autobahn errichtet (PAJ 15.12.2015; vgl. USAID 7.11.2016).

Grand Trunk Road - Autobahnabschnitt Jalalabad-Peshawar / Pak-Afghan-Highway

Die Grand Trunk Road, auch bekannt als „G.T. Road“, ist die älteste, längste und bekannteste Straße des indischen Subkontinentes (GS o.D.; vgl. Doaks o.D., Dawn 30.12.2018; EIPB 2006). Die über 2.500 km lange Route beginnt in der bangladeschischen Stadt Chittagong, verläuft über Delhi in Indien, Lahore und Peshawar in Pakistan, den Khyber Pass an der afghanisch-pakistanischen Grenze und endet in Kabul (Samaa 9.8.2017; vgl. Scroll 4.5.2018, EIPB 2006). Der Khyber-Pass erstreckt sich über 53 km durch das Safed-Koh-Gebirge und ist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Afghanistan und Pakistan; er verbindet Kabul mit Peshawar (EB 30.3.2017; vgl. BL o.D., NG o.D.).

Die Torkham-Peshawar Autobahn verbindet Jalalabad mit Peshawar in Pakistan, über die afghanische Grenzstadt Torkham in der Provinz Nangarhar. Sie ist eine der am stärksten befahrenen Straßen Afghanistans. Der afghanische Teil der Straße besteht aus zwei Abschnitten: der 76 km langen Torkham-Jalalabad-Straße und die Jalalabad-Kabul-Verbindung, die sich über 155 km erstreckt (ET 27.10.2016). Die Straße, die auch als „Pak-Afghan Highway“ bekannt ist, wird als Wirtschaftsroute zwischen Pakistan, Afghanistan, Usbekistan, Tadschikistan und den südasiatischen Ländern genutzt (ET 7.3.2016; vgl. PCQ o.D.).

Baghlan-Bamyan-Highway

 

Das Baghlan-Bamyan-Straßenbauprojekt ist Teil des von der Weltbank finanzierten Trans-Hin- dukusch-Straßenverbindungsprojekts. Die Doshi-Bamyan-Straße verbindet die Provinz Bamyan in Zentralafghanistan mit der Provinz Baghlan in Nordafghanistan als Alternative zum SalangPass, der einzigen Route, die Kabul mit dem Norden des Landes verbindet. Nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Arbeiten wurde ein chinesisches Unternehmen mit den Arbeiten an dem Projekt beauftragt (TN 15.9.2020; vgl. WB 3.11.2020). Im Juni 2020 hat die Bank über 100 Millionen Dollar des 170-Millionen-Dollar-Projekts annulliert, um den Hilfsfonds COVID-19 der afghanischen Regierung zu unterstützen, sagte jedoch, die Annullierung sei vorübergehend und werde die laufenden Bauaufträge nicht beeinträchtigen (TN 15.9.2020; vgl. WB 3.11.2020). Die Bauarbeiten sind erst zu 20 % abgeschlossen und wurden im Juni 2020 wegen der CO- VID-19-Pandemie und ihrer Auswirkungen gestoppt (USDOS 24.6.2020; vgl. AT 24.6.2020). Im September 2020 wurde die Regierung wegen einer Verzögerung der Bauarbeiten für das Projekt kritisiert. Nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Arbeiten verzögerte sich die Umsetzung des Projekts aufgrund fehlender Mittel (TN 15.9.2020).

 

Abschnitte Kabul-Bamyan und Bamyan-Mazar-e Sharif

Am 29.8.2016 wurde die Straße Kabul-Bamyan eingeweiht. Das von der italienischen Agentur für Entwicklung finanzierte Straßenprojekt sollte die Fahrt zwischen Kabul und Bamyan erleichtern und den wirtschaftlichen Aufschwung in der Region fördern. Durch die neu errichtete Straße beträgt die Reisezeit von Kabul nach Bamyan zweieinhalb Stunden (Farnesina 29.8.2016).

 

Ausgeführt durch ein chinesisches Unternehmen, wurde der Startschuss zur Weiterführung des Projektes „Dare-e-Sof and Yakawlang Road" gegeben. In der ersten, bereits beendeten Phase, wurde Mazar-e Sharif mit dem Distrikt Yakawlang in der Provinz Bamyan durch eine Straße verbunden.

Transportwesen

Das Transportwesen in Afghanistan gilt als „verhältnismäßig gut“. Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans (IE o.D.). Die Kernfrage bleibt nach wie vor die Sicherheit (IWPR 26.3.2018). Es existieren einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan miteinander verbinden; Beispiele dafür sind Bazarak Panjshir, Herat Bus, Khawak Panjshir, Ahmad Shah Baba Abdali (vertrauliche Quelle 14.5.2018; vgl. IWPR 26.3.2018).

Aus Bequemlichkeit bevorzugen Reisende, die es sich leisten können, die Nutzung von Gemeinschaftstaxis nach Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan (vertrauliche Quelle 14.5.2018). Der folgenden Tabelle können die Preise für besagte Reiseziele entnommen werden:

Distanz Preis

Kabul - Mazar AFN 5.000 – 6.000 (ein Passagier); AFN 1.200 (per Passagier in Sammeltaxi)

Mazar – Herat keine direkte Taxiverbindung

Kabul - Jalalabad AFN 1.500-1.800 (ein Passagier); AFN 300 (per Passagier in Sammeltaxi)

Kabul – Bamiyan AFN 2.000 (ein Passagier); AFN 700 (per Passagier in Sammeltaxi)

Beispiele für Busverbindungen

Kabul-Stadt

Der Mangel an Bussen insbesondere während der Stoßzeit in Kabul-Stadt ist eine Herausforderung für die afghanische Regierung. Im Laufe der Jahre wurde versucht, dieses Problem zu lösen, indem Indien dem Transportsystem in Kabul hunderte Busse zur Verfügung stellte (TD 8.1.2019).

Mazar-e Sharif

Es gibt einige Busverbindungen zwischen Mazar-e Sharif und Kabul. Bis zu 50 unterschiedliche Unternehmen bieten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, Fahrten von und nach Kabul an. Ausführende Busunternehmen sind beispielsweise Bazarak Panjshir Bus, Hesarak Panjshir Bus, Jawid Bus, Khorshid Bus und Jabal Seraj Bus. Die Preise pro Passagier liegen zwischen 400 und 1.000 Afghani und hängen stark vom Komfort im Bus ab. So kann man zum Beispiel in einem Bus der Marke Mercedes Benz mit Toiletten, Kühlschränken und Internet reisen. Busreisen gelten als relativ günstig (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Ahmad Shah Baba Abdali Bus Service

Gemäß einem Sprecher des Verkehrsministeriums gehörte das Busunternehmen Ahmad Shah Baba Abdali im Jahr 2017 zu den führenden Transportunternehmen des Landes. In den letzten Jahren war das Busunternehmen in zahlreiche Verkehrsunfälle auf der Kandahar-Kabul-Herat-Route involviert. Einem Bericht von IWPR zufolge wurden von verschiedenen Quellen zu hohe Geschwindigkeit, Drogenkonsum der Fahrer, Angst vor Angriffen und die schlechten Straßenbedingungen als Gründe für die hohe Anzahl an Verkehrsunfällen angeführt (IWPR 26.3.2018). Laut einem offiziellen Vertreter der Firma ist Ahmad Shah Baba Abdali das größte Busunternehmen Afghanistans. Die Busse dieser Firma transportieren Passagiere von Kandahar nach Kabul, Helmand, Nimroz, Herat und in andere Provinzen (PAJ 18.3.2015).

Beispiele für Buspreise

Distanz Preis

Kabul - Mazar AFN 600

Mazar – Herat ca. 1.500 AFN (keine direkte Verbindung: Mazar – Kabul und Kabul – Herat)

Kabul - Jalalabad AFN 200 (nur Minibusse)

Kabul – Bamiyan keine Busverbindung

Quelle: RA KBL 20.11.2020

Flugverbindungen

Internationale Flughäfen in Afghanistan

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul – Herat und Kabul – Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

Internationaler Flughafen Hamid Karzai [Internationaler Flughafen Kabul]

Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.).

Nationale (Kam Air, ArianaAfghan Airlines) und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air In- dia, Air Arabia, Fly Dubai...) bieten internationale Flüge von der Türkei, Indien, Aserbaidschan, Usbekistan, Pakistan, Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Kabul an (F 24 o.D.).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. ArianaAfghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Kunduz, Farah, Herat, Mazar-e Sharif und Camp Bastion (in der Provinz Helmand) (F 24 o.D.).

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (STDOK 4.2018).

Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul (Flightradar 4.11.10.2019).

Nationale Airlines (Kam Air, Ariana Air) bieten internationale Flüge von Indien und der Türkei nach Mazar-eh Sharif an (F 24 o.D.).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (F 24 o.D.).

Internationaler Flughafen Kandahar

Der internationale Flughafen Kandahar befindet sich 16 km von Kandahar-Stadt entfernt und ist einer der größten Flughäfen des Landes (MB o.D.). Ein Teil des Flughafens steht den internationalen Streitkräften zur Verfügung. Eine separate Militärbasis für einen Teil des afghanischen Heeres ist dort ebenso zu finden, wie Gebäude für Firmen (LCA 5.1.2018).

Ariana Afghan Airlines und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai...) bieten internationale Flüge von Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, Iran und denVereinigten Arabischen Emiraten nach Kandarhar an (F 24 o.D.).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kandahar (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zum Flughafen nach Kabul (F 24 o.D.).

Internationaler Flughafen Herat

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Derzeit werden auf dem Flughafen jährlich etwa 350.000 Passagiere abgefertigt und die Verwaltung des Flughafens sowie die Instandhaltung des Flugplatzes werden von den NATO-Streitkräften unter italienischem Kommando durchgeführt (Tech o.D.).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen [Anm.: im Untersuchungszeitraum 18.3.2021 – 25.3.2021] Herat international aus dem Iran an (F 24 o.D.).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Maimana und Chighcheran (F 24 o.D.).

Zugverbindungen

In Afghanistan existieren insgesamt drei Zugverbindungen: Eine Linie verläuft entlang der nördlichen Grenze zu Usbekistan (von Hairatan nach Mazar-e Sharif, Anm.) und zwei kurze Strecken verbinden Serhetabat in Turkmenistan mit Torghundi (in der Provinz Herat, Anm.) und Aqina (in der Provinz Faryab, Anm.) in Afghanistan (RoA 25.2.2018; vgl. RoA o.D., RFE/RL 29.11.2016; vgl. vertrauliche Quelle 16.5.2018). Alle drei Zugverbindungen sind für den Transport von Fracht gedacht, wobei sie prinzipiell auch Passagiere transportieren könnten (vertrauliche Quelle 16.5.2018). Die afghanischen Machthaber lehnten lange Zeit den Bau von Eisenbahnen in Afghanistan ab, aus Angst, ausländische Mächte könnten ihre Unabhängigkeit gefährden (RoA o.D.).

Im Laufe der letzten Jahre fanden verschiedene Treffen zwischen Repräsentanten Afghanistans und seiner Nachbarstaaten u.a. zur Förderung und Vertiefung bestehender Projekte zur Implementierung von Zugverbindungen wie dem Five-Nation Railway Corridor und dem Afghanistan Rail Network statt (TD 26.1.2018). Das Five-Nation Railway Corridor Projekt soll China mit dem Iran verbinden und Kirgisistan, Tadschikistan und Afghanistan über eine Länge von insgesamt 2.100 km durchqueren. Mehr als 1.000 km des Eisenbahnkorridors werden durch die afghanischen Provinzen Herat, Badghis, Faryab, Jawzjan, Balkh und Kunduz verlaufen (TN 14.2.2018). Der Afghanistan Rail Network Plan (ANRP) hat das Ziel, den Transport in den Bereichen Landwirtschaft, Fertigung, Bergbau und anderen Branchen zu fördern. Die Bauarbeiten zur Errichtung einer Eisenbahnverbindung zwischen der iranischen Stadt Khaf und dem afghanischen Herat sind im Gange (RoA 23.1.2018; vgl. ID 11.4.2018). Im November 2017 wurde zwischen Afghanistan und weiteren fünf Staaten das sogenannte Lapislazuli-Korridor-Abkommen unterzeichnet, das u.a. den Bau von Eisenbahnverbindungen im Land vorsieht (SIGAR 4.2018). Der Lapis Lazuli Korridor, der Straßen, Eisenbahn- und Seewege umfasst, die von Afghanistan nach Turkmenistan, Aserbaidschan und Georgien führen, bevor sie das Schwarze Meer in die Türkei und schließlich nach Europa überqueren, wurde im Dezember 2018 eröffnet (CGTN 14.12.2018).

Ein weiteres Projekt das „China-India-Plus“ hat das Ziel, mithilfe von Indien und China die Eisenbahnverbindung zwischen Afghanistan und Usbekistan auszubauen. Das Ziel für Usbekistan ist es hierbei, über Afghanistan und Iran Zugang zum persischen Golf zu erhalten (CGTN 10.10.2018; vgl. Indian Today 16.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Letzte Änderung: 01.04.2021

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).

Taliban

Letzte Änderung: 25.02.2021

Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019) und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020).

Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020, AnA 28.7.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jalaluddin Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).

Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jalaluddin Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020, RFE/RL 2.6.2020).

Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl.

RFE/RL 9.6.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017).

Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen absolviert haben und ethnische Paschtunen sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 1.6.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.9.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020, UNSC 27.5.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen haben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Sar-e Pul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Nach Erkenntnissen von AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind die durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent zurückgegangen. Der Hauptgrund für diesen Rückgang könnte sein, dass keine komplexen und Selbstmordattentate in den großen Städten des Landes durchgeführt werden. Im Jahr 2020 wurden in Afghanistan insgesamt 4.567 Zivilisten durch Taliban-Angriffe getötet oder verletzt, während im gleichen Zeitraum 2019 die Gesamtzahl der durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer bei 7.727 lag (AIHRC 28.1.2021).

Haqqani-Netzwerk

Letzte Änderung: 26.02.2021

Das formell 1996 gegründete Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation (ASP 1.9.2020), Bestandteil der Taliban und Verbündeter von Al-Qaida (CR 12.2.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020). Es verfügt über Kontakte zum IS/ISKP (EASO 8.2020c; vgl RA KBL 12.10.2020). Das Netzwerk ist nach seinem Gründer Jalaluddin Haqqani benannt (CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglieddes antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist sein Sohn Serajuddin Haqqani [auch Sirajuddin Haqqani] (EASO 8.2020c; cf. UNSC 27.5.2020).

Als von den US-Truppen und der afghanischen Armee als „tödlichste und ausgefeilteste Aufständischengruppe in Afghanistan“ (ASP 1.9.2020) bzw. „gefährlichster“ Arm der Taliban bezeichnet, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019). Das Netzwerk ist vor allem in den südlichen und östlichen Teilen des Landes und in den Provinzen Paktika, Helmand, Kandahar und Khost (RA KBL 12.10.2020; vgl. EASO 8.2020) sowie in Paktia und Teilen Ghaznis aktiv (ASP 1.9.2020; vgl. TD 31.12.2019).

Die afghanische Regierung entließ drei führende Mitglieder des Netzwerks im Zuge des Gefangenenaustausch im November 2019 (RA KBL 12.10.2020; vgl. NYT 19.11.2019, BBC 19.11.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Letzte Änderung: 25.02.2021

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019) bzw. 4.000 und 5.000 Kämpfern (EASO 8.2020c). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburgen in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020; vgl. RA KBL 12.10.2020), da sich jahrelang die Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese konzentrierten. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in dieser Region (SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Im November 2019 ist die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2019; vgl. SIGAR 30.1.2020) wobei über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020, UNGASC 17.3.2020). Der islamische Staat soll jedoch weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP hat sich seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf zwischen 200 (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020) und 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2019).

Angriffe des ISKP gingen zurück, aber die Gruppe war für mehrere tödliche Bombenanschläge verantwortlich (HRW 13.1.2021). 49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als 'Abtrünnige’, die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Angesichts der Aufnahme von Gesprächen der Taliban mit den USA predigte der ISKP seine Mission weiterhin als eine reinere Form des Dschihad im Gegensatz zur Öffnung der Taliban für US-Gespräche (EASO 8.2020c; vgl. SaS 10.2.2020). Nach Angaben der UNO zielt ISKP darauf ab, von den Taliban und Al-Qaida abtrünnige Rekruten zu gewinnen, insbesondere solche, die sich jeglichen Vereinbarungsgesprächen mit den US-amerikanischen oder afghanischen Regierungen widersetzen (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).

Am 4.4.2020 verhaftete die Nationale Sicherheitsdirektion Afghanistans (NDS) den IS-Führer in Afghanistan (AnA 30.4.2020; vgl. HRW 6.4.2020). Die Gruppe ist jedoch immer noch aktiv und führt weiterhin Angriffe durch (DW 3.8.2020; vgl. AVA 1.11.2020).

Nach Erkenntnissen von AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission), ist die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von ISKP-Angriffen im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um 21 Prozent gesunken. Die Gesamtzahl der durch ISKP-Angriffe in Afghanistan im Jahr 2020 getöteten oder verletzten Zivilisten beträgt 403; während die Gesamtzahl der durch ISKP in Afghanistan im Jahr 2019 getöteten oder verletzten Zivilisten 515 betrug (AIHRC 28.1.2018).

Al-Qaida und mit ihr verbundene Gruppierungen

Letzte Änderung: 26.02.2021

Gemäss UNO-Bericht vom Mai 2020 ist Al-Qaida in 12 Provinzen mit 400-600 Bewaffneten verdeckt aktiv (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).

Al-Qaida unterhält Beziehungen zu den Taliban und eine begrenzte Präsenz in Afghanistan (UNSC 27.5.2020), wobei sie ihre Aktivitäten meist unter dem Dach anderer AGEs, insbesondere der Taliban, durchführt (UNAMA 22.2.2020; vgl. EASO 8.2020c). Nach Ansicht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stellen Al-Qaida und andere ausländische Terroristen, die unter dem Schutz und Einfluss der Taliban stehen, eine langfristige globale Bedrohung dar (UNSC 20.1.2020). Während in der Vergangenheit beide Gruppierungen immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont hatten (UNSC 15.1.2019), bestritten die Taliban kürzlich, Verbindungen zu Al-Qaida zu haben, und gingen nach dem US-Abkommen im Juni 2020 so weit, zu leugnen, dass Al-Qaida in Afghanistan überhaupt existiert (LWJ 15.6.2020; vgl. EASO 8.2020c). Im Zuge des US-Taliban-Abkommen haben die Taliban zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020c).

Im Oktober 2020 wurde der ranghohe Al-Qaida-Chef Abu Muhsin al-Masri von einer Spezialeinheit der afghanischen Streitkräfte in Ghazni in einem Dorf, welches unter Talibankontrolle steht getötet. Die afghanische Regierung sieht darin einen eindeutigen Beweis, dass die Taliban ungeachtet der laufenden Friedensverhandlungen nach wie vor enge Beziehungen zu Terrorgruppen pflegen (DW 25.10.2020; vgl. NZZ 24.10.2020, VOA 10.11.2020) und nach Angaben der Vereinten Nationen ist Al-Qaida immer noch stark in die Taliban in Afghanistan eingebettet (BBC 29.10.2020; vgl. AnA 2.6.2020). Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen (FAZ 29.1.2021).

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

Letzte Änderung: 01.04.2021

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: Sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura (Anm.: militante afghanische Organisation der Taliban mit Basis in Quetta /Pakistan) ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017). Die UNAMA hat Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch die Taliban dokumentiert, um IEDs (Improvised Explosive Devices) zu platzieren, Sprengstoff zu transportieren, bei der Sammlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse zu helfen und Selbstmordattentate zu verüben, wobei auch positive Schritte von der Taliban-Kommission für die Verhütung ziviler Opfer und Beschwerden unternommen wurden, um Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Kindern zu untersuchen und korrigierend einzugreifen (UNAMA 7.2020).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Grundsätzlich haben die Taliban keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen von, vielfach jungen, desillu- sionierten Männern. Ihre Motive sind der Wunsch nach Rache und Heldentum, gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats der Taliban. Während Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt haben, dienen sie auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019). Andererseits wird berichtet, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 29.6.2017). Es gibt Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Wenn es auch Stimmen gibt, die meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher nunmehr vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen würden, wenn bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft Kämpfer vor Ort mobilisiert werden müssen, mag es schwierig sein, sich zu entziehen (LI 29.6.2017).

Die erweiterte Familie kann angeblich auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, welche die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Islamischer Staat (IS)

 

Lokale Ältere, die in den Grenzprovinzen Kunar und Nangarhar leben, berichten von ISKP Kräften, die nach wie vor die Bewohner in Dörfern unter ihrer Kontrolle terrorisieren und Buben zwangsrekrutieren, sowie Mädchen vom Schulbesuch abhalten (WP 20.8.2019; vgl. TST 21.8.2019). Aus Kunar wurde berichtet, dass auch Männer zwangsrekrutiert und jene getötet wurden, die dies verweigert hätten (TST 22.8.2019).

In Gebieten unter Kontrolle des IS wird Druck auf die Gemeinden ausgeübt, den IS voll zu unterstützen (EASO 6.2018).

Andere Gruppierungen

Auch schiitische Organisationen rekrutieren unter Afghanen, wie z.B. die Fatemiyoun Division (Liwa Fatemiyoun), eine Kampftruppe, die vorwiegend aus afghanischen schiitischen Hazara besteht. Die Rekrutierung erfolgt durch die Iranischen Revolutionsgarden im Iran unter der afghanischen Flüchtlingspopulation; die Rekruten werden nach der Ausbildung zum Kampf nach Syrien geschickt. Es gibt Berichte, dass sich in einem Hazara-Viertel im Westen Kabuls ein Rekrutierungszentrum der Fatemiyoun befindet. Es werden auch Jugendliche ab 14 Jahren rekrutiert (DW 5.5.2018).

Rekrutierung Minderjähriger

Das Problem der Rekrutierung von Kindern, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch regierungsfeindliche Gruppen, Milizen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort. Im Jahr 2019 waren es laut UNAMA insgesamt 64 Jungen vor allem im Norden des Landes, welche durch die Taliban sowie durch afghanische Sicherheitskräfte rekrutiert wurden (UNAMA 7.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zur Ausbildung nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018). Im Jahr 2019 waren es laut UNAMA insgesamt 64 Jungen vor allem im Norden des Landes, welche durch die Taliban sowie durch afghanische Sicherheitskräfte rekrutiert wurden (UNAMA 7.2020; vgl. AA 16.7.2020).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 01.04.2021

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020.

Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hana- fitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Letzte Änderung: 01.04.2021

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).

Ethnische Gruppen

Letzte Änderung: 01.04.2021

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 16.2.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016 ; vgl. CIA 16.2.2021). Schätzungen zufolge sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 16.7.2020).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ,Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (STDOK 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.3.2020).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 16.7.2020). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.3.2020).

Tadschiken

Letzte Änderung: 01.04.2021

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.d; vgl. RFE/RL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.d). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Heute werden unter dem Terminus täjik „Ta- dschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (STDOK 7.2016).

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.d). Die Tadschiken sind im nationalen

Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 01.04.2021

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020) [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung (MPI 27.1.2004; vgl. FH 4.2.2019)]. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 2.9.2019). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 4.2.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020; vgl. STDOK 6.2020).

Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangarhar, Khost, Kunduz und Hel- mand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 2.9.2019).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019).

Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 16.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (F 24 18.11.2020; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

Meldewesen

Letzte Änderung: 01.04.2021

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig ’gelbe Seiten’ oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. STDOK 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (STDOK 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).

Da es in der Vergangenheit zu Fällen kam, bei denen Wohnungen zur Vorbereitung von terroristischen oder kriminellen Taten verwendet wurden, müssen nun insbesondere in Kabul, aber auch in Mazar-e Sharif unter Umständen beispielsweise im Stadtzentrum gewisse Melde- und Ausweisvorgaben beim Mieten einer Wohnung oder eines Hauses erfüllt werden (STDOK 21.7.2020). Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Mieter wie auch Vermieter beim Abschluss einer Mietvereinbarung mit einem Identitätsnachweis ausweisen, was jedoch nicht immer eingehalten wird. In Gebieten ohne hohes Sicherheitsrisiko ist es oftmals möglich, ohne einen Identitätsnachweis oder eine Registrierung bei der Polizei eine Wohnung zu mieten. Dies hängt allerdings auch vom Vertrauen des Vermieters in den potenziellen Mieter ab (STDOK 21.7.2020; vgl. RA KBL 5.4.2020).

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 01.04.2021

UNOCHA verifizierte im Jahr 2020 332.902 Menschen als Binnenvertriebene aufgrund des Konflikts und Naturkatastrophen (UNOCHA 27.12.2021; vgl. NRC 11.2020, AI 30.3.2021) und bis März 2021 wurden von UNOCHA 50.360 Binnenvertriebene im laufenden Jahr 2021 verifiziert (UNOCHA 14.3021). Nach Berichten des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung wurden im Jahr 2020 74.087 Familien aufgrund von Krieg und Unsicherheit vertrieben (AIHRC 28.1.2021), zusätzlich zu den 4,1 Millionen Menschen, die seit 2012 vertrieben wurden und von denen viele keine Anzeichen dafür zeigen, dass sie zurückkehren wollen. Vor diesem Hintergrund kehren jedes Jahr Hunderttausende von Afghanen spontan zurück oder werden zur Rückkehr gezwungen. Rückkehrer werden oft de facto zu Binnenvertriebenen, da Konflikte und verlorene Gemeinschaftsnetzwerke sie daran hindern, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (NRC 11.2020). Die genaue Zahl der Binnenvertriebenen lässt sich jedoch nicht bestimmen, zumal viele in abgelegenen Regionen oder städtischen Slums Zuflucht suchen oder in Gebieten leben, die von aufständischen Gruppen kontrolliert werden und daher nicht erfasst werden können (STDOK 10.2020).

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. In allen 34 Provinzen werden IDPs aufgenommen (USDOS 11.3.2020).

Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.10.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (STDOK 13.6.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis) (UNOCHA 22.7.2019; vgl. IFRC 9.7.2019). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat- Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf freiem Feld entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen (STDOK 13.6.2019).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. 75% der Binnenflüchtlinge sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 16.7.2020).

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 11.3.2020).

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 11.3.2020). Das Einkommen von Binnenvertriebenen und Rückkehrern ist nach wie vor gering, da die Mehrheit der Menschen innerhalb dieser Gemeinschaften von Tagelöhnern und/oder Überweisungen von Verwandten im Ausland abhängig ist, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Halle 12.2020).

Die vier Millionen Binnenvertriebenen in Afghanistan leben unter Bedingungen, die sich perfekt für die schnelle Übertragung eines Virus wie COVID-19 eignen. Die Lager sind beengt, unhygienisch und es fehlt selbst an den grundlegendsten medizinischen Einrichtungen. Sie leben in Hütten aus Lehm, Pfählen und Plastikplanen, in denen bis zu zehn Personen in nur einem oder zwei Räumen untergebracht sind, und sind nicht in der Lage, soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren (AI 30.3.2021). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung war für Binnenvertriebene und Rückkehrer bereits vor der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie hat sich der Zugang weiter verschlechtert, da einige medizinische Zentren in COVID-19-Behandlungszentren umgewandelt wurden und die Finanzierung der humanitären Hilfe zurückging. Es gibt eine von Ärzte ohne Grenzen betriebene mobile Klinik in Herat, die bei der Behandlung einiger chronischer Krankheiten hilft (Halle 12.2020). Das Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) hat einige Aufklärungskampagnen zum Thema Gesundheit durchgeführt und Seife verteilt, aber laut Amnesty International scheinen diese Kampagnen die Binnenvertriebenen, die in den Siedlungen in den Provinzen leben, nicht erreicht zu haben (AI 30.3.2021).

Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen (USDOS 11.3.2020).

Der Afghanistan Humanitarian Response Plan, der bis 2021 eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen für die Afghanen vorsah, ist nach wie vor stark unterfinanziert, da mit Stand 24.7.2020 nur 23 Prozent des Bedarfs finanziert wurden. Diese Unterfinanzierung spiegelt sich in der Nationalen Politik für Binnenvertriebene wider, die dringend die versprochenen Mittel in der Höhe von 396 Millionen US-Dollar benötigt, um auf die Situation der Binnenvertriebenen und der aus Pakistan und dem Iran zurückkehrenden Arbeitsmigranten zu reagieren (AI 30.3.2021).

Flüchtlinge in Afghanistan

Die afghanische Regierung hat noch keinen Entwurf für ein nationales Flüchtlings- oder Asylgesetz verabschiedet. Die Regierung arbeitet mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren. Auch registriert und koordiniert UNHCR den Schutz von ca. 500 Flüchtlingen in Städten. Afghanistan beherbergt etwa 76.000 pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Pakistan geflohen sind; UNHCR registrierte etwa 41.000 Flüchtlinge in der Provinz Khost und verifizierte mehr als 35.000 Flüchtlinge in der Provinz Paktika (USDOS 11.3.2020; vgl. UNHCR 25.2.2019, UNOCHA 1.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 01.04.2021

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D). Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank COVID-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020). Eine Reihe von U.S.- Wirtschafts- und Sozialentwicklungsprogrammen haben ihre Ziele für das Jahr 2020, aufgrund COVID-19-bedingter Einschränkungen nicht erreicht (SIGAR 30.1.2021).

Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Diese hatte primär Auswirkungen auf den Agrarsektor mit Verlusten bei Viehbeständen (STDOK 10.2020; vgl. STDOK 21.7.2020, STDOK 13.6.2019, ACCORD 26.5.2020) und verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter. Auch folgten schwerwiegende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019; vgl. STDOK 21.7.2020). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben worden waren (GN 6.3.2019).

Günstige Wetterbedingungen während der Aussaat 2020 lassen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19-bedingte Sperrmaßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, da sie in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten (IOM 23.9.2020).

Armut und Lebensmittelunsicherheit

Letzte Änderung: 01.04.2021

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (UNGASC 9.12.2020). Laut einer IPC-Analyse [Anm.: Integrated Food Security Phase Classification] vom April wurde geschätzt, dass die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 des[Anm.: fünfteiligen] Emergency-IPC-Index leiden, im Zeitraum August 2020 - März 2021 3,6 Millionen betragen würde (IPC 10.2020).

In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% in Afghanistan ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 16.7.2020). Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018), sind es in urbanen Gebieten rund 41,6% (NSIA2019).

Lebensmittelunsicherheit

Die akute Ernährungsunsicherheit in ganz Afghanistan verschlechtert sich weiter und wird voraussichtlich einen ähnlichen Schweregrad erreichen, wie er während der Dürre 2018/2019 beobachtet wurde, wobei der Hauptgrund für die Verschlechterung der Ernährungssicherheit die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind (USAID 12.1.2021).

Nach Angaben der Vereinten Nationen lag die Zahl der Menschen, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, im Zeitraum von August bis Oktober 2020 bei etwa 36% der untersuchten Bevölkerung, und die Zahl für den Zeitraum von November 2020 bis März 2021 wurde ein Anstieg auf 42% - zwischen 11,15 (ICP) und 13,9 (USAID) Millionen Menschen - prognostiziert (USAID 12.1.2021; vgl. ICP 10.2020).

Die COVID-19-Krise führte zu einem deutlichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit (USAID 12.1.2021; vgl. ICP 10.2020) und einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise (ICP 10.2020; vgl. IOM 18.3.2021). Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Rege- lungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein (IOM 18.3.2021). Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht lagen die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 weiterhin über dem Durchschnitt, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel auf den Quellmärkten zurückzuführen ist, insbesondere für Weizen in Kasachstan. Auf nationaler Ebene waren die Preise für Weizenmehl in Afghanistan von November bis Dezember 2020 stabil, allerdings auf einem Niveau, das 11% über dem des letzten Jahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag (FEWS NET 1.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die afghanischen Grenzen sind alle offen, was den normalen Handel mit Lebensmitteln erleichtert. Insgesamt werden in den kommenden Monaten zwar keine signifikanten zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit erwartet, aber die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind in Afghanistan immer noch sichtbar. Insbesondere wird erwartet, dass die unterdurchschnittliche Anzahl von Wanderarbeitern im Iran zu unterdurchschnittlichen Überweisungen für ländliche und städtische Haushalte beitragen wird (FEWS NET 1.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Auf der folgenden Karte findet sich die Prognose für die Lebensmittelsicherheit Afghanistans für den Zeitraum Februar bis Mai 2021. Dieser Karte zufolge befindet sich die Stadt Herat auf Stufe 3 („Crisis") des von FEWS NET verwendeten fünfstufigen Klassifizierungssystems. Mazar-e Sharif befindet sich laut derselben Prognose im selben Zeitraum auf Stufe 2 („Stressed") (ACCORD 27.1.2021; vgl. FEWS NET 1.2021).

In städtischen Gebieten werden die geringere Verfügbarkeit von Einkommensmöglichkeiten während des Winters, unterdurchschnittliche Rücküberweisungen und überdurchschnittliche Nahrungsmittelpreise wahrscheinlich den Zugang zu Nahrung und Einkommen für viele arme Haushalte einschränken, wobei während des gesamten Zeitraums bis Mai 2021 ohne Hilfe eine Bewertung mit IPC Stufe 3 („Crisis") erwartet wird. Wenn die Umsetzung des COVID-19- Hilfsprogramms voranschreitet, werden sich die Haushalte, welche humanitäre Hilfe erhalten, wahrscheinlich auf IPC Stufe 2 („Stressed") verbessern, bis sie die Hilfe ausschöpfen. Nach den vorliegenden Informationen (Stand 29.1.2021) haben insgesamt 3.020 städtische Haushalte (ca. 21.000 Personen, was weniger als 1% der Bevölkerung entspricht) in 13 Provinzhauptstädten diese Unterstützung erhalten (FEWS NET 1.2021).

Die meisten ländlichen Gebiete haben IPC Stufe 2 („Stressed") und es wurde erwartet, dass dies während des gesamten Zeitraums bis Mai 2021 bestehen bleibt. In Gebieten, in denen die Ernte geringer ausgefallen ist und in Gebieten, die am stärksten von Konflikten betroffen sind, ist jedoch für den Rest der ertragsarmen Saison ein Abrutschen auf IPC Stufe 3 („Cri- sis") wahrscheinlich. Im ganzen Land wird erwartet, dass eine zunehmende Anzahl von armen Haushalten - insbesondere solche mit unterdurchschnittlichen Vorräten oder solche, die nur geringe Geldsendungen erhalten - mit IPC Stufe 3 („Crisis") zu bewerten wären, wenn die Vorräte aufgebraucht sind (FEWS NET 1.2021).

Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten

Letzte Änderung: 01.04.2021

Die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul liegt durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard muss zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden (IOM 2020). Auch in Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Dies gilt auch für Rückkehrer. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Woh- nung in Mazar-e Sharif schwankt unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich (STDOK 21.7.2020). Einer anderen Quelle zufolge liegen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat (Schwörer 30.11.2020). Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden (STDOK 21.7.2020). Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel (Schwörer 30.11.2020; vgl. STDOK 21.7.2020). Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (IOM 2020).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2020).

Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken (Schwörer 30.11.2020).

Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls sind höher. In ländlichen Gebieten kann man mit mind. 50 % weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (IOM 2020).

Rückkehrende können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum Spinzar Hotel Unterkommen. Die Kosten dafür betragen 1.425 AFN pro Nacht (IOM 2020). Viele Rückkehrer wohnen nach ihrer Ankunft übergangsweise in Teehäusern. Diese waren während des Lockdowns in Afghanistan im März 2020 vorübergehend geschlossen, sind jedoch aktuell wieder geöffnet (Schwörer 30.11.2020).

Arbeitsmarkt

Letzte Änderung: 01.04.2021

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 10.2020). Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). 80% der afghanischen Arbeitskräfte befinden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen (AAN 3.12.2020; vgl.: CSO 2018). Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten sind Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (AAN 3.12.2020). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pan- demie wieder steigen (AA 16.7.2020; cf. IOM 18.3.2021) ebenso wie die Anzahl der prekär beschäftigten (AAN 3.12.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.9.2020).

Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich (STDOK 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2019, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (CSO 2018; vgl. IOM 18.3.2021). Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (STDOK 4.2018).

Laut dem Afghanistan National Peace and Development Framework (ANPDF) hat die Regierung geplant, sich auf mehrere Sektoren zu konzentrieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Insbesondere konzentriert sie sich auf umfassende Programme zur Entwicklung der Landwirtschaft und des Privatsektors. Laut ANPDF steigt und fällt das afghanische BIP mit der Leistung der Landwirtschaft, die für mindestens 40% der Bevölkerung Arbeitsplätze schafft und einen bedeutenden Anteil der aktuellen Exporte ausmacht (IOM 18.3.2021; vgl. GoIRA2021).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Hai- der/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, stellen sie jedoch im Agrasektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeitskräfte (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag (IOM 18.3.2021). Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (IOM 18.3.2021).

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif

Letzte Änderung: 01.04.2021

Kabul

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 8.6.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.4.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 8.6.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.4.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.4.2017).

Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent). Im Gegensatz dazu zeigt die Provinz Ghor ist der traditionelle Agrarsektor hier bei weitem der größte Arbeitgeber, des Weiteren, existieren hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen (CSO 8.6.2019).

Herat

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (STDOK 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass Herat als Hotspot für Tagelöhner gilt (AAN 3.12.2020) - die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Herat sind Tagelöhner, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015). Die Verbreitung von Tagelohnarbeit ist zum Teil eine Folge der massiven Bevölkerungsbewegungen - insbesondere des Zustroms von Zehntausenden von Menschen, die vor allem durch den Konflikt zwischen 2012 und 2019 vertrieben wurden. Diese Bevölkerungsbewegungen, insbesondere von Binnenflüchtlingen, haben die Provinz Herat, vor allem ihre Hauptstadt Herat-Stadt, zu einem zunehmend schwierigen Lebens- und Arbeitsraum gemacht (AAN 3.12.2020)

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GoIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018, wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GoIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die Arbeitsplätze sind allerdings von dervo- latilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (ST- DOK 21.7.2020; vgl. GoIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GoIRA 2015). Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren (STDOK 21.7.2020; vgl. MIC 2018). Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020).

In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar- e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden, wenn finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (STDOK 21.7.2020).

Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen

Letzte Änderung: 01.04.2021

Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke - und nicht der Staat - von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (STDOK 4.2018).

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.5.2019). Es gibt kein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei) (SEM 20.6.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).

Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen Familienmitgliedern geerbt werden (STDOK 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 6.7.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (STDOK 4.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (ILO 5.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017).

Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018).

Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (STDOK 13.6.2019).

Unterstützungsprogramm – das Citizens’ Charter Afghanistan Project (CCAP)

 

Im Rahmen des zehn Jahre andauernden „Citizens’ Charter National Priority Program“ (TN 18.1.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens’ Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in dem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.).

Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger/innen mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen – Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen – besser integriert werden (WB 10.10.2016). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghan/innen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017). Es wird jedoch berichtet, dass die Aktivitäten des Projektes in einigen Gemeinden hinter dem Zeitplan zurückbleiben, weil das MRRD (Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung) keinen Zugang hat oder unterbesetzt ist. NGO- Mitarbeiter berichten außerdem, dass sie 10% der finanziellen Mittel als Steuer an die Taliban abgeben mussten (AAN 31.5.2020).

Im Rahmen des CCAP wurden auch Sensibilisierungskampagnen betreffend COVID-19 in ländlichen Gebieten durchgeführt. Bis Juni 2020 wurden Treffen mit Ratsmitgliedern und Mullahs in etwa 12.000 Gemeinden in 124 Distrikten in ganz Afghanistan abgehalten (WB 28.6.2020).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 01.04.2021

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 16.7.2020). In einem Bericht aus dem Jahr 2018 kommt die Weltbank zu dem Schluss, dass sich die Gesundheitsversorgung in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 deutlich verbessert hat, während sich die Verbesserungen im Zeitraum 2011-2016 langsamer fortsetzten (EASO 8.2020b; vgl. UKHO 12.2020).

Im Jahr 2003 richtete das Gesundheitsministerium ein standardisiertes Basispaket an Gesundheitsdiensten (Basic Package of Healthcare Services, BPHS) ein, um die medizinische Grundversorgung und den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten für die gesamte Bevölkerung Afghanistans sicherzustellen. Die Umsetzung des BPHS wurde an Nichtregierungsorganisationen (NGO) vergeben, die in allen Provinzen Afghanistans - mit Ausnahme von drei Provinzen, in denen das MoPH das BPHS direkt umsetzte - medizinisches Personal ausbildeten und grundlegende Gesundheitsdienste anboten. Im Jahr 2005 erweiterte das MoPH das Programm durch die Einführung des Essential Package of Hospital Services (EPHS). Das EPHS ist ein standardisiertes Paket von Krankenhausleistungen für jede Ebene von Krankenhäusern im öffentlichen Sektor (MedCOI 5.2019).

Bislang werden BPHS und EPHS vom MoPH reguliert und an 40 nationale und internationale NGOs in 31 Provinzen ausgelagert. In den verbleibenden drei Provinzen Afghanistans stellt das

MoPH das BPHS über eine Contracting-In-Initiative mit dem Titel „Strengthening Mechanism" direkt bereit (MedCOI 5.2019; vgl. GaH 2016).

Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen (AA 16.7.2020). Trotz der im Entwicklungsländervergleich relativ hohen Ausgaben für Gesundheit ist die Gesundheitsversorgung im ganzen Land sowohl in den von den Taliban als auch in den von der Regierung beeinflussten Gebieten generell schlecht. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan 2,3 Ärzte und fünf Krankenschwestern und Hebammen pro 10.000 Menschen, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13 bzw. 20 (USIP 4.2020).

Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten (UNOCHA 19.12.2020; vgl. EA- SO 8.2020b, Schwörer 30.11.2020). Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Millionen Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (UNOCHA 19.12.2020).

Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WB o.D.a.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 16.7.2020). Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (RA KBL 20.10.2020)

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, dieunter Vertrag genommen werden (AA 16.7.2020). Durch dieses Vertragssystem wird die primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsversorgung bereitgestellt. Primärversorgungsleistungen auf Gemeinde- oder Dorfebene, Sekundärversorgungsleistungen auf Distriktebene und Tertiärversorgungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene (MedCOI 5.2019). Es mangelt jedoch an Investitionen in die medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während es in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken gibt, ist es für viele Afghanen schwierig, in ländlichen Gebieten eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Nach Berichten von UNOCHA haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung (AA 16.7.2020). Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die den Zustand der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen untersuchte, wiesen viele Gesundheitszentren im ganzen Land immer noch große Mängel auf, darunter bauliche und wartungsbedingte Probleme, schlechte Hygiene- und Sanitärbedingungen, wobei ein Viertel der Einrichtungen nicht über Toiletten verfügte, vier von zehn Gesundheitseinrichtungen kein Trinkwassersystem hatten und eine von fünf Einrichtungen keinen Strom hatte. Es gab nicht genügend Krankenwagen und viele Gesundheitseinrichtungen berichteten über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung und Material (IWA 8.2017).

Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 16.7.2020; vgl. WHO 8.2020).

Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen (MedCOI 5.2019). Die Kosten für Diagnose und Behandlung variieren dort sehr stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (AA 16.7.2020), was den privaten Sektor sehr vielfältig macht mit einer uneinheitlichen Qualität der Leistungen, die oft unzureichend sind oder nicht dem Standard entsprechen (MedCOI 5.2019).

In einem MoU (Memorandum of Understanding) zwischen dem Gesundheitsministerium und drei indischen Privatunternehmen wurde am 16.6.2020 der Bau von zwei Gesundheitszentren und einer Pharmafabrik in Afghanistan im Wert von 12,5 Mio. $ vereinbart. Außerdem wurden im vergangenen Jahr Vereinbarungen über den Bau eines Gesundheitszentrums in Kabul und 53 Gesundheitszentren in den Provinzen Kandahar und Helmand unterzeichnet. Darüber hinaus hat Aga Khan Health Services (AKHS) als Teilprojekt im Rahmen des nationalen Projekts (SEHATMANDI) im Februar 2019 bis Juni 2021 das Management von Gesundheitseinrichtungen in den Provinzen Bamyan und Badakhshan auf Basis einer leistungsbezogenen Bezahlung übernommen. Im Januar 2019 erhielt das Schwedische Komitee für Afghanistan (SCA) den neuen SEHATMANDI-Vertrag zur Umsetzung der Interventionen Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Health Services (EPHS) in der Provinz Wardak, Afghanistan bis zum 30.6.2021 (RA KBL 20.10.2020).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsdienste (AA 16.7.2020; vgl. UNOCHA 7.3.2021, UNOCHA 19.12.2020, IKRK 17.6.2020). Trotz des erhöhten Drucks und Bedarfs an ihren Dienstleistungen werden Gesundheitseinrichtungen und - mitarbeiter weiterhin durch Angriffe sowie Einschüchterungsversuche von Konfliktparteien geschädigt, wodurch die Fähigkeit des Systems, den Bedarf zu decken, untergraben wird. Seit Beginn der Pandemie gab es direkte Angriffe auf Krankenhäuser, Entführungen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, Akte der Einschüchterung, Belästigung und Einmischung, Plünderungen von medizinischen Vorräten sowie indirekte Schäden durch den anhaltenden bewaffneten Konflikt (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IKRK 17.6.2020). Das direkte Anvisieren von Gesundheitseinrichtungen und Personal führt nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen und Verletzungen, sondern zwingt viele Krankenhäuser dazu, lebenswichtige medizinische Leistungen auszusetzen oder ganz zu schließen (MSF 3.2020; vgl. UNOCHA 7.3.2021).

Im Jahr 2018 stand Afghanistan mit 91 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldeten Angriffen auf das Gesundheitswesen an dritter Stelle bei der Anzahl an Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen weltweit. Die Angriffe setzten sich 2019 fort, mit 119 gemeldeten Vorfällen in 23 Provinzen bis Ende Dezember (MSF 3.2020; vgl. Schwörer 30.11.2020). Zwischen dem 1.1.2020 und dem 21.10.2020 gab es 67 [gemeldete] Vorfälle, die von Konfliktparteien gegen medizinisches Personal oder Einrichtungen verübt wurden (UNOCHA 19.12.2020). Angriffe bei denen Gesundheitseinrichtungen angegriffen oder aufgrund derer der Zugang zu diesen eingeschränkt wird, setzen sich im Jahr 2021 fort. In der Provinz Samangan sind seit dem 4.11.2020 22 Gesundheitseinrichtungen geschlossen geblieben, was die Bereitstellung von Gesundheitsund Ernährungsdiensten in der Provinz behindert (UNOCHA 7.3.2021).

COVID-19

Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die Bereitstellung und Nutzung grundlegender Gesundheitsdienste in Afghanistan ausgewirkt, und zwar aufgrund von COVID-19-bedingten Bewegungseinschränkungen, dem Mangel an medizinischem Material und persönlicher Schutzausrüstung sowie der Abneigung der Gemeinschaft, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Überweisungen ging von April bis Juni 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um fast 25 Prozent zurück, während die Zahl der chirurgischen Eingriffe laut WHO um etwa 33 Prozent sank. Darüber hinaus ging die Rate der Routineimpfungen für Frauen und Kinder unter zwei Jahren im Laufe des Jahres zurück. Infolgedessen geht die WHO davon aus, dass die Sterblichkeit durch behandelbare und durch Impfung vermeidbare Gesundheitszustände im Jahr 2021 ansteigen könnte (USAID 12.1.2021).

Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 (IOM 23.9.2020). Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021).

Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (RA KBL 20.10.2020).

Zugang zu medizinischen Versorgung

Letzte Änderung: 01.04.2021

Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten

Eine begrenzte Anzahl von staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenlose medizinische Versorgung an. Voraussetzung für die kostenlose Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft durch einen Personalausweis oder eine Tazkira. Alle Bürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (STDOK 4.2018). Allerdings gibt es manchmal einen Mangel an Medikamenten. Daher werden die Patienten an private Apotheken verwiesen, um verschiedene Medikamente selbst zu kaufen (IOM 2018), oder sie werden gebeten, für medizinische Leistungen, Labortests und stationäre Behandlungen zu zahlen. Medikamente können auf jedem afghanischen Markt gekauft werden, und die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produkts. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern unterscheiden sich von den lokalen Marktpreisen. Private Krankenhäuser befinden sich meist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (STDOK 4.2018; vgl. AA 16.7.2020) und die medizinische Ausstattung ist oft veraltet oder nicht vorhanden. Es wird von schlechten hygienischen Bedingungen in öffentlichen Krankenhäusern berichtet (MedoCOI 5.2019) und von Ärzten, die nur wenige Stunden im Krankenhaus anwesend sind, weil sie ihre eigenen privaten Praxen haben (MedCOI 5.2019). Nach Daten aus dem Jahr 2017 waren 76 % der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „out-of-pocket"- Zahlungen der Patienten (WB n.d.b). Die Qualität und Kosten der Kliniken variiert stark, es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Eine Unterbringung von Patienten ist nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf (AA 16.7.2020).

In den großen Städten und auf Provinzebene ist die medizinische Versorgung gewährleistet, aber auf Distrikt- und Dorfebene sind die Einrichtungen oft weniger gut ausgestattet und es kann schwierig sein, Spezialisten zu finden. In vielen Fällen arbeiten Krankenschwestern anstelle von Ärzten, um die Grundversorgung zu gewährleisten und komplizierte Fälle an Krankenhäuser in der Provinz zu überweisen. Operationen können in der Regel nur auf Provinzebene oder höher durchgeführt werden; auf Distriktebene sind nur Erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Dies gilt nicht für das ganze Land, allerdings können Distrikte mit guter Sicherheitslage meist mehr und bessere Leistungen anbieten als in unsicheren Gebieten (IOM 2018; vgl. BDA 18.12.2018).

Die Haupthindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung in Afghanistan sind demnach die hohen Behandlungskosten, der Mangel an Ärztinnen, die großen Entfernungen zu den Gesundheitseinrichtungen und eine unzureichende Anzahl an medizinischem Personal in den ländlichen Gebieten, Korruption und Abwesenheit des Gesundheitspersonals, sowie Sicherheitsgründe (MedCOI 5.2019; vgl. EASO).

In privaten Krankenhäusern ist die Ausstattung besser, es gibt mehr medizinisches Personal und die Ärzte sind erfahrener als in öffentlichen Einrichtungen, wobei das Hauptproblem die mangelnde Zugänglichkeit für den armen Teil der Bevölkerung ist (MedCOI 5.2019).

Viele Staatsangehörige - die es sich leisten können - gehen zur medizinischen Behandlung ins Ausland nach Pakistan oder in die Türkei - auch für kleinere Eingriffe (AJ 25.5.2019; vgl. Geo TV o.J., MedCOI 5.2019, BDA 18.12.2018). In Pakistan zum Beispiel ist dies zumindest für die Mittelschicht vergleichsweise einfach und erschwinglich (BDA 18.12.2018).

Zugang zu Medikamenten

Sowohl die Quantität als auch die Qualität von essentiellen Medikamenten sind eine große Herausforderung für das afghanische Gesundheitssystem. Da es keine nationale Regulierungsbehörde gibt, sind Medikamente, Impfstoffe, biologische Mittel, Labormittel und medizinische Geräte nicht ordnungsgemäß reguliert, was die Gesetzgebung und die Durchsetzung von Gesetzen fast unmöglich macht. Die Funktion der Regulierungsbehörde ist auf verschiedene Regierungsstellen aufgeteilt, darunter die Generaldirektion für pharmazeutische Angelegenheiten, das Labor für Qualitätskontrolle und die Abteilung für Gesundheitsgesetzgebung. Traditionelle Medizin ist weit verbreitet, da sie weniger teuer und leichter zugänglich ist (WHO 2016).

Im Jahr 2017 startete das MoPH eine 12-wöchige Kampagne gegen gefälschte und minderwertige Medizin. Die Lizenzen von mehr als 900 lokalen und ausländischen pharmazeutischen Importunternehmen wurden ausgesetzt, während 100 Tonnen abgelaufene, gefälschte und minderwertige Medikamente in Apotheken beschlagnahmt wurden. Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Lieferung und Verfügbarkeit von lebensrettenden Medikamenten zusätzlich durch die Unzugänglichkeit der Straßen (MedCOI 5.2019).

Die Essential Medicines List of Afghanistan (EML) (MoPH 2014) enthält Medikamente, die für den Einsatz im BPHS und EPHS empfohlen werden. Laut einem UN-Bericht aus dem Jahr 2017 kann es jedoch aufgrund der unsicheren und unzugänglichen öffentlichen Straßen zu Engpässen bei Medikamenten und medizinischen Geräten kommen. Auf allen Ebenen des Gesundheitssystems kann es zu Engpässen bei lebensrettenden Medikamenten kommen, selbst in Überweisungskrankenhäusern (MedCOI 5.2019).

Die Patienten müssen für alle Medikamente bezahlen, außer für Medikamente in der Primärversorgung, die in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos sind. Für bestimmte Arten von Medikamenten ist ein Rezept erforderlich. Obwohl es in Afghanistan viele Apotheken gibt, sind Medikamente nur in städtischen Gebieten leicht zugänglich, da es dort viele private Apotheken gibt. In ländlichen Gebieten ist dies weniger der Fall (MedCOI 5.2019). Auf den afghanischen Märkten sind mittlerweile alle Arten von Medikamenten erhältlich, aber die Kosten variieren je nach Qualität, Firmennamen und Hersteller. Die Qualität dieser Medikamente ist oft gering; die Medikamente sind abgelaufen oder wurden unter schlechten Bedingungen transportiert (BAMF 2016).

Medizinische Versorgungseinrichtungen in Afghanistan (Kabul, Herat, Balkh..)

Letzte Änderung: 01.04.2021

Kabul:

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das staatliche Jamhoriat Hospital in Kabul verfügt über eine Kapazität von 350 Betten (RA KBL 20.10.2020)

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (Emergency o.D.; vgl. WHO 4.2018). Mit 20.10.2020 ist die NGO immer noch aktiv (RA KBL 20.10.2020).

Herat

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken (TN 7.4.2017), unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital (RA KBL 20.10.2020). Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben“. Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

Mazar-e Sharif

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätz- lieh existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (STDOK 4.2018).

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Anstelle des durch einen Brand zerstörten Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (STDOK 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

Weitere Beispiele für staatliche Krankenhäuser im Hinblick auf die Anzahl der Betten in anderen Provinzen:

• Nangarhar: General Hospital of Public Health (550 Betten) (RA KBL 20.10.2020)

• Kandahar: Mirwais Nika Hospital (350 Betten) (RA KBL 20.10.2020)

• Helmand: Bast Hospital (250 Betten) (RA KBL 20.10.2020)

• Bamiyan: Bamiyan Central Hospital (140 Betten) (RA KBL 20.10.2020)

Parwan: Parwan 100 Beds Public Hospital (100 Betten) (RA KBL 20.10.2020)

Es folgt eine Liste einiger Kontaktdaten staatlicher Krankenhäuser:

• Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (RA KBL 20.10.2020)

• Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salang Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. , RA KBL 20.10.2020)

• Ataturk Kinderkrankenhaus: BehildAliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Indira Ghandi Children Hospital: Wazir Akbar Khan, Kabul. Tel.: 020-230-2282 (IOM 2018; AT 17.9.2015, RA KBL 20.10.2020

• Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.: +93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Jamhoriat Krankenhaus: Former Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/1375 (RA KBL 20.20.2020)

• Karte Sae Mental Hospital: Karte sae Serahi Allaudding, PD-6, Tel.: +93(0)20 2500342 (RA KBL 20.10.2020)

• Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.: +93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., RA KBL 20.10.2020)

• Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2104508, +93(0)799321007 (RA KBL 20.10.2020)

• Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: ++93(0)20 230 1360 (RA KBL 20.10.2020)

• Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (PAJ 3.8.2017; vgl. RA KBL

20.10.2020)

• Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017, RA KBL 20.10.2020)

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger Kontaktdaten privater Gesundheitseinrichtungen:

• Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5 th Phase, Qragha Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Sayed Jamaluding Psychiatric Hospital, Khoshal Mina section 1, Tel.: 93 799 128,737 (IOM 2018; vgl. IOM 2019, RA KBL 20.10.2020)

• Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road, Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020)

• French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93(0)79 107 0000 (RA KBL 20.10.2020)

• Loqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93(0)799 40 4000 (RA KBL 20.10.2020)

Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (STDOK 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020)

Rückkehr

Letzte Änderung: 01.04.2021

In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Während der Großteil der Rückkehrer aus den Nachbarländern Iran und Pakistan kommt, sinken die Anerkennungsquoten für Afghanen im Asylbereich in der Europäischen Union und die Zahl derer die freiwillig, unterstützt und zwangsweise nach Afghanistan zurückkehren, nimmt zu (MMC 1.2019). Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 7.5.2020).

IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten (MENAFN 15.2.2021). Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan(USAID 12.1.2021; vgl. TNH 26.1.2021). Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 5.1.2019, vgl. AA 16.7.2020).

Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan ist aktuell (Stand 19.3.2021) überden Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (IOM 18.3.2021; vgl. F 24 19.3.2021). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Flugverbindungen unzuverlässig sind - in Zeiten einer Pandemie können Flüge gestrichen oder verschoben werden (IOM 18.3.2021).

Seit 12.8.2020 ist der Grenzübergang Spin Boldak an der pakistanischen Grenze sieben Tage in der Woche für Fußgänger und Lastkraftwagen geöffnet (UNHCR 12.9.2020). Der pakistanische Grenzübergang in Torkham ist montags und dienstags für Rückkehrbewegungen nach Afghanistan und zusätzlich am Samstag für undokumentierte Rückkehrer und andere Fußgänger geöffnet (UNHCR 12.9.2020).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020, Reach 10.2017). Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein, sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (IOM KBL 30.4.2020; vgl. Seefar 7.2018). Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019). Aufgrund der Sicherheitslage ist es Rückkehrern nicht immer möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren (VIDC 1.2021).

„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens" an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa (VIDC 1.2021; cf. Seefar 7.2018), was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird (VIDC 1.2021). Rückkehrer drückten ihr Bedauern und ihre Scham über die Rückkehr aus, die sie als eine vertane Chance betrachteten, bei der Geld und Zeit verschwendet wurden (Seefar 7.2018; vgl. VIDC 1.2021, MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 14.7.2020, IOM AUT 23.1.2020, VIDC 1.2021). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 16.7.2020).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich (VIDC 1.2021; vgl. IOM KBL 30.4.2020, MMC 1.2019, Reach 10.2017). Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.6.2019, IOM KBL 30.4.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (STDOK 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (STDOK 4.2018; vgl. VIDC 1.2021).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 16.7.2020). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (STDOK 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 16.7.2020) und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt (IOM KBL 30.4.2020). Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll (STDOK 10.2020; vgl Seefar 7.2018), wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird (Seefar 7.2018). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich (STDOK 13.6.2019; vgl. VIDC 1.2021) und sie würden die Gastgebergemeinschaftausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (STDOK 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen (VIDC 1.2021; vgl. STDOK 13.6.2019, STDOK 4.2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (VIDC 1.2021; vgl. AA 16.7.2020, IOM KBL 30.4.2020, STDOK 10.2020). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 11.3.2020). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (STDOK 13.6.2019).

Viele afghanische Rückkehrer werden de facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben der afghanischen Regierung für Rückkehr sind essenzielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbst gebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (STDOK 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z. B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (STDOK 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (STDOK 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 3.2020). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014; vgl. Kandiwal 9.2018).

Die afghanische Regierung hat 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Erste Landstücke wurden identifiziert, die Registrierung von Begünstigten hat begonnen (AA 16.7.2020).

Dokumente

Letzte Änderung: 01.04.2021

Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden werden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor (AA 16.7.2020). Sämtliche Urkunden in Afghanistan sind problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhältlich (ÖB 28.11.2018; vgl. AG DFAT 27.6.2019).

Des Weiteren kommen verfahrensangepasste Dokumente häufig vor. Im Visumverfahren werden teilweise gefälschte Einladungen oder Arbeitsbescheinigungen vorgelegt. Medienberichten zufolge sollen insbesondere seit den Parlamentswahlen 2018 zahlreiche gefälschte Tazkira [Anm.: nationale Personalausweise] im Rahmen der Wählerregistrierung in Umlauf sein (AA 16.7.2020). Personenstands- und weitere von Gerichten ausgestellte Urkunden werden zentral vom Afghan State Printing House (SUKUK) ausgestellt (ÖB 28.11.2018).

Auf Grundlage bestimmter Informationen können echte Dokumente ausgestellt werden. Dafür notwendige unterstützende Formen der Dokumentation wie etwa Schul-, Studien- oder Bankunterlagen können leicht gefälscht werden. Dieser Faktor stellt sich besonders problematisch dar, wenn es sich bei dem primären Dokument um eine Tazkira handelt, welches zur Erlangung anderer Formen der Identifizierung verwendet wird. Es besteht ein Risiko, dass echte, aber betrügerisch erworbene Tazkira zur Erlangung von Reisepässen verwendet werden (AG DFAT 27.6.2019).

Die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland hat das Legalisationsverfahren von öffentlichen Urkunden aus Afghanistan wegen der fehlenden Urkundensicherheit eingestellt (DVA 8.1.2019).).

Tazkira und Reisepass

Eine Tazkira wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 16.7.2020). Laut einer Quelle können Frauen Tazkira und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (RA KBL 9.5.2018), allerdings ist dies vor allem in den Distrikten nicht sehr verbreitet und entspricht laut einer anderen Quelle nicht der dominanten Kultur. Vielmehr sollten Frauen bei Behördengängen von einem engen männlichen Verwandten begleitet werden (STDOK 21.7.2020).In einem Bericht der afghanischen Regierung vom April 2019 über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention findet sich die Information, dass für die Ausstellung einer Tazkira die Zeugenaussagen von zwei Personen nötig sind, die Inhaber von einer Tazkira sein müssen. Darüber hinaus muss die Identität des Antragstellers von lokalen Behörden bestätigt werden (ACCORD 15.6.2020). Eine andere Quelle weist darauf hin, dass man bei Beantragung einer Tazkira eine Geburtsurkunde vorweisen muss, dass allerdings die Mehrheit der Afghanen noch immer nicht im Besitz einer solchen ist. Wenn keine Geburtsurkunde vorgewiesen werden kann, ist es erforderlich, die Tazkira eines männlichen Familienmitglieds väterlicherseits (Vater, Bruder, Onkel oder Cousin) vorzuweisen (LI 22.5.2019; vgl. ACCORD 15.6.2020). Will jemand sich beispielsweise in Kabul eine Tazkira ausstellen lassen und kann seine Identität nicht beweisen, so muss diese Person in das Heimatgebiet ihres Vaters oder Großvaters zurückkehren. Dort kann versucht werden, einen Identitätsnachweis vonseiten des lokalen Dorfvorstehers zu erhalten. Dieser kann dann bei den örtlichen Behörden eingereicht werden, die auf dessen Grundlage eine Tazkira ausstellen (ACCORD 15.6.2020).

Kinder unter sieben Jahren sind von der Pflicht befreit, persönlich zu erscheinen, um sich eine Tazkira ausstellen zu lassen. Eine Geburtsurkunde wird als Nachweis akzeptiert. Sollte eine solche nicht vorhanden sein, sind zwei Zeugen erforderlich. Bis das Kind 18 Jahre alt ist, ist für die Ausstellung der Tazkira die Zustimmung des Vaters erforderlich (ACCORD 15.6.2020).

In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Erst seit ca. 2014 gibt es die Möglichkeit, eine Birth Registration Card zu beantragen, in der ein konkretes Geburtsdatum und die Mutter eines Kindes genannt wird. Diese kann aber auch jederzeit nachträglich für Personen ausgestellt werden, die vor 2014 geboren wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ausstellung daher ohne weitere Prüfung vorgenommen wird (AA 16.7.2020).

Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u.a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen Tazkira zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Eine Tazkira wird benötigt, um sich als Wähler registrieren zu lassen. Erstmals in der Geschichte des Landes wurden für die Parlamentswahlen 2018 wahlberechtigte Bürger für ein bestimmtes Wahllokal registriert. Die Bestätigung der Registrierung als Wähler, die auf der Tazkira angebracht wird, beinhaltet Informationen zum Wohnort (Provinz und Distrikt) sowie zum Wahllokal. Die soziale Gruppe der Kutschi ist nicht an ein fixes Wahllokal gebunden (AAN 27.5.2018).

Tazkira können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch dem jeweiligen Geburtsort in Afghanistan, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden, so dass es vorkommen kann, dass eine Person mehrere echte Tazkira mit unterschiedlichen Daten besitzt (AA 16.7.2020). Tazkira können zwar nicht von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt, jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 16.7.2020; vgl. AFB BER 22.10.2018). Der Antragsteller muss in diesem Fall im nächstgelegenen afghanischen Konsulat einen Termin vereinbaren und eine Kopie der Tazkira von Vater oder Geschwistern, sowie ein ausgefülltes und unterschriebenes Antragsformular vorlegen. Das Konsulat schickt einen Scan des Formulars an die Abteilung für Bevölkerungsentwicklung in Afghanistan. Das Original des Antragsformulars muss vom Antragsteller nach Afghanistan geschickt und von einem Vertreter persönlich bei der Abteilung für Bevölkerungsstatistik eingereicht werden. Nach einem internen Prozess in der Abteilung für Bevölkerungsstatistik wird die Tazkira innerhalb von 1-3 Monaten ausgestellt und dem Vertreter übergeben. Dieser kann die Tazkira dann dem Antragsteller zusenden (RA KBL 12.10.2020a; vgl. AFB BER 22.10.2018).

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von „Alter im Jahr der Beantragung", z. B. „17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in Afghanistan sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Es gibt keine einheitlichen Druckverfahren oder Sicherheitsmerkmale für die Tazkira in A4- Format. Im Februar 2018 wurde die e-Tazkira (elektronischer Personalausweis) mit der symbolischen Beantragung u.a. durch Präsident Ghani gestartet (AAN 22.2.2018). Seit 3.5.2018 werden e-Tazkira (auch electronic Tazkira) in Form einer Chipkarte ausgestellt, die Einführung läuft jedoch nur sehr schleppend (AA 16.7.2020). Im September 2020 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das die Aufnahme des Namens der Mutter in die Tazkira erlaubt (HRW 13.1.2021; vgl. TN 2.9.2020).

Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Seit Ausstellung maschinenlesbarer Reisepässe im Jahr 2014 muss bei Passbeantragung ein Familienname bestimmt werden. Die Bestimmung erfolgt ohne rechtliche Grundlage und ohne Dokumentation. Die Angaben, insbesondere Namen und Geburtsdatum, in Tazkira und Reisepass einer Person stimmen daher häufig nicht miteinander überein (AA 16.7.2020).

Alle afghanischen Botschaften und Abteilungen der Generalkonsulate Afghanistans sind für die Ausstellung von Reisepässen für alle im Ausland lebenden afghanischen Staatsbürger zuständig. In Österreich werden beispielsweise neben einer afghanische Tazkira, eine gültige Aufenthaltsgenehmigung, eine Aufenthaltsmeldung, vier Passfotos im Format 4x5cm und die Zahlung einer Gebühr zur Ausstellung eines afghanischen Reisepasses benötigt (AFB WIE 22.6.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1. Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (vgl. VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

2.1.2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist unter Einbeziehung dieser Gesichtspunkte zu würdigen:

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung eine Tazkira in Kopie zum Beweis seiner Identität. Dem mündlichen Gutachten des länderkundigen Sachverständigen zufolge ist bei dieser Kopie jedoch in völlig nachvollziehbarer und auch für die erkennende Richterin in mit freiem Auge erkennbarer Weise eine Manipulation vorgenommen worden: es wurde ein Strich durch die Rubrik Geburtsdatum und Alter gemacht, wodurch das Jahr, in dem die Tazkira ausgestellt wurde, verwischt und das Jahr der Ausstellung in Verbindung mit dem Alter nicht eindeutig feststellbar ist. Darüber hinaus weist die vorgelegte Kopie gemäß den plausiblen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen insofern einen Mangel auf, als in der Rubrik „Nationalität“ in der Tazkira statt „Afghan“ in unüblicher Weise die Bezeichnung „Tadschike“ angeführt ist, (VP 10.06.2021, S.18). Der im Spruch angeführte Name sowie das im Spruch wiedergegebene Geburtsdatum des Beschwerdeführers dienen mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente somit ausschließlich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei. Diese Daten wurden bereits dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt und blieben in der Beschwerde unbestritten. Der Beschwerdeführer ist nach dem von ihm selbst mit XXXX angegebenen Geburtsdatum im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls volljährig.

Auch die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers – sohin zu seiner Herkunftsregion, seinen Familienmitgliedern, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache (Dari) und seinem Familienstand – traf bereits das BFA. Diese blieben in der Beschwerde unbestritten und konnten der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Kabul sieben Jahre die Schule besucht hat, gründet auf den konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens (VP, 10.06.2021, S.15, BFA-Akt, AS. 1, 361). Anhand der Angaben des Beschwerdeführers, wonach er mit sieben Jahren in Kabul die Schule besucht hat (BFA-Akt, AS. 361), konnte die Feststellung getroffen werden, dass der Beschwerdeführer in Kabul aufgewachsen ist.

Zur Berufserfahrung gab der Beschwerdeführer selbst im gesamten Verfahren stets an, in Kabul als Taxifahrer gearbeitet bzw. seinen Vater bei dessen Berufsausübung als Chauffeur unterstützt zu haben (VP, 10.06.2021, S.9, BFA-Akt, AS. 363). Dass er in Kabul als Autofahrer unterwegs war zeigt auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer gemäß seinen eigenen gleichbleibenden Angaben zufolge der Lenker des am Verkehrsunfall beteiligten Autos war (VP S. 10).

Die Feststellungen zu seinem aktuell in Kabul lebenden Vater, seine telefonischen Kontakte zu ihm, zu der verstorbenen Mutter, seiner Berufstätigkeit und seinen Aufenthaltsorten ergeben sich anhand der eigenen, glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (BFA-Akt, AS.361, 365) und in der mündlichen Verhandlung (VP, 10.06.2021, S. 13). Die Feststellungen zum Haus in Kabul, das nach wie vor im Eigentum des Vaters steht, konnten unter Zugrundelegung der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA getroffen werden (BFA-Akt, AS. 7). Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers, deren Aufenthaltsorte und Berufe, ergeben sich anhand der konsistenten Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht (BFA-Akt, AS. 361, 365; VP S. 10, 12, 16).

Der Beschwerdeführer hat sowohl im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 07.11.2017 als auch in der mündlichen Verhandlung am 10.06.2021 keine Einwände gegen die Dolmetscher, jeweils bestellt für die Sprache Dari, erhoben. Die Verständigung mit dem Dolmetscher hat der Beschwerdeführer beide Male als gut bezeichnet (BFA-Akt, AS. 365, VP.S.4). Dass die Protokolle der niederschriftlichen Einvernahme und der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer jeweils – ohne dagegen Einwendungen zu erheben - unterschrieben wurden, ergibt sich anhand der vorliegenden Verhandlungsprotokolls und behördlichen Verwaltungsakts (BFA-Akt, AS. 375; VP.S.23).

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan gemäß den eigenen Angaben im Jahr 2014 Richtung Iran. Widersprüchlich gab er zum Aufenthalt im Iran zunächst an, ein Jahr dort geblieben zu sein, vor dem BFA gab er dann an, sich lediglich sieben Tage im Iran aufgehalten zu haben, weshalb nicht festgestellt werden kann, zu welchem Zeitpunkt er Afghanistan verlassen hat. Demgegenüber gab er stets gleichbleibend an, etwa acht Monate nach der Inhaftierung in Afghanistan in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall noch bei seiner Familie in Kabul gelebt zu haben. Dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Verkehrsunfall bzw. nach seiner Entlassung aus der Haft – etwa während seines acht monatigen Aufenthalts bei der Familie - persönlich konkret bedroht worden ist, wurde weder behauptet noch vorgebracht.

Der Feststellung, dass der Beschwerdeführer und seine Familie nicht der Blutrache bzw. einer Todfeindschaft aufgrund eines Verkehrsunfalls, in den der Beschwerdeführer verwickelt war, ausgesetzt sind, war unter Zugrundlegung der schlüssigen, nachvollziehbaren und glaubwürdigen gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen zu treffen, wonach Blutrache im konkreten Fall zwischen der Täter – und Opferfamilie nur im Falles des Tötung einer Person entstehen würde; dies war gegenständlich nicht der Fall, zumal auch der Beschwerdeführer selbst letztlich unter Vorhalt seiner widersprüchlichen Aussagen in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA angab, dass das Unfallopfer, ein Motorradfahrer, lediglich verletzt worden ist (VP. S. 16). Darüber hinaus hielt sich der Beschwerdeführer nach eigenen konsistenten Angaben noch etwa acht Monate im Haus der Familie in Kabul auf; er wurde dort weder persönlich bedroht, noch verfolgt noch seiner dort aufhältigen Familie ein Schaden zugefügt. Zudem wurden laut glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers mit der Opferfamilie Versöhnungsverhandlungen geführt, schon deshalb ist nicht vom Vorliegen einer Feindschaft zwischen diesen Familien auszugehen. Diese Annahme wird gestützt durch die schlüssigen gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen. Auch aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumenten ist nichts Gegenteiliges ersichtlich, vielmehr legte der länderkundige Sachverständige nachvollziehbar dar, dass außer zwei Stempel, die nicht leserlich sind, keine gerichtlichen Behördenstempel vorkommen, die für ihn oder den Dolmetscher eine eindeutige Aussage zulassen würden, dass es sich um originale gerichtliche Unterlagen handelt. Der Dolmetscher bestätigte nach Einschau in die betreffenden Unterlagen die Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen (VP.S. 20, 21).

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich basieren auf den im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen, den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA sowie im Rahmen der Beschwerde und der hiergerichtlich eingeholten Abfrage aus der Speicherdatenbank des Grundversorgungssystems-GVS.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen gründen auf dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, wo der Beschwerdeführer nur wenig verständlich auf die ihm gestellten Fragen antworten konnte (VP.S.16).

Der Beschwerdeführer gab selbst mehrmals an, dass er wenig lernte und lieber mit seinen Freunden zum Prater spazieren ging (BFA-Akt, AS. 367; VP, 10.06.2021, S.7).

Die mehrfache strafrechtliche Bescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft und den im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteilen. Die Feststellung zu dem Straferkenntnis vom 14.02.2016 konnte anhand des im Verwaltungsakt einliegenden Straferkenntnisses (BFA-Akt, AS. 159 f.) getroffen werden.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seit April 2018 keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich anhand der hiergerichtlich eingeholten Abfrage aus der Speicherdatenbank des Grundversorgungssystems GVS.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nachging, aber mehrere Monate während seiner Haftaufenthalte in der Werkstatt arbeiten durfte, basiert auf den glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung (VP.S.16).

Eine Vereinsmitgliedschaft des Beschwerdeführers hat sich weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch vor dem BVwG ergeben.

Das Bestehen eines Nahe- oder (auch finanziellen) Abhängigkeitsverhältnisses des Beschwerdeführers zu einer in Österreich aufhältigen Person wurde seitens des Beschwerdeführers weder vor der belangten Behörde noch vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptet.

Die Feststellung zu dem in Österreich aufhältigen Bruder des Beschwerdeführers, XXXX ergeben sich anhand der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und dem zu seinem Bruder geführten Verwaltungs- und Gerichtsakt (GZ W107 2177603-1). Die Neagtivfeststellung betreffend den Bruder XXXX gründet auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht von Dr. XXXX eingeholten Gutachten aus dem Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie vom 24.02.2021 und ihrem Ergänzungsgutachten vom 24.03.2021. Die Sachverständige legte – nach persönlicher Untersuchung und Befragung des Beschwerdeführers - schlüssig, nachvollziehbar und völlig glaubwürdig dar, dass die psychischen Auffälligkeiten des Beschwerdeführers auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung – ICD 10 61 mit emotional instabilen dissozialen Anteilen hindeuten und kommt nachvollziehbar zu dem Ergebnis dass der Beschwerdeführer an keiner psychiatrischen Erkrankung leidet, er an einer Beschwerdeverhandlung teilnehmen, einer Einvernahme uneingeschränkt folgen und alle Angelegenheiten seines Lebens selbständig, ohne Nachteil für sich selbst, erledigen kann. Ihre schlüssigen und ausführlichen gutachterlichen Ausführungen decken sich mit dem Gesamteindruck, den der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung hinterließ. So konnte der Beschwerdeführer der Befragung durch die erkennende Richterin ohne Probleme folgen, zeigte keine Verständnisprobleme und stellte auch von sich aus klare und zielgerichtete Fragen. Er legte stets eine flüssige und sprachlich korrekte Ausdrucksweise an den Tag und war – bis auf kurze Momente, die vermutlich eher auf die Hitze im Verhandlungssaal zurückzuführen war - durchgehend in der Lage, auf die ihm gestellten Fragen klar und schlüssig zu antworten. Auch sonst ergaben sich keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer psychisch nicht in der Lage wäre, der Verhandlung zu folgen. Entsprechend den gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen begleitet den Beschwerdeführer die psychische Störung, die keine psychiatrische Erkrankung im engeren Sinn darstellt, ein Leben lang, wobei das Einsetzen der Störung bereits im Herkunftsland des Beschwerdeführers erfolgte. Die Begutachtung des Beschwerdeführers am 20.03.2018 (Befund vom 27.03.2018) hat nach den schlüssigen gutachterlichen Ausführungen keine Symptome ergeben, welche das Vorliegen einer rezidivierenden Depression begründen und besteht mit dem Sachverständigengutachten kein Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer psychiatrisch relevanten Störung nicht im Stande ist, die Angelegenheiten des Alltags zu bewältigen. Befund und Gutachten der beauftragten Sachverständigen vom 24.02.2021 haben glaubhaft und schlüssig dargelegt ergeben, dass beim Beschwerdeführer weder eine posttraumatische Belastungsstörung gegeben ist noch eine rezidivierende Depression vorliegt und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat die psychischen Auffälligkeiten des Beschwerdeführers nicht verstärken und die Fähigkeit zu arbeiten bzw. einer Beschäftigung nachzugehen nicht beeinflussen wird. Bringt der Beschwerdeführer, vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsberater, in der Stellungnahme vom 19.03.2021 mit dem Hinweis auf den Befund vom 27.03.2018 vor, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und nicht an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung ICD 10 61, konnten auch diesen Ausführungen im Rahmen des Ergänzungsgutachtens vom 24.03.2021 schlüssig und nachvollziehbar entgegen getreten werden, wonach sich anhand der Begutachtung des Beschwerdeführers am 20.03.2018 keine Symptome ergeben haben, die eine rezidivierenden Depression begründen würden.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde im Laufe des Verfahrens mehrmals niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Er hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen. Er wurde mehrmals zur detaillierten Schilderung aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA geht hervor, dass die belangte Behörde Rückfragen tätigte und dem Beschwerdeführer mehrmals Gelegenheit gab, sein Vorbringen zu konkretisieren. Er wurde mehrmals zur detaillierten Schilderung aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Die erkennende Richterin konnte im Zuge der mündlichen Verhandlung zudem einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers gewinnen.

Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, eine Verfolgung seiner Person aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) glaubhaft zu machen.

Dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, er werde wegen eines Verkehrsunfalls und einer – wegen der Tötung des Unfallgegners - begründeten Blutrache bzw. Todesfeindschaft von der Familie des Unfallopfers bedroht, kann nicht gefolgt werden. Seine Angaben sind weder lebensnah, noch entsprechen sie der afghanischen Realität. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers und den glaubwürdigen und schlüssigen gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen ist dem Beschwerdeführer dies aus den folgenden Gründen nicht gelungen:

Zunächst fällt auf, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Verletzungsschwere des Opfers machte: Im Rahmen der Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer noch explizit vor, er habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Mann gestorben sei (BFA-Akt, AS 11). Gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde dann jedoch an, er müsse im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufpassen, da die in den Verkehrsunfall involvierte Person Invalide geworden sei, diese Person auch Brüder habe und ihm selbst etwas passieren könne (BFA-Akt, AS. 371), so stehen diese Ausführungen in klarem Widerspruch zu seinen Angaben aus der Erstbefragung. Bereits diese widersprüchlichen Angaben erweckten den Anschein der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens. Verweist die Beschwerde darauf, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme in Untersuchungshaft befunden habe und dadurch unter enormen Stress gestanden sei, ist nicht ersichtlich, inwiefern dies einen derartig gravierenden Widerspruch rechtfertigen kann. Auch die in der mündlichen Verhandlung behaupteten Verständigungsprobleme mit den Dolmetschern sind jedenfalls nicht geeignet den aufgezeigten Widerspruch zu relativieren, zumal der Beschwerdeführer sowohl im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 07.11.2017 als auch in der mündlichen Verhandlung am 10.06.2021 keine Einwände gegen den jeweils anwesenden Dolmetscher erhoben hat, die Verständigung mit dem Dolmetscher beide Male als „gut“ bezeichnet wurde und das Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vom Beschwerdeführer nach Rückübersetzung unterschrieben hat.

Zudem verneinte der Beschwerdeführer selbst ausdrücklich aufgrund des behaupteten Vorfalls eine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat befürchten zu müssen: Vor der belangten Behörde gab er nämlich selbst an, er habe Afghanistan schon immer, als er noch ein Kind gewesen sei, verlassen wollen. In Afghanistan habe er zwar einen Autounfall verursacht, große Schwierigkeiten habe er jedoch nicht gehabt. Wie alle Leute in seinem Alter habe er Afghanistan verlassen wollen und sei gerne nach Europa gegangen. Der Beschwerdeführer legte anschließend dar, er habe einfach keine Lust gehabt in Kabul zu leben und wäre gerne bereits als Minderjähriger gekommen, da er in diesem Fall eine Schule hätte besuchen können. Seine Brüder hätten ihm gesagt, als Minderjähriger habe er hier viele Möglichkeiten. Auch auf erneute Nachfrage, weshalb er sein Herkunftsland verlassen habe, führte der Beschwerdeführer lapidar aus, er habe die europäischen Länder gerne gehabt, wobei ihm Deutschland gut gefallen hätte (BFA-Akt, AS. 369). In weiterer Folge verneinte der Beschwerdeführer explizit, jemals aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt worden zu sein und gab an, er sei noch nie konkret bedroht worden bzw. falls doch, wisse er davon nicht.

Mit diesen Ausführungen verneinte der Beschwerdeführer vor dem BFA eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat und gab unzweifelhaft zu erkennen, dass er aus rein persönlichen Gründen nach Europa gereist ist.

Schließlich konnte auch der länderkundige Sachverständige in der mündlichen Verhandlung schlüssig darlegen, dass Streitigkeiten aufgrund eines Verkehrsunfalls in Afghanistan nicht unüblich seien, derartige Probleme vielmehr ständig vorkommen und grundsätzlich eine zivile Lösung in solchen Fällen angestrebt werde. Die beiden Parteien und ihre Familien bzw. die Dorfältesten würden sich zusammensetzen und versuchen, zu einer Einigung zu kommen. Wer der Schuldige am Unfall ist, so der Sachverständige nachvollziehbar, hat die Behandlungskosten und weitere Schäden, die dem Opfer verursacht wurden, zu übernehmen. Ist eine Strafe zu verbüßen, was vorkommen kann, wird der Verursacher nach deren Verbüßung freigelassen, „ohne dass er weitere Nachteile zu befürchten hat.“

Diesen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen folgend, ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer im Falle einer tatsächlichen Verfolgung noch acht Monate in Kabul leben könnte, ohne jemals von der Familie des Unfallopfers bedroht worden zu sein. Ebenso wenig erschließt sich dem erkennenden Gericht, wie es im Falle einer bestehenden Blutfehde jedenfalls mehreren Mitgliedern der Kernfamilie (Vater, zumindest zwei Schwestern) möglich sein sollte, völlig unbehelligt in Kabul zu leben.

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen und der gutachterlichen Stellungnahme des länderkundigen Sachverständigen ist klar ersichtlich, dass weder der Beschwerdeführer noch Angehörige seiner – engeren und erweiterten - Familie aufgrund einer Blutfehde oder Todesfeindschaft in Afghanistan verfolgt werden. Vielmehr war den früheren Angaben des Beschwerdeführers, wonach er einfach keine Lust gehabt habe in Kabul zu leben, zu folgen.

Selbst im Falle einer Wahrunterstellung der behaupteten Blutfehde ist jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen, dass die Angehörigen des Unfallopfers den Beschwerdeführer nach mehrjähriger Abwesenheit aus Afghanistan - insbesondere in Großstädten wie Herat oder Mazar-e Sharif, auf die der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr zu verweisen wäre - ausfindig machen könnten bzw. dies überhaupt würden. Diesbezüglich ist auch erneut darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer selbst glaubhaft angab, in Afghanistan nie konkret bedroht worden zu sein (BFA-Akt, AS. 369). Schließlich ist auch in Erinnerung zu rufen, dass eine Verfolgungsgefahr nur dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/011; 28.05.2009, 2008/19/1031).

Nach gesamtheitlicher Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks und der gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen kommt das erkennende Gericht somit zu dem Schluss, dass das vom Beschwerdeführer behauptete fluchtauslösenden Ereignis nicht plausibel und unglaubwürdig ist.

Zu den gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen:

Entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur ist die Aufgabe eines Gutachters darin zu sehen, dem entscheidenden Gericht bzw. Behörde auf Grund besonderer Fachkenntnisse die Entscheidungsgrundlage im Rahmen des maßgebenden Sachverhalts zu liefern. Die Mitwirkung bei der Feststellung dieses entscheidungsrelevanten Sachverhalts durch den Sachverständigen besteht darin, dass er Tatsachen erhebt und aus diesen Tatsachen auf Grund besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen zieht (Gutachten). Der Sachverständige hat somit Tatsachen klarzustellen und auf Grund seiner Sachkenntnis deren allfällige Ursachen oder Wirkungen festzustellen, muss aber immer im Bereich der Tatsachen bleiben und darf nicht Rechtsfragen lösen.

Sachverständigengutachten sind wie jedes andere Beweismittel der freien Beweiswürdigung zugänglich. Auf Grund der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten herrschenden Offizialmaxime hat das Verwaltungsgericht den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Es hat iSd in § 17 VwGVG 2014 verwiesenen § 39 AVG in der Regel einen Sachverständigen beizuziehen, wenn ihm dies notwendig erscheint. Bei dem Gutachten eines Sachverständigen iSd § 52 AVG handelt es sich um ein Beweismittel, das gemäß § 17 VwGVG 2014 iVm § 45 Abs. 2 AVG der freien Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht unterliegt (vgl. E 15. Mai 2012, 2009/05/0048; E 7. November 2013, 2010/06/0255, deren Aussagen auch auf die Sachverhaltsermittlung und -feststellung durch VwG zu übertragen sind). Aus dem Vorgesagten folgt daher, dass die Frage, ob ein Verwaltungsgericht einem Sachverständigengutachten folgt oder nicht, eine Frage der Beweiswürdigung und keinesfalls eine Frage der rechtlichen Beurteilung ist (vgl. VwGH vom 28.06.2017, Ra 2016/09/0091 mit Verweis auf VwGH 14. 01. 1993, 92/09/0201 bis 0203).

An der Richtigkeit der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, welcher aufgrund seiner profunden Sachkenntnis bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen wurde und schon in früheren Verfahren im Auftrag des Unabhängigen Bundesasylsenates, des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur Lage in Afghanistan erstattet hat, in regelmäßigen Abständen die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers erkundet und bestens mit den Sitten und Bräuchen in Afghanistan vertraut ist, sind keine Zweifel entstanden. Zudem hatte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, Fragen zu stellen, auf welche vom Sachverständigen ausführlich eingegangen und diese beantwortet wurden.

Einem schlüssigen Sachverständigengutachten kann mit bloßen Behauptungen, ohne Argumentation auf gleicher fachlicher Ebene, in tauglicher Art und Weise nicht entgegengetreten werden. Ein von einem tauglichen Sachverständigen erstelltes, mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch stehendes Gutachten kann in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden (vgl. die in Walter/Thienel I [2. Auflage] unter E 238 und E 245 zu § 52 AVG zitierte Judikatur; VwGH 15.10.2020, Ro 2019/04/0021).

Aufgrund der obigen Ausführungen war dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers unter den obigen Gesichtspunkten ist somit nicht zu gewärtigen. Andere Anhaltspunkte, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen, haben sich im gesamten Verfahren ebenfalls nicht ergeben.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf objektives, in das Verfahren eingebrachtes Berichtsmaterial. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Diese Berichte sind aktuell und setzen sich aus Informationen aus regierungsoffiziellen und nichtregierungsoffiziellen Quellen zusammen.

Dass sich seit Durchführung der mündlichen Verhandlung im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers allgemein und insbesondere für den hier zu beurteilenden Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann verneint werden, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einsicht in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner jeweils aktuellen Fassung) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Beschwerdegegenstand ist der Bescheid des BFA vom 05.01.2018. Die dagegen erhobene Beschwerde erweist sich als rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu Spruchpunkt A) Abweisung der Beschwerde:

Die Beschwerde ist aber nicht begründet:

3.2.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Hierzu ist Folgendes auszuführen:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder, wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist ein Flüchtling, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Die „Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

So entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Verfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Grundsätzlich obliegt es somit dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, Zl. 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (Vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, m.w.N.).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen wurde vom Beschwerdeführer nicht ausreichend dargelegt. Es ist dem Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht gelungen, eine wohlbegründete, aktuelle und damit asylrelevante Verfolgungsgefahr innerhalb des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK entsprechend glaubhaft zu machen.

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). So kommt es aber nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers, nicht aber auf die allgemeinen politischen Verhältnisse an. Es bestehen keine ausreichenden Hinweise dafür, dass sich aus der allgemeinen Situation allein etwas für den Beschwerdeführer gewinnen ließe, zumal keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen, dass der Beschwerdeführer schon allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu fürchten habe.

Andere Anhaltspunkte, die eine mögliche, individuelle, Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen.

Den Länderberichten ist zudem zu entnehmen, dass die allgemeine Lage in Afghanistan nicht dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.

Es ist daher im vorliegenden Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aus in der GFK genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) Eingriffen von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre (vgl. auch BVwG 21.12.2015, W159 2001900-1/11E).

Damit ist die gegenständliche Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) abzuweisen.

3.2.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Wird ein Asylantrag „in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten“ abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“.

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann.

Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre. Zu prüfen bleibt somit, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur EMRK verletzt würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Unter „realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen (siehe VwGH 30.5.2001, 97/21/0560).

Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, welche dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die persönliche Situation des Beschwerdeführers (Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit und Arbeitserfahrung, Schulbildung, im Herkunftsstaat ausgeübte Tätigkeiten, Vorhandensein familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, allgemeine Sicherheitslage und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat sowie Erreichbarkeit des Herkunftsstaats bzw. Herkunftsort) ist im Allgemeinen – wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde – nicht revisibel (VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0323 mHa VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039 mwN).

Es bedarf somit einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mit Verweis auf VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, und 8.9.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewalt-aktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137).

Die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (im Folgenden: UNHCR-RL vom 30.08.2018), welchen Indizienwirkung zukommt (vgl. VwGH 16.07.2013, 2003/01/0059), halten zum subsidiären Schutz fest, dass afghanische Asylsuchende im Einzelfall subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. b der Status-richtlinie bedürfen, „wenn sie der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des Artikel 15 (Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) durch den Staat oder seine Vertreter oder durch regierungs-feindliche Kräfte (AGEs) ausgesetzt sind“.

Auch unter diesen Voraussetzungen ist aber bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach wie vor eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 21.2.2017, Ra 2016/18/0137).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind:

Wie den Länderberichten zu entnehmen ist, stellt sich die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers ( XXXX ) als zunehmend instabil dar. Vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen (vgl. Punkt I.3.) kann die Heimatprovinz des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt nicht zu den "sicheren" Provinzen Afghanistans gezählt werden und wäre dem Beschwerdeführer daher eine Rückführung in seine Heimatprovinz - auch vor dem Hintergrund der unzulänglichen Informationslage betreffend die Erreichbarkeit der Provinz Panjir unter sicherheitsbezogenen Aspekten - im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls erschwert oder sogar verunmöglicht.

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 8 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 2005.

Neben der Prüfung, ob in dem betreffenden Gebiet Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen, setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der „Zumutbarkeit“ nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; vgl. auch jüngst VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslands verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein „relativ normales Leben“ ohne unangemessene Härte führen kann. Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

Es muss dem Beschwerdeführer möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

Die belangte Behörde bejahte aufgrund der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den ins Verfahren vor der belangten Behörde eingebrachten Länderberichten das Vorliegen einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Schutzalternative in der Provinz Kabul und verneinte in weiterer Folge das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Dies erfolgte jedoch nicht zu Recht:

Hierzu ist eingangs festzuhalten, dass eine innerstaatliche Schutzalternative in der Provinz Kabul gemäß den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, welche nach der jüngsten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unmittelbar einschlägig sind (vgl. VfGH 30.11.2018, E3870/2018, mwN) und welchen auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist (vgl. VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mit Verweis auf VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN), angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul derzeit grundsätzlich nicht verfügbar ist (so auch VfGH 30.11.2018, E 3870/2018).

Der Beschwerdeführer kann jedoch – vor dem Hintergrund der o.a. höchstgerichtlichen Judikatur sowie unter Berücksichtigung der aktuellsten Länderberichte, der vom Beschwerdeführer dargelegten persönlichen Lebensumstände und der von UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 sowie der von EASO in seiner aktuellen Country Guidance-Note aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, insbesondere in Mazar-e Sharif aber auch in Herat, verwiesen werden:

Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan erscheint eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Zudem hielt der VwGH auch in seiner jüngeren Rechtsprechung fest, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 mwN).

Zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif, das in der Provinz Balkh liegt, ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass Balkh zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans zählt, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen auch weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Obwohl es auch dort zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte kommt, gehört die Provinz gesamthaft betrachtet, auch im Lichte der in den Länderberichten verzeichneten Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle dennoch zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans. Auch die Provinz Herat zählt den Länderberichten nach zu den relativ friedlichen und entwickelten Provinzen Afghanistans, auch wenn Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv sind. Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Die lokale Sicherheitslage in Mazar-e Sharif und Herat-Stadt stellt zum Entscheidungszeitpunkt demnach kein Hindernis einer Rückkehr des Beschwerdeführers dar.

Sowohl Herat als auch Mazar-e Sharif sind prinzipiell von Kabul aus erreichbar, dieser Weg ist auch hinreichend sicher. Zudem verfügen beide Provinzen über internationale Flughäfen und sind daher auch über den Luftweg via Kabul zu erreichen, was vor allem die sichere Erreichbarkeit der Städte für den Fall der Unpassierbarkeit der Straßen während der Wintermonate gewährleistet.

Nach der Rechtsprechung des EGMR ist Voraussetzung einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Lichte von Art. 3 EMRK, dass der Betroffene nicht nur sicher in das angesprochene Gebiet reisen und sich dort sicher aufhalten kann, sondern auch, dass er dort „aufgenommen wird und sich niederlassen kann“ („the person to be expelled must be able to travel to the area concerned, gain admittance and settle there, failing which an issue under Article 3 may arise“ so wörtlich der EGMR im Urteil vom 29.06.2011, Sufi u Elmi gg Vereinigtes Königreich, Beschw Nr 8319/07 und 11.449/07, § 266), ohne dass er in eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare Lage gerät.

Nach der Rechtsprechung des VwGH fordert das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461). Das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK fordert somit für die Verletzung dieser Norm das Vorhandensein „einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen" (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung in Afghanistan häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der durchschnittlichen afghanischen Bevölkerung in Mazar-e Sharif und Herat dennoch zumindest grundlegend gesichert. Balkh ist als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten bekannt. Balkh bzw die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum und Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Auch bei Herat handelt es sich um eine vergleichsweise entwickelte Provinz Afghanistans. Die Wirtschaft in Herat bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt.

Die wirtschaftliche Situation in Afghanistan insgesamt und insbesondere in Mazar-e Sharif sowie Herat erreicht jedenfalls nicht das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Zwar gab es von Dezember 2017 bis Februar 2018 in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit und gilt die Ernährungslage für viele Haushalte weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft. Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen jedoch wieder verbessert. Auch wenn aus den Länderberichten weiter hervorgeht, dass insbesondere Teile in den Provinzen Balkh und Herat von Überschwemmungen im Frühjahr 2019 betroffen waren, ist der aktuellen Quellenlage jedoch nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung (mit Nahrungsmittel und Trinkwasser) in Mazar-e Sharif oder Herat generell nicht mehr gewährleistet oder das Gesundheitsversorgungssystem zusammengebrochen wäre. Die Versorgung des Beschwerdeführers ist somit sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat-Stadt jedenfalls grundlegend gewährleistet.

Gemäß den Ausführungen von EASO und UNHCR ist weiter auf die individuellen Umstände im Einzelfall abzustellen; hierbei sind insbesondere Herkunft, Alter, Gesundheit, Familie und wirtschaftliche Fortkommensmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen kann nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443):

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen Mann im erwerbsfähigen Alter, der in Afghanistan geboren und aufgewachsen ist sowie eine der Landessprachen Afghanistans muttersprachlich spricht. Wie den Feststellungen und der korrespondierenden Beweiswürdigung zu entnehmen ist, stellt auch sein Gesundheitszustand kein Hindernis für eine Rückkehr in den Herkunftsstaat dar oder beeinträchtigt seine Arbeitsfähigkeit. Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Volljährigkeit in den Provinzen Panjir und Kabul im Verband seiner afghanischen Familie gelebt und seine Sozialisierung innerhalb des afghanischen Kulturkreises erfahren. Er ist daher mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes bestens vertraut. Der Beschwerdeführer ging in Kabul sieben Jahre lang in die Schule, kann in Dari lesen und schreiben und konnte in Afghanistan Berufserfahrungen als Taxifahrer bzw. Chauffeur für seinen Vater sammeln. Auch in Österreich war es ihm möglich, während eines Haftaufenthaltes sieben Monate lang in der dortigen Werkstatt zu arbeiten. Zudem ist von einer maßgeblichen Selbständigkeit des Beschwerdeführers auszugehen, zumal es ihm auch möglich war, gemeinsam mit seinen beiden Brüdern teilweise ohne die Hilfe eines Schleppers von Griechenland bis nach Österreich zu reisen. Auch beruflich ist die Selbständigkeit sein beabsichtigtes Ziel im Falle einer positiven Entscheidung. Es gilt außerdem zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt: Im Entscheidungszeitpunkt leben seinen glaubhaften Angaben zufolge jedenfalls sein Vater, mit dem er telefonischen Kontakt hat, sowie die drei Schwestern in Kabul. Außerdem besitzt der Vater dort ein Haus und ein Grundstück. Zudem gehört der Beschwerdeführer auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Es ist daher vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, in den genannten Regionen ein Leben zu führen, wie es auch andere Landsleute führen. Nicht zuletzt ist auch auf den Zusammenhalt innerhalb der Volksgruppe des Beschwerdeführers zu verweisen. Er stammt aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird.

Vor diesem Hintergrund ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er im Stande sein wird, sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif selbstständig für ein ausreichendes Auskommen zu sorgen. Er kann dort an seine bisherige und in Österreich erworbene Berufserfahrung anknüpfen oder sich jedenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.

Wie bereits dargelegt, ist es dem Beschwerdeführer nicht möglich, in seine Heimatprovinz XXXX zurückzukehren. Der Beschwerdeführer kann jedoch aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände festgestellter Maßen auch auf eine andere Region des Landes – nämlich in die Stadt Mazar-e Sharif oder Herat – verwiesen werden. Der Rückreiseweg in diese Städte ist festgestellter Maßen sicher über deren internationalen Flughafen möglich und finanziell abgesichert, zumal gemäß § 52a BFA-VG iVm § 12 Abs. 2 GVG-B 2005 die Rückkehrhilfe jedenfalls die notwendigen Kosten der Rückreise umfasst. Zusätzlich stehen dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr diverse Hilfsprogramme (ERIN, RESTART II, „Post Arrival Assistance") zur Verfügung.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation von Rückkehrern nicht, dass sich insbesondere die Arbeitssuche und die Wohnraumbeschaffung in Mazar-e Sharif oder Herat zunehmend schwierig gestalten.

Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Der Beschwerdeführer hat, wie aus den Feststellungen ersichtlich, den Großteil seines bisherigen Lebens in Afghanistan verbracht, ist jung, nicht lebensbedrohlich krank, mobil, arbeitsfähig und –willig, verfügt über eine siebenjährige Schulbildung und Berufserfahrungen als Chauffeur bzw. Taxifahrer. Er spricht zumindest eine der Landessprachen, kann in Dari lesen und schreiben und ist – wie bereits festgestellt - mit der afghanischen Kultur und den Gepflogenheiten vertraut.

In Zusammenschau mit der höchstgerichtlichen Judikatur und dem Erfordernis der Prüfung jedes konkreten Einzelfalles (VfGH 09.06.2020, E3393/2019; VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405), den der gegenständlichen Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen und den aktuellen UNHCR Richtlinien von 30.08.2018 ergeben sich auch rechtlich keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im konkreten Fall eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif oder Herat als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zugemutet werden kann.

Im Übrigen lässt der Umstand, dass es neben dem Beschwerdeführer auch seinen vier Brüdern möglich war, nach Europa zu reisen, auf ausreichende finanzielle Mittel der Familie bzw. auf die Möglichkeit einer zumindest anfänglichen finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine erweiterten Angehörigen schließen. Zudem steht das Haus und Grundstück in Kabul nach wie vor im Eigentum des Vaters. Überdies unterstützt der in Norwegen lebende Bruder XXXX den gemeinsamen Vater regelmäßig Geld. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es nicht auch möglich sein sollte, dass der Beschwerdeführer – zumindest vorübergehend – finanziell von seinen Brüdern unterstützt werden sollte. Letztlich ist auch auf den Zusammenhalt innerhalb der Volksgruppe des Beschwerdeführers zu verweisen. Er stammt aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Der Beschwerdeführer gehört auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Es ist daher unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen anzunehmen, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, in den genannten Regionen ein Leben zu führen, wie es auch andere Landsleute führen. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass im hier vorliegenden Fall der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Für den Fall mangelnder familiärer oder sozialer Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Herat oder Mazar-e Sharif ist auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verwiesen: Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, gehen weder EASO noch UNHCR von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen (sogar) alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der – auch zu dieser Berichtslage ergangenen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241-13; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, Rn 40 ff, mwN; 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, Rn. 15).

In diesem Zusammenhang gilt es wiederholt festzuhalten, dass selbst fehlende Schul- und Berufsausbildung bzw. -erfahrungen, drohende Arbeitslosigkeit und nicht ausreichende Kenntnisse über die örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu begründen vermögen. Insgesamt stellen Probleme hinsichtlich Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht keine exzeptionellen Umstände dar (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036; 23.03.2017, Ra 2016/20/0188;10.03.2017, Ra 2017/18/0064; 25.04.2017, Ra 2017/01/2016).

Außerdem kann der Beschwerdeführer Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen kann. In diesem Zusammenhang sind diverse Unterstützungsprogramme zu beachten, die sowohl von der afghanischen Regierung als auch internationalen Organisationen angeboten werden: So bietet insbesondere IOM Unterstützung bei der Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Mit 01.01.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Reintegrationsprojekt, RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich RückkehrerInnen aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information – in Österreich sowie in Afghanistan – sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant. Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen). Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Security Controle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal (BMI Stand 23.1.2020). Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-MitarbeiterInnen in Empfang genommen. IOM Mitarbeiter können Rückkehrer/innen direkt nach Verlassens des Flugzeuges empfangen und sie bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützen.

Weiters hat IOM mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA – Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.).

Der Beschwerdeführer kann – wie bereits ausgeführt - auch in Herat oder Mazar-e-Sharif mit finanzieller Unterstützung durch seine in Afghanistan und in Europa lebenden Familienangehörigen rechnen. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen des Beschwerdeführers außer Stande setzen sollte, ihn finanziell zu unterstützen. Der Beschwerdeführer verfügt daher in Herat oder Mazar-e-Sharif über genügend Rückhalt in Form von finanzieller Unterstützung durch seine (erweiterte) Familie sowie durch den Verkauf des Familienhauses und/oder Grundstücks.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in Mazar-e-Sharif oder Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, selbst wenn dadurch eine schwierige Lebenssituation des Beschwerdeführers aufgezeigt wird (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0157; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 jeweils mwN). Auch ist nicht zwingend ein familiärer oder sozialer Anschluss nötig (vgl. VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0236). Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in Mazar-e-Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist, da dort eine den afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Eine innerstaatliche Fluchtalternative hat auch bereits das BFA im angefochtenen Bescheid für den Beschwerdeführer festgestellt.

Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er – anders als der Beschwerdeführer – nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat (vgl. VfGH 12.12.2017, E2068/2017).

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum, -oder Arbeitsplatzsuche, nach der Judikatur des VwGH explizit nicht ausreicht, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens - wie oben bereits dargestellt - wird davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer weder aus „wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" aus einem der in der GFK angeführten Asylgründe Afghanistan verlassen hat, noch, dass er im Falle seiner Rückkehr einer „realen Gefahr" iSd Art 2 oder Art 3 EMRK ausgesetzt wäre, die die Gewährung subsidiären Schutz notwendig machen würde.

Denn auch unabhängig vom individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers sind keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ihm im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (z.B. Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v. United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 133699/03).

Unter Berücksichtigung der dargelegten allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und der aufgezeigten persönlichen Umstände des Einzelfalls des Beschwerdeführers erscheint es insgesamt möglich, dass der Beschwerdeführer sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif Fuß fasst und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen.

Auch eine drohende Verletzung seiner Rechte unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Überlegungen, etwa in dem Sinn, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Zurückführung nach Herat oder Mazar-e Sharif in eine ausweglose Situation geriete, kann vor dem Hintergrund des Beschwerdesachverhalts nicht bejaht werden.

Der Beschwerdeführer hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). An dieser Einschätzung ändern auch die in der Beschwerde bzw. Stellungnahme zitierten Berichte und Judikate nichts.

Auch nach Ansicht des EGMR ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR Urteil Husseini v. Sweden vom 13.10.2011, Beschwerdenummer 10611/09, Ziffer 84 sowie das rezente Erkenntnis des EGMR, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoße würde: EGMR AGR/Niederlande, 12.01.2016, 13.442/08 und das dementsprechende rezente Erkenntnis des VwGH vom 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7, sowie jüngst EGMR 11.07.2017, E.P. und A.R. gg. Niederlande, Nr. 43538/11 und 63104/11). Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage erscheint damit eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional - sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedlichen - Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass es keine begründeten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr.13 zur Konvention bedeuten würde.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.2.3. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit Mai 2015 im österreichischen Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies auch weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der belangten Behörde, wonach keine der oben genannten Gründe auf den Beschwerdeführer zutreffen und diesem keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen war.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.2.4. Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG 2005 lautet wie folgt:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Der Begriff des „Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Gemäß Artikel 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.01.2006, 2002/20/0423, vom 08.06.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9).

In Österreich ist der jüngere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX (W107 2177603-1) aufhältig. Seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich mit seinem Bruder zu keinem Zeitpunkt in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Ein spezielles Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis, welches im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine ausreichende Beziehungsintensität, die über die übliche Bindung zwischen zwei (volljährigen) Brüdern hinausgehen würde, wurde weder behauptet noch auf sonstige Weise dargelegt. Es ist auch sonst keine ausreichend intensive Beziehung zu einer ihm besonders nahestehenden Person oder ein Abhängigkeitsverhältnis jeglicher Art zu einer in Österreich aufhältigen Person hervorgekommen.

Es ist daher nicht davon auszugehen, dass ein schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt. Eine Rückkehrentscheidung greift daher nicht in ein in Österreich bestehendes Familienleben des Beschwerdeführers ein.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und Verfassungsgerichtshofs auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen. Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005, S. 282ff).

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Für den Aspekt des schützenswerten Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle. Der VwGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246; VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058-8, jeweils mwN).

Im vorliegenden Fall lebt der Beschwerdeführer seit Mai 2015 im österreichischen Bundesgebiet. Die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich beläuft sich somit auf etwas mehr als sechs Jahre, wenngleich festzuhalten ist, dass die Aufenthaltsdauer nur eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach, zuletzt mit Erkenntnis vom 31.03.2020, Ra 2019/14/0356, darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

Wie sich aus den Feststellungen und der korrespondierenden Beweiswürdigung ergibt, sind eine intensive Bindung an den Aufenthaltsstaat und eine umfassende Teilnahme am sozialen Leben in Österreich im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthalts in Österreich kaum Deutschkurse und gab in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde selbst an, er habe zwar Kurse besucht, jedoch wenig gelernt und sei mit seinen afghanischen Freunden lieber zum Prater spazieren gegangen. Es wurden weder eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Sprachkurs, noch Sprachzertifikate über bestandene Deutschprüfungen vorgelegt. Zudem konnte sich die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugen, dass der Beschwerdeführer kaum Deutsch spricht. Der Beschwerdeführer ging in Österreich auch nie einer Erwerbstätigkeit nach und bezieht seit April 2018 keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er engagierte sich zu keinem Zeitpunkt ehrenamtlich, ist nicht Mitglied in einem Verein oder zeigte sonstige Bemühungen, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Vielmehr wurde der Beschwerdeführer in Österreich bereits fünf Mal strafgerichtlich – auch zu längeren unbedingten Freiheitstrafen - verurteilt, wobei diese Verurteilungen jedenfalls zu Lasten des Fremden ins Gewicht fallen (VwGH 27.02.2007, 2006/21/0164, mwN). Überdies wurde gegen den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 14.02.2016 ein zu zahlender Gesamtbetrag in Höhe von EUR XXXX verhängt, weil er ungerechtfertigt die öffentliche Ordnung gestört, sich gegenüber Sicherheitsmitarbeitern einer Veranstaltung aggressiv verhalten, gegen eine Wegweisung seiner Person verstoßen und in weiterer Folge erneut den öffentlichen Anstand verletzt und sich aggressiv gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht verhalten hat. Der Beschwerdeführer legte auch keine einzige Bestätigung über den Besuch eines integrativen Kurses oder Workshops vor, sondern gab auf die Frage, was er vor seiner Inhaftierung in Österreich den ganzen Tag gemacht habe lapidar an, er habe eigentlich nichts gemacht und den ganzen Tag ferngesehen oder mit dem Handy gespielt, da jeder wisse, dass man im Asylverfahren nichts tue (VP, 10.06.2021, S.7). Abgesehen von dem derzeit in Österreich aufhältigen Bruder, sind im Verfahren auch keine sozialen Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers hervorgekommen. In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer lediglich dar, dass er von Vorarlberg wieder nach Wien gebracht worden sei, da er mehr Kontakt zu Afghanen und Menschen aus anderen Ländern haben wollte (VP, 10.06.2021, S.6).

Insgesamt ist somit nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet derart verwurzelt wäre bzw. er in seiner Heimat derart entwurzelt wäre, dass ihm eine Rückkehr in seine Heimat auch vor dem Hintergrund der dort herrschenden schwierigen Verhältnisse nicht mehr zugemutet werden könnte. Der Großteil der (erweiterten) Familienangehörigen des Beschwerdeführers halten sich in Afghanistan auf, auch Teile seiner Kernfamilie – zumindest sein Vater und zwei Schwestern – leben aktuell in Kabul. In Österreich ist hingegen nur der jüngere Bruder des Beschwerdeführers aufhältig, wobei seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt wurde.

Der Beschwerdeführer verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 in Afghanistan, wuchs im Verband seiner afghanischen Familie auf, erhielt dort seine Schulbildung und konnte in Kabul Berufserfahrungen als Taxifahrer bzw. Chauffeur sammeln. Er spricht eine der Landessprachen Afghanistans muttersprachlich und hat seine Sozialisierung in Afghanistan erfahren, sodass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände jedenfalls von einer stärkeren Bindung zu Afghanistan als zu Österreich auszugehen ist.

Es wird in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, teilweise Integrationsschritte gesetzt hat, wodurch jedoch keine relevante außergewöhnliche Integration herauszulesen ist.

Insgesamt kann somit im Hinblick auf die Zeitspanne, in der sich der Beschwerdeführer bereits in Österreich aufhält – selbst unter Miteinbeziehung der eben erläuterten integrativen Merkmale – eine von Art. 8 EMRK geschützte „Aufenthaltsverfestigung" nicht angenommen werden.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die - hier bei weitem nicht vorhandenen - Umstände, dass ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, 2008/18/0720 sowie 25.02.2010, 2010/18/0029). Schließlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer eine verhältnismäßig kurze Zeit im Bundesgebiet aufhältig ist, wogegen er den größten Teil seines Lebens in seiner Heimat verbracht hat, sodass nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet derart verwurzelt wäre bzw. er in seiner Heimat derart entwurzelt wäre, dass ihm eine Rückkehr in seine Heimat auch vor dem Hintergrund der dort herrschenden schwierigen Verhältnisse nicht mehr zugemutet werden könnte. Zudem leben nach wie vor zumindest sein Vater, zwei Schwestern, ein Schwager sowie Onkel in Afghanistan, während in Österreich lediglich der Bruder des Beschwerdeführers wohnt, seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

Dem Umstand, dass der Beschwerdeführer allfällige integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt hat, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, ist maßgebliche Beachtung zu schenken (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289, VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0212; 18.09.2019, Ra 2019/18/0189; 10.04.2019, Ra 2019/18/0058; 10.4.2019, Ra 2019/18/0049; 05.06.2019, Ra 2019/18/0078; 02.09.2019, Ra 2019/01/0088; 27.06.2019, Ra 2019/14/0142).

Ebenso misst der VfGH in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013). Der Beschwerdeführer verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren. Die Dauer dieses Asylverfahrens übersteigt nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008; 19.752/2013).

Das Bundesverwaltungsgericht vermag somit keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat erkennen. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig (vgl. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0142; 18.03.2010, 2010/22/0023).

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist somit davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK rechtfertigen würden.

Auch die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ bzw. „Aufenthaltsberechtigung“ scheitert angesichts der aufgezeigten Interessensabwägung im Sinne des § 9 Abs. 2 BFA-VG an den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

3.2.5. Zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen bestimmten Staat zulässig ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. Protokoll zur Konvention verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint.

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint.

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den tragenden Gründen des gegenständlichen Erkenntnisses betreffend die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan im Sinne des § 50 FPG ergeben würden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2.6. Zu den Spruchpunkten VI. und VII. des angefochtenen Bescheides

Der gegenständlichen Beschwerde wurde durch die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt. Zudem wurde die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG gestützt.

§ 18 Abs. 5 BFA-VG verpflichtet das Bundesverwaltungsgericht dazu, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023, 0024; 30.6.2017, Fr 2017/18/0026; 20.9.2017, Ra 2017/19/0284, 0285).

Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt, des Vergehens der schweren Körperverletzung, des Vergehens der Sachbeschädigung sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung, ging das BFA zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG darstellt.

Auch wurden in der Beschwerde keine Ausführungen getätigt, die den Schluss zuließen, dass die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr mittlerweile weggefallen ist. Vielmehr wurde der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit vier weitere Male strafgerichtlich verurteilt.

Die belangte Behörde ging somit zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Nachdem die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bereits zu Recht auf § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG gestützt wurde, konnte eine weitere Beurteilung im Hinblick auf § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG entfallen.

Folglich war gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen. Aufgrund der erfolgten Sachentscheidung kann eine Entscheidung im Sinne des § 18 Abs. 5 BFA-VG im vorliegenden Fall unterbleiben.

3.2.7. Zu Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides

Unter Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

Die belangte Behörde stützte das Einreiseverbot sowohl auf § 53 Abs. 2 Z 6 FPG, da der Beschwerdeführer den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermöge, als auch auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG, da der Beschwerdeführer zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt wurde. Hierzu ist Folgendes auszuführen:

Gemäß § 53 Abs. 2 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 leg. cit., vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist gemäß Z 6 leg. cit. insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl. VwGH 21.06.2012, 2011/23/0305, mwN).

Wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt, ging der Beschwerdeführer in Österreich nie einer Erwerbstätigkeit nach, sondern hat bis 17.04.2018 stets Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezogen. Der Bezug der Grundversorgung kann nicht als Nachweis über notwendige Existenzmittel für die Dauer seines beabsichtigten Aufenthaltes angesehen werden (vgl. VwGH 23.10.2008, 2007/21/0245). Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und hat in keiner Weise dargelegt, dass er über Mittel zur auch nur kurzfristigen Sicherung seines Lebensbedarfes verfügt. Er verfügt auch über keinen Aufenthaltstitel in Österreich und kann auch keine Beschäftigungsbewilligung vorweisen. In Österreich lebt zwar der jüngere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX . seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde jedoch mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2021, W107 2177603-1/19E, als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

Auch der Bruder des Beschwerdeführers ist nicht erwerbstätig und bezieht nach wie vor Leistungen aus staatlichen Grundversorgung, sodass der Beschwerdeführer auch von diesem nicht finanziell unterstützt werden kann. Angesichts seines rund sechsjährigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet ohne Erwerbstätigkeit, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in naher Zukunft seinen Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützungsleistungen bestreiten können wird.

Das BFA stellte demnach völlig zutreffend fest, dass der Beschwerdeführer in Österreich mittellos ist. Es ist somit der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt und bereits daher ein Einreiseverbot gerechtfertigt, zumal durch die daraus resultierende Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Die Erlassung eines Einreiseverbots wegen Mittellosigkeit gegen Fremde, deren Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ beendet wurde und die über keinen Aufenthaltstitel verfügen und gegen die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zulässig sind, ist zulässig (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0197; 24.05.2018, Ra 2018/19/0125; 20.09.2018, Ra 2018/20/0349).

Weiters stützte die belangte Behörde das Einreiseverbot auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG. Demnach ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat gemäß Z 1 leg. cit. insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom Straflandesgericht Wien rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Die belangte Behörde hat das Einreiseverbot daher zu Recht (auch) auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gestützt.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.11.2017, ZI. XXXX rechtskräftig seit 15.11.2017, wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB, § 269 Abs. 1 dritter Fall StGB, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 15 StGB, § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB, wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 15 StGB, § 83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei die gesamte Freiheitsstrafe auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Dem Strafurteil liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 12.10.2017 in Wien mit den Fäusten auf eine Person einschlug, wodurch diese eine Prellung des linken Jochbeins, eine Zerrung des rechten oberen Sprunggelenkes sowie Hämatome im Bereich des linken Auges erlitt. Anschließend versuchte der Beschwerdeführer die einschreitenden Beamten mit Gewalt an seiner Verbringung zum Streifenwagen zu hindern, indem er die Beamten mit beiden Beinen trat, einen Beamten am linken Handgelenk sowie am linken Unterarm und den anderen Beamten am linken Rippenbogen sowie am seitlichen Bauchbereich traf. Zudem versuchte der Beschwerdeführer am selben Tag noch eine weitere Person am Körper zu verletzen, indem er dieser einen Faustschlage versetzte, wobei die Person keinen Schaden erlitt. Weiters liegt dem Strafurteil zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 28.12.2016 eine Person am Körper verletzte, indem er ihr Schläge gegen den Kopf versetzte, wordurch das Opfer einen blutigen Kratzer hinter dem linken Ohr sowie Rötungen an der linken Wangenseite erlitt. Am 06.01.2016 verletzte der Beschwerdeführer eine Person am Körper, indem er dieser einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch diese ein Hämatom im Bereich des rechten Auges erlitt. Zudem beschädigte der Beschwerdeführer eine fremde bewegliche Sache, indem er die Heckscheibe eines Streifenwagens einschlug, wodurch die Scheibe zerbrach und ein Schaden in Höhe von EUR XXXX entstand.

Der Ansicht der belangten Behörde, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche und gegenwärtige schwerwiegende Gefahr darstellt, ist aus den folgenden Gründen beizutreten:

Die belangte Behörde hat die verhängte Dauer des ausgesprochenen Einreiseverbots nicht (nur) auf die Tatsache der Verurteilung bzw. der daraus resultierenden Strafhöhe, sohin gerade nicht auf eine reine Rechtsfrage abgestellt. Vielmehr hat sie unter Berücksichtigung des Systems der abgestuften Gefährdungsprognosen, das dem FPG inhärent ist, (vgl. VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603; 22.11.2012, 2012/23/0030) sowie unter Würdigung des individuellen, vom Beschwerdeführer seit seiner Antragsstellung im Jahr 2015 durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes eine Gefährdungsprognose getroffen und diese Voraussage ihrer administrativrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Unter Bedachtnahme auf das zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und die Schwere der zugrundeliegenden Straftat sowie das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Es ist auch festzuhalten, dass im Rahmen einer Gefährlichkeitsprognose zwar die der Strafbemessung zugrundeliegenden Milderungsgründe miteinzubeziehen sind; zugleich ist jedoch auf die Erschwerungsgründe und Einzelheiten der Tat Bedacht zu nehmen. Im gegenständlichen Fall war daher insbesondere das Zusammentreffen mehrerer Gewaltdelikte hinsichtlich verschiedener Personen – darunter auch Beamte, die der Beschwerdeführer an der Vollziehung ihrer Aufgaben versuchte zu hindern - zu berücksichtigen. Neben dieser aggressiven Haltung gegenüber den amtshandelnden Beamten, zeugt auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Einvernahme auf der Polizeistation (BFA-Akt, AS. 173) die Heckscheibe eines polizeilichen Streifenwagens einschlug, von keinerlei Achtung gegenüber den österreichischen Gesetzen und Behörden. In diesem Zusammenhang ist auch erneut auf darauf hinzuweisen, dass gegen den Beschwerdeführer bereits am 14.02.2016 ein Straferkenntnis mit einem zu zahlenden Gesamtbetrag in Höhe von EUR XXXX verhängt wurde, weil der Beschwerdeführer ungerechtfertigt die öffentliche Ordnung gestört und sich gegenüber Sicherheitsmitarbeitern einer Veranstaltung aggressiv verhalten, gegen eine Wegweisung seiner Person verstoßen, in weiterer Folge erneut den öffentlichen Anstand verletzt und sich aggressiv gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht verhalten hat. Wenngleich im Rahmen der Strafbemessungsgründe unter anderem das „großteilige Geständnis“ des Beschwerdeführers als mildernd gewertet wurde, zeugen die weiteren Straftaten und diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahmen und der mündlichen Verhandlung von keinem Umdenken oder Schuldbewusstsein des Beschwerdeführers. Zuletzt gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung etwa auf die Frage, weshalb er sich in Untersuchungshaft befinde bzw. was er angestellt habe (VP, 10.06.2021, S.16) lapidar an: „Nichts, ich wurde einfach festgenommen. Die Polizei hat irgendetwas behauptet.“ Auch die Ausführungen der damaligen Rechtsvertretung hinsichtlich der Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen einer Verhandlung über die Fortsetzung der Schubhaft am 09.12.2020 zeugen von der immensen Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers. So soll dieser gegenüber dem damaligen Richter wortwörtlich gesagt haben: „Ich hätte auch keine Angst, jemanden vor Ihnen zu schlagen.“ (Oz 5). Soweit in der Beschwerde vorgebracht wird, der Beschwerdeführer bereue seine Taten, habe seine Strafe verbüßt und stelle keine Gefährdung für die Öffentlichkeit mehr dar, sind diese Ausführungen nicht mit den seither gesetzten Straftaten und Handlungen des Beschwerdeführers vereinbar. Schließlich wurde der Beschwerdeführer vier weitere Male strafgerichtlich verurteilt. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch wegen Delikten derselben schädlichen Neigung belangt wurde, indem er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.05.2018, ZI. XXXX erneut wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gem. §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde.

Aus diesem Verhalten lässt sich entgegen den Beteuerungen des Beschwerdeführers und den Ausführungen in der Beschwerde nicht ableiten, dass der Beschwerdeführer umfassend gewillt ist, den Ordnungsrahmen der österreichischen Rechtsordnung zu akzeptieren. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt seiner ersten strafgerichtlichen Verurteilung (12.10.2017) bereits mehr als zwei Jahre im österreichischen Bundesgebiet aufhältig und hatte somit ausreichend Zeit, sich mit der österreichischen Rechtsordnung vertraut zu machen. Dennoch hat er dieser zuwider gehandelt und fortlaufend regelmäßig Straftaten verübt. Durch sein Fehlverhalten hat er seine mangelnde Rechtstreue und seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich rechtlich geschützten Werten mehrfach und deutlich zum Ausdruck gebracht.

In Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers kann eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere zur Wahrung des gesundheitlichen Wohls, an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden Vorschriften sowie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, 2001/18/0074).

Der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit kann durch die Verhängung eines Einreiseverbots effektiv begegnet werden. Das Einreiseverbot ist daher auch unter diesem Aspekt nicht zu beanstanden.

In Abwägung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers mit dem Interesse an der Verhängung von Einreiseverboten erscheint daher die Erlassung des Einreiseverbotes, insbesondere in Anbetracht der strafrechtlichen Bescholtenheit, der fehlenden Existenzmittel und insbesondere auch unter Berücksichtigung der kaum ausgeprägten Integration im Bundesgebiet zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten.

Zur Dauer des festgesetzten Einreiseverbots (fünf Jahre) ist festzuhalten, dass sich dieses im mittleren Bereich des § 53 Abs. 3 FPG (bis zu zehn Jahre) bewegt. Die verhängte Dauer ist aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer mehrfach strafrechtlich bescholten ist und über keine Mittel für seinen Unterhalt verfügt, nicht zu beanstanden.

Die belangte Behörde hat sich hinreichend mit den konkreten Umständen des Einzelfalles auseinandergesetzt. Die von der belangten Behörde getroffenen Erwägungen sind im angefochtenen Bescheid im Einzelnen und in nachvollziehbarer Weise dargelegt worden. In der vorliegenden Beschwerde selbst wurden keine Umstände vorgebracht, die allenfalls eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes zulassen würden.

In der Beschwerde werden auch keine fundierten Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensausübung des Bundesamtes nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre. In Bezug auf das Einreiseverbot wurden, abgesehen von allgemeinen Ausführungen, wonach die Dauer im Hinblick auf seine Reue und seinen Bemühungen um eine Integration nicht verhältnismäßig sei, keine substantiierten Gründe geltend gemacht und haben sich auch amtswegig keine solchen ergeben, welche die Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt festgesetzten Höhe des Einreiseverbots zu widerlegen vermochten.

In Gesamtschau der obigen Ausführungen ist das Einreiseverbot als rechtmäßig und die festgesetzte Höchstdauer als angemessen zu qualifizieren.Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.

3.3. Zur COVID-19 Pandemie:

Hinsichtlich der derzeit herrschenden Covid-19 Pandemie ist im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers festzuhalten, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus einer Rückkehr des Beschwerdeführers jedenfalls nicht entgegensteht. Der Beschwerdeführer leidet bzw. litt an keinen Atemwegserkrankungen oder anderen chronischen Krankheiten und gehört somit nicht zur Risikogruppe der alten oder chronisch kranken Personen. Auch die notorisch bekannten Zahlen der an COVID-19 Erkrankten in Afghanistan (s. insbes. WHO, Daily Brief Afghanistan, COVID-19, mit Verweis auf die aktuellen Daten der Johns Hopkins University) zeigen aktuell kein signifikantes Risiko für eine Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland auf.

3.4. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes, des EuGH und des EGMR); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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