VwGH Ra 2019/18/0241

VwGHRa 2019/18/024130.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S A, vertreten durch Dr. Walter Niederbichler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Wastiangasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2019, W159 2153843-1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180241.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 14. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei als schiitischer Afghane in Pakistan geboren sowie aufgewachsen und immer wieder von Sunniten attackiert worden. Er habe nie in Afghanistan gelebt und habe auch keine Angehörigen mehr, die dort lebten.

2 Mit Bescheid vom 16. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Begründend führte es aus, dass sich die vom Revisionswerber angegebenen Fluchtgründe allesamt auf Pakistan bezögen und daher aufgrund von dessen afghanischer Staatsbürgerschaft keine asylrechtliche Relevanz hätten. Hinsichtlich subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Schulausbildung (sechs Jahre in Pakistan, Pflichtschulabschluss in Österreich) und vielfältiger Berufserfahrung (Gemüseverkäufer, Küchenhilfe in Pakistan, Kellner in der Türkei und Freiflächenarbeiter in Österreich) handle, der selbst in der Türkei ohne jegliche familiäre Unterstützung und Sprachkenntnisse in der Lage gewesen sei, sich selbst zu erhalten. Er spreche eine Landessprache und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Wenn es daher auch zutreffe, dass der Revisionswerber sich niemals in Afghanistan aufgehalten habe und auch dort über keine Familienangehörigen verfüge, so begründe dies noch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz.

4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es unterlassen habe, durch Fragen den relevanten Sachverhalt zu ermitteln und Unklarheiten aufzuklären. Das BVwG habe zudem festgestellt, dass der Revisionswerber niemals in Afghanistan gewesen sei und sich seine Familie in Pakistan aufhalte. Trotz des Umstandes, dass er Afghanistan nicht kenne und dort kein soziales Netzwerk habe, nehme es jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) außerhalb des Siedlungsgebietes der Hazara an. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob einem Asylwerber, der einer Minderheit angehöre, ohne soziales Netzwerk und ohne Kenntnisse seines Heimatlandes eine außerhalb des Siedlungsgebietes der Minderheit gelegene Fluchtalternative zugemutet werden könne.

5 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff mwN).

10 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, gehen weder EASO noch UNHCR von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 40 ff, mwN; 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, Rn. 15).

11 Dem angefochtenen Erkenntnis lagen fallbezogen Feststellungen zugrunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen in Pakistan geborenen, gesunden, volljährigen jungen Mann handle, der sechs Jahre in Pakistan die Schule besucht und Berufserfahrung als Verkäufer im Gemüsehandel und Küchengehilfe (Abwäscher) gesammelt habe. Im Jahr 2013 habe er Pakistan schließlich mit einem Autobus verlassen und sei über den Iran in die Türkei gelangt, wo er sich elf Monate lang aufgehalten, als Kellner gearbeitet und sich selbst versorgt habe. Der Revisionswerber spreche eine Landessprache, sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates aufgrund seiner aus Afghanistan stammenden Eltern sowie seines eigenen behaupteten Aufenthaltes in der Provinz Kandahar vertraut und habe auch in Österreich (Pflichtschulabschluss in Österreich) ein zusätzliches Maß an Bildung erfahren. Zur Lage der Hazara verwies das BVwG darauf, dass sich aus den Länderfeststellungen keine Hinweise für eine Gruppenverfolgung ergäben, vielmehr habe sich deren Situation seit dem Ende der Talibanherrschaft nachhaltig und wesentlich verbessert.

12 Die Revision vermag nicht darzutun, dass das BVwG mit dieser Begründung von der oben genannten Rechtsprechung abgegangen ist. Es ist vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen auch nicht ersichtlich, dass es der Annahme der Zulässigkeit einer Rückführung in die revisionsgegenständlichen afghanischen Städte bereits für sich entgegenstehen sollte, wenn ein afghanischer Staatsangehöriger, der die längste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht hat, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara ist (zur Lage nach Afghanistan rückkehrender Hazara vgl. zuletzt etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN, sowie 23.10.2019, Ra 2019/19/0282). 13 Soweit die Revision schließlich Verfahrensmängel ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 17.7.2019, Ra 2018/20/0500, mwN). Die Revision zeigt mit ihrem pauschalen Vorbringen, das BVwG hätte weitere Fragen zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts tätigen und auf etwaige Unklarheiten eingehen müssen, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. Dezember 2019

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