VwGH Ra 2014/18/0112

VwGHRa 2014/18/011228.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des M N in W, vertreten durch Dr. Susanne Chyba, Rechtsanwältin in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2014, Zl. W193 1419265- 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

32011L0095 Status-RL Art9 Abs3;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014180112.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I. Sachverhalt und Revisionsverfahren

1. Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am 17. Jänner 2011 in Österreich internationalen Schutz und begründete diesen Antrag zusammengefasst damit, außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen gehabt zu haben, deren Familie ihm aus Gründen der Ehre deshalb nach dem Leben trachte. Auch die afghanische Polizei habe schon nach ihm gesucht. Im Beschwerdeverfahren verwies der Revisionswerber überdies darauf, dass auch Männer in Afghanistan, die des außerehelichen Geschlechtsverkehrs bezichtigt werden, schwere Strafen zu erwarten hätten.

2. Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis gewährte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Revisionswerber subsidiären Schutz und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung; eine in erster Instanz vorgenommene Ausweisung wurde ersatzlos behoben (Spruchpunkte II. bis IV.).

Mit Spruchpunkt I. des nur insoweit angefochtenen Erkenntnisses wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Zur mangelnden Berechtigung des Asylansuchens stellte das BVwG zunächst wörtlich fest:

"(Der Revisionswerber) ist volljährig, afghanischer Staatsangehöriger, gehört der hazarischen Volksgruppe an, ist muslimisch-schiitischen Glaubensbekenntnisses und seine Muttersprache ist dari. Er stammt aus Kabul (...), wo er gewohnt und gelebt hat. Die Identität des (Revisionswerbers) konnte (...) nicht festgestellt werden.

Im Jahr 2010 verließ der (Revisionswerber) Afghanistan.

Der (Revisionswerber) ist gesund und arbeitsfähig und hat als Damenschneider gearbeitet. Er lebt seit mehr als drei Jahren in Österreich und ist strafrechtlich unbescholten."

Im Folgenden setzte sich das BVwG mit der Lage in Afghanistan auseinander und traf insbesondere nähere Feststellungen zur Situation der Hazara im Herkunftsstaat. Unter der Überschrift "Beweiswürdigung" findet sich in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses - soweit relevant - nur folgende Darlegung:

"Auf die Aussagen des (Revisionswerbers) stützen sich auch die Feststellungen über den Grund des Verlassens des Iran, (...)"

Rechtlich zog das BVwG folgende Schlüsse:

"Dem (Revisionswerber) ist es nicht gelungen, eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Wenn der (Revisionswerber) vorbringt, Afghanistan bereits 2010 verlassen zu haben und nun nur weibliche Familienmitglieder (zu) habe(n), (die) sich um ihn kümmerten, und im Falle der Rückkehr im Wesentlichen die allgemein instabile Sicherheitslage (zu) fürchte(n), ist demgegenüber auszuführen, dass die in einem Staat vorherrschenden, allgemein schlechten Verhältnisse bzw. bürgerkriegsähnlichen Zustände für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr gemäß der GFK bedeuten. Das Vorbringen steht weder im Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, noch ist darin eine individuell gegen den (Revisionswerber) gerichtete Verfolgungshandlung zu erblicken. Um eine asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (...). Dies trifft im gegenständlichen Fall jedoch nicht zu. (...)"

3. Die außerordentliche Revision macht zusammengefasst geltend, das BVwG sei aus näher dargestellten Gründen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Asylrelevanz des gegenständlichen Fluchtvorbringens abgewichen. Unter anderem habe es das BVwG unterlassen, sich mit dem gesamten Vorbringen des Revisionswerbers auseinanderzusetzen und es habe seine Entscheidung mit Aktenwidrigkeit belastet.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich nicht am Revisionsverfahren beteiligt.

II. Erwägungen

  1. 1. Die Revision ist zulässig und begründet.
  2. 2. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. etwa VwGH vom 21. April 2011, 2011/01/0100, mwN). Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH vom 13. November 2011, 2000/01/0098; im gleichen Sinne auch Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie).

    3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung auch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion in muslimischen Staaten das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht. Die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindlichen Moralvorstellungen drohen, kann unter diesem Blickwinkel asylrelevant sein (vgl. VwGH vom 19. November 2010, 2008/19/0206, mwN).

    4. Anhand der unter Punkt I.2. wiedergegebenen Entscheidungsgründe lässt sich nicht erkennen, ob das angefochtene Erkenntnis mit dieser Rechtsprechung im Einklang steht. Es beeinträchtigt so die Rechtsverfolgung durch die Partei und entzieht sich der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.

    Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass es das BVwG unterlassen hat, sich mit dem gesamten Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinanderzusetzen. In den Feststellungen des Erkenntnisses finden sich keine Angaben über die Gründe des Revisionswerbers für seine Ausreise aus Afghanistan. Es lässt sich daher auch nicht erkennen, ob das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für wahr oder unwahr erachtet hat.

    Daran ändert auch der Hinweis in der "Beweiswürdigung" nichts, die Feststellungen über den Grund des Verlassens des Iran stützten sich auf die Aussagen des Revisionswerbers. Zum einen enthält das Erkenntnis überhaupt keine Feststellungen zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers; zum anderen stammt dieser nicht aus dem Iran, sondern aus Afghanistan. Der genannte Begründungsteil weist daher offensichtlich keinen Bezug zum vorliegenden Fall auf.

    Auch aus der abschließenden rechtlichen Beurteilung des BVwG wird deutlich, dass überhaupt keine Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers stattgefunden hat, weil - aktenwidrig - davon ausgegangen wird, der Revisionswerber fürchte bei Rückkehr nach Afghanistan nur die allgemein instabile Lage. Auf die konkreten Fluchtgründe des Revisionswerbers geht das BVwG in seiner Entscheidungsbegründung mit keinem Wort ein und verstößt damit krass gegen die Begründungspflicht von Erkenntnissen nach § 29 Abs. 1 VwGVG.

    5. Das angefochtene Erkenntnis war daher im Anfechtungsumfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

    Wien, am 28. Jänner 2015

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