Normen
AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine vietnamesische Staatsangehörige, beantragte am 7. Juni 2006 internationalen Schutz und brachte zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass sie in ihrer Heimat Geldschulden nicht hätte zurückzahlen können, weshalb sie von den Gläubigern bedroht worden sei. Sie habe wegen dieser Drohungen Anzeige bei der Polizei erstattet; in ihrer Heimat würde sich die Polizei aber nicht wirklich um solche Fälle kümmern.
Mit Bescheid vom 26. März 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten nicht zu; gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 erkannte es ihr auch den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Vietnam nicht zu und wies sie gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 dorthin aus. In der Begründung dieses Bescheides traf das Bundesasylamt unter anderem folgende Feststellungen:
"Die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und der unerlaubte Verbleib im Ausland stehen grundsätzlich unter Strafe (Artikel 274 StGB). Die vietnamesischen Behörden wenden jedoch bei der Rückkehr illegal nach Deutschland Ausgereister diesen Strafrechtstatbestand nicht mehr an. Dazu haben sie sich auch vertraglich verpflichtet. Dem Auswärtigen Amt, anderen befragten westlichen Botschaften in Vietnam und dem UNHCR sind keinerlei Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern wegen ungenehmigter Ausreise bekannt. Die Kontrollen an den vietnamesischen Außengrenzen sind streng."
Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, die Beschwerdeführerin habe angegeben, ihre Heimat verlassen zu haben, "weil sie dort Schulden ihres Exgatten zurückzahlen hätte müssen. Jene Leute, die dem Exgatten Geld geborgt hätten, hätten beabsichtigt, die (Beschwerdeführerin) zu ermorden, weil sie nicht mehr in der Lage war, den ausgeborgten Geldbetrag zurückzuzahlen". Diese behauptete Bedrohung könne nicht dem Herkunftsstaat zugerechnet werden und sei nur dann asylrelevant, wenn der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, dem Betroffenen Schutz zu gewähren. Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Verhältnisse in Vietnam hätte es der Beschwerdeführerin zugemutet werden können, sich an die Behörden des Heimatstaates zu wenden. Der Hinweis der Beschwerdeführerin, die Polizei in Vietnam kümmere sich nicht um solche Fälle, könne nicht dahin verstanden werden, dass der Herkunftsstaat generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht in der Lage sei, derartige Verfolgungshandlungen zu verhindern. Dass die vietnamesischen Behörden der Beschwerdeführerin Schutz aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund verweigert hätten, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Befürchtungen der Beschwerdeführerin würden sich lediglich auf vage Vermutungen stützen. Dem Bundesasylamt lägen auch keine Informationen über eine gezielte Verfolgung abgewiesener Asylwerber vor, sodass die Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar, nicht plausibel und daher als nicht glaubhaft zu befinden seien.
In der rechtlichen Beurteilung hielt das Bundesasylamt fest, dass der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete. Ein Abschiebehindernis für Vietnam ergebe sich für die Beschwerdeführerin gegenwärtig nicht, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage nicht gegeben sei. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass sie im Fall ihrer Rückkehr in eine dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt werden würde. Die Beschwerdeführerin habe auch weder eine lebensbedrohliche Erkrankung noch einen sonstigen auf ihre Person bezogenen Umstand behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis darstellen könne. Sie habe keine familiären Anbindungen in Österreich, weshalb die Ausweisung keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle. Auch sonst würden keine Hinweise dafür vorliegen, dass durch die Ausweisung unzulässigerweise in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen werde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z. 1 und § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe keine Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen glaubhaft machen können, und es lägen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der vietnamesische Staat nicht gewillt bzw. nicht in der Lage sei, ihr vor ihren Gläubigern Schutz zu gewähren. Das Bundesasylamt habe ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage hinsichtlich der behaupteten Flüchtlingseigenschaft klar und übersichtlich zusammengefasst und den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt in völlig ausreichender Weise erhoben. Die belangte Behörde schließe sich den diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes an und erhebe sie zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. In der Berufung werde lediglich das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt und Berichte zitiert, welche für das gegenständliche Verfahren nicht relevant seien, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte unterbleiben können.
Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führte die belangte Behörde weiter aus, das Bundesasylamt habe richtig festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keine Indizien oder Anhaltspunkte aufgezeigt habe, wonach sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würde, im Fall ihrer Rückkehr nach Vietnam einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden; zudem sei sie "auch in der Berufung selbst der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht substantiiert entgegen getreten". Hinzuweisen sei auch darauf, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine junge, gesunde und arbeitsfähige Frau handle, die bei einer Rückkehr nach Vietnam nicht in ihrer Lebensgrundlage bedroht wäre. Es bestehe kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung unzulässig machen könnten und die Beschwerdeführerin habe derartiges auch nicht behauptet.
Das Bundesasylamt sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Ausweisung die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletze, zumal nicht hervorgekommen sei, dass sie mit einem Angehörigen in Österreich ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung, in welcher diese unter Hinweis auf einen Bericht von Amnesty International dargelegt habe, dass Vietnam Flüchtlinge, welche nach Vietnam zurückkehren müssten, verfolge und bestrafe, nicht auseinander gesetzt. Die belangte Behörde hätte eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen, um die in der Berufung aufgezeigten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens zu beheben. Das Bundesasylamt habe nämlich keine Feststellungen dazu getroffen, wie Vietnam seine Bürger vor rechtswidrigen Angriffen "mutmaßlicher Geldgeber" schütze oder zu schützen versuche. Die belangte Behörde sei zudem fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich um die Schulden der Beschwerdeführerin handle, obwohl diese immer erklärt habe, dass es die Schulden ihres Ehemanns gewesen seien; dies sei insofern relevant, weil die Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Familie einen Asylgrund darstelle. Der angefochtene Bescheid enthalte keine Feststellungen zur Sippen- und Familienhaftung sowie zum Schutz privater Personen durch die Polizei bei gefährlichen Drohungen von Gläubigern in Vietnam. Die vietnamesischen Behörden seien an der Situation der Beschwerdeführerin völlig desinteressiert gewesen, ihr Problem sei nicht ernst genommen worden, und die Polizeibeamten hätten ihr gesagt, dass sie nichts für sie tun könnten. Weiters drohe der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Abschiebung auf Grund des in Vietnam geltenden, von der belangten Behörde aber nicht geprüften "§ 274 StGB" eine Verhaftung und Einweisung in ein Umerziehungslager; die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und der unerlaubte Verbleib im Ausland stünden in Vietnam unter Strafe. Den dazu getroffenen Feststellungen, wonach die vietnamesischen Behörden diesen Strafrechtstatbestand bei der Rückkehr illegal nach Deutschland Ausgereister nicht mehr anwenden würden, komme keine Aussagekraft in Bezug auf die Behandlung von illegal nach Österreich ausgereisten Personen zu.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde wesentliche Verfahrensmängel auf.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Frage der Behandlung von vietnamesischen Rückkehrern unter dem Aspekt des Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches bereits in seinem Erkenntnis vom 2. März 2006, Zl. 2003/20/0342, auseinander gesetzt; gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Auch im vorliegenden Fall beziehen sich die im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen, welche auf einem im vorgelegten Verwaltungsakt nicht aufliegenden Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 31. März 2006 beruhen, offenbar nur auf die Behandlung vietnamesischer Rückkehrer aus Deutschland vor dem Hintergrund einer mit diesem Staat eingegangenen vertraglichen Verpflichtung. Daraus kann daher nicht ohne weiteres auf die Rückkehrsituation von aus Österreich abgeschobenen vietnamesischen Staatsangehörigen geschlossen werden.
Darüber hinaus lassen sich dem angefochtenen Bescheid keine ausdrücklichen Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin entnehmen. Nach dem in der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Bescheides zusammengefasst wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin sei sie wegen der Schulden ihres Ehemanns von dessen Gläubigern bedroht worden. Ausgehend von dieser Sachlage wäre der Grund für die Verfolgung der Beschwerdeführerin in ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Schuldners zu sehen und damit dem Konventionsgrund "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" (Familie) zuzuordnen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. März 2007, Zlen. 2006/19/0083 bis 0085, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zl. 2006/01/0793). Die Beschwerdeführerin hatte im Verfahren vorgebracht, dass sie sich zwar an die Polizei gewandt habe, diese sich in Vietnam aber nicht um solche Fälle kümmere. Das Bundesasylamt hat zur Frage der Schutzfähigkeit und -willigkeit der vietnamesischen Behörden in Bezug auf die geltend gemachte Bedrohung durch Gläubiger keine Feststellungen getroffen und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zur mangelnden Schutzwilligkeit der vietnamesischen Behörden lediglich entgegen gehalten, dass sich daraus eine mangelnde Schutzfähigkeit dieser Behörden nicht ableiten ließe. Die Begründung zur fehlenden Asylrelevanz der von der Beschwerdeführerin behaupteten Bedrohung erweist sich demnach ebenfalls als unzureichend.
Infolge der von der belangten Behörde vorgenommenen Verweisung schlägt diese Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Bescheides auf den angefochtenen Bescheid durch. Sie führt auch dazu, dass die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer Berufungsverhandlung hätte absehen dürfen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2004/01/0556, mwN).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 21. April 2011
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)