VwGH 95/01/0454

VwGH95/01/045426.2.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1995, Zl. 4.345.905/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §3;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §3;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist ägyptische Staatsangehörige und reiste am 2. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein. Am 7. Dezember 1994 beantragte sie - gemeinsam mit ihren Eltern und weiteren drei Geschwistern - schriftlich die Gewährung von Asyl und begründete dies - auf ihre Person bezogen - damit, sie sei - wie auch ihre Eltern und Geschwister - ursprünglich Moslem gewesen, jedoch "vor längerer Zeit bereits zur christlichen Religion konvertiert"; sie sei Angehörige der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, deren Situation

- insbesondere, wenn sie vorher Moslems gewesen seien - in ihrem Heimatland seit Jahren problematisch sei. Bereits 1985 seien sie und ihre Tante verhaftet und verhört worden. Sie habe bereits während ihrer Schulzeit Probleme mit den Schulbehörden gehabt und sei kurz vor der Matura von der Schule gewiesen worden, weil sie sich geweigert habe, "das islamische Kopftuch" zu tragen. Diese Situation habe sich in letzter Zeit "dramatisch verschärft", als fundamentalistische Studenten sie zur Teilnahme an Vorlesungen des Islam aufgefordert, beschimpft und bedroht hätten. Seit Sommer 1994 habe sie daher das Studium abbrechen müssen.

Anläßlich ihrer Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. Jänner 1995 gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen an, sie sei Zeugin Jehovas. Sie habe bis Ende des Schuljahres 1993/1994 an der Universität in Kairo Literatur studiert. Am 3. Juli 1994 sei ihr Vater verhaftet worden. Nachdem sie und ihre Angehörigen von der Verhaftung des Vaters erfahren hätten, hätten sie alle religiösen Bücher aus der Wohnung verbracht und diese überhaupt verlassen. Aus Angst vor einer Verhaftung hätten sie sich zu ihrer Großmutter begeben. In der Folge hätten sie mehrmals den Aufenthaltsort, insgesamt sieben Mal, gewechselt. Dabei hätten sie sich teilweise in Kairo, teilweise in Alexandria, aufgehalten. Zu ihren persönlichen Problemen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, sie sei im Jahr 1984 einmal von der Polizei betreten worden, als sie mit anderen über die Bibel gesprochen habe. Dabei sei sie von der Polizei angehalten und nach ihren Personalien gefragt worden. Nach der Freilassung ihres Vaters habe sie sich wegen einer Bestätigung über ihr Studium an die Universität gewandt, dabei sei ihr mitgeteilt worden, daß während der Inhaftierung ihres Vaters von der Polizei nach ihr gefragt worden sei. Ein Studienjahr umfasse den Zeitraum von September bis Juni. Persönlich sei sie von der Polizei nicht verhört oder verhaftet worden. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat müsse sie jedoch mit einer Verhaftung rechnen. Die Polizei habe mehrmals nach ihr und ihren Familienangehörigen ("uns") gefragt; sie befürchte, einer gleichen Behandlung wie ihr Vater unterzogen zu werden.

Mit Bescheid vom 7. Februar 1995 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr Asyl zu gewähren, ab, weil sie die Ansicht vertrat, das Ermittlungsverfahren habe keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür erbracht, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründe Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder solche zu befürchten gehabt hätte.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in welcher sie unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens insbesondere rügte, es sei von der Behörde erster Instanz ein Ermittlungsverfahren - mit Ausnahme ihrer Vernehmung - überhaupt nicht durchgeführt worden, vorgelegte Urkunden, Berichte von Amnesty International sowie die beantragten Zeugeneinvernahmen hätten nicht stattgefunden. Unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen Tatsachenfeststellung bestritt die Beschwerdeführerin insbesondere die Feststellung, den Zeugen Jehovas sei im Heimatstaat der Beschwerdeführerin die Ausübung ihres Glaubens möglich, und erstattete ein umfangreiches ergänzendes Vorbringen. Diese Ausführungen wiederholte sie im wesentlichen auch unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Mit Bescheid vom 25. April 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe des - umfangreichen, gemeinsam mit ihren anderen Familienangehörigen von der Beschwerdeführerin erstatteten - Sachvorbringens und der von ihr zur Anwendung gebrachten Rechtslage führte die belangte Behörde aus, zentrale Erkenntnisquelle für die entscheidende Behörde sei das eigene Vorbringen des Asylwerbers. Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft eines Asylwerbers komme es ausschließlich auf dessen konkrete Situation an, daher könnten Berichte über allgemeine Verhältnisse, wie z.B. die Jahresberichte von Amnesty International, keine genügende Grundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. für eine Asylgewährung bieten. Im übrigen erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin infolge von ihr im einzelnen aufgelisteter "Divergenzen" als nicht zur Gänze glaubwürdig, unterzog dieses jedoch - eventualiter - einer rechtlichen Beurteilung dahingehend, diesem Vorbringen sei nicht zu entnehmen gewesen, daß die Beschwerdeführerin konkrete, gegen ihre Person gerichtete Verfolgungshandlungen seitens des ägyptischen Staates ausgesetzt gewesen wäre. Die angebliche Verhaftung ihres Vaters könne nicht Berücksichtigung finden, da in ihrem Asylverfahren nur solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die ihre Person selbst beträfen, nicht hingegen Ereignisse, die gegen Familienangehörige gerichtet gewesen seien. Deshalb gehe auch die Rüge, die Behörde habe sich mit den vom Vater angeblich erlittenen Folterungen nicht entsprechend auseinandergesetzt, ins Leere. Zu dem einzigen, sie selbst betreffenden Vorfall im Jahr 1984 sei auszuführen, daß die bloße Anhaltung von Personen bei Veranstaltungen keine Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes darstelle, zum anderen auch Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurücklägen, nicht mehr beachtlich seien. Auch könne eine Verfolgungshandlung nicht darin gesehen werden, daß die Polizei während der angeblichen Inhaftierung des Vaters der Beschwerdeführerin an der Universität nach ihr gefragt habe. Die Behauptung, die Polizei habe mehrmals nach ihr gefragt, sie habe mit gleicher Behandlung wie ihr Vater zu rechnen, sie habe nach der Verhaftung ihres Vaters sieben Mal den Wohnort gewechselt, seien lediglich Behauptungen, die für die Annahme asylbegründender Tatsachen nicht als ausreichend angesehen werden könnten. Überdies sprach ihr die belangte Behörde das subjektive Schutzbedürfnis unter Hinweis darauf ab, daß die Beschwerdeführerin ihr Heimatland unter Verwendung ihres echten, auf ihre Nationale ausgestellten Reisepasses verlassen habe und sich somit den staatlichen Grenzkontrollen gestellt habe. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz im Sinn des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 erachtete daher die belangte Behörde zusammenfassend, die Beschwerdeführerin habe keine konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgungshandlung seitens des ägyptischen Staates glaubhaft machen können. Da den Angaben der Beschwerdeführerin insgesamt aber auch die Glaubwürdigkeit fehle, hätten sich auch Feststellungen betreffend allfälliger Verfolgungshandlungen gegen die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas erübrigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem nach Ablehnung deren Behandlung über Antrag der Beschwerdeführerin mit Beschluß vom 5. Oktober 1995, B 1684/95-5, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene, über dessen Auftrag ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes macht die Beschwerdeführerin insbesondere geltend, die belangte Behörde habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 1 Z. 1 AsylG 1991 als nicht gegeben erachtet. Die von der Genfer Konvention geforderte "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" könne auch bereits dann vorliegen, wenn konkret noch keine Verfolgungshandlung gesetzt worden sei. Ob eine solche Furcht wohlbegründet sei, sei nach den tatsächlichen Verhältnissen und insbesondere unter Berücksichtigung der derzeitigen, zuletzt verschärften Situation im Heimatland der Beschwerdeführerin zu beurteilen. Der Umstand, daß die Geschwister der Beschwerdeführerin regelmäßig geschlagen worden seien, weil sie - wie sie selbst auch - vom moslemischen Glauben zum christlichen Glauben konvertiert seien, könne wohlbegründete Furcht rechtfertigen. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin - wie schon in ihrer Berufung - Mängel des Ermittlungsverfahrens geltend. Die belangte Behörde habe sich begründungslos auf die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 zurückgezogen, obwohl Abs. 2 dieser Gesetzesbestimmung die Wiederholung bzw. Ergänzung des Ermittlungsverfahrens vorsehe, wenn das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei, was bereits in ihrer Berufung aufgezeigt worden sei. Im übrigen bekämpft die Beschwerdeführerin auch die Beurteilung der belangten Behörde, ihren Angaben im erstinstanzlichen Verfahren mangle es an Glaubwürdigkeit.

Der Verfahrensrüge kommt Berechtigung zu. Ausgehend von dem von der Beschwerdeführerin erstatteten - großteils mit dem ihrer Eltern und Geschwister identen - Vorbringen im Verfahren erster Instanz und unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren lediglich verdeutlichenden Ergänzungen zu diesem Vorbringen hätte die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 erkennen müssen, daß es die Behörde erster Instanz unterlassen hat, im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht Erhebungen darüber zu pflegen und Feststellungen zu treffen, wie sich die von der Beschwerdeführerin und ihren Angehörigen behauptete besondere Verfolgungssituation der (konvertierten) Zeugen Jehovas in ihrem Heimatland faktisch darstellt. Der bloße Verweis auf die im Heimatstaat der Beschwerdeführerin herrschende Rechtslage genügt im Hinblick auf die substantiierte Bestreitung der Beschwerdeführerin nicht, diese entspräche gerade auch im Hinblick darauf, daß die Behörden ihres Heimatstaates dem unter den eigenen Sicherheitskräften zunehmenden fundamentalistischen Radikalismus nicht Einhalt zu gebieten in der Lage seien, den faktischen Gegebenheiten nicht. Die Behauptungen der Beschwerdeführerin wären auch durch die belangte Behörde objektiv überprüfbar. Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, daß es zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erforderlich ist, daß bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden, eine solche vielmehr bereits schon dann anzunehmen ist, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären. Ist aufgrund des sich so ergebenden Gesamtbildes vom Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung auszugehen, ändert daran auch nichts, daß die Beschwerdeführerin unter Verwendung ihres (echten) Reisepasses ihr Heimatland verlassen hat.

Insoweit die belangte Behörde den Angaben der Beschwerdeführerin "nicht die volle Glaubwürdigkeit" zuerkennen zu können glaubte, erweisen sich ihre diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen als nicht schlüssig, zumal offenkundige Widersprüche diesen Angaben nicht zu entnehmen sind und insbesondere auch dem Akt nicht entnommen werden kann, daß die Verwaltungsbehörden erfolglos versucht hätten, die von ihr angenommenen "Divergenzen" und "Widersprüchlichkeiten" überhaupt einer Klärung zuzuführen.

Da die belangte Behörde im aufgezeigten Sinn Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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