Normen
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs4;
EMRK Art8 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs4;
EMRK Art8 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Februar 2002 wurde der am 18. Juni 2001 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG (in der damals geltenden Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) als unzulässig zurückgewiesen. Es wurde festgestellt, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen - DÜ), Deutschland zuständig sei. Unter einem wurde der Beschwerdeführer "aus dem Bundesgebiet nach Deutschland" ausgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 28. März 2002 ab. Dabei ging die belangte Behörde von folgenden Feststellungen aus:
"Der Berufungswerber ist türkischer Staatsangehöriger und 19 Jahre alt. Dem Berufungswerber wurde am 31.5.2001 vom Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Ankara ein Visum mit Gültigkeitsdauer vom 1.6.2001 bis zum 1.7.2001 ausgestellt (Visum, Seite 17 des Reisepasses des Berufungswerbers, AS (BAA) 5). Mit diesem Visum gelangte der Berufungswerber in weiterer Folge am 14.6.2001 mit dem Flugzeug von Istanbul nach München (Ausreisestempel AS (BAA) 7; Einreisestempel AS (BAA) 5). Von Deutschland aus gelangte er auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 18.6.2001 einen Asylantrag einbrachte. Mit Schriftsatz des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17.8.2001 stimmte Deutschland dem Ersuchen des Bundesasylamtes um Übernahme des Berufungswerbers gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ zu (Schriftsatz vom 17.8.2001, Zahl: 2 684 401-163).
In Österreich leben folgende Verwandte des Berufungswerbers:
Der Vater des Berufungswerbers, B.K., lebt und arbeitet seit 1992 in Österreich und verfügt über einen unbefristeten fremdenrechtlichen Aufenthaltstitel sowie über einen Befreiungsschein. Der Berufungswerber lebt seit seiner Einreise nach Österreich im Juni 2001 bei ihm. Im Rahmen des Familiennachzuges folgten dem Vater die Mutter des Berufungswerbers, B.S., im Juni/Juli 2001, sowie die Brüder des Berufungswerbers, B.R. (18 Jahre) sowie B.A. (16 Jahre), im Jänner 2002 nach. Auch der Berufungswerber sollte ursprünglich wie seine Mutter und Brüder im Rahmen des Familiennachzuges einen fremdenrechtlichen Aufenthaltstitel für Österreich erhalten, jedoch war das aufgrund seiner Volljährigkeit nicht möglich. Eine verheiratete Schwester des Berufungswerbers lebt nach wie vor in der Türkei. In Deutschland lebt ein Onkel des Berufungswerbers, zu dem er keinen Kontakt hat. Nach Ansicht des Berufungswerbers dürften aber seine Eltern wissen, wo sich der Onkel aufhält. Der Berufungswerber hat zu allen Familienmitgliedern in Österreich ein gutes Verhältnis, eine besonders gute Beziehung unterhält er jedoch mit seinen Brüdern, da sie sich annähernd im selben Alter befinden und er mit ihnen alles besprechen kann. Der Berufungswerber geht in Österreich einer Beschäftigung nach und verdient monatlich ca. ATS 10.000,--. Es bestehen keine Unterhaltsverpflichtungen zwischen dem Berufungswerber und einem seiner Angehörigen, noch ist er aus gesundheitlichen Gründen oder einem anderen Grund auf die Hilfe seiner Angehörigen angewiesen."
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG sei ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid habe das Bundesaslyamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid sei mit einer Ausweisung zu verbinden. Der einzig derzeit existente Vertrag, auf den sich § 5 AsylG beziehen könne, sei das Dubliner Übereinkommen (DÜ). Nach Art. 5 Abs. 2 DÜ sei dann, wenn der Asylwerber ein gültiges Visum besitze, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig. Die Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages liege demnach vor, weil der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Asylantragstellung ein gültiges, von der Botschaft Deutschlands ausgestelltes Visum besessen habe. Die in Art. 5 Abs. 2 lit. a bis c DÜ genannten Ausnahmefälle lägen hier nicht vor. Auch in der Berufung werde diese (grundsätzliche) Zuständigkeit Deutschlands nicht in Frage gestellt.
In der Berufung werde ausschließlich - so führte die belangte Behörde weiter aus - die rechtsunrichtige Handhabung des in Art. 3 Abs. 4 DÜ normierten Selbsteintrittsrechtes gerügt. Es sei zwar eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit - d.h. insbesondere zu einer Verletzung der Art. 3 oder 8 EMRK - führende Auslegung und somit Handhabung des § 5 Abs. 1 AsylG durch die Heranziehung des in Art. 3 Abs. 4 DÜ normierten Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden, wobei die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., verwies. Im Fall des Beschwerdeführers könne jedoch dem Bundesasylamt nicht entgegen getreten werden, wenn es das Vorliegen eines "ausreichend intensiven 'Familienlebens' iSd Art. 8 EMRK" zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in Österreich lebenden Angehörigen verneinte. Es sei der Berufung zwar darin zu folgen, dass der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasse, sondern (u.a.) auch die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, sofern eine "gewisse Beziehungsintensität" vorliege. Dabei sei "darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind". Im vorliegenden Fall habe der bereits seit 1992 in Österreich aufhältige Vater mit dem Beschwerdeführer "seit Jahren" nicht mehr zusammengelebt. Der Beschwerdeführer sei erwachsen und von seinem Vater unabhängig, zumal weder Unterhaltsverpflichtungen noch andere besondere Abhängigkeiten bestünden. Auch von seinen Geschwistern sei er nicht (finanziell) abhängig. Der Beschwerdeführer lebe zwar in Österreich mit seinen Verwandten zusammen, doch sei er von seiner Familie unabhängig, zumal er auch einer Beschäftigung nachgehe. Auch das Vorliegen eines anderen besonderen Abhängigkeitsverhältnisses (etwa aufgrund seiner körperlichen Verfassung) habe nicht festgestellt werden können. Familiäre Beziehungen "von ausreichender Nähe im Sinne des Art. 8 EMRK" mit den in Österreich lebenden Verwandten seien deshalb zu verneinen.
Zusammenfassend kam die belangte Behörde daher zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig sei und die Voraussetzungen für die Ausübung des im DÜ vorgesehenen Selbsteintrittsrechtes nicht vorlägen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde macht zunächst Feststellungsmängel in Bezug auf die Art des dem Beschwerdeführer erteilten Visums geltend, ohne jedoch konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der im Art. 5 Abs. 2 DÜ genannten Ausnahmefälle aufzuzeigen. Abgesehen davon ergibt sich aus der im Akt des Bundesasylamtes befindlichen Kopie des Reisepasses, auf die im angefochtenen Bescheid ausdrücklich verwiesen wurde, eindeutig, dass es sich um ein Visum C (Reisevisum) gehandelt hat. Die Beschwerde vermag somit keine Bedenken gegen die Annahme der belangten Behörde, die Bundesrepublik Deutschland sei nach Art. 5 Abs. 2 DÜ zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig, zu erwecken.
Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte ist aber eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG durch die Heranziehung des in Art 3 Abs. 4 DÜ normierten Selbsteintrittsrechtes von der Asylbehörde zu vermeiden (vgl. das schon von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., Slg.Nr. 16.122, und daran anschließend das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498). Ausgangspunkt für die Überlegung, ob die Asylbehörde eine Zurückweisung nach § 5 AsylG vornehmen darf oder eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen hat, ist demnach - fallbezogen - unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zunächst die Frage, ob mit einer Zurückweisung nach § 5 Abs. 1 AsylG ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Asylwerbers verbunden wäre. Gegebenenfalls wäre nach Art. 8 Abs. 2 EMRK durch eine Interessenabwägung die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen (vgl. auch dazu das erwähnte Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, und daran anschließend etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 2003, Zl. 2002/20/0318).
Die belangte Behörde hat nicht geprüft, ob ein durch die Ausweisung nach Deutschland bewirkter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt wäre, sondern schon einen solchen Eingriff für nicht gegeben erachtet, weil sie - trotz Zusammenlebens des 19- jährigen Beschwerdeführers mit seinen Eltern und jüngeren Geschwistern in Österreich - mangels Bestehens eines "Abhängigkeitsverhältnisses" das Vorliegen eines "Familienlebens" iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK verneint hatte. Von daher gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2002/20/0423, zugrunde lag, in dem die belangte Behörde einen ähnlichen Sachverhalt zu beurteilen hatte. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Aus den dort näher angeführten Erwägungen war auch der hier angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die gesondert angesprochene Umsatzsteuer ist in den dort genannten Pauschalbeträgen bereits enthalten, sodass das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 26. Jänner 2006
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