VwGH Ra 2016/20/0188

VwGHRa 2016/20/018823.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Christl, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Juni 2016, Zl. W154 2014384-1/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und FPG (mitbeteiligte Partei: N M alias A in G), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. Dezember 2012 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu jenen Gründen, aus denen er sein Heimatland verlassen habe, gab er im Rahmen seiner Vernehmung zusammengefasst an, er habe in Afghanistan nicht zur Schule gehen können, seiner Familie sei es sehr schlecht gegangen, weil sie kein Geld gehabt habe.

2 Mit Bescheid vom 28. Februar 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, erklärte gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO Ungarn für zuständig und wies den Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn aus. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. August 2013 statt und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung an das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA) zurück.

3 Mit Bescheid vom 4. November 2014 wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz sowohl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 55 und § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

4 Hinsichtlich der Versagung von subsidiärem Schutz führte die Verwaltungsbehörde - soweit für den vorliegenden Fall relevant - aus, dem Mitbeteiligten drohe in seinem Herkunftsstaat keine Verfolgung. Er habe Verwandte (Eltern, Geschwister) in Kabul und verfüge somit über ein ausreichendes soziales Netz.

5 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

6 Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) stellte das BVwG das Verfahren infolge Zurückziehung der Beschwerde mit Beschluss gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ein (Spruchpunkt A/I.). Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gab das BVwG statt und erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A/II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Begründend stellte das BVwG fest, der Mitbeteiligte sei afghanischer Staatsangehöriger und habe bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie in Kabul gelebt. Er verfüge über eine geringe Schulausbildung und über keine Berufserfahrung. Er sei "jugendlichen" Alters. Der Mitbeteiligte habe Kontakt zu seiner in Kabul lebenden Familie. Der Vater und der Bruder des Mitbeteiligten könnten mit ihrem geringen Einkommen die restliche Familie nur notdürftig ernähren. Bei einer Rückkehr könne der Mitbeteiligte seitens seiner Familie nicht finanziell unterstützt werden und hätte daher aufgrund der schlechten Versorgungslage in seiner Heimatregion mit Eingriffen in seine Sphäre zu rechnen. Er habe aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage und der allgemein schlechten Sicherheitslage auch keine Möglichkeit, sich an einem anderen Ort in Afghanistan niederzulassen.

8 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die Feststellungen zur Rückkehrprognose aus dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten ergäben.

9 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es ergäben sich aus dem seitens des Sachverständigen erstellten Gutachten konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses einer Rückverbringung des Mitbeteiligten in dessen Herkunftsstaat Afghanistan. Zum einen sei die Sicherheitslage im gesamten Land derzeit sehr prekär. Zum anderen sei der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit einer äußerst angespannten Versorgungslage konfrontiert. Die Arbeitslosigkeitsrate sei in Afghanistan, besonders in Kriegsgebieten, unter den Jugendlichen enorm gestiegen, sodass sich der Mitbeteiligte im Falle seiner Rückkehr keine adäquate Arbeit, aus deren Erträgen er sich ein wirtschaftlich menschenwürdiges Dasein verschaffen könne, erwarten könne. Der Mitbeteiligte verfüge in Afghanistan zwar über eine Familie, doch befinde sich diese wirtschaftlich gesehen selbst in einer äußerst angespannten Situation, sodass eine ausreichende finanzielle Unterstützung des Mitbeteiligten durch diese nicht gewährleistet werden könne. Der Mitbeteiligte verfüge über kein Eigentum sowie lediglich über eine Grundschulausbildung und keine Berufsausbildung. Ohne finanziellen familiären Rückhalt und ohne entsprechende Fachausbildung hätten Rückkehrer nach Afghanistan derzeit kaum die Chance, eine Arbeit zu finden, um sich die Grundlage eines menschenwürdigen Lebens zu schaffen. Dies gelte für das gesamte afghanische Staatsgebiet. Daher sei zu erkennen, dass der Mitbeteiligte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lebenssituation geraten und Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK oder durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Eine Rückverbringung des Mitbeteiligten stehe nach dem Gesagten im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen gewesen sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision - soweit relevant -

vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Indem das Bundesverwaltungsgericht rein die schlechte finanzielle Lage der Familie des Mitbeteiligten sowie die drohende Arbeitslosigkeit, welche in ganz Afghanistan herrschen würde, und somit keine exzeptionellen Umstände, welche eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würden, detailliert und konkret anführe, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Es zeige im gegenständlichen Fall vielmehr nur die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung auf.

 

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

12 Die Amtsrevision ist zulässig und auch berechtigt. 13 Das angefochtene Erkenntnis gleicht darin, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinen Feststellungen zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat in wirtschaftlicher Hinsicht aufgezeigt, damit jedoch die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Bezug auf seinen Herkunftsort nicht dargetan hat, dem hg. Erkenntnis vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses vom 8. September 2016 verwiesen. Schon daher war auch hier das angefochtene Erkenntnis hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der daran anknüpfenden Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.

Wien, am 23. März 2017

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