VwGH 2008/19/1031

VwGH2008/19/103128.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak sowie den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Juni 2008, Zl. 312.658-1/18E-XIX/61/07, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (Spruchpunkt I.) angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 6. Dezember 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Seine Flucht begründete er im Wesentlichen damit, wie der bekannte tschetschenische Widerstandkämpfer Ruslan Gelaev (auch Gelayev) aus dem tschetschenischen Dorf Komsomolskaja zu stammen. Er sei in der Zeit zwischen den Jahren 2000 bis 2005 dreimal festgenommen und misshandelt worden, weil man ihn beschuldigt habe, diesem Widerstandskämpfer geholfen zu haben.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig gewährte sie dem Beschwerdeführer jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG subsidiären Schutz und erteilte ihm eine Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte II. und III.).

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer stamme aus dem Dorf Komsomolskaja; es könne aber nicht festgestellt werden, dass er in der Russischen Föderation einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei oder eine solche im Falle einer Rückkehr zu erwarten habe. Der Beschwerdeführer habe auch nicht allein deshalb Verfolgungshandlungen zu befürchten, weil er der tschetschenischen Volksgruppe angehöre.

Im Folgenden traf die belangte Behörde umfangreiche Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation (insbesondere in Tschetschenien) und hielt beweiswürdigend fest, dass sie die vom Beschwerdeführer behaupteten Festnahmen aus näher dargestellten Gründen nicht glaube. Die Berufungsbehörde habe vielmehr den Eindruck gewonnen, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2000 sein Heimatdorf auf Grund der kriegsbedingten Bombenangriffe für ca. ein Jahr verlassen und sich nach Beruhigung der Situation im Jahr 2001 wieder dorthin zurück begeben habe. Die Betroffenheit von allgemeinen bürgerkriegsbedingten Verhältnissen ohne asylrechtlichen Anknüpfungspunkt vermöge jedoch keine Asylgewährung zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund könne auch der Umstand, dass es sich bei dem Dorf Komsomolskaja um eines der am stärksten kriegsbetroffenen Gebiete Tschetscheniens handle, keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden, zumal eine kriegsbedingte schwierige und gefährliche Lage grundsätzlich nicht die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Intensität und Qualität aufweise. Nachteile, die auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen seien, stellten keine Verfolgung im Sinne des AsylG dar. Der belangten Behörde erscheine es auf Grund der vorliegenden Länderdokumentationsunterlagen zwar durchaus vorstellbar, dass es im Heimatdorf des Beschwerdeführers, ebenso wie auch in anderen Regionen seines Herkunftslandes, wiederholt zu Festnahmen und Militäroperationen gekommen sei, jedoch könne daraus keine individuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden. Es könne weiters vor dem Hintergrund der Feststellungen zur allgemeinen Situation in Tschetschenien nicht erkannt werden, dass alle Tschetschenen - ungeachtet individueller gefährdungserhöhender Aspekte (gleichsam einer Gruppenverfolgung) - mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hätten. Dem Beschwerdeführer sei deshalb kein Asyl zu gewähren. Da der Beschwerdeführer aber der Vater eines Asylwerbers sei, dem mit Bescheid der belangten Behörde vom selben Tag subsidiärer Schutz gewährt worden sei, schlage dieser Umstand im Familienverfahren auch auf ihn durch, weshalb er den selben Schutz bekommen müsse.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, die sie als fehlerhaft, unplausibel und "unfair" bezeichnet. Die belangte Behörde habe die allgemeinen Sicherheitsverhältnisse im Heimatgebiet des Beschwerdeführers völlig ignoriert. Die katastrophale Menschenrechtslage und Sicherheitssituation in Tschetschenien dürfe als notorisch vorausgesetzt werden und sei so ungünstig, dass immer wieder die Forderung erhoben werde, im Fall von tschetschenischen Flüchtlingen eine Gruppenverfolgungssituation anzunehmen. Zum Beleg dieser Forderung zitiert die Beschwerde ein Asylgutachten von Amnesty International Deutschland vom 27. April 2007, das in einem Verfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Deutschland erstattet worden sei. Gestützt auf dieses Dokumentationsmaterial begehrt sie die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation, insbesondere nach Tschetschenien und insbesondere im Fall einer Rückkehr in sein Heimatdorf Komsomolskaja, Verfolgungshandlungen befürchten müsse, und zwar sowohl von Seiten der tschetschenischen Sicherheitskräfte des Ramzan Kadyrov, als auch möglicherweise von Seiten der föderalen, pro-russischen Kräfte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu derartigen Verfolgungshandlungen gegenüber dem Beschwerdeführer komme, sei erheblich. Dabei drohten sowohl Hausdurchsuchungen, eine Abholung von zu Hause und Misshandlungen, als auch die Mitnahme, die Gefangenhaltung, das Verschwinden-Lassen oder gar eine willkürliche Tötung. Die Beschwerde betont, dass beim Beschwerdeführer einige konkrete Gefährdungsaspekte vorlägen. Wie im Verwaltungsverfahren vorgebracht worden sei, gestalte sich die Sicherheitslage im Dorf Komsomolskaja besonders kritisch und schwierig, weil dieses Dorf zum Großteil zerstört worden sei, kaum mehr Bewohner habe, am Rande von Gebirgen liege und von den Sicherheitsbehörden als "den Widerstandskämpfern nahe stehend" eingestuft werde.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde - zumindest im Ergebnis - einen relevanten Verfahrensmangel auf.

2. Zu den rechtlichen Voraussetzungen der von der Beschwerde angesprochenen "Gruppenverfolgung" hat der Verwaltungsgerichtshof - wenn auch nicht unter Verwendung dieses Begriffes - mehrfach Stellung genommen.

2.1. Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG zu Grunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. März 1999, 98/01/0370, vom 22. Oktober 2002, 2000/01/0322, u.a.).

Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. April 2001, 99/20/0142).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner erkannt, dass die Ermittlung der asylrelevanten Verfolgungsgefahr (insbesondere unter dem Aspekt einer "Gruppenverfolgung") nach rein mathematischen Gesichtspunkten nicht möglich ist; eine solche Betrachtung sei schon vom Ansatz her verfehlt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Asylwerber sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat. Dies ist - wie zuvor erwähnt - der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2006/20/0771, u.a.). Anhand dieses Maßstabes ist auch zu ermitteln, ob eine asylrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten (etwa ethnischen) Gruppe glaubhaft ist. Dabei spielen - wie hinzuzufügen ist - Häufigkeit und Intensität der bereits dokumentierten Übergriffe auf Mitglieder dieser Gruppe im Herkunftsstaat eine wesentliche Rolle.

2.2. In Bezug auf die Lage in Tschetschenien hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung dargelegt, dass dem dortigen gewaltsamen Konflikt und seinen Auswirkungen auf die tschetschenische Zivilbevölkerung Aspekte ethnischer Verfolgung oder einer Verfolgung wegen einer an ethnische Gesichtspunkte anknüpfenden Unterstellung einer den pro-russischen Kräften gegenüber feindlichen politischen Gesinnung innewohnen können (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 2006, 2006/19/0301, vom 26. September 2007, 2006/19/0541, und vom 24. Oktober 2007, 2006/19/0555). Abschließend beantwortet wurde diese - von der jeweiligen Faktenlage abhängige - Frage jedoch nicht.

3. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde unter Bezugnahme auf ihre Länderfeststellungen eine (asylrelevante) Verfolgungsgefahr allein auf Grund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur tschetschenischen Volksgruppe verneint. Dem tritt die Beschwerde insofern entgegen, als ihrer Ansicht nach "immer wieder die Forderung erhoben wird, im Fall von tschetschenischen Flüchtlingen eine Gruppenverfolgungssituation anzunehmen". Sie bezieht sich auf ein der Beschwerde beigelegtes Asylgutachten von Amnesty International Deutschland vom 27. April 2007, das im Verfahren des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zur dortigen Zl. 3 UE 191/07.A erstattet worden ist.

In diesem Gutachten wurde u.a. ausgeführt, dass von einer "Normalisierung" der Situation in Tschetschenien nach wie vor keine Rede sein könne. Es komme im geringen Umfang weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen russischen und tschetschenischen Sicherheitskräften auf der einen und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite. Diese Zusammenstöße fänden vorwiegend nur noch in den südlichen Regionen der Republik statt, ab und zu aber auch in anderen Teilen Tschetscheniens und sogar in der Hauptstadt Grosny. Regelmäßige Luftangriffe und Artilleriebeschuss durch die föderalen russischen Kräfte, von denen frühere Phasen des zweiten Tschetschenienkonflikts geprägt gewesen seien, fänden im damaligen Ausmaß nicht mehr statt. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, die mit schweren Menschrechtsverletzungen einher gingen, dauerten jedoch fort. Die Gefährdungslage für alle Teile der tschetschenischen Zivilbevölkerung dürfe daher eindeutig nicht als Folge des Kriegsgeschehens angesehen werden. Es handle sich nicht um eine allgemeine Gefahrensituation, sondern vielmehr um Übergriffe, die darauf abstellten, das Leben, die Würde und die Sicherheit der Zivilbevölkerung anzutasten, und die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen stünden. Für Tschetschenen, die während des zweiten Tschetschenienkriegs ihre Heimatregion verlassen hätten und jetzt nach Tschetschenien zurückkehrten, könne sich die Sicherheitslage vielfach noch schlechter darstellen als für diejenigen, die in den letzten Jahren in Tschetschenien verblieben seien. Junge Männer gerieten - begründet oder unbegründet - schnell in den Verdacht, dass sie einer Gruppe von Widerstandskämpfern angehörten. Damit seien sie gefährdet, unrechtmäßig inhaftiert zu werden. Zunehmend seien tschetschenische Sicherheitskräfte für die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verantwortlich. Diese würden die kleine Republik sehr viel besser als die in Tschetschenien stationierten föderalen Kräfte kennen. Sie wüssten in vielen Fällen sehr viel besser als die föderalen Sicherheitskräfte, wer im zweiten Tschetschenienkrieg die Republik verlassen habe. Dies setze die Rückkehrer einer besonderen Gefahrenlage aus, denn entweder werde ihnen unterstellt, sie hätte sich in der Zwischenzeit bewaffneten separatistischen Gruppierungen angeschlossen, oder sie seien vor einer Verfolgung wegen einer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu bewaffneten Gruppen ins Ausland geflohen oder sie hätten aus dem Ausland Vermögen mitgebracht, das man durch Lösegeld erpressen könne. Ein Rückkehrer müsse beweisen, dass er die letzten Jahre nicht gekämpft habe und Dokumente vorzeigen, die belegten, wo er sich aufgehalten habe.

Selbst unter Zugrundelegung dieser gutachterlichen Ausführungen lässt sich nicht erkennen, dass alle Tschetschenen allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung (Anfang Juni 2008) einer asylrelevanten Verfolgung in ihrem Heimatgebiet ausgesetzt gewesen wären. Die Kämpfe seien laut Gutachten weniger geworden und im Wesentlichen örtlich begrenzt; Menschenrechtsverletzungen dauerten zwar an, ihre Häufigkeit und Intensität wird aber nicht näher beleuchtet. Besondere Gefahr wird in dem Gutachten für jugendliche männliche Rückkehrer gesehen, die - zu Recht oder zu Unrecht - in den Verdacht geraten könnten, während ihrer Abwesenheit für Widerstandskämpfer tätig gewesen zu sein. Gleichzeitig wird diese Verfolgungsgefahr im Gutachten dahingehend relativiert, dass sie dieser Gefahr durch den Nachweis ihres Aufenthaltsortes während der letzten Jahre begegnen könnten. Somit lässt sich daraus auch nicht verallgemeinernd der Schluss ziehen, jugendliche männliche Rückkehrer würden im Allgemeinen der asylrelevanten Verfolgung unterliegen. Abschließend bleibt anzumerken, dass auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof in jenem Verfahren, in dem ihm das zitierte Gutachten vorgelegt wurde, auf Grund weiterer eingeholter Gutachten und Stellungnahmen zu dem Ergebnis gelangte, dass eine Gruppenverfolgung aller Tschetschenen jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt seines Urteiles vom 21. Februar 2008 zu verneinen sei (vgl. etwa die Presseaussendung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Februar 2008 Nr. 6/2008 in http://www.vghkassel.justiz.hessen.de)

Die Beschwerde vermag daher nicht darzutun, dass die auf eine Vielzahl von Ländermaterialen gestützte Einschätzung der belangten Behörde, der (männliche tschetschenische) Beschwerdeführer unterliege allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen keiner (aktuellen) Verfolgungsgefahr, verfehlt gewesen wäre.

4. Soweit die Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde angreift, ist vorweg festzuhalten, dass die behördliche Beweiswürdigung der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nur dahin unterworfen ist, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. dazu etwa jüngst das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2009, 2007/19/0829, mwN).

Im vorliegenden Fall erachtet die Beschwerde die von der belangten Behörde aufgezeigten Widersprüche im Aussageverhalten des Beschwerdeführers zur individuellen Fluchtgeschichte als "unfair" und rügt, die belangte Behörde hätte bei der Würdigung der Aussagen eine gewisse Toleranz und Nachsichtigkeit an den Tag legen müssen. Damit zeigt sie aber keine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung im Sinne der zuvor erwähnten Rechtgrundsätze auf.

5. Berechtigung kommt der Beschwerde allerdings in einem entscheidungswesentlichen Punkt zu:

Die belangte Behörde glaubt dem Beschwerdeführer, aus dem tschetschenischen Dorf Komsomolskaja zu stammen und dort - auch vor der Flucht - aufhältig gewesen zu sein. Diesem Umstand und der Tatsache, dass es sich bei diesem Dorf - so die belangte Behörde - "um eines der stärksten kriegsbetroffenen Gebiete Tschetscheniens" handeln soll, komme jedoch keine Asylrelevanz zu. Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof in dieser Allgemeinheit nicht zuzustimmen. Die belangte Behörde blendet bei ihren Erwägungen nämlich aus, dass der Beschwerdeführer - wie die Beschwerde zurecht darlegt - seine besondere Gefährdung gerade aus der Herkunft aus diesem Dorf ableitet, weil es der Geburts- und Heimatort eines sehr bekannten Kommandanten des tschetschenischen Widerstands (Ruslan Gelaev) gewesen sei. Einwohnern dieses Dorfes werde - so die Beschwerde - aus diesem Grund von den Sicherheitsbehörden unterstellt, den Widerstandskämpfern nahe zu stehen.

Mit diesem - vom Zutreffen der vom Beschwerdeführer geschilderten Festnahmen unabhängigen - Gefährdungsmoment im Falle einer Rückkehr hat sich die belangte Behörde nicht ausreichend beschäftigt. Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen über den realen Hintergrund der vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen (betreffend die Abstammung des tschetschenischen Kommandanten Ruslan Gelaev aus dem Heimatort des Beschwerdeführers und die damit im Zusammenhang stehende besondere Betroffenheit von Aktionen der Sicherheitskräfte). Träfe die Behauptung des Beschwerdeführers zu, die Bewohner des Heimatdorfes des Beschwerdeführers würden aus den obgenannten Gründen von den Sicherheitsbehörden als den Widerstandskämpfern nahe stehend angesehen, so griffe die Einschätzung der belangten Behörde, die Betroffenheit eines Dorfes von kriegerischen Ereignissen reiche für die Asylgewährung nicht aus, zu kurz. Der Beschwerdeführer könnte nämlich - im Vergleich zur tschetschenischen Bevölkerung im Allgemeinen - jene "individuellen gefährdungserhöhenden Aspekte" für sich in Anspruch nehmen, die von der belangten Behörde vermisst wurden. Auch die Asylrelevanz einer ihm deshalb drohenden Gefährdung (wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung) ließe sich nach dem bisher Gesagten (vgl. Punkt 2.2 der Erwägungen) nicht verneinen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. Mai 2009

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