BVwG L506 2204832-1

BVwGL506 2204832-111.9.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:L506.2204832.1.00

 

Spruch:

 

L506 2204832-1/27E

L506 2204835-1/26E

L506 2204843-1/15E

L506 2204841-1/15E

L506 2204837-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerden der XXXX , geb. XXXX , StA. Iran (BF1), des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan (BF2), beide vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, sowie des XXXX , geb. XXXX (BF3), der XXXX , geb. XXXX (BF4) und der XXXX , geb. XXXX (BF5), diese drei StA. Afghanistan und vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , (BF1), StA. Iran, diese wiederum vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. XXXX XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2020, zu Recht:

 

A)

I. Die Beschwerden der BF1-5 werden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

 

II. 1. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran zuerkannt.

 

2. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 11.09.2021 erteilt.

 

3. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird XXXX , gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

4. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 11.09.2021 erteilt.

 

5. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

6. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 11.09.2021 erteilt.

 

III. Die Spruchpunkte III.-VI. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (BF1), iranische Staatsangehörige, dem schiitischen Glauben zugehörig, reiste gemeinsam mit ihrer Familie (Ehegatte – Eheschließung nach traditionellem Ritus - , 2 minderjährige Kinder: BF2 - BF4), illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Der Ehemann (BF2) und die minderjährigen Kinder (BF3 – BF4) sind afghanische Staatsanbehörige. Die Familie stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX Anträge auf internationalen Schutz. Für die in Österreich am XXXX geborene BF5, afghanische Staatsangehörige, stellte die Mutter als gesetzliche Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich der Erstbefragung am 22.07.2015 gab die BF1 an, dass sie und ihre Kinder von den Schwiegereltern massiv bedroht worden seien. Der Schwiegervater habe sie auch mit einem Messer verletzt und sie habe davon noch Narben. Sie hätten auch Anzeige deswegen erstattet. Weil sie Iranerin und ihr Mann Afghane sei, hätten sie auch nicht standesamtlich, sondern nur traditionell heiraten dürfen. Bei Rückkehr sei ihr Leben und das ihrer Kinder durch die Schwiegereltern in Gefahr. Im Iran würden sich noch die Mutter und ihre Geschwister aufhalten, der Vater sei bereits verstorben.

Der BF2, afghanischer Staatsangehöriger, dem schiitischen Glauben und der Volksgruppe der Tajik zugehörig, gab anlässlich der Erstbefragung am 22.07.2015 zu seinen Ausreisegründen an, dass er aus familiären Gründen ausgereist sei, weil seine Eltern dagegen gewesen seien, dass er als Afghane eine iranische Frau geheiratet habe. Er habe wegen der unterschiedlichen Staatszugehörigkeiten seine Frau auch nur traditionell und nicht am Standesamt heiraten können. Die ganze Familie sei vom Vater des BF2 bedroht, die BF1 sei vom Vater geschlagen und die BF4 mit dem Umbringen bedroht worden. Seine Eltern und ein Bruder würden sich noch im Iran aufhalten, ein Bruder sei in Afghanistan, drei Schwestern in Deutschland und ein Bruder in Griechenland aufhältig.

3. Am 19.10.2017 erfolgte eine Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend BFA). Dabei gab die BF1 an, dass sie gesund und derzeit schwanger sei. Sie sei verheiratet, es sei keine arrangierte Ehe gewesen, sondern sie habe ihren Ehemann selbst kennen gelernt. Sie sei nunmehr als freie Christin getauft, habe aber keinen Taufschein.

Im Iran habe sie 12 Jahre die Schule, einen Konditor- und Kochkurs besucht und 4 Jahre im Bauamt als Sekretärin gearbeitet. Ihre Mutter und weitere Verwandte seien nach wie vor im Iran aufhältig und sie habe mit ihrer Mutter Kontakt.

Ihre Kinder seien im Iran geboren, die Tochter (BF4) sei gesund, der Sohn (BF3) sei Autist und bekomme in Österreich eine Therapie.

Zum Ausreisegrund befragt gab die BF1 an, dass sie im Iran Schwierigkeiten wegen ihres afghanischen Ehemannes gehabt habe, ihre Kinder deswegen keine Dokumente bekommen hätten und sie als nunmehrige Christin große Probleme hätte. Sie sei bereits im Iran mit dem Christentum in Kontakt gekommen und habe dort auch Hauskirchen besucht. Zudem sei sie vom Schwiegervater ständig bedroht worden. Zu den Vorfällen mit ihrem Schwiegervater befragt gab die BF1 an, dass sie im 4. Schwangerschaftsmonat von einer Cousine väterlicherseits eine Abtreibungsspritze erhalten habe und der Schwiegervater in ihrem 8. oder 9. Schwangerschaftsmonat einen Auffahrunfall beauftragt habe; sie habe Kenntnis davon, weil der Schwiegervater die vereinbarte Auftragssumme nicht bezahlt habe. Der Schwiegervater habe ihr die Schuld an der Krankheit des Sohnes gegeben, habe gewollt, dass sie sich afghanisch kleide, habe sie beschimpft und des Fremdgehens beschuldigt, habe sie verfolgt und ihr gedroht, die Kinder nach Afghanistan zu bringen. Einmal habe er sie mit einem Messer an der Hand verletzt.

Bei Rückkehr würde alles noch schlechter werden und sie hätte Angst um ihr Leben. Im Iran bekäme ihr Sohn (BF3) auch keine Therapie. Zudem könne sie als Christin im Iran nicht leben.

In Österreich habe sie die Deutschprüfung (B1) absolviert, habe österreichische Freunde, helfe ehrenamtlich in einem Altersheim und im Cent-Markt und besuche die Kirche. Sie erhalte Leistungen aus der Grundversorgung.

Der BF2 legte anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 19.10.2017 nach Korrektur seines protokollierten Geburtsdatums eine Heiratsurkunde vor, zu der er erklärend ausführte, dass das Ausstellungsdatum ( XXXX ) falsch sei, sie hätten bereits zwei Jahre zuvor ( XXXX ) geheiratet. Sie hätten die Urkunde falsch ausstellen lassen, weil bis zu diesem Datum von der Regierung eine Unterstützung vorgesehen gewesen wären, sie hätten diese Unterstützung aber dennoch nicht bekommen. Die BF1 und der BF2 hätten sich im Handygeschäft des BF2 kennengelernt, die Ehe sei aber von der Mutter des BF2 und den Eltern der BF1 arrangiert worden.

Der BF2 habe im Iran fünf Jahre die Schule besucht, sei dann mit seiner Familie nach Afghanistan gezogen, die Familie sei aber aufgrund der Probleme mit den Taliban nach sechs Jahren wieder in den Iran zurück. Im Iran habe er keine Aufenthaltsberechtigung gehabt und er sei zunächst arbeitslos gewesen, habe aber dann mit einem Iraner ein Handygeschäft eröffnet. Nach der Heirat habe er bei der Schwiegermutter gelebt, er sei wieder arbeitslos gewesen und habe nur kleine Hilfsarbeiten erledigt bzw. die letzten 6 Monate vor seiner Ausreise in einer Plastikwerkstatt gearbeitet.

Der Vater des BF2 habe zwei Frauen, eine in Afghanistan und eine im Iran und er lebe einmal da und einmal dort. Die Mutter des BF2 befinde sich mittlerweile in Deutschland und der BF2 stehe in Kontakt mit ihr. Familienangehörige der Mutter würden im Iran leben, ebenso die Familie der BF1, zu der die BF1 - BF2 auch in Kontakt stehen.

Zum Ausreisegrund befragt führte der BF2 aus, dass er sein Land aus zwei Gründen verlassen habe. Als ersten Grund gab der BF2 an, dass die Kinder keine Identitätsdokumente erhalten hätten, ihnen ein Schulbesuch nicht möglich und die Therapie für den Sohn (BF3) nicht leistbar gewesen wäre. Als zweiten Grund führte der BF2 die Probleme mit seinem Vater an, der gegen die Heirat des afghanischen BF2 mit einer Iranerin, der BF1, gewesen sei. Es sei auch zu mehreren Vorfällen gekommen. So habe der Vater bei der Hochzeit der Cousine einen Auffahrunfall organisiert, aufgrund dessen die hochschwangere Ehefrau – sie sei im 9. Monat gewesen – zwei Tage im Spital habe verbringen müssen. Auch habe eine Cousine des Vaters – diese sei Krankenschwester - gemeinsam mit dem Vater Spritzen, die die Ehefrau (BF1) benötigt habe, ausgetauscht, worauf die Ehefrau Schmerzen bekommen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei die Ehefrau im 4. oder 5. Monat gewesen und die Ärzte hätten vermutet, dass dies eine Abtreibungsspritze gewesen sei. Der Sohn habe aber überlebt und es sei laut den Ärzten nicht auszuschließen, dass diese beiden Vorfälle Ursache für die Behinderung des Sohnes seien. Der Vater habe aber auch behauptet, dass die BF1 fremdgehe und dazu Fotos von einem Treffen mit einem Mann arrangiert. Als der Vater des BF2 auch noch erfahren habe, dass die BF1 eine private Hauskirche besuche, sei es zu Morddrohungen des Vaters gegen den BF2 gekommen und zu einer Bedrohung mit einem Messer durch ihm fremde Personen, die ihn auch geschlagen und sein Handgelenk ausgekugelt hätten. Daraufhin habe er beschlossen, sein Land zu verlassen. Nach seiner Ausreise habe ihn der Vater mit ein paar Leuten – bewaffnet mit Holz und Metallstöcken – bei der Schwiegermutter gesucht.

Bei Rückkehr fürchte er vom Vater umgebracht zu werden und in Afghanistan gebe es keine Sicherheit.

In Österreich habe er die Deutschprüfung B1 absolviert, habe ehrenamtlich für die Gemeinde gearbeitet (Straßenreinigung), besuche seit Februar 2017 einen Glaubenskurs der Kirche, trainiere in einem Fitnessstudio, sei Mitglied in einem Fußballverein und habe österreichische Freunde. Er erhalte Leistungen aus der Grundversorgung und er würde gerne zum Christentum konvertieren.

Die Kinder (BF3 - BF4) hätten keine eigenen Ausreisegründe. Die Tochter (BF4) sei gesund, der Sohn (BF3) sei Autist und erhalte Therapien.

4. Mit Schreiben vom 02.11.2017 übermittelten die BF1 - BF4 ein Konvolut an Unterlagen zu ihrer Identität und zu ihren Ausreisegründen und führten ergänzend dazu aus, dass sie wegen unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten und wegen ihres westlichen Lebensstils weder im Iran noch in Afghanistan leben könnten. Insbesondere seien die BF in beiden Ländern wegen ihrer Zuwendung zum Christentum aus religiösen Gründen Verfolgung ausgesetzt. Auch seien im Fall der BF die afghanischen Behörden weder in der Lage noch willig, diese vor Verfolgung zu schützen. Die BF hätten auch kein adäquates soziales oder familiäres Auffangnetz in ihrer Heimat mehr und es bestehe die reale Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung.

Dem Schreiben angeschlossen war ein Schreiben des Pastors der freien Kirchengemeinde XXXX sowie die Taufbescheinigung der BF1 vom 30.10.2017 sowie Dokumente (Reisepass des BF 2 samt Visum im Original, Geburtsurkunden der BF3)

5. Am XXXX wurde die BF5 in Österreich geboren. Die BF5 stellte am XXXX durch ihre Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens. Eigene Gründe wurden für die BF5 nicht geltend gemacht.

6. Mit Schreiben vom 17.07.2018 übermittelten die BF weitere Unterlagen (Befundberichte für den BF3, Schulzeugnisse der BF3 - BF4, Geburtsurkunde der BF5, Unterstützungserklärungen, etc.)

7. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurden die Anträge der BF1 - BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (für die BF2 - BF5) bzw. in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (für die BF1) abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde die BF1 – BF5 nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1 – BF5 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Afghanistan (betr. BF2-BF5) bzw. deren Abschiebung nach Iran (betr. BF1) gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde durch das BFA dazu in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, dass eine lebensgefährliche Bedrohung durch den Vater des BF2 nicht feststellbar sei. Aufgrund der divergierenden Aussagen der BF1 und BF2, insbesondere im Hinblick auf die Begleitumstände zu den geschilderten – vom Vater des BF2 ausgehenden – Bedrohungen, gehe die Behörde nicht von einer glaubwürdigen Darstellung des geltend gemachten ausreisekausalen Vorbringens aus.

In Hinblick auf die BF1, deren Identität mangels Vorlage von Identitätsdokumenten nicht festgestellt werde könne, könne auch keine so intensive westliche Orientierung festgestellt werden, deren Aufgabe für die BF1 unmöglich wäre oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde. Bezüglich ihrer geltend gemachten Konversion zum Christentum habe eine Konversion aus innerer Überzeugung nicht festgestellt werden können.

Soweit der BF2, dessen Identität aufgrund der Vorlage eines unbedenklichen Reisepasses feststehe, zusätzlich Probleme aufgrund seiner Volksgruppe und Religionszugehörigkeit in Afghanistan vorbringt, sei dieses Vorbringen – der BF2 solle damals 15 Jahre alt gewesen sein – nicht glaubhaft, da in diesem Falle die Eltern des BF2 zur Rechenschaft gezogen worden wären.

Zusammenfassend wurde letztendlich festgehalten, dass dem Vorbringen der BF1 - BF2 keine Glaubwürdigkeit beigemessen werde könne, wonach sie und ihre Kinder einer unmittelbaren und/oder mittelbaren staatlichen Verfolgung iSd GFK ausgesetzt waren bzw. solcher im Falle der Rückkehr ausgesetzt wären.

Spruchpunkt II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs 1 Z 1 AsylG aufgrund der Länderkenntnisse und der Feststellungen zu den persönlichen Umständen zu verneinen sei.

Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für die BF1 - BF5 keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle und wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Wenngleich die BF1 an Depressionen leide, so leide sie an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und seien die Depressionen im Iran behandelbar.

Beim BF3 sei eine genetisch bedingte Koordinationsstörung und expressive Sprachstörung festzustellen gewesen. Zwar seien in Afghanistan keine Logopäden tätig, Sprachtherapien und Ergotherapien seien jedoch verfügbar; hinsichtlich der Logopädie werde der BF3 auf das Nachbarland Iran verwiesen. Da der BF3 an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leide, würden auch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des BF3 kein Rückkehrhindernis darstellen.

Darüber hinaus sei den minderjährigen BF3 - BF5 zumutbar, mit ihren Eltern, die wie bisher für ihren Lebensunterhalt sorgen würden, in die Heimat zurückzukehren.

8. Mit Schriftsatz vom 28.08.2018 erhoben die BF1 - BF5, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, binnen offener Frist vollumfängliche Beschwerden. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

Die BF führten darin aus, dass ihre Ausreisegründe einerseits wegen der Konversion zum Christentum in der Verfolgung aus politischen/religiösen Gründen und andererseits wegen der entwickelten westlichen Lebenseinstellung hinsichtlich der BF1 in der Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen zu sehen seien. Zudem würden die BF im Falle einer Abschiebung als Familie zwangsläufig getrennt werden. Wie das BFA zur Ansicht gelangt sei, dass die Erklärungen der BF1 - BF2 nicht plausibel seien, sei nicht nachvollziehbar.

Die Beweiswürdigung des BFA sei nur oberflächlich erfolgt und die Trennung der Familie sei überhaupt nicht kommentiert worden. Es fehle an inhaltlicher Würdigung der Fluchtgründe und der Notlage im Falle der Abschiebung, insbesondere in Hinblick auf die unterschiedlichen Staatsbürgerschaften. Die Schutzunfähigkeit beider Staaten sei nicht beachtet worden, ebensowenig die geschlechtsspezifische Verfolgung der BF1 und die religiöse Verfolgung und Entwurzelung des BF2. Es hätten im Herkunftsland keine Recherchen stattgefunden und die Situation von Frauen und deren Rechte im Iran sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Asylrelevanz zeige sich schon im Vorbringen der Konversion, zumal Konvertiten Verhaftung und Folter bis hin zu Todesstrafe zu befürchten hätten. Durch die Trennung von ihren Kindern wäre die BF1 zudem mit einer gravierenden Einschränkung ihrer fundmentalen Menschenrechte konfrontiert. Die BF seien Afghanistan komplett entwurzelt, hätten realistische Bedrohungen angeführt und seien auch wegen ihrer westlichen Einstellung besonders gefährdet, asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein. Zudem lasse die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan eine Rückkehr nicht zu. Das BFA habe auch die beeindruckenden Integrationsleistungen der BF nicht berücksichtigt.

Die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe der BF durch das BFA sei ebenso falsch wie die Bewertung der Gefährdung, der die BF bei einer Rückkehr ausgesetzt wären.

9. Die Beschwerde wurde am 30.08.2018 vom BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

10. Am 05.09.2019, 19.02.2020 und 04.03.2020 brachten die BF diverse Unterlagen in Vorlage (Bestätigung eines Fahrschulkurses des BF2, Zeugnisse der BF3 - BF4, Befunde der BF1 und des BF3, Geburtsurkunde der BF5, Unterstützungserklärungen für die Familie, Kursbestätigungen der BF1, des BF2 und der BF4).

11. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben der BF1 und BF2, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde. Einsicht genommen wurde zudem in die vom BFA in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der BF, die dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen sowie durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2020.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin

1.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

1.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.

1.2. Familienverfahren § 34 AsylG 2005 lautet:"(1) Stellt ein Familienangehöriger von1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder3. einem Asylwerbereinen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Wer als Familienangehöriger im Sinne dieser Bestimmung gilt findet sich in §2 Abs 1 Z 22 AsylG. Da die Beschwerdeführer 1-2 die Eltern des minderjährigen BF 3 sind, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die BF 4-5 die minderjährigen, ledige Kinder der BF 1 und des B F2 sind, liegt im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Familienverfahren iSd § 34 Abs 5 AsylG vor und wird das Verfahren der BF 1-5 daher in einem geführt. Den BF1-2 und 4-5 kommt im Zuge des Familienverfahrensverfahrens die subsidiäre Schutzberechtigung zu.

 

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer 1-5 wird festgestellt:

Die Beschwerdeführerin 1 ist iranische Staatsangehörige, die Beschwerdeführer 2-5 sind afghanische Staatsangehörige.

Die Identität der BF1, BF3 und BF4 konnte nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführer 1-4 reisten illegal in Österreich ein und stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Beschwerdeführerin 5, welche in Österreich geboren wurde, wurde nach deren Geburt ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Sämtliche Beschwerdeführer sind unbescholten.

Zur Beschwerdeführerin 1:

XXXX ist die Mutter der drei minderjährigen Kinder, XXXX , XXXX und XXXX (BF 3-5). Sie ist mit XXXX (BF 2) traditionell verheiratet. Sie hat nach Abbruch des Psychologiestudiums in der Gemeinde in XXXX im Büro gearbeitet und gemeinsam mit XXXX , einem afghanischen Staatsangehörigen, mit dem sie traditionell verheiratet ist, den Unterhalt für die Familie bestritten. Mit diesem und den beiden minderjährigen Kindern lebte sie in einem gemieteten Haus in XXXX .

Die Mutter und Geschwister der Beschwerdeführerin leben im Iran und steht sie zu diesen in Kontakt.

Die Beschwerdeführerin ist gesund.

Zum Beschwerdeführer 2:

XXXX ist der Vater der drei minderjährigen Kinder XXXX , XXXX und XXXX (BF 3-5). Er ist mit XXXX traditiionell verheiratet. Seine Identität steht fest, er gehört der tadschikischen Volksgruppe an.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger, hat den Großteil seines Lebens im Iran verbracht und ein Handygeschäft betrieben bzw. in einer Fabrik für Plastikverarbeitung in XXXX gearbeitet und gemeinsam mit XXXX , einer iranischen Staatsangehörigen, mit der er traditionell verheiratet ist, den Unterhalt für die Familie bestritten. Mit dieser und den beiden minderjährigen Kindern lebte er in einem gemieteten Haus in XXXX .

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Zum Beschwerdeführer 3:

XXXX ist der Sohn der Beschwerdeführer 1 und 2. Er leidet an einer genetisch bedingten gemischt zentral peripheren neuromotorischen Bewegungs- und Koordinationsstörung mit dyspraktisch-ataktischen Anteilen und einer expressiven Sprachstörung sowie an einer zunehmend postdramatischen Angststörung in Verbindung mit einer kindlichen Erschöfungsdepression mit zunehmender Schlafstörung, an Verlustängsten und einer damit einhergehenden Nahrungsmittelverweigerung.

In Österreich besucht er die Volksschule und befindet sich in einer Ergotherapie, einer Hippotherapie und in logopädischer Behandlung sowie in ambulanter medizinsicher Behandlung im Krankenhaus der XXXX in XXXX .

Seine engsten Bezugspersonen sind vor allem seine Mutter, aber auch sein Vater und die Geschwister.

Er verfügt über keine Geburtsurkunde, sondern lediglich über eine Geburtsbestätigung.

Eigene Ausreisegründe wurden für ihn nicht vorgebracht.

Zur Beschwerdeführerin 4:

XXXX ist die Tochter der Beschwerdeführer 1und 2. Sie ist gesund und besucht die Volksschule, sie leidet an Verlustängsten.

Sie verfügt über keine Geburtsurkunde, sondern lediglich über eine Geburtsbestätigung.

Eigene Ausreisegründe wurden für sie nicht vorgebracht.

Zur Beschwerdeführerin 5:

XXXX ist die Tochter der Beschwerdeführer 1und 2. Sie wurde in Österreich geboren und ist gesund.

Sie verfügt über eine österreichische Geburtsurkunde.

Eigene Ausreisegründe wurden für sie nicht vorgebracht.

 

Zu den Beschwerdeführern 1-5:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin 1 von ihrem Schwiegervater bedroht und in ihre körperliche Integrität in Form einer Abtreibungsspritze bzw. durch einen von diesem initiierten Autounfall eingegriffen wurde; ebensowenig kann festgestellt werden, dass sie vom Schwiegervater mit einem Messer verletzt wurde oder diese andere massive Drohungen des Schwiegervaters zu gewärtigen hatte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer 2 auf Veranlassung seines Vaters entführt, misshandelt und verletzt wurde.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin 1 und der Beschwerdeführer 2 vom Islam abgefallen und zum christlichen Glauben konvertiert sind.

 

Dass sich die Beschwerdeführerin 1 (diese wurde am XXXX in der XXXX getauft) und der Beschwerdeführer 2 (dieser ist bislang nicht getauft), die Gottesdienste besuchen, ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt, sich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt haben und dieser Glaube für die Beschwerdeführer identitätsstiftend ist, kann nicht festgestellt werden.

Eine Bedrohung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit und Religion, sowie eine Bedrohung bzw. Verfolgung von staatlichen Behörden kann nicht festgestellt werden.

2.2.1. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF1 wird festgestellt:

 

0. Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 3.2019a).

 

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

 

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).

 

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

 

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

 

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

 

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems“ sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

 

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem “Implementation Day" am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).

 

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

 

Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in „politischen“ Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).

 

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450 , Zugriff 30.4.2019

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 30.4.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 30.4.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 30.4.2019

- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 30.4.2019

- WZ – Wiener Zeitung (11.1.2017): Das politische System des Iran, https://www.wienerzeitung.at/archiv/iran-2017/iran-hintergrund/524691-Das-politische-System-des-Iran.html?em_no_split=1 , Zugriff 30.4.2019

 

1. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

 

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

 

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

 

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396 , Zugriff 11.6.2019

- BMeiA – Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 11.6.2019

- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 11.6.2019

a. Verbotene Organisation

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 12.1.2019).

 

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 12.1.2019). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 12.2018) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

 

Im FFM-Bericht des Danish Immigration Service erklärt eine Quelle, dass sie noch nie davon gehört hätte, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wurde. Andererseits ist es aber laut einer anderen Quellen schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 11.6.2019

- AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf , Zugriff 11.6.2019

- AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf , Zugriff 11.6.2019

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 11.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 11.6.2019

b. Volksmudschaheddin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Organisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, „iranische Volksmudschahedin“) gilt in Iran als Terror-Organisation, die für die Ermordung von 17.000 IranerInnen verantwortlich gemacht wird (ÖB Teheran 9.2017, vgl. Global Security o.D.). Es handelt sich um eine linksgerichtete Gruppierung, die in den 1960er Jahren gegründet wurde, um sich gegen den Schah zu stellen. Nach der Islamischen Revolution 1979 wendete sie sich gegen die klerikalen Führer. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren verlegten die Volksmudschaheddin ihr Camp in den Irak (Global Security o.D., vgl. ACCORD 7.2015, Guardian 9.11.2018). Saddam Hussein stellte ihnen eine große Militärbasis namens Camp Ashraf unweit der iranischen Grenze zur Verfügung (Guardian 9.11.2018). Zwischen 2009 und 2013 wurde Camp Ashraf von irakischen Sicherheitskräften zumindest zweimal überfallen und etwa 100 Menschen getötet. Daraufhin nahmen die USA die MEK von der Terrorliste, um weitere Todesopfer zu vermeiden. Nachdem die MEK offiziell nicht mehr als Terrororganisation galt, konnten die USA Albanien davon überzeugen, die übrigen 2.700 Mitglieder aufzunehmen. Diese wurden zwischen 2014 und 2016 nach Tirana geflogen. Mittlerweile sind viele von Ihnen in die EU und USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Im Exil hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Guardian 21.9.2012, vgl. ACCORD 9.2013).

 

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschaheddin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016, vgl. Guardian 9.11.2018). In Bezug auf die Demonstrationen, die Ende 2017/Anfang 2018 in den großen Städten Irans stattfanden, gab der Oberste Führer Khamenei den Großteil der Schuld an den Demonstrationen der MEK und erkannte somit das Ausmaß des Einflusses dieser Gruppierung an (Iran Focus 18.1.2018, vgl. Arab News 22.1.2018).

 

Die Entwaffnung der Kämpfer der Volksmudschaheddin in Camp Ashraf und an anderen Orten nahe Bagdad erfolgte während der US-Invasion im Irak durch die Amerikaner. Die MEK-Führung habe sich von Saddam Hussein distanziert und ihre Opposition gegenüber der islamischen Regierung in Teheran betont. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die MEK aus Sicht der Amerikaner neu erfunden. Die MEK-Führung stellt sich selbst als demokratische und populäre Alternative zum islamischen Regime dar und behauptet, über Unterstützung der iranischen Bevölkerungsmehrheit zu verfügen (ÖB Teheran 9.2017). Inwieweit die MEK von der iranischen Bevölkerung unterstützt wird ist umstritten. Einerseits gibt es Informationen, die besagen, dass die MEK die größte militante iranische Oppositionsgruppe sei, mit dem Ziel die Islamische Republik, die iranische Regierung und deren Sicherheitsapparat zu stürzen. Andererseits gibt es Berichte, die der MEK wenig bis gar keine Unterstützung der Bevölkerung zusprechen (ACCORD 7.2015). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung ist und international präsent ist, aber sie genießt in Iran selbst aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Streichung der MEK von der Liste terroristischer Organisation durch die EU und die Vereinigten Staaten 2012 wurde von iranischer Seite scharf verurteilt. Verbindungen zur MEK gelten in Iran als mohareb (Waffenaufnahme gegen Gott), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die MEK konzentriert sich mittlerweile auf das Beeinflussen der öffentlichen Meinung und auf das Sammeln von Informationen zur Situation im Land. Iran führt eine Liste mit ca. 100 MEK-Unterstützern (hauptsächlich Anführern), die nicht nach Iran zurückkehren können, da sich das Interesse der Behörden auf sie richten würde (ACCORD 7.2015). In Bezug auf die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für die MEK gibt es widersprüchliche Informationen.

 

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch missbrauchen würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten, angewendet. Solche Vorwürfe werden von der MEK kategorisch zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

Quellen:

- ACCORD (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- ACCORD (9.2013): Iran COI compilation, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1384784380_accord-iran-coi-compilation-september-2013-corrected-2013-11-18.pdf , Zugriff 11.6.2019

- Arab News (22.1.2018): Iranian people are ready to usher in a ‘new day’, http://www.arabnews.com/node/1274381 , Zugriff 11.6.2019

- DW – Deutsche Wlle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www.dw.com/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961 , Zugriff 11.6.2019

- Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.globalsecurity.org/military/world/para/mek.htm , Zugriff 11.6.2019

- The Guardian (21.9.2012): Q&A: what is the MEK and why did the US call it a terrorist organisation? http://www.theguardian.com/politics/2012/sep/21/qanda-mek-us-terrorist-organisation , Zugriff 11.6.2019

The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-revolution-regime-trump-rajavi , Zugriff 11.6.2019

- Iran Focus (18.1.2018): Iran Regime’s Weakness and Its Fear From Pmoi/Mek Exposed During the Uprising, https://www.iranfocus.com/en/index.php?option=com_content&view=article&id=32380:iran-regime-s-weakness-and-its-fear-from-pmoi-mek-exposed-during-the-uprising&catid=4:iran-general&Itemid=109 , Zugriff 11.6.2019

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017-09.docx , Zugriff 11.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 11.6.2019

c. PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität, und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern. 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK. Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Die PJAK ist die einzige kurdische Partei, die noch immer aktiv für ihre Ziele – z.B. Selbstbestimmung – in Iran kämpft. Angaben über die Stärke der PJAK-Kämpfer sind schwierig. Schätzungen liegen bei ca. 3.000 Kämpfern. Es gibt auch Einheiten mit Kämpferinnen (BMI 2015, ACCORD 7.2015). Die Hälfte der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.)

 

Die PJAK liefert sich seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 12.1.2019). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten. Es ist weiterhin mit verschärften Repressalien gegen kurdische Organisationen zu rechnen. Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 12.2018). Die PJAK ist im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

 

- Bei der PJAK gibt es zwei Arten von Mitgliedschaft: Zum einen professionelle Mitglieder, die unter anderem auch militärisches Training erhalten und Waffen tragen. Diese sind unverheiratet und haben ihr Leben der PJAK gewidmet. Sie werden von der PJAK z.B. in kurdische Dörfer oder Städte entsandt, wo sie versuchen, die Leute zu organisieren und verschiedene Komitees und legale Organisationen zu gründen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Professionelle Mitglieder nehmen an militärischen und politischen Aktivitäten der PJAK teil. Die zweite Gruppe bilden die semi-professionellen oder lokalen Mitglieder, die ein normales Leben mit ihren Familien führen. Sie nehmen nicht an militärischen Aktivitäten teil, führen aber politische Aktivitäten aus, wie z.B. Flyer verteilen. Um ein semi-professionelles Mitglied zu werden, muss man das Ausbildungsprogramm der Partei durchlaufen. Neben diesen beiden Gruppen gibt es auch noch die Sympathisanten, die selten auch Flyer verteilen oder an Demonstrationen teilnehmen. Diese sind nicht direkt an der Organisation von Demonstrationen beteiligt und haben auch keine Verbindung zur Organisation der Partei. Die Sympathisanten arbeiten unter der Führung der semi-professionellen Mitglieder. Da die PJAK in Iran eine verbotene Organisation ist, müssen sowohl Mitglieder als auch Sympathisanten mit ernstzunehmenden Strafen rechnen, wenn ihre Aktivitäten enthüllt werden (DIS/DRC 30.9.2013).

-

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 11.6.2019

- ACCORD (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- BMI – Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 11.6.2019

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (30.9.2013): Iranian Kurds, On Conditions for Iranian Kurdish Parties in Iran and KRI, Activities in the Kurdish Area of Iran, Conditions in Border Area and Situation of Returnees from KRI to Iran, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380796700_fact-finding-iranian-kurds-2013.pdf , Zugriff 11.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 11.6.2019

- TRAC – Terrorism Research & Analysis Consortium (o.D.): Party of Free Life of Kurdistan (PJAK), https://www.trackingterrorism.org/group/party-free-life-kurdistan-pjak , Zugriff 11.6.2019

d. Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 12.1.2019). Letztere wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft (AA 9.12.2015, vgl. BMI 2015).

 

Die kurdischen Oppositionspartien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Die KDPI wurde 1945 gegründet und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt. Die KDPI fordert kurdische Autonomie (TRAC o.D.) innerhalb eines demokratischen Iran (MERIP o.D.). Das Hauptquartier der KDPI, die sich in ihrer Geschichte mehrmals gespalten hat, befindet sich im Irak (MERIP o.D., vgl. ACCORD 7.2015).

 

Komalah (SKHKI) hat ihre Zentrale in der Autonomen Kurdischen Region Irak. Es gibt Parteimitglieder und –sympathisanten. Organisiert ist sie in einzelnen Zellen, die von Mitgliedern geführt werden. Die Mitglieder einer Zelle teilen sich die Arbeit auf, aber nur eine Person nimmt Kontakt zur Zentrale auf. Sympathisanten hören das Parteiradio, schauen Komala TV und beteiligen sich an Aktivitäten, die von Komala empfohlen werden. Die Zellen fungieren als eine Art Schirmorganisation, die eine große Anzahl an Sympathisanten abdecken. Geheime Aktivitäten der Partei in Iran werden von der Einheit „Takesh“ durchgeführt. Komala erlaubt ihren Mitgliedern in Iran nicht, sich in größeren Gruppen als zwei oder drei Personen zu treffen (DIS/DRC 30.9.2013). Komala ist in Iran verboten (BMI 2015) und erscheint momentan weniger aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet, zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 11.6.2019

- ACCORD (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- BMI – Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics,, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 11.6.2019

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 11.6.2019

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (30.9.2013): Iranian Kurds, On Conditions for Iranian Kurdish Parties in Iran and KRI, Activities in the Kurdish Area of Iran, Conditions in Border Area and Situation of Returnees from KRI to Iran, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380796700_fact-finding-iranian-kurds-2013.pdf , Zugriff 11.6.2019

- MERIP – Middle East Research and Information Project (o.D.): Major Kurdish Organizations in Iran, https://www.merip.org/mer/mer141/major-kurdish-organizations-iran , Zugriff 11.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 11.6.2019

- TRAC – Terrorism Research and Analysis Consortium (o.D.): Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPKI), https://www.trackingterrorism.org/group/democratic-party-iranian-kurdistan-dpki , Zugriff 11.6.2019

2. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019)

 

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

 

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

 

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

 

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

 

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

 

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

 

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen – auch für Ersttäter – vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

 

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

 

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

 

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).

 

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf , Zugriff 24.5.2019

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 24.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 24.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 24.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 24.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html , Zugriff 24.5.2019

3. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 12.1.2019). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.2.2019). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden eine bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

 

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 12.1.2019).

 

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 13.3.2019).

 

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht einmal nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelungen durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 12.2018).

 

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 27.5.2019

- DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802 , Zugriff 27.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 27.5.2019

- Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/ , Zugriff 27.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 27.5.2019

- Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 27.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 27.5.2019

4. Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nicht registrierten Gefängnissen, aber auch aus offiziellen Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Foltervorwürfen von Inhaftierten gehen die Behörden grundsätzlich nicht nach (AA 12.1.2019, vgl. US DOS 13.3.2019). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhalten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben (AI 22.2.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. außereheliche Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstrecken auch erniedrigende Strafen (AI 22.2.2018).

 

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, unter Umständen ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 12.2018). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018).

 

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase, um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidiger und jugendlichen Straftätern. Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen. Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019, vgl. HRW 17.1.2019). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.2.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 28.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (8.2.2019): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/40/24], https://www.ecoi.net/en/file/local/2005822/a_hrc_40_24_E.pdf , Zugriff 28.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 28.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 28.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 28.5.2019

5. Korruption

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Die meisten Beamten betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte „bonyads“, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 13.3.2019, vgl. FH 4.2.2019).

 

Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption; nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

 

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionsindex von 2018 mit 28 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 138 von 180 untersuchten Ländern (TI 30.1.2019). Es konnte sich in Iran kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln, dieses Problem wird durch die weit verbreitete Korruption noch verschärft (GIZ 3.2019b).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 30.4.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.4.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 30.4.2019

- Transparency International (30.1.2019): Corruption Perspective Index 2018 – Iran, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/corruption_perceptions_index_2018 , Zugriff 30.4.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 30.4.2019

6. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran nicht möglich. Alle Menschenrechtsorganisationen bedürfen einer staatlichen Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 12.1.2019, vgl. US DOS 13.3.2019). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und sie müssen um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Auf Anfragen und Berichte seitens der Aktivisten reagieren Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachung. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikane aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 13.3.2019).

 

In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt wird, etwa in Form von Straftatbeständen wie „Propaganda gegen das Regime“ oder „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“. Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sitzen in ihrer überwiegenden Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Entsprechende Zahlen sind mangels offizieller Angaben nicht vorhanden. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen (AA 12.1.2019).

 

Menschenrechtsorganisationen sind in Iran nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Es gibt auch immer wieder Bestrebungen, die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter zu verschärfen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung laut eigenen Angaben ungehindert arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, Frauenrechte und seit 2018 auch Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und unter der Gefahr der Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 12.2018). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des „Defenders of Human Rights Center“, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet) (ÖB Teheran 12.2018).

 

Zahlreiche friedliche Regierungskritiker wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert. Betroffen waren Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende, Filmemacher, Musiker, Schriftsteller, Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtlerinnen und Aktivisten, die sich für die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten einsetzten. Im Visier standen außerdem Umweltschützer, Gewerkschafter, Gegner der Todesstrafe, Rechtsanwälte sowie Aktivisten, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für Massenhinrichtungen und das Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren forderten (AI 22.2.2018). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 23.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 30.4.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 30.4.2019

7. Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass i.H.v. 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt (AA 12.1.2019).

 

Es gibt keinen Wehrersatzdienst. In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 7.6.2018). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen, kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art „Ersatzdienst“ für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Es gibt auch Möglichkeiten, nur einen kürzeren Wehrdienst abzuleisten, etwa für Iraner, deren Väter bereits im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass). Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 24.5.2019

- DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade (7.6.2018): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437309/1930_1530704319_country-information-report-iran.pdf , Zugriff 24.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 24.5.2019

a. Wehrdienstverweigerung / Desertion

Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht (AA 12.1.2019). Junge Männer ab 18 Jahren, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet. In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst, und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen. Iranische Behörden gehen regelmäßig gegen Wehrdienstverweigerer vor (DFAT 7.6.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 24.5.2019

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 24.5.2019

- DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade (7.6.2018): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437309/1930_1530704319_country-information-report-iran.pdf , Zugriff 24.5.2019

8. Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 12.1.2019).

 

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

- Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischen Recht)

- Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

- UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

- Konvention über die Rechte behinderter Menschen

- UN-Apartheit-Konvention

- Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 12.1.2019)

 

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (AA 12.1.2019).

 

Der Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 12.2018). Die Menschenrechtsbilanz der Regierung bleibt schlecht und verschlechterte sich in mehreren Schlüsselbereichen. Zu den Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen. Weiters unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen LGBTI-Personen beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternahm wenige Schritte um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 13.3.2019).

 

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 12.1.2019). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des „Defenders of Human Rights Center“, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sind weiterhin stark eingeschränkt. Die Behörden inhaftierten zahlreiche Personen, die friedlich Kritik geäußert hatten. Die Gerichtsverfahren waren in aller Regel unfair. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen sind noch immer an der Tagesordnung und bleiben straflos. Es werden weiterhin Auspeitschungen, Amputationen und andere grausame Körperstrafen vollstreckt. Die Behörden billigten, dass Menschen wegen ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder einer Behinderung in starkem Maße diskriminiert und Opfer von Gewalt wurden. Hunderte Menschen wurden hingerichtet, einige von ihnen in der Öffentlichkeit. Tausende saßen weiterhin in den Todeszellen, darunter Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Ende Dezember 2017 gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen Armut, Korruption und politische Unterdrückung zu protestieren. Es waren die größten Kundgebungen gegen die iranische Führung seit 2009 (AI 22.2.2018). Bei diesen landesweiten Protesten wurden ca. 4.900 Personen verhaftet und mindestens 21 Personen wurden bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsbehörden während der Demonstrationen getötet (FH 4.2.2019). Human Rights Watch spricht von 30 Getöteten, einschließlich Sicherheitskräften. Glaubwürdige Untersuchungen in Bezug auf die getöteten Demonstranten oder in Bezug auf die übermäßige Gewaltanwendung wurden nicht unternommen. Die Behörden wendeten sich verstärkt dem friedlichen Aktivismus zu und nahmen Anwälte und Menschenrechtsverteidiger fest, die nun mit Anklagen konfrontiert sind, die zu langen Gefängnisstrafen führen können (HRW 17.1.2019).

 

Wie 2013 versprach Rohani auch im Wahlkampf 2017, die Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit zu stärken. In seiner ersten Amtszeit von 2013-17 konnte die Regierung den Erwartungen nach einer Liberalisierung im Innern allerdings nicht gerecht werden. Die Menschenrechtslage in Iran bleibt fünf Jahre nach Amtsantritt einer gemäßigten Regierung trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunst- und Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die hohe Anzahl an Hinrichtungen, die jedoch aufgrund einer Änderung im Drogengesetz 2018 niedriger lag als in den Vorjahren (AA 15.2.2019a).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 28.5.2019

- AA – Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450#content_2 , Zugriff 28.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 28.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 28.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 28.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 28.5.2019

9. Meinungs- und Pressefreiheit

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 12.1.2019, vgl. BTI 2018, AI 22.2.2018, US DOS 13.3.2019) und Behörden nutzen das Gesetz, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (US DOS 13.3.2019). So spiegelt zwar die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers. Bei Abweichungen drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen „Propaganda gegen das System“ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten wie auch von konservativen Zeitungen (AA 12.1.2019). „Propaganda gegen den Staat“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei „Propaganda“ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden – dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 12.2018). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt (ÖB Teheran 12.2018).

 

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden. Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt (AA 12.1.2019, vgl. FH 4.2.2019). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber „gefiltert“ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist grundsätzlich nur mit Gerichtsanordnung möglich, außer die nationale Sicherheit ist betroffen (AA 12.1.2019).

 

Unabhängigen Journalisten können Verhaftungen, Strafverfolgung und Inhaftierungen drohen. Im Juli und August 2018 wurden mindestens sechs Journalisten der Nachrichtenseite Majzooban-e-Noor wegen ihrer Berichterstattung über die Februarproteste von Mitgliedern des sufi-muslimischen Ordens Nematollahi Gonabadi zu Gefängnisstrafen von 7 bis 26 Jahren verurteilt (FH 4.2.2019). Die Behörden gestatten es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 13.3.2019).

 

Die 1997 unter Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Verhaftungen regimekritischer Journalisten stehen immer wieder auf der Tagesordnung. Auslandsreisen iranischer Journalisten werden von Sicherheitskräften kritisch beäugt – eine Ausreise zu einem Workshop der Deutschen Welle wurde z.B. verhindert. Auch Journalisten konservativer Medien müssen sich nach Rückkehr verhören lassen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Persia berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstreckten sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige wurden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Persia hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Immer wieder wird mit Hungerstreiks dagegen protestiert, dass ihnen im Gefängnis eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wird (AA 12.1.2019).

 

Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wurde in den letzten Jahren massiv vorgegangen. Oft wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt, zum Teil sogar zum Tode. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikationen und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder „islamfeindliche“ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden (ÖB Teheran 12.2018).

 

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als „unislamisch“ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde jüngst eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist „regimefeindlicher Propaganda“ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 12.2018).

 

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als „Bürgerrecht“ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema „Cyberspace“ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde der überaus beliebte Messenger App „Telegram“ gesperrt, es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreichen Frauen, die „unsittliche“ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos,...) teilen (ÖB Teheran 12.2018). Die Messenger App Telegram hat in Iran mehr als 40 Millionen Nutzer. Auch Facebook und Twitter bleiben blockiert, genauso wie hunderte andere Webseiten (HRW 17.1.2019).

 

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um sechs Plätze verschlechtert und liegt nun an Position 170 (2018:164). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der größten Gefängnisse für Journalisten. Verhaftungen von professionellen Journalisten und nicht professionellen Journalisten, vor allem solche, die in sozialen Netzwerken posten, haben sich im Jahr 2018 gesteigert (ROG 2019).

 

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenschüssel, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Filme aus Hollywood, von denen Raubkopien überall auf den Straßen zu kaufen sind. Die dürftige Qualität und die islamische Zensur schrecken niemanden ab (GIZ 3.2019c).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 29.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 29.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 29.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht

- ROG – Reporter ohne Grenzen (2019): Rangliste zur Pressefreiheit 2019, Regioneninfo Naher Osten, http://www.rog.at/wp-content/uploads/2019/04/2019Index_Middle-East_EN.pdf , Zugriff 29.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 29.5.2019

10. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Entsprechend finden Versammlungen der Opposition nicht statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen wie des Basij-Studentenwerks, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden. Ebenfalls ist eine unabhängige gewerkschaftliche Betätigung nicht möglich, denn auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil mit dem Vorwurf der „Propaganda gegen das Regime“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ verfolgt (AA 12.1.2019). Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 12.1.2019), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein (FH 4.2.2019). Nach den Ende Dezember 2017 ausgebrochenen Protestdemonstrationen im ganzen Land nahmen Behörden zahlreiche Menschen fest. Berichten zufolge gingen Sicherheitskräfte mit Schusswaffen und anderer exzessiver Gewaltanwendung gegen Protestierende vor und verletzten und töteten unbewaffnete Demonstrierende. Zahlreiche friedliche Regierungskritiker (Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende etc.) wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert (AA 12.1.2019). Seit diesen Protesten im Dezember 2017 haben die Behörden das Recht auf friedliche Versammlung systematisch verletzt (HRW 17.1.2019).

 

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften. Erlaubt sind nur „Islamische Arbeitsräte“ unter der Aufsicht des „Haus der Arbeiter“ (keine unabhängige Institution) (ÖB Teheran 12.2018). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019). Seit Anfang 2018 sind auch Umweltaktivisten von Verfolgung bedroht. Unter dem Vorwurf der (mitunter „unbewussten“) Spionage im Umfeld von atomaren Einrichtungen wurden seit Jänner 2018 mehrere Dutzend Personen inhaftiert. Eine Untersuchung der Regierung hat die Inhaftierten im Mai entlastet, die Freilassung obliegt jedoch der Judikative (ÖB Teheran 12.2018).

 

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 12.2018, vgl. GIZ 3.2019a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Die entscheidenden Konfliktlinie im iranischen Parlament liegt aktuell zwischen den Rohani-Loyalen (Reformern und Moderaten) einerseits und den Anhängern der Revolutionstreuen (Parlamentspräsident Ali Larijani, Oberster Führer Khamenei) andererseits, bisweilen kommen aber auch andere Gegensätze zum Tragen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv. Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle (AA 12.1.2019). Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisation so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Strafrechtstatbestände („regimefeindliche Propaganda“, „Beleidigung des Obersten Führers“ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen. An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard standen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 22.2.2018, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 28.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 28.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 28.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran,https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 28.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 28.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 28.5.2019

11. Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.2.2019), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen. Laut der NGO „United for Iran“, die sich mit Haftbedingungen beschäftigt, ist die Häftlingspopulation dreimal größer als die Kapazität der Gefängnisse (US DOS 13.3.2019). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Auch ist von mangelnder Hygiene auszugehen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.2.2019).

 

In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Für politische Gefangene sind die Haftbedingungen von Fall zu Fall unterschiedlich und reichen vor allem in der Untersuchungshaft bzw. in irregulärer Haft vor einem Gerichtsverfahren von schlechten hygienischen Bedingungen über unzureichende medizinische Versorgung bis hin zur Verweigerung lebenswichtiger Medikamente (AA 12.1.2019).

 

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend sind. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in „sichere Häuser“ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen, und wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten werden. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 12.2018). Von Hungerstreiks in iranischen Gefängnissen wird des Öfteren berichtet, in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019).

 

Es ist nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern oder anderweitig zu misshandeln, insbesondere während Verhören. Gefangene, die sich im Gewahrsam des Ministeriums für Geheimdienste oder der Revolutionsgarden befinden, müssen routinemäßig lange Zeiträume in Einzelhaft verbringen, was den Tatbestand der Folter erfüllt (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 28.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 28.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 28.5.2019

12. Todesstrafe

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen, sowie auf Vergehen wie Drogenkonsum oder außerehelichen Geschlechtsverkehr (ÖB Teheran 12.2018). Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt und auch gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.12019). Der Anteil öffentlich vollstreckter Hinrichtungen, ist 2018 auf knapp 3% gesunken (2017: 5%, 2016: 5%, 2015: 7%, 2014: 10%). Es wird über erfolgte Hinrichtungen nicht offiziell informiert (AA 12.1.2019).

 

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder 2 Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 12.2018). Nach dieser Änderung sank in Iran die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen (AI 10.4.2019, vgl. HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRC 8.2.2019) um circa 50%, von mindestens 507 im Jahr 2017 auf mindestens 253 im Jahr 2018 (AI 10.4.2019). Die Justiz hat die meisten Exekutionen, die wegen Drogenvergehen ausgesprochen worden waren, ausgesetzt, um sie im Einklang mit der Gesetzesänderung zu überprüfen (HRW 17.1.2019). Trotz dieser Rückgänge ist Iran noch immer für mehr als ein Drittel aller weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich. Amnesty International registrierte Umwandlungen von Todesurteilen bzw. Begnadigungen. Trotzdem wurden im Jahr 2018 mindestens 13 Personen in Iran öffentlich hingerichtet und sieben Personen wurden wegen Verbrechen hingerichtet, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen hatten (AI 10.4.2019).

 

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 12.2018). Wie in den Vorjahren erhielt Amnesty International 2018 keine Berichte über gerichtlich angeordnete Hinrichtungen durch Steinigung. Allerdings wurde bekannt, dass in Iran zwei neue Todesurteile gefällt wurden, die durch Steinigung vollstreckt werden sollen (AI 10.4.2019).

 

Weiterhin finden in Iran Hinrichtungen von Straftätern statt, die zum Zeitpunkt ihrer Tat unter 18 Jahre alt waren. Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- AI – Amnesty International (10.4.2019): Todesurteile und Hinrichtungen 2018, https://www.amnesty.at/media/5416/act50-9870-2019_uebersetzung_at.pdf , Zugriff 31.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (8.2.2019): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/40/24], https://www.ecoi.net/en/file/local/2005822/a_hrc_40_24_E.pdf , Zugriff 31.5.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 31.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 31.5.2019

13. Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018).

 

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Bahá‘í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten) . Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Muslime anwesend sind (ÖB Teheran 12.2018). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018, vgl. FH 4.2.2019). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018).

 

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 12.2018).

 

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Muslime, die keine Schiiten sind, dürfen weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übertreten, können hohe Gefängnisstrafen erhalten, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichen. Es gibt weiterhin Razzien in Hauskirchen (AI 22.2.2018).

 

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 12.1.2019).

 

Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen (US DOS 29.5.2018).

 

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2017 mindestens 102 Mitglieder von religiösen Minderheiten aufgrund ihrer religiösen Aktivitäten inhaftiert, 174 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 23 wegen „Beleidigung des Islam“ und 21 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 15.8.2017).

 

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 31.5.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 31.5.2019

- BFA Analyse (23.5.2018): Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 31.5.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 31.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 31.5.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html , Zugriff 31.5.2019

a. Christen

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung anerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 2018), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 12.1.2019). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime keine Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, weder Freiheit der Meinungsäußerung noch Versammlungsfreiheit (Proselytismusverbot). Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot (ÖB Teheran 12.2018).

 

Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 29.5.2018).

 

Im Weltverfolgungsindex 2019 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum wurden 67 Christen verhaftet (Open Doors 2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 3.6.2019

- BFA Analyse (23.5.2018): Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 3.6.2018

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 3.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 3.6.2019

- Open Doors (2019): Weltverfolgungsindex 2019 Länderprofil Iran, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 3.6.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html , Zugriff 3.6.2019

b. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 12.2018). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten zehn Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 12.2018, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2019). Anklagen lauten meist auf „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 12.1.2019). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018). Laut Weltverfolgungsindex 2019 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2019).

 

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 12.1.2019). Laut der iranischen NGO Article 18 wurden von Jänner bis September 2018 37 Konvertiten zu Haftstrafen wegen „Missionsarbeit“ verurteilt (HRW 17.1.2019). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 12.2018).

 

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 12.2018).

 

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit „Konversion“ vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese „Konversion“ ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Außerdem werden Personen, die vom schiitischen zum sunnitischen Glauben übertreten und dies öffentlich kundtun, zunehmend verfolgt. Im derzeitigen Parlament sind Sunniten (vorwiegend aus Sistan-Belutschistan) vertreten. Gewisse hohe politische Ämter sind jedoch de facto Schiiten vorbehalten. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen will, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.2.2019). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen, und wenn es ein prominenter Fall ist, werden diese Personen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen, mit der Bedingung, dass sie sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden i.d.R. aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 12.2018). Die Regierung nutzt Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen, und drängt sie dazu, das Land zu verlassen (Open doors 2019).

 

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder andere Personen im Glauben zu unterrichten, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein, würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein, und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (US DOS 29.5.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 3.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 3.6.2019

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 3.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 3.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 3.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 3.6.2019

- Open Doors (2019): Weltverfolgungsindex 2019 Länderprofil Iran, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 3.6.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html , Zugriff 3.6.2019

c. Baha‘i

Nicht zu den anerkannten Religionen gehört der Baha‘i Glaube, weshalb Baha‘i juristisch gesehen unter der iranischen Verfassung und dem Strafgesetzbuch benachteiligt werden können. Die etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren und damit als abtrünnige Muslime gelten. Die Baha‘i haben als religiöse Minderheit den schwierigsten Stand in der Gesellschaft. Dazu kommt, dass die Baha‘is wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden. Es gibt häufig Berichte über Verhaftungen von Baha‘is. Nach Angaben der iranischen Baha‘i-Gemeinschaft wurden im Jahr 2017 84 Baha‘i verhaftet. Die Begründung der Verhaftung oder der Gerichtsurteile beinhalten meist „Verbreitung von Propaganda gegen die Islamische Republik“ und Gründung von, oder Beteiligung an „Gruppen, die eine Bedrohung für die nationalen Sicherheitsinteressen darstellen“. Zudem schüren staatliche Stellen den Hass gegen Baha‘is. Gewaltakte gegen Mitglieder werden kaum geahndet (ÖB Teheran 12.2018).

 

Baha‘i sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation, und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Baha‘i-Zugehörigkeit verweigert (AA 12.1.2019). Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert (GIZ 3.2019c).

 

Baha‘i Studenten werden oft nicht zu öffentlichen und privaten Universitäten zugelassen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 17.1.2019). Nach Angaben eines Baha‘i -Vertreters werden auf lokaler Ebene Unterrichtseinheiten vom BIHE (Baha’i Institute of Higher Education, 2011 als illegal erklärt) abgehalten. Damit gehen zum einem erhebliche Risiken für Studenten und Dozenten einher, und zum anderen werden auf diese Weise erlangte Abschlüsse nicht anerkannt (AA 12.1.2019). Zwischen März und September 2018 wurde 50 Baha‘i Universitätsstudenten aufgrund ihres Glaubens das weitere Studium an der Universität verboten (ÖB Teheran 12.2018).

 

Über (auch staatliche) Medien verbreitete Falschmeldungen stacheln die Bevölkerung weiterhin gegen Baha‘is auf und setzen ihre Geschäfte unter wirtschaftlichen Druck. Im April, Juli und Oktober 2017 wurden wieder dutzende von Baha‘i geführte Unternehmen von den Behörden geschlossen, nachdem diese aufgrund von Baha‘i-Feiertagen geschlossen hatten. 2015 war es zu Friedhofsschändungen gekommen. Über die Jahre wurden auch zahlreiche Mitglieder der Baha‘i-Gemeinde hingerichtet. Die Führungsriege der Baha‘i-Gemeinde im Iran sowie die Leitung der Untergrunduniversität „Baha‘i Institute for Higher Education“ (BIHE) wurden nach Gefängnisstrafen Anfang 2018 freigelassen (ÖB Teheran 12.2018). Im Oktober 2018 saßen nach Angaben der International Bahá‘í Community 77 Bahá‘í aus Glaubensgründen in iranischen Gefängnissen in Haft, darunter noch ein Mitglied des siebenköpfigen iranischen Vorstandes der Glaubensgemeinschaft (AA 12.1.2019). Human Rights Watch zählt mit November 2018 79 Baha‘is in Haft (HRW 17.1.2019).

 

Die systematischen Angriffe auf die Glaubensgemeinschaft der Baha’i setzen sich fort, dazu zählen willkürliche Festnahmen, lange Haftzeiten, Folter und andere Misshandlungen. Die Behörden ordnen die Schließung von Unternehmen im Besitz von Baha’i an, beschlagnahmen Vermögen von Baha’i und verweigern Anhängern dieser Glaubensgemeinschaft eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Staatliche Stellen schüren regelmäßig Hass und Gewalt gegen die Minderheit, indem sie Baha’i als "ketzerisch" und "schmutzig" verunglimpfen. Die Tatsache, dass zwei Männer, die gestanden hatten, Farhang Amiri wegen seines Baha’i-Glaubens ermordet zu haben, im Juni 2017 gegen Kaution freikamen, bot einmal mehr Anlass zu der Sorge, dass Hassverbrechen gegen Baha‘i straffrei bleiben (AI 22.2.2018, vgl. ÖB Teheran 12.2018, AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 3.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 3.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 3.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 3.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 3.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 3.6.2019

d. Sunniten

Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben. Sie leben im Iran vor allem im Südwesten des Landes nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern. Sunniten sind – soweit sie nicht Kurden sind – meist gleichzeitig Angehörige der arabischen Minderheit (z.B. Ahwazi) (ÖB Teheran 12.2018). Sunniten sehen sich allerdings vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 3.2019c, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen und Probleme hätten, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 4.2.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Immer wieder werden sunnitische Geistliche verhaftet und der „Propaganda gegen das System“ oder des Terrorismus bezichtigt. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum Salafismus, einer radikal fundamentalistischen Auslegung des Sunni-Islam, welche vor allem in Saudi Arabien ihren Ursprung findet (ÖB Teheran 12.2018).

 

Rund 140 Sunniten sind derzeit aufgrund ihres Glaubens bzw. damit verbundener Anklagen inhaftiert. Am 25. April 2017 wurden in etwa 20 Personen während ihres morgendlichen Gebets verhaftet und an einen unbekannten Ort überführt. Personen, die vom schiitischen zum sunnitischen Glauben übertreten und dies öffentlich kundtun, werden zunehmend verfolgt (ÖB Teheran 12.2018). In den letzten Jahren wurden Sunniten wiederholt daran gehindert, ihre eigenen Eid-Gebete abzuhalten (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AI 22.2.2018).

 

Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind. In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung jedoch ohne Einschränkungen möglich (AA 12.1.2019). Bei der Ausgrenzung von Sunniten spielt oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben. Dort gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 4.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 4.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 4.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 4.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 4.6.2019

- Qantara.de (11.1.2016): Muslime zweiter Klasse, https://de.qantara.de/inhalt/sunniten-im-iran-muslime-zweiter-klasse , Zugriff 4.6.2019

e. Derwisch-Orden/Sufi

Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft. Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 12.2018). In iranischen Medien werden Sufis gelegentlich als Teufelsanbeter stigmatisiert (AA 12.1.2019).

 

Im Frühjahr 2018 eskalierte eine friedliche Demonstration und es kam zum Tod von vier Angehörigen der Sicherheitskräfte (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Allein im ersten Halbjahr 2018 wurden über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt, ein Derwisch wurde nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019). Bezüglich dieser Demonstration wurden von Mai bis Dezember 2018 zumindest 208 Derwische zu Haft- und anderen Strafen verurteilt (HRW 17.1.2019).

 

Verschiedene Quellen berichten von Gewalt und Verhaftungen von Derwischen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Derwisch-Gemeinden und Basij-Einheiten. Infolgedessen wird unter anderem von langen Wartezeiten auf Prozesse, Verurteilungen, Gefängnisstrafen sowie auch von mangelnder Strafverfolgung im Zusammenhang mit Tötungen von Derwischen berichtet. Unter anderem kommt es auch zu Verhaftungen von Strafverteidigern, die Derwische vertreten. Als Gründe für Inhaftierungen werden unter anderem Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in Gruppierungen und Beleidigung des Obersten Führers genannt (ÖB Teheran 12.2018).

 

Es gibt auch Angriffe auf Gebetshäuser der Gonabadi-Derwische (AI 22.2.2018, vgl. FH 4.2.2019). Einige verloren ihren Arbeitsplatz aufgrund willkürlicher Kündigungen, andere durften sich nicht an Universitäten einschreiben (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 4.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 4.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 4.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 4.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 4.6.2019

f. Ahl-e Haqq/Yar(e)san

In Iran gibt es zwei Zweige der Yaresan. Die sogenannten „Modernisten/Reformisten“ und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne’matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Er öffnete die Religion auch für nicht als Yaresan geborene Personen. Viele Personen wurden zu seinen Anhängern, vor allem im Bereich in und um Sahneh [Stadt und gleichnamiger Bezirk in der Provinz Kermanschah]. Diese Gruppe wird auch als Elahi-Zweig bzw. Elahi-Anhänger bezeichnet. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Diese Gruppierung war schon immer geschlossen für Nicht-Yaresan. Die Yaresan sind hauptsächlich in der Provinz Kermanschah konzentriert. Ca. eine halbe Million Yaresan leben dort. Weitere Gruppen von Yaresan leben in anderen Gebieten des Iran, wie z.B. West Aserbaidschan, Lorestan, Teheran, Hamadan, Kelardascht, Karadsch und Saveh. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Yaresan es gibt. Schätzungen differieren zwischen einer und vier Millionen. Ursprünglich kommen die Yaresan aus dem Gebiet um Guran, im westlichen Teil von Kermanschah. Weitere Yaresan gibt es im östlichen Teil Kermanschahs in und um die Stadt Sahneh. Aufgrund ihres intellektuellen Hintergrunds hat es den Anschein, dass es mehr Modernisten gibt, tatsächlich dürfte aber die Anzahl der Traditionalisten höher sein. Die Modernisten werden von iranischen Behörden als Schiiten akzeptiert, die Traditionalisten jedoch werden als „Teufelsanbeter“ verunglimpft. Außerhalb ihres Heimes agieren Yaresan als Muslime, ansonsten könnten sie eventuell Probleme mit den Behörden bekommen. Auch der Zugang zu Bildung und Arbeit im Öffentlichen Dienst wird dadurch erleichtert. In Bezug auf Konsequenzen für Yaresan, die sich öffentlich über ihren Glauben äußern und ihn als nicht-muslimisch bezeichnen, wird davon ausgegangen, dass die Gruppe nicht als Ganzes von den Behörden ins Visier genommen wird und systematisch belästigt und inhaftiert wird, nur aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist. Repressionen und Verfolgung basieren auf individuellen Fällen, beispielsweise erfährt ein Leiter einer Gemeinschaft oder andere profilierte Personen Druck durch die Behörden. Es gab in den letzten Jahren einige Fälle von Schikane und Misshandlungen. Es werden von Zeit zu Zeit Maßnahmen gegen Yaresan-Gemeinden eingeleitet, ähnlich wie gegen die Sufi-Orden. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob einzelne Yaresan aufgrund ihrer Religion oder wegen politischer Gründe verfolgt werden. Da viele Yaresan Kurden sind, kann eine etwaige Verfolgung auch deshalb von statten gehen. Das öffentliche Bekunden der kurdischen Identität ist ein sensibles Thema in Iran. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Umgang der Behörden mit religiösen und ethnischen Minderheiten nicht statisch ist. Momentan versucht die iranische Regierung eher weniger harsch damit umzugehen. Es gibt auch einen Anstieg des Interesses von jungen Yaresan an der eigenen Religion. Besonderes Interesse besteht an Textmaterial über die traditionelle Version des Yari-Glaubens. Solche Texte würden in Iran als illegal angesehen, währenddessen Texte des Elahi-Zweiges (Modernisten) als legal angesehen werden würden, und diese Texte sind auch schon einige Male nachgedruckt worden. Yaresan, die das Interesse der Behörden auf sich ziehen, sind jene, die öffentlich und aktiv ihre Yari-Identität und Religion bekunden. Obwohl es Yaresan aufgrund ihres Glaubens verboten ist, in Bezug auf ihren Glauben zu lügen, sah sich der Großteil der Yaresan dazu gezwungen, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Wenn Personen religiös und/oder politisch aktiv sind, und beispielsweise in Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, ist es möglich, dass sie festgenommen und befragt werden. Normalerweise würde der Person befohlen, entweder die Aktivitäten einzustellen oder anderenfalls eine Haftstrafe abzubüßen. Auch Anhänger des Elahi-Zweiges können eventuell Repressionen und Misshandlung durch die Behörden erfahren. Von Zeit zu Zeit sind sie Opfer von Razzien und manchmal werden Anführer inhaftiert (DIS 6.4.2017).

 

Berichtet werden in Bezug auf die Ahl-e Haqq Fälle von Diskriminierung, Drohungen, Angriffen auf gemeinsames Eigentum und willkürliche Festnahmen (ÖB Teheran 12.2018). Die Ahl-e Haqq werden im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen systematisch diskriminiert und wegen Ausübung ihres Glaubens verfolgt (AI 22.2.2018). Ihnen wird der Bau von Gotteshäusern, der Zugang zu höherer Bildung und Posten im öffentlichen Dienst, wenn sie sich nicht selbst als Muslime deklarieren, verweigert (US DOS 29.5.2018; vgl. USCIRF 4.2019). Ebenso ist es ihnen nicht erlaubt, religiöse Zeremonien in der Öffentlichkeit abzuhalten (US DOS 29.5.2018).

Quellen:

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 4.6.2019

- DIS – Danish Immigration Service (6.4.2017): IRAN: The Yaresan, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1494231887_notatyaresan6april2017docx.pdf , Zugriff 4.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 4.6.2019

- USCIRF – US Commission on International Religious Freedom (4.2019): Jahresbericht zur Religionsfreiheit, Iran (Beobachtungszeitraum 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/2008194/Tier1_IRAN_2019.pdf , Zugriff 4.6.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html , Zugriff 4.6.2019

14. Ethnische Minderheiten

Iran gehört mit etwa 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,3%. Dabei ist die iranische Gesellschaft weit heterogener als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen mit etwa zwei Millionen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran im Moment das fünftgrößte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten des Iran leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. Dennoch sind Entwicklungen wie etwa im Irak oder Afghanistan in Iran nicht zu erwarten. Abseits eines gern gepflegten Patriotismus zur eigenen Ethnie sind separatistische Bewegungen ethnischer Minderheiten kein vielen Nachbarstaaten vergleichbares Problem. Sie beschränken sich auf einige Gruppierungen in Belutschistan und Kurdistan, wobei gerade hier die Regierung immer wieder gern selbst Separatismus unterstellt, um diesem mit Gewalt zuvorzukommen (GIZ 3.2019c).

 

Es sind keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt (ÖB Teheran 12.2018). Von Diskriminierungen im Alltag (rechtlich, wirtschaftlich und/oder kulturell, z.B. Zugang zu Wohnraum, Wasser und Bildung) wurde jedoch betreffend u.a. Angehöriger der arabischen Gemeinschaft der Ahwazi, Aseris, Belutschen, Kurden und Turkmenen berichtet. Der Gebrauch ihrer jeweiligen Muttersprache in Behörden und Schulen ist weiterhin verboten, trotz entsprechender Zusagen von Präsident Rohani während seines Wahlkampfes im Jahr 2013. Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen, können bedroht, festgenommen und bestraft werden (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019).

 

Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 12.1.2019). Die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, sind allerdings zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015, vgl. AA 12.1.2019, FH 4.2.2019). In der Provinz Sistan und Belutschistan berichteten viele Dorfbewohner, dass es ihnen an Wasser, Elektrizität, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mangele. In der verarmten Provinz sind die Analphabetenquote bei Mädchen und die Kindersterblichkeit sehr hoch. Angehörigen ethnischer Minderheiten, die die Verletzung ihrer Rechte kritisieren, drohen willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen, grob unfaire Gerichtsverfahren, Gefängnisstrafen und die Todesstrafe. Geheimdienste und Sicherheitsorgane beschuldigten Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, sie würden "separatistische Strömungen" unterstützen, die Irans territoriale Integrität bedrohten (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 4.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 4.6.2019

- BMI – Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 4.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 4.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 4.6.2019

a. Kurden

Die Kurden (überwiegend Sunniten) sind hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch werden sie in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen und zunehmend auch in der Ministerialbürokratie berufen (so wurde 2017 erstmals eine kurdischstämmige Frau Vize-Innenministerin). Der iranische Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen auf dem Regionalsender IRIB Kurdistan (AA 12.1.2019). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Kurden ein (HRW 17.1.2019). Problematisch sind vor allem kulturelle Aktivitäten, die politisch werden (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Seit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden im September 2017 wurde die Präsenz von Militär und Revolutionsgarden deutlich erhöht (AA 12.1.2019, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Das Erdbeben von Kermanshah im November 2017, dessen Auswirkungen fast ausschließlich in den von Kurden bewohnten Gebieten zu spüren sind, hat die Präsenz der Sicherheitskräfte noch verfestigt, ca. 5.800 Freiwillige der Revolutionsgarden sollen bis zum Ende der Aufräumarbeiten vor Ort bleiben. Nach mehreren Scharmützeln im Grenzgebiet ist es im Sommer 2018 zu einem Raketenangriff auf kurdische Einrichtungen in Irak gekommen (AA 12.1.2019). In der iranischen Provinz Kurdistan gibt es auch militärische und geheimdienstliche Präsenz, die nicht immer sichtbar ist. Die Überwachung in diesem Gebiet ist nicht systematisch, aber strukturiert und auch nicht zufällig, sondern gezielt (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet (AA 12.1.2019). Unter den politisch Verfolgten sind daher verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK (partiya jiyana azad a kurdistane, „Partei für ein freies Leben in Kurdistan“, Schwesterorganisation der PKK in Iran), der kommunistischen Komala-Partei, oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß. Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet, zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDP-Iran in Nord-Irak statt. Derzeit sollen etwa 100 Kurden auf ihre Hinrichtung warten. Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 5.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 5.6.2019

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 5.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 5.6.2019

b. Araber

Ahwazi Araber (nach Schätzungen rund 2 Mio.) sind teilweise sunnitischen Glaubens und bewohnen die an Erdölvorkommen reiche Grenzregion zu Irak und Kuwait. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind viele Araber Analphabeten, und es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate. Von Arabern bewohnte Gebiete sind oft nicht an die Wasser- und Elektrizitätsversorgung angeschlossen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AI 22.2.2018). Die arabische Minderheit in Iran fühlt sich Diskriminierungen ausgesetzt. Sie leidet unter Umweltproblemen (Verschmutzung, Staubstürme) sowie wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und macht eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khusestan) durch die Zentralregierung dafür verantwortlich. Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld, die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018).

 

Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Die von Arabern bewohnten südlichen Teile Irans sind reich an Erdölvorkommen. Obwohl nicht erwiesen ist, dass Araber aufgrund ihrer Ethnizität verfolgt werden, ist zu beobachten, dass sie häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen (etwa wegen „mohareb“ und „mofsid-fil-arz“) zu sehr hohen Strafen verurteilt wurden. Nach dem Terrorangriff in Ahvaz im September 2018 mit 30 Toten wurden offiziell 22 Personen aus dem Umfeld der Untergrundorganisation „Al-Ahvaziya“ festgenommen, die Opposition hat von bis zu 300 Festnahmen berichtet. Mit weiterer Repression gegen arabische Oppositionsgruppen ist zu rechnen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 17.1.2019), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 5.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 5.6.2019

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 5.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 5.6.2019

c. Belutschen

Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben in stark unterentwickelten Gebieten (ÖB Teheran 12.2018). In der Provinz Sistan und Belutschistan berichteten viele Dorfbewohner, dass es ihnen an Wasser, Elektrizität, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mangele. In der verarmten Provinz ist die Analphabetenquote bei Mädchen und die Kindersterblichkeit sehr hoch (AI 22.2.2018). Die Arbeitschancen und das Recht zur politischen Partizipation (v.a. passives Wahlrecht) sind für Belutschen beschränkt. Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Belutschen einsetzen, können mit willkürlichen Festnahmen, körperlichem Missbrauch und unfairen Gerichtsverfahren konfrontiert sein. 2015 und 2016 gab es immer wieder Berichte über Zusammenstöße von Sicherheitskräften und Bewohnern der Grenzgebiete in Belutschistan, bei welchen es zu gesetzwidrigen Schüssen auf unbewaffnete Zivilisten, vermeintliche Schmuggler oder Drogenkuriere gekommen sein soll (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Belutschen gehören zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen jedoch nicht vor (AA 12.1.2019). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen ein (HRW 17.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff5.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 5.6.2019

-- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 5.6.2019

15. Relevante Bevölkerungsgruppen

a. Frauen

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen schlicht unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Viele junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen. Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 3.2019c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Fahrradverbot). Eine Diskussion über den Zugang von Frauen zu Sportveranstaltungen ist im Gange (AA 12.1.2019).

 

In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden. Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen. Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 19,8% (1,07 Millionen gegenüber 10,3% und 2,25 Millionen in absoluten Zahlen bei den Männern). Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Auch nach der Population Situation Analysis der Universität Teheran vom Sommer 2016 besteht im Bereich der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt erhöhter Nachholbedarf (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Die stagnierende wirtschaftliche Lage Irans hat ein stetiges Wachstum der Arbeitslosenrate in den vergangenen Jahren zur Folge gehabt. Insbesondere hat die hohe Arbeitslosigkeit im Land auch Einfluss auf die wirtschaftliche Situation von alleinstehenden Frauen genommen; u.a. sieht das Gesetz nicht die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern vor. Außerdem haben selbst gut qualifizierte Frauen Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden (ÖB Teheran 12.2018).

 

In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 12.1.2019, vgl. HRW 17.1.2019, ÖB Teheran 12.2018, AI 26.2.2019). Zum Beispiel legt das Gesetz es Frauen nahe, sich für drei Viertel der regulären Arbeitszeit von Männern zu bewerben und Frauen brauchen das Einverständnis ihres Ehemannes, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Außerdem werden Stellen oft geschlechtsspezifisch ausgeschrieben, sodass es Frauen verwehrt wird, sich – ungeachtet ihrer Qualifikationen – für bestimmte Positionen zu bewerben. Auch von sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz wird berichtet. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern außerdem den Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen in Gewerkschaften, um Frauenrechte effektiver vertreten und einfordern zu können (ÖB Teheran 12.2018).

 

Laut Gesetz darf eine jungfräuliche Frau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 13.3.2019). Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen. Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018). Auch können iranische Frauen ihre iranische Staatsbürgerschaft nicht an ausländische Ehemänner oder ihre Kinder weitergeben (HRW 18.1.2018, vgl. US DOS 13.3.2019, ACCORD 12.2015).

 

Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Frauen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Männer mit 15 Jahren), ihre Zeugenaussagen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet und bei bestimmten Straftatbeständen ist die Zeugenaussage von männlichen Zeugen Verurteilungsvoraussetzung. Weitere diskriminierende Vorschriften finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht sowie im Sozialversicherungsrecht (AA 12.1.2019).

 

Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 12.1.2019). Ende 2017/Anfang 2018 kam es zu größeren Protesten von Frauen gegen den Kopftuchzwang, bei denen einige Frauen öffentlich ihren Schleier abnahmen. Die Proteste wurden von den Sicherheitskräften rasch eingedämmt, von der Judikative wurden schwere Strafen (z. T. mehrjährige Haft) verhängt. Dennoch wurde dadurch eine öffentliche Debatte angestoßen. Das Forschungszentrum des Parlaments veröffentlichte etwa eine Studie, welche die geringe Zustimmung zum Kopftuchzwang thematisierte und sogar dessen Abschaffung in Erwägung zog. Im Oktober 2018 kam es wieder zu vereinzelten Berichten über Frauen, die ihr Kopftuch abgenommen hatten. Letztlich erlebte auch die Diskussion rund um das Stadionverbot für Frauen wieder frischen Wind, nachdem bei WM-Spielen der Fußballnationalmannschaft im Juni 2018 im Azadi-Stadion auch Frauen zugelassen waren. Zudem wurden im Oktober und November 2018 auf Druck der FIFA – und trotz massiven Widerstands von Teilen des Klerus – zum ersten Mal ausgewählte Frauen zu zwei Livespielen eingelassen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende Frauen sind nicht auffindbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht im Stande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 12.2018).

 

Alleinstehende, nicht geschiedene Frauen haben Schwierigkeiten, selbstständig eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da gesellschaftliche Normen verlangen, dass eine unverheiratete Frau im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebt. Im Gegensatz dazu dürfte es gesellschaftlich akzeptiert sein, dass geschiedene Frauen alleine wohnen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen od. Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden (ÖB Teheran 12.2018).

 

Häusliche Gewalt ist in Iran sehr weit verbreitet und die Gesetze dagegen sind schwach. Ein Drittel der Frauen gibt an, Opfer physischer Gewalt geworden zu sein, über die Hälfte gibt an, mit psychischer Gewalt konfrontiert worden zu sein. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Angeblich sollen staatlich geführte Einrichtungen für alleinstehende Frauen, Prostituierte, Drogenabhängige oder Mädchen, die von Zuhause davon gelaufen sind, vorhanden sein. Jedoch sind Informationen über diese Einrichtungen der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Genauere Informationen über mögliche Unterstützungen des Staates für alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar (ÖB Teheran 12.2018).

 

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können aber nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 12.1.2019). Vergewaltigung ist generell mit der Todesstrafe bedroht, bei Ehepartnern wird Vergewaltigung jedoch nicht als Vergehen gesehen (ÖB Teheran 12.2018). Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen, wie häusliche Gewalt und Früh- und Zwangsverheiratungen, sind weit verbreitet und werden nicht geahndet. Geschlechtsspezifische Gewalt ist weiterhin nicht strafbar (AI 22.2.2018).

 

Der Wächterrat ließ keine der 137 Frauen, die bei der Präsidentschaftswahl 2017 antreten wollten, für eine Kandidatur zu. Aufgrund des gesetzlichen Zwangs, ein Kopftuch (Hidschab) zu tragen, stehen Frauen im Visier von Polizei und paramilitärischen Kräften. Sie können schikaniert und festgenommen werden, wenn Haarsträhnen unter ihrem Kopftuch hervorschauen, wenn sie stark geschminkt sind oder eng anliegende Kleidung tragen. Frauen, die sich gegen die Kopftuchpflicht einsetzen, können Opfer staatlich unterstützter Verleumdungskampagnen werden (AI 22.2.2018). Nach anderen Berichten will die Polizei Frauen, die sich auf den Straßen "unislamisch" kleiden oder benehmen, nunmehr belehren statt bestrafen. Frauen, die (in der Öffentlichkeit) die islamischen Vorschriften nicht beachten, würden laut Teherans Polizeichef seit einiger Zeit nicht mehr auf die Wache gebracht. Vielmehr würden sie gebeten, an Lehrklassen teilzunehmen, um ihre Sichtweise und ihr Benehmen zu korrigieren. In Iran müssen alle Frauen und Mädchen ab neun Jahren gemäß den islamischen Vorschriften in der Öffentlichkeit ein Kopftuch und einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verbergen. "Sünderinnen" droht die Festnahme durch die Sittenpolizei, in manchen Fällen auch ein Strafverfahren und eine saftige Geldstrafe. Die Gesetze – und Strafmaßnahmen – gibt es schon seit fast 40 Jahren, genauso lange haben sie nicht viel gebracht. Die Kopftücher wurden und werden immer kleiner und die Mäntel immer kürzer und enger. Auch strengere Kontrollen der Sittenpolizei auf den Straßen führten nicht zu dem erhofften Sinneswandel der Frauen. Laut Polizeichef Rahimi gab es 2017 bereits mehr als 120 solcher Aufklärungsklassen, an denen fast 8.000 Frauen teilgenommen haben. Bewirkt haben sie anscheinend aber wenig. Nach der Wiederwahl des moderaten Präsidenten Hassan Rohani und der Ausweitung der gesellschaftlichen Freiheiten werden besonders abends immer mehr Frauen ohne Kopftuch in Autos, Cafés und Restaurants der Hauptstadt gesehen (Standard.at 27.12.2017; vgl. Kurier.at 27.12.2017). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht. Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktion angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 5.6.2019

- ACCORD (12.2015): COI compilation Iran: Women, children, LGBTI persons, persons with disabilities, „moral crimes“, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1451977796_568a98324.pdf , Zugriff 5.6.2019

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 5.6.2019

- AI – Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iran [MDE 13/9900/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003678/MDE1399002019ENGLISH.PDF , Zugriff 5.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 5.6.2019

-- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 5.6.2019

- Kleine Zeitung (3.2.2018): Bericht: "Besorgniserregender Widerstand gegen Kopftuch", https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5365790/Strafen-helfen-im-Iran-nicht-mehr_Besorgniserregender-Widerstand , Zugriff 5.6.2019

- Kurier.at (27.12.2017): Belehrung statt Bestrafung für "unislamisch" gekleidete Iranerinnen, https://kurier.at/politik/ausland/belehrung-statt-bestrafung-fuer-unislamisch-gekleidete-iranerinnen/303.910.665 , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 5.6.2019

- Standard.at (27.12.2017): Belehrung statt Bestrafung für "unislamisch" gekleidete Iranerinnen, https://derstandard.at/2000071088880/Belehrung-statt-Bestrafung-fuer-unislamisch-gekleidete-Iranerinnen , Zugriff 5.6.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 5.6.2019

i. Einige rechtliche Bestimmungen bezüglich Frauen

- Aufenthaltsbestimmungsrecht:

- Der Ehemann hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich und seine Frau (Art. 1104 des iranischen Zivilgesetzbuchs, iZGB) (AA 9.12.2015). Sie benötigt die schriftliche Einwilligung ihres Ehemannes, um einen Reisepass zu beantragen (Art. 18 III Passgesetz) (AA 9.12.2015, vgl. FH 4.2.2019). Der Ehemann hat das Recht, jederzeit ohne Angabe von Gründen eine Ausreisesperre gegen seine Ehefrau zu verhängen (AA 9.12.2015). Frauen benötigen einen männlichen Vormund oder eine Begleitperson auf Reisen (US DOS 13.3.2019). In einigen Städten benötigen allein reisende Frauen eine behördliche Erlaubnis, um in öffentlichen Hotels und Gästehäusern übernachten zu können (AA 9.12.2015).

-

- Volljährigkeit:

- Mädchen werden mit dem 9. Lebensjahr volljährig, Jungen mit Vollendung des 15. Lebensjahres. Geschäftsfähigkeit erlangen beide in der Regel erst mit 18 Jahren (AA 9.12.2015).

-

- Eherecht:

- Die Ehe eines nicht-muslimischen Mannes mit einer Muslimin ist verboten (Art. 1059 ZGB); für die Ehe einer iranischen Frau mit einem Ausländer ist eine behördlichen Sondergenehmigung erforderlich (Art. 1060 ZGB) (AA 9.12.2015). Eine ledige Frau benötigt unabhängig von ihrem Alter zur ersten Eheschließung die Zustimmung des gesetzlichen Vormunds, in der Regel die des Vaters (Art. 1043 ZGB) (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019). Laut Art. 1108 ZGB hat eine Ehefrau, die ihre Ehepflichten (Gehorsam und Ehebeziehungen) nicht erfüllt, keinen Anspruch auf Unterhalt. Der Ehemann hat das Recht zur Vielehe (bis zu vier Frauen) (AA 9.12.2015).

-

- Scheidungsrecht:

- Der Ehemann hat das Recht zur Scheidung, ohne dass er den Scheidungsantrag begründen muss. Ebenso kann er nach einer widerrufbaren Scheidung die Ehe innerhalb von drei Monaten wieder aufnehmen. Eine Frau kann bei Geisteskrankheit und Impotenz des Ehemanns (Art. 1122, 1125 ZGB), wegen einer unerträglichen Härte im Falle der Fortführung der Ehe z.B. bei stark unislamischer Lebensführung des Ehemanns oder bei Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 1130 ZGB) die Scheidung beantragen (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019). Zusätzlich zu diesen gesetzlich geregelten Fällen werden in standardisierten, notariell beurkundeten Eheverträgen oft weitere Scheidungsgründe vereinbart (z.B. für die Frau gefährliche Erkrankung, Drogenkonsum, weitere nicht abgestimmte Heirat des Ehemanns). Das Vorliegen der Scheidungsbedingungen nachzuweisen ist für die Frau sehr schwierig. Im Streitfall kann sich ein solcher Rechtsstreit über mehrere Jahre hinziehen. Die Frau hat jedoch in den meisten Fällen die Möglichkeit, dem Mann gegen die Scheidung die Morgengabe zu schenken, wobei es sich häufig um große Summen handelt. Lässt sich der Mann scheiden, muss er diese der Frau auszahlen. Einen besonders hohen Anteil stellen einvernehmliche Scheidungen dar (AA 9.12.2015).

-

- Sorgerecht:

- Das Sorgerecht gliedert sich nach den Vorschriften des iZGB in zwei Kategorien: Die Vermögenssorge sowie alle Fragen der Stellvertretung (sog. „Welayat“) liegen immer beim Vormund des Kindes, in der Regel also beim Vater. Über Fragen des körperlichen und geistigen Wohls des Kindes (sog. „Hezanat“) entscheiden beide Ehegatten gemeinsam. Bei einer Scheidung erhält die Frau für Kinder bis zum Alter von sieben Jahren die "Hezanat" (Sorgerecht in Bezug auf körperliches und geistiges Wohl des Kindes) (Art. 1169 ZGB). Bei Erreichen der Altersgrenze fällt sie automatisch an den Vater. Nur in Fällen der Beeinträchtigung des physischen oder moralischen Wohls der Kinder kann das Sorgerecht ausnahmsweise durch ein Gericht auch nach Erreichen der Altersgrenze der Mutter zugesprochen werden. Sie verliert das Sorgerecht, wenn sie wieder heiratet (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019).

-

- Staatsangehörigkeit:

- Die ausländische Ehefrau eines Iraners erwirbt durch die Eheschließung automatisch die iranische Staatsangehörigkeit und wird dann ausschließlich als Iranerin behandelt. Erwirbt die iranische Ehefrau unmittelbar durch eine Eheschließung die Staatsangehörigkeit ihres ausländischen Ehemannes, verliert sie die iranische Staatsangehörigkeit. Nach dem Tod des Ehemanns oder nach Trennung der Eheleute hat die Frau ein Recht auf Wiedererwerb der iranischen Staatsangehörigkeit. Wird der Ehemann eingebürgert, erwerben Ehefrau und minderjährige Kinder automatisch ebenfalls die iranische Staatsangehörigkeit. Eine mit einem iranischen Staatsangehörigen verheiratete Frau kann nominell weder eine andere Staatsangehörigkeit erwerben noch aus der iranischen Staatsangehörigkeit entlassen werden (AA 9.12.2015). Das Kind eines iranischen Vaters erwirbt seine Staatsangehörigkeit. Das Kind erwirbt in der Regel aber nicht die Staatsangehörigkeit von seiner iranischen Mutter (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.2.2019, AI 29.2.2019), es kann sich jedoch nach Erreichen der Volljährigkeit einbürgern lassen (AA 9.12.2015).

-

- Einwilligungsvorbehalt:

- Der Ehemann einer iranischen Frau hat das Recht, der Ehefrau die Ausübung eines Berufs zu versagen, wenn dies den Interessen der Familie widerspricht und seiner Würde zuwiderläuft (AA 9.12.2015).

-

- Sozialversicherung:

- Das Sozialversicherungswesen ist darauf ausgelegt, dass der Mann die Familie unterhält. Der Fall, dass eine Frau für das Familieneinkommen sorgt, obwohl auch der Mann dazu in der Lage wäre, ist nicht vorgesehen. Eine Frau erhält in der Regel lediglich dann Leistungen aus der Sozialversicherung, wenn sie die einzige Ernährerin der Familie ist (AA 9.12.2015).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf , Zugriff 5.6.2019

 - AI – Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iran [MDE 13/9900/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003678/MDE1399002019ENGLISH.PDF , Zugriff 5.6.2019

 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 5.6.2019

 - US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 5.6.2019

b. Sexuelle Minderheiten

Verboten ist in Iran jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen, unabhängig von der Religionsangehörigkeit (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019). Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als „Verbrechen gegen Gott“ gelten, stehen offiziell Auspeitschung und kann mit der Todesstrafe (dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden) bestraft werden (ÖB Teheran 12.2018, vgl. HRW 17.1.2019). Im Falle von „Lavat“ (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe. Auf „Mosahegheh“ („Lesbianismus“) stehen 100 Peitschenhiebe. Nach vier Wiederholungen kann aber auch hier die Todesstrafe verhängt werden. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Gleichfalls ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht verboten. Die Todesstrafe wird vor allem bei homosexuellen Vergewaltigungen verhängt. Im Falle von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheits- sowie Körperstrafen verhängt. Da Homosexualität offiziell als Krankheit gilt, werden Homosexuelle vom Militärdienst befreit und können keine Beamtenfunktionen ausüben. Es ist davon auszugehen, dass Verurteilungen im Falle von Homosexualität auf andere Straftatbestände lauten, weshalb es kaum Daten zu Menschenrechtsverletzungen in diesem Bereich gibt. Geständnisse können durch Folter erzwungen worden sein (ÖB Teheran 12.2018).

 

Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches „Coming out“ grundsätzlich nicht möglich (AA 12.1.2019). Auch werden Missbräuche durch die Gesellschaft oft nicht angezeigt, was Mitglieder von sexuellen Minderheiten noch anfälliger für Menschenrechtsverletzungen macht (ÖB Teheran 12.2018).

 

Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder von Seiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018).

 

Transsexualität ist im Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert. Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für „diagnostizierte Transsexuelle“ erlaubt (ÖB Teheran 12.2018). Entsprechende Operationen werden zum Teil von den Krankenversicherungen unterstützt. Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Die Geschlechtsumwandlungen gelten allerdings häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen (AA 12.1.2019). Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden, um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass sie in die Prostitution gedrängt werden (ÖB Teheran 12.2018). Personen, die sich Geschlechtsumwandlungen unterzogen haben, können bei Gericht einen Antrag für neue Dokumente stellen, die effizient und transparent ausgestellt werden (US DOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 5.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 5.6.2019

-- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 5.6.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 5.6.2019

16. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern und Mitgliedern von religiösen Minderheiten ein. Ebenso sind Wissenschaftler in sensiblen Bereichen und Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker und Menschen- und Frauenrechtsaktivisten von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 13.3.2019).

 

Zur Ausreise aus Iran benötigt ein iranischer Staatsangehöriger einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (im Jahr 2018 4.400.000 IRR, ca. 45 bis 28€ je nach Wechselkurs). Am internationalen Flughafen Imam-e Khomeini werden zunehmend strenge Kontrollen durchgeführt, die Devisenaus- und -einfuhr wird mittlerweile streng reglementiert (max. 5000€ je Person). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 12.1.2019).

 

Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 27.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html , Zugriff 27.5.2019

17. Flüchtlinge

Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und übernimmt seit mehr als drei Jahrzehnten Verantwortung für afghanische und irakische Flüchtlinge im Land (AA 12.1.2019). Die Behörden arbeiten mit dem Büro von UNHCR zusammen, um afghanischen und irakischen Flüchtlingen Hilfe bereitzustellen (US DOS 13.3.2019). Wie die legale Praxis hinsichtlich der Vergabe des Asylstatus aussieht, ist nicht bekannt. Nur wenige Migranten leben in Iran in Flüchtlingscamps, die Mehrheit lebt in Dörfern und Städten (ÖB Teheran 12.2018).

 

Von den Flüchtlingen stellen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran im Moment das fünftgrößte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit (GIZ 3.2019c). Nach inoffiziellen Statistiken sind mehr als 3 Mio. Menschen aus Nachbarstaaten, v.a. aus Afghanistan und ca. 300.000 aus dem Irak, nach Iran emigriert. In offiziellen staatlichen Statistiken scheinen nur die registrierten und offiziell anerkannten Flüchtlinge (rund 950.000 Afghanen und 30.000 Iraker) auf, welchen eine „Amayesh“-Karte ausgestellt wurde, wodurch der Zugang zu öffentlicher Grundversorgung (Grundschule, Erstversorgung, Impfungen, Sozialwohnungen, etc.) und Arbeitsmarkt gegeben ist (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019, Lifos 10.4.2018). Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge ist 2017 mit 1.131 weiter deutlich zurückgegangen (bis November 2018 1.400, in den Vorjahren jeweils über 8.000). Nach Angaben des UNHCR erfolgen über 70% dieser Ausreisen durch Studenten in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder in den Iran einzureisen. Die 466.303 nicht registrierten Rückkehrer wurden laut der International Organisation für Migration (IOM) mehrheitlich abgeschoben (271.972). Für das Jahr 2018 wurden bis November bereits an die 700.000 Rückkehrer gezählt, darunter eine deutliche gestiegen Zahl an Deportationen (AA 12.1.2019).

 

620.000 afghanischen Passinhabern, viele davon ohne legalen Aufenthaltsstatus oder Träger der Amayesh-Karte, wurde ein iranisches Visum ausgestellt, wodurch der Aufenthalt legalisiert werden konnte. Weitere Verbesserungen für Flüchtlinge und Migranten war die Ausdehnung der Schulpflicht auf alle in Iran aufhältigen afghanischen Kinder, auch jene ohne legalen Aufenthaltsstatus. 420.000 afghanische und irakische Kinder sind derzeit in Grundschulen und Sekundarschulen eingeschrieben. Familien, deren Kind oder Kinder im Iran die Schule besuchen, können nicht abgeschoben werden. Die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, auch weil erschwingliche Transportmöglichkeiten zur nächsten Schule fehlen. Auch der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgegeben und ein Studentenvisum beantragt werden (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Regierung hatte im Jahr 2017 mit einer schrittweisen Ausweitung der Registrierung begonnen, die mittlerweile abgeschlossen wurde: 900.000 Personen wurden erfasst, aber die weiteren Schritte sind noch unklar. In diesem Kontext wurden zum Schuljahr 2018/2019 erneut nicht-registrierte Flüchtlingskinder in das Schulsystem aufgenommen. Derzeit werden bei insgesamt 454.000 Kindern aus Flüchtlingsfamilien (auch Iraker) über 110.000 sogenannte „blue card holders“ gezählt, die infolge eines Dekrets des Obersten Revolutionsführers aus dem Jahr 2015 neu eingeschrieben werden konnten. Neben dem Schutz vor Abschiebungen für die ganze Familie geht damit der Zugang zu einer besseren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie Beratung und Gesundheitsfürsorge einher. Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA (Bureau for Aliens and Foreign Immigrants Affairs) zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder den UNHCR. Dieser ist mit Gesundheitsstationen in 18 Provinzen tätig und hat mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Salamat-System (UPHI) [Krankenversicherung] im 4. Zyklus in 92.000 Härtefällen Hilfe geleistet (AA 12.1.2019). Seit 2016 verfügen alle registrierten Flüchtlinge über eine staatliche Krankenversicherung, der Status unregistrierter Flüchtlinge bleibt jedoch offen. Amayesh Card Besitzern wird für 12 US-Dollar im Jahr die medizinische Versorgung finanziell enorm erleichtert. Den schwächsten Flüchtlingsgruppen (Witwen, Alte und Gebrechliche) wird die medizinische Versorgung kostenfrei (durch Zuschüsse von UNHCR) zur Verfügung gestellt. Die staatliche Krankenversicherung ermöglicht den Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern und privaten Gesundheitsinstitutionen. Schwangeren werden mit dieser Versicherung u.a. die monatliche Kontrolluntersuchung sowie die Entbindung bezahlt. Für zusätzliche Untersuchungen, wie Bluttests oder Ultraschalluntersuchungen, müssen die Frauen jedoch selbst aufkommen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Amayesh Cards sollen auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Jedoch bedarf es einer behördlichen Arbeitserlaubnis als Teil der Amayesh Karte (ÖB Teheran 12.2018; vgl. Lifos 10.4.2018). Laut NGOs wird es demnächst auch keinen Politikwandel hinsichtlich der Arbeitsintegration geben, auch weil die inoffizielle Arbeitslosenrate über 20% liegt (ÖB Teheran 12.2018). Die meisten Flüchtlinge gehen eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v.a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind. Sie sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben, wenig integriert. 15% der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, haben mindestens 6 Monate in Iran verbracht (AA 12.1.2019).

 

Human Rights Watch berichtet über die Anwerbung Tausender Flüchtlinge als Söldner für den Krieg in Syrien (Fatemiyoun Brigade – im Gegensatz zu Zeynabiyun für junge Pakistani – mit 20.000 Kämpfern, seit 2013 angeblich mindestens 656 Gefallene) gegen Bezahlung und teils mit dem Versprechen einer iranischen Staatsangehörigkeit. Von offizieller iranischer Seite wird seit kurzem versucht, das Ansehen dieser Kämpfer zu verbessern (AA 12.1.2019). Internationale Medien berichteten nach dem Kriegseintritt Irans in Syrien immer wieder, dass ohne legalen Status in Iran aufhältige Afghanen, darunter Minderjährige, für den Kampf in Syrien rekrutiert werden, mit monetären Anreizen (Berichten zufolge etwa 800 US-Dollar pro Monat) und dem Versprechen eines rechtmäßigen, 10-jährigen Aufenthaltstitels in Iran, welches manchen Berichten zufolge nicht immer vollständig eingehalten wird (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019).

 

Da das iranische Staatsbürgerschaftsrecht die Weitergabe der iranischen Staatsbürgerschaft an den Vater bzw. dessen Anerkenntnis des Kindes koppelt, und Frauen die iranische Staatsbürgerschaft nicht an ihren Ehemann weitergeben können, wird die Zahl der Staatenlosen in Iran auf 400.000 bis 1 Mio. Menschen geschätzt, v.a. aus Verbindungen von Iranerinnen mit Flüchtlingen und sonstigen Migranten. Außerdem sind Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Den Staatenlosen wird von den meisten Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt, eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 5.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 5.6.2019

- Lifos - Zentrum für Länderinformationen und Länderanalyse im Migrationsbereich (10.4.2018): Afghanistan: Afghanen im Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afgh-ba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf , Zugriff 5.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 7.6.2019

- US DOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430093.html , Zugriff 7.6.2018

a. Amayesh-Programm, illegal aufhältige Afghanen, Arbeit, Besitz, Wohnungsmarkt für Afghanen

Anm. der Staatendokumentation: Weiterführende Informationen bez. Afghanen sind dem aktuellen LIB Afghanistan zu entnehmen.

 

Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit, und um seinen legalen Status in Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die in Iran durchgeführt wird, erneut registrieren. Die Afghanen, die vor 2001 nach Iran gekommen sind, werden – vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben – von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl in Iran beantragen können. Diejenigen, die bereits registriert sind, müssen ihre Registrierung regelmäßig erneuern, aber seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert (Lifos 10.4.2018). Die Behörden erlauben auch unregistrierten afghanischen Kindern den Schulbesuch (HRW 14.5.2019). Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie Iran verlassen, weil der Amayesh-Status keine Ausreise erlaubt. Möglicherweise gibt es einzelne Fälle, wo Personen aber trotzdem eine Reiseerlaubnis bekommen haben. Normalerweise lassen Amayesh-Registrierte ihre Amayesh-Karte zu Hause, wenn sie vorhaben, die Landesgrenze zu passieren, damit sie nicht entdeckt werden. Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und verschieden Arten von Ausgaben verbunden, die in den unterschiedlichen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr und die Kosten liegen bei 200–300 US-Dollar für eine Familie mit fünf Personen (Hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert). Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit extra Information an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue Amayesh-Karte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Lifos 10.4.2018).

 

Der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgeben und ein Studentenvisum beantragt werden. Nach dem Studium besteht daher die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 12.2018).

 

Amayesh-registrierte Afghanen haben das Recht, eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen. Männer im Alter von 18 bis 65 sind dazu verpflichtet, dieses in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen – oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert, und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten (Lifos 10.4.2018). Amayesh-Karten sollen auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, jedoch bedarf es einer behördlichen Arbeitserlaubnis. Afghanen werden meist nur schwere körperliche Tätigkeiten erlaubt (ÖB Teheran 12.2018). Ein Problem für Amayesh-registrierte ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. Was den Zugang der afghanischen Bevölkerung zum Arbeitsmarkt angeht und die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, haben die iranischen Behörden in den letzten Jahren frühere Restriktionen verringert. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden, die bedeutet, dass die Person trotzdem die Erlaubnis bekommt, im aktuellen Beruf tätig zu sein. Ein Teil der 620.000 Afghanen, die heute legal mit Pass und Visum in Iran leben, sind frühere Amayesh-Registrierte, die ihren Amayesh-Status für ein zeitlich begrenztes Visum aufgrund von Arbeit oder Studium aufgegeben haben. Die Vorteile, die ein solcher Statustausch mit sich bringt, sind, dass ein zeitlich begrenztes Arbeitsvisum das Recht dazu gibt, auch außerhalb der 87 für Afghanen erlaubten Berufe zu arbeiten. Man hat auch das Recht dazu, legal zwischen Iran und Afghanistan zu reisen sowie Auto zu fahren. Weiterhin haben Personen mit Pass und Visum im Unterschied zu Amayesh-registrierten Afghanen, die eine besondere Reiseerlaubnis beantragen müssen, wenn sie die Heimatprovinz verlassen wollen, auch das Recht dazu, über die Provinzgrenzen hinaus zu reisen. Trotz der Vorteile des Statuswechsels ist dieser aufgrund der Unsicherheit darüber, was passiert, wenn die zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis ausläuft, nicht so beliebt geworden (Lifos 10.4.2018). Viele Afghanen in Iran arbeiten im Bausektor. Ihr Lohn ist im Allgemeinen viel geringer als der Lohn iranischer Staatsbürger. Manchmal können Razzien an Arbeitsplätzen durchgeführt werden, aber die Behörden sind gleichzeitig pragmatisch, weil Iran auf die afghanischen Arbeitskräfte angewiesen ist (Lifos 10.4.2018).

 

Als ein Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, hat man im Jahr 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischen Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte „headcount“ richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Mitte September 2017 hatten iranische Behörden durch dieses Programm ca. 800.000 ausländische Staatsbürger mit illegalem Aufenthalt im Land identifiziert. Das Identifizierungsprogramm der sich illegal aufhaltenden Afghanen hat sich in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gerichtet:

1) Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern

2) Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind

3) Unregistrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Lifos 10.4.2018).

 

Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus Iran deportiert zu werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an dem Programm wurde auf früher Amayesh-registrierte Personen oder Visumsinhaber, die ihren Status aus irgendeinem Grund verloren haben, ausgeweitet. Der Fokus der iranischen Behörden liegt darauf, den Aufenthalt der Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, und nicht auf Deportationen. Es ist unklar, wohin die begonnene Regulierung der sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen führen wird. Ein Szenario ist, dass man ihnen die Möglichkeit zu einem legalen Aufenthalt im Land verschafft, indem man ihnen eine Form von befristetem Aufenthaltsrecht bewilligt (Lifos 10.4.2018).

 

Neu angekommene Afghanen haben meist keine Probleme, in Iran eine Wohnung zu finden. Dies liegt daran, dass die afghanische Gesellschaft eine starke Netzwerkgesellschaft mit festen Beziehungen innerhalb der Netzwerke ist. Diejenigen, die nach Iran kommen, haben oft bereits Familienmitglieder im Land, bei denen sie wohnen können. Afghanen in Iran unterstützen sich gegenseitig und dieses kann auch für Personen gelten, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Afghanen mieten große Wohnungen, und es können viele Personen in einem Haushalt wohnen. Afghanen in Iran haben ungeachtet dessen, ob sie Amayesh-registriert sind oder nicht, nicht das Recht dazu, ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen, sondern können diese nur mieten. Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Lifos 10.4.2018).

 

Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge ist 2017 mit 1.131 weiter deutlich zurückgegangen (2018 bis November 1.400, in den Vorjahren jeweils über 8.000): nach Angaben des UNHCR erfolgen über 70% dieser Ausreisen durch Studenten in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder nach Iran einzureisen. Die 466.303 nicht registrierten Rückkehrer wurden laut der International Organisation für Migration (IOM) mehrheitlich abgeschoben (271.972). Für das Jahr 2018 wurden bis November bereits an die 700.000 Rückkehrer gezählt, darunter eine deutliche gestiegene Zahl an Deportationen. Auch wenn die iranische Regierung am Primat der Repatriierung festhält, zeichnet sich in der Praxis eine pragmatische Anpassung ihrer Flüchtlingspolitik ab. Dieses Umdenken wird von den Internationalen Organisationen und Internationalen NGOs unterstützt, die in einem engmaschigen Netzwerk in Zusammenarbeit mit BAFIA die afghanischen Flüchtlinge im Land unterstützen (AA 12.1.2019).

 

Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt, eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.6.2019

- HRW – Human Rights Watch (14.5.2019): Iran: Parliament OKs Nationality Law Reform, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008705.html , Zugriff 7.6.2019

- Lifos - Zentrum für Länderinformationen und Länderanalyse im Migrationsbereich (10.4.2018): Afghanistan: Afghanen im Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afgh-ba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf , Zugriff 7.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 7.6.2019

18. Grundversorgung

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 14 Mio. IRR im Monat (ca. 97 Euro). Das durchschnittliche pro Kopf Einkommen liegt bei ca. 388 Euro (AA 12.1.2019).

 

Von 2016-2017 konnte sich die iranische Wirtschaft mit Wachstumsraten von 4-4,5% jährlich erholen. Das weitere Wachstum ist angesichts der im August 2018 in Kraft getretenen US-Sanktionen gegen Iran (Edelmetalle, Automobilsektor, Flugzeuge), des dramatischen Währungsverfalls und der importierten Inflation stark gefährdet. Mit den US-Sanktionen u.a. auf Ölexporte seit November 2018 ist mit einer weiteren Verschlechterung der Lage zu rechnen. Die Weltbank erwartet in den Jahren 2018-2021 eine anhaltende Rezession, der IWF einen Rückgang des BIP um 1,5% im Jahr 2019 und 3,6% im Jahr 2020. Das Budget wird durch die sinkenden Erdölexporte erheblich belastet werden, weshalb ein Sinken der öffentlichen Ausgaben zu erwarten ist (ÖB Teheran 12.2018).

 

Aufgrund der im Vergleich zu Europa extrem jungen Bevölkerung strömen jedes Jahr viele Berufseinsteiger auf den Arbeitsmarkt. Um diesen Menschen Arbeit zu geben, wäre die Schaffung von rund 1 Mio. Arbeitsplätzen pro Jahr erforderlich. Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen aber auch ein gewaltiger „brain drain“, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen wird (ÖB Teheran 12.2018). Ende Dezember 2017 entstanden Proteste aufgrund der schlechten ökonomischen Lage in einigen Städten (FH 4.2.2019).

 

Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen, auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe. Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin staatlich subventioniert ist, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hob er den Benzinpreis an oder begrenzte die ausgegebenen Rationen, führte das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 3.2019b).

 

Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads. Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company (GIZ 3.2019b).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.6.2019

- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html , Zugriff 7.6.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 7.6.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 7.6.2019

a. Sozialbeihilfen

Dem Gesundheitsministerium ist auch die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten „Hohen Versicherungsrat“ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Ein Hauptversicherer ist die „Organisation für Sozialversicherung“ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in dessen System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen (ÖB Teheran 12.2018). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Einzahlungsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von 1.111.269 IRR (ca. 7,70 Euro) pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 450.000 IRR (ca. 3.10 Euro, sog. Yarane). Dabei handelt es sich jedoch um ein auslaufendes System, das keine Neuaufnahmen zulässt. Angesichts drängender Wirtschaftsnöte wurde im September 2018 zusätzlich die Ausgabe von 10 Millionen elektronischen Lebensmittelkarten beschlossen, ergänzt durch Nahrungsmittelpakete für die am meisten von Armut betroffenen Familien (AA 12.1.2019).

 

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 12.1.2019).

 

Kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung sind als Teil des Sozialwesens für alle iranischen Bürger gewährleistet. Weitere Leistungen können vom Arbeitgeber angeboten werden (IOM 2018).

 

Eine staatliche Arbeitslosenhilfe gibt es nicht, es sei denn der Rückkehrer oder dessen Arbeitgeber haben monatliche Beiträge an eine entsprechende Versicherungsfirma gezahlt. Die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung ist für alle Arbeitnehmer verpflichtend. Die Sozialsicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen überholt und zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Das System deckt alle Angestellten und FreiberuflerInnen ab, wobei letztere zwischen verschiedenen Sfufen wählen können. Freiwillige Abdeckung ist für vorher versicherte Personen bis 55 Jahre verfügbar (mindestens 30 Tage) sowie für die Gruppe der Berufskraftfahrer. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Für Angestellte müssen 7% des monatlichen Gehalts abgegeben werden, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag in Gänze bezahlen (IOM 2018).

Für schutzbedürftige Gruppen im Iran gibt es zwei Arten von Zentren: Öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen sich oft an kleinere spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, welche Projekte zu Genderfragen, alten Menschen, Behinderten (inklusive psychischer Probleme) ethnischer und religiöser Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem Sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen etc. Es gibt einige Zentren unter Aufsicht der BEHZISTI Organisation, welche Personen in Not Hilfe gewähren. Solche Leistungen sind kostenfrei. Aufgrund der hohen Nachfrage und einiger Beschränkungen bevorzugen viele zahlungspflichtige private Zentren (IOM 2018).

 

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die sadeqe, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, das der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt (GIZ 3.2019b).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 29.4.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit(3.2019b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 7.6.2019

- IOM – International Organization for Migration (2018): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/Iran_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101480&vernum=-2 , Zugriff 29.4.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 29.4.2019

19. Medizinische Versorgung

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Zwar ist es fast flächendeckend – laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung (100% in Städten, 95% auf dem Land), aber die Qualität schwankt (GIZ 3.2019c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 29.4.2019a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede einzelner Regionen. Zum Beispiel liegt der Unterschied der Lebenserwartung im Vergleich mancher Regionen bei bis zu 24 Jahren. Folgende sieben Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als die Referenz-Provinz Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Politische Reformen wurden bereits unternommen, um einen gleichmäßigeren Zugang zu Gesundheitsdiensten zu schaffen. Nichtsdestotrotz gibt es noch eine Vielzahl an Haushalten, die sich keine ausreichende gesundheitliche Versorgung leisten können. Gesundheitsdienste sind geographisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 12.2018).

 

Seit der islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert jedem Staatsbürger das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung. Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität. Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs. Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird. Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 12.2018). In jedem Bezirk gibt es Ärzte sowie Kliniken, die dazu verpflichtet sind Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitscenter kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2018).

 

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen „Behvarz“ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) und für durchschnittlich 1.500 Personen zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird, und mehr als 85% der ländlichen Bevölkerung in dieser Weise „nahversorgt“ werden (In Städten übernehmen sog. „Gesundheitsposten“ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser) (ÖB Teheran 12.2018, vgl. IOM 2018). Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren (ca. 3.000 landesweit) zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an ca. 730 städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 12.2018). 90% der Bevölkerung in ländlichen als auch ärmeren Regionen hat Zugang zu essenziellen Gesundheitsdienstleistungen (IOM 2018).

 

Dem Gesundheitsministerium ist auch die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. IOM 2018). Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten „Hohen Versicherungsrat“ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Ein Hauptversicherer ist die „Organisation für Sozialversicherung“ (SSIO). Alle Arbeitgeber und –nehmer zahlen in dessen System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden. Die „Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste“ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Dadurch stieg die Anzahl an Versicherten in Iran von 40% in 1994 auf 90% in 2010. Für anerkannte Flüchtlinge wurde eine eigene Versicherungsorganisation geschaffen. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die „Imam Khomeini Stiftung“, um nicht versicherte Personen, etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge, wobei letztere kaum Chancen auf eine gute Gesundheitsversorgung haben (ÖB Teheran 12.2018). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, indem die Versorgung des Kranken mit Dingen des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 3.2019c).

 

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen durchschnittlich 55% der Gesundheitsausgaben von den versicherten Personen in bar direkt an die Gesundheitsdienstleister entrichtet werden („Out-of-pocket expenditure“ ohne staatliche oder von Versicherungen unterstützte Hilfeleistungen), sei es bei staatlichen oder größtenteils privaten sekundären oder tertiären Einrichtungen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die Regierung versucht kostenfreie medizinische Behandlung und Medikamentenversorgung für alle Iraner zu gewährleisten. Es gibt zwei verschiedene Krankenversicherungen: entweder durch die Arbeit oder privat. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt (IOM 2018).

Versicherung durch Arbeit:

Regierungsangestellte profitieren vom kostenfreien Zugang zur staatlichen Krankenversicherung. Private Firmen decken die Unfallversicherung für ihre eigenen Mitarbeiter.

Private Versicherung:

Mit Ausnahme von Regierungsangestellten müssen sich alle iranischen Bürger selbst privat versichern, wenn deren Arbeitgeber dies nicht bereits erledigen. Um die Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig.

Salamat Versicherung:

Diese neue Versicherung wird vom Ministerium für Gesundheit angeboten und deckt bis zu 90% der Behandlungskosten. Die Registrierung erfolgt online unter: http://www.bimesalamat.ir/isc/ISC.html. Die Registrierung erfordert eine geringe Geb ühr (IRR20.000). Pro Jahr sollten 2,640.000 IRR vom Begünstigten eingezahlt werden. Es gibt Ärzte und private Zentren, die eine öffentliche und/oder SALAMAT-Versicherung akzeptieren, um einen Teil der Ausgaben zu decken. Um zu 90% abgedeckt zu sein, muss man sich auf staatliche bzw. öffentliche Krankenhäuser und Zentren beziehen. TAMIN EJTEMAEI Krankenhäuser decken 100% der versicherten Kunden ab (IOM 2018).

 

Zugang speziell für Rückkehrer

Alle iranischen StaatsbürgerInnen inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt, wie bereits oben beschrieben, zwei verschiedene Arten von Krankenversicherung: Versicherung über den Arbeitsplatz oder private Versicherung. Beide werden von der öffentlichen Versicherung im Iran TAMIN EJTEMAEI verwaltet. Die Anmeldung erfolgt über www.tamin.ir/ . Die Leistungen variieren dabei je nach gewähltem Versicherungsschema. Informationen zu verschiedenen Varianten erhält man bei der Anmeldung. Notwendige Dokumente: Eine Kopie des iranischen Geburtszertifikats, ein Passfoto, und ein vollständiges medizinisches Check-up sind notwendig. Weitere Dokumente können noch verlangt werden. Zuschüsse hängen von der gewählten Versicherung des Klienten ab, über die er/sie während der Registrierung ausführlich informiert wird. Jegliche Kosten werden vom Arbeitgeber getragen, sobald die Person eine Arbeit in Iran aufnimmt. Andernfalls müssen die Kosten selber getragen werden (IOM 2018).

 

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen den Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen. Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, FachärztInnen oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem des Iran. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es einen privaten Sektor mit variierenden Preisen, für BürgerInnen die Privatkrankenhäuser und Spezialleistungen in Anspruch nehmen wollen. Diese finden sich vor allem in den größeren Städten. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (29.4.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iransicherheit/202396 , Zugriff 29.4.2019

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.4.2019

- IOM – International Organization for Migration (2018): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/Iran_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101480&vernum=-2 , Zugriff 29.4.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 29.4.2019

20. Rückkehr

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren (AA 12.1.2019).

 

Zum Thema Rückkehrer gibt es kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 12.2018).

 

Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).

 

In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird wohl nichts geschehen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (AA 12.1.2019). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach IStGB wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 12.1.2019).

 

Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom "Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium" betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 15.6.2018

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf , Zugriff 15.6.2019

21. Dokumente (einschließlich Überprüfung)

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 12.1.2019), z.B. ein echtes Stammbuch (Shenasname), in das Privatpersonen eine nicht existierende Ehefrau eintragen (AA 12.1.2019). Die vorgelegten Dokumente sind in den meisten Fällen echt, der Inhalt gefälscht oder verfälscht. Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden. Die Überprüfung von Dokumenten von Afghanen (Aufenthaltsbestätigungen, Arbeitserlaubnis,…) ist auch kaum möglich, da deren Erfassung durch die staatlichen Behörden selten erfolgt, viele illegal im Land sind, geduldet werden und sich auch die Wohnorte häufig ändern. Allfällige allgemeine Erhebungen durch den Vertrauensanwalt führen daher zu nicht wirklich belastbaren, da nicht überprüfbaren Aussagen. Die afghanische Botschaft hat laut UNHCR jedenfalls kürzlich begonnen, Identitätsnachweise an afghanische Personen in Iran auszustellen (ÖB Teheran 12.2018).

 

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 2.3.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437849/4598_1531218967_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-dezember-2017-02-03-2018.pdf , Zugriff 29.4.2019

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff29.4.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asylländerbericht 2018.pdf

 

Kurzinformation der Staatendokumentation

Iran

COVID-19 Informationen

Iran:

Das Corona-Virus breitet sich in Iran wieder verstärkt aus. Besonders betroffen von einer zweiten Infektionswelle sind die Provinzen Ost- und West-Aserbaidschan, Lorestan, Kermanshah, Isfahan, Hormuzgan sowie Teile von Sistan-Beluchistan und Kerman. Für die Provinz Khusestan gilt der Notstand (AA 8.6.2020). Kritisch ist die Lage auch in den drei bevölkerungsreichsten Regionen Teheran, Isfahan und Chorasan. Die Situation wird von lokalen Beamten als gefährlich und beunruhigend eingestuft. Ähnliche Alarmrufe kommen auch aus anderen Landesteilen (Zeit Online 3.6.2020).

Bei der Einreise in das Land finden Kontrollen zur gesundheitlichen Überprüfung aller Passagiere statt. Es müssen Eigenerklärungen unter anderem zur Durchführung einer 14-tägigen Selbstisolation unterzeichnet werden. Alle Passagiere, die aus Hochrisikogebieten einreisen (dazu zählt Iran aktuell mindestens Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Spanien und die USA), werden bei Einreise durch einen Desinfektionstunnel geschleust, untersucht und auf eine Coronavirus-Infektion getestet. Positiv getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht. Das Prozedere kann sich kurzfristig ändern (AA 8.6.2020).

Derzeit sind alle Grenzübergangspunkte am Landweg durch Nachbarstaaten geschlossen, außer die Grenzübergänge Mehran, Siran Band-Baneh und Bashmagh-Mirvan zwischen Iran und Irak, die für PKW und Personen wieder geöffnet sind. Die Verkehrsbeschränkungen für - 58 -

 

Gemeinde-, Stadt- und Provinzgrenzen wurden aufgehoben. Auch Parks und Wanderwege sind wieder geöffnet (BmeiA 8.6.2020).

Die Zahl der offiziell erfassten Fälle ging in der zweiten Aprilhälfte stark zurück. Anfang Mai lagen die täglichen Neuerkrankungen unter der Marke von 1.000 Fällen (Schwäbische 8.6.2020). Die Regierung begann mit Lockerungen der Einschränkungen. In einigen Kleinstädten, die als weiße Zone (= coronafrei) eingestuft wurden, wurden die Moscheen wieder eröffnet. In den Großstädten blieben sie jedoch weiterhin geschlossen (Quantara 12.5.2020). Die Schließung der Moscheen, besonders im für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan, hatte zu kontroversen Diskussionen zwischen den Wissenschaftern im Gesundheitsministerium und dem konservativen Klerus geführt (ORF.at 3.5.2020).

Mittlerweile steigt die Kurve wieder stark an. Obwohl die zweite Welle das Land erfasst, will Rohani keine stärkeren Beschränkungen des öffentlichen Lebens, um einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit unter allen Umständen zu verhindern (Schwäbische 8.6.2020). Denn sollte dieser Rückfall einen zweiten Lockdown erzwingen, könnte das der maroden Volkswirtschaft den Rest geben und den Zorn gegen das Regime neu entfachen – wie zuletzt bei den Massenprotesten im November 2019 (Zeit Online 3.6.2020). Ob Rohani das angesichts der US-Sanktionen und der niedrigen Ölpreise schaffen kann, ist unsicher. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass die iranische Wirtschaft in diesem Jahr um 6% schrumpfen wird; im vergangenen Jahr lag das Minus bei 9% (Schwäbische 8.6.2020).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden, bei Nutzung ist das Tragen einer Gesichtsmaske vorgeschrieben. Im Alltag ist nur noch teilweise mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Iran teilt Städte je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen ein (rot = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko (AA 8.6.2020), weiß = coronafrei (Quantara 12.5.2020)). In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in Parks bleibt grundsätzlich untersagt (AA 8.6.2020).

Weder Schwerpunktkrankenhäuser, noch Intensivstationen sind an ihrer Auslastungsgrenze. Feldspitäler mit mehreren tausend Betten wurden durch die Streitkräfte errichtet und die Heeresspitäler geöffnet. Die Behandlung von COVID-19 ist kostenfrei, auch für ausländische Staatsbürger (Hintergrund hierfür ist die Ausbreitung von COVID-19 durch Wanderarbeiter aus Afghanistan und Pakistan). Selbstbehalte sind jedoch je nach Krankenhaus möglich (ÖB Teheran 12.5.2020).

 

2.2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF 2-5 wird festgestellt:

 

2.Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019). Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den . Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

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3.Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und . internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte . Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede .andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten „ein nützliches Fundraising-Tool“ sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es . dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

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Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. .Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

2e)ACLED

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat – u.a. zur Sicherheitslage – können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).

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3.35.Erreichbarkeit

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein . integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 5.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TN 18.6.2018; SIGAR 15.7.2018, TET 13.12.2018, TD 26.1.2018, TD 8.1.2019, TN 25.5.2019, CWO 26.8.2019).

Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen im ganzen Land – vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (KT 17.2.2017; vgl. GIZ 7.2019, IWPR 26.3.2018). Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen. Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 15.8.2018; vgl. ST 24.4.2019), Herat-Kandahar (PAJ News 5.1.2019), Kunduz-Takhhar (KP 20.8.2018; vgl. CBS News 20.8.2019) und Ghazni-Paktika (AAN 30.12.2019).

Ring Road

(TD 5.12.2017)

Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt (HP 9.10.2015; vgl. FES 2015). Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts von 3.360 km Länge, das 16 Provinzen mit den größten Städten Afghanistans, Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad, verbinden soll (TN 9.12.2017). Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (USAID 2014; vgl. TG 22.10.2014, BFA Staatendokumentation 4.2018).

Trotz der Ankündigung von Präsident Ghani aus dem Jahr 2015, die Ring Road in neun Monaten fertigzustellen, sind einzelne Teilstücke weiterhin unbefestigt, darunter ein ca. 150 km langes Teilstück zwischen Badghis und Faryab (Sigar 15.7.2018). Die asiatische Entwicklungsbank (Asian Development Bank – ADB, Anm.) genehmigte 150 Millionen USD, um die Kabul Ring Road fertigzustellen. Die fehlenden 151 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar (Provinz Faryab, Anm.) mit Dar-e Bum (Provinz Badghis, Anm.) verbinden; dieses Straßenstück ist der letzte Teil der 2.200 km langen Straße. Mittlerweile leben mehr als 80% der Afghanen weniger als 50 km von der Ring Road entfernt. Die Autobahn wird in diesem Projekt außerdem mit einem Entwässerungssystem ausgestattet, sowie auch mit weiteren modernen Sicherheitsfunktionen. Durch das Ring Road-Projekt sollen regionale Verbindungen erleichtert und die Qualität der Transportdienste verbessert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. PAJ 17.12.2017).

Autobahnabschnitt Kandahar - Kabul - Herat

Die afghanische „Ring Road“ verbindet große afghanische Städte wie Herat, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (TD 12.4.2018). Sie erstreckt sich südlich von Kabul und ist die Hauptverbindung zwischen der Hauptstadt und der großen südlichen Stadt Kandahar (REU 13.10.2015). Der Kandahar-Kabul-Teil der Ring Road erstreckt sich vom östlichen und südöstlichen Teil Kandahars über die Provinz Zabul nach Ghazni in Richtung Kabul, während die Ring Road westlich von Kandahar nach Gereshk in Helmand und Delaram in Nimroz verläuft (ISW o.D.).

Der Abschnitt zwischen Kabul und Herat beträgt 1.400 km (IWPR 26.3.2018). Die an die Ring-Road anknüpfende 218 km lange Zaranj-Dilram-Autobahn (Provinz Nimroz, Anm.), auch „Route 606“ genannt, soll zukünftig Afghanistan mit Chabahar im Iran verbinden (AD 15.8.2017; vgl. TET 9.8.2017, TD 24.5.2017).

Anrainer beschweren sich über den schlechten Zustand des Abschnitts Kandahar-Kabul-Herat (TN 14.3.2018). Ursachen dafür sind die mangelnde Instandhaltung und ständige Angriffe durch Aufständische (IWPR 26.3.2018).

Autobahnabschnitt Baghlan-Balkh

Die Baghlan-Balkh-Autobahn ist Teil der Ring Road und verbindet den Norden mit dem Westen des Landes. Sie gilt als eine unabdingbare Transitroute zwischen der Hauptstadt der Provinz Baghlan, Pul-e Khumri, und den nordwestlichen Provinzen Samangan, Balkh, Jawjzan, Sar-e Pul und Faryab (AAN 15.8.2016).

Salang Tunnel/Salang Korridor

Der Salang-Korridor gilt als Vorzeigeobjekt des Kalten Krieges und wurde im Jahr 1964 zum ersten Mal eröffnet (TD 21.10.2015). Er ist die einzige direkte Verbindung zwischen der Hauptstadt Kabul und dem Norden des Landes (WP 22.1.2018; TD 21.10.2015). Der Salang-Tunnel ist 2.7 km (1.7 Meilen) lang und wurde für den täglichen Verkehr von 1.000 bis 2.000 Fahrzeugen gebaut. Heute befahren ihn jedoch täglich über 10.000 Transportmittel, was den Bedarf an Instandhaltungsarbeiten erhöht (WP 22.1.2018). Durch das von der Weltbank finanzierte Trans-Hindukush Road Connectivity Project soll bis 2022 u.a. der Salang-Korridor dank einer Förderung von 55 Millionen USD renoviert werden (TWB o.D.; vgl. TN 1.9.2018, RW 6.7.2017). In Juni 2018 kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeiten (Ministry of Public Works – MoPW) an, dass die technischen und geologischen Untersuchungen sowie der Entwurf des neuen Salang-Tunnels gegen Ende 2019 abgeschlossen sein werden (TN 18.6.2018). Im September kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeit an, dass die Arbeiten an den ersten 10 km des Salang-Passes begonnen hätten (TN 1.9.2018).

Weitere Autobahne n

Gardez - Khost-Autobahn (NH08)

Die Gardez-Khost-Autobahn, auch „G-K-Autobahn“ genannt, ist 101,2 km lang (USAID 7.11.2016; vgl. PAJ 15.12.2015) und verbindet die Provinzhauptstadt der Provinz Paktia, Gardez, mit Khost City, der Provinzhauptstadt von Khost (PAJ 15.12.2015). Sie verbindet aber auch Ostafghanistan mit der Ghulam-Khan-Autobahn in Pakistan. Mitte Dezember 2015 wurde die sanierte Gardez-Khost Autobahn eröffnet. Ebenso wurden 410 kleine Brücken und 25 km Schutzwände auf dieser Autobahn errichtet (PAJ 15.12.2015; vgl. USAID 7.11.2016).

Grand Trunk Road - Autobahnabschnitt Jalalabad-Peshawar / Pak-Afghan-Highway

Die Grand Trunk Road, auch bekannt als „G.T. Road“, ist die älteste, längste und bekannteste Straße des indischen Subkontinentes (GS o.D.; vgl. Doaks o.D., Dawn 30.12.2018; EIPB 2006). Die über 2.500 km lange Route beginnt in der bangladeschischen Stadt Chittagong, verläuft über Delhi in Indien, Lahore und Peshawar in Pakistan, den Khyber Pass an der afghanisch-pakistanischen Grenze und endet in Kabul (Samaa 9.8.2017; vgl. Scroll 4.5.2018, EIPB 2006). Der Khyber-Pass erstreckt sich über 53 km durch das Safed-Koh-Gebirge und ist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Afghanistan und Pakistan; er verbindet Kabul mit Peshawar (EB 30.3.2017; vgl. BL o.D., NG o.D.).

Die Torkham-Peshawar Autobahn verbindet Jalalabad mit Peshawar in Pakistan, über die afghanische Grenzstadt Torkham in der Provinz Nangarhar. Sie ist eine der am stärksten befahrenen Straßen Afghanistans. Der afghanische Teil der Straße besteht aus zwei Abschnitten: .

der 76 km langen Torkham-Jalalabad-Straße und die Jalalabad-Kabul-Verbindung, die sich über 155 km erstreckt (ET 27.10.2016). Die Straße, die auch als „Pak-Afghan Highway“ bekannt ist, wird als Wirtschaftsroute zwischen Pakistan, Afghanistan, Usbekistan, Tadschikistan und den südasiatischen Ländern genutzt (ET 7.3.2016; vgl. PAJ 28.8.2015, PCQ o.D.).

Autobahnabschnitte Kabul-Bamyan und Bamyan-Mazar-e Sharif

Am 29.8.2016 wurde die Straße Kabul-Bamyan eingeweiht. Das von der italienischen Agentur für Entwicklung finanzierte Straßenprojekt sollte die Verbindung zwischen Kabul und Bamyan erleichtern und den wirtschaftlichen Aufschwung in der Region fördern. Durch die neu errichtete Straße beträgt die Reisezeit von Kabul nach Bamyan zweieinhalb Stunden (Farnesina 29.8.2016).

Ausgeführt durch ein chinesisches Unternehmen, wurde der Startschuss zur Weiterführung des Projektes „Dare-e-Sof and Yakawlang Road“ gegeben. In der ersten, bereits beendeten Phase, wurde Mazar-e Sharif mit dem Distrikt Yakawlang in der Provinz Bamyan durch eine Straße verbunden. Der zweite Teil dieses Projektes, eine 178 km lange Straße, die durch mehr als 37 Dörfer verlaufen soll, wird den Distrikt Dare-e-Sof in der Provinz Samangan mit dem Distrikt Yakawlang verbinden; angedacht ist eine dritte Phase – dabei sollen die Provinzen Bamyan und Kandahar durch eine 550 km lange Straße verbunden werden (XI 9.1.2017). Im September 2018 wurde ein Projekt zur Instandhaltung von 45 km Straße von Yakawlang nach Sighnan in der Provinz Bamiyan unterzeichnet (PAJ 4.9.2018).

Kabul Ring Road

Mitte September 2017 gewährte die islamische Entwicklungsbank (IDB) der afghanischen Regierung ein langfristiges Darlehen im Wert von 74 Millionen USD zum Bau der Kabul-Ring-Road, die sich über eine Strecke von 95 km erstrecken wird; die Straße soll innerhalb von fünf Jahren gebaut werden (TKT 25.9.2017). Im August 2019 kündigte der Saudi Fond für Entwicklung (Saudi Fund for Development – SFD, Anm.) an, 48 Millionen USD in ein Projekt betreffend die Ring Road in Kabul zu investieren (CWO 26.8.2019).

Transportwesen

Das Transportwesen in Afghanistan gilt als „verhältnismäßig gut“. Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans (IE o.D.). Die Kernfrage bleibt nach wie vor die Sicherheit (IWPR 26.3.2018). Es existieren einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan miteinander verbinden; Beispiele dafür sind Bazarak Panjshir, Herat Bus, Khawak Panjshir, Ahmad Shah Baba Abdali (vertrauliche Quelle 14.5.2018; vgl. IWPR 26.3.2018).

Aus Bequemlichkeit bevorzugen Reisende, die es sich leisten können, die Nutzung von Gemeinschaftstaxis nach Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan (vertrauliche Quelle 14.5.2018). Der folgenden Tabelle können die Preise für besagte Reiseziele entnommen werden:

Distanz

Preis

Kabul - Mazar

1.500 AFN – 1.700 AFN

Mazar – Herat

ca. 2.800 AFN (keine direkte Verbindung)

Kabul - Jalalabad

ca. 800 AFN

Kabul – Bamiyan

ca. 1.500 AFN

(vertrauliche Quelle 14.5.2018)

Beispiele für Busverbindungen

Kabul-Stadt

Der Mangel an Bussen insbesondere während der Stoßzeit in Kabul-Stadt ist eine Herausforderung für die afghanische Regierung. Im Laufe der Jahre wurde versucht, dieses Problem zu lösen, indem Indien dem Transportsystem in Kabul hunderte Busse zur Verfügung stellte (TD 8.1.2019). Auch wird gemäß Aussagen des Bürgermeisters von Kabul ein Projekt zur Einrichtung eines Metro-Bus-Dienstes, auch Bus Rapid Transit genannt, in Kabul-Stadt geplant. Die erste Strecke soll 8 km abdecken und Deh Afghana mit Sara-e-Shamali verbinden, während die zweite Route vom Baraki Platz bis Deh Afghana über Kote Sangi und Deh Mazang verlaufen soll. Insgesamt sollen 111 km innerhalb der Stadt durch den Metro-Bus-Dienst abgedeckt werden (KP 12.9.2017; vgl. TN 15.6.2017). Im Juli 2018 gab ein Sprecher der Stadt Kabul an, dass die Planungsphase des Projektes bald beendet würde und es zu Verzögerungen gekommen sei (TN 8.7.2018).

Mazar-e Sharif

Es gibt einige Busverbindungen zwischen Mazar-e Sharif und Kabul. Bis zu 50 unterschiedliche Unternehmen bieten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, Fahrten von und nach Kabul an. Ausführende Busunternehmen sind beispielsweise Bazarak Panjshir Bus, Hesarak Panjshir Bus, Jawid Bus, Khorshid Bus und Jabal Seraj Bus. Die Preise pro Passagier liegen zwischen 400 und 1.000 Afghani und hängen stark vom Komfort im Bus ab. So kann man zum Beispiel in einem Bus der Marke Mercedes Benz mit Toiletten, Kühlschränken und Internet reisen. Busreisen gelten als relativ günstig (BFA Staatendokumentation 4.2018).

.Ahmad Shah Baba Abdali Bus Service

Gemäß einem Sprecher des Verkehrsministeriums gehörte das Busunternehmen Ahmad Shah Baba Abdali im Jahr 2017 zu den führenden Transportunternehmen des Landes. In den letzten Jahren war das Busunternehmen in zahlreiche Verkehrsunfälle auf der Kandahar-Kabul-Herat-Route involviert. Einem Bericht von IWPR zufolge wurden von verschiedenen Quellen zu hohe Geschwindigkeit, Drogenkonsum der Fahrer, Angst vor Angriffen und die schlechten Straßenbedingungen als Gründe für die hohe Anzahl an Verkehrsunfällen angeführt (IWPR 26.3.2018). Laut einem offiziellen Vertreter der Firma ist Ahmad Shah Baba Abdali das größte Busunternehmen Afghanistans. Die Busse dieser Firma transportieren Passagiere von Kandahar nach Kabul, Helmand, Nimroz, Herat und in andere Provinzen (PAJ 18.3.2015).

Beispiele für Buspreise

Distanz

Preis

Kabul - Mazar

400 AFN – 600 AFN

Mazar – Herat

1.500 AFN – 2.000 AFN (keine direkte Verbindung; zuerst Mazar – Kabul und dann Kabul – Herat z.B.)

Kabul - Jalalabad

300 AFN – 600 AFN

Kabul – Bamiyan

ca. 1.000 AFN – 1.500 AFN

(vertrauliche Quelle 14.5.2018)

Flugverbindungen

Der folgenden Karte können Informationen über aktive Militär-, Regional- und internationale Flughäfen in den verschiedenen Städten Afghanistans entnommen werden.

Anmerkung der Staatendokumentation: Zu beachten ist, dass es innerhalb von kurzer Zeit zu Änderungen der Flugverbindungen kommen kann und in der Karte ausschließlich jene Flughäfen eingetragen sind, die laut Quellen am 4.11.2019 Linienverbindungen für Passagiere oder eine geplante Flugbewegung im Zeitraum bis sieben Tage nach der Abfrage aufwiesen.

(BFA Staatendokumentation 4.11.2019, Flughafenkarte; vgl. Migrationsverket 4.5.2018)

Die im folgenden Abschnitt beispielhaft angeführten Flugverbindungen basieren auf Online-Flugplänen, auf die über eine Tracking-Site (Flightradar 24) zugegriffen wurde und betreffen den Zeitraum von 30.8.2019 bis 4.11.2019. Es ist möglich, dass zu einem späteren Zeitpunkt Destinationen bzw. Flüge hinzukommen oder hier angeführte wegfallen.

Internationale Flughäfen in Afghanistan

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul – Herat und Kabul – Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen (TN 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.).

Folgende internationale Airlines fliegen nach Kabul: Turkish Airlines aus Istanbul, Silk Way Airlines aus Baku, Emirates und Flydubai aus Dubai, Air Arabia aus Sharjah, Mahan Air aus Teheran und Emirates aus Hong Kong (Flightradar 24 4.11.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Kabul international aus Istanbul, Ankara, Medina, Dubai, Urumqi, Dushambe an (Flightradar 24 4.11.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (Flightradar 24 4.11.2019).

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul (Flightradar 4.11.10.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Mazar-e Sharif international aus Moskau, Jeddah und Medina an (Flightradar 4.11.10.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (Flightradar 4.11.10.2019).

Internationaler Flughafen Kandahar

Der internationale Flughafen Kandahar befindet sich 16 km von Kandahar-Stadt entfernt und ist einer der größten Flughäfen des Landes (MB o.D.). Er hat 37 Stellplätze für insgesamt 250 Flugzeuge (PAJ 3.6.2015). Ein Teil des Flughafens steht den internationalen Streitkräften zur Verfügung. Eine separate Militärbasis für einen Teil des afghanischen Heeres ist dort ebenso zu finden, wie Gebäude für Firmen (PAJ 3.6.2015; LCA 5.1.2018).

Folgende internationale Airline fliegt nach Kandahar: Tsaradia aus Delhi (Flightradar 4.11.10.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Mazar-e Sharif international aus Delhi, Jeddah und Dubai an (Flightradar 4.11.10.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kandahar (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zum Flughafen nach Kabul (Flightradar 4.11.10.2019).

Internationaler Flughafen Herat

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.; ACAA o.D).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Herat international aus Medina und Delhi an (Flightradar 4.11.10.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (Flightradar 4.11.10.2019).

Zugverbindungen

In Afghanistan existieren insgesamt drei Zugverbindungen: Eine Linie verläuft entlang der nördlichen Grenze zu Usbekistan (von Hairatan nach Mazar-e Sharif, Anm.) und zwei kurze Strecken verbinden Serhetabat in Turkmenistan mit Torghundi (in der Provinz Herat, Anm.) und Aqina (in der Provinz Faryab, Anm.) in Afghanistan (RoA 25.2.2018; vgl. RoA o.D., RFE/RL 29.11.2016; vgl. vertrauliche Quelle 16.5.2018). Alle drei Zugverbindungen sind für den Transport von Fracht gedacht, wobei sie prinzipiell auch Passagiere transportieren könnten (vertrauliche Quelle 16.5.2018). Die afghanischen Machthaber lehnten lange Zeit den Bau von Eisenbahnen in Afghanistan ab, aus Angst, ausländische Mächte könnten ihre Unabhängigkeit gefährden (RoA o.D.).

Im Laufe der letzten Jahre fanden verschiedene Treffen zwischen Repräsentanten Afghanistans und seiner Nachbarstaaten u.a. zur Förderung und Vertiefung bestehender Projekte zur .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 238 von 366

Implementierung von Zugverbindungen wie dem Five-Nation Railway Corridor und dem Afghanistan Rail Network statt (TD 26.1.2018). Das Five-Nation Railway Corridor Projekt soll China mit dem Iran verbinden und Kirgisistan, Tadschikistan und Afghanistan über eine Länge von insgesamt 2.100 km durchqueren. Mehr als 1.000 km des Eisenbahnkorridors werden durch die afghanischen Provinzen Herat, Badghis, Faryab, Jawzjan, Balkh und Kunduz verlaufen (TN 14.2.2018). Der Afghanistan Rail Network Plan (ANRP) hat das Ziel, den Transport in den Bereichen Landwirtschaft, Fertigung, Bergbau und anderen Branchen zu fördern. Die Bauarbeiten zur Errichtung einer Eisenbahnverbindung zwischen der iranischen Stadt Khaf und dem afghanischen Herat sind im Gange (RoA 23.1.2018; vgl. ID 11.4.2018). Im November 2017 wurde zwischen Afghanistan und weiteren fünf Staaten das sogenannte Lapislazuli-Korridor-Abkommen unterzeichnet, das u.a. den Bau von Eisenbahnverbindungen im Land vorsieht (SIGAR 4.2018). Der Lapis Lazuli Korridor, der Straßen, Eisenbahn- und Seewege umfasst, die von Afghanistan nach Turkmenistan, Aserbaidschan und Georgien führen, bevor sie das Schwarze Meer in die Türkei und schließlich nach Europa überqueren, wurde im Dezember 2018 eröffnet (CGTN 14.12.2018).

Ein weiteres Projekt das „China-India-Plus“ hat das Ziel, mithilfe von Indien und China die Eisenbahnverbindung zwischen Afghanistan und Usbekistan auszubauen. Das Ziel für Usbekistan ist es hierbei, über Afghanistan und Iran Zugang zum persischen Golf zu erhalten (CGTN 10.10.2018; vgl. Indian Today 16.10.2018).

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4.Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council – AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge – vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen.(AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten . zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 13.3.2019).

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 13.3.2019). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019) und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt (USDOS 13.3.2019).

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 13.3.2019).

Richterinnen und Richter:

Das Justizsystem leidet unter mangelhafter Finanzierung und insbesondere in unsicheren Gebieten einem Mangel an Richtern (USDOS 13.3.2019). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.8.2018).

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen (FH 4.2.2019). Ein Mangel an Richterinnen – insbesondere außerhalb von Kabul – schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Nichtsdestotrotz, gibt es in Afghanistan zwischen 250 und 300 Richterinnen (FMF 18.4.2019; vgl. UNWOMEN 7.11.2018). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.4.2019). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 245 von 366

Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 13.3.2019). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 4.2.2019). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 13.3.2019). Anklage und Verhandlungen basieren vorwiegend auf unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen und willkürlichen Entscheidungen, die oft nicht veröffentlicht werden (FH 4.2.2019).

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (AA 2.9.2019). Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 9.3.2017; vgl. TN 22.4.2019). Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken (TN 22.4.2019). Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AJO – Afghanistan Justice Organization (10.10.2017): Anti-Corruption Justice Center (ACJC) Coordination Meeting with Civil Society Organizations, https://www.afghanjustice.org/article/articledetail/anticorruption-justice-center-acjc-coordination-meeting-with-civil-society-organizations , Zugriff 21.5.2019

•APE – Archivio Penale (3.2017): Dalla Comunità internazionale, F. Romoli, Il nuovo codice penale afghano tra speranze della comunità internazionale e resistenze interne, http://www.archiviopenale.it/File/Download?codice=ee07681d-820f-4ab2-a953-d41228bf7fd8 , Zugriff 21.5.2019

•ATL – Atlantic, the (9.3.2017): The Impossible Job of Afghanistan's Attorney General, https://www.theatlantic.com/international/archive/2017/03/afghanistan-justice-attorney-general/517014/ , Zugriff 21.5.2019

•Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell’ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico, Università degli studi di Tor Vergata, Facoltà di Giurisprudenza – Roma, http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf , Zugriff 21.5.2019

•CR – Conciliation Ressources (11.8.2018): Institutionalising inclusive and sustainable justice in Afghanistan: Hybrid possibilities, https://www.c-r.org/accord/afghanistan/institutionalising-inclusive-and-sustainable-justice-afghanistan-hybrid , Zugriff 22.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html , Zugriff 21.5.2019

•FMF – Feminist Majourity Foundation (18.4.2019): Afghanistan Now Has 260 Female Judges, https://feminist.org/blog/index.php/2017/04/18/afghanistan-now-has-260-female-judges/ , Zugriff 26.8.2019

•TN – Tolonews (22.4.2019): Attorney General Defends Performance But Critics Remain Skeptical, https://www.tolonews.com/afghanistan/attorney-general-defends-performance-critics-remain-skeptical , Zugriff 26.8.2019

•UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.2.2018): UNAMA welcomes Afghanistan’s new penal code - calls for robust framework to protect women against violence, https://unama.unmissions.org/unama-welcomes-afghanistan’s-new-penal-code-calls-robust-framework-protect-women-against-violence , Zugriff 21.5.2019

•UN WOMEN (7.11.2019): In the words of Justice Anisa Rasooli: “Not all women in Afghanistan are women in blue burqas begging…we can be the best engineers, doctors, judges, teachers", https://www.unwomen.org/en/news/stories/2018/11/in-the-words-of-justice-anisa-rasooli , Zugriff 26.8.2019

•USDOD – United States Department of Defense (6.2019): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2019/Jul/12/2002156816/-1/-1/1/ENHANCING-SECURITY-AND-STABILITY-IN-AFGHANISTAN.PDF , Zugriff 23.7.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 21.5.2019

•USDOS – US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436774.html , Zugriff 21.5.2019

•USIP – United States Institute of Peace (3.2015): Islamic Law, Customary Law, and Afghan Informal Justice, https://www.usip.org/sites/default/files/SR363-Islamic-Law-CustomaryLaw-and-Afghan-Informal-Justice.pdf , Zugriff 21.5.2019

4.1.Alternative Rechtsprechungssysteme

Das formelle Justizsystem ist in urbanen Zentren stärker ausgeprägt (USDOS 13.3.2019) und zeigt im ländlichen Raum eine mangelnde Präsenz (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). In den Großstädten entschieden die Gerichte in Strafverfahren auch weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Zivilrechtsfälle werden oft durch informelle Systeme wie beispielsweise staatliche Mediation über das Huquq-Büro des Justizministeriums oder durch Verhandlungen zwischen den Streitparteien beigelegt. Nachdem das formelle Rechtssystem in ländlichen Gebieten oft nicht vorhanden ist (USDOS 13.3.2019), nutzen Bewohner des ländlichen Raumes lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras (beratschlagende Versammlungen, normalerweise von Männern, die von der Gemeinde nominiert werden) und Jirgas häufiger als die städtische Bevölkerung (AF 4.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Diese verwenden eine Mischung aus Varianten des staatlichen Rechts und der Scharia (islamisches Recht) (FH 4.2.2019). Es kommt insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden (AA 2.9.2019).

Informelle Justizmechanismen werden von vielen Personen auch wegen ihrer schnelleren und meist weniger kostenintensiven Tätigkeit bevorzugt (AF 4.12.2018). Der Großteil der Bevölkerung hat unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe kein Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und die Justizorgane. Sie werden als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird (AA 2.9.2019; vgl. AF 4.12.2018). In entlegenen Gebieten Afghanistans macht es die zunehmende Kontrolle der Taliban der afghanischen Regierung beinahe unmöglich, Gerichte in Distrikten zu betreiben, in welchen die Taliban stark präsent sind (DW 15.3.2017).

Die Taliban haben ihr eigenes Rechtswesen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle eingerichtet (FH 4.2.2019). Die Parallelregierung der Taliban ist bei einigen Afghanen beliebt. So berichteten Bewohner in Logar über das Gerichtssystem der Gruppierung, dass es eine bessere, schnellere und weniger korrupte Justiz bietet als staatliche Gerichte. In zunehmendem Maße wenden sich Menschen an die Taliban, um Eigentums- und Familienstreitigkeiten beizulegen, da Richter und Staatsanwälte oft Bestechungsgelder verlangen (CBC 24.12.2018). Zusätzlich berichten Betroffene in Einzelfällen von unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Parallelsystem der Taliban; wie -z.B. im Falle eines Landdisputes in Helmand, in denen beide Seiten vor dem Taliban-Gericht angehört wurden und erst danach eine Entscheidung getroffen wurde (DW 15.3.2017).

Viele Talibankommandanten sprechen willkürliche Bestrafungen ohne Berücksichtigung des Taliban‘schen Rechtssystems aus (FH 4.2.2019). Jedoch gibt es höchstwahrscheinlich Bestrafungen für diese Kommandanten, wenn die Anführer davon erfahren. Die Taliban haben nur geringe Möglichkeiten, willkürliche Bestrafungen zu verhindern, jedoch ein System der Bestrafung, wenn diese Dinge bekannt werden (ODI 6.2018).

Auch andere nicht-staatliche Gruppen setzen ein paralleles, auf der Scharia basierendes Rechtssystem um. Bestrafungen beinhalten Exekution und Verstümmelung (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, DW 15.3.2017).

Jedoch besteht bei der Nutzung informeller Justizmechanismen oft keine Wahlfreiheit. Viele Frauen, die Gewaltverbrechen an die staatlichen Behörden melden wollen, werden gezwungen, die informellen Systeme zu nutzen. Dies führt häufig dazu, dass die Täter ungestraft bleiben und die Frauen weiterhin Gefahren ausgesetzt sind (AF 4.12.2018).

In der Gesellschaft der Paschtunen wird das Pashtunwali zur Regelung aller gesellschaftlichen und internen Angelegenheiten der Gemeinschaft als zentrale Autorität herangezogen, so wie sie sich in den Vorschriften des Pashtunwali manifestiert. Dieses sind die Folgenden: Melmastiya (Gastfreundschaft), Nang (Ehre), Nanawatai (Abbitte leisten), Ghairat (Würde) usw. Die gesellschaftlichen Institutionen wie die Jirga (Ältestenversammlung zur Lösung von Streitigkeiten), Maraka (Ältestenrat zur Lösung kleinerer Probleme) usw. stellen demokratische Strukturen dar. Desgleichen gibt es für Rechtsangelegenheiten eine Justiz in Form der Jirga (alternative Streitbeilegung), Tigah (Waffenruhe), Nogha (Strafzahlung) usw.. Auch eine Exekutive ist vorgesehen in Form der Lashkar (Bürgermiliz), Tsalwashtees (Friedenskräfte), Cheegha (Aufruf zum Handeln) und Ähnliches (BFA 7.2016).

Anmerkung: für mehr Informationen zum Paschtunwali siehe das Dossier der Staatendokumentation; zugänglich lt. untenstehender Quellenangabe.

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AF – Asia Foundation (4.12.2018): A survey of the Afghan People - Afghanistan in 2018, https://asiafoundation.org/wp-content/uploads/2018/12/2018_Afghan-Survey_fullReport-12.4.18.pdf , Zugriff 22.5.2019

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation: AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 22.5.2019

•CBC News – Canadian Broadcasting Corporation (24.12.2018): Aid agencies under threat in Afghanistan as Taliban attempts to tax them, https://www.cbc.ca/news/world/afghanistan-aid-agencies-taliban-tax-1.4958009 , Zugriff 20.5.2019

•DW – Deutsche Welle (15.3.2017): The disturbing trend of Taliban justice in Afghanistan, https://www.dw.com/en/the-disturbing-trend-of-taliban-justice-in-afghanistan/a-37950678 , Zugriff 22.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html , Zugriff 21.5.2019

•ODI - Overseas Development Institute (6.2018): Life under the Taliban shadow government, https://www.odi.org/sites/odi.org.uk/files/resource-documents/12269.pdf , Zugriff 22.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 21.5.2019

5.Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 13.3.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019): dies beinhaltet 227.374 Mitglieder der ANA und 124.626 Mitglieder der ANP. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 6.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272.465 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht. Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Mit Stand April 2019 waren 5.462 Frauen in den ANDSF – 500 mehr als im Quartal davor und 900 mehr zum Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.7.2019). Sowohl bei der ANA als auch bei der ANP glich die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 6.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 13.3.2019). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (USDOD 6.2019). Das Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A), ein US-geführtes Kommando, nennt eine Truppenstärke von 180.869. 1.812 Frauen dienen in der ANA und 86 weitere in der AAF (SIGAR 30.7.2019). Die monatliche Ausfallsquote, die im zweiten Quartal 2019 durchschnittlich bei 2,6% lag (SIGAR 30.7.2019), ist nach wie vor ein Problem in der ANA (USDOD 12.2019).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2018).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei . (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2018). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 6.2019), CSTC-A meldet dagegen eine Truppenstärke von 91.596. 3.650 Frauen dienen in der ANP (SIGAR 30.7.2019).

Im Gegensatz zur ANA bietet die ANP keine finanziellen Anreize für die Fortführung des Dienstes – eine mögliche Erklärung dafür, warum die ANA die ANP-Verbleibquoten übertrifft. Durch den Law and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA), der die Mehrheit der ANP-Gehälter finanziert, wird ermöglicht die ANP-Gehälter an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen (USDOD 12.2019).)

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 6.2019) und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Die Mitglieder werden von Dorfältesten oder lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer ausgewählt (SIGAR 30.7.219; vgl. USDOD 6.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als „Guardians“ bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019; vgl.) – davon waren rund 23.500 voll ausgebildet (SIGAR 30.7.2019).

Resolute Support Mission

Die „Resolute Support Mission“ ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1.1.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 16.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO 18.7.2018).

Initiativen zur Integration von Frauen in die ANDSF – Gender Integration Initiatives

Im Allgemeinen verbesserte sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte seit 2001, wenngleich sexuelle Belästigung und Gewalt sowie geschlechtsspezifische Gewalt die erfolgreiche Integration und den Verbleib von Frauen in der ANDSF bedrohen. Um dieses Risiko zu minimieren, hat das Verteidigungsministerium ein Gender Integration Office gegründet, welches aktiv Leitlinien und Prozesse erstellt, um sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden und zu melden (USDOD 12.2018). . Die Aufnahme afghanischer Frauen in die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANA, ANP und NDS) ist von zahlreichen Herausforderungen begleitet (AIHRC 9.12.2017; vgl. BFA 3.7.2014). Frauen sind in verschiedenen Bereichen Diskriminierungen ausgesetzt. Gründe, warum Frauen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nicht die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung und zur Weiterbildung erhalten, liegen in den Institutionen selbst; andere hängen mit Familie und Gesellschaft zusammen (AIHRC 9.12.2017). Auch werden immer wieder Männer in Positionen versetzt, die eigentlich für Frauen vorgesehen waren, da nicht genügend qualifizierte Frauen vorhanden sind. Sowohl die RS als auch das Verteidigungsministerium entwickeln Strategien und verfeinern Prozesse, um die Herausforderung der Integration von Frauen in die ANA, zu bewältigen (USDOD 12.2018).

Der Personalstand der Frauen innerhalb der ANP beträgt 3.650, während 1.812 Frauen in der ANA dienen (SIGAR 30.7.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019).

Quellen:

•AIHRC – Afghanistan Independent Human Rights Commission (9.12.2017): Situation of Women Employed in Defense and Security Sectors, https://www.refworld.org/pdfid/5a4f76654.pdf , Zugriff 23.5.2019

•BRCC – Black Rifle Coffee Company (30.9.2018): An Inside Look at Afghanistan’s Elite Special Mission Wing, https://coffeeordie.com/an-inside-look-at-afghanistans-elite-special-mission-wing/ , Zugriff 23.5.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (13.5.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 23.5.2019

•NATO – North Atlantic Treaty Organization (18.7.2018): Resolute Support Mission in Afghanistan, https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_113694.htm , Zugriff 23.5.2019

•NYT – New York Times, the (12.8.2019): As U.S. Nears a Pullout Deal, Afghan Army Is on the Defensive, https://www.nytimes.com/2019/08/12/world/asia/afghanistan-army-taliban.html?te=1&nl=at-war&emc=edit_war_20190816?campaign_id=88&instance_id=11673&segment_id=16217&user_id=c2646722e397752b2845daca43e5de3f®i_id=93379395 , Zugriff 10.9.2019

•OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides(11.1.2018): Le National Directorate of Security (NDS), S 6, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/3.didr_afghanistan_le_national_directorate_of_security_nds_ofpra_11012018.pdf , Zugriff 23.5.2019

•SIGAR – Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.4.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008013/2019-04-30qr.pdf , Zugriff 23.5.2019

•SIGAR – Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.7.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-07- 30qr.pdf , Zugriff 5.8.2019USDOD – United States Department of Defense (6.2019): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2019/Jul/12/2002156816/-1/-1/1/ENHANCING-SECURITY-AND-STABILITY-IN-AFGHANISTAN.PDF , Zugriff 23.7.2019

•USDOD – US Department of Defense (12.2018): Enhancing security and stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2018/Dec/20/2002075158/-1/-1/1/1225-REPORT-DECEMBER-2018.PDF , Zugriff 23.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 23.5.2019

. 6.Folter und unmenschliche Behandlung

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) (UNAMA 4.2019). Wenngleich Afghanistan die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert hat, Gesetze zur Kriminalisierung von Folter erlassen hat und eine Regierungskommission zur Folter einsetzte, hat die Folter seit Regierungsantritt im Jahr 2014 nicht wesentlich abgenommen – auch werden keine hochrangigen Beamten, denen Folter vorgeworfen wird, strafrechtlich verfolgt (HRW 17.1.2019).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten (USDOS 13.3.2019). Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet (AA 2.9.2019; vgl. UNAMA 4.2019). Rund ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß einem Bericht der UNAMA von Folter betroffen (UNAMA 4.2019). Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 2.9.2019).

Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt: wurde bei einer Befragung durch UNAMA durchschnittlich von rund 31% der Befragten (45 Häftlinge) in ANP-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichtet (wenngleich dies ein Rückgang zum Vorjahreswert ist, der 45% betrug), so gaben 77% der Befragten (22 Häftlinge) aus einer ANP-Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden. Anstalten des NDS in Kandahar und Herat, konnten erwähnenswerte Verbesserungen vorweisen, während die Behandlung von Häftlingen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan auch weiterhin besorgniserregend war (UNAMA 4.2019). Die Arten von Misshandlung umfassen schwere Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an den Armen für längere Zeit, Ersticken, Quetschen der Hoden, Verbrennungen, Schlafentzug, sexuelle Übergriffe und Androhung der Exekution (USDOS 13.3.2019; vgl. UNAMA 4.2019).

Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten (AA 2.9.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Die Rechenschaftspflicht der Sicherheitskräfte für Folter und Missbrauch ist schwach, intransparent und wird selten durchgesetzt. Eine unabhängige Beobachtung durch die Justiz bei Ermittlungen oder Fehlverhalten ist eingeschränkt bis inexistent. Mitglieder der ANP und ALP sind sich ihrer Verantwortung weitgehend nicht bewusst und unwissend gegenüber den Rechten von Verdächtigen (USDOS 13.3.2019).

Das Gesetz sieht Entschädigungszahlungen für die Opfer von Folter vor, jedoch ist die Barriere für einen Beweis der Folter sehr hoch. Für eine Entschädigungszahlung ist der Nachweis von physischen Anzeichen von Folter am Körper eines Inhaftierten notwendig (UNAMA 4.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002151.html , Zugriff 20.5.2019

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 20.5.2019

•UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (4.2019): Treatment of Conflict-Related Detainees in Afghanistan: Preventing Torture and Ill-treatment under the Anti-Torture Law, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006855/afghanistan_-_report_on_the_treatment_of_conflict-related_detainees_-_17_april_2019.pdf , Zugriff 20.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 20.5.2019

7.Korruption

Mit einer Bewertung von 16 Punkten (von 100 möglichen Punkten – 0= highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan, auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International, von 180 untersuchten Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI 29.1.2019; vgl. TI 21.2.2018). Einer Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge betrachten 81,5% der befragten 15.000 Afghaninnen und Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes, was eine leichte Verbesserung im Vergleich zur Umfrage ein Jahr zuvor darstellt (83,7%) (AF 4.12.2018).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption vor. Die Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv um. Einerseits wird von öffentlich Bediensteten berichtet, die regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert sind. Andererseits gibt es Korruptionsfälle, die erfolgreich vor Gericht gebracht wurden. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist – Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und aus .

dem Drogenhandel verstärken das Problem. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben (USDOS 13.3.2019).

Innerhalb des afghanischen Staatshaushaltes werden insbesondere folgende Hauptquellen von Korruption genannt: Korruption bei der Beschaffung von Gütern, Korruption bei den Staatseinnahmen – vor allem durch die Zollabteilungen des Finanzministeriums – und Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen. Darüber hinaus kommt es auch zu Korruption bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates. Eine Quelle berichtet, dass zur Ausstellung einer Tazkira oder eines Führerscheins, aber auch bei der Bezahlung von Steuern und Abgaben Bestechungsgelder fällig werden (Najimi 2018).

Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019), insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen (USDOS 13.3.2019). Trotz der sensiblen Sicherheitslage berichtet der Oberste Gerichtshof von einigen Fortschritten bei der Implementierung des Reformplans im Gerichtswesen. Der Oberste Gerichtshof berichtete auch von einer besseren Koordinierung innerhalb des Justizsektors (u.a. Justiz- und Innenministerium, Staatsanwaltschaft, etc.) (UNAMA 5.2019).

Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet. In den meisten Fällen haben Unternehmen illegal Grundstücksnachweise von korrupten Beamten erhalten und diese dann an nichtsahnende Interessenten verkauft, welche später strafverfolgt wurden. In anderen Berichten wird angedeutet, Regierungsbeamte hätten Land ohne Kompensation konfisziert, mit der Intention, dieses gegen Verträge oder politische Gefälligkeiten einzutauschen. Es gibt Berichte über Provinzregierungen, die ebenso illegal Land ohne Gerichtsverfahren oder Kompensation konfiszierten, um öffentliche Gebäude/Anlagen zu bauen (USDOS 13.3.2019).

Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach (USDOS 13.3.2019). Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (USDOS 13.3.2019; vgl. TI 8.3.2018, UNAMA 5.2019) – auch aufgrund von Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und ihrer afghanischen Pendants, Institutionen in den letzten 17 Jahren wieder zu errichten (UNAMA 5.2019).

Im September 2018 übermittelte Präsident Ghani einen Gesetzesvorschlag für ein neues Anti-Korruptionsgesetz ans Parlament. Dadurch soll das im Juni 2016 per Dekret eingerichtete Anti-Corruption Justice Center (ACJC), eine unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist, auch gesetzlich verankert werden. Im Jahr 2018 schien die Arbeit der ACJC stillzustehen, obwohl die Zahl der Ermittler deutlich erhöht wurde (USDOS 13.3.2019). Im April 2019 veröffentlichte das ACJC die folgende Bilanz: die Organisation verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken – darunter 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen (TN 22.4.2019). Im Zeitraum 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige, der Korruption beschuldigte Personen, strafverfolgt, wobei die Verurteilungsrate bei 94% lag. Unter den Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied eines Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AF – Asia Foundation (4.12.2018): A survey of the Afghan People - Afghanistan in 2018, https://asiafoundation.org/wp-content/uploads/2018/12/2018_Afghan-Survey_fullReport-12.4.18.pdf , Zugriff 20.5.2019

•Najimi, Bashirullah (2018): Gender and Public Participation in Afghanistan, Aid, Transparency and Accountability. Basingstoke: Palgrave Macmillan, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

•TI – Transparency International (29.1.2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018 , Zugriff 20.5.2019

•TI – Transparency International (8.3.2018): Policy, SDGs and Fighting Corruption for the People: A Civil Society Report on Afghanistan’s Sustainable Development Goals, http://files.transparency.org/content/download/2225/13917/file/2018_Report_PolicySDGsandFightingCorruption_EN.pdf , Zugriff 20.5.2019

•TI - Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017 , Zugriff 20.5.2019

•TN – Tolonews (22.4.2019): Attorney General Defends Performance But Critics Remain Skeptical, https://www.tolonews.com/afghanistan/attorney-general-defends-performance-critics-remain-skeptical , Zugriff 26.8.2019

•USDOD – United States Department of Defense (6.2019): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2019/Jul/12/2002156816/-1/-1/1/ENHANCING-SECURITY-AND-STABILITY-IN-AFGHANISTAN.PDF , Zugriff 23.7.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 20.5.2019

8.NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Die afghanische Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle, speziell in den städtischen Regionen, wo tausende Kultur-, Wohlfahrts- und Sportvereinigungen mit wenig Einschränkung durch Behörden tätig sind (FH 4.2.2019). Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiten generell ohne Einschränkungen durch die Regierung (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Die Zivilgesellschaft Afghanistans ist tief verwurzelt, mit traditionellen lokalen Räten namens Shuras oder Jirgas, die auf informeller (nicht registrierter) Basis auf Dorf- oder Stammesebene tätig sind – in der Regel um die Interessen einer Gemeinschaft gegenüber anderen Teilen der Gesellschaft zu vertreten. Auf nationaler Gesetzgebung beruhend, existieren in Afghanistan zwei Hauptkategorien von registrierten, nicht staatlichen, gemeinnützigen Organisationen mit Rechtspersönlichkeitsstatus: Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Vereine. Registriert sind etwa 2.402 lokale NGOs und 293 internationale NGOs sowie 3.075 Vereine (ICNL 13.4.2019). Die meisten NGOs finanzieren sich nicht durch Spenden oder Aktivitäten in Afghanistan, sondern sind von internationalen Geldgebern abhängig (Najimi 2018). Lokale NGOs müssen sich beim Wirtschaftsministerium (Ministry of Economy, MoEc) registrieren, ausländische NGOs bei MoEc und dem Außenministerium (Ministry of Foreign Affairs). Daneben gibt es noch zivilgesellschaftliche Organisationen („civic organizations“), die sich beim Justizministerium (Ministry of Justice) registrieren müssen (Najimi 2018; vgl. ICNL 13.4.2019 ).

NGOs untersuchen und veröffentlichen ihre Ergebnisse über Menschenrechtsfälle und Regierungsbeamte sind einigermaßen kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Menschenrechtsaktivisten äußern sich weiterhin besorgt über Regierungsakteure, welche Menschenrechtsverletzungen verüben (USDOS 13.3.2019). Korruption in den Behörden und bürokratische Meldepflichten behindern in manchen Fällen die Aktivitäten der NGOs (FH 4.2.2019).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (AA 2.9.2019), wie z.B. das Internationale Komitee des Roten Kreuz (ICRC), das unparteiisch jegliche Parteien im Konflikt behandelt. Auch operiert dieses in von Taliban kontrollierten Gebieten mit einer Sicherheitsgarantie und hilft, die Toten beider Seiten rückzuführen (REU 12.10.2018). Gewaltandrohung durch militante Gruppierungen stellt jedoch ein wesentliches Hindernis für die Tätigkeit von NGOs dar (FH 4.2.2019). In manchen Fällen schließen Organisationen aufgrund von Drohungen temporär ihre Kliniken in den von Taliban kontrollierten Gebieten (RFE/RL 19.7.2019) bzw. Ihnen wird , der Zugang zu diesen Gebieten verweigert, wie z.B. dem Internationalen Roten Kreuz im Herbst 2018 (REU 12.10.2018).

Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen (AA 2.9.2019). Humanitäre Organisationen und Entwicklungsorganisationen müssen bei Projekten in den Distrikten die Gemeinschaften und Ältesten informieren und eine Erlaubnis einholen. Wenn solche Sensibilisierungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden, kann es zu Spannungen kommen und Organisationen sind mit Missachtung konfrontiert (BFA 13.6.2019).

Die Taliban haben ihre eigenen Schattenbeamten, manche von ihnen arbeiten direkt mit der Regierung zusammen. Die Taliban sind aktiv und besuchen regelmäßig Büros der NGOs. Berichtet wurde, dass Taliban in Kandahar, aber auch in anderen Regionen des Landes, im Frühling 2018 anfingen, Entminungsorganisationen und NGOs nach einer Registrierung bei ihren eigenen NGO-Kommissionen zu fragen; auch sollten sie diese über die Finanzierungsdetails ihrer NGO-Projekte informieren. Manche NGO-Mitarbeiter geben an, die Vorgaben der Taliban seien leichter zu erfüllen, als jene von korrupten Regierungsbeamten (CBC 24.12.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Jedoch stellt die Tatsache, dass die Taliban sich als die legitimen Herrscher in Afghanistan betrachten, eine Herausforderung dar, da sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten Steuern verlangen. Großteils sind es im medizinischen Bereich tätige Organisationen, welche in Gebieten unter Taliban-Einfluss agieren (BFA 13.6.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.6.2019): Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 19.6.2019

•CBC News – Canadian Broadcasting Corporation (24.12.2018): Aid agencies under threat in Afghanistan as Taliban attempts to tax them, https://www.cbc.ca/news/world/afghanistan-aid-agencies-taliban-tax-1.4958009 , Zugriff 20.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html , Zugriff 20.5.2019

•ICNL – The International Center for Not-for-profit-Law (13.4.2019): Civic Freedom Monitor: Afghanistan, http://www.icnl.org/research/monitor/afghanistan.html , Zugriff 28.8.2019

•Najimi, Bashirullah (2018): Gender and Public Participation in Afghanistan, Aid, Transparency and Accountability. Basingstoke: Palgrave Macmillan, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

•REU – Reuters (12.10.2018): Taliban restore Red Cross security guarantee in Afghanistan, https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-taliban-aid/taliban-restore-red-cross-security-guarantee-in-afghanistan-idUSKCN1MM17T , Zugriff 20.5.2019

•RFE/RL – Radio Free Europe Radio Liberty (19.7.2019): Swedish Aid Group Reopens Afghan Health Centers After Taliban Threats, https://www.rferl.org/a/swedish-aid-group-reopens-afghan-health-centers-after-taliban-threats/30064643.html , Zugriff 28.8.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 20.5.2019

9.Ombudsmann

Korruption und eingeschränkte Kapazitäten schränken bei Verletzungen der Verfassungs- oder Menschenrechte den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zur Justiz ein. Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt (USDOS 13.3.2019).

Präsident Ghani hat am 12.5.2018 eine Verordnung unterzeichnet, wonach ein unabhängiger Ombudsmann für Angelegenheiten des Präsidenten eingerichtet werden soll (SIGAR 5.2018). AIHRC entwickelte in Kooperation mit den Ministerien für Verteidigung und Inneres ein Ombudsmannprogramm, durch welches Polizeigewalt gemeldet werden kann (USDOD 12.2018; vgl. UNAMA 4.2019). Die Einrichtung dieses Ombudsmannprogramms wurde für 31.12.2018 angekündigt (SIGAR 5.2018), aber bisher noch nicht finanziert und umgesetzt (USDOD 12.2018).

Quellen:

•SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (5.2018): SIGAR 18-51 Audit Report - Afghanistan’s Anti-Corruption Efforts: The Afghan Government Has Begun to Implement an Anti-Corruption Strategy, but Significant Problems Must Be Addressed, https://www.sigar.mil/pdf/audits/SIGAR-18-51-AR.pdf , Zugriff 28.8.2019

•UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (4.2019): Treatment of Conflict-Related Detainees in Afghanistan: Preventing Torture and Ill-treatment under the Anti-Torture Law, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006855/afghanistan_-_report_on_the_treatment_of_conflict-related_detainees_-_17_april_2019.pdf , Zugriff 20.5.2019

•USDOD – US Department of Defense (12.2018): Enhancing security and stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2018/Dec/20/2002075158/-1/-1/1/1225-REPORT-DECEMBER-2018.PDF , Zugriff 28.8.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 20.5.2019

10.Wehrdienst und Rekrutierungen durch verschiedene Akteure

In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 7.5.2019; vgl. AA 2.9.2019). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Soldaten oder Polizisten, die ihre Truppe vorübergehend unerlaubt verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren, werden schon aufgrund ihrer sehr hohen Zahl nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die ANDSF aufgenommen (AA 2.9.2019).

Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch (Afghanistan Penal Code on Military Crimes) von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt definiert (absent without official leave, AWOL) (DFJP/SEM 31.3.2017). In der Praxis werden Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn die desertierten Personen innerhalb Afghanistans ausgebildet wurden (RA KBL 6.3.2019; vgl. DFJP/SEM 31.3.2017). Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, bzw. Desertion wird gemäß Artikel 10 Anhang 1 des Militärstrafgesetzbuchs nicht bestraft, wenn die Abwesenheit weniger als ein Jahr dauert. Eine

Abwesenheit von mehr als einem Jahr kann mit sechs Monaten Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 20,000 AFN (ca. 237 Euro) bestraft werden (RA KBL 6.3.2019). Die permanente Desertion ist mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren (DFJP/SEM 31.3.2019).

Für Offiziere, in deren Ausbildung der Staat mehr Ressourcen investiert hat, gelten bei unerlaubter Abwesenheit oder Desertion strengere Regeln. Gemäß Artikel 52 des Dienstrechts für Offiziere, Leutnante und Wachtmeister werden unerlaubte Abwesenheiten von weniger als 30 Tagen geringfügig bestraft, beispielsweise durch Lohnabzug oder andere Disziplinierungsmaßnahmen. Eine unerlaubte Abwesenheit von mehr als 30 Tagen wird gemäß dieser Bestimmung strafrechtlich verfolgt (RA KBL 6.3.2019). So müssen Offiziere, die zur Ausbildung ins Ausland entsandt wurden und dort verbleiben, mit Strafmaßnahmen rechnen. Die Bestimmungen sehen Kompensationszahlungen nach der Rückkehr oder durch einen Bürgen vor (RA KBL 6.3.2019).

Fahnenflucht kann gemäß Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen allein wegen Fahnenflucht gekommen ist (AA 2.9.2019). Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (DFJP/SEM 31.3.2017).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (7.5.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 14.5.2019 https://www.portal-ito.ro/documents/20181/26954/01_TR_CNRR.IGI Afghanistan - Forced Recruitment 2016.10_EN.pdf/d373d5e7-56ba-4b1d-86b0-c77419d7fae2?version=1.0 , Zugriff 14.5.2019

•DFJP/SEM - Département fédéral de justice et police / Secrétariat d'État aux migration (31.3.2017): Note Afghanistan - Désertion: provisions légales et application, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/asien-nahost/afg/AFG-desertion-f.pdf , Zugriff 15.5.2019

•RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (6.3.2019): Auskunft per E-Mail.

10.1.Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019) Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018).

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban . verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten . Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass – wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen – die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Islamischer Staat (IS)

Lokale Ältere, die in den Grenzprovinzen Kunar und Nangarhar leben, berichten von ISKP Kräften, die nach wie vor die Bewohner in Dörfern unter ihrer Kontrolle terrorisieren und Buben zwangsrekrutieren, sowie Mädchen vom Schulbesuch abhalten (WP 20.8.2019; vgl. TST 21.8.2019). Von Kunar wurde berichtet, dass auch Männer zwangsrekrutiert und jene getötet wurden, die dies verweigert hätten (TST 22.8.2019).

In Gebieten unter Kontrolle des IS wird Druck auf die Gemeinden ausgeübt, den IS voll zu unterstützen (EASO 6.2018).

Andere Gruppierungen

Auch schiitische Organisationen rekrutieren unter Afghanen, wie z.B. die Fatemiyoun Division,, eine Kampftruppe, die vorwiegend aus afghanischen schiitischen Hazara besteht. Die Rekrutierung erfolgt durch die Iranischen Revolutionsgarden im Iran unter der afghanischen Flüchtlingspopulation; die Rekruten werden nach der Ausbildung zum Kampf nach Syrien geschickt. Es gibt Berichte, dass sich in einem Hazara-Viertel im Westen Kabuls ein Rekrutierungszentrum der Fatemiyoun befindet. Es werden auch Jugendliche ab 14 Jahren rekrutiert (DW 5.5.2018).

Anmerkung: Ausführliche Informationen zu Rekrutierung der Taliban, können der Analyse von Landinfo vom 29.6.2017 (LI 29.6.2017) entnommen werden.

Quellen:

•DAI/CNRR – Direcţia Azil şi Integrare / Consiliul Naţional Român pentru Refugiaţi (10.2016): Thematic Report: Forced Recruitment in Afghanistan, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf •DW – Deutsche Welle (5.5.2018): Iran recruits Afghan teenagers to fight war in Syria, https://www.dw.com/en/iran-recruits-afghan-teenagers-to-fight-war-in-syria/a-43634279 , Zugriff 19.7.2019

•EASO – European Asylum Support Office (6.2018): Country Guidance: Afghanistan - Guidance note and common analysis, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , Zugriff 14.5.2019

•LI – Landinfo (29.6.2017): Rekrutierung durch die Taliban (Afghanistan: Rekruttering til Taliban); Arbeitsübersetzung BFA, https://www.ecoi.net/en/file/local/1416499/5618_1509111275_afgh-landinfo-bericht-taliban-zwangsrekrutierung-2017-06-29-ke.PDF , Zugriff 28.8.2019)

•TST – The Straits Times (22.8.2019): Fears in Afghanistan over ISIS gaining from US-Taleban deal, https://www.straitstimes.com/asia/south-asia/fears-in-afghanistan-over-isis-gaining-from-us-taleban-deal , Zugriff 29.8.2019

•TST – The Straits Times (21.8.2019): ISIS could benefit if Taleban splinters follow peace deal with US, https://www.straitstimes.com/asia/south-asia/us-nears-deal-with-taliban-as-isis-looms-in-afghanistan , Zugriff 29.8.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 14.5.2019

•WP – The Washington Post (20.8.2019): The U.S. is nearing a deal with the Taliban. But another major threat looms in Afghanistan: The Islamic State., https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/the-us-is-nearing-a-deal-with-the-taliban-but-another-major-threat-looms-in-afghanistan-the-islamic-state/2019/08/20/ff129358-c35d-11e9-8bf7-cde2d9e09055_story.html?noredirect=on , Zugriff 29.8.2019

11.Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt (AA 2.9.2019). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge – zum Teil mit Vorbehalten – unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 2.9.2019).

Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken in Anliegen von Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen den Zugang der Bürger zu Justiz ein (USDOS 13.3.2019). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 4.2.2019). Bürger können Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen bei der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) einreichen, die dann glaubwürdige Beschwerden prüft und zur weiteren Untersuchung und Verfolgung an die Staatsanwaltschaft weiterleitet. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch; sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 13.3.2019).

Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsproblemen. Regierungsbeamte sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar. Die Sicherheitslage schränkt jedoch in vielen Landesteilen die Arbeit solcher Organisationen ein (USDOS 13.3.2019). Menschenrechtsverteidiger sehen sich regelmäßig mit Bedrohungen für ihr Leben und ihre Sicherheit konfrontiert (AI 22.2.2018).

Die weitverbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft, sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 13.3.2019).

Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.2.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424980.html , Zugriff 16.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 16.5.2019

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 16.5.2019

•UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.12.2018): United Nations calls on everyone to protect human rights in Afghanistan, https://unama.unmissions.org/united-nations-calls-everyone-protect-human-rights-afghanistan , Zugriff 16.5.2019

•UNHRC – UN Human Rights Council (21.2.2018): Situation of human rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights; Report of the United Nations High Commission on Human Rights, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427314/1930_1521636767_a-hrc-37-45.doc , Zugriff 16.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 16.5.2019

12.Meinungs- und Pressefreiheit

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in Artikel 34 der afghanischen Verfassung verankert (MPI 27.1.2004; vgl. USDOS 13.3.2019). Die Freiheiten sind in einem Maß verwirklicht, das grundsätzlich im regionalen Vergleich positiv hervorsticht (AA 2.9.2019), wenngleich diese von staatlicher Seite manchmal eingeschränkt werden (USDOS 13.3.2019). Afghanistan rangiert im World Press Freedom Index 2019 auf Platz 121 von 180 untersuchten Staaten; dies stellt eine Verschlechterung von zwei Plätzen im Vergleich zum Vorjahr dar (RSF 2019).

Afghanistan hat einen lebhaften Mediensektor mit zahlreichen Druckmedien sowie Radio- und Fernsehkanälen, die insgesamt ein großes Spektrum an Meinungen – in der Regel unzensiert – darstellen. Es existieren unabhängige, privatwirtschaftliche Medienunternehmen sowie ein staatlicher Rundfunk und Medien-Sender, hinter denen spezifische politische Interessen stehen (FH 4.2.2019). In den vergangenen Jahren hat die afghanische Medienlandschaft unregelmäßige Entwicklungen erfahren. Während der Boomjahre 2007 bis 2012 sind mehr Medien entstanden als der afghanische Markt erhalten kann. Nur die größten Sender und die Kanäle lokaler Mäzene können dem wirtschaftlichen Druck standhalten. Sicherheitserwägungen, eine konservative Medienpolitik und religiöse Forderungen schränken die Medienfreiheit ein. Zugleich übernehmen afghanische Medienvertreter zunehmend politische Verantwortung und gehen bewusst Risiken ein, um Missstände anzuprangern (AA 2.9.2019).

Unabhängige Medien sind aktiv und äußern eine Vielzahl von Ansichten. Das Transparenzgesetz wurde im Laufe des Jahres 2018 geändert und erhielt hohe Bewertungen von Transparency International. Die Durchsetzung bleibt inkonsistent und die Medien berichten, dass die Regierung die Anforderungen an das Gesetz nicht erfüllt. Regierungsbeamte schränken oft den Zugang der Medien zu Regierungsinformationen ein oder ignorieren Anfragen. Journalisten beklagen sich über Beamte, die sich auf nationale Interessen berufen, um der Informationspflicht nicht nachkommen zu müssen (USDOS 13.3.2019).

Seit dem Jahr 2001 sind Hunderte Medienorganisationen entstanden: einem Regierungsbericht zufolge, existieren mehr als 100 Fernsehsender, 284 Radiosender und etwas mehr als 400 Zeitungen und Zeitschriften (F24 21.5.2019; vgl. AA 2.9.2019). Print- und Online-Medien unabhängige Zeitschriften, Newsletter, Zeitungen und Websites veröffentlichen auch weiterhin und kritisieren die Regierung offen (USDOS 13.3.2019).

Im August 2016 hat das Office of the National Security Council (NSC) eine neue Reihe von Richtlinien zur Bekämpfung von Gewalt gegen Journalisten verabschiedet, die aber bisher noch nicht voll umgesetzt wurden. Zwar wurden eine gemeinsame nationale Kommission in Kabul, separate Ausschüsse in den Provinzhauptstädten, ein Koordinationszentrum zur Untersuchung und Identifizierung von Gewalttaten gegen Journalisten und ein Unterstützungskomitee des NSC zur Feststellung von Drohungen gegen Journalisten eingerichtet. Berichten zufolge steigert das Komitee, trotz einiger Treffen und der Weiterleitung von Fällen an den Generalstaatsanwalt, nicht den Schutz von Journalisten (USDOS 13.3.2019). Es gibt Bedenken, dass Gewalt und Instabilität die Sicherheit der Journalisten gefährden könnten (USDOS 13.3.2019). Die Situation für Journalistinnen und Journalisten hat sich seit 2016 verschlechtert. 2017 wurden laut RSF neun Journalistinnen und Journalisten getötet.(AA 31.5.2018). Die NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) berichtet, dass 2018 das tödlichste Jahr für Journalisten in Afghanistan war, wobei mindestens 15 Medienmitarbeiter bei der Arbeit getötet wurden (F24 21.5.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, AA 2.9.2019). Für das laufende Jahr 2019 wurden (Stand: 30.8.) vier getötete Journalisten gezählt (RSF o.D.).

Es existieren Berichte, wonach staatliche Behörden zeitweise Druck, Verordnungen und Drohungen einsetzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die regelmäßige Kritik an der Zentralregierung verläuft allgemein frei von Einschränkungen. Beanstandungen an der Provinzregierung in Gebieten, wo lokale Beamte und Machtträger erheblichen Einfluss und Autorität haben, werden stärker eingeschränkt. Dies betrifft sowohl Privatpersonen als auch journalistisch tätige Personen. Bestimmte politische und ethnische Gruppierungen, inklusive derjenigen, die von ehemaligen Mudschahedin-Anführern geleitet werden, besitzen zahlreiche Mediensender und kontrollieren die Inhalte auf Provinzebene. In einigen Provinzen ist die Medienpräsenz eingeschränkt (USDOS 13.3.2019).

Das Massenmediengesetz und das Strafgesetzbuch sehen Gefängnis- und Geldstrafen für Verleumdung vor. Manchmal benutzen staatliche Behörden das Diffamierungsverbot als Vorwand, um Kritik an Regierungsbeamten zu unterdrücken (USDOS 13.3.2019).

Aufgrund der hohen Analphabetismusrate bevorzugen die meisten Bürger Fernsehen und Radio gegenüber Print- oder Online-Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. F24 21.5.2019). Ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung – auch in abgelegenen Provinzen – hatte Zugang zu Radio (USDOS 13.3.2019). Kriegsherren, Politiker, Taliban-Sympathisanten und Regierungsvertreter werden in Fernsehdebatten, Radiosendungen und in sozialen Medien offen herausgefordert (F24 21.5.2019). Wie weit die Medienfreiheit in Afghanistan gekommen ist, zeigt beispielsweise eine kürzlich im Fernsehen übertragene Nachrichtendebatte, in der traumatisierte Zivilisten zumindest versuchen können, mächtige Männer zur Rechenschaft zu ziehen – live vor der Kamera. Von dieser Möglichkeit machte eine Zivilistin Gebrauch, als sie vor dem „Schlächter von Kabul“ - Gulbuddin Hekmatyar – stand und ihn fragte, ob er sich für seine mutmaßlichen Kriegsverbrechen entschuldigen möchte (F24 21.5.2019).

Journalisten berichten über Gewaltandrohungen und Belästigungen wegen des innerstaatlichen Konfliktes durch Politiker, Sicherheitsbeamte und andere Machthaber . Beamte und Privatpersonen setzen Gewaltandrohungen ein, um unabhängige und oppositionsnahe Journalisten einzuschüchtern, insbesondere solche, die über Straflosigkeit, Kriminalität und Korruption durch lokale Machthaber berichten. Auch die Taliban greifen weiterhin Medienorganisationen an (USDOS 13.3.2019). Einige Reporter vermeiden Kritik an Aufständischen und bestimmten Nachbarländern aus Angst vor einer Vergeltung durch die Taliban. In unsicheren Gegenden nötigen aufständische Gruppierungen Mediengesellschaften zu Beschränkungen bei der Ausstrahlung von Ankündigungen der Sicherheitskräfte, Unterhaltungsprogrammen, Musik und von Aussagen von Frauen (USDOS 13.3.2019).

Internet und Mobiltelefonie

Der Zugang zum Internet wird von staatlicher Seite nicht eingeschränkt und es gibt keine Berichte zu Überwachung privater Online-Kommunikation ohne rechtliche Genehmigung. 2017 hatten 11,4% der Bevölkerung Zugang zu Internetverbindungen, hauptsächlich in städtischen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Eine schnelle Verbreitung von Mobiltelefonen, Internet und sozialen Medien hat zahlreichen Personen in Afghanistan einen besseren Zugang zu verschiedenen Ansichten und Informationen verschafft (FH 4.2.2019). Das Ministerium für Telekommunikation und Informationstechnologie verlautbarte eine Reduktion der Internetpreise um 30%, beginnend mit dem Sonnenjahr 1398 (März 2019) (Wadsam 10.3.2019). Internetseiten mit nach afghanischem Verständnis unmoralischen oder pornografischen Inhalten sind gesperrt. Darunter fallen tatsächlich pornografische Seiten ebenso wie Webangebote für homo-, bi-, inter- oder transsexuelle User und Kennenlernportale bis hin zu Verkaufsseiten mit Alkoholangebot (AA 2.9.2019).

Mit Stand 2016 war GSM-Netz in Kabul und allen 34 Provinzen verfügbar. Förderungen für den ländlichen Raum haben die Netzabdeckung in abgelegenen Gebieten verbessert und 85% der Bevölkerung leben in Gebieten, die vom GSM-Netz abgedeckt sind (Export.gov 17.4.2016).

In Gebieten unter Talibankontrolle werden den Mobilfunkanbietern Vorgaben gemacht, wann das Netzwerk zur Verfügung gestellt werden darf; häufig müssen die Netze nach Einbruch der Dunkelheit abgeschaltet werden (ODI 21.6.2018). Die Mobilfunkbetreiber kommen den Anweisungen in der Regel nach, da in den vergangenen Jahren teure Infrastruktur zerstört und Ingenieure und Angestellte angegriffen und getötet wurden, wenn Anweisungen der Aufständischen nicht befolgt worden sind (AN 21.4.2018). Der regierungsnahe Mobiltelefonanbieter Salam ist in den von Taliban kontrollierten Gebieten gesperrt. Die Taliban kontrollieren Handys nach Salam-SIM-Karten. Sollte man mit einer solchen SIM-Karte erwischt werden, wird die Karte wahrscheinlich zerstört und deren Besitzer geschlagen (ODI 21.6.2018).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der ISLAMISCHEN REPUBLIK AFGHANISTAN (Stand Mai 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf , Zugriff 16.5.2019

•AN - Arab News (21.4.2018): Taliban target telecoms in $3bn blow for Afghan leadership, http: //www.arabnews.com/node/1288631/world , Zugriff 16.5.2019

•Export.gov - U.S. Department of Commerce, International Trade Administration (17.4.2016): Afghanistan – Telecommunications/Electric, https://www.export.gov/article?id=Afghanistan-telecommunications , Zugriff 16.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 16.5.2019

•F24 – France 24 (21.5.2019): Afghans fear end of golden age of press freedom, https://www.france24.com/en/20190521-afghans-fear-end-golden-age-press-freedom , Zugriff 30.8.2019

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 16.5.2019

•ODI - Overseas Development Institute (21.6.2018): Life under the Taliban shadow government, https://www.odi.org/sites/odi.org.uk/files/resource-documents/12269.pdf , Zugriff 9.10.2018

•RSF – Reporters sans frontières (2019): 2019 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranking_table , Zugriff 30.8.2019

•RSF – Reporters sans frontières (o.D.): Will Press Freedom be Sacrifized?, https://rsf.org/en/afghanistan , Zugriff 16.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 16.5.2019

•Wadsam (10.3.2019): Afghanistan To See A 30% Reduction in Internet Price in Coming Year, https://wadsam.com/afghan-business-news/afghanistan-to-see-a-30-reduction-in-internet-price-in-coming-year/ , Zugriff 30.8.2019

13.Versammlungsfreiheit

Die afghanische Verfassung garantiert das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 36) (MPI 27.1.2004; vgl. FH 4.2.2019). Im Allgemeinen respektiert die Regierung das Recht der Bürgerinnen und Bürger, friedlich zu demonstrieren (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). In der Praxis gibt es jedoch - von Region zu Region unterschiedlich – einige Einschränkungen (FH 4.2.2019). Es gibt regelmäßig genehmigte sowie spontane Demonstrationen, v.a. gegen soziale Missstände, die schlechte Sicherheitslage oder auch für die Gewährleistung von Frauenrechten (AA 2.9.2019). Im Jänner 2018 stimmte das Parlament gegen ein Präsidialdekret, das der Polizei weitreichende Befugnisse zum Unterbinden von Demonstrationen gegeben hätte (FH 4.2.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Trotz erheblicher Anstrengungen ist die Regierung nicht immer in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten (AA 2.9.2019). So kam es bei größeren Demonstrationen wiederholt zu tödlichen Zwischenfällen (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019). Manchmal schießt die Polizei mit scharfer Munition, um Demonstrationen zu zerstreuen (FH 4.2.2019). Im Laufe des Jahres 2018 fanden zahlreiche öffentliche Versammlungen und Proteste statt. Der „Helmand Peace March“, eine Friedenskundgebung in Lashkargah im März 2018 hat zahlreiche Friedensdemonstrationen in mindestens 16 anderen Provinzen inspiriert, die weitgehend friedlich abliefen (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 31.5.2018). An diesen Demonstrationen nahmen sowohl Männer, als auch Frauen teil (TD 27.2.2019). Dies war das erste Mal in der Geschichte Afghanistans, dass Frauen in dieser sehr konservativen Gesellschaft in mehreren Provinzen eine Kampagne für das Ende des Konflikts gestartet haben (LACU 4.2.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der ISLAMISCHEN REPUBLIK AFGHANISTAN (Stand Mai 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf , Zugriff 16.5.2019

•AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424983.html , Zugriff 30.8.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 17.5.2019

•LACU – Lacuna (4.2.2019): Women in Afghanistan rise up in protest against war, https://lacuna.org.uk/protest/women-in-afghanistan-rise-up-in-protest-against-war/ , Zugriff 30.8.2019 .

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 16.5.2019

•TD – The Diplomat (27.2.2019): The Other Peace Talks: Afghan Women, Millennials, and Social Media, https://thediplomat.com/2019/03/the-other-peace-talks-afghan-women-millennials-and-social-media/ , Zugriff

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 17.5.2019

•USDOS – US Department of State (25.5.2018): Afghanistan International Travel Information, https://travel.state.gov/content/travel/en/international-travel/International-Travel-Country-Information-Pages/Afghanistan.html , Zugriff 17.5.2019

13.1.Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die afghanische Verfassung erlaubt in Artikel 35 die Gründung von Vereinen bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 13.3.2019) und dieses Recht wird von staatlicher Seite normalerweise respektiert (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Zivilgesellschaftliche Gruppen spielen besonders im städtischen Raum eine wichtige Rolle, wo tausende von Vereinen für Kultur, Wohlfahrt und Sport mit nur geringer Einmischung durch die Behörden tätig sind (FH 4.2.2019). Registriert sind etwa 3.075 Vereine in Afghanistan (ICNL 13.4.2019).

Gemäß Gesetz von 2009 müssen sich politische Parteien beim Justizministerium (MoJ) registrieren (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Dafür müssen sie nachweisen, dass sie den Zielen und Werten des Islam und der Verfassung verpflichtet sind, sowie Organisationsstrukturen und Finanzen offenlegen. Militärische und paramilitärische Organisationen fallen nicht unter die Vereinigungsfreiheit. Ferner dürfen afghanische Parteien und Organisationen nicht von ausländischen Parteien oder ausländischer Finanzierung abhängig sein. In den letzten Jahren wurden die Anforderungen zur Registrierung erhöht: So muss eine Partei mindestens 10.000 Mitglieder vorweisen und lokale Büros in mindestens 20 Provinzen eröffnen (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 20.4.2018).

Am 14.9.2017 unterzeichnete Präsident Ashraf Ghani ein Dekret, das Angestellten und Beamten des Obersten Gerichtshofs, des Büros des Generalstaatsanwalts, des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des afghanischen Geheimdienstes (NDS) während ihrer Amtszeit die Mitgliedschaft in einer Partei verbietet (USDOS 13.3.2019).

Opposition

Regierung und Opposition sind in Afghanistan nicht ohne weiteres voneinander zu trennen. Kriterien wie Ethnie und Stammeszugehörigkeit spielen eine wichtigere Rolle als ideologische Aspekte. Politische Allianzen werden schnell geschlossen, gehen aber ebenso schnell wieder auseinander. Die Regierung der Nationalen Einheit (National Unity Government, NUG) wird regelmäßig aus verschiedenen Lagern scharf kritisiert. Auch Mitglieder der Regierung kritisieren diese zum Teil öffentlich, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Auf lokaler Ebene gibt es . allerdings Berichte von Übergriffen bis hin zur Verhaftung durch lokale Polizeieinheiten nach Kritik an lokalen Machthabern (AA 2.9.2019).

Zahlreiche Oppositionsführer und -parteien nehmen an Wahlen teil. Aufgrund des wiederkehrenden Problems des Wahlbetrugs ist jedoch nicht sicher, dass sich eine Unterstützung durch die Bevölkerung in einen Wahlerfolg umsetzt (FH 4.2.2019; vgl. USIP 2.11.2017). Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, sie zu unterminieren und stattdessen Rivalen zu fördern (FH 4.2.2019).

Seit 2001 haben sich zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen in politische Parteien gewandelt. Diese repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu gefestigten Institutionen entwickelt. Jedoch ist keine von ihnen eine weltanschauliche Organisation oder dient der Wählermobilisierung, wie es für Parteien in reiferen Demokratien üblich ist (USIP 3.2015; vgl. AAN 6.5.2018).

Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der Regierung (NUG) sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er-Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 2.9.2019). So kehrte Gulbuddin Hekmatyar nach einem Friedensabkommen mit der Regierung im Jahr 2017 nach Afghanistan zurück (BBC 4.5.2017) und ist mittlerweile sogar Präsidentschaftskandidat (TN 7.8.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der ISLAMISCHEN REPUBLIK AFGHANISTAN (Stand Mai 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf , Zugriff 16.5.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan’s Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/ , Zugriff 17.5.2019

•BBC (4.5.2017): Afghan warlord Hekmatyar returns to Kabul after peace deal, https://www.bbc.com/news/world-asia-39802833 , Zugriff 30.8.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 17.5.2019

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 16.5.2019 . •ICNL – The International Center for Not-for-profit-Law (13.4.2019): Civic Freedom Monitor: Afghanistan, http://www.icnl.org/research/monitor/afghanistan.html , Zugriff 28.8.2019

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 16.5.2019

•TN – Tolonews (7.8.2019): Hekmatyar Labels Current Government ‘Un-Islamic’, https://www.tolonews.com/afghanistan/hekmatyar-labels-current-government-‘un-islamic’ , Zugriff 30.8.2019

•USIP – United States Institute of Peace (2.11.2017): Reducing Voter Fraud in Afghanistan, https://www.usip.org/publications/2017/11/reducing-voter-fraud-afghanistan , Zugriff 17.5.2019

•USIP – United States Institute of Peace (3.2015): Political Parties in Afghanistan, http://www.usip.org/sites/default/files/SR362-Political-Parties-in-Afghanistan.pdf , Zugriff 17.5.2019

14.Haftbedingungen

Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten werden von unterschiedlichen Organisationen verwaltet: Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkhi. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) sind verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Das National Directorate of Security (NDS), ist verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Distriktebene, die in der Regel mit den jeweiligen Hauptquartieren zusammenarbeiten. Das Verteidigungsministerium betreibt die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan (USDOS 13.3.2019). Glaubwürdigen Berichten zufolge verwalten regierungstreue lokale Machthaber, mächtige Personen in den Sicherheitskräften und Mitglieder der ANDSF private Gefängnisse, in denen Gefangene misshandelt werden (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Im Jahr 2018 kündigte Präsident Ghani ein scharfes Vorgehen gegen solche Menschenrechtsverletzungen an, bis Jahresende kam es jedoch zu keinen Anzeigen wegen solcher Delikte (FH 4.2.2019). Lokale Gefängnisse und Haftanstalten haben nicht immer getrennte Einrichtungen für weibliche Gefangene; auch herrscht ein Mangel an separaten Einrichtungen für Untersuchungs- und Strafhäftlinge (USDOS 13.3.2019).

Überbelegung ist weiterhin ein ernstes, verbreitetes Problem: Gemäß den empfohlenen Standards des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC) waren 28 von 34 Gefängnissen für Männer stark überbelegt. Mit Stand Oktober 2018 befanden sich im Pul-e Charkhi-Gefängnis, der größten Vollzugsanstalt des Landes, 13.118 Gefangene, darunter u.a. Kinder von inhaftierten Müttern, was die Aufnahmekapazität der Anlage um 55% übersteigt (USDOS 20.4.2018).

Die Haftbedingungen in Afghanistan entsprechen nicht den internationalen Standards. Es gibt Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen (AA 2.9.2019). Ein Recht für Häftlinge auf Gesundheitsdienste und medizinische Untersuchungen zu Beginn der Unterbringung existiert (UNAMA 4.2019). Der Zugang zu Nahrung, Trinkwasser, sanitären Anlagen, Heizung, Lüftung, Beleuchtung und medizinischer Versorgung in den Gefängnissen ist landesweit unterschiedlich und im Allgemeinen unzureichend (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Das Budget für das nationale Ernährungsprogramm von Häftlingen des GDPDC ist sehr limitiert. Daher müssen Familienangehörige oft für die notwendige ergänzende Nahrung aufkommen (USDOS 13.3.2019). Als Folge der schlechten Haftbedingungen sind psychische Gesundheitsprobleme weit verbreitetn (UNAMA 4.2019).

Die Haftbedingungen für weibliche Häftlinge sind besonders schlecht. Viele von ihnen sind wegen sogenannter Moralverbrechen gemeinsam mit ihren Kindern inhaftiert (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Vor allem Frauen und Kinder werden häufig Opfer von Misshandlungen. Schätzungen zufolge leben über 300 Kinder in afghanischen Gefängnissen, ohne selbst eine Straftat begangen zu haben. Ab einem Alter von fünf Jahren ist es möglich, die Kinder in ein Heim zu transferieren. Allerdings gibt es diese Heime nicht in jeder Provinz. Die wenigen existierenden Heime sind überfüllt (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich müssen die Mütter einem Transfer der Kinder in ein Heim zustimmen (AA 2.9.2019). In einigen Fällen werden Frauen in Gefängnissen untergebracht, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen, wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist (USDOS 13.3.2019).

Folter von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte ist verbreitet (FH 4.2.2019). Gemäß einer zweijährigen Studie in den Jahren 2017 und 2018 berichten Häftlinge im Gewahrsam der ANDSF über Folter und Misshandlung (31,9% statt 39%). Im Gewahrsam der NDS gab es einen deutlichen Rückgang bei der Anzahl gefolterter bzw. misshandelter Personen, die(19,4% statt 29%). Deutlich reduziert hat sich die Anzahl der durch die ANP gefolterten und misshandelten Personen(31,2% statt 45%) (UNAMA 4.2019).

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind gesetzlich verboten; trotzdem stellen beide Praktiken ernsthafte Probleme dar. Häufig werden Personen in Haft genommen, ohne die rechtlichen Prozeduren zu beachten, obwohl das Delikt nicht im Strafgesetz definiert ist oder ohne dass die Behörde eine entsprechende Befugnis hätte (USDOS 13.3.2019). In staatlichen Gefängnissen werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Inhaftierte erhalten trotz gesetzlicher Regelung nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Das im Februar 2018 in Kraft getretene Strafgesetz führte für Erwachsene Alternativen zur Haft ein. Gerichte setzen das neue Gesetz normalerweise um, bei Justizmitarbeitern und in der Öffentlichkeit ist Wissen über die neuen Gesetze jedoch nicht weit verbreitet (USDOS 13.3.2019).

Häftlinge sind gesetzlich dazu berechtigt, bis zu 20 Tage das Gefängnis zu verlassen, um Familienbesuche abzustatten; jedoch setzen zahlreiche Justizvollzugsanstalten diese Vorschriften nicht um. Des Weiteren ist die Zielgruppe des Gesetzes nicht klar definiert (USDOS 13.3.2019).

Durch die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC), Vereinte Nationen, Rotes Kreuz sowie durch die NATO Mission Resolute Support werden Haftanstalten kontrolliert. Gelegentlich gibt es Schwierigkeiten, wenn Observationsteams unangekündigt erscheinen. In der Regel müssen die Organisationen ein bis zwei Tage vor dem Besuch einen formellen Brief schreiben. NDS verbietet Observationsteams die Mitnahme von Kameras oder Aufnahmegeräten in die von ihnen geführten Haftanstalten, wodurch die Observationsteams Schwierigkeiten haben, Anzeichen von Missbrauch korrekt zu dokumentieren. NDS hat einen Beauftragten für Menschenrechte in ihren Haftanstalten (USDOS 13.3.2019).

Strafverfolgung von Kindern

Nach dem afghanischen Jugendstrafrecht sollte die Verhaftung eines Kindes „der letzte Ausweg sein und so kurz wie möglich dauern“. Gemäß Berichten hatten Kinder in Jugendrehabilitationszentren im ganzen Land keinen Zugang zu ausreichender Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung. Für inhaftierte Kinder galt häufig nicht die Unschuldsvermutung, ihnen wurde das Recht, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu kennen, wie auch ein Zugang zu Verteidigern und der Schutz vor Selbstbeschuldigung verweigert. Das Gesetz sieht die Schaffung einer speziellen Jugendpolizei, von Staatsanwaltschaften und Gerichten vor. Aufgrund begrenzter Ressourcen arbeiten spezielle Jugendgerichte nur in sechs Provinzen (Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz). Andernorts wurden Fälle, welche Kinder betrafen, an den allgemeinen Gerichten verhandelt (USDOS 13.3.2019).

Die Sicherheitskräfte halten Kinder in Jugendstrafanstalten des Justizministeriums fest, mit Ausnahme einer Gruppe von Kindern, welche wegen nationaler Sicherheitsvergehen verhaftet wurden und in einer Haftanstalt in Parwan verblieben (USDOS 13.3.2019).

Einige der Kinder im Strafrechtssystem waren eher Opfer als Täter von Verbrechen. In Ermangelung ausreichender Unterkünfte halten die Behörden misshandelte Buben fest und verlegen sie in Jugendrehabilitationszentren, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können und anderswo keine Unterkünfte verfügbar sind (USDOS 13.3.2019).

Weiterführende Informationen zu Folter in Haftanstalten können Abschnitt 6. „Folter und unmenschliche Behandlung“ entnommen werden.

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), . https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 14.5.2019

•HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2002151.html , Zugriff 14.5.2019

•UNAMA – UN Assistance Mission in Afghanistan (4.2019): Treatment of Conflict-Related Detainees in Afghanistan: Preventing Torture and Ill-treatment under the Anti-Torture Law, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006855/afghanistan_-_report_on_the_treatment_of_conflict-related_detainees_-_17_april_2019.pdf , Zugriff 14.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 13.5.2019

15.Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 2.9.2019). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, hat die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen von 54 auf 14 Delikte reduziert (AI 10.4.2019). Vorgesehen ist die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (MoJ 15.5.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.5.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. „Zina“, Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 2.9.2019).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, welche eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiterhin Todesurteile vollstreckt werden (AA 2.9.2019). Im Jahr 2018 wurden in Afghanistan drei Menschen hingerichtet (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Alle wurden am 28.1.2018 wegen Entführung und Mord an einem Kind exekutiert. Zahlen zu eventuellen weiteren Exekutionen liegen jedoch nicht . vor (AI 10.4.2019). . Zu Jahresende 2018 befanden sich mindestens 343 Personen im Todestrakt (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Jahr 2018 wurden in Afghanistan 44 Todesurteile umgewandelt und 50 zum Tode Verurteilte aufgrund der Vergebung durch die Opferfamilien begnadigt. Es gibt eine Initiative der Regierung, alle Todesurteile neu zu untersuchen (AI 10.4.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AI – Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF , Zugriff 13.5.2019

•MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz: http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf , Zugriff 13.5.2018

16.Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt 16.5.

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für . Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•BBC (11.4.2019): Afghanistan’s one and only Jew, https://www.bbc.com/news/av/world-asia-47885738/afghanistan-s-one-and-only-jew , Zugriff 2.9.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (30.4.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 2.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 3.5.2019

•ICRC – International Committee of the Red Cross (o.D.): National Implementation of IHL, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=598034855221CE85C12582480054D831&action=openDocument&xp_countrySelected=AF&xp_topicSelected=GVAL-992BU6&from=state&SessionID=DNMSXFGMJQ , Zugriff 2.9.2019

•UP – Urdu Point (16.8.2019): Afghanistan's Only Jew Has No Plans To Emigrate, Says Lives 'Like A Lion Here', https://www.urdupoint.com/en/world/afghanistans-only-jew-has-no-plans-to-emigra-691600.html , Zugriff 2.9.2019

•USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 24.6.2019

•USDOS – U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1436774.html , Zugriff 2.9.2019

•USE – U.S. Embassy in Afghanistan (o.D.): Marriage, https://af.usembassy.gov/u-s-citizen-services/local-resources-of-u-s-citizens/marriage/ , Zugriff 3.5.2019

16.1.Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.1.2019).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).

Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Weiterführende Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten, Veranstaltungen und Moscheen können Abschnitt 3. - Sicherheitslage samt Unterabschnitten - entnommen werden. Weiterführende Informationen zur mehrheitlich schiitischen Volksgruppe der Hazara siehe auch Abschnitt 17.3.

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AB – Afghan Bios (7.6.2017): National Ulema Council Afghanistan AUC, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios&id=1218&task=view&total=3340&start=3067&Itemid=2 , Zugriff 3.5.2019

•CRS – Congressional Research Service (1.5.2019): Afghanistan: Background and U.S. Policy In Brief, https://fas.org/sgp/crs/row/R45122.pdf , Zugriff 3.5.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 3.5.2019

•HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2002151.html , Zugriff 3.5.2019

•USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 24.6.2019

•USIP – US Institute of Peace (14.6.2018): Afghanistan’s Imams Helped Achieve a Surprise Truce, https://www.usip.org/publications/2018/06/afghanistans-imams-helped-achieve-surprise-truce , Zugriff 3.5.2019

16.2.Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine . öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AF – Agenzia Fides (4.1.2019): ASIA/AFGHANISTAN - A new missionary sister in Kabul, http://www.fides.org/en/news/65337-ASIA_AFGHANISTAN_A_new_sister_of_the_Missionaries_of_Charity_in_Kabul , Zugriff 6.5.2019

•CURE (8.2018): An Introduction to CURE INTERNATIONAL - August 2018 Edition - Statistics from Fiscal Year 2018, https://cure.org/downloads/site/brand/cure-white-paper.pdf , Zugriff 6.5.2019

•KatM KBL – Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf

•LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan –Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf , Zugriff 6.5.2019

•NYP – New York Post, The (24.4.2014): http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-in-attack-at-afghan-hospital/ , Zugriff 6.5.2019

•PBdK - Pro Bambini di Kabul (o.D.): Chi Siamo, http://www.probambinidikabul.org/chi-siamo/ , Zugriff 6.5.2019

•RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (1.6.2017): Auskunft per E-Mail.

•USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2018): United States Commission on International Religious Freedom 2018 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435655/1930_1529393896_tier2-afghanistan.pdf , Zugriff 6.5.2019

•USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 24.6.2019

•USDOS – US Department of State (26.10.2009): International Religious Freedom Report 2009 – Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2009/127362.htm , Zugriff 6.5.2019

•WA – Worldatlas (11.12.2018): Religious Beliefs In Afghanistan, https://www.worldatlas.com/articles/religious-beliefs-in-afghanistan.html , Zugriff 6.5.2019

16.3.Sikhs und Hindus

Die Gemeinschaft der Sikhs und Hindus schätzte 2018 ihre Größe in Afghanistan auf ca. 700 Mitglieder. Im Jahr 2017 hatte sie noch 1.300 Mitglieder umfasst, der Rest ist im Laufe des Jahres emigriert (USDOS 21.6.2019). Noch vor einigen Jahrzehnten lebten einige Hunderttausend Hindus und Sikhs in Afghanistan (AJ 1.1.2017; vgl. AIIA 11.7.2018). Eine sich angeblich verschlechternde wirtschaftliche Lage der Gemeinschaften, erhöhte Sicherheitsbedenken sowie fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt waren laut Sikh-Führern Hauptgrund einer verstärkten Emigration (USDOS 21.6.2019). Hindus und Sikhs leben im 1. Kabuler Stadtbezirk im Stadtteil Hindu Gozar (AAN 19.3.2019) sowie in den Provinzen Nangarhar und Ghazni. In Jalalabad war im Jänner 2017 weiterhin eine bedeutende Anzahl von Sikhs ansässig (AJ 1.1.2017). Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätten der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand (AA 2.9.2019).

Berichten zufolge werden Hindus und Sikhs von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter betrachtet (AA 2.9.2019). Sie sind verbalen und physischen Übergriffen (USDOS 13.3.2019), Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, können jedoch ihren Glauben öffentlich ausüben. Quellen zufolge sind Hindus weniger gefährdet als Sikhs; der Grund dafür ist das Fehlen sichtbarer charakteristischer Merkmale (z.B. Kopfbedeckung) bei den Hindus (USDOS 21.6.2019). Sikhs sind zurückhaltend bei der Begehung religiöser Feste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und der Staat hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Gemeinschaft vor alltäglichem sozialem Druck zu schützen. Der afghanische Staat verhält sich den in Afghanistan verbliebenen Sikhs gegenüber nicht feindlich (AIIA 11.7.2018). Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus und Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 2.9.2019).

Trotz gesellschaftlicher Diskriminierung bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Regierungsposten. Ein Sitz im Unterhaus ist für einen Vertreter der Hindu- und Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 21.6.2019). Dieser Sitz wird zurzeit durch Narender Singh bekleidet (AB 19.3.2019; vgl. RLY 6.4.2019). Hindus und Sikhs vermeiden nach eigenen Angaben Landstreitigkeiten über Gerichte beizulegen, da sie Angst vor Vergeltungsaktionen haben. Sie regeln Streitfälle mittels Gemeinschaftsversammlungen oder Mediation (USDOS 21.6.2019).

Berichten zufolge schicken Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaften ihre Kinder aus Angst vor Schikane durch ihre Mitschüler nicht in staatliche Schulen. In der Vergangenheit wurden die Kinder in privaten Hindu- und Sikh-Schulen unterrichtet, jedoch sind heutzutage viele davon geschlossen. Gemäß Angaben der Hindu- und Sikh-Gemeinschaften gibt es nur zwei funktionsfähige Schulen landesweit (Kabul, Jalalabad). Diese sind jedoch nicht für den Lehrbetrieb ausgestattet (USDOS 21.6.2019).

Viele Musliminnen und Muslime lehnen insbesondere die Feuerbestattung ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellt (AA 2.9.2019). Hindus und Sikhs berichten weiterhin von Störungen während ihrer traditionellen Feuerbestattungen durch Anrainerinnen und Anrainer aus der Nähe ihrer Kremationsstätte (shamshan). Obwohl ihnen die Regierung Land für eben diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat, beschweren sich Sikhs, dass der Ort zu weit von urbanen Zentren entfernt liege und dieser somit u.a. wegen der schlechten Sicherheitslage unbenutzbar sei (USDOS 21.6.2019). Die Regierung stellt Polizeischutz für die Sikh- und Hindugemeinschaft zur Verfügung, während diese ihre Kremationsrituale abhalten (USDOS 21.6.2019; vgl. AIIA 11.7.2018).

Auch wurde den Gemeinschaftsführern die Möglichkeit gewährt, sich mit Präsident Ghani zu treffen (AIIA 11.7.2018; vgl. NYT 1.7.2018), wenngleich eines dieser Treffen aufgrund eines Bombenanschlages auf den Konvoi nicht zustande kam. Unter den Todesopfern war auch der einzige Sikh-Kandidat für die Parlamentswahlen im Oktober 2018, Avtar Singh Khalsa (NYT 1.7.2018; vgl. AIIA 11.7.2018). Sein Sohn, Narender Singh, kandidierte daraufhin für den Sitz der Hindu- und Sikh-Gemeinschaft und wurde Abgeordneter im Unterhaus (SC 4.1.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (19.3.2019): Kabul Unpacked; A geographical guide to a metropolis in the making, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006715/Kabul-Police-Districts.pdf , Zugriff 6.5.2019

•AB – Afghan Bios (19.3.2019): Khalsa, Narinder Singh, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios&id=4066&task=view&total=4182&start=1937&Itemid=2 , Zugriff 12.9.2019

•AIIA – Australian Institute of International Affairs (11.7.2018): A Precarious State: the Sikh Community in Afghanistan, https://www.internationalaffairs.org.au/australianoutlook/precarious-state-the-sikh-community-in-afghanistan/ , Zugriff 6.5.2019

•AJ – Al Jazeera (1.1.2017): The decline of Afghanistan’s Hindu and Sikh communities, https://www.aljazeera.com/indepth/features/2016/12/decline-afghanistan-hindu-sikh-communities-161225082540860.html , Zugriff 6.5.2019

•NYT – New York Times, The (1.7.2018): Sikhs and Hindus Bear Brunt of Latest Afghanistan Suicide Attack, https://www.nytimes.com/2018/07/01/world/asia/afghanistan-school-attack-nangarhar.html , Zugriff 6.5.2019

•RLY – Reporterly (6.4.2019): Elected Lawmakers of Afghan House of Representatives (9): Journey of 3 Representatives in the New Round of Parliament, http://reporterly.net/elections-2018/elected-lawmakers-of-afghan-house-of-representatives-9-journey-of-3-representatives-in-the-new-round-of-parliament/ , Zugriff 2.9.2019

•SC – Sikh Channel (4.1.2019): Afghanistan: Son Of Afghan Sikh Leader Killed In 2018 Terror Attack, Leads In Polls, http://www.sikhchannel.tv/afghanistan-son-of-afghan-sikh-leader-killed-in-2018-terror-attack-leads-in-polls/ , Zugriff 6.5.2019

•USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 24.6.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 7.5.2019

16.5.Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019). . Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und Auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html , Zugriff 3.5.2019

•LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan –Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf , Zugriff 6.5.2019

•MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz, http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf , Zugriff 3.5.2019

•RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (1.6.2017): Auskunft per E-Mail.

•USDOS – US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1436774.html , Zugriff 3.5.2019

17.Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016 ; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen . zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 7.5.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (30.4.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 7.5.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (2012): Afghanistan Country Profile (Wall Map), https://legacy.lib.utexas.edu/maps/middle_east_and_asia/txu-pclmaps-oclc-814380561-afghanistan_country_profile_2012-01.jpg , Zugriff 7.5.2019

•CSO – Central Statistics Organization Islamic Republic of Afghanistan (2019): Estimated Population of Afghanistan 2019-20, http://cso.gov.af/Content/files/ریاست دیموگرافی/population/Estemated Population 1398.pdf , Zugriff 7.5.2019

•GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019): Länder-Informations-Portal Afghanistan – Gesellschaft, https://www.liportal.de/afghanistan/gesellschaft/ , Zugriff 7.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 7.5.2019

17.2.Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kāboli (aus Kabul), herāti (aus Herat), mazāri (aus Mazar-e Scharif), panjshēri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tājik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tājik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Quellen:

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 7.5.2019

•BI – Brookings Institution, the (29.9.2017): Afghanistan Index, https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2016/07/21csi_20171002_afghanistan_index.pdf , Zugriff 7.5.2019

•CIA – Central Intelligence Agency (2012): Afghanistan Country Profile (Wall Map), https://legacy.lib.utexas.edu/maps/middle_east_and_asia/txu-pclmaps-oclc-814380561-afghanistan_country_profile_2012-01.jpg , Zugriff 7.5.2019

•GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019): Länder-Informations-Portal Afghanistan – Gesellschaft, https://www.liportal.de/afghanistan/gesellschaft/ , Zugriff 7.5.2019

•MRG – Minority Rights Group (o.D.b) [letztes Referenzdatum: 4.2017]: Afghanistan – Tajiks, https://minorityrights.org/minorities/tajiks/ , Zugriff 7.5.2019

•RFERL – Radio Free Europe Radio Liberty (9.8.2019): Who's Who Among The Afghan Presidential Candidates, https://www.rferl.org/a/afghan-presidential-election-candidates/30102105.html , Zugriff 3.9.2019

18.Relevante Bevölkerungsgruppen

18.1.Frauen

Anmerkung: Ausführliche Informationen zur Lage der Frauen in Herat können der Analyse der Staatendokumentation vom 13.6.2019 entnommen werden (Abschnitt 6, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf ).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 2.9.2019). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018; vgl. AF 13.12.2017).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (BFA 4.2018; vgl. AA 2.9.2019), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 2.9.2019).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (BFA 13.6.2019). Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. BFA 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen – beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken – zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (BFA 4.2018; vgl. UNAMA 24.12.2017).

Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 3.4.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das „Gender Equality Project“ der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (Najimi 2018).

Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt 2) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (TN 31.5.2019; vgl. Taz 6.2.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass „im Namen der Frauenrechte“ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 6.2.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte – einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit – vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 3.9.2019). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen . betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (BFA 13.6.2019).

Einem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen 2.286 Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018), was an zunehmendem Bewusstsein und dem Willen der Frauen, sich bei Gewaltfällen an relevante Stellen zu wenden, liegt (PAJ 10.12.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 2.9.2019).

Bildung für Mädchen

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 17.10.2017). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 13.3.2019; vgl. UNICEF 27.5.2019). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 erhöht und somit verdreifacht. Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.5.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019).

Schätzungen zufolge, sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule – Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.5.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.5.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017).

Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.8.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt – speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.6.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (BFA 13.6.2019).

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; UNAMA 24.2.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.5.2019). Mittlerweile ist nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006-2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, sondern vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban (AREU 1.2016).

Landesweit waren im Jahr 2016 182.344 Studenten an 36 staatlichen (öffentlichen) Universitäten eingeschrieben, davon waren 41.041 (AF 13.2.2019; vgl. WB 6.11.2018), also nur 22,5%, weiblich. Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung – Kankor – ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.2.2019).

Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.2.2019).

Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht:

(WB 6.11.2018)

Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten, aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen – Bamyan und Kunar – sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 6.11.2018). Beispielsweise gibt es mittlerweile die erste (und einzige) Frau Afghanistans, die einen Doktor in Spielfilmregie und Drehbuch hat – diesen hat sie an einer Akademie in Bratislava abgeschlossen (RY 16.5.2019).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“ (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 7.11.2017).

Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Bildungswesen in Afghanistan können dem Abschnitt „Schulbildung in Afghanistan“ im Unterkapitel 18.2 Kinder entnommen werden.

Berufstätigkeit von Frauen

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 13.3.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 2.9.2019; vgl. BBW 28.8.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 6.9.2019).

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 3.4.2019). Für das Jahr2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben (WB 4.2019). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.3.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.7.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv – manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 6.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung . ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.7.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 13.3.2019); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig – was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 13.3.2019).

Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (BFA 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.3.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 7.3.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.5.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 2.9.2019), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.3.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (AA 2.9.2019).

Traditionelle gesellschaftliche Prktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer . Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 13.3.2019).

Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.5.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 3.5.2019).

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender – Radio Roshani – nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 6.9.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.4.2019).

Anmerkung: Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. „NGOs und Menschenrechtsaktivisten“, 11. „Meinungs- und Pressefreiheit“ und 5. „Sicherheitsbehörden“ entnommen werden.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (USDOD 6.2019). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den „Familienfrieden“ durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 2.9.2019). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 13.3.2019). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Stand 2017 gab es landesweit 208 FRUs (USDOD 12.2017).

Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (BFA 4.2018; vgl. TD 4.12.2017).

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt (AA 2.9.2019). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.5.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern – das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 13.3.2019).

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen – auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.8.2019).

Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018).

Frauenhäuser

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 2.9.2019). Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen. Fast alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Institutionen angewiesen – diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan (NYT 17.3.2018).

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 2.9.2019). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018).

Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 2.9.2019).

Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser . (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 13.3.2019).

In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert (USDOS 13.3.2019).

Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können. In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal werden Frauen stellvertretend für verurteilte männliche Verwandte inhaftiert, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 13.3.2019).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 2.9.2019). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor. UNAMA berichtet von 280 Ehrenmorden im Zeitraum Jänner 2016-Dezember 2017, wobei nur 18% von diesen zu einer Verurteilung und Haftstrafe führten. Trotz des Verbotes im EVAW-Gesetz üben Behörden oft Druck auf Opfer aus, auch schwere Verbrechen durch Mediation zu lösen. Dies führt zu Straflosigkeit für die Täter (USDOS 13.3.2019). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (KP 23.3.2016; vgl. UNAMA 5.2018).

Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, MBZ 7.3.2019, 20 minutes 28.11.2018). Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht (AA 2.9.2019). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 13.3.2019). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben .

und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 7.3.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 7.3.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 13.3.2019). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens ein Kind unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 7.3.2019).

Mahr, eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen – das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist – selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.).

Die Praktiken des Badal und Ba‘ad/Swara, bei denen Bräute zwischen Familien getauscht werden, sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Badal ist gesetzlich nicht verboten und weit verbreitet (USDOS 13.3.2019; vgl. WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018).

Die Praxis des Ba‘ad bzw. Swara ist in Afghanistan gesetzlich verboten, jedoch in ländlichen Regionen – vorwiegend in paschtunischen Gebieten - weit verbreitet. Dabei übergibt eine Familie zur Streitbeilegung ein weibliches Familienmitglied als Braut oder Dienerin an eine andere Familie Das Alter der Frau spielt keine Rolle, es kann sich dabei auch um ein Kleinkind handeln (TRT 17.5.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, EASO 12.2017). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 2.9.2019; vgl. UNPF 17.7.2018, HPI 22.10.2016). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.7.2018).

Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (BFA 13.6.2019).

Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, USAID’s Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielt darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel ist das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Auch wurden SMS-Nachrichten über Familienplanung an einen Mobilfunkbetreiber übermittelt, um Missverständnisse über reproduktive Dienstleistungen aufzulösen. Dabei wurden auch Informationen weitergegeben, wie zum Beispiel die Anwendung von Chlorhexidin (CHX) unmittelbar nach der Geburt. Bis Dezember 2018 wurden 70.030 Anrufe gezählt, um das gesamte Angebot der Familienplanung von HEMAYAT anzuhören, wobei 60.586 Anrufer die Aufnahmen komplett zu Ende hörten. Unter anderem wurde CHX von Jänner-März 2019 bei 48.800 Neugeborenen angewendet; auch wurden 59.198 Neugeborene innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt gestillt (SIGAR 30.7.2019).

Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 2.9.2019). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 661 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNPF 17.7.2018; zum Vergleich Österreich: 4).

. Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 13.3.2019).

Reisefreiheit von Frauen

Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt (USDOS 13.3.2019; vgl. BFA 4.2018, MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019). Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 2.9.2019; vgl. MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019).

Gemäß Aussagen der Direktorin von Afghan Women‘s Network können sich Frauen ohne Burqa und ohne männliche Begleitung im gesamten Land frei bewegen (CA 4.3.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (BFA 4.2018). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 7.3.2019).

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (BFA 4.2018; vgl. BFA 13.6.2019).

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18.2.Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Laut UNAMA-Berichten sank die Gesamtzahl der konfliktbedingt getöteten oder verletzten Kinder im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 13% (327 Todesfälle, 880 Verletzte). Die Beteuerungen regierungsfeindlicher Gruppen, Gewalt gegen Zivilisten und insbesondere Kinder abzulehnen, werden immer wieder durch ihre Aktionen konterkariert (AA 2.9.2019).

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt – mit rund 63% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (UNFPA 18.12.2018; vgl. CSO 6.2018). Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 18. Geburtstag (AA 2.9.2019).

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013).

Schulbildung in Afghanistan

Die afghanische Schulbildung beginnt für Kinder im Alter von sechs Jahren mit sechs Jahren Grundschule, gefolgt von der Unterstufe der Sekundarschule (bzw. Mittelschule) für zwölf- bis 14-Jährige und der Oberstufe für 14- bis 17-Jährige. Nach Abschluss der Oberstufe können Schüler und Schülerinnen an die Universität wechseln. Ein Bachelorstudium dauert in der Regel vier Jahre, das Masterstudium, welches nach Absolvierung eines Bachelorstudiums begonnen werden kann, zwei Jahre. Die Anzahl der angebotenen Masterstudien ist immer noch klein. Grundschule, Unterstufe und Oberstufe werden jeweils mit einem Examen abgeschlossen, welches den Übertritt in die nächsthöhere Schulform erlaubt. Aufgrund von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel Klassenwiederholungen, zeitweisem Schulabbruch oder dem Überspringen einer Schulstufe, variiert das tatsächliche Alter der Schulkinder in den jeweiligen Schulstufen mitunter erheblich (CSO 2018).

Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen (EASO 4.2019). Der Schulbesuch ist an öffentlichen Schulen „im Prinzip“ kostenlos (CSO 2018) und die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die . ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z.B. die Afghan-Turk Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben (BFA 13.6.2019).

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend (USDOS 13.3.2019; vgl. CSO 2018). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung. Ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Bildung wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Bildungsministerium hat keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken (BFA 4.2018).

Gemäß Schätzungen der CSO besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule (CSO 2018). Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen nur 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kuchi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger (CSO 2018). Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien lag bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% waren. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchten 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule (UNHCR 5.2018). Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern und Rückkehrerinnen aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (BFA 4.2018).

Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen, ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch, bzw. Nichteintritt. Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischen Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (EASO 4.2019).

Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems (EASO 4.2019), auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen – beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen (SIGAR 2.2018; SIGAR 3.2017; SIGAR 11.2016) – bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet (SIGAR 30.1.2019). Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt, oder internationale Organisationen wie UNICEF führen Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durch. In einigen Fällen, z.B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in „kalte“ und „warme“ Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (BFA 13.6.2019).

Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt (AAN 13.3.2017). Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt (EASO 4.2019). Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden (SIGAR 30.1.2019). Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (EASO 4.2019).

Sicherheitsaspekte

Die Führungselite der Taliban hat erklärt, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), was aber in der Praxis nicht immer eingehalten wird (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; UNAMA 24.2.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017). In den vergangenen Jahren haben die Taliban mehrere Stellungnahmen veröffentlicht, in welchen sie sich unterstützend zu Schulbildung äußerten. Lehrer aus Gebieten unter Talibaneinfluss berichteten, dass sich die Lage bei der Bildungsvermittlung gegenüber 2011 vergleichsweise verbessert hat (CIC 5.2016). So würden die Taliban beispielsweise mitunter die Anwesenheit der Lehrer kontrollieren (CIC 5.2016; für den Distrikt Andar in Ghazni vgl. AAN 13.6.2019). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternde Sicherheitslage wurden aber bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 beinahe verdreifacht. Die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist unter anderem darin begründet, dass Schulen als Wählerregistrierungs- . und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 28.5.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019). Auch ist vorrangig nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006-2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, als vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban (AREU 1.2016). Die Taliban „kapern“ im Bereich der Bildung wohlfahrtsstaatliche Leistungen des Staates : Sie setzten in den von ihnen kontrollierten Gebieten ihren Lehrplan, ihre Schulbücher und Lehrer ein, während die Regierung weiterhin die Gehälter und andere Dienste bezahlt (LI 23.8.2017). Dennoch bleibt die Haltung der Taliban „inkonsistent“: Qualität und Zugang zur Schulbildung sind in den von den Taliban kontrollierten Gebieten immer noch mangelhaft und Einschränkungen des Schulzugangs für Mädchen sind weit verbreitet (CIC 5.2016). Die Taliban bedrohten oder schlossen im Jahr 2018 Hunderte von Schulen, oftmals bei dem Versuch, Gelder vom Bildungsministerium zu erpressen (USDOS 13.3.2019). Nach Vorfällen in der Provinz Farah legten Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste nahe, dass die Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten der Taliban dies ab (NYT 21.5.2019).

Angriffe auf Lehrende und Schulen vonseiten der Taliban finden somit nicht mehr systematisch statt (CIC 5.2016), existieren allerdings immer noch. Auch der ISKP führte bis zum Ende des Jahres 2018 34 Angriffe auf Bildungseinrichtungen mit 64 zivilen Opfern (25 Toten und 39 Verletzten), darunter neun Kindern, durch (UNAMA 24.2.2019).

Kinderarbeit

Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report vom 14.Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 2.9.2019). Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15-17 Jahren arbeiten, wenn „die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt“. Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten (EASO 4.2019). Armut ist ein wesentlicher Grund, warum Kinder arbeiten (CSO 2016; vgl. APPRO 4.2018). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (APPRO 4.2018).

CSO schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der fünf- bis 17-Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF – anders als ILO – auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Der Unterschied zwischen den Geschlechtern nimmt mit dem Alter der Kinder zu, was gemäß CSO den vorherrschenden Traditionen der Abschottung von Frauen und frühen Heirat von Mädchen entspricht (CSO 2016). Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (NRC 27.9.2018).

Arbeitsgesetze sind meist unbekannt und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (APPRO 4.2018).

Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (APPRO 4.2018).

Waisenhäuser

Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der vier- bis 18-Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenschmuggel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (USDOS 13.3.2019).

In Ermangelung ausreichender Unterkünfte halten die Behörden misshandelte Buben fest und verlegen sie in Jugendrehabilitationszentren, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können und anderswo keine Unterkünfte verfügbar sind (USDOS 13.3.2019).

Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost (AA 2.9.2019). Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet (USDOS 13.32019; vgl. APPRO 4.2018, STC 2017, UNSC 29.3.2019). Ein im Jahr 2017 erlassenes Gesetz zur Bekämpfung von Belästigungen stellt physische, verbale, psychologische und sexuelle Belästigung von Frauen und Kindern unter Strafe. Das novellierte Strafrecht sieht unter anderem bei Kindesmisshandlung, bzw. körperlicher Züchtigung Geldbußen und Gefängnisstrafen vor (USDOS 13.3.2019).

Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA in dieser Hinischt 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden – unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft (UNSC 29.3.2019); in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi (UNSC 29.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Obwohl Bacha Bazi kriminalisiert wurde, sind Verfolgungen von Fällen selten und die Praxis bleibt verbreitet (UNSC 29.3.2019).

Berichten zufolge schlug die Polizei Kinder und missbrauchte sie sexuell. Kinder, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiteren Belästigungen durch Exekutivbeamte – insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi (USDOS 13.3.2019). Es wird von von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (HRC 28.1.2019; vgl. UNSG 30.6.2019; UNSC 29.3.2019; USDOS 13.3.2019; SIGAR 18.1.2018).

Bacha Bazi

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird (AA 2.9.2019). Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden (UNAMA 24.2.2019). In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden (AA 2.9.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019). Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt (AA 2.9.2019). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (HRC 21.2.2018; vgl. MoJ 15.5.2017). Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 2.9.2019).

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt (SBS 20.12.2016; vgl. AA 9 .2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 2.9.2019). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Buben, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017).

Rekrutierung Minderjähriger

Das Problem der Rekrutierung von Kindern durch regierungsfeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort (AA 2.9.2019). Die UNO verifizierte im Jahr 2018 die Rekrutierung und den Einsatz von 45 Buben sowie einem Mädchen – einige von ihnen wurden bereits im Alter von 8 Jahren rekrutiert; sie sollten kämpfen, improvisierte Sprengkörper bauen, Selbstmordanschläge ausführen usw., wurden aber auch Opfer sexueller Ausbeutung. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 22 Buben getötet. 67% dieser Verstöße, gegen insgesamt 31 Kinder, wurden bewaffneten Gruppierungen zugeschrieben, wie z.B. der Teherik-e Taliban Pakistan, den Taliban, dem ISKP und einer weiteren nicht identifizierten bewaffnete Gruppe. 15 Kinder wurden von der ALP, der ANP und regierungsnahen Milizen rekrutiert und eingesetzt (UNGASC 20.6.2019).

In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst zu umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern – zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mittels Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Das Dekret ist am 2. Februar 2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Laut UNAMA wurden im ersten Halbjahr 2019 mindestens drei Jungen zwischen zwölf und 17 Jahren von afghanischen Sicherheitskräften und 23 Jungen von den Taliban rekrutiert (AA 2.9.2019). Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch die afghanischen Sicherheitskräfte ist deutlich zurückgegangen. Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zum besseren Schutz der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Kinder beinhaltet unter anderem auch Schutzeinheiten für Kinder in den afghanischen nationalen Polizeirekrutierungszentren, die inzwischen in allen 34 Provinzen existieren (UNGASC 20.6.2019).

Anmerkung: Informationen über die Strafverfolgung von Kindern finden sich in Kapitel 14. „Haftbedingungen“.

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•CSO – Central Statistics Organization (2016): Afghanistan Living Conditions Survey 2013-14, http://cso.gov.af/Content/files/ALCS/ALCS ENGLISH REPORT 2014.pdf , Zugriff: 31.10.2018

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•SBS – Special Broadcasting Service (20.12.2016): Bacha bazi: Afghan subculture of child sex slaves, http://www.sbs.com.au/news/article/2016/12/20/bacha-bazi-afghan-subculture-child-sex-slaves , Zugriff 11.9.2019

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•Ventevogel, Peter/Jordans, Mark J.D./Eggerman, Mark/van Mierlo, Bibiane/Panter-Brick, Catherine (2013): Child Mental Health, Psychosocial Well-Being and Resilience in Afghanistan: A Review and Future Directions. In: Fernando, Chandi/Ferrari, Michael (Hg.), Handbook of Resilience in Children of War, https://www.researchgate.net/publication/264557725_Child_Mental_Health_Psychosocial_Well-Being_and_Resilience_in_Afghanistan_A_Review_and_Future_Directions , Zugriff 25.4.2019

19.Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 13.3.2019; vgl. MPI 27.1.2004, FH 4.2.2019). Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 2.9.2019). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, FH 4.2.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 4.2.2019, USDOS 13.3.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (AA 2.9.2019).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu häufigerem Wohnortwechsel, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019).

Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 2.9.2019).

Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangharhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 2.9.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html , Zugriff 9.5.2019

•MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 9.5.2019

•USDOS – United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices for 2017, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html , Zugriff 9.5.2019

19.1.Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (BFA 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.6.2019): Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 19.6.2019

•EASO – European Asylum Support Office (2.2018): Afghanistan Networks https://www.ecoi.net/en/file/local/1433356/1226_1527147803_afghanistan-networks.pdf , Zugriff 10.5.2019 . 20.IDPs und Flüchtlinge

Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre (USDOS 13.3.2019). UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000-372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden (UNHCR 25.2.2019; vgl. IDMC 5.2019, USAID 14.2.2019, UNOCHA 28.1.2019). Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000-474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden (IDMC 5.2019). Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu (USAID 14.2.2019). Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen (UNOCHA 18.8.2019). Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar (UNOCHA 18.8.2019; vgl. AA 2.9.2019).

Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca. 2,598,000 Menschen (IDMC 5.2019).

Im Jahr 2018 kam es in 33 der 34 Provinzen zu konfliktbedingten Vertreibungen. Der Auslöser für Flucht war häufig Einschüchterung durch bewaffnete Akteure. Beispielsweise wurden im Zuge des Angriffes der Taliban auf die Stadt Ghazni im August 2018 rund 36.000 Menschen zu IDPs. Auch wurden zum Beispiele im November 2018 in Folge eines bewaffneten Konfliktes zwischen Hazara und Taliban 6.400 Menschen aus bis dahin sicheren Distrikten der Provinz Ghazni vertrieben (IMDC 5.2019).Diagramm: Zahl der ankommenden IDPs nach Provinz und Jahr (IOM/DTM 25.9.2018)

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 13.3.2019).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 2.9.2019).

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 13.3.2019).

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung (USDOS 13.3.2019). Mehr als 80% der Binnenvertriebenen benötigen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 13.3.2019).

Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen – inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran – ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert (USDOS 13.3.2019) sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert (WB 27.11.2018).

Dürre und Überschwemmungen

Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018 (IDMC 5.2019). Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.1.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (BFA 13.6.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt (UNOCHA 20.1.2018). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (BFA 13.6.2019).

Weiterführende Informationen zu Dürre und Überschwemmungen können Abschnitt 21. „Grundversorgung“ entnommen werden.

Flüchtlinge in Afghanistan

Afghanistan hat die UN-Konvention für Flüchtlinge unterzeichnet. Die afghanischen Gesetze enthalten keine Regelungen zur Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus, jedoch haben Flüchtlinge und Asylwerber Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Die staatliche Verwaltung erlaubt Flüchtlingen keine Umsiedlung oder Einbürgerung und leistet keine Unterstützung bei einer freiwilligen Rückkehr. Das Büro des UNHCR registriert und koordiniert den Schutz von ca. 500 Flüchtlingen in Städten (USDOS 13.3.2019; vgl. UNHCR 25.2.2019).

In Afghanistan leben ca. 75.000 pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Wasiristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind. Das vom UNHCR betriebene Flüchtlingslager Gulan beherbergt ca. 13.000 pakistanische Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge, die sich in den lokalen Gemeinschaften angesiedelt haben, erhalten Unterstützung von UNHCR (UNHCR 25.2.2019).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AJ – Al Jazeera (12.8.2018): Drought raises food security fears in Afghanistan, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/drought-raises-food-security-fears-afghanistan-180812063301371.html , Zugriff 24.9.2019

•BFA Staatendokumentation (13.6.2019): Afghanistan – Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner .

2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 2.7.2019

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•FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (23.11.2018): Afghanistan Drought Response, http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/emergencies/docs/CA2268EN.pdf , Zugriff 24.9.2019

•FEWS NET – Famine Early Warning Network (4.2019): Afghanistan Food Security Outlook Update, http://fews.net/sites/default/files/documents/reports/AFGHANISTAN_Food_Security_Outlook_Update_April 2019_Final_0.pdf , Zugriff 16.5.2019

•GN – Guardian, the (6.3.2019): 'Chilling reality': Afghanistan suffers worst floods in seven years, https://www.theguardian.com/global-development/2019/mar/06/chilling-reality-afghanistan-suffers-worst-floods-in-seven-years , Zugriff 16.5.2019

•IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (5.2019): Afghanistan Figure Analysis - Displacement related to conflict and violence, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008239/GRID 2019 - Conflict Figure Analysis - AFGHANISTAN.pdf , Zugriff 4.6.2019

•IOM/DTM – International Organization for Migration / Displacement Tracking Matrix (25.9.2018): Afghanistan — Baseline Mobility Assessment Summary Results (April — June 2018), https://displacement.iom.int/system/tdf/reports/Afghanistan-Baseline-Mobility-Assessment-Summary-Results-June-2018-English.pdf?file=1&type=node&id=4265 , Zugriff 3.6.2019

•UNHCR – Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (25.2.2019): Operational Fact Sheet Afghanistan 25 February 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/68200.pdf , Zugriff 3.6.2019

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•UNOCHA – United Nations Office on Coordination of Humanitarian Affairs (28.1.2019): Summary of conflict induced displacements (1 Jan to 31 Dec 2018), https://data.humdata.org/dataset/8a6ea378-1813-4c3c-9d4c-b9d1adcefa8d/resource/0cfe97fb-7288-47cd-aa08-94450a437176/download/afghanistan_conflict_displacements_2018.xlsx , Zugriff 3.9.2019

•UNOCHA – United Nations Office on Coordination of Humanitarian Affairs (20.10.2018): Humanitarian Bulletin Afghanistan, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/20181019draft_ocha_afghanistan_monthly_humanitarian_bulletin_july-september_2018_en_final.pdf , Zugriff 25.9.2019

•USAID – U.S. Agency for International Development (14.2.2019): Afghanistan – Complex Emergency Fact Sheet #1, Fiscal Year (FY) 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458254/1788_1551189406_1402.pdf , Zugriff 3.6.2019

•USAID – U.S. Agency for International Development (30.4.2018): Afghanistan – Complex Emergency https://www.ecoi.net/en/file/local/1433122/1788_1526997854_3004.pdf , Zugriff 3.6.2019

•USDOS – U.S. Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices of 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 3.6.2019

•WB – World Bank, the (27.11.2018): International Development Association Project Appraisal Document on a Proposed Grant in the Amount of SDR 108.6 Million (US$ 150 Million Equivalent) and a Proposed Grant from the Afghanistan Reconstruction Trust Fund in the Amount of US$ 50 Million to the Islamic Republic of Afghanistan for an Afghanistan: Eshteghal Zaiee - Karmondena (EZ-KAR) Project, . https://www.globalcrrf.org/wp-content/uploads/2019/01/Project-Appraisal-Document-PAD-from-the-World-Bank.pdf , Zugriff 12.7.2019

•WHO – World Health Organization (3.2019): Situation report March 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/COPub_AFG_Situation_rep_Mar_2019_EN.pdf , Zugriff 16.5.2019

21.Grundversorgung

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o.D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

Arbeitsmarkt

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos – Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht . werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif

Kabul

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 8.6.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.4.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 8.6.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.4.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.4.2017).

Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent). Im Gegensatz dazu zeigt die Provinz Ghor ist der traditionelle Agrarsektor hier bei weitem der größte Arbeitgeber, des weiteren, existieren hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen (CSO 8.6.2019). . Herat

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“. Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (FEWS NET 8.2019).

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (GN 6.3.2019).

Armut und Lebensmittelsicherheit

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 11.4.2019), wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018).

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Gegenüber früheren Erhebungen ist der Anteil an armen Menschen in Afghanistan somit gestiegen (2007-08: 33,7%, 2011-12: 38,3%). Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%) (CSO 2018). Es bestehen regionale Unterschiede: In den Provinzen Badghis, Nuristan, Kundus, Zabul, Helmand, Samangan, Uruzgan und Ghor betrug der Anteil an Menschen unter der Armutsgrenze gemäß offizieller Statistik 70% oder mehr, während er in einer Provinz – Kabul – unter 20% lag (NSIA 2019). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul-

Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Damit ist der Anteil an armen Menschen in den beiden urbanen Zentren zwar geringer als in den ländlichen Distrikten der jeweiligen Provinzen, jedoch ist ihre Anzahl aufgrund der Bevölkerungsdichte der Städte dennoch vergleichsweise hoch. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (WB/NSIA 9.2018).

2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (AF 2018).

Bank- und Finanzwesen

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), 2 Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital für das Bankkonto. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv: unter anderem die Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, oder The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank (IOM 2018).

Hawala-System

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (WKO 2.2017; vgl. WB 2003; FA 7.9.2016).

Das System funktioniert folgendermaßen: Person A übergibt ihrem Hawaladar (X) das Geld, z.B. 10.000 Euro und nennt ihm ein Passwort. Daraufhin teilt die Person A der Person B, die das Geld bekommen soll, das Passwort mit. Der Hawaladar (X) teilt das Passwort ebenfalls seinem Empfänger-Hawaladar (M) mit. Jetzt kann die Person B einfach zu ihrem Hawaladar (M) gehen. Wenn sie ihm das Passwort nennt, bekommt sie das Geld, z.B. in Afghani, ausbezahlt (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

So ist es möglich, auch größere Geldsummen sicher und schnell zu überweisen. Um etwa eine Summe von Peshawar, Dubai oder London nach Kabul zu überweisen, benötigt man sechs bis zwölf Stunden. Sind Sender und Empfänger bei ihren Hawaladaren anwesend, kann die Transaktion binnen Minuten abgewickelt werden. Kosten dafür belaufen sich auf ca. 1-2%, hängen aber sehr stark vom Verhandlungsgeschick, den Währungen, der Transaktionssumme, der Vertrauensposition zwischen Kunde und Hawaladar und nicht zuletzt von der Sicherheitssituation in Kabul ab. Die meisten Transaktionen gehen in Afghanistan von der Hauptstadt Kabul aus, weil es dort auch am meisten Hawaladare gibt. Hawaladare bieten aber nicht nur Überweisungen an, sondern eine ganze Auswahl an finanziellen und nicht-finanziellen Leistungen in lokalen, regionalen und internationalen Märkten. Beispiele für das finanzielle Angebot sind Geldwechsel, Spendentransfer, Mikro-Kredite, Tradefinance oder die Möglichkeit, Geld anzusparen. Als nichtmonetäre Leistungen können Hawaladare Fax- oder Telefondienste oder eine Internetverbindung anbieten (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

Quellen:

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•ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (7.12.2018): Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001546/Afghanistan_Versorgungslage und Sicherheitslage_2010 bis 2018.pdf , Zugriff 5.4.2019

•AF – Asia Foundation, The (2018): A Survey of the Afghan People, https://asiafoundation.org/wp-content/uploads/2018/12/2018_Afghan-Survey_fullReport-12.4.18.pdf , Zugriff 24.4.2019

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•BFA Staatendokumentation (13.6.2019): Afghanistan – Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 2.7.2019

•BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf , Zugriff 16.5.2019

•CSO – Central Statistics Organization (2018): Afghanistan Living Conditions Survey 2016-17, https://washdata.org/sites/default/files/documents/reports/2018-07/Afghanistan ALCS 2016-17 Analysis report.pdf , Zugriff 13.5.2019

•CSO – Central Statistics Organization (8.6.2017): Economically Active Population, Provinces of Kabul, Bamiyan, Daykundi, Ghor, Kapisa and Parwan, https://afghanistan.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/UNFPA SDES Mono Labour 28 May for web.pdf , Zugriff 24.9.2019

•EASO – European Asylum Support Office (4.2019): Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, https:// www.ecoi.net/en/file/local/2005343/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf , Zugriff 2.4.2019

•FA – Foreign Affairs (7.9.2016): Dirty Money in Afghanistan, https://www.foreignaffairs.com/articles/afghanistan/2016-09-07/dirty-money-afghanistan , Zugriff 25.9.2019

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•FEWS-NET – Famine Early Warning Systems Network (5.2017): Overview of the Integrated Phase Classification (IPC), http://fews.net/sites/default/files/IPC Overview_May_2017_final.pdf , Zugriff: 09.11.2018

•GOIRA – Government of the Islamic Republic of Afghanistan (2015): State of Afghan Cities 2015, Volume One, http://unhabitat.org/books/soac2015/ , Zugriff 24.9.2019

•GN – Guardian, the (6.3.2019): 'Chilling reality': Afghanistan suffers worst floods in seven years, https://www.theguardian.com/global-development/2019/mar/06/chilling-reality-afghanistan-suffers-worst-floods-in-seven-years , Zugriff 16.5.2019

•Haider, Mohammad H./Kumar, Sumit (2018): Poverty in Afghanistan. Basingstoke: Palgrave Macmillan, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

•ILO – International Labour Organization (2.4.2018): Afghanistan, Employment and Environmental Sustainability Fact Sheets 2017, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/documents/publication/wcms_625888.pdf , Zugriff 24.9.2019

•ILO – International Labour Organization (5.2012): Afghanistan: Time to move to Sustainable Jobs, Study on the State of Employment in Afghanistan, https://www.refworld.org/pdfid/5124c39f2.pdf , Zugriff 11.4.2019

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•PAJ – Pajhwok Afghan News (5.4.2012): Qaraqul skin exports rise, https://www.pajhwok.com/en/2012/04/05/qaraqul-skin-exports-rise , Zugriff 24.9.2019

•USAID – United States Agency International Development (11.4.2019): Afghanistan – Complex Emergency Fact Sheet #2, Fiscal Year (FY) 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007195/afghanistan_ce_fs02_04-11-2019.pdf , Zugriff 30.4.2019

•USIP – United States Institute of Peace (10.4.2017): Kabul and the Challenge of Dwindling Foreign Aid, https://www.usip.org/sites/default/files/2017-04/pw126_kabul-and-the-challenge-of-dwindling-foreign-aid.pdf , Zugriff 24.9.2019

•USIP – United States Institute of Peace (2.4.2015): Political and Economic Dynamics of Herat, https://www.usip.org/sites/default/files/PW107-Political-and-Economic-Dynamics-of-Herat.pdf , Zugriff 24.9.2019

•WB – Weltbank (7.2019): Building Confidence Amid Uncertainty, Afghanistan Development Update July 2019, http://documents.worldbank.org/curated/en/546581556051841507/pdf/Building-Confidence-Amid-Uncertainty.pdf , Zugriff 16.9.2019

•WB – World Bank/NSIA – National Statistics and Information Authority of Afghanistan (9.2018): Mapping Poverty in Afghanistan: Technical Report, http://documents.worldbank.org/curated/en/742981557407427684/pdf/Mapping-Poverty-in-Afghanistan-Technical-Report.pdf , Zugriff 24.9.2019

•WB – Weltbank (8.2018): Afghanistan Development Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/985851533222840038/pdf/129163-REVISED-AFG-Development-Update-Aug-2018-FINAL.pdf , Zugriff 15.5.2019

•WB – Weltbank (2003): The Money Exchange Dealersof Kabul, http://documents.worldbank.org/curated/en/335241467990983523/pdf/269720PAPER0Money0exchange0dealers.pdf , Zugriff 25.9.2019

•WB – Weltbank (o.D.): Country Profile Afghanistan, https://databank.worldbank.org/data/views/reports/reportwidget.aspx?Report_Name=CountryProfile&Id=b450fd57&tbar=y&dd=y&inf=n&zm=n&country=AFG , Zugriff 15.5.2019

•WHO – World Health Organization (3.2019): Situation report March 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/COPub_AFG_Situation_rep_Mar_2019_EN.pdf , Zugriff 16.5.2019

•WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2.2017): Länderreport Afghanistan, per E-Mail erhalten

 

21.1.Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen

Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke – und nicht der Staat – von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (BFA 1.2018).

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.5.2019). Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht (SEM 20.6.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).

Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der/die zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen/ihren Familienmitgliedern geerbt werden (BFA 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 6.7.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (BFA 4.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder . Sozialbeihilfen kommt (ILO 5.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017).

Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018).

Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (BFA 13.6.2019).

Unterstützungsprogramm – das Citizens’ Charter Afghanistan Project (CCAP)

Im Rahmen des zehn Jahre andauernden „Citizens’ Charter National Priority Program“ (TN 18.1.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens’ Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in dem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.).

Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger/innen mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen – Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen – besser integriert werden (WB 10.10.2016). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghan/innen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017).

Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Gesundheitssystem Afghanistans befinden sich im Kapitel 22. Medizinische Versorgung.

Quellen:

•ARTF – Afghanistan Reconstruction Trust Fund, The (o.D.): Active Portfolio Investment Projects, http://www.artf.af/portfolio/active-portfolio-investment-projects/rural-development/citizens-charter-afghanistan-project , Zugriff 5.2.2018

•BAMF/IOM – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Internationale Organisation für Migration (2018): Länderinformationsblatt Afghanistan, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_Afghanistan_DE.pdf , Zugriff 11.4.2019

•BDA – Belgian Desk on Accessibility (18.12.2018): Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Afghanistan, https://www.medcoi.eu/Source/DownloadAttachment/14495?RepositoryId=19487 , Zugriff 17.5.2019

•BFA Staatendokumentation (13.6.2019): Afghanistan – Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 2.7.2019

•BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf , Zugriff 16.5.2019

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22.Medizinische Versorgung

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 . gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen – auch bei kleineren Eingriffen – ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „Out-of-pocket“-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).

Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab – mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).

Zugangsbedingungen für Frauen

Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Lag die Müttersterblichkeit laut Weltbank 1990 bei 64,7 Todesfällen auf 1.000 Geburten, belief sie sich im Jahr 2017 auf 29,4 Todesfälle pro 1.000 Geburten. Es gibt allerdings Berichte von einer deutlich höheren Dunkelziffer (AA 2.9.2019). Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen immer noch kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan auch weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 2.9.2019). Dies kann insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass Geburten zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal stattfinden und auch die Nachversorgung nach Geburten zugenommen hat. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (CSO 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 2.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 2.12.2014; vgl. UNOCHA 11.2018, BFA 13.6.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 11.2018).

Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018).

Medizinische Versorgung in der Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif

Kabul:

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden (WB 30.9.2018).

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (WHO 4.2018).

Herat:

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten . aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

Mazar-e Sharif:

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

•Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (KUMS o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salan Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•Ataturk Kinderkrankenhaus: Behild Aliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.a, MoPH 11.2012)

•Indira Ghandi Children Hospital: Wazir Akbar Khan, Kabul. Tel.: 020-230-2281 (IOM 2018; AT 17.9.2015)

•Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

•Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.: +93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

•Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

•Karte Sae Mental Hospital: Karte sae Serahi Allaudding, PD-6, Tel.: +93 799 3 190 858 (IOM 2018; IOM 2019)

•Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.: +93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

•Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

•Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2100439 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

•Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: +93 (0)78 820 0419 (MoPH 11.2012; vgl. TN 1.6.2017)

•Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. PAJ 3.8.2017)

•Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

•Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5 th Phase, Qragha Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018)

•Sayed Jamaluding Psychiatric Hospital, Khoshal Mina section 1, Tel.: 93 799 128,737 (IOM 2018; vgl. IOM 2019)

•Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road, Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

•Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

•DK – German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

•French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o.D.)

•Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

•Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

Anmerkung: Zur medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen s. auch Kapitel 22.1 Psychische Erkrankungen.

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22.1.Psychische Erkrankungen

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden – genauso wie Kranke und Alte – gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA 4.2018). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen – insbesondere Kriegstraumata – findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 2.9.2019). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (BFA 4.2018). In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung (AA 2.9.2019).

Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können (BDA 18.12.2018).

Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (AA 2.9.2019). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019).

Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan (BFA 4.2018).

In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten:

Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae mental hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäusern in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.4.2019). In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (BFA 4.2018).

Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50% der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen (AA 2.9.2019).

Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychisch Erkrankte sind oftmals einer gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt (BDA 18.12.2018).

Anmerkung: Weiterführende Informationen können unter anderem dem FFM Bericht Afghanistan 4.2018 und der Analyse Herat 13.6.2019 entnommen werden.

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AA – Auswärtiges Amt (31.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf , Zugriff 14.5.2019

•BDA – Belgian Desk on Accessibility (18.12.2018): Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Afghanistan, https://www.medcoi.eu/Source/DownloadAttachment/14495?RepositoryId=19487 , Zugriff 17.5.2019

•BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf , Zugriff 16.5.2019

•IOM – International Organization for Migration (26.4.2019): Medizinische Versorgung, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698612/20272085/Herat_-_Medizinische_Versorgung,_Schizophrenie,_26.04.2019.pdf?nodeid=20271655&vernum=-2 , Zugriff 16.9.2019

•IOM – International Organization for Migration (24.4.2019): IOM-Kabul, Antwortschreiben per Mail

 

22.2.Epilepsie

Epilepsie wird in Afghanistan als psychische Erkrankung bzw. Beeinträchtigung erachtet und die Behandlung von Epilepsie ist Teil des Basic Package of Health Services (BPHS) (MedCOI 5.6.2018). Eine stationäre Behandlung von Epilepsie ist beispielsweise durch einen Neurologen in einem öffentlichen Krankenhaus in Kabul möglich, ambulante Behandlungen werden von einer privaten Einrichtung angeboten. Eine neurochirurgische Behandlung von Epilepsie ist im kürzlich eröffneten Sheikh Zayed Neurosurgical Hospital, einer staatlichen Einrichtung, möglich (MedCOI 23.3.2018). Ein Epilepsie-Spezialist im Regionalkrankenhaus von Herat ist verfügbar; wenngleich eine Behandlung in einer auf Epilepsie spezialisierten Klinik in Herat nicht möglich ist (MedCOI 20.4.2018). Die NGO Save the Children berichtete in einer Erhebung der Lebenssituation von Rückkehrern von einem Fall, bei dem eine Epilepsiepatientin in Kabul zwei Monate auf eine medizinische Behandlung warten musste (STC 2018).

Quellen:

•MedCOI (20.4.2018): BDA-6811, Anfragebeantwortung liegt in der Staatendokumentation auf

•MedCOI (20.4.2018): BMA-11019, Anfragebeantwortung liegt in der Staatendokumentation auf

•MedCOI (23.3.2018): BMA-10867, Anfragebeantwortung liegt in der Staatendokumentation auf

•STC – Save the Children (2018): From Europe to Afghanistan – Experiences of Child Returnees, https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Berichte_Studien/2018/Report_Afghanistan_original_20181000.pdf , Zugriff 21.5.2019

23.Rückkehr

Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in den Jahren 2012-2018 ca. 3,2 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Jahr 2016 hat sich die Zahl der Rückkehrer jedes Jahr deutlich verringert, jedoch hat sich die Zahl der Rückkehrer aus Europa leicht erhöht 15% aller Rückkehrer siedeln in die Provinz Nangarhar (IOM 15.3.2019).

Je nach Organisation variieren die Angaben zur Zahl der Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen (MoRR o.D:): Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (AA 2.9.2019) bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan (IOM 15.3.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019). Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

. Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in . Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 6.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; . vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes, und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014).

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 2.7.2019).

Anmerkung: Ausführlichere Informationen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden.

Unterstützung durch IOM

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (BFA 13.6.2019; vgl. BFA 4.2018). Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden (BFA 13.6.2019).

So ist beispielsweise die Provinz Herat hauptsächlich von der Rückkehr von Afghanen aus dem Iran betroffen. Landesweit ist die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan höher, als die der Rückkehrer aus Europa. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren (BFA 13.6.2019). Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa . die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (IOM 30.1.2019).

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (BFA 13.6.2019). 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz (IOM 30.1.2019). Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (BFA 13.62019).

IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro (BAMF 20.5.2019; vgl. IOM 23.9.2019) sowie Informationen, etwa über Hotels (BAMF 20.5.2019). Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden (IOM 23.9.2019). Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (BAMF 20.5.2019).

Freiwillige Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer bewilligt wurde (IOM 23.9.2019).

In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (IOM o.D.).

Wohnungen

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2018).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).

Anmerkung: Weitere Informationen zur Unterstützung von Rückkehrern durch IOM können der Analyse Herat 2019 und dem FFM Bericht Afghanistan 2018 entnommen werden.

Afghanische Flüchtlinge in Pakistan

Laut aktuellen Zahlen des UNHCR beherbergt Pakistan knapp unter 1,4 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge. Hinzu kommen ca. 850.000 Personen mit beantragter Afghan Citizen Card (ACC, hauptsächlich in den Grenzgebieten) und ca. 300.000-550.000 illegal im Land aufhältige Personen (hauptsächlich in Karatschi) (ÖB 10.2018; vgl. UNHCR 10.2018).

IOM stellt für vulnerable Rückkehrer humanitäre Hilfeleistungen an den beiden Grenzübergängen Spin Boldak/Chaman und Torkham in Transit Centres zur Verfügung (IOM 20.6.2017, IOM 23.5.2017).

Anmerkung: Mehr Informationen zu Afghanischen Flüchtlingen in Pakistan siehe Länderinformationsblatt Pakistan, Abschnitt 20.2.

Afghanische Flüchtlinge im Iran

In den letzten zwei bis drei Jahren bewegten sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zu. Eine zwischenzeitliche Verbesserung der .

Situation für Afghanen bedeutet wegen begrenzter Mittel eine große Herausforderung für die iranischen Behörden (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).

Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. AA 11 .2018). In der Realität erfolgen viele Rückkehren unter Zwang (AA 11 .2018).

Im Zeitraum 1.1.-30.11.2018 sind mehr als 700.000 Afghanen vor dem Hintergrund einer angespannten Wirtschaftslage aus dem Iran zurückgekehrt (REU 5.12.2018). Im Juni 2019 wurde berichtet, dass der Iran infolge der US-Sanktionen in den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 100.000 Afghanen abgeschoben habe und weitere 85.000 freiwillig zurückgekehrt seien (MEMO 10.6.2019).

Anmerkung:

Ausführliche Informationen zu Rückkehr können auch der Analyse der Staatendokumentation vom 13.6.2019 entnommen werden (Abschnitt 7, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf ).

Weiterführende Informationen über die Lage afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem Länderinformationsblatt Iran, Abschnitt 19. sowie dem von der Staatendokumentation des BFA übersetzten, untenstehend zitierten, Migrationsverket-Bericht über Afghanen im Iran entnommen werden.

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AA – Auswärtiges Amt (11.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 27.9.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (31.1.2018): Still Caught in Regional Tensions? The uncertain destiny of Afghan refugees in Pakistan, https://www.afghanistan-analysts.org/still-caught-in-regional-tensions-the-uncertain-destiny-of-afghan-refugees-in-pakistan/ , Zugriff 28.5.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (19.5.2017): Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, https://www.afghanistan-analysts.org/voluntary-and-forced-returns-to-afghanistan-in-201617-trends-statistics-and-experiences/ , Zugriff 19.7.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (29.3.2016): Afghanistan’s Returning Refugees: Why are so many still landless?, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistans-returning-refugees-why-are-so-many-still-landless/ , Zugriff 27.9.2019

•Asylos (8.2017): Afghanistan: Situation of young male 'Westernised' returnees to Kabul, https://www.asylos.eu/Handlers/Download.ashx?IDMF=687d4df7-bf78-4000-8acc-3f2c07c750ef , Zugriff 24.5.2019

•BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Bundesrepublik Deutschland (20.5.2019): Briefing Notes 20. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010479/briefingnotes-kw21-2019.pdf , Zugriff 27.9.2019

•BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf , Zugriff 24.5.2019

• LI – Landinfo (29.6.2017): Rekrutierung durch die Taliban (Afghanistan: Rekruttering til Taliban); Arbeitsübersetzung BFA, https://www.ecoi.net/en/file/local/1416499/5618_1509111275_afgh-landinfo-bericht-taliban-zwangsrekrutierung-2017-06-29-ke.PDF , Zugriff 28.8.2019

•IDMC – Internal Displacement Monitoring Centre/NRC Norwegian Refugee Council (2.2014): Still at Risk, https://www.nrc.no/globalassets/pdf/reports/still-at-risk---afghanistan.pdf , Zugriff 27.9.2019

•IOM - International Organization for Migration (23.9.2019): Information per E-Mail, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

•IOM – International Organization for Migration (15.3.2019): Afghanistan — Baseline Mobility Assessment Summary Results (October—December 2018), https://displacement.iom.int/reports/afghanistan-—-baseline-mobility-assessment-summary-results-october—december-2018 , Zugriff 24.5.2019

•IOM - International Organization for Migration (30.1.2019): IOM Afghanistan – Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Annual Report 2018, https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/avrr_statistical_report_jan-dec_2018.pdf , Zugriff 28.5.2019

•IOM – International Organization for Migration (2018): Läünderinformationsblatt Afghanistan 2018, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698612/18363835/Afghanistan_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20100935&vernum=-2 , Zugriff 16.9.2019

•IOM - International Organization for Migration (20.6.2017): Australia Announces New Funding for Undocumented Afghan Returnees on World Refugee Day, https://www.iom.int/news/australia-announces-new-funding-undocumented-afghan-returnees-world-refugee-day , Zugriff 24.5.2019

•IOM - International Organization for Migration (23.5.2017): Expansion of IOM Transit Center on Pakistan Border Increases Aid for Afghan Returnees, https://www.iom.int/news/expansion-iom-transit-center-pakistan-border-increases-aid-afghan-returnees , Zugriff 24.5.2019

•IOM – International Organization for Migration (o.D.): RESTART II – Reintegrationsunterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran, https://austria.iom.int/de/restart-ii , Zugriff 28.5.2019

•IRARA – International Returns and Reintegration Assistance (9.5.2019): ERRIN Program, https://www.irara.org/erin-sa/ , Zugriff 28.5.2019

•Kandiwal, Wali Mohammad (9.2018): Homeland, but no land for Home - A Case Study of Refugees in Towns - Jalalabad, Nangarhar Province, Afghanistan, https://reliefweb.int/sites/ reliefweb.int/files/resources/Tufts+RIT+Report+Jalalabad ,+Afghanistan.pdf , Zugriff 29.5.2019

•MEMO – Middle East Monitor (10.6.2019): Iran deports 100,000 Afghan refugees due to sanctions, https://www.middleeastmonitor.com/20190610-iran-deports-100000-afghan-refugees-due-to-sanctions/ , Zugriff 12.7.2019

•MMC – Mixed Migration Centre (1.2019): Distant Dreams - Understanding the aspirations of Afghan returnees, http://www.mixedmigration.org/wp-content/uploads/2019/02/061_Distant_Dreams.pdf , Zugriff 24.5.2019

•MoRR – Ministry of Refugees and Repatriations of the Islamic Republic of Afghanistan (o.D.): Statistics, http://www.morr.gov.af/index.php/en/statistics-0 , Zugriff 29.5.2019

. •ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad (10.2018): Asylländerbericht Pakistan [Arbeitsversion]

•REU - Reuters (5.12.2018): More than 700,000 Afghans leave Iran as economy slows, https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-iran-migrants/more-than-700000-afghans-leave-iran-as-economy-slows-idUSKBN1O4145 , Zugriff 12.7.2019

•UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (3.2015): The Stolen Lands of Afghanistan and its People, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_land_report_2_state_land_distribution_system_final_19march15_0.pdf , Zugriff 27.9.2019

•UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (10.2018): UNHCR’s Support Toward the Implementation of the Solutions Strategy for Afghan Refugees - Enhancing Resilience and Co-Existence through Greater Responsibility-Sharing, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/66534 , Zugriff 24.5.2019

•UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (6.2008): Land Allocation Scheme, https://www.unhcr.org/subsites/afghancrisis/48722db42/land-allocation-scheme.html , Zugriff 27.9.2019

•UNOCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.2018): 2019 Humanitarian Needs Overview – Afghanistan, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_2019_humanitarian_needs_overview.pdf , Zugriff 28.5.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 28.5.2019

•WB – World Bank/UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (20.9.2017): Afghanistan’s Forced Displacement, Legal & Policy Framework Assessment, http://documents.worldbank.org/curated/en/117261515563099980/pdf/122556-WP-AfghanistanForcedDisplacementLegalandPolicyFrameworKAssessmentF-PUBLIC.pdf , Zugriff 27.9.2019

24.Dokumente

Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden werden oft erst viele Jahre nachträglich, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor (AA 2.9.2019). Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden (ÖB 28.11.2018).

Des Weiteren kommen verfahrensangepasste Dokumente häufig vor. Im Visumverfahren werden teilweise gefälschte Einladungen oder Arbeitsbescheinigungen vorgelegt. Medienberichten zufolge sollen insbesondere seit den Parlamentswahlen 2018 zahlreiche gefälschte Tazkiras im Rahmen der Wählerregistrierung in Umlauf sein (AA 2.9.2019).

Die Beschaffung verschiedener Dokumente erfolgt dezentral auf Provinzebene und die Dokumentation weist in der Regel keine zuverlässigen Sicherheitsmerkmale auf (DFAT 18.9.2017). Personenstands- und weitere von Gerichten ausgestellte Urkunden werden zentral vom Afghan State Printing House (SUKUK) ausgestellt (ÖB 28.11.2018).

Auf Grundlage bestimmter Informationen können echte Dokumente ausgestellt werden. Dafür notwendige unterstützende Formen der Dokumentation wie etwa Schul-, Studien- oder Bankunterlagen können leicht gefälscht werden. Dieser Faktor stellt sich besonders problematisch dar, wenn es sich bei dem primären Dokument um eine Tazkira handelt, welches zur Erlangung anderer Formen der Identifizierung verwendet wird. Es besteht ein Risiko, dass echte, aber betrügerisch erworbene Tazkiras zur Erlangung von Reisepässen verwendet werden (DFAT 18.9.2017).

Die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland hat das Legalisationsverfahren von öffentlichen Urkunden aus Afghanistan wegen der fehlenden Urkundensicherheit eingestellt (DV 8.1.2019).

Tazkira

Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u.a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: . Tazkira] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Eine Tazkira wird benötigt, um sich als Wähler registrieren zu lassen. Erstmals in der Geschichte des Landes wurden für die Parlamentswahlen 2018 wahlberechtigte Bürger für ein bestimmtes Wahllokal registriert. Die Bestätigung der Registrierung als Wähler, die auf der Tazkira angebracht wird, beinhaltet Informationen zum Wohnort (Provinz und Distrikt) sowie zum Wahllokal. Kutschi sind nicht an ein fixes Wahllokal gebunden (AAN 27.5.2018).

Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 2.9.2019). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (RA KBL 9.5.2018).

In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Erst seit ca. 2014 gibt es die Möglichkeit, eine Birth Registration Card zu beantragen, in der ein konkretes Geburtsdatum und die Mutter eines Kindes genannt werden. Diese kann aber auch jederzeit nachträglich für Personen ausgestellt werden, die vor 2014 geboren wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ausstellung daher ohne weitere Prüfung vorgenommen wird (AA 2.9.2019).

Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch dem jeweiligen Geburtsort in Afghanistan, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden (AA 2.9.2019). Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 2.9.2019; vgl. AFB BER 22.10.2018), wobei ein Vertreter des Antragstellers die Tazkira in Kabul entgegennehmen und beglaubigen lassen muss, um sie dann an den Antragsteller ins Ausland zu schicken (AFB BER 22.10.2018).

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von „Alter im Jahr der Beantragung“, z. B. „17 Jahre im Jahr 20xx“ erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in Afghanistan sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Es gibt keine einheitlichen Druckverfahren oder Sicherheitsmerkmale für die Tazkiras in A4- Format. Im Februar 2018 wurde die e-Tazkira (elektronischer Personalausweis) mit der symbolischen Beantragung u.a. durch Präsident Ghani gestartet (AAN 22.2.2018). Seit 3. Mai 2018 werden e-Tazkiras (auch electronic Tazkira) in Form einer Chipkarte ausgestellt, die Einführung läuft jedoch nur sehr schleppend (AA 2.9.2019).

Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung . ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 2.9.2019). Einige afghanische Bürger, insbesondere Frauen im ländlichen Raum, besitzen keine Tazkira (AAN 27.5.2018).

Quellen:

•AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (27.5.2018): The Afghanistan Election Conundrum (8): Controversies over voter registration, https://www.afghanistan-analysts.org/the-afghanistan-election-conundrum-8-controversies-over-voter-registration/ , Zugriff 10.5.2019

•AAN – Afghanistan Analysts Network (22.2.2018): The E-Tazkera Rift: Yet another political crisis looming?, https://www.afghanistan-analysts.org/the-e-tazkera-rift-yet-another-political-crisis-looming/ , Zugriff 10.5.2019

•AFB BER – Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan in Berlin (22.10.2018): Verbalnote VN-82, https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/Aktuelles/Afgh.Botschaft_zu-Passfragen-und-Tskira_20181022.pdf , Zugriff 10.5.2019

•DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade (18.9.2017): DFAT Country Information Report Afghanistan, https://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-afghanistan.pdf , Zugriff 3.6.2019

•DV – Deutsche Vertretungen in Afghanistan (8.1.2019): Afghanische Urkunden/ Urkundenüberprüfung, https://afghanistan.diplo.de/af-de/service/-/1898412 , Zugriff 3.6.2019

•NLB/NA – National Legislative Bodies / National Authorities (2014): Afghanistan: Law of 2014 on Registration of Population Records, http://www.refworld.org/docid/544a4c434.html , Zugriff 10.5.2019

•ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad (28.11.2018): Auskunft per E-Mail.

•RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (9.5.2018): Auskunft per E-Mail.

 

Lt. Dem LIFOS Bericht zu Afghanen im Iran vom 10.04.2018 liegt der Fokus der iranischen Behörden darauf, den Aufenthalt von Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, nicht auf Deportation.

Viele der unregistrierten Afghanen leben seit Jahrzehnten im Iran und werden als Arbeitskraft in der wachsenden Wirtschaft gebraucht. (Bericht, Seite 21)

 

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA - 54 - 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschul.

tem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Ein.

kommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. - 55 -

 

Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, - 56 - welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

•AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821 , Zugriff 23.4.2020

•ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479 , Zugriff 9.4.2020

•DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173 , Zugriff 23.4.2020 .

•IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.3.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

•IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

•IOM – International Organization for Migration (11.5.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_afghanistan-return_of_undocumented_afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf , Zugriff 13.5.2020

•NYT – New York Times (22.4.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?searchResultPosition=3 , Zugriff 24.4.2020

•NZZ – Neue Züricher Zeitung (7.4.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115 , Zugriff 9.4.2020

•TG – The Guardian (1.4.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears , Zugriff 2.4.2020

•TG – The Guardian (1.4.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran , Zugriff 2.4.2020

•TN – Tolonews (9.4.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484 , Zugriff 9.4.2020

•TN – Tolonews (9.4.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked , Zugriff 9.4.2020

•TN – Tolonews (8.4.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph , Zugriff 9.4.2020

•TN – Tolonews (8.4.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex’s-activities-suspended-health-ministry , Zugriff 9.4.2020 - 57 - •TN – Tolonews (7.4.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367 , Zugriff 8.4.2020

•TN – Tolonews (7.4.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials , Zugriff 8.4.2020

•TN – Tolonews (7.4.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat , Zugriff 8.4.2020

•UD – Undark (2.4.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/ , Zugriff 8.4.2020

•WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html , Zugriff 24.4.2020

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Zum Verfahrensgang:

 

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

3.2. Zur Person der Beschwerdeführer:

 

Die Identität der Beschwerdeführer 1, 3, 4 und 5 konnte in Ermangelung der Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht festgestellt werden.

Die Identität des BF2 steht aufgrund der Vorlage eines seitens des BFA für unbedenklich befundenen afghanischen Reisepasses fest. Die Angaben, wonach er den Großteil seines bisherigen Lebens inm Iran verbracht hat, sind glaubwürdig.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der BF 3-5, welche bereits durch das BFA erfolgte und Herkunft der Beschwerdeführer ergeben sich aus den hg. länderkundlichen Feststellungen, wonach ein Kind in der Regel nicht die iranische Staatsangehörigkeit der Mutter erwirbt, sowie aus den glaubwürdigen Angaben der BF1 und BF2 in der mündlichen Verhandlung am 29.06.2020.

 

Die illegale Einreise in das österreichische Bundesgebiet und des Datums ihrer Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt.

 

Die festgestellte Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus den hg. erstellten aktuellen Strafregisterauszügen.

 

Zu Beschwerdeführerin 1:

Die Feststellung zu den Familienverhältnissen der BF1 zu den BF 2-3 ergibt sich aus den vorgelegten Dokumenten, namentlich den Geburtsbestätigungen der Kinder bzw. der Geburtsurkunde der BF5. Die Feststellung, dass die BF1 und der BF2 traditionell verheiratet sind, resultiert aus der vorgelegten Bestätigung.

Die Feststellungen zu ihrem bisherigen Leben und die familiären Anknüpfungspunkte in Iran resultieren aus den Angaben der BF1 im Verfahren.

Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF1 ergeben sich aus deren Angaben in der hg. Verhandlung.

 

Zum Beschwerdeführer 2:

Die festgestellte traditionelle Eheschließung mit der BF1 resultiert aus der diesbezüglich vorgelegten Bestätigung. Das Familienverhältnis zu den drei minderjährigen Kindern (BF3-5) ergibt sich aus den Geburtsbestätigungen und der Geburtsurkunde der BF5. Dass der BF2 gesund ist, ergibt sich aus dessen Angaben in der hg. Verhandlung.

 

Zum Beschwerdeführer 3:

Das Familienverhältnis zu den BF1-2 ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden. Für den BF3 wurden dem Gericht die Schulzeugnisse der Volksschule XXXX vorgelegt. Aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten ergotherapeutischen Abschlussbericht vom XXXX in Verbindung mit dem med. Befundbericht sowie der ärztlichen Bestätigung des Krankenhauses der XXXX XXXX vom 19.02.2020 in Verbindung mit der Bestätigung der Volksschule XXXX vom XXXX ergibt sich der festgestellte Gesundheitszustand des BF3 sowie die festgestellten Verlustängste.

 

Zu den Beschwerdeführerinnen 4 und 5:

Das Familienverhältnis zu den BF1-2 ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden.

Der festgestellte Gesundheitszustand ergibt sich aus den Angaben der gesetzlichen Vertreter in der hg. Verhandlung. Die festgestellten Verlustängste hinsichtlich der BF4 ergeben sich aus dem Schreiben der Leiterin der Volksschule XXXX vom XXXX .

 

3.3. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH, 25.03.1999, 98/20/0559).

Seitens des Höchstgerichtes wurde auch in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH, 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357).

 

Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass für die Glaubhaftmachung der Angaben des Fremden es erforderlich ist, dass er die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, 95/21/0294, 95/18/1291) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, 93/18/0289), wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 23.01.1997, 95/20/0303,0304).

 

Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern.

 

Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988, 86/01/0268).

Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation des Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

 

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (VwGH v. 29.06.2000, 2000/01/0093).

 

Ferner ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG (Anm.: bzw. nach dessen Nachfolgerbestimmung § 3 AsylG) bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen die Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts (1991), 137 f, s. a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck, AsylG 1997, RZ 314, 524).

 

Kriterien der Glaubhaftmachung finden sich exemplarisch auch in Art. 4 Abs. 5 der StatusRL (Richtlinie 2004/83/EG ), worin folgende Faktoren angeführt werden:

 

- dass der Antragsteller sich offensichtlich bemüht hat, seinen Antrag zu substantiieren;

- dass alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

- dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

- dass der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war.

- dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

 

3.4.1. Zu den geltend gemachten Ausreisegründen der BF1 und deren Konversion:

 

3.4.1.1. Zu den Ausreisegründen:

 

Die BF1 wurde im Rahmen ihres Asylverfahrens darauf hingewiesen, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen. Die Beschwerdeführerin wurde zudem aufgefordert, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken und wurde darauf aufmerksam gemacht, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben.

 

Die erkennende Richterin teilt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der sie sich einen persönlichen Eindruck von der BF1 verschaffen konnte, die Auffassung der belangten Behörde, wonach das Vorbringen der BF1, in seiner Gesamtheit als unglaubwürdig anzusehen ist, und zwar aus folgenden Gründen:

 

Aus dem vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten ergänzenden Ermittlungsverfahren ergibt sich, dass die Aussagen der BF1 hinsichtlich der Gründe für die Konflikte mit dem Schwiegervater markant widersprüchlich sind.

 

Die BF gab an, während der Schwangerschaft krank geworden zu sein und habe ihr Schwiegervater veranlasst, dass sie eine Abtreibungsspritze von der Cousine ihres Mannes erhalte.

Dass die BF die ursprünglich in der Apotheke gekaufte vom ärztlich verschriebene fiebersenkende Spritze nicht von einem Arzt erhalten hat, ist nicht plausibel, schilderte diese die betreffenden Vorkommnisse dahingehend, dass ihr Mann und sie nach einem Arztbesuch das betreffende zu injizierende Mittel von der Apotheke geholt hätten, während der Fahrt hätte es ein Telefonat mit dem Schwiegervater gegeben und habe dieser gesagt, dass die Cousine des BF2, welche beim Roten Kreuz arbeite, auch die Spritze verabreichen könne.

Die BF konnte diesbezüglich jedoch nicht nachvollziehbar ausführen, warum sie die Spritze nicht von ihrem Arzt verabreichen ließ – dies insbesonders auch im Hinblick auf das behauptete äußerst schlechte Verhältnis zum Schwiegervater. Ebensowenig konnte die BF1 einen Austausch der Spritzen glaubwürdig darlegen, sondern wirkt das diesbezügliche Vorbringen der BF konstruiert und nicht plausibel. Ebensowenig ist nachvollziehbar, dass die betreffende Cousine Zugang zu einer Injektion haben sollte, die eine Schwangerschaftsunterbrechung verursachen kann und über eine solche Injektion unverzüglich verfügen und der BF verabreichen kann.

 

Das diesbezügliche eigeninitiative Vorbringen der BF ist überdies vage und unsubstantiiert und beschränkte sich in der hg. Verhandlung auf wenige Sätze.

 

Illustrativ sei dazuz auf folgende Passage in der hg. Verhandlungsschrift verwiesen (VHS 10,11):

VR: Erzählen Sie bitte alles so genau wie möglich.

BF: Während der Schwangerschaft zu meinem Sohn wurde ich krank.; mein Arzt empfahl mir eine Spritze; ich kann nicht erklären, wie mein Schwiegervater die Spritze gewechselt hat. Er wollte, dass ich meinen Sohn verliere. Dies war möglich, weil die Cousine meines Mannes beim Roten Kreuz gearbeitet hat; sie hat sich ausgekannt. Ich habe eine falsche Spritze bekommen…

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Beweiswürdigung ist der persönliche Eindruck, den die erkennende Behörde vom Antragssteller gewinnt und wie er etwa durch die Anmerkungen in der Niederschrift hervorkommt (VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Einen solchen Eindruck konnte sich die erkennende Richterin im Zuge der hg. Verhandlung verschaffen und kam zu oa. Schlussfolgerung.

 

Ferner fällt auf, dass die BF einen solchen Vorfall – ebensowenig wie den später erwähnten von ihrem Schwiegervater initiierten Autounfall im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium - in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte. Bei tatsächlicher Existenz solcher markanter und in die körperliche Integrität eingreifender Umstände ist jedoch davon auszugehen, dass diesbezügliche Vorfälle bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, sohin anlässlich der Erstbefragung im Asylverfahren, genannt wird, was jedoch nicht geschehen ist.

In diesem Zusammenhang kommt auch folgende höchstgerichtliche Judikatur zum tragen, wonach der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, gegen seine Glaubwürdigkeit spricht (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

 

Die erkennende Richterin lässt diesbezüglich auch nicht die aktuelle höchstgerichtliche Judikatur außer Acht (VfGH, 20.02.2014, U 1919/2013-15, U 1921/2013-16, VwGH, 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, VwGH, 13.11.2014, Ra 2014/18/0061).

Im gegenständlichen Fall stellt das Vorbringen in der Einvernahme jedoch kein im Verhältnis zur Erstbefragung detaillierteres Vorbringen, sondern ein in einem nicht unwesentlichen, zumal den unmittelbar fluchtauslösenden Vorfall betreffenden, Teilbereich völlig anderes Geschehen dar, als in der Erstbefragung.

 

In diesem Zusammenhang sei die rezente Judikatur des VwGH, Ra 2019/20/0526 und 0527-6 vom 26.02. 2020 hervorgehoben, welche zur beweiswürdigenden Gegenüberstellung von Erstbefragung und Einvernahme Folgendes festhält:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0366, mwN).

 

Dass der nunmehrige beeinträchtigte Gesundheitszustand des Sohnes mit der Verabreichung einer Abtreibungsspritze im Iran in Zusammenhang stehen soll, ist auch nicht durch ärztliche Unterlagen zum Gesundheitszustand des Sohnes der BF1 (BF3) belegt, sondern erklärte die BF dazu in der hg. Verhandlung ausweichend, es müsse diesbezüglich ein Test gemacht werden, welcher kostenintensiv sei; auch geht aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegen Befund vom XXXX hervor, dass es sich bei der Erkrankung des Sohnes der BF1 um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, und wird im ergotherapeutischen Bericht von Mai 2020 festgehalten, dass ein Sauerstoffmangel bei der Geburt des BF3 bestanden habe. Über entsprechenden Vorhalt in der hg. Verhandlung gab die BF1 dazu an, dass sie nicht gesagt habe, dass die Spritze 100%ig ausschlaggebend gewesen sei. Die betreffenden Angaben der BF sind sohin abgesehen von den soeben dargelegten Ausführungen zur diesbezüglichen Unglaubwürdigkeit insgesamt spekulativ, sodass daraus nicht auf eine Verfolgung der BF geschlossen werden kann.

Insofern die BF weiters erklärte, ihr Schwiegervater habe in ihrem achten oder neunten Schwangerschaftsmonat jemanden bezahlt, der in das Auto, in dem sie gesessen habe, fahre, damit sie sterbe oder das Kind verliere und sie wegen Blutungen zwei Tage im Krankenhaus verbracht habe, ist ebenso auf obige beweiswürdigenden Ausführungen zu verweisen. Auch dieser markante, das Leben der BF und ihres ungeborenen Kindes gefährdende Vorfall blieb in der Erstbefragung gänzlich unerwähnt.

Die BF konnte auch in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar ausführen, warum es sich um keinen herkömmlichen Autounfall, sondern um einen von ihrem Schwiegervater initiierten Anschlag gegen ihre Person gehandelt haben soll. Auch diesen Vorfall erwähnte die BF in der Erstbefragung nicht, was jedoch angesichts der Bedeutung der behaupteten Vorkommnisse nicht nachzuvollziehen ist.

Dazu in der hg. Verhandlung befragt, führte die BF aus, ihr Mann habe später mitbekommen, dass sein Vater jemanden bezahlt habe, der sie umbringen sollte. Weitere Angaben machte dies BF dazu nicht, sondern erklärte weiter allgemein und ihr bisheriges Vorbringen wiederholend, ihr Schwiegervater sei streng, religiös und akzeptieren keine Iranerin.

Auch über konkretes Nachfragen, wie ihr Mann dies mitbekommen habe, antwortete die BF ausweichend, sie könne es nicht sagen, doch habe ihr ihr Mann dies einmal gesagt. Wie er es genau erfahren habe, wisse sie nicht, da es ihr Mann nicht erzählt habe.

Dass die BF gerade in einem derart zentralen Punkt und in Zusammenhang mit einer behaupteten massiven Bedrohung ihres Lebens und des Lebens ihres ungeborenen Kindes nicht bei ihrem Mann nachfragt, sondern sich mit der genannten kurzen allgemeinen Information zufriedengibt, ist jedoch in keiner Weise nachzuvollziehen. Über weiteres Nachfragen der erkennenden Richterin, ob sie nicht nachgefragt habe, erklärte die BF vage und wiederum ausweichend, ihr Mann erzähle nicht viel.

Auch dieses Vorbringen der BF, welches sich auf wenige unkonkret Angaben reduzierte und sich überdies lediglich durch mehrmaliges Nachfragen in der hg. Verhandlung ergab, ist aus den genannten Gründen nicht als glaubwürdig zu qualifizieren.

Überdies stehen die obzitierten Angaben der BF in der hg. Verhandlung auch in deutlichem Widerspruch zu deren Ausführungen in der behördlichen Einvernahme, wonach sie vom geplanten Anschlag des Schwiegervaters erfahren hätten, da der Schwiegervater die Auftragssumme nicht bezahlt habe.

Über Vorhalt der Divergenz erklärte die BF lediglich (VHS 13): ‚Sie wollten von mir erfahren, was passiert ist. Mein Mann hat das erfahren, ich kann das nicht erzählen. Mei Mann hat mit seinem Vater gesprochen.‘ , womit sie die genannte Ungereimtheit jedoch nicht auszuräumen vermochte.

 

Im behördlichen Verfahren gab die BF1 auch an, von ihrem Schwiegervater mit einem Messer attackiert und verletzt worden zu sein, wovon sie noch Narben davontrage. Eine Verletzung mit einem Messer durch den Schwiegervater gab die BF auch in der Erstbefragung im Asylverfahren an (AS 11). Ein solcher Vorfall blieb hingegen seitens der BF in der hg. Verhandlung jedoch gänzlich unerwähnt und führte sie ein derartiges Vorkommnis auch nicht über Befragen der erkennenden Richterin, ob Sie die wichtigsten Vorfälle geschildert habe, an. Vielmehr war auch hier das ausweichende Antwortverhalten der BF erkennbar.

 

Dazu sei folgende Passage des hg. Verhandlungsprotokolls zitiert (VHS 13): VR: Haben Sie jetzt die wichtigsten Vorfälle geschildert?BF: Ich habe versucht, diese soweit wie möglich anzugeben. Ich habe versucht, zu erzählen, wie es mir gegangen ist. Jahrelang wurde ich unter Druck gesetzt, psychisch, körperlich. Jetzt, wenn ich daran denke, geht es mir schlecht und ich kann es nicht wortwörtlich erzählen. Seit ich in Österreich bin, versuche ich alles zu vergessen, ich will stark für meine Kinder sein.

Dass die BF gerade eine Messerattacke, welche naturgemäß gefährlich für sie und mit erheblicher Angst verbunden gewesen sein muss sowie eine daraus resultierende Verletzung, von der sie Narben davongetragen haben will, in der hg. Verhandlung gänzlich unerwähnt lässt, ist angesichts der Gefährlichkeit eines solchen Vorfalles nicht plausibel und daher auch dieses Vorbringen im behördlichen Verfahren als unglaubwürdig zu qualifizieren.

Selbiges gilt für die Tatsache, dass die BF weder die Verabreichung einer Abtreibungsspritze noch den durch den Schwiegervater geplanten Autounfall, sohin zwei markante, ihr Leben gefährdende Vorfälle, in der Erstbefragung als erste sich ihr bietende Gelegenheit ihre Ausreisegründe anzugeben, nicht erwähnte.

 

Wenn die BF nunmehr argumentativ ausführt, sie versuche, alles zu vergessen, ist folgendes festzuhalten:

Da vor allem Ereignisse, die mit massiven Emotionen verknüpft sind bzw. die dazugehörigen Bilder sehr nachhaltig im Gedächtnis haften, ist hier ein normalpsychologisches Vergessen als Erklärung für die divergierenden und nicht kompatiblen Angaben keine wahrscheinliche Erklärung (Prim. Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Gutachten vom 24.04.2014 zu L506 XXXX )

Nach hg. Ansicht hat diese gutachterliche Feststellung Allgemeingültigkeit und kann auch auf das gegenständliche Verfahren umgelegt werden.

 

Ebenso ausweichend und vage antwortete die BF auf die Frage nach allfälligen Problemen ihrer Kinder mit ihrem Schwiegervater.

Während der Ehemann in seinem Verfahren angab, dass der gemeinsame Sohn zweimal vom Schwiegervater attackiert worden sein soll, machte die BF dazu weder von sich aus Angaben in der hg. Verhandlung, noch erwähnte sie solche Attacken über konkretes Nachfragen durch die erkennende Richterin, sondern entgegnete lediglich vage: ‚Er hat meine Kinder nie akzeptiert‘.

 

Ebensowenig erwähnte die BF in der hg. Verhandlung ihre Angabe im behördlichen Verfahren, wonach der Schwiegervater gedroht habe, die Kinder nach Afghanistan zu bringen und dessen Wunsch, dass sich diese afghanisch kleiden.

Dazu gab die BF erst über Vorhalt an, dies sei korrekt.

Keine Erwähnung fand in der hg. Verhandlung auch die Angabe der BF in der Erstbefragung, wonach der Schwiegervater gedroht habe, ihre Tochter umzubringen.

 

Auch diese Vorgehensweise der BF, körperliche Attacken auf ihre Kinder auch nicht über konkretes Nachfragen zu schildern, sondern lediglich die knappe obzitierte Antwort zu geben und das Unterlassen der Angabe der Drohung des Schwiegervaters, die Kinder nach Afghanistan zu bringen, wobei es sich um markante Vorkommnisse hadnelt, lässt mangels Plausibilität einmal mehr auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF schließen.

Wäre es tatsächlich zu den Vorkommnissen gekommen, die das Leben der BF, ihrer Kinder oder deren körperliche Unversehrtheit bedroht oder zur möglichen Trennung der Familie geführt hätten, so kann davon ausgegangen werden, dass die BF diese Vorkommnisse von sich aus unter Nennung von Details und Emotionen dargelegt hätte, was jedoch nicht geschehen ist.

 

Auch die Ausführungen der BF, wonach ihr Mann im Auftrag ihres Schwiegervaters entführt, geschlagen und verletzt worden sein soll, halten einer Glaubwürdigkeitsprüfung nicht stand und fällt auch in diesem Zusammenhang das vage Vorbringen der BF auf. Nach Verletzungen ihres Mannes gefragt, gab die BF allgemein an, dieser habe Verletzungen und Blutergüsse gehabt. Gefragt, ob ihr Mann wegen der Verletzungen einen Arzt aufgesucht habe, gab die BF an, dies nicht zu wissen, obwohl ihr Mann in diesem Zusammenhang erklärt hatte, dass wegen der Verletzungen eine Behandlung im Krankenhaus notwendig gewesen sei.

Das widersprüchliche Vorbringen der BF und ihres Mannes und die diesbezüglichen unsubstantiierte Angaben der BF sind geeignet, dem Vorbringen der BF und ihres Mannes, wonach es zu Übergriffen durch den Schwiegervater gekommen sei bzw. dieser solche in Auftrag gegeben habe, einmal mehr die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

 

Die BF wurde in der hg. Verhandlung ferner nach Problemen von Angehörigen mit dem Schwiegervater gefragt und gab an, dieser habe sie selbst als Hure beschimpft und habe auch ihre Mutter selbst beschimpft. Die BF gab über Nachfragen an, dass der Schwiegervater nach ihrer Ausreise ihre Mutter beschimpft habe, ohne weitere Angaben zu treffen.

Damit sind jedoch nicht die Angaben ihres Mannes (BF2) in Einklang zu bringen, wonach sein Vater zweimal bei der Mutter der BF nach dieser gesucht habe, woraufhin diese weggezogen sei. Auch sei sein Vater mit Leuten zur Mutter der BF1 gekommen, welche mit Holz- und Metallstöcken bewaffnet gewesen seien.

Auch diese Angaben machte die BF1 nicht von sich aus, sondern erklärte erst über konkreten Vorhalt, dass dies korrekt sei.

 

Auch diese gravierenden Vorfälle, welche in unmittelbarem Zusammenhang zu ihrem Vorbringen stehen, gab die BF1 in der hg. Verhandlung weder von sich aus noch über konkretes Nachfragen der erkennenden Richterin an.

Es kann jedoch grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei tatsächlicher Existenz sämtlicher der seitens der BF1 geschilderten Geschehnisse es der BF1 ein Anliegen gewesen wäre, diese von sich aus darzulegen. Eine derartige Vorgangsweise entspricht auch den aus mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit im Asylverfahren resultierenden Erfahrungswerten der erkennenden Richterin und werden gerade freie, emotionale Erzählungen unter Nennung zahlreicher Details auch als sog. „Realkennzeichen“ einer glaubwürdigen Darlegung in einschlägiger Literatur und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik „Glaubwürdigkeitsprüfung“, welche die erkennende Richterin besuchte, genannt.

In der hg. Verhandlung fiel jedoch auf, dass die BF nicht in der Lage war, ihre Ausreisegründe von sich aus und unter Nennung von Details und Gefühlslagen darzulegen, sondern ergab sich das ausreiskausale Vorbringen aus den kurzen Antworten auf die der BF gestellten Fragen. Die Angaben der BF sind als abstrakt und emotional distanziert zu werten und sind die Antworten auf die der BF gestellten Fragen oft als ausweichend und unsubstantiiert zu qualifizieren bzw. beschränkte sich die BF über Vorhalt ihrer Angaben im behördlichen Verfahren, dass diese bei der Behörde gemachten Angaben korrekt seien.

Eine solche Art der Darlegung der Ausreisegründe lässt nicht darauf schließen, dass die BF die geltend gemachten Vorkommnisse tatsächlich erlebt hat, sondern ist vielmehr von einem konstruierten Vorbringen auszugehen.

Durch die Durchführung der hg. Verhandlung, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck von der BF verschaffen konnte, war es der erkennenden Richterin möglich, zu oa. Schlussfolgerungen zu gelangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Beweiswürdigung ist der persönliche Eindruck, den die erkennende Behörde vom Antragssteller gewinnt und wie er etwa durch die Anmerkungen in der Niederschrift hervorkommt (VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Darüber hinaus ist das Vorbringen der BF1 auch widersprüchlich, was die Schutzsuche gegen die behaupteten Vorkommnisse in Zusammenhang mit ihrem Schwiegervater betrifft.

Die BF wurde ausdrücklich in der hg. Verhandlung danach gefragt, ob sie sich aufgrund der behaupteten Probleme an die iranischen Behörden gewandt habe und verneinte die betreffende Frage dezidiert mit dem Hinweis darauf, dass ihr Mann, der illegal im Iran aufhältig gewesen sei, diesfalls abgeschoben worden wäre. Sie habe dem Schwiegervater lediglich gedroht, sich an die Behörden zu wenden.

Diese Angabe steht in deutlichem Widerspruch zu den Angaben der BF in der behördlichen Erstbefragung (AS 11), wonach sie sehr wohl Anzeige erstattet hätten. Die BF1 gab über Vorhalt dazu lediglich an, sie habe es damals so gesagt wie heute, womit sie die aufgezeigten Divergenzen hinsichtlich eines wesentlichen Sachverhaltselementes nicht auszuräumen vermochte.

Auch sind die Angaben der BF1 nicht miteinander in Einklang zu bringen, wenn diese in der Erstbefragung zweimal ausdrücklich erklärte, von den Schwiegereltern massiv bedroht worden zu sein während sie in der hg. Verhandlung eine lediglich vom Schwiegervater ausgehende Bedrohung behauptete und über konkretes Nachfragen eine Bedrohung durch die Schwiegermutter explizit verneinte (VHS 18).

 

Letztlich ist es auch nicht nachzuvollziehen, dass die BF1 mit ihrem Mann und den Kindern während der jahrelangen behaupteten schwerwiegenden Übergriffe und Attacken in derselben Stadt verblieb und sich dem Zugriff des Schwiegervaters nicht durch einen Wohnsitzwechsel entzogen oder sich nicht bereits früher den Ausreiseentschluss gefasst hat. Die BF1 erklärte über diesbezügliches Nachfragen der erkennenden Richterin lediglich, ihr Mann wäre überall illegal und die Kinder nirgendwo versichert gewesen, was aber nicht erklärt, warum sie sich nicht durch einen Wohnsitzwechsel, zB in eine andere große Stadt, dem Zugriff des Schwiegervaters entzogen. Auch diese Vorgehensweise spricht einmal mehr dagegen, dass die von der BF1 erwähnten (lebensgefährlichen) Attacken und Übergriffe tatsächlich stattgefunden haben.

Insgesamt ist zusammenfassend festzuhalten, dass den Angaben der BF1 zu den geltend gemachten ausreisekausalen Vorkommnissen aus den dargelegten Gründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen war.

 

3.4.1.2. Zur Konversion der BF1:

 

Die Beschwerdeführerin hat in der hg. Verhandlung angegeben, sich bereits im Iran dem Christentum zugewendet und christliche Hauskreise besucht zu haben, weshalb ihr Leben in Gefahr gewesen sei.

Damit ist jedoch nicht kompatibel, dass die BF in der Erstbefragung zu ihrer Religionszugehörigkeit angab, Moslem und Schiitin zu sein (AS1) und dort weder einen Religionswechsel noch eine diesbezügliche Absicht im Zuge der Angaben zu ihren Ausreisegründen erwähnte. Auch zur Rückkehrgefährdung in der Erstbefragung befragt, gab die BF lediglich an, wegen ihrer Schwiegereltern, von denen sie massiv bedroht werden würde, in Gefahr zu sein, ohne einen allfälligen Glaubenswechsel oder eine entsprechende Absicht sowie eine diesbezügliche Rückkehrgefährdung ins Treffen zu führen.

Über diesbezügliches Befragen ind er hg. Verhandlung erklärte die BF das Unterbleiben entsprechendr Angaben in der Erstbefragung wiederum mit einer falschen Protokollierung, welche jedoch erstmals im Verfahren behauptet wurde und steht einer solchen überdies entgegen, dass die FB1 ihre Angaben in der Erstbefragung nach Rückübersetzung mit ihrer Unterschrift bestätigte.

Bereits das Unterbleiben jeglicher Angaben zum christlichen Glauben der BF, der breits im Iran bestanden haben soll, in der Erstbefragung, stellt en starkes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der späteren Ausführungen der BF1 dar.

Ferner fällt auf, dass die BF zu Beginn der hg. Verhandlung zu allfälligen Anmerkungen im behördlichen Verfahren gefragt, erstmals Dolmetscherprobleme bzw. eine falsche Protokollierung in der behördlichen Einvernahme angab. Diese Umstände würden sich jedoch nur auf Fragen in Zusammenhang mit dem Christentum beziehen. Über Nachfragen konnte die BF, abgesehen davon, dass der Name von Johannes dem Täufer nicht übersetzt worden sei, keine konkreten Fehler benennen.

Der nunmehr erstmals im Verfahren geltend gemachten Behauptung von Problemen in der behördlichen Einvernahme, welches sich überdies ausschließlich auf Fragen in Zusammenhnag mit dem Christentum beziehen, steht jedoch entgegen, dass die BF eingangs der behördlichen Einvernahme erklärte, den Dolmetscher einwandfrei zu verstehen (AS 49) und nach Rückübersetzung der Niederschrift angab, den Dolmetscher während der Einvernahme verstanden zu haben und ihre Angaben richtig und vollständig protokolliert worden seien, was sie auch mit ihrer Unterschrift bestätigte (AS 66, 67).

 

Gem. § 15 AVG liefert eine gem. § 14 aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und über den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Beweises zulässig bleibt. Mit der von der Beschwerdeführerin dargelegten Argumentation gelingt es ihr mangels Substantiiertheit nicht, den vollen Beweis der gegenständlichen Niederschriften zu entkräften. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher – wie auch schon das Bundesamt – keine Zweifel am vollen Beweis der Niederschriften.

Die nunmehrigen erstmals in der hg. Verhandlung gemachten Einwände in bezug auf christliche Fragen in der Einvernahme vor dem BFA sind vielmehr als Schutzbehauptungen zu qualifizieren, welche nicht geeignet sind, die Glaubwürdigkeit der Angaben der BF zu erhöhen, sondern vielmehr die Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF indizieren, wofür auch die nachfolgend genannten Gründe sprechen.

 

Vorerst ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich der Angaben der BF bezüglich der beginnenden Hinwendung zum Christentum und des Hauskirchenbesuches im Iran lediglich äußerst kurz und vage waren, wozu illustrativ nachfolgende Passage des hg. Verhandlungsprotokolls zitiert wird (VHS 19): VR: Können Sie die beginnende Hinwendung zeitlich irgendwie einordnen?BF: Das war ca. eineinhalb Jahre vor der Ausreise. Ich habe immer mir die Schuld gegeben, dass ich einen Fehler gemacht habe, warum mich mein Schwiegervater umbringen wollte.

VR: Wie haben Sie sich im Iran über das Christentum informiert?BF: Durch diese Freundin und in den Sitzungen.

VR: An wie viel solchen Sitzungen haben Sie denn teilgenommen?BF: Kann ich nicht genau sagen, ca. sieben bis neun Mal.

VR: Wo fanden die Sitzungen statt?BF: Jedes mal an einem anderen Ort., bspw. im Keller eines Hauses, dann in einem Raum.

VR: Wie viele Teilnehmer hatte so eine Sitzung?BF: Ebenfalls unterschiedlich. Manchmal waren fünf, mal sechs, mal 10 Leute da.

VR: Was können Sie zu Ablauf solcher Sitzungen sagen?BF: Bruder XXXX war für die Sitzungen zuständig. Er hat uns von der Bibel erzählt und dass Gott barmherzig ist. Er hat christliche Lieder gesungen und Gebete gesprochen. Wir hatten Notizen in der Hand und haben leise mitgesprochen.

VR: Was waren denn die ersten Inhalte über die Bibel, die Sie gehört haben?

BF: Als mir gesagt wurde, dass Gott Liebe ist.

VR: Welche Gebete sind in diesen Sitzungen gesprochen worden?BF: Ich kann nicht genau sagen, aber verschiedene Gebete.

VR: Welche Lieder wurden gesungen?

BF: Ich kann es wirklich nicht sagen, es ist schon lange her. Ich weiß es nicht auswendig.

 

Gerade von einer Person, welche sich einem neuen Glauben zugewendet hat und welche die im Herkunftsland verbotene und daher risikobehaftete Möglichkeit wahrnimmt, an einer Hauskirche teilzunehmen, müssen jedoch solche Erlebnisse doch mit zahlreichen Emotionen verknüpft und von äußerster Einprägsamkeit sein, sodass die BF diesbezüglich zu detaillierteren und eigeninitiativen Ausführungen in der Lage sein müsste, was jedoch zu verneinen ist.

Aus den soeben zitierten Ausführungen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die BF tatsächlich einen Hauskreis/eine Hauskirche im Iran besucht haben will, reduzieren sich diese doch auf allgemeine und lediglich vage bzw. inhaltsleere Angaben, welche keinerlei Rückschlüsse auf von der BF persönlich erlebte Vorkommnisse zulassen und von jeder Person, auch wenn diese keine Hauskreise besucht hat, stammen können.

 

Auf die obigen Ausführungen zur Thematik ‚Realkennzeichen‘ sei an dieser Stelle einmal mehr verwiesen und festgehalten, dass die Angaben des BF die betreffenden Merkmale tatsächlich erlebter Ereignisse nicht aufweisen, was einmal mehr ein starkes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF hinsichtlich eines Hauskirchenbesuches im Iran oder einer Hinwendung zum christlichen Glauben im Iran darstellt.

 

Dass sich die BF jedoch nicht einmal ansatzweise an inhaltliche Besonderheiten oder einprägsame Wahrnehmungen erinnern kann, ist nicht nachzuvollziehen und daher das Vorbringen, wonach die BF vor ihrer Ausreise mehrmals eine Hauskirche besucht haben will, einmal mehr als unglaubwürdig zu qualifizieren.

 

Insbesonders fällt auch auf, dass die BF nicht in der Lage war, erste Bibelinhalte, die sie gehört habe, zu benennen, sondern ausweichend und vage angab, dass Gott Liebe sei, ohne jedoch auf konkrete Inhalt in der Bibel bezug zu nehmen.

Beim erstmaligen Hören von Inhalten der Bibel, der Schriftensammlung, die im Christentum als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt, handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin jedoch um ein einprägsames Ereignis, sodass die BF auch in diesem Zusammenhang zu substantiierteren auf konkrete Inhalte bezugnehmende Angaben in der Lage sein müsste, was jedoch nicht der Fall war.

 

Die BF gab auch erstmalig in der Verhandlung an, ihr Schwiegervater habe sie immer verfolgt und so den Besuch einer christlichen Sitzung herausbekommen. Als er dann in der Wohnung der BF zu Gast gewesen sei, habe er ihre Notizen über das Christentum gelesen und so davon erfahren. Diese Angaben sind im Vorbringen der BF gänzlich neu und als Steigerung zu betrachten, denen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen ist.

Die BF vermochte auch nicht, ein konkretes Beispiel für solche Notizen aus den christlichen Sitzungen zu geben, sondern antwortete über konkretes Befragen wiederum ausweichend, es seien jedes mal Notizen für die Teilnehmer vorbereitet worden wie zB Bibelstellen und was diese bedeuten, ohne jedoch konkreten Bezug auf die ihr gestellte Frage zu nehmen.

 

Die BF1 vermochte auch nicht anzugeben, aus welchen persönlichen Motiven sie sich zur Taufe in Österreich entschlossen hat, sondern erklärte dazu lediglich schlagwortartig, Taufe bedeute Tod und Auferstehung und habe sie offiziell Christ sein gewollt.

Ein nachvollziehbares persönliches Motiv für eine Taufe ist jedoch aus den dargelegten stichwortartigen und ausweichenden Angaben der BF 1 nicht ableitbar. Nach hg. Ansicht wäre in diesem Zusammenhang jedoch naheliegend, gerade persönliche Beweggründe für diesen einschneidenden Schritt darzutun und diese Entscheidung zu begründen, was die BF jedoch nicht getan hat.

Ebensowenig nannte die BF Elemente des eineinhalb Monate andauernden Taufvorbereitungskurses, welche sie besonders beeindruckten, sondern antwortete auf die diesbezügliche Frage wiederum vage, als sie begriffen habe, dass es noch eine Möglichkeit gebe, neu zu beginnen und Jesus ihr Retter gewesen sei, womit die BF jedoch nicht auf konkrete Inhalte des Taufvorbereitungskurses oder persönliche Eindrücke Bezug nahm. Aus dem wiedergegebenen einzelnen Satz lassen sich jedoch weder konkrete Inhalte, die die BF beeindruckt haben ersehen noch eigene spirituelle Gedanken der BF erkennen.

Gerade die Taufe als christlicher Ritus, der die Eingliederung in die Gemeinschaft der Christen oder ein öffentliches Glaubensbekenntnis bedeutet, sodass dieser Schritt und die Vorbereitung darauf im Falle der Ernsthaftigkeit eine erhebliche Bedeutung einnimmt, müsste seitens der BF fundiert und unter Einbeziehung persönlicher Momente dargelegt werden können, wozu die BF jedoch mit den zitierten Angaben nicht in der Lage war.

 

Selbiges gilt auch für die Ausführungen der BF hinsichtlich der Taufe selbst. Gefragt nach besonderen Eindrücken erklärte die BF lediglich, sie habe ein unbeschreibliches Gefühl gehabt, als sie am gesamten Körper mit Wasser getauft und wieder rausgekommen sei. Nach der Taufe habe sie sich nicht beruhigen können, habe geweint und das Gefühl gehabt, frei zu sein.

 

Mit dieser kurzen Antwort vermochte die BF auch nicht, ihre Taufe in inhaltlicher oder spiritueller Hinsicht zu beschreiben.

Bei Betrachtung der Angaben der BF fällt auf, dass diese weder Ausführungen des taufenden Priesters wiedergab noch eigene spirituelle Gedanken, Eindrücke und Empfindungen zum Taufakt schilderte, sondern beschränkte sie sich auf die genannten wenigen Geschehnisabläufe. Von einer Person, welche sich ernsthaft dem christlichen Glauben zuwendet und sich zum Schritt der Taufe, welche doch im Falle der Ernsthaftigkeit eine erhebliche Bedeutung einnimmt, entschließt, ist jedoch zu erwarten, dass diese eben solche spirituellen Gedanken oder Eindrücke, die sie besonders bewegt haben, wie zB Worte des Taufspenders, schildert, was im Falle der BF gänzlich unterblieben ist.

Die BF 1 machte ebensowenig Angaben zu Sinn und Bedeutung der Taufe und legte auch keine eigenen spirituellen Gedanken oder Eindrücke dazu dar, sondern beschränkte sich auf die genannten Faktoren. Die BF1 hat auch keinen christlichen Taufnamen. Es wäre jedoch naheliegend, dass die BF 1 als erwachsene Taufwerberin bzw. Getaufte, welche sich aus freiem Willen zur Taufe entschlossen hat, sich zumindest über die Möglichkeit nach dem Erhalt eines christlichen Taufnamens erkundigt, was jedoch aus den Angaben der BF1 nicht hervorgeht. Dies spricht ebensowenig für ein besonderes Interesse an dem Erhalt eines christlichen Namens, was wiederum den Rückschluss auf die mangelnde Ersthaftigkeit der Taufe zulässt.

 

Zum letzten christlichen Fest, welches sie gefeiert habe, gab die BF an, dass es sich hiebei um Pfingsten handle. Über Aufforderung, alles anzugeben, was sie über Pfingsten wisse, erklärte die BF wie folgt (VHS 23):

Pfingsten bedeutet, der Heilige Geist wurde gesendet 50 Tage nach Ostern wurde er zu den Jüngern gesendet. 50 Tage nach Ostern waren die Jünger in einem Raum und werden vom Heiligen Geist erfüllt und an dem Tag waren auch ein paar andere Personen anwesend, die nach dem Ereignis an Jesus glaubten und Christen geworden sind. Das ist der Tag von Pfingsten.

VR: Können Sie sonst noch etwas dazu angeben?

BF: 50 Tage nach Ostern, nach dem Jesus im Himmel aufgefahren ist, schickte er den Menschen den Heiligen Geist. In diesem Raum waren die Jünger und andere Personen und wurden vom Heiligen Geist erfüllt.

Die BF vermochte über weiteres Nachfragen der Richterin jedoch weder angeben, warum dieses Fest so wichtig für die Kirche ist noch war sie in der Lage, weitere Details anzugeben, wie zB, in welcher Form der Hl. Geist erschienen ist, sondern wiederholte sie ihre wenigen vagen Ausführungen zu Pfingsten. Dass die BF keine diesbezüglichen Angaben zu einem der wichtigsten christlichen Feste, nämlich der Gründung der Kirche und zur in der Bibel eindrücklich geschilderten Erscheinungsform des Hl. Geistes (Feuerszungen, Brausen) machen kann, spricht weder für ein interessiertes Bibelstudium der BF, zumal es sich hier um eine wichtige Bibelstelle handelt, noch für deren interessierte Teilnahme am Gottesdienst, da die betreffende Bibelstelle und deren Bedeutung im Pfingstgottesdienst, an dem die BF seit ihrer Einreise im Jahr 2015 zumindest mehrmals teilgenommen haben will, umfassend thematisiert wird.

Vielmehr vermochte die BF mit ihren wenigen und vagen Angaben zu Pfingsten, welche wesentliche Details vermissen lassen, keine persönliche Auseinandersetzung mit diesem zentralen christlichen Fest oder eine fundierte Kenntnis der diesbezüglichen Vorkommnisse darzutun.

Die BF gab etwa über konkretes Nachfragen, in welcher Form der Hl. Geist erschien, an, sie verstehe die Frage nicht und habe Jesus vor seiner Himmelfahrt zu den Jüngern gesagt, er werde den Hl. Geist schicken, um sie zu beschützen.

Die grundsätzliche Bedeutung von Pfingsten vermochte die BF mit ihren Antworten jedoch nicht ansatzweise zu benennen.

Die BF1 wurde in der hg. Beschwerdeverhandlung im Sinne einer Gesamtbetrachtung auch zum Praktizieren ihres Glaubens befragt und erklärte, sie versuche so zu leben, wie es in der Bibel geschrieben stehe. Schlagwortartig gab sie an, ‘Liebe deinen Nächsten‘ und führte aus, sie sie versuche zu helfen.

Die BF nannte nach ihrer Glaubenspraxis gefragt, jedoch weder das Lesen der Bibel, noch den Gottesdienstbesuch, noch das persönliche Gebet, was einmal mehr gegen die Ernsthaftigkeit der Konversion der BF spricht, handelt es sich bei den genannten Aktivitäten doch um wesentliche Punkte der Glaubenspraxis.

 

Auch die Tatsache, dass die BF das persönliche regelmäßige Gebet nicht angegeben hat, lässt erneut den Schluss zu, dass diese den christlichen Glauben nicht praktiziert, bezeichnet doch gerade das Gebet eine zentrale Glaubenspraxis vieler Religionen.

 

Eine Person, die sich tatsächlich für den christlichen Glauben interessiert, ja sogar angibt, zu diesem konvertiert zu sein, würde jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung und auch nach der Erfahrung der erkennenden Richterin im Zusammenhang mit Asylverfahren von Personen, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, gerade die Bibel, die als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt und für Christen die wichtigste Urkunde des Glaubens darstellt, die zentrale Erkenntnisquelle zum Vertiefen und Praktizieren des neuen Glaubens heranziehen und darin lesen, dies vor allem auch deshalb, da im Gegensatz zum Iran in Österreich eine ungehinderte Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich ist.

Darüber hinaus ist davon auszugehen und entspricht es auch dem hg. Amtswissen, dass eine Bibel in der von der BF gesprochenen Sprache jedenfalls auch in Österreich erhältlich ist und kann diese auch im Internet abgerufen werden.

 

Erst über konkretes Nachfragen gab die BF an, in der Bibel zu lesen um über weiteres Befragen zu erklären, dies zuletzt am Tag der Verhandlung getan zu haben.

Die BF erklärte, im Lukasevangelium, Kapitel 12, Vers 11 gelesen und die betreffende Stelle fotografiert zu haben, da sie so faszinierend gewesen sei. Die BF konnte jedoch nicht angeben, was in dieser Stelle geschrieben steht, sondern traf dazu unzutreffende und überdies vage Angaben (VHS 25: Wenn sie dich verurteilen, brauchst du keine Angst haben, da ich an deiner Stelle antworten werde. Bevor wir hierhergekommen sind, habe ich die gleiche Stelle anderen Freunden gezeigt. ), noch war es ihr möglich, darzulegen, was sie konkret faszinierte.

 

Da die BF weder die von ihr zitierte und zuletzt gelesene Stelle zutreffend zuordnen konnte, noch die von ihr zuletzt und als besonders faszinierende Bibelstelle abgesehen von dem zitierten Satz nicht weiter umschreiben konnte, ist nicht von einem ernsthaften Bibelstudium der BF auszugehen, was einmal mehr gegen eine ernsthafte Konversion der BF spricht.

Die BF wurde auch gefragt, was über die Geburt Jesu in der Bibel zu lesen sei und beschränkte sich diesbezüglich wiederum auf wenige schlagwortartige Angaben, die sich nur zum Teil auf die Geburt Jesu bezogen (VHS 25: BF: Die Mutter von Jesus war die Jungfrau Maria, sie wurde durch den Hl. Geist schwanger. Er wurde in einem Stall in Bethlehem geboren. Er ist wegen unserer Sünden gekreuzigt worden, er hat sich geopfert, dass er unsere Sünden vergibt. Drei Tage nach der Kreuzigung ist er wieder zurückgekehrt.)

Zum Grund, warum Jesus in Bethlehem geboren wurde, erklärte die BF, sie müsse nachdenken, um letztlich anzugeben, dass Maria nicht erkannt werden wollte, was jedoch nicht dem Weihnachtsevangelium entspricht. Die BF vermochte auch nicht anzugeben, wie Maria von ihrer Schwangerschaft erfahren hat, sondern antwortete, sie sie nervös. Auch zu den Hl. Drei Königen konnte die BF lediglich ausführen, dass sie nach der Geburt bei Jesus gewesen seien und Geschenke gebracht hätten.

Die BF1 vermochte mit diesen stichwortartigen und wenig fundierten Ausführungen keine substantiierten und korrekten Angaben zum Weihnachtsevangelium, einer zentralen Bibelstelle, zu machen. Erneut wird dadurch das kaum vorhandene Bibelwissen der BF evident, hätte diese doch bei ernsthaftem Auseinandersetzen mit Bibelinhalten den in der Bibel dargelegten Grund für das Verlassen Nazareths, die angeordnete Volkszählung, genannt und darüber hinaus detailliertere Angaben rund um die Geburt Jesu machen können, was jedoch nicht geschehen ist. Die Angaben der BF sprechen auch gegen eine interessierte Teilnahme am Weihnachtsgottesdienst, den sie seit ihrer Ankunft in Österreich mehrmals besucht haben müsste, werden doch gerade dort das Weihnachtsevangelium und dessen Bedeutung ausführlich erörtert. Die Unkenntnis der Geschehnisse um die Geburt Jesu schlagen sich besonders gravierend auf die Glaubwürdigkeit der behaupteten Konversion der BF nieder, handelt es sich doch hiebei um eine zentrale Bibelstelle und um eines der wichtigsten Hochfeste der Christen.

Auch die seitens der BF1 geschilderte Begehung des Weihnachtsfestes lässt keinerlei Rückschlüsse auf eine diesbezügliche spirituelle Feier dieses wichtigen christlichen Festes oder eine diesbezügliche inhaltliche Auseinandersetzung zu.

Die BF1 führte dazu aus, sie habe mit der Familie gefeiert, einen Baum geschmückt und Geschenke gekauft sowie Freunde besucht.

Auch zum Advent gab die BF zwar an, dass jeden Sonntag eine Kerze angezündet wird und sie einen Adventskalender für die Kinder gekauft habe, ohne jedoch auf den Advent als den mehrere Wochen andauernden Zeitabschnitt im Kirchenjahr, welcher als Vorbereitung auf das Weihnachtsfest nicht nur in den Gottesdiensten ein zentrales Element darstellt, sondern unter anderem auch durch das Symbol des Adventskranzes auch im Alltag deutlich in Erscheinung tritt, und den die BF1 zumindest bis zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt mehrmals durchlaufen haben müsste, einzugehen, was einmal mehr gegen eine ernsthafte Hinwendung der BF1 zum christlichen Glauben und auch gegen eine interessierte Teilnahme an Gottesdiensten spricht.

 

Die BF 1 hat im Zusammenhang mit Weihnachten, einem der wichtigsten christlichen Feste, weder einen Gottesdienstbesuch noch das Lesen des Weihnachtsevangeliums angegeben, sondern hauptsächlich nach außen hin sichtbare Bräuche, wie den Weihnachtsbaum, Geschenke und den Besuch von Freunden genannt.

Gerade von einer Person, welche sich einem neuen Glauben zugewandt hat, kann jedoch erwartet werden, dass sie zentrale Feste dieses neuen Glaubens vor allem in spiritueller Hinsicht begeht, wovon jedoch im Lichte der zitierten Angaben der BF1 nicht auszugehen ist.

 

Ferner war die BF1 nicht in der Lage, substantiierte Angaben zum Ablauf eines Gottesdienstes zu machen, sondern erklärte, sie würden christliche Lieder singen, danach werde gepredigt und am Ende werde gespendet, danach würden sich die Mitglieder zum gemeinsamen Kaffeetrinken versammeln.

 

Dass die Auseinandersetzung der BF1 mit der genannten Thematik eine lediglich oberflächliche ist, macht auch diese Antwort deutlich. Es wird dadurch evident, dass die BF hinsichtlich des Gottesdienstablaufes keinerlei inhaltliche Angaben, sondern hauptsächlich organisatorische Elemente und Handlungsabläufe benennen kann. Vor allem fällt auch auf, dass sie das zentrale Element der Wandlung/Eucharistie/des Abendmahls nicht in ihrer Schilderung erwähnte, ebensowenig das Lesen des Evangeliums. Im Lichte dieser Ausführungen der BF 1 ist einmal mehr davon auszugehen, dass ihre Angaben zur Konversion nicht glaubwürdig sind, hätte sie doch andernfalls inhaltliche Angaben zum Gottesdienst, welcher als Zusammenkunft von Menschen mit dem Zweck, mit Gott in Verbindung zu treten, mit ihm Gemeinschaft zu haben, Opfer zu bringen, Sakramente zu empfangen bzw. eine auferlegte religiöse Pflicht zu erfüllen, zu verstehen ist, gemacht.

Die Angaben der BF1 sind jedoch über die obzitierten Ausführungen nicht hinausgegangen und ließen die soeben dargelegten Elemente, welche einen Gottesdienst kennzeichnen, zur Gänze unerwähnt.

Ebensowenig war die BF auch in der Lage, die zuletzt im Gottesdienst, den sie einen Tag vor der hg. Verhandlung besucht haben will, gehaltene Predigt zumindest im Grundzügen wiederzugeben.

Zu Ihrer Lieblingspredigt gefragt, gab die BF zwar an, diese handle vom verlorenen Sohn, sie konnte jedoch die betreffende Bibelstelle nicht nennen, wozu sie jedoch angesichts der Angabe, dass daraus ihre Lieblingspredigt resultiert, in der Lage sein müsste.

 

Die BF vermocht auch nicht, fundierte Angaben zu Fastenzeiten im christlichen Glauben bzw. in der christlichen Glaubenspraxis darzutun, sondern erklärte, die Fastenzeit dauere 30 oder 40 Tage und wisse sie es nur ein bisschen; Aschermittwoch sei der Beginn und werde es zB vermieden, Fleisch zu essen. Mit welcher Bibelstelle die vorösterliche Fastenzeit in Verbindung steht, vermochte die BF nicht anzugeben. Über Befragen gab die BF an, bislang nicht gefastet zu haben.

 

Die BF 1 war zwar sohin in der Lage, anzugeben, dass es eine Fastenzeit vor Ostern gibt, sie vermochte jedoch nicht den Hintergrund dafür und die genaue Dauer anzugeben, sondern war die Antwort wiederum geprägt von fragmentarisch aneinandergereihten Stichworten.

 

Mit Zitaten aus der Bergpredigt konfrontiert, konnte die BF diese nicht zuordnen, sondern erklärte, die Bibel sei schwierig zu verstehen. Über konkretes Nachfragen, zitierte die BF zwar fragmentarisch aus dieser Predigt, vermochte jedoch nicht anzugeben, wo diese in der Bibel zu finden ist. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der genannten Predigt um einen Textabschnitt des Matthäusevangeliums (Mt 5–7) im Neuen Testament (NT), in dem Jesus von Nazaret seine Lehre verkündet, handelt, die BF jedoch keine über die festgehaltenen Angaben hinausgehenden Ausführungen machen kann, ist einmal mehr von der mangelnden Ernsthaftigkeit eines Bibelstudiums der BF und einer nicht existenten Auseinandersetzung mit der Glaubenslehre auszugehen.

Die BF konnte auch nicht erklären, welches Evangelium sich deutlich von den anderen unterscheidet, sondern nannte, wiederum nicht auf die Frage bezugnehmend, alle vier Evangelien.

 

Letztlich vermochte die BF auch weder substantiierte Angaben zu den Paulusbriefen zu machen (BF: Paulus hat viele Bücher geschrieben. An die Philipper, an Thessaloniker, mehr weiß ich nicht) noch über Paulus selbst (BF: Am Ende hat er an Jesus geglaubt und wurde gläubig. Es tut mir leid, ich bin nervös…ich habe fast alles vergessen.)

 

Hätte sich die BF jedoch tatsächlich und fundiert mit Bibelinhalten und der christlichen Glaubenslehre auseinandergesetzt, was sie lt. ihren Angaben bereits seit mehr als fünf Jahren macht, wäre sie von sich aus in der Lage gewesen, Ausführungen zu Paulus, der als wichtigster Theologe und Missionar des Urchristentums gilt und den Paulusbriefen zu treffen, was aber nicht geschehen ist.

Dies spricht umso weniger für eine religiöse Betätigung der BF.

 

Die BF konnte einige der ihr gestellten Wissensfragen teilweise, jedoch lediglich rudimentär und stichwortartig beantworten, was jedoch für sich betrachtet nicht dazu geeignet ist, eine Konversion im Sinne einer inneren Haltung glaubwürdig darzulegen. So ist davon auszugehen, dass es nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich einen grundsätzlichen Wissensstand zu Glaubens- und Bibelinhalten durch entsprechendes Lernen anzueignen und sind dem hg. Amtswissen zufolge auch im Internet entsprechende Fragenkataloge speziell für im Asylverfahren vorgebrachte Konversion abrufbar. Auch, wenn, die BF1 in der Lage war, einige wenige Wissensfragen zum Christentum fragmentarisch zu beantworten, was zwar dafür spricht, dass die BF1 sich teilweise grundsätzliches rudimentäres Teilwissen über den christlichen Glauben aneignete, was auch aufgrund ihrer Ausbildung nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, ist daraus angesichts der weiteren in den Blick zu nehmenden Faktoren nichts für die Glaubwürdigkeit der Angaben der BF1 zu ihrer Konversion zu gewinnen.

 

Die Aneignung von Wissen allein ist jedoch für eine tatsächliche glaubwürdige Konversion nicht ausreichend, sondern ist dafür eine Gesamtbetrachtung notwendig, aus der sich jedoch aus den dargelegten Gründen deutlich die Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF1 ergibt.

 

Der teilweise korrekten, jedoch, wie dargelegt, vagen und bruchstückhaften Beantwortung der Fragen, kommt im vorliegenden Fall bei Gesamtbetrachtung der sonstigen fallbezogenen Faktoren sohin eine untergeordnete Bedeutung zu.

 

In diesem Zusammenhang ist auch hervorzuheben, dass die BF1 angab, sich zumindest seit dem Jahr 2014 mit dem Christentum zu beschäftigen und auch getauft worden zu sein. Angesichts dieser Ausführungen zur Chronologie ihrer Glaubensfindung bzw. Konversion ist es umso weniger plausibel, dass die BF1, die, würde man entgegen der hg. Ansicht davon ausgehen, dass sie sich bereits im Jahr 2014 nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt hat, nunmehr seit mehr als sechs Jahren mit dem Christentum vertraut ist und auch die Taufe empfangen hat, nicht in der Lage ist, nachvollziehbare und fundierte Angaben zu ihrem nunmehrigen Glauben zu machen, wie bereits oben dargelegt wurde.

 

Dass der Glaube für die BF neu ist, kann angesichts der seitens der BF gemachten Zeitangaben nicht erkannt werden, sondern könnte bei Glaubwürdigkeit der Angaben der BF1 davon ausgegangen werden, dass diese zumindest seit ihrer Einreise in Österreich im Jahr 2015, einem Land, in dem Religionsfreiheit herrscht, ihren neuen Glauben umfassend und ungehindert ausüben kann, sodass sie auch in der Lage ist, entsprechend fundierte Ausführungen inklusive eigener spiritueller Gedanken und Ansichten dazu zu machen, was jedoch im Lichte der vagen und zum Teil unzutreffenden Angaben der BF1 zu verneinen ist.

 

Aus den dargelegten Erwägungen war die Glaubwürdigkeit der Konversion der BF1 zu verneinen.

 

Konversion (lat.: conversio ‚Umwendung, Umkehr‘) bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen sowie möglicherweise auch anderen Teilen der mit der fremden Religion verbundenen Kultur durch eine konvertierende Person. Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen der erkennenden Richterin nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion der BF1 zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken.

 

Der VwGH verlangt zur Feststellung, ob ein Antragsteller tatsächlich oder nur zum Schein konvertiert ist, eine schlüssige Gesamtbeurteilung. Elemente für eine solche Gesamtbeurteilung können sein: eine nähere Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten und seinem religiösen Grundwissen sowie eine konkrete Auseinandersetzung mit Angaben etwaiger Zeugen. Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485).

 

Die soeben dargelegte Vorgehensweise der BF1 hinsichtlich ihrer Taufe, ihre Angaben zu Glaubens- und Bibelinhalten, zu ihrer Glaubenspraxis sowie der persönliche Eindruck, den diese in der hg. Verhandlung hinterließ, vermitteln deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung der BF1 mit christlichen Glaubensinhalten nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich zum Schein erfolgte.

 

Vielmehr sprechen die in der hg. Verhandlung hervorgekommenen Aktivitäten und vagen sowie auseichenden Ausführungen der BF1 für keine substantiierte spirituelle Haltung, welche von einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben, welcher aufgrund der in Österreich herrschenden Religionsfreiheit auch frei gelebt werden kann, zugewendet und sich sogar für die Taufe entschieden hat, zu erwarten ist, sondern dafür, dass die BF 1 die Taufe, welche nach eineinhalbmonatigem Vorbereitungskurs erfolgte, lediglich aus Opportunitätserwägungen vornehmen ließ.

Auch die Taufbestätigung vom XXXX und zeugenschaftlichen Angaben des Pastors und einer Angehörigen der XXXX vermögen daran nichts zu ändern.

Die Angaben der beiden Zeugen (der Pastor der christlichen Gemeinde, der die BF angehören und der die BF1 getauft hat sowie eine Angehörige der Glaubensgemeinschaft, der die BF angehören), welche sich auf äußere Faktoren zur Konversion wie Gottesdienstbesuch und Taufe und persönliche Eindrücke beziehen, vermögen nach Ansicht der erkennenden Richterin nicht, die dargelegten Mängel, welche gegen einen tatsächlichen Glaubens- bzw. Gesinnungswandel der BF1 sprechen, zu kompensieren und kann alleine aus solchen äußeren Faktoren, welche jedoch nichts über die tatsächliche innere Haltung der BF1 aussagen, doch keine Konversion der BF 1 mit allen bereits mehrfach umschriebenen Voraussetzungen und Folgewirkungen abgeleitet werden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge es für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, nicht auf den Formalakt der Taufe, welcher im gegebenen Fall zweifelsohne vorliegt, sondern auf die religiöse Einstellung des Asylwerbers ankommt (vgl. zuletzt VwGH vom 21.12.2006, 2005/20/0624).

 

Von einer missionarischen Tätigkeit der BF1, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, kann bei der BF1 aufgrund der bisherigen hg. Ausführungen nicht ausgegangen werden und hat sie eine solche auch nicht behauptet.

Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich die BF1 ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr im Iran diesen Glauben praktizieren wird und deshalb in das Blickfeld der Behörden geraten oder missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein wird.

 

Dass die vorgebliche Konversion der Beschwerdeführerin und ihre Taufe den iranischen Staatsorganen bereits bekannt geworden sind, hat diese nicht in glaubwürdiger Weise behauptet. Aus dem ausreisekausalen Vorbringen der BF1 ergibt sich nicht, dass diese in politischer oder religiöser Hinsicht in irgendeiner Form auffällig geworden und in das Visier der iranischen Behörden geraten ist.

Es lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass die Beschwerdeführerin derart in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten wäre, sodass sie unter Beobachtung steht und ihre Betätigung im christlichen Umfeld insofern registrieren möchte, um sie - im Falle der Rückkehr - wegen Abfalls vom Glauben ("Apostasie") zu belangen, woran auch der formale Akt der Taufe in der Türkei nichts zu ändern vermag, ist doch nicht davon auszugehen, dass iranische Behörden alle im Ausland vorgenommenen Taufen beobachten und registrieren, was auch deren faktische Möglichkeiten bei weitem übersteigen würde.

 

Dass trotz Widerruf einer erfolgten Taufe eine Gefährdung lt Bericht des Danish Immigration Service/Danish Refugee Councile (DIS/DRC) aus dem Jahr 2014 möglich ist, kann nicht festgestellt werden. In das aktuelle Länderinformationsblatt wurde der aktuelle Bericht des DIS/DRC aus dem Jahr 2018 ebenso aufgenommen, doch findet sich darin keine solche Information, wie im Bericht aus dem Jahr 2014, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der diesbezügliche Informationsstand aus dem Jahr 2014 nicht mehr aktuell ist. Auch, wenn im aktuellen Bericht auf die Meinung einer Organisation verwiesen wird, die sich um Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten kümmert, wonach eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (es wird sohin von einer bloßen Möglichkeit ausgegangen), so steht dem die Aussage von Amnesty International und einer anonymen Quelle vor Ort gegenüber, wonach eine Taufe keine Bedeutung habe. Das erkennende Gericht misst dieser Aussage von Amnesty International, in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu, handelt es sich doch hiebei um eine internationale Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtsverletzungen recherchiert und darüber berichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Organisation im Falle, dass sie das alleinige Faktum der Taufe als problematisch ansehen würde, berichten würde, dass diese keine Bedeutung habe. Auch ist, wie bereits festgehalten, nicht ersichtlich bzw. nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden Kenntnis von der Taufe der Beschwerdeführerin haben.

Auch betreffen den in das Verfahren aufgenommenen Länderfeststellungen zufolge Repressionen jedoch vor allem missionierende Christen und sehen sich christliche Konvertiten aufgrund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt. Dass die BF1, welche zum Schein konvertiert ist, den christlichen Glauben ausübt, ist naturgemäß auszuschließen und kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es der BF1 ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. ist zu verneinen, dass die BF1 aufgrund ihres kaum bzw. lediglich fragmentarisch vorhandenen Wissens hinsichtlich christlicher Glaubensinhalte dazu in der Lage wäre.

Auch ist den Feststellungen zu entnehmen, dass Geistliche, welche im Iran in der Vergangenheit verfolgt oder ermordet wurden, im Ausland zum Christentum konvertiert waren. Bei der BF1 handelt es sich jedoch um keine Geistliche, sondern um eine Person, welche formal und lediglich zum Schein konvertiert ist, sodass daraus keine asylrelevante Gefährdung der BF1 abzuleiten ist.

Aus den Länderfeststellungen ist letztlich zu schließen, dass nur iranische Staatsangehörige, die sich als Folge ihrer missionarischen Betätigung für das Regime deutlich von der breiten Masse abheben (Kirchenführer, in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen), Gefahr laufen, dass sich die iranischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen.

Im Hinblick darauf, dass der iranische Staat nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen kann, muss sich sein Interesse auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements eine potentielle Gefahr für den ausschließlichen Machtanspruch des Regimes im Iran darstellen könnten.

Das Verhalten der BF1 erweist sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht der erkennenden Richterin daher nicht gegeben.

Die BF1 hat auch nicht glaubwürdig vorgebracht, dass sich ihre Familie zu ihrem scheinbaren Glaubensübertritt negativ geäußert hätte und ist nicht davon auszugehen, dass diese die iranischen Behörden diesbezüglich in Kenntnis setzt.

 

3.4.2. Zu den Ausreisegründen und Konversion des BF2

 

3.4.2.1. Zu den Ausreisegründen:

 

Vorerst sei an dieser Stelle auf die diesbezügliche Beweiswürdigung zum Vorbringen der BF1 verwiesen, sodass schon aufgrund dessen nicht von der Glaubwürdigkeit der Angaben des BF2, welcher sich im wesentlichen auf dieselben Ausreisegründe stützt wie die BF1 (Massive Drohungenund bergriffe durch den Vater des BF2) ausgegangen werden kann.

 

Doch auch aufgrund der nachfolgenden Überlegungen ist die Glaubwürdigkeit des seitens des BF2 geltend gemachten Vorbringens zu verneinen.

 

Der BF2 gab in der hg. Verhandlung als Ausreisegrund die Bedrohung durch seinen Vater sowie den Wunsch nach einer besseren Zukunft und Ausbildung für seine Kinder an.

 

Insofern der BF2 erklärte, sein Vater habe veranlasst, dass seine Frau eine Abtreibungsspritze erhalte, ist auf die diesbezügliche Beweiswürdigung zum Vorbringen der BF1 zu verweisen.

 

Ferner fällt in diesem Zusammenhang auf, dass auch der BF 2 in der Erstbefragung weder die erst später im Verfahren vorgebrachte Verabreichung einer Abtreibungsspritze noch einen seitens des Vaters initiierten Autounfall während der Schwangerschaft seiner Frau angab, noch eine Entführung und körperliche Misshandlung seiner Person angab, sondern dort lediglich erklärte, sie seien vom Vater bedroht worden und habe dieser seine Frau geschlagen, sie mit einem Messer attackiert und ihr seelische Schmerzen zugefügt.

Dass auch der BF2 derart gravierende lebensbedrohliche und massiv in die körperliche Integrität eingreifenden Übergriffe seines Vaters sowohl in bezug auf seine Frau als auch auf die eigene Person in der Erstbefragung zur Gänze unerwähnt ließ, spricht deutlich gegen die Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben, wäre es doch naheliegend, dass gerade die markantesten Vorfälle zuerst bei der Erstbefragung als ersten sich bietenden Gelegenheit Erwähnung im Vorbringen finden, was jedoch nicht geschehen ist.

 

In diesem Zusammenhang sei die rezente Judikatur des VwGH, Ra 2019/20/0526 und 0527-6 vom 26.02.2020 hervorgehoben, welche zur beweiswürdigenden Gegenüberstellung von Erstbefragung und Einvernahme Folgendes festhält:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0366, mwN).

 

Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

 

Ein solches Unterlassen der Angabe gravierender Angriffe gegen seine (Entführung, Misshandlung) und die Person seiner Frau (Abtreibungsspritze, geplanter Autounfall) ist im Vorbringen des BF2 erkennbar, weshalb bereits aus diesem Grund seinen Angaben die Glaubwürdigkeit abzusprechen ist.

 

 

Ferner unterscheidet sich sein Vorbringen hinsichtlich der Verabreichung einer Abtreibungsspritze auch von jenem der BF1 insofern erheblich, als der BF2 angab, sie seien noch am selben Tag, 40 Minuten oder eine Stunde später ins Krankenhaus gefahren, wohingegen die BF 1 dazu erklärte, dass sie sich erst am nächsten Tag zum Arzt begeben habe.

 

Auch war dem BF der Name des Arztes, bei dem seine Frau lt. deren Angaben in Behandlung war, nicht erinnerlich und ist seinen Ausführungen zufolge die Behandlung seiner Frau nach der Abtreibungsspritze in einem Krankenhaus erfolgt, während sich aus den Angaben der BF1 ergibt, dass diese in der Ordination einer Ärztin behandelt worden sei.

 

Auch diese Ungereimtheiten sind geeignet, das Vorbringen des BF2 als unglaubwürdig zu qualifizieren, hat dieser doch angegeben, seine Frau nach Verabreichung der Spritze und auftretenden Beschwerden zum Arzt begleitet zu haben, sodass ihm die diesbezüglichen wesentlichen Umstände bekannt sein müssten.

 

Ebenso ist im Vorbringen des BF2 ein gravierender Widerspruch hinsichtlich der Angaben des durch seinen Vater beauftragten Autounfalles erkennbar.

 

Während er in der hg. Verhandlung auf die Frage, wie er zur Annahme gelange, dass sein Vater den Unfall beauftragt habe, erklärte, der anderen Unfallbeteiligte, mit dem er die Daten wegen der Versicherung ausgetauscht und mehrmals gesprochen habe, habe ihm gesagt, dass sein Vater ihn beauftragt habe, den Unfall zu verursachen, hatte der BF 2 in der behördlichen Einvernahme dazu angegeben, sein Vater habe die Summe für den Auftrag nicht an den Auftragnehmer gezahlt, weshalb dieser Mann dem BF2 alles erzählt habe. Auch diesen Widerspruch vermochte der BF2 über Vorhalt in der hg. Verhandlung nicht auszuräumen.

 

Auch gab der BF 2 nach den gravierendsten Bedrohungen der Familie durch seinen Vater in der hg. Verhandlung gefragt, im Gegensatz zu seinen Angaben im behördlichen Verfahren nicht an, dass die ganze Familie bedroht worden und seine Frau geschlagen worden sei und der Vater ihre Tochter mit dem Umbringen bedroht und seine Frau des Ehebruchs beschuldigt habe sowie gedroht habe, die Kinder nach Afghanistan zu bringen; ebensowenig erwähnte er im Gegensatz zu den Angaben bei der Behörde, dass die Schwiegermutter von seinem Vater belästigt worden sei, indem er mit mehreren Leuten, die mit Holz- und Metallstöcken bewaffnet gewesen seien, dort gewesen sei.

 

Diese Angaben machte der BF weder von sich aus in der hg. Verhandlung, noch über Aufforderung der erkennenden Richterin, die wichtigsten Vorfälle zu nennen. Angesichts der Schwere der behaupteten Eingriffe und Vorfälle und einer naturgemäß mit solchen Vorfällen verbundenen Angst ist es jedoch nicht nachvollziehbar, dass der BF derartige Vorkommnisse nicht von sich aus nennt und überdies über konkretes Nachfragen unerwähnt lässt, sodass nicht davon auszugehen ist, dass derart schwerwiegende Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben, weshalb das diesbezügliche Vorbringen des BF2 als unglaubwürdig zu qualifizieren ist.

 

Zur Illustration des vagen und ausweichenden Aussageverhaltens des BF2 ist folgende Passage in der hg. Verhandlungsschrift zu zitieren:

 

VR: Gab es weitere Vorfälle, die von Ihrem Vater ausgingen?BF: Ich weiß, dass mein Vater uns nicht in Ruhe gelassen hat, aber es waren so viele. Soll ich jeden Vorfall erzählen?VR: Die wichtigsten Vorfälle.

BF: Mein Vater hat versucht mir zu sagen, dass meine Frau keine gute Frau ist. Er hat meine Frau einmal mit einem Messer verletzt. In den fünf bis sechs Jahren hat mein Vater uns nie in Ruhe gelassen.

 

Der BF2 gab in der behördlichen Einvernahme und auch in der hg. Verhandlung an, von Unbekannten entführt, mit einem Messer bedroht und geschlagen worden zu sein, sodass seine Hand beinahe gebrochen und er in einer Klinik behandelt worden sei.

 

In der Erstbefragung anlässlich der Asylantragstellung erwähnte der BF einen solchen Vorfall jedoch mit keinem Wort, was sich insofern besonders gravierend hinsichtlich der Glaubwürdigkeit seiner Angaben auswirkt, als es sich um den einzigen Vorfall und die Gefährdung der körperlichen Integrität des BF handelt und der BF überdies in der hg. Verhandlung erklärte, dieser Vorfall sei kausal für den Ausreiseentschluss gewesen und hätten sie 2 Monate später das Land verlassen (VHS 37: Nach diesem Vorfall haben wir entschieden, nicht mehr dort zu bleiben und haben ca. 2 Monate später das Land verlassen.).

 

Auf die obigen diesbezüglichen beweiswürdigenden Ausführungen sei nochmals verwiesen.

 

Auch schilderte der BF den Vorfall seiner Entführung in der hg. Verhandlung emotionslos und vage und sind ferner Unterschiede zu seinem diesbezüglichen Vorbringen bei der Behörde erkennbar, als der BF dort erklärte, er habe sich (Anm.: bei den Entführern) entschuldigt, woraufhin er freigelassen worden sei. In der hg. Verhandlung gab der BF hingegen an, die Täter hätten ein Polizeiauto gesehen und daraufhin die Flucht ergriffen.

 

Ferner fällt auf, dass der BF bei der Behörde den Vorfall der Entführung zwar schilderte, jedoch Schläge und Verletzungen vorerst im Zuge seiner eigeninitiativen Schilderung nicht angab, sondern erst nach Rückübersetzung der Niederschrift diesbezügliche Ergänzungen vornahm.

Dass der BF 2 gerade Eingriffe in seine körperliche Integrität vorerst nicht erwähnte, stellt einmal mehr ein starkes Indiz dafür dar, dass tatsächlich keine solchen Übergriffe stattgefunden haben, da diesfalls davon auszugehen ist, dass der BF solche sogleich im Zuge seiner Schilderungen erwähnt hätte, was jedoch nicht geschehen ist.

Erneut sei an dieser Stelle auf die hg. beweiswürdigenden Ausführungen zur Thematik Realkennzeichen eines Vorbringens verwiesen und festgehalten, dass auch die Angaben des BF2 solche Kennzeichen nicht aufwiesen, sodass nicht von der Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen ausgegangen werden kann.

Auch die Angabe des BF2, wonach er zu seiner Frau (BF1) gesagt habe, dass seine Verletzung von einem Arbeitsunfall herrühre und diese erst nach der Einvernahme beim BFA den wahren Grund für die Verletzung erfahren habe, ist nicht nachvollziehbar und hat die BF1 auch derartige Angaben in der hg. Verhandlung nicht gemacht.

Dazu steht überdies die Angabe der BF 1 in der hg. Verhandlung in Widerspruch, wonach ihr ihr Mann, sohin der BF2, gesagt habe, geschlagen worden zu sein und erklärt habe, dass er sich von ihr trennen werde (VHS 15: Als mein Mann zurückgekommen ist, habe ich bemerkt, dass er Verletzungen am Arm gehabt hat. Er hat mir erzählt, dass er geschlagen wurde. In diesem Moment hat er das Okay gegeben, dass er sich von mir trennen wird. Er sagte das, um freizukommen. Ich war psychische nicht so stabil, weshalb er mir nicht alles erzählte). Einen Arbeitsunfall als Erklärung für die Verletzung ihres Mannes gab die BF1 in diesem Konnex nicht an.

 

Auch sind die Angaben des BF2 hinsichtlich der Erstattung einer Anzeige nicht miteinander in Einklang zu bringen. Während er in der Erstbefragung dezidiert erklärt hatte, seinen Vater auch bei der Polizei angezeigt zu haben (AS 29), negierte er in der hg. Verhandlung dezidiert, eine solche Anzeige erstattet zu haben.

In Anbetracht dessen, dass es sich hiebei um ein wesentliches Sachverhaltselement handelt, waren die diesbezüglichen Divergenzen einmal mehr geeignet, dem Vorbringen des BF2 die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus den genannten Gründen dem Vorbringen des BF2 insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen war.

 

3.4.2.2. Zur geltend gemachten Konversion des BF2 zum Christentum:

 

Der BF2 gab zu seinem im behördlichen Verfahren geäußerten Wunsch, vom Islam zum Christentum konvertieren zu wollen, in der hg. Verhandlung befragt an, er wolle sich weiterhin informieren und besuche er christliche Sitzungen, er wolle sich bald taufen lassen, da er sicher sei, den richtigen Weg gefunden zu haben.

Zu seinem aktuellen religiösen Status befragt, gab der BF2 an, sein Wissen über das Christentum sei gewachsen und sehe er sich seit ca. drei Jahren als Christ.

 

Der BF2 wurde weiter gefragt, was ihn am Christentum fasziniere und erklärte, die Liebe und der nicht vorhandene Zwang und könne man mit eigenen Worten zu Gott beten, was im Islam nicht möglich sei. Weitere Angaben machte der BF dazu nicht.

 

Bereits diese schlagwortartigen Angaben des BF2, welche jegliche weiterführenden Ausführungen und spirituelle Gedanken dazu vermissen lassen, sprechen nicht für ein tatsächliches Interesse des BF am Christentum, denn gerade von einer Person, welche sich für einen neuen Glauben begeistert und für sich in Anspruch nimmt, sich diesem zugewandt zu haben, wäre zu erwarten, dass es dieser ein Anliegen und ein Bedürfnis ist, über diesen neuen Glauben zu sprechen und von sich aus Angaben dazu zu treffen sowie ihre Ansichten darzulegen, was jedoch beim BF nicht der Fall war.

Vielmehr erschöpften sich die Antworten auf die ihm gestellten Fragen zur christlichen Religion in wenigen kurzen Sätzen bzw. war der BF2 gar nicht in der Lage, essentielle und zentrale Fragen zu dieser Religion zu beantworten.

 

 

Der BF erklärte, gemeinsam mit seiner Frau den Gottesdienst zu besuchen, seine Angaben zum Ablauf eines Gottesdienstes waren jedoch vage und unsubstantiiert. So erklärte der BF, es würden Lieder gesungen werden, der Pfarrer predige und wenn am betreffenden Tag jemand Geburtstag habe, werde gratuliert. Auch finde Abendmahl statt und gebe es nach dem Gottesdienst ein Treffen zum Kaffeetrinken.

 

Im Lichte dieser Ausführungen des BF2 wird evident, dass der BF hinsichtlich des Gottesdienstablaufes keinerlei inhaltliche Angaben, sondern lediglich wenige organisatorische Elemente und Handlungsabläufe benennen kann. Es fällt auch auf, dass der BF das Lesen des Evangeliums als zentralen Teil des Gottesdienstes in seiner Schilderung nicht erwähnte. Bereits im Lichte dieser Ausführungen des BF2 ist einmal mehr nicht davon auszugehen, dass seine Angaben zur Konversion glaubwürdig sind, hätte er doch andernfalls inhaltliche Angaben zum Gottesdienst, welcher als Zusammenkunft von Menschen mit dem Zweck, mit Gott in Verbindung zu treten, mit ihm Gemeinschaft zu haben, Opfer zu bringen, Sakramente zu empfangen bzw. eine auferlegte religiöse Pflicht zu erfüllen, zu verstehen ist, gemacht. Die Angaben des BF2 sind jedoch über die obzitierten Ausführungen nicht hinausgegangen und ließen das soeben dargelegte Element, welches einen Gottesdienst kennzeichnen, zur Gänze unerwähnt.

 

Ebensowenig war der BF in der Lage, die zuletzt im Gottesdienst, den er einen Tag vor der hg. Verhandlung besucht haben will, gehaltene Predigt zumindest im Grundzügen wiederzugeben, sondern gab an, nichts mitbekommen zu haben, da er auf seine kleine Tochter aufgepasst habe.

Zum gelesenen Evangelium führte der BF aus, es sei aus dem Matthäusevangelium gelesen worden und gab zu dessen Inhalt an (VHS 43): ‚Es wurde über diese Stelle gesprochen, wo der Jünger von Jesus sagt, dass die Hände vor dem Essen gewaschen werden, aber Jesus sagt, dass es wichtig ist, dass man innerlich rein ist. Ich war mit meiner kleinen Tochter beschäftigt. Es wurde außerdem Deutsch gesprochen. Ich habe diese Stellen so verstanden, wie ich es heute erzählt habe.‘

 

Auch diese Angaben des BF sind wenig fundiert und wäre es ihm unbenommen gewesen, die betreffende Stelle im Evangelium selbst nachzulesen oder sich diesbezüglich zu erkundigen, was auch hinsichtlich der Predigt möglich gewesen wäre, jedoch nicht geschehen ist. Diese Vorgehensweise des BF spricht weder für eine interessierte Teilnahme am Gottesdienst noch an der gelesenen Bibelstelle und stellt kein Indiz für die Glaubwürdigkeit einer ernsthaften Hinwendung des BF zum christlichen Glauben dar.

 

Die alleinige Präsenz in einem Gottesdienst lässt jedoch nicht gleichzeitig auf eine innere Haltung im Sinne einer interessierten Teilnahme und spirituellen Auseinandersetzung schließen, was auch durch die Antwort des BF evident wird.

 

Der BF2 wurde ferner gefragt, was über Weihnachten in der Bibel zu lesen sei und antwortete darauf nicht bezugnehmend lediglich, Weihnachten sei die Geburt von Jesus.

Wiederholt danach gefragt, was darüber in der Bibel stehe, gab der BF lediglich an, die Mutter von Jesus sei die Jungfrau Maria, welche von Gott schwanger geworden sei und den Sohn in einem Stall geboren habe. Der BF traf keine weiteren Ausführungen, sondern fragte, ob er von der Geburt erzählen solle.

Über Aufforderung, alles was ihm dazu einfalle, zu erzählen, ging der BF2 jedoch nicht weiter darauf ein, sondern gab an, seine Lieblingsstelle in der Bibel handle vom verlorenen Sohn, ohne weiter auf das Weihnachtsevangelium und die an ihn gerichtete Frage bezug zu nehmen.

Erneut zu Weihnachten gefragt, erklärte der BF schließlich, er könne sich nicht so gut konzentrieren, jedoch wisse er von drei Königen, die nach der Geburt Geschenke bringen.

Zum Grund, warum Jesus in einem Stall geboren wurde, erklärte die BF er denke, die Regierung habe damals alle kleinen Kinder umbringen wollen.

Der BF2 vermochte mit diesen stichwortartigen und wenig fundierten Ausführungen, welche auch nicht gänzlich zutreffend sind, keine substantiierten und korrekten Angaben zum Weihnachtsevangelium, einer zentralen Bibelstelle, zu machen. Dadurch wird das kaum vorhandene Bibelwissen des BF ersichtlich, hätte dieser doch bei ernsthaftem Auseinandersetzen mit Bibelinhalten den in der Bibel dargelegten Grund für die Geburt Jesu in einem Stall, die angeordnete Volkszählung, genannt und darüber hinaus detailliertere Angaben rund um die Umstände zur Geburt Jesu machen können, was jedoch nicht geschehen ist.

Die wenigen diesbezüglichen Angaben des BF sprechen auch gegen eine interessierte Teilnahme am Weihnachtsgottesdienst, den er seit der Ankunft in Österreich und im Lichte seiner Angabe, wonach er sich seit drei Jahren als Christ sehe, mehrmals besucht haben müsste, werden doch gerade dort das Weihnachtsevangelium und dessen Bedeutung ausführlich erörtert. Die Unkenntnis der Geschehnisse um die Geburt Jesu schlagen sich einmal mehr besonders gravierend auf die Glaubwürdigkeit der behaupteten Konversion des BF nieder, handelt es sich doch hiebei um eine zentrale Bibelstelle und um eines der wichtigsten Hochfeste der Christen.

Ergänzend sei dazu ferner festgehalten, dass der BF2 als Geburtsort Jesu nicht Bethlehem, sondern Jerusalem nannten und ihm auch nicht bekannt war, aus welchem Grund Jesus den Beinahmen ‚von Nazaret‘ hatte, wobei es sich jedoch um grundlegende Informationen im Zusammenhang mit Jesus handelt.

Die BF vermocht auch nicht, fundierte Angaben zu Fastenzeiten im christlichen Glauben bzw. in der christlichen Glaubenspraxis darzutun, sondern erklärte über Befragen in der hg. Verhandlung gänzlich unzutreffend, die Fastenzeit sei nach der Auferstehung von Jesus. Durch diese Angabe des BF wird deutlich, dass sich der BF weder mit der christlichen Glaubenspraxis des Fastens beschäftigt hat, noch interessiert am Gottesdienst teilnimmt, da dort die 40tägige Fastenzeit vor Ostern umfassend thematisiert wird. Ebensowenig kann daraus auf ein interessiertes Bibelstudium geschlossen werden, da der dort umschriebene 40tägige Aufenthalt von Jesus in der Wüste zur praktizieren Fastenzeit in untrennbarem Zusammenhang steht.

 

Die Erklärung des BF2 für sein Unvermögen, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, wonach er sich noch nicht so lange mit dem Christentum beschäftige, geht insofern ins Leere, als der BF in der hg. Verhandlung selbst angab, sich seit drei Jahren als Christ zu sehen, sodass grundsätzliche Glaubens – und Bibelinhalte – um nichts anderes handelt es sich bei den an den BF gerichteten Fragen – sowie eine entsprechende Glaubenspraxis bei diesem versfestigt sein müssten, was jedoch im Lichte der soeben wiedergegebenen Antworten des BF klar zu verneinen ist.

 

Der BF2 war auch nicht in der Lage, Angaben zu Pfingsten, einem weiteren zentralen christlichen Fest, zu machen, außer, dass er glaube, dass dieses Fest während der Coronazeit begangen worden sei.

Der BF konnte weder angeben, warum Pfingsten - das entsprechende Ereignis wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden - von besonderer Wichtigkeit für die Kirche ist, noch, was darüber in der Bibel steht. Im Hinblick darauf, dass es sich bei Pfingsten um ein zentrales christliches Fest handelt, der BF dazu jedoch keine Angaben machen kann, ist einmal mehr nicht von einer ernsthaften Konversion des BF auszugehen.

 

Der BF erklärte, er wolle sich taufen lassen, er war jedoch nicht in der Lage, seine persönlichen Motive für diesen Wunsch anzugeben, sondern erklärte dazu vage, seinen Weg gefunden zu haben und sei er erlöst und gerettet worden und wolle er offiziell Christ werden.

Gerade der Entschluss zum Empfang der Taufe als christlicher Ritus, der die Eingliederung in die Gemeinschaft der Christen oder ein öffentliches Glaubensbekenntnis bedeutet, sodass dieser Schritt und die Vorbereitung darauf im Falle der Ernsthaftigkeit eine erhebliche Bedeutung einnimmt, müsste seitens des BF fundiert und unter Einbeziehung persönlicher und spiritueller Momente dargelegt werden können, wozu der BF jedoch mit den zitierten Angaben nicht in der Lage war.

 

Es fällt in diesem Zusammenhang auch auf, dass der BF in der hg. Verhandlung zwar über Befragen der erkennenden Richterin einen Taufwunsch äußerte und erklärte, er habe wegen der Coronakrise noch keinen Tauftermin erhalten. Lt. zeugenschaftlicher Angaben des in der hg. Verhandlung einvernommenen Pastors seiner Kirche hat der BF2 bei diesem jedoch einen solchen Wunsch bislang nicht deponiert, was gegen einen tatsächlichen Wunsch des BF spricht, getauft zu werden, hätte er doch diesfalls eine entsprechende Intention bei dem dafür zuständigen Pastor geäußert. Den Angaben des Zeugen, der der Wahrheitspflicht unterliegt, kommt mehr Glaubwürdigkeit zu, als den Angaben des BF, dessen Vorbringen auch in anderen Teilen vage, unplausibel und widersprüchlich ist.

 

Der BF2 gab über Nachfragen in der hg. Verhandlung ferner an, bereits seit drei Jahren an einem diesbezüglichen Unterricht teilzunehmen.

Über Befragen zum Inhalt des Unterrichts führte der BF lediglich allgemein aus, es sei über das Christentum gesprochen worden und erklärte über Aufforderung, konkrete Angaben zu machen wie folgt (VHS 45): BF: ZB warum Jesus gekreuzigt wurde und sich geopfert hat. Über die Auferstehung von Jesus wurde gesprochen, über sein Leben und die Wunder. Er hat Wasser zu Wein verwandelt.

Weiter gefragt, nach besonders beeindruckenden Elementen gab der BF wiederum allgemein an, dass der gesamte Unterricht für ihn interessant gewesen sei und habe er begonnen, diesen mit dem Islam zu vergleichen.

Auch diese unkonkrete Antwort des BF lässt keinerlei Rückschlüsse auf besondere Eindrücke des Glaubenskurses, den er bereits seit drei Jahren besuchen will, zu.

Es ist jedoch von einer Person, welche sich tatsächlich für einen neuen Glauben interessiert, zu erwarten, dass diese umfassendere Angaben, etwa über Bibelstellen, welche sie besonders beeindruckt oder beschäftigt haben, über diskutierte Fragen und Ansichten im Kurs sowie über grundsätzliche, einprägsame Kursinhalte macht, was jedoch nicht geschehen ist und einmal mehr wenig bzw. nicht vorhandenes Interesse des BF2 für den christlichen Glauben deutlich macht.

Auch auf die konkrete Frage, was ihn an dem Kurs besonders beeindruckt habe, blieb der BF2 wiederum bei einer allgemeinen oberflächlichen Antwort.

Von einer Person, welche sich mit einem neuen Glauben beschäftigt, kann jedoch erwartet werden, dass sich diese umfassend mit Glaubensinhalten auseinandersetzt und auch dazu in der Lage ist, diese wiederzugeben bzw. eigene spirituelle Gedanken dazu zu formulieren und mitzuteilen, was beim BF jedoch nicht der Fall war.

 

Der BF2 wurde in der hg. Beschwerdeverhandlung im Sinne einer Gesamtbetrachtung auch zum Praktizieren seines Glaubens befragt und erklärte, er besuche die Kirche, er bete und lüge nicht, er versuche anderen zu helfen und ein guter Christ zu sein.

 

Der BF nannte nach seiner Glaubenspraxis gefragt, jedoch weder das Lesen der Bibel noch die persönliche Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten.

Zum angegebenen Gottesdienstbesuch ist einmal mehr auf die diesbezüglichen vagen Angaben des BF zu verweisen und festzuhalten, dass die alleinige Präsenz in einem Gottesdienst oder einem Glaubenskurs jedoch nicht gleichzeitig auf eine innere Haltung im Sinne einer interessierten und ernsthaften Teilnahme und einer persönlichen spirituellen Auseinandersetzung schließen lässt, was durch die diesbezüglichen unkonkreten Antworten des BF2 auch deutlich wird.

 

Eine Person, die sich tatsächlich für den christlichen Glauben interessiert, ja sogar angibt, zu diesem konvertiert zu sein, würde jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung und auch nach der Erfahrung der erkennenden Richterin im Zusammenhang mit Asylverfahren von Personen, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, gerade die Bibel, die als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt und für Christen die wichtigste Urkunde des Glaubens darstellt, die zentrale Erkenntnisquelle zum Vertiefen und Praktizieren des neuen Glaubens heranziehen und darin lesen, dies vor allem auch deshalb, da im Gegensatz zum Iran, in Österreich eine ungehinderte Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich ist.

Darüber hinaus ist davon auszugehen und entspricht es auch dem hg. Amtswissen, dass Bibeln in der vom BF gesprochenen Sprache jedenfalls auch in Österreich erhältlich sind und können diese auch im Internet abgerufen werden.

Das Lesen in der Bibel wäre vor allem im Falle des BF naheliegend, um etwa Evangeliumsstellen, die im Gottesdienst gelesen und abgehandelt wurden, im Falle des mangelnden Verständnisses nachzulesen und insgesamt sein Bibelwissen zu erweitern, was jedoch den Angaben des BF nicht entnommen werden kann.

 

Erst über konkretes Nachfragen gab der BF an, in der Bibel zu lesen, um über weiteres Befragen zu erklären, dies zuletzt zwei Tage vor der Verhandlung getan zu haben.

Doch auch die weitere unsubstantiierte Antwort, wonach er im Alten Testament von Moses gelesen habe, lässt weder Rückschlüsse auf eine konkrete gelesene Stelle zu noch darauf, dass sich der BF damit inhaltlich oder spirituell auseinandergesetzt hat.

 

Abschließend ist festzuhalten, dass der BF gefragt wurde, was er über Paulus wisse.

Der BF nannte in diesem Zusammenhang jedoch weder die Paulusbriefe als wichtigen Bestandteil der Bibel noch vermochte er die Rolle des Paulus, der als wichtigster Theologe und Missionar des Urchristentums gilt, richtig zuzuordnen.

Vielmehr gab der BF unzutreffend an, bei Paulus handle es sich um einen der 12 Jünger, um über Nachfragen weiter auszuführen, dass es sein könne, dass dieser Jesus für 30 Silbermünzen verraten habe, doch sei er durcheinander. Die Antwort des BF2 macht deutlich, dass er offensichtlich Judas und Paulus verwechselte.

 

Der BF konnte wenige der ihm gestellten Wissensfragen teilweise auch rudimentär und stichwortartig beantworten, was jedoch für sich betrachtet nicht dazu geeignet ist, eine Konversion im Sinne einer inneren Haltung glaubwürdig darzulegen. So ist davon auszugehen, dass es nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich einen grundsätzlichen Wissensstand zu Glaubens- und Bibelinhalten durch entsprechendes Lernen anzueignen und sind dem hg. Amtswissen zufolge auch im Internet entsprechende Fragenkataloge speziell für im Asylverfahren vorgebrachte Konversion abrufbar.

Die Aneignung von Wissen allein ist jedoch für eine tatsächliche glaubwürdige Konversion nicht ausreichend, sondern ist dafür eine Gesamtbetrachtung notwendig, aus der sich jedoch aus den dargelegten Gründen deutlich die Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF2 ergibt.

 

Dass der Glaube für den BF neu ist, kann angesichts der seitens des BF gemachten Angaben, wonach er sich seit ca. drei Jahren als Christ sehe, nicht erkannt werden, sondern könnte bei Glaubwürdigkeit der Angaben des BF2 davon ausgegangen werden, dass dieser zumindest seit drei Jahren in Österreich, einem Land, in dem Religionsfreiheit herrscht, seinen neuen Glauben umfassend und ungehindert ausüben kann, sodass er auch in der Lage ist, entsprechend fundierte Ausführungen inklusive eigener spiritueller Gedanken und Ansichten dazu zu machen, was jedoch im Lichte der vagen und unsubstantiierten Angaben des BF2 zu verneinen ist.

 

Aus den dargelegten Erwägungen war auch die Glaubwürdigkeit der Konversion des BF 2 zu verneinen.

 

Konversion (lat.: conversio ‚Umwendung, Umkehr‘) bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen sowie möglicherweise auch anderen Teilen der mit der fremden Religion verbundenen Kultur durch eine konvertierende Person. Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen der erkennenden Richterin nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion des BF2 zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken.

 

Der VwGH verlangt zur Feststellung, ob ein Antragsteller tatsächlich oder nur zum Schein konvertiert ist, eine schlüssige Gesamtbeurteilung. Elemente für eine solche Gesamtbeurteilung können sein: eine nähere Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten und seinem religiösen Grundwissen sowie eine konkrete Auseinandersetzung mit Angaben etwaiger Zeugen. Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485).

 

Die soeben dargelegte Vorgehensweise des BF2 hinsichtlich seiner Absicht, sich taufen zu lassen, seine Angaben zu Glaubens- und Bibelinhalten, zu seiner Glaubenspraxis sowie der persönliche Eindruck, den dieser in der hg. Verhandlung hinterließ, vermittelt deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung des BF2 mit christlichen Glaubensinhalten nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich zum Schein erfolgte.

 

Vielmehr sprechen die in der hg. Verhandlung hervorgekommenen Aktivitäten und vagen sowie ausweichenden Ausführungen des BF2, für keine substantiierte spirituelle Haltung, welche von einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben, welcher aufgrund der in Österreich herrschenden Religionsfreiheit auch frei gelebt werden kann, zugewendet und einen Taufwunsch in der hg. Verhandlung bekundet hat, zu erwarten ist, sondern dafür, dass der BF2 die Taufe, lediglich aus Opportunitätserwägungen beabsichtigt. Auch die zeugenschaftlichen Angaben des Pastors und einer Angehörigen der XXXX in der hg. Verhandlung vermögen daran nichts zu ändern.

Die Angaben der beiden Zeugen (der Pastor, der christlichen Gemeinde, der die Beschwerdeführer angehören sowie eine Angehörige der Glaubensgemeinschaft, der die BF angehören), welche sich auf äußere Faktoren zur Konversion wie Gottesdienstbesuch und weitere nach außen in Erscheinung tretende persönliche Eindrücke beziehen, vermögen nach Ansicht der erkennenden Richterin nicht, die dargelegten Mängel, welche gegen einen tatsächlichen Glaubens- bzw. Gesinnungswandel des BF2 sprechen, zu kompensieren und kann alleine aus solchen äußeren Faktoren, welche jedoch nichts über die tatsächliche innere Haltung des BF2 aussagen, doch keine Konversion des BF2 mit allen bereits mehrfach umschriebenen Voraussetzungen und Folgewirkungen abgeleitet werden. Hervorzuheben ist in Zusammenhang mit dem in der hg. Verhandlung angegebenen Taufwunsch des BF2 an dieser Stelle auch die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge es für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, nicht auf den Formalakt der Taufe, welcher im gegebenen Fall zweifelsohne vorliegt, sondern auf die religiöse Einstellung des Asylwerbers ankommt (vgl. zuletzt VwGH vom 21.12.2006, 2005/20/0624).

 

Von einer missionarischen Tätigkeit des B 2, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, kann beim BF 2 aufgrund der bisherigen hg. Ausführungen nicht ausgegangen werden und hat er eine solche auch nicht behauptet.

Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich der BF2 ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr in Aghanistan diesen Glauben praktizieren wird und deshalb in das Blickfeld der Behörden geraten oder missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein wird.

 

Dass die vorgebliche Konversion des Beschwerdeführers und seine beabsichtigte Taufe den afghanischen Staatsorganen bereits bekannt geworden sind, hat dieser nicht in glaubwürdiger Weise behauptet. Aus dem ausreisekausalen Vorbringen des BF2 ergibt sich nicht, dass dieser in politischer oder religiöser Hinsicht in irgendeiner Form auffällig geworden und in das Visier der afghanischen Behörden geraten ist.

Es lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass der Beschwerdeführer derart in das Blickfeld der afghanischen Behörden geraten wäre, sodass er unter Beobachtung steht und seine Betätigung im christlichen Umfeld insofern registrieren möchte, um ihn - im Falle der Rückkehr - wegen Abfalls vom Glauben ("Apostasie") zu belangen, nichts zu ändern vermag, ist doch nicht davon auszugehen, dass afghanische Behörden alle im Ausland vorgenommenen Taufen und Kirchenbesuche beobachten und registrieren, was auch deren faktische Möglichkeiten bei weitem übersteigen würde.

Dass der BF2, welcher zum Schein konvertiert ist, den christlichen Glauben ausübt, ist naturgemäß auszuschließen und kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es dem BF 2 ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. ist zu verneinen, dass der BF2 aufgrund seines kaum bzw. lediglich fragmentarisch vorhandenen Wissens hinsichtlich christlicher Glaubensinhalte dazu in der Lage wäre.

Aus den Länderfeststellungen ist letztlich zu schließen, dass in Afghanistan konvertierten Christen bei Unterbleiben eines Widerrufs der Konversion die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung (Männer: Enthauptung, Frauen: lebenslange Haft) sowie gesellschaftliche Ausgrenzung und Angriffe drohen können.

Wie die hg. Beweiswürdigung ergab, ist nicht von einer Konversion des BF2 auszugehen, sodass diebezüglich auch keine Konsequenzen in Anfghanistan drohen bzw. wäre es ihm gegebenenfalls zuzumuten, eine ihm unterstellte Konversion zu widerrufen, da der christliche Glaube für ihn nicht identitätsstiftend ist.

Das Verhalten des BF 2 erweist sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den afghanischen Behörden auszulösen. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht der erkennenden Richterin daher nicht gegeben.

Der BF2 hat auch nicht glaubwürdig vorgebracht, dass sich seine Familie zu seinem scheinbaren Glaubensübertritt negativ geäußert hätte und ist nicht davon auszugehen, dass diese die afghanischen Behörden diesbezüglich in Kenntnis setzt.

 

3.4.3. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass es gegen die persönliche Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer 1 und 2 spricht, dass sich diese vor ihrer Weiterreise nach Österreich etwa bereits in Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn aufgehalten haben, ohne jedoch dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt zu haben. Aus welchen Gründen sie dies unterlassen haben, wurde von ihnen nicht substantiiert angeführt.

In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 (in Kraft seit 9. Jänner 2012, Umsetzung bis 21. Dezember 2013) über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Statusrichtlinie) zu verweisen, welche in ihrem Art 4 Abs 5 lit d vorsieht, dass dann, wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises bedürfen, wenn der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war. Wendet man diese sekundärrechtliche Norm im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung auf das gegenständliche Verfahren an, so ergibt sich um Umkehrschluss, dass gegenständlich jedenfalls - glaubwürdige - Beweise erforderlich gewesen wären.

Die BF mussten auf ihrer Reise nach Österreich sohin auch durch andere als sicher geltende Staaten reisen und wäre es ihnen möglich und zumutbar gewesen schon dort um Schutz anzusuchen. Durch das Unterlassen kann geschlossen werden, dass andere Motive als jene der Schutzsuche existent sind.

Es ist aus der Aktenlage nachvollziehbar, dass die BF nunmehr Präferenzen haben in Österreich zu leben. Zur Erreichung dieses Zieles scheuen die BF offensichtlich nicht davor zurück im Asylverfahren - trotz ergangener Belehrung und Aufforderung die Wahrheit zu sagen und Hinweis auf nachteilige Folgen im Falle wahrheitswidriger Angaben - über persönliche und für das Verfahren maßgebliche Umstände zu täuschen. Die generelle persönliche Glaubwürdigkeit der BF ist daher im Verfahren auch aus diesem Grund zu verneinen. Warum sie angesichts der von ihnen skizzierten Bedrohungslage im Herkunftsland nicht zumindest versucht haben, möglichst zeitnah zur Einreise ein Schutzansuchen in Griechenland, Serbien, Mazedonien oder Ungarn zu stellen, erweist sich als nicht plausibel erklärbar. Würde man doch bei begründeter Furcht vor Verfolgung dieses Ausmaßes annehmen können, dass von Asylwerbern die nächste Gelegenheit genützt wird, um Schutz zu ersuchen.

 

3.5. Zu den Länderberichten:

 

Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im jeweiligen Herkunftsstaat der Beschwerdeführer ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Es wurden dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Auch ist auszuführen, dass die den BF zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation der BF in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation der BF unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden

kann (dazu auch Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu § 52 AVG).

Überdies handelt es sich bei den seitens des BFA dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen und den hg. Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Dass sich die Situation im Herkunftsstaat der Asylwerber insofern geändert hat, als diese dem zitierten Länderdokumentationsmaterial nicht mehr entsprechen würde, ist nicht notorisch.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht die Lage in Afghanistan und Iran und die Tatsache, dass es in Afghanistan immer wieder zu Anschlägen kommt.

Auf Grundlage dieser Länderberichte und aufgrund des aktuellen Länderinformationsblattes (LIB) des BFA kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer extremen Gefährdungslage in Afghanistan oder im Iran gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist

 

Den Beschwerdeführern, wurden die aktuellem Länderfeststellungen zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit gegeben, spätestens bis zur mündlichen Verhandlung am 25.06.2020 dazu Stellung zu nehmen. Die BF haben davon keinen Gebrauch gemacht.

 

3.6. Zur Beschwerde der Beschwerdeführer, ist folgendes festzuhalten:

 

Insofern in der Beschwerde Ausführungen gemacht und Berichte zitiert werden, welche die Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdefüher voraussetzen, so ist aufgrund der Ergebnisse der Beweiswürdigung, wonach von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführer auszugehen ist, nicht weiter darauf einzugehen.

 

4. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A):

 

4.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

 

4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

4.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführer, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Nach Ansicht der erkennenden Richterin sind im Falle der Beschwerdeführer die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK genannten Gründen nicht gegeben.

Das ausreisekausale Vorbringen der BF1 und des BF2 und der von ihnen geltend gemachte Nachfluchtgrund der Konversion war in seiner Gesamtheit - wie in der Beweiswürdigung detailliert ausgeführt - nicht als glaubwürdig zu qualifizieren, weshalb es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist (vgl. VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zahl: 2003/20/0544) ist zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Z1. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zahl: 2000/20/0102). In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.

 

Nachdem alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2004/83 /eg, kann einem Flüchtling nicht mehr angesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das sogenannte „forum internum" zu beschränken.

 

Asylbegehren, die auf Verfolgung mit religiösem Hintergrund gestützt werden, müssen so hin unter Berücksichtigung der unmittelbar anwendbaren Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2004/83 /eg geprüft werden. Gemäß dieser Richtlinie muss so hin die öffentliche Ausübung (forum externum) des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein.

 

Um von einer Asylrelevanz überhaupt ausgehen zu können, kommt es auf die Art der Ausübung des christlichen Glaubens im Iran an, sowie darauf, ob der Asylwerber bei der Ausübung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Gefährdung zu rechnen hat.

 

Es bedarf hinsichtlich einer etwaigen Gefährdung im Heimatland grundsätzlich der vollen richterlichen Überzeugung, dass jemand während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung auch bei angenommener Rückkehr eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat. Dazu genügt regelmäßig nicht, dass ein Kläger in der mündlichen Verhandlung fragen zum Christentum fehlerfrei beantwortet, weshalb für eine Überzeugungsbildung prinzipiell alle Aspekte eines Falles in den Blick zu nehmen sind. Dazu können beispielsweise die Persönlichkeit und intellektuelle Disposition eines Ausländers, die Glaubhaftigkeit seines Vorfluchtvorbringens sowie der Zeitpunkt der Kontaktaufnahme zu einer christlichen Gemeinde in Relation zur Einreise in die Bundesrepublik und zum Datum der Asylantragsentscheidung zählen. Ebenfalls für die richterliche Überzeugungsbildung prinzipiell erkenntnisgeeignet sind das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde bzw. die näheren Umstände ihrer Arbeit. So ist gerichtsbekannt, dass die Freie evangelische Gemeinde Nürnberg ein Treffpunkt iranischer Asylwerber ist, der durch Mund-zu Mund-Propaganda mitgeteilt wird (VG Ansbach, U vom 05.12.2014 –AN 1 K 14.30550 5565537 zu Iran; vergleichbar VG Gießen, U.v.11.12.2014 – 3K 1598/14.GLA 5737602 zu Iran; VG Frankfurt/M., U.v.24.09.2014 – 1 K3593/13.F.A. 5481537 zu Iran; VG Wiesbaden, U.v. 20.08.2014 – 2 K 1111/12. WI.A 5465041 zu Pakistan).

Bei der Prüfung, ob tatsächlich Verfolgungsgefahr gegeben ist, sind sowohl objektive als auch subjektive Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Es kommt nicht ausschließlich auf den erfolgten Glaubensübertritt an, da dieser allein in der Regel noch nicht zu einer begründeten Verfolgungsfurcht führt. Bei Antragstellern, die unverfolgt aus dem Herkunftsstaat ausreisen, wird daher eine doppelte Prognose unter Würdigung der Gesamtumstände vorgenommen. Zu berücksichtigen ist das zu erwartende Verhalten des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat und die voraussichtliche Reaktion der Behörden oder anderer Akteure. Maßgeblich für diese doppelte Prognose sind jedoch nicht detaillierte Kenntnisse über die Konversionsreligion und spielen diese bei der Entscheidung eine untergeordnete Rolle.

Basis der doppelten Prognose ist die Ernsthaftigkeit des religiösen Engagements, das sich durch ein Verhalten ausdrückt. Bescheinigungen über die Art, den Umfang und die Dauerhaftigkeit der Beteiligung des Antragstellers an den Aktivitäten der jeweiligen Kirchengemeinde geben darüber Aufschluss und sind zu berücksichtigen. Für die Überzeugung werden stets alle Aspekte des jeweiligen Falles - sowohl subjektive als auch objektive- in den Blick genommen (Sarah Bega, 410/Ursula Gräfin Praschma, AL 4, Entscheiderbrief des BMF 5/2015).

 

Im Lichte der in das Verfahren integrierten Länderinformationen und auch der zitierten aktuellen Judikatur ist der Schluss zu ziehen, dass aus der lediglich formalen, bzw. zum Schein erfolgten Konversion zum christlichen Glauben - wie sie in casu vorliegt - ohne dem Vorliegen einer exponierten Tätigkeit wie etwa missionarischer Aktivitäten, keine asylrechtlich relevante Gefährdung resultiert.

Dass die BF1, wie viele andere iranische Konvertiten die Kirche besuchten und getauft wurde und ihr dies im Rückkehrfall in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereicht, kann aufgrund der in der Beweiswürdigung getroffenen Ausführungen, wonach nicht davon auszugehen ist, dass die Person der BF1 für die iranischen Behörden in irgendeiner Weise von Interesse ist und unter Beobachtung steht und es somit keinen ersichtlichen Grund gibt, wie die Aktivitäten der BF1 den iranischen Behörden oder Privatpersonen bekannt werden sollte, nicht festgestellt werden.

Auch betreffen den in das Verfahren aufgenommenen Länderfeststellungen zufolge Repressionen jedoch vor allem missionierende Christen und sehen sich christliche Konvertiten aufgrund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt. Dass die BF1, welche zum Schein konvertiert ist, den christlichen Glauben ausübt, ist naturgemäß auszuschließen und kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es der BF1 ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. ist zu verneinen, dass die BF1 aufgrund ihres rudimentär, jedoch unsubstantiiert vorhandenen Wissens hinsichtlich christlicher Glaubensinhalte dazu in der Lage wäre.

Auch ist den Feststellungen zu entnehmen, dass Geistliche, welche im Iran in der Vergangenheit verfolgt oder ermordet wurden, im Ausland zum Christentum konvertiert waren. Bei der BF1 handelt es sich jedoch um keine Geistliche, sondern um eine Person, welche formal und lediglich zum Schein konvertiert ist, sodass daraus keine asylrelevante Gefährdung der BF1 abzuleiten ist.

Aus den Länderfeststellungen ist letztlich zu schließen, dass nur iranische Staatsangehörige, die sich als Folge ihrer missionarischen Betätigung für das Regime deutlich von der breiten Masse abheben (Kirchenführer, in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen), Gefahr laufen, dass sich die iranischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen.

Im Hinblick darauf, dass der iranische Staat nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen kann, muss sich sein Interesse auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements eine potentielle Gefahr für den ausschließlichen Machtanspruch des Regimes im Iran darstellen könnten.

Das Verhalten der BF1, erweist sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht der erkennenden Richterin daher nicht gegeben.

Die BF hat auch nicht glaubwürdig vorgebracht, dass sich ihre Familie zu ihrem scheinbaren Glaubensübertritt negativ geäußert hätte und ist nicht davon auszugehen, dass diese die iranischen Behörden diesbezüglich in Kenntnis setzt.

4.1.3. Insoweit die BF1 angibt, im Iran als Frau generell benachteiligt zu sein und einen westlichen Lebensstil zu pflegen, ist folgendes festzuhalten:

Wenn die Beschwerdeführerin Schwierigkeiten hinsichtlich der Einhaltung der religiösen Bekleidungsvorschriften erwähnt, begründet auch dies für den Fall ihrer Rückkehr in den Iran nicht die Gefahr asylrelevanter Verfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass im Iran eine detaillierte Kleiderordnung gilt, die für Frauen insbesondere eine nahezu vollständige Verhüllung des Körpers und der Haare mit dunklen und festen Kleidungsstücken - durch den Tschador oder einen langen Mantel und Kopftuch - vorschreibt, bei deren Verletzung Sanktionen erfolgen können. Auch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die in den letzten Jahren - insbesondere in der Regierungszeit des Präsidenten Ahmadinejad - bisweilen festzustellende großzügigere Auslegung und Anwendung der Bestimmungen einer strengeren Handhabung gewichen ist, welche zwischenzeitlich unter Präsident Ruhani wieder gelockert wurde. Dies entspricht es dem hg. Amtswissen bzw. ist den Massenmedien zu entnehmen, dass die Kleidervorschriften für Frauen im Iran unter Präsident Ruhani gelockert wurden. (vgl. etwa Die Zeit, 13.11.2013: Iran: Irans Präsident lockert Kleiderordnung für Frauen Ruhani schränkt die Machtbefugnisse der Sittenpolizei ein. Neben Kopftuch, Tschador und Hedschab ist es den Frauen im Iran nun auch erlaubt, das Haar offen zu tragen. Die iranischen Sittenwächter dürfen Frauen zukünftig auf der Straße nicht mehr aufhalten, sollte ihre Kleidung nicht den islamischen Vorschriften entsprechen. Bereits im Oktober hatte sich Präsident Hassan Ruhani vor Absolventen einer Polizeiakademie dafür ausgesprochen, dass Frauen sich auf der Straße und im Umgang mit der Polizei wieder sicher und entspannt fühlen sollten, wie die Khaleej Times aus Dubai berichtet. Er rief die Polizei zur Nachsicht auf und sprach den iranischen Frauen Mut zu).

Bei den an die Nichtbeachtung der Bekleidungsvorschriften anknüpfenden Maßnahmen handelt es sich aber zunächst lediglich um eine - unpolitische - Ahndung eines Verstoßes gegen die öffentliche Moral. Die Bekleidungsvorschriften haben ihre Ursache in den im Iran besonders strengen, vor allem die Frauen betreffenden Moralvorstellungen. Sie dienen der Aufrechterhaltung äußerlicher Formen der Frömmigkeit bzw. der öffentlichen Moral und haben deshalb ordnungs- oder strafrechtlichen Charakter. Daher sind diese staatlichen Maßnahmen unter asylrechtlichen Aspekten hinzunehmen, auch wenn sie im Gegensatz zur Werteordnung der Bundesrepublik Österreich und nicht im Einklang mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 7 B-VG stehen. Sie stellen sich weder als Eingriff in die asylrechtlich geschützte Religionsausübung noch als geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des Asylrechts dar. Sie betreffen zudem grundsätzlich alle Bewohner(innen) des Landes gleichermaßen, sodass die Ahndung eines Verstoßes gegen derartige Verhaltensvorschriften regelmäßig keine den Betroffenen "aus der staatlichen Rechts- und Friedensordnung ausgrenzende politische Verfolgung" ist.

Das Asylrecht soll zudem nicht jedem, der in seiner Heimat benachteiligt wird, die Möglichkeit eröffnen, seine Heimat zu verlassen oder dorthin nicht zurückkehren zu müssen, weil er in Österreich eine bessere Lebenssituation vorfindet. Vielmehr ist eine Rechtsgutbeeinträchtigung von asylerheblicher Intensität erforderlich. Bei Eingriffen, die nicht unmittelbar das Leben, die Gesundheit und die physische Bewegungsfreiheit betreffen, ist das erst der Fall, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben. (vgl. Erkenntnis d. VwGH vom 22.06.1994, Z. 93/01/0443; VwGH vom 15.09.1994, Zl. 94/19/0389; VwGH 11.11.1987, 87/01/0136).

Im Lichte dieser Rechtsprechung stellen sich auch die strengen Bekleidungsvorschriften und die sonstigen Diskriminierungen, welche die Frauen generell in islamischen Ländern und speziell im Iran betreffen - dort aber nicht wirklich in Frage gestellt werden -, nicht als asylerheblich dar. So ist mit den hieraus folgenden Einschränkungen des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit noch nicht ein menschenunwürdiges Dasein verbunden, das eine Frau in eine den Schutz des Asylrechts nach sich ziehende ausweglose Lage bringt.

Ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Aufenthaltes in Österreich inzwischen im Falle der Rückkehr in den Iran mit der dortigen Rolle der Frau und insbesondere mit den Bekleidungsvorschriften zusätzlich Probleme hätte, ist unerheblich. Es ist ihr zuzumuten, sich hiermit abzufinden. Denn diese Moralanschauungen sind ihr nicht fremd und sie hat sie in der Vergangenheit beachtet. Sie ist immerhin im Iran geboren und hat dort einen großen Teil ihres Lebens verbracht. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin - zumal unter dem Eindruck der ihr anderenfalls drohenden Sanktionen - nicht bereit wäre, sich den Moralanschauungen ihres Heimatstaates wieder anzupassen. (siehe hierzu auch das aktuelle Urteil des schweizerischen Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.12.2008, D-4984/2008 sowie die Judikatur der deutschen Gerichte:

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.08.2006 2 K 2689/06.A; BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1989 - 9 B 258.88 -, InfAuslR 1989, 216, zur Verurteilung eines Iraners zu 100 Peitschenhieben, weil er sich mit seiner Freundin verbotenerweise in der Öffentlichkeit gezeigt hat; OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 1992 - 16 A 10941/90 -, juris Rechtsprechung Nr. MWRE181639300, zur Diskriminierung von Frauen durch Bekleidungsvorschriften u.a. im Iran; vgl. auch Hess. VGH, Urteil vom 27. Januar 1992 - 13 UE 567/89 -, juris Rechtsprechung Nr. MWRE104719200; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 1992, a.a.O.; OVG Koblenz, Beschluss vom 17. Mai 2002 - 6 A 10217/02 -, NVwZ-Beilage 2002, 100, zur vergleichbaren Situation in Afghanistan; vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 16. Februar 2006 - 14 A 62/99 -, zu dem Fall einer seit 30 Jahren im Ausland lebenden Iranerin).

Das Bundesverwaltungsgericht verkannt auch nicht, dass sich die Situation von Frauen im Iran und deren Ungleichbehandlung gegenüber Männern als unbefriedigend darstellen mag, jedoch kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhaltes bzw. einer Asylgewährung für die Beschwerdeführerin führen. Die von ihr geltend gemachten Benachteiligungen welche sie als Frau zu erdulden hat, sind nämlich von ihrer Intensität her indessen nicht asylrelevant. Vielmehr handelt es sich dabei in Anbetracht aller Umstände um relativ geringfügige Einschränkungen im Alltag, von welchen alle Frauen im Iran in vergleichbarer Lage ebenso betroffen sind.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zusammengefasst keineswegs die Ernsthaftigkeit der subjektiven Befürchtungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer persönlichen Situation und der Nichteinhaltung der Kleidervorschriften, kommt aber zum Schluss, dass diese aus objektiver individueller Sicht (auf die es hier, mangels einer Gruppenverfolgung primär ankommt) keine asylrelevante Gefährdung darstellen.

 

4.1.4. Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall aufgrund der dargelegten Erwägungen zu verneinen.

Nach den getroffenen Feststellungen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass iranische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

 

4.1.5. Was die geltend gemachte Konversion des BF2 betrifft, ist ebenso auf die beweiswürdigenden Ausführungen zu verweisen, wonach einem Glaubenswechsel die Glaubwürdigkeit abzusprechen war. Insofern hat der BF2 diesbezüglich keine strafrechtlichen Konsequenzen in Afghanistan zu befürchten bzw. hätte er überdies die Möglichkeit, die Scheinkonversion zu widerrufen. Weder in Zusammenhang mit seiner Konversion noch mit seinem sonstigen Vorbringen hat der BF2 eine individuelle Verfolgung seiner Person vorgebracht.

 

Auch das Faktum einer Reisepassausstellung im Jahr 2012 für den BF2 durch die afghansichen Behörden macht evident, dass der Beschwerdeführer offensichtlich keine Bedenken hatte, sich an die Behörden seines Heimatstaates zu wenden, um einen Reisepass zu erhalten, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass er auch keine Verfolgung seitens des Heimatstaates befürchtet und ist diese Vorgangsweise geeignet, die hg. Ansicht zur mangelnden Existenz einer Verfolgungsgefahr in Afghanistan zu untermauern. (dazu auch VwGH 23.05.1996, 95/18/0027,; 04.09.1996, 95/21/0112).

 

Insofern der BF2 hinsichtlich einer Rückkehr nach Afghanistan die unsichere Lage in seinem Herkunftsstaat geltend machte, ist festzuhalten, dass sich daraus keine asylrelevante Gefährdung für den BF2 (dies ebensowenig für die BF 3-5) ergibt, da eine Kriegssituation oder eine allgemein schlechte Situation bzw. Unruhen im Heimatstaat nach der ständigen Rechtsprechung, aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden hat, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft indiziert.

Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgehen.

Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff ist die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, dass es Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen im Heimatstaat des BF gibt.

 

Besondere Umstände, dass die Vertreter staatlicher bzw. quasi-staatlich agierender Autoritäten, ein individuell sich gegen die Person des Antragstellers richtendes Interesse an einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe gehabt hätten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden und sind auch sonst nicht im Verfahren hervorgekommen.

Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289).

4.1.6. Für die Beschwerdefüher 3-5 wurden keine eigenen Asylgründe vorbebracht. Wenn der BF2 in der hg. Verhandlung erklärte, er wünsche sich für seine Kinder eines bessere Zukunft und ausbildung ist dazu der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass allein wirtschaftliche Gründe eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen (VwGH 91/01/0146, 18.12.1991 Hinweis auf StammrechtssatzGRS wie 85/01/0052 E 20. Februar 1985 RS 2 (hier: Eine Enteignung von Grund und Haus ohne massive Bedrohung der Lebensgrundlage stellt lediglich einen wirtschaftlichen Nachteil dar, zumal der Asylwerber gegen Bezahlung einer Miete weiterhin dort leben konnte); gleichlautend: VwGH 90/01/0086, 30.05.1990; 88/01/0190, 09.11.1988).

Das Asylrecht soll nicht jedem, der in seiner Heimat benachteiligt wird, die Möglichkeit eröffnen, seine Heimat zu verlassen und dorthin nicht zurückkehren zu müssen, weil er in Österreich eine bessere Lebenssituation vorfindet. Vielmehr ist eine Rechtsgutbeeinträchtigung von erheblicher Intensität erforderlich. Bei Eingriffen, die nicht unmittelbar das Leben, die Gesundheit und die physische Bewegungsfreiheit betreffen, ist das erst der Fall, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (VwGH 22.06.1994, 93/01/0443; VwGH 15.09.1994, 94/19/0389; VwGH 11.11.1987, 87/01/0136)

 

4.1.7. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde der BF1 und des BF2 sowie der BF 3-5 gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides abzuweisen. Dies ferner unter Berücksichtigung dessen, dass die Beschwerdeführer auch aus dem Verfahren ihrer jeweiligen Familienangehörigen keinen derartigen Status ableiten können, da deren Beschwerden mit diesem Ekenntnis des heutigen Tages im Ergebnis ebenfalls gleichlautend entschieden wurden.

 

4.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

 

4.2.2. Die klare Anordnung des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 bestimmt als Herkunftsstaat den Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - den Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht. Nur im Falle der Staatenlosigkeit wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (Hinweis E vom 10. Dezember 2009, 2008/19/0977, mit Verweis auf das zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 1 Z 4 AsylG 1997 ergangene E vom 22. Oktober 2002, 2001/01/0089).

 

Im vorliegenden Fall besitzt die BF1 (Partnerin des BF2 und Mutter der drei minderjhährigen BF 3-5) die iranische Staatsangehörigkeit. Der BF2 und die drei minderjährigen Kinder (BF3- BF5) sind afghanische Staatsangehörige, sodass es bei Effektuierung allfälliger aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu einer Verbringung der Familienangehörigen in zwei verschiedene Herkunftsstaaten und in weiterer Folge zu einer Trennung der Familie kommt.

 

Hervorzuheben ist vorerst, dass der EGMR seit 2013 in ständiger Judikatur die Auffassung vertritt, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134) Der EGMR hat diese Einschätzung jüngst in seinem Urteil vom 25.-Februar 2020, A.S.N. u.a. gg. Niederlande, 68377/17 und 530/18 (Rz 105), bestätigt.

 

Aufgrund der fallbezogenen Umstände ist jedoch nicht lediglich auf die allgemeine Situation in Afghanistan abzustellen, sondern darauf, dass es sich im gegebenen Fall um eine Familie mit zusätzlichen besonderen Merkmalen handelt.

 

Der fortlaufenden höchstgerichtlichen Judikatur folgend (jüngst etwa VwGH, 26.02.2020, Ra 2019/18/0459) handelt es sich bei einer Familie mit Kindern um eine besonders vulnerable Gruppe, die eine ganzheitliche Beurteilung der betreffenden einzelfallbezogenen Situation erfordert (VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0038).

 

Dies erforderte eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich die Lage für alle Familienmitglieder derart markant darstellt, dass bei einer Überstellung in die jeweiligen Herkunftsstaaten diese Gefahr laufen, entgegen Art. 3 MRK (bzw. Art. 4 GRC) behandelt zu werden. Dabei war fallbezogen auch auf die besondere Situation einer Familie mit mehreren minderjährigen Kindern Bedacht zu nehmen. Dem zuletzt genannten Umstand kommt - wie der EGMR im Urteil in der Rs. Tarakhel ausdrücklich hervorgehoben hat - wegen der besonderen Bedürfnisse und der extremen Vulnerabilität von Kindern hohe Bedeutung zu. (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0113)

 

Weiters bedeutet die Entscheidung einer Asylbehörde, die dazu führen könnte, dass ein Kleinkind Österreich ohne seine Eltern verlassen muss, nicht nur einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben, sondern hätte im Hinblick auf die für das Kind bei einer alleinigen Rückkehr in den Herkunftsstaat zu erwartenden Lebensverhältnisse jedenfalls auch Überlegungen unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK erfordert (VwGH 09.04.2008, 2008/19/0205).

 

Eine besondere Vulnerabilität - etwa aufgrund von Minderjährigkeit - ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 MRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation, die eine solche Person bei ihrer Rückkehr vorfindet (VwGH 23.03.2020, Ra 2020/14/0096, verweisend auf VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336, mwN).

 

Der VwGH verlangt in Fällen, in denen Familienangehörigen mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit bei Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet bzw. bei Erlassung von Rückkehrentscheidungen die Gefahr einer Trennung droht, jeweils eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Familienmitglieder unter dem Blickwinkel des durch Art. 8 MRK geschützten Rechtes auf Familienleben - nach allfälliger vorübergehender Trennung - die Möglichkeit haben, ihr gemeinsames Familienleben in einem von mehreren Herkunftsstaaten der Familienmitglieder (oder einem anderen in Betracht kommenden Staat) zu führen (VwGH 03.05.2016, Ra 2016/18/0062 mit Verweis auf Hinweis E vom 15. Dezember 2011, 2010/18/0248, und B vom 25. Oktober 2012, 2011/21/0270).

 

Die soeben zitierten höchstgerichtlichen Judikaturlinien in den Blick nehmend, kommt die erkennende Richterin zu nachfolgenden Ergebnissen:

 

Hinzukommend zur potentiellen Trennung der drei minderjährigen Kinder von ihrer Mutter ist zusätzlich zur allgemeinen altersbedingten Vulnerabilität die besondere Vulnerabilität in Zusammenhang mit der Erkrankung und den besonderen Bedürfnissen des BF3 festzuhalten.

Dem BF3 wird seitens des Amtes für Kinder und Jugendhilfe, Außenstelle XXXX , im hg. vorgelegten Schreiben vom 25.06.2020 attestiert, dass sich dieser seit Herbst 2019 zur Aufarbeitung seiner Ängste in einer Kinderpsychodramagruppe befindet. Aus dem Schreiben der Direktorin der Volksschule vom 18.04.2020, welche der BF3 besucht, ergibt sich darüber hinaus mit näherer dortiger Begründung, dass der BF3 und die BF4 unter erheblichen Verlustängsten leiden, sodass diese zwecks Begleitung der Eltern (BF1 und BF2) zur hg. Verhandlung schulfrei erhielten.

Der BF3 befindet sich lt. Bestätigung des Krankkenhauses der XXXX XXXX vom 19.02.2020 aufgrund seiner hochkomplexen Grunderkrankung mit Auswirkungen auf die Motorik und Sprechfähigkeit sowie einer ausgeprägten Erschöpfungsdepression und einer zunehmenden Angststörung (Phobie vor einer Ausweisung) seit dem Jahr 2017 in do. ärztlicher und psychologischer Behandlung.

 

Aufgrund der exzeptionellen Umstände des konkreten Falles und der potentiellen Trennung der Familie auf unabsehbare Dauer (die mögliche Familienzusammenführung spielt im vorliegenden Fall keine entscheidungsrelevante Rolle), sind die betreffenden Auswirkungen auf sämtliche Familienangehörige nicht nur unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK relevant.

Vor allem im Hinblick auf die in der Person des BF3 gelegenen festgestellten Faktoren ist unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK zu prüfen und festzuhalten, dass vor allem die Trennung des BF3 von seiner Mutter als engster Bezugsperson, aber auch der beiden anderen minderjährigen Kinder (BF4 und 5) nicht nur die Möglichkeit einer Verletzung des Art 3 EMRK, sondern nach Ansicht der erkennenden Richterin ein diesbezügliches reales Risiko bedingt.

 

Zur besonderen Berücksichtigungswürdigkeit der durch die Minderjährigkeit indizierten Vulnerabilität, die gesundheitliche Situation und die Rückkehersituation als Familie mit drei minderjährigen Kindern jüngst auch VfGH, E 4561-4565/2019-3 vom 09.06.2020 mit Verweis auf VfGH 28.11.2019, E 2526/2019 ua; 23.09.2019, E 512/2019 ua; 26.06.2019, E 2838/018 ua).

 

In einer Gesamtschau der dargestellten Aspekte, in der nicht die potentielle Trennung der Familie, sondern deren spezifische Auswirkungen insbesonders auf den in seiner Gesundheit beeinträchtigten moinderjährigen BF3 im Vordergrund steht, und der sich daraus in Summe ergebenden exzeptionellen Umstände und der Vulnerabilität der minderjährigen Beschwerdeführer insgesamt kann derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass diese in ihrer besonderen individuellen Situation im Fall einer Rückkehr zum jetzigen Zeitpunkt in eine als menschenunwürdig zu betrachtende Lage geraten könnte.

 

Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan und Iran zuzuerkennen.

 

Im gegenständlichen Fall war sämtlichen Familienangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan bzw. Iran zuzuerkennen. Dem BF3 kommt aufgrund seiner exzeptionellen Vulnerabilität das originäre diesbezügliche Recht zu. Den weiteren Familienangehörigen kommt das Recht im Zuge des Familienverfahrens in vom Recht des BF3 abgeleiteter Form zu, welches einer diesbezüglichen allfälligen Prüfung des Art 8 EMRK vorgeschaltet ist.

 

4.2.3. Zu Spruchpunkt II. (Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung für die BF1-5)

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Daher war gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 gleichzeitig jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

4.3. Zu Spruchpunkt III.

 

In weiterer Folge waren die Spruchpunkt III.-VI. der jeweils angefochtenen Bescheide, mit welchen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, und gegen die Beschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der BF gem. § 46 FPG nach Iran bzw. Afghanistan festgestellt wurde, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben.

 

Zu Spruchteil B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen Glaubwürdigkeit und Refoulementschutz auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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