VwGH 2008/19/0977

VwGH2008/19/097710.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der N, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Juni 2008, Zl. 244.102/2/4E-VII/43/08, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z17;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der angefochtenen Spruchpunkte I. und II. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern am 27. Oktober 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am folgenden Tag Asyl durch Erstreckung des ihrem Vater gewährten Asyls. Dieser Asylerstreckungsantrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 19. Oktober 2006 gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 abgewiesen.

Am 26. Jänner 2007 stellte die Beschwerdeführerin den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Vor der Erstbehörde gab die Beschwerdeführerin zunächst an, sie sei Staatsangehörige von Aserbaidschan, gehöre der aserbaidschanischen Volksgruppe an und sei mit ihrer Familie 1992 nach Turkmenistan geflohen. Später brachte die Beschwerdeführerin vor, staatenlos zu sein; sie habe keine Dokumente. Sie sei mit ihrem russischen Pass aus Aserbaidschan geflohen; die Behörden hätten ihrer Familie mitgeteilt, dass sie keinen aserbaidschanischen Pass bekommen könnten, weil sie Christen seien. In Turkmenistan hätten sie Probleme mit den Moslems gehabt, weshalb sie 2002 nach Österreich geflohen seien.

Mit Bescheid vom 3. März 2008 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erkannte sie ihr auch den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Aserbaidschan aus (Spruchpunkt III.). Die Erstbehörde stellte u.a. fest, dass die Beschwerdeführerin Staatsangehörige von Aserbaidschan sei und führte dazu begründend aus, dass hinsichtlich der behaupteten Herkunftsregion, Volksgruppenzugehörigkeit und Staatsangehörigkeit den Angaben der Beschwerdeführerin deswegen kein Glauben geschenkt werde, weil "im Rahmen der ersten Asylantragstellung der (Beschwerdeführerin) bzw. der Asylantragstellung ihrer Familienangehörigen im Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat umfassende Erhebungen bzw. Feststellungen bezüglich der Staatsangehörigkeit der (Beschwerdeführerin) bzw. ihrer Familie getätigt wurden, sodass diesbezüglich auf die Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates verwiesen werden kann".

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin u.a. vor, Aserbaidschan im Alter von vier Jahren verlassen zu haben und beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens insbesondere auch zur Frage, unter welchen Umständen sie die Staatsbürgerschaft von Aserbaidschan erlangen könne.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2008 übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde mehrere Gutachten des Transkaukasus-Instituts, welche sich insbesondere mit dem aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsrecht beschäftigen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 AsylG 2005 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Aserbaidschan nicht zu (Spruchpunkt II.) und behob Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides ersatzlos (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte u.a. fest, die Beschwerdeführerin sei Staatsangehörige von Aserbaidschan, gehöre der aserbaidschanischen Volksgruppe an und sei christlich-baptistischen Glaubens.

In ihrer Beweiswürdigung führte die belangte Behörde dazu wörtlich Folgendes aus:

"Die Feststellung des Bundesasylamtes, wonach die (Beschwerdeführerin) aserbaidschanische Staatsbürgerin ist, wird durch das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 22. April 2008 bestätigt (Vgl. S. 2 Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 22. April 2008). Die dort getroffenen weiteren Ausführungen hinsichtlich einer spekulativen rechtswidrigen Verweigerung der 'exekutiven Anerkennung der Staatsbürgerschaft' sind für die Beurteilung des gegenständlichen Falles irrelevant und würden lediglich die faktische Abwicklung einer eventuellen Ausweisungsentscheidung betreffen."

Erkennbar nur gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheides wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 bestimmt als Herkunftsstaat den Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - den Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinn dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen. Ein - wenngleich verfassungsgesetzlich garantierter - Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft ist jedoch der Staatsangehörigkeit im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 deshalb nicht gleichzuhalten, weil der Besitz der Staatsbürgerschaft diesfalls durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit, sohin durch die Setzung eines Rechtsaktes, bedingt ist (vgl. dazu das zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 1 Z 4 Asylgesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, 2001/01/0089).

Zur Frage der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin verweist die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die Feststellung des Bundesasylamtes, welche durch das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 22. April 2008 bestätigt werde. In diesem Gutachten wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin sowohl auf Grund ihrer Geburt in der vormaligen SSR Aserbaidschan als auch auf Grund ihrer Abstammung die Staatsangehörigkeit der SSR Aserbaidschan ungeachtet der Namensänderung in Republik Aserbaidschan und ungeachtet deren Trennung von der UdSSR am 8. Oktober 1991 beibehalten habe. In diesem Zusammenhang verweist der Gutachter auf die Bestimmungen des aserbaidschanischen Verfassungsrechtes. Es sei jedoch naheliegend, dass die Republik Aserbaidschan die Beschwerdeführerin deshalb nicht als eigene Staatsangehörige exekutiv "anerkennt", weil sie sich weder zur Person ausweisen könne noch - wie eine Überprüfung der örtlichen Melderegister ergeben habe - weiterhin an der früheren Anschrift in Aserbaidschan gemeldet sei. Die Republik Aserbaidschan würde zudem seit Jahren in verfassungswidriger Weise verschiedentlich Personen, die ohne einen neuen Nationalpass ausgereist seien, exekutiv ausbürgern. Der Gutachter verweist in diesem Zusammenhang auf einen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2007, wonach gemäß Art. 5 des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes aus dem Jahr 1998 derjenige aserbaidschanischer Staatsangehöriger sei, der am 1. Oktober 1998 seinen Wohnsitz in Aserbaidschan gehabt habe. Diese Legaldefinition werde wie ein Verlustgrund angewendet. In Anwendung dieser Vorschrift seien zahlreiche Personen aus dem Melderegister gestrichen worden, die nach Kenntnis der aserbaidschanischen Meldebehörden zum Stichtag im Ausland gelebt hätten. Eine einheitliche Praxis lasse sich dabei jedoch nicht feststellen.

Mit diesen Ausführungen lässt der Gutachter offen, ob bzw. in welchen Fällen Art. 5 des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes als Verlusttatbestand für die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft angewendet wird. Zu dieser Bestimmung des aserbaidschanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, 2006/19/1311, verwiesen werden, mit welchem der im Asylverfahren des Vaters der Beschwerdeführerin ergangene Bescheid der belangten Behörde behoben wurde. Ausgehend von den in diesem Erkenntnis angestellten Erwägungen steht im vorliegenden Beschwerdefall - auch unter Berücksichtigung der Überlegungen des Gutachters zur allfälligen Verfassungswidrigkeit des aserbaidschanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes - nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich aserbaidschanische Staatsbürgerin ist.

Allein der Verweis auf das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 22. April 2008 vermag daher die Feststellung der belangten Behörde, wonach die Beschwerdeführerin aserbaidschanische Staatsangehörige sei, nicht nachvollziehbar zu begründen. Somit lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die belangte Behörde Aserbaidschan zu Recht als Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin herangezogen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Umfang seiner Spruchpunkte I. und II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Der Anspruch der obsiegenden Partei auf Ersatz des Schriftsatzaufwandes ist mit dem in dieser Verordnung festgelegten Pauschalbetrag begrenzt. Das Mehrbegehren war daher abzuweisen.

Wien, am 10. Dezember 2009

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