VwGH 2006/19/1311

VwGH2006/19/131110.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des E, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Oktober 2006, Zl. 244.097/0-VII/43/03, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
VwRallg;
AsylG 1997 §1 Z4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Kindern am 27. Oktober 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Er sei ehemaliger Staatsangehöriger der UdSSR; sein Vater sei Aserbaidschaner, seine Mutter Turkmenin, er selbst gehöre der aserbaidschanischen Volksgruppe an und sei Baptist. Bis 1987 habe er in Aserbaidschan ruhig leben können, dann sei es zum Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan gekommen. Für die Baptisten sei es nicht mehr möglich gewesen, dort in Ruhe zu leben. Aserbaidschan sei ein moslemisches Land und in Baku seien die Baptisten "schief angeschaut" worden. Viele Baptisten hätten damals Aserbaidschan verlassen. 1992 sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie nach Turkmenistan übersiedelt. Turkmenistan sei 1991 eine eigene Republik geworden und hätte begonnen, eigene Reisepässe auszustellen. Der Beschwerdeführer und seine Familie hätten ebenfalls um neue Pässe angesucht, wegen ihrer Zugehörigkeit zum baptistischen Glauben aber keine erhalten; sie hätten ihre alten sowjetischen Reisepässe mit der Bedingung zurückerhalten, dem moslemischen Glauben beizutreten. Weiters schilderte der Beschwerdeführer Benachteiligungen von und Übergriffe auf Baptisten in Turkmenistan. Nachdem sein Vater im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen Baptisten und Moslems getötet worden sei, sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die Erstbehörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger der Republik Aserbaidschan sei und führte dazu begründend aus, der Beschwerdeführer habe kein Personaldokument vorgelegt; auf Grund der von ihm verwendeten Sprache und seines Wissens könne jedoch angenommen werden, dass er Staatsbürger von Aserbaidschan sei. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte folge die Behörde hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit den Angaben des Beschwerdeführers. Es könne nicht festgestellt werden, dass er in Aserbaidschan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, turkmenischer Staatsangehöriger zu sein. Die diese Staatsangehörigkeit bestätigenden Dokumente habe man dem Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen unrechtmäßiger Weise wegen ihrer Religionszugehörigkeit vorenthalten.

Im Rahmen der am 27. Juni 2006 von der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer u. a. an, es sei richtig, dass er aserbaidschanischer Staatsangehöriger sei und der aserbaidschanischen Volksgruppe angehöre.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß "§ 8 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 50 FPG 2005 i.d.g.F." fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan zulässig sei. Zur Person des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde u.a. fest, dass dieser nach eigener Angabe aserbaidschanischer Staatsangehöriger sei, der aserbaidschanischen Volksgruppe angehöre, baptistischen Bekenntnisses und zuletzt im Heimatstaat in Baku wohnhaft gewesen sei. Der Heimatstaat sei im Mai 1992 verlassen worden, wobei der Beschwerdeführer und seine Familie nach Turkmenistan gezogen seien. Turkmenistan sei vom Beschwerdeführer und seiner Ehegattin am 9. Oktober 2002 verlassen worden.

In ihrer Beweiswürdigung führte die belangte Behörde dazu wörtlich Folgendes aus:

"Die getroffenen Feststellungen zur Person gründen auf den glaubwürdigen Angaben (des Beschwerdeführers). Nicht zugrunde gelegt werden die vom (Beschwerdeführer) ausführlich dargetanen Fluchtgründe zu Turkmenistan, da diese Vorkommnisse auf Grund der aserbaidschanischen Staatszugehörigkeit des (Beschwerdeführers) nicht entscheidungsrelevant waren. Der (Beschwerdeführer) hat selbst dargetan, dass er von aserbaidschanischen Eltern abstammt, in Aserbaidschan geboren ist und bis zu seinem Weggang im Mai 1992 in Aserbaidschan gelebt hat. Der (Beschwerdeführer) hat zum Zeitpunkt der Ausrufung der Unabhängigkeit der Republik Aserbaidschan und noch danach in Baku gelebt und war dort auch gemeldet. Aufgrund des aserbaidschanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes ist er unzweifelhaft ex lege als aserbaidschanischer Staatsbürger anzusehen, er hat auch nicht vorgebracht, dass ihm die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde bzw. er sie aus sonst einem Grund verloren hätte."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde behauptet, die Feststellung der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer unzweifelhaft ex lege als aserbaidschanischer Staatsangehöriger anzusehen sei, sei nicht nachvollziehbar. Es sei im Verfahren nicht hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer die Staatsbürgerschaft von Aserbaidschan zuerkannt worden sei. Nach Art. 5 des aserbaidschanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes stehe jenen Personen, die als Staatsangehörige von Aserbaidschan anzusehen seien, das Recht zu, diese Staatsangehörigkeit zu erwerben; der Beschwerdeführer erfülle jedoch keine der in diesem Artikel genannten Voraussetzungen und habe insbesondere auch nicht innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes um die Verleihung der Staatsbürgerschaft angesucht.

Damit zeigt die Beschwerde einen relevanten Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides auf.

§ 1 Z 4 AsylG bestimmt als Herkunftsstaat den Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - den Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z 4 AsylG ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen. Ein - wenngleich verfassungsgesetzlich garantierter - Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft ist jedoch der Staatsangehörigkeit im Sinn des § 1 Z 4 AsylG deshalb nicht gleichzuhalten, weil der Besitz der Staatsbürgerschaft diesfalls durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit, sohin durch die Setzung eines Rechtsaktes, bedingt ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, 2001/01/0089).

Zur Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers verweist die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf das aserbaidschanische Staatsbürgerschaftsgesetz, nach welchem er "unzweifelhaft ex lege" als aserbaidschanischer Staatsangehöriger anzusehen sei. Feststellungen zum Inhalt der ihrer Beurteilung zugrunde gelegten Bestimmungen dieses Gesetzes oder die auf Grundlage dieses Gesetzes für diese Einschätzung der belangten Behörde maßgebenden Erwägungen lassen sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen. Allein der pauschale Verweis auf das aserbaidschanische Staatsbürgerschaftsgesetz ist aber nicht geeignet die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei aserbaidschanischer Staatsangehöriger, nachvollziehbar zu begründen.

Die belangte Behörde konnte ihre Feststellung, der Beschwerdeführer sei aserbaidschanischer Staatsangehöriger, auch nicht auf die in der mündlichen Verhandlung erstatteten Angaben des Beschwerdeführers stützen. Zum Einen hat der Beschwerdeführer seine - dem Berufungsvorbringen widersprechende - Auffassung aserbaidschanischer Staatsangehöriger zu sein, nicht näher begründet. Zum Anderen hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das im Verwaltungsakt aufliegende aserbaidschanische Staatsbürgerschaftsgesetz vom 30. September 1998 - auf welches sich der im angefochtenen Bescheid enthaltene Verweis offenbar bezieht - nicht zur Kenntnis gebracht und damit auch nicht geklärt, ob ihm dieses Gesetz und seine rechtlichen Auswirkungen überhaupt bekannt waren. Unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte des Beschwerdeführers einerseits und der (notorischen) politischen Veränderungen in den Staaten der ehemaligen UdSSR andererseits (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2009, 2007/19/0535) durfte sich die belangte Behörde somit nicht darauf beschränken, die Aussage des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung ungeprüft ihren Feststellungen zugrunde zu legen.

Art. 5 des aserbaidschanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes vom 30. September 1998 - auf welchen die Beschwerde hinweist - regelt, welche Personen als Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan anzusehen sind. Dies sind - abgesehen von einem hier nicht in Betracht kommenden Fall - jene Personen, die die Staatsangehörigkeit der Republik Aserbaidschan vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes gehabt haben, wobei als Grundlage dafür die Registrierung der betreffenden Person an einem Wohnort in der Republik Aserbaidschan zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes dient, sowie jene staatenlose Personen, die bis zum 1. Jänner 1992 an einem Wohnort in der Republik Aserbaidschan registriert waren, sofern diese innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes um die Verleihung der Staatsangehörigkeit angesucht haben. Ferner sind jene Personen als Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan anzusehen, die die Staatsangehörigkeit nach diesem Gesetz erworben haben.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen, wonach der Beschwerdeführer die in Art. 5 des aserbaidschanische Staatsbürgerschaftsgesetzes genannten Voraussetzungen nicht erfülle, wozu die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen hat, steht derzeit nicht fest, ob der Beschwerdeführer tatsächlich aserbaidschanischer Staatsangehöriger ist. Es lässt sich daher noch nicht abschließend beurteilen, ob die belangte Behörde Aserbaidschan zu Recht als Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 10. Dezember 2009

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