BVwG L513 2164586-1

BVwGL513 2164586-122.1.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §6
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L513.2164586.1.00

 

Spruch:

L513 2164586-1/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. DDr. Friedrich KINZLBAUER, LL.M über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2017, Zl. 1085181205-151228843, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

 

I.1. Bisheriger Verfahrenshergang

 

I.1.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Irak, der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 9). Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Sicherheitsorgan niederschriftlich einvernommen.

 

Im Rahmen der Erstbefragung am 01.09.2015 (AS 7 - 17) gab der Beschwerdeführer hinsichtlich der Fluchtgründe zu Protokoll, dass er wegen seines Friseurgeschäfts durch Kämpfer des Islamischen Staates in Bagdad bedroht worden sei. Man habe ihm gesagt, dass man die Haare und den Bart wachsen lassen müsse. Des Weiteren sei er bedroht worden, weil er auch den Frauen die Haare geschnitten hätte. Die Kämpfer seien wiedergekommen und hätten ihn mit einer Stahlrute an der Hand und an der Schulter geschlagen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

 

Am 03.01.2017 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem BFA (AS 51 - 59). Zunächst wurde vom BF dargelegt, dass ihm die Erstbefragung nicht rückübersetzt worden sei. Nach Rückübersetzung der Niederschrift vom 01.09.2015 bestätigte der BF die Richtigkeit seiner Angaben, wobei diese aber nicht vollständig seien. So habe er ausgeführt, dass er auch von der schiitischen Miliz Jaish al-Mahdi - JAM bedroht werden würde, weil er Saxophon spiele und Frauenfriseur sei.

 

In der Folge schilderte der BF, dass seine Familie wegen ihm immer wieder belästigt bzw. bedroht werde. Beispielsweise habe man die Scheiben des Fahrzeugs seines Bruders zerstört, da dieser immer wieder nach seinem Aufenthaltsort befragt werde. Diese Belästigungen seien von der schiitischen Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq, die mit der Jaish al-Mahdi – JAM zusammenarbeite. Diese Belästigungen würden ständig erfolgen, weil sie die einzigen Sunniten seinen, die in einem schiitischen Viertel leben.

 

Zu seinen Ausreisegründen befragt, erklärte der BF, dass er am 27.05.2015, ca. gegen 21.00 Uhr, von drei Personen, die dem Islamischen Staat angehört hätten, geschlagen und am Oberarm sowie am Knie verletzt worden sei. Man habe ihm gedroht und aufgefordert, seine Tätigkeit als Friseur, insbesondere für Frauen, und als Musiker zu beenden. Danach seien sie gegangen und hätten die Scheibe seines Geschäftes zerstört.

 

Nachgefragt zu Details, gab der BF unter anderem zu Protokoll, dass er gewusst habe, dass es sich um Mitglieder des Islamischen Staates handle, weil diese "Allahu Akbar" geschrien hätten. Wenn dies irgendeine Miliz gewesen wäre, würden die mit einem militärischen Fahrzeug kommen. Er habe keine Anzeige erstattet, da sie die einzigen Sunniten seien, die in diesem Viertel wohnen. Die dortige Polizei werde von der Asa’ib Ahl al-Haqq und der Jaish al-Mahdi kontrolliert, von denen er auch bedroht worden sei. Etwa einen Monat nach dem Vorfall mit dem Islamischen Staat hätten ihn Personen dieser Milizen auf der Straße aufgehalten und als schwul bezeichnet. Man habe ihn aufgefordert bzw. bedroht, seine Tätigkeit als Friseur und als Musiker zu beenden. Er habe in diesem Friseurgeschäft fünf Jahre ungehindert seinen Beruf ausüben können. Die Probleme hätten begonnen, als er begonnen habe, Frauen die Haare zu schneiden und Musik zu spielen. Das Friseurgeschäft sei geschlossen. Er wisse nicht, wo sich der Besitzer des Friseurgeschäftes aufhalte. Dieser sei aufgrund dieses Vorfalls verschwunden.

 

Im Rahmen der Einvernahme brachte der BF mehrere Unterlagen in Vorlage. Konkret handelte es sich hierbei um irakische Krankenhausbefunde in Kopie (AS 61 - 75), österreichische medizinische Unterlagen vom 17.06.2016 und 20.06.2016 (AS 77, 91 - 97), eine irakische Meldekarte des Vaters in Kopie (AS 83), eine irakische Lebensmittelkarte in Kopie (AS 87), einen irakischen Personalausweis in Kopie (AS 79, 81) und einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie (AS 89).

 

Mit Schreiben des BFA vom 03.01.2017 (AS 49) wurde dem Beschwerdeführer - nach Aushändigung der aktuellen länderkundlichen Feststellungen zum Irak in der Einvernahme - mitgeteilt, dass ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Möglichkeit eingeräumt werde, hierzu schriftlich innerhalb einer Frist von einer Woche Stellung zu nehmen.

 

I.1.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid des BFA (AS 99 - 179) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

 

I.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführliche Feststellungen, die dem BF ausgehändigt bzw. zur Kenntnis gebracht wurden.

 

I.1.2.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das BFA das Vorbringen des BF als unglaubwürdig (AS 158 – 161).

 

I.1.2.3. In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

 

I.1.2.4. Hinsichtlich des Inhaltes des angefochtenen Bescheides im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

I.1.3. Mit Verfahrensanordnung vom 26.06.2017 (AS 185 - 186) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

 

I.1.4. Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 12.07.2017 innerhalb offener Frist wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, in vollem Umfang Beschwerde erhoben (AS 207 – 228).

 

I.4.1. Zunächst wurde der bisherige Verfahrensgang kurz wiederholt und in weiterer Folge moniert, dass seitens des Bundesamtes die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG nicht erfüllt worden seien. So seien die im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderfeststellungen unvollständig und zu allgemein gehalten. Beispielsweise würden im vorliegenden Fall relevante Berichte zur Operationsfähigkeit des Islamischen Staates, zur derzeitigen Lage von Sunniten im Irak und zur Lage von Sunniten, die als Friseur im Irak tätig gewesen seien, fehlen. In diesem Zusammenhang wurde daher auszugsweise auf mehrere Länderberichte zur Verfolgung von Musikern und der Gefährdung als Friseur, zum Einfluss des Islamischen Staates, zur Verfolgung durch religiöse Milizen im Irak und zur Lage der Sunniten im Irak sowie zur Schutzunfähigkeit der irakischen Behörden (AS 209 - 220) verwiesen.

 

I.4.2. Was die Rückkehr des BF in den Irak betrifft, so wurde moniert, dass das BFA selbst ausführe, dass aufgrund der unübersichtlich und sich rasch ändernden Lage hierzu keine fundierte Information angeboten werden könne. Es sei demnach nicht nachvollziehbar, weshalb das BFA ausführe, dass es dem BF jedenfalls möglich sei, in seiner Heimat wieder Fuß zu fassen. Tatsächlich gehe aus der UNHCR-Position vom Oktober 2014 zur Rückkehr in den Irak hervor, dass insbesondere an Sunniten (auch Zivilisten) Kriegsverbrechen durch irakische Sicherheitskräfte und mit ihnen verbündeten Gruppierungen verübt worden seien. Den Berichten zufolge werde die Rückkehr dadurch erschwert, dass vom Islamischen Staat zurückeroberte Gebiete durch anhaltende Unsicherheit sowie Unterversorgung und nicht funktionsfähige Infrastruktur gekennzeichnet seien.

 

I.4.3. Ferner wäre der BF durchaus in der Lage gewesen, sein Vorbringen noch weiter zu substantiieren und Details der Ereignisse zu berichten. Aufgrund seiner Unerfahrenheit mit Befragungssituationen habe er ohne Nachfrage des BFA nicht mehr Details erzählt. Es sei dem BF vorgeworfen worden, etwas anderes in der Erstbefragung erzählt zu haben, ohne ihm vorzuhalten, was er dort gesagt hätte. Zudem habe der BF bereits in der Erstbefragung angegeben, vor den Terroristen des Islamischen Staates geflüchtet zu sein, wodurch nicht erkennbar sei, worin der Widerspruch bestehe.

 

Hätte das BFA genauer nachgefragt, hätte der BF auch von seinen Problemen als Sunnit berichten können. Zudem hätte der BF genauer die "Angriffe" gegen den Bruder schildern können. Dieser sei Taxifahrer und werde bei Checkpoints immer beschimpft, weil er Sunnit sei. Auch der Vater des BF werde bei Checkpoints immer beschimpft. Die Milizen hätten einmal die Scheiben des Bruders zerstört. Das BFA hätte jedenfalls auf die Konkretisierung der Angaben des BF hinsichtlich seiner entscheidungsrelevanten Fluchtgründe dringen müssen.

 

I.4.4. Zur Beweiswürdigung wurde ausgeführt, dass das Bundesamt den Antrag abgewiesen habe, weil sie davon ausgehe, dass die Aussagen des BF vage, widersprüchlich und nicht substantiiert genug seien. Diese Aussage basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletzte § 60 AVG.

 

Das BFA werfe dem BF vor, der Frage nach dem Grund der Bedrohung gegen ihn ausgewichen zu sein. Dies sei jedoch nicht richtig. Der BF habe geantwortet, dass er bedroht worden sei, zumal er einen Friseursalon gehabt und Frauen die Haare geschnitten habe und zudem Musiker sei. Worin die Behörde das "Ausweichen" sehe, sei nicht nachvollziehbar. Der Islamische Staat sei - wie den Länderberichten zu entnehmen – in Bagdad – allerdings noch im Geheimen – aufhältig. Wenn diese an einem Checkpoint gefragt werden würden, dann würden sie sich als Schiiten ausgeben. Wenn Bombenanschläge in Bagdad seien, dann werde dies nicht von außen hingebracht, sondern Autos in Bagdad würden mit Bomben bestückt.

 

Wenn die Behörde auf Widersprüche in der Erstbefragung und der Einvernahme eingehe und versuche hier die Glaubwürdigkeit zu schmälern, so sei dem entgegenzuhalten, dass es sich bei der Erstbefragung lediglich um eine kurze Zusammenfassung des Fluchtvorbringens handle und bestehe ein Verbot zur näheren Befragung zu den Fluchtgründen.

 

Wie der BF bereits zu Protokoll gegeben habe, sei es ein generelles Problem als Friseur zu arbeiten. Für die Jaish al-Mahdi sei es jedoch lediglich ein Problem, dass der BF Frauen die Haare geschnitten habe. Ein generelles Problem habe es jedoch dargestellt, dass der BF Saxophon gespielt habe – also Musiker gewesen sei. Eben diese Aussagen habe der BF getätigt und könne kein Widerspruch erkannt werden. Ebenso habe der Bruder des BF Probleme gehabt, weil er Friseur und Musiker gewesen sei. Der BF habe den Beruf des Bruders "übernommen". Dies habe er jedoch nicht näher ausführen können, da das BFA die Ermittlungspflicht verletzt habe.

 

Wenn die Behörde vermeine, dass es sich mehr als unwahrscheinlich darstelle, dass die Angehörigen des Islamischen Staates in der Nacht gekommen und den Anschlag auf den Salon und den BF verübt hätten, so sei dies nur eine Mutmaßung der Behörde und könne das Vorbringen des BF nicht entkräften.

 

Wenn das BFA weiters behaupte, dass die Bedrohung bzw. der Vorfall gegen den BF nicht die nötige Intensität erreiche, um Asyl zu erlangen, so sei die nicht nachvollziehbar.

 

Ebenso behaupte die Behörde irrtümlich und unter falscher Würdigung der Aussagen des BF, dass sich die Verwandten des BF noch ungestört in Bagdad aufhalten würden und dem BF eine Rückkehr ohne Probleme möglich sei. Wie bereits vorgebracht, hätten auch die Eltern und der Bruder des BF aufgrund der anhaltenden Probleme ein Visum für Amerika beantragt und hoffen auf eine positive Antwort, um das Land verlassen zu können.

 

I.4.5. Aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage sei auch nicht davon auszugehen, dass von den staatlichen Stellen im Irak Schutz geboten werden könne. Eine Schutzunfähigkeit des irakischen Staates in Bezug auf den Schutz vor Verfolgungshandlungen von nichtstaatlichen Akteuren werde demnach eindeutig bejaht.

 

Aufgrund seiner Tätigkeit als Friseur und Musiker würde ihm vom Islamischen Staat und der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq "unislamisches" Verhalten und damit eine feindliche politische Gesinnung unterstellt. Aufgrund seines sunnitischen Glaubens habe er im Übrigen im Irak Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung zu befürchten, da ihm eine Zusammenarbeit mit dem Islamischen Staat unterstellt würde. Zusätzlich drohe im als Sunnit Verfolgung aufgrund seiner Religion. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

I.4.6. Was Spruchpunkt II. betrifft, so sei es notorisch, dass die Sicherheitslage im Irak prekär sei. Das BFA sei dazu verpflichtet, eine allfällige Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK von Amts wegen zu prüfen. UNHCR appelliere in seinem Bericht vom 14.11.2016 an alle Staaten, irakische Flüchtlinge nicht in ihr Herkunftsland zurückzuschicken.

 

Hätte das BFA seine Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt, hätte es dem BF den Staus des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.

 

I.4.7. Der BF halte sich seit Juni 2015 (wohl richtig: August 2015) im österreichischen Bundesgebiet auf und sei auf dem besten Weg sich zu integrieren. Er spreche mittlerweile ein bisschen Deutsch.

 

I.4.8. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei aufgrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zwingend geboten. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Rechtsprechung des VfGH betreffend Art. 47 GRC zur Zahl U 466/11 und U 1836/11 vom 14.03.2012 verwiesen. Im gegenständlichen Fall liegt der unionsrechtliche Bezug

 

I.4.9. Abschließend wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

 

* eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen;

 

* die angefochtene Entscheidung - allenfalls nach Verfahrensergänzung - beheben und dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen;

 

* in eventu den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung – bezüglich des Spruchpunktes II. beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gewähren;

 

* den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III. aufheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt werde und

 

* in eventu den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang – ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

 

I.1.4.10. Im Übrigen brachte der BF nochmals die bereits vorgelegten medizinischen Unterlagen in Vorlage (AS 229 – 239).

 

I.1.4.11. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

I.1.5. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Verfahrensbestimmungen

 

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

 

1.3. Prüfungsumfang

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

 

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

 

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

1.4. Verweise, Wiederholungen

 

1.4.1. Das erkennende ist Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

1.4.2. Ebenso ist es nicht unzulässig, Teile der Begründung des Bescheides der Verwaltungsbehörde wörtlich wiederzugeben. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstmals entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (Erk. d. VfGH v. 7.11.2008, U67/08-9 mwN).

 

1.4.3. Grundsätzlich ist im gegenständlichen Fall anzuführen, dass das BFA ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Das BFA hat sich sowohl mit dem individuellen Vorbringen auseinander gesetzt, als auch ausführliche Sachverhaltsfeststellungen zur allgemeinen Situation im Irak auf Grundlage ausreichend aktuellen und unbedenklichen Berichtsmaterials getroffen und in zutreffenden Zusammenhang mit der Situation des BF gebracht.

 

2. Zur Entscheidungsbegründung:

 

2.1. Basierend auf dem Ergebnis des Beweisverfahrens sind folgende Feststellungen zu treffen:

 

2.1.1. Der Beschwerdeführer

 

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX geboren und lebte bis Mitte August 2015 in Bagdad. Seine Eltern und ein Bruder leben weiterhin in Bagdad. Ein Bruder ist in Belgien aufhältig und zwei weitere Geschwister befinden sich in den USA. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Sein Vater befindet sich in Pension, seine Mutter führt den Haushalt und der im Irak lebende Bruder arbeitet als Taxifahrer.

 

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Jahre die Grund- und Mittelschule. Anschließend war der BF beruflich als Friseur tätig.

 

Der Beschwerdeführer ist - mit Ausnahme einer Allergie - ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit Berufserfahrung sowie mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Wohnmöglichkeit im Familienverband.

 

2.1.2. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Angehörigen der Terrororganisation Islamischer Staat, der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq oder der Jaish al-Mahdi wegen seiner früheren beruflichen Tätigkeit als Friseur oder wegen seiner Tätigkeit als Musiker (Saxophon) bedroht und verletzt wurde.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte, etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Bevölkerungsgruppe, ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

 

2.1.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit etwa Ende August 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

 

In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers. Er verfügt auch über keine sonstigen relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und bezog bis September 2016 Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber, wobei er grundsätzlich erwerbsfähig ist. Derzeit wird er von seinem in Belgien lebenden Bruder finanziell unterstützt, womit er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Er ist alleinstehend und pflegt normale soziale Kontakte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über umfassende Deutschkenntnisse verfügt. Er besucht weder Kurse, die Schule oder eine Universität in Österreich, noch ist er Mitglied in einem Verein. Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer nicht ergriffen.

 

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

 

2.1.4. Die Lage im Herkunftsstaat Irak

 

Zur aktuellen Lage im Irak wird auf die länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid verwiesen, die auch der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt werden. Insbesondere wurden nachstehende länderkundliche Feststellungen (unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid im Detail angeführten und nachstehend abgekürzt zitierten Quellen) getroffen:

 

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformation vom 16.2.2017:

 

Update Sicherheitslage allgemein: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage und 5 - Sicherheitskräfte)

 

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

 

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(Iraqi Body Count 13.2.2017):

 

Neben den derzeit aufgrund der Mossul-Offensive besonders hohen zivilen Todeszahlen in der Provinz Ninewa sterben auch in Bagdad täglich mehrere Menschen durch Gewalt (insbesondere durch improvisierte Sprengsätze). Die Liste der täglichen zivilen gewaltsamen Todesfälle auf Iraqi Body Count liest sich exemplarisch folgendermaßen:

 

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(Iraqi Body Count 14.2.2017)

 

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

 

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(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

 

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

 

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. Bagdad war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

 

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Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

 

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie "Iraqi government" auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi – bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

 

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(BBC 20.1.2017)

 

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. [ ] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017). (Näheres zu Mossul s. u.)

 

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben-Anschlag in Bagdad über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

 

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in Bagdad ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

 

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

 

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

 

Bzgl. der schiitisch-schiitischen Konflikte in Bagdad und im Süden des Landes s. Abschnitt über Innenpolitik.

 

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa’ib Ahl al-Haq und der Kata’ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

 

Mossul-Offensive: (Relevant für Abschnitt 3 - Sicherheitslage)

 

Die seit zwei Jahren geplante Offensive auf die zweitgrößte Stadt des Irak, Mossul, die Hochburg des IS im Irak, startete überstürzt im Oktober 2016, ohne die Frage der politischen Nachfolge in Mossul geklärt zu haben. Die Kampagne wird von einer sehr heterogenen Koalition aus lokalen und regionalen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen geführt (IFK 1.2017).

 

Die irakische Armee hatte in der letzten Januarwoche des Jahres 2017 – mehr als drei Monate nach dem Start der Offensive – den Ostteil Mossuls für befreit erklärt. Die Extremisten wehren sich jedoch heftig und setzen dabei vor allem sprengstoffbeladene Autos mit Selbstmordattentätern oder Scharfschützen ein. Bis zur vollständigen Einnahme der Stadt dürfte es noch Wochen oder Monate dauern (Standard 1.2.2017).

 

Der [bevölkerungsreichere] Westteil Mossuls ist nach wie vor in den Händen des IS. Die Vereinten Nationen rechnen mit Militäraktionen zur Rückeroberung des Westteils in den kommenden Wochen. Ein Massenexodus kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Aus dem Ostteil sind laut IOM (International Organization for Migration) im Zuge der Kämpfe 180.000 Menschen geflohen, 550.000 seien vor Ort geblieben (NNZ 24.1.2017).

 

Allgemein wird angenommen, dass die Einheiten bei der Eroberung des Westteiles auf noch größeren Widerstand treffen werden. Darüber hinaus verzeichnet die von den USA trainierte und ausgestattete Eliteeinheit Counter Terrorism Service (CTS), auf die sich der Irak bei der Eroberung Mossuls hauptsächlich verlässt, massive Verluste ("über 50 Prozent"). Auch bei der irakischen Armee würde es herbe Verluste geben, wobei jedoch die irakischen Behörden selbst keine Zahlen bekanntgeben (Al-Jazeera 31.1.2017).

 

Im Zuge der Offensive zur Rückeroberung der IS-Gebiete in und um Mossul evakuierte der IS Zivilisten, um diese als menschliche Schutzschilde zu benutzen (HRW 1.2017).

 

Die schiitischen Milizen (inzwischen rechtlich der regulären Armee gleichgestellt – s.u.) werden von vielen (insbesondere von vielen Sunniten) mehr gefürchtet als der IS. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Zeugen berichten von Folter, Schlägen und Ermordungen. Im Zuge der Befreiung der Stadt Mossul nimmt das Terrain, das die Milizen unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. Die Stadt Mossul ist von den Milizen [und den kurdischen Peschmerga] umzingelt (BBC 3.12.2016), wobei vereinbart war, dass die Milizen die Stadt nicht betreten werden, jedoch wird berichtet, dass (vermutliche) Miliz-Angehörige im Ostteil der Stadt auf Zivilisten schießen (MEM 8.2.2017).

 

Innenpolitik (Relevant für Abschnitt 2 – Politische Lage):

 

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

 

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) – jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen – rechtlich der Armee gleichgestellt. [ ] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. [ ] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

 

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

 

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

 

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in Bagdad allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die "Green Zone" (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

 

Flüchtlinge/Internvertriebene (Relevant für Abschnitt 11 - IDPs und Flüchtlinge):

 

Rund 3 Millionen Menschen wurden seit Januar 2014 intern-vertrieben, an ihre Heimatorte konnten in dieser Zeit rund 1,5 Millionen zurückkehren. Die folgende Grafik veranschaulicht die Zahl der IDPs nach der jeweiligen Region, in die sie geflüchtet sind:

 

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(IOM 2.2.2017)

 

In der Region Kurdistan-Irak alleine halten sich mehr als 11,3 Millionen Binnenvertriebene auf. Über 10 Millionen Menschen, also rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017). Bezüglich der Rückkehr von IDPs ist insbesondere Tikrit nennenswert, das eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilisation Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), konnten inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückkehren. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt (WP 23.11.2016).

 

Beispielsweise wird berichtet, dass von den rund 50.000 Familien, die von Salahuddin nach Kirkuk kamen, es nur 20.000 Familien möglich war, in rückeroberte Gebiete zurückzukehren, die übrigen Familien beschuldigen schiitische Milizen, dass diese sie nicht zurückkehren lassen würden (Rudaw 10.1.2017).

 

Innerhalb der letzten zwei Jahre seien ungefähr 900.000 Vertriebene nach Hause zurückgekehrt (Stand 23.11.2016), vorwiegend in sunnitische Städte wie Fallujah, Ramadi und Tikrit. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilisation Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Oft spielen dabei auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge eine Rolle (WP 23.11.2016). Für Rückkehrer besteht oft auch die Gefahr, Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen zu werden. Teilweise werden IDPs von Behörden aufgefordert in ihre Häuser zurückzukehren, obwohl die sehr reale Gefahr besteht, dass diese mit Sprengfallen versehen sind (MRG 22.12.2016).

 

Tikrit kann, wie erwähnt, am ehesten noch als "Erfolg" gesehen werden, da laut Washington Post über 90 Prozent der Bevölkerung in diese Stadt zurückkehren konnten (Stand Nov. 2016), Auf lange Sicht sei dieser Erfolg aber fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden seien, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde. Die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen musste/muss (WP 23.11.2016). Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016).

 

Von der Mossul-Offensive sind laut UNHCR rund 1,5 Millionen Menschen in und um Mossul betroffen. Über 144.000 Menschen in und um Mossul zählen derzeit zu den Vertriebenen, über 23.000 konnten nach Beginn der Offensive wieder an ihren Herkunftsort zurückkehren. Die folgende Grafik zeigt die durch die Offensive ausgelösten Flüchtlingsströme:

 

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Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.understandingwar.org/backgrounder/warning-update-iraq ’s-sunni-insurgency-begins-isis-loses-ground-mosul, Zugriff 13.2.2017

 

https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 13.2.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1483364807_irk.pdf (Zugriff am 14. Februar 2017)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Politische Lage

 

Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, gewann der ehemalige Premierminister Nouri al-Maliki. Da es auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen Maliki gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Es wird ihm unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitisch-feindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen wie dem IS beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015). Maliki‘s Nachfolger ist der ebenfalls schiitische Parteikollege Haidar al-Abadi (beide gehören der schiitischen Dawa-Partei an), der eine Mehrparteienkoalition anführt, und der mit dem Versprechen angetreten ist, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015). Allerdings gelang es Abadi bislang nicht, politische Verbündete für seine Reformpläne (insbesondere die Abschaffung des konfessionell-ethnischen Proporzes) zu finden. Er hat mit dem besonders Iran-freundlichen Ex-Premier Maliki (nunmehr Vorsitzender der Dawa-Partei) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen, von denen viele vom Iran aus gesteuert werden (s. Abschnitt 3.1.). Diese Milizen - eher lose an die irakische Armee angeschlossen - sind für Abadi einerseits unverzichtbar im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.1.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz von der sunnitischen Bevölkerung aber als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Die Sunniten fürchten das skrupellose Vorgehen dieser Milizen - einige betrachten den IS sogar als das geringere Übel und dulden die Extremisten daher in ihren Gebieten (ÖB Amman 5.2015). In der Tat unterscheiden sich einige der mit der Zentralregierung in Bagdad verbündeten schiitischen Milizen hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen kaum vom IS (Rohde 9.11.2015). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung), die auch mit der Badr-Miliz zusammengearbeitet hat, hat vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitische Bevölkerung die Augen verschlossen, und hat damit den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten angetrieben (Reuters 14.12.2015). Die aufgestaute Wut der Sunniten - auch darüber, dass sie niemanden mehr in der Regierung haben, der mit machvoller Stimme für sie sprechen könnte, trägt in Kombination mit dem Vorgehen der schiitischen Milizen dazu bei, dass sich viele Sunniten radikalisieren oder sich einfach aus Mangel an Alternativen unter die Kontrolle des IS begeben (Qantara 17.8.2015).

 

Zwölf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ist der Irak ein Staat ohne Gewaltmonopol, ohne Kontrolle über große Teile seines Territoriums oder seiner Grenzen, dessen Souveränität zunehmend vom Iran ausgehöhlt wird (Standard 4.12.2015). Nach 2003 ist der Irak (gemeinsam mit Syrien) zum Spiel- und Schlachtfeld konkurrierender regionaler und globaler Interessen zwischen Iran, Saudi-Arabien, der Türkei, den USA und neuerdings auch Russland geworden (Rohde 9.11.2015), wobei sich das Kräfteverhältnis der beiden wichtigsten Verbündeten der irakischen Regierung - die USA auf der einen Seite und der Iran auf der anderen - zunehmend zu Gunsten des Iran verschiebt. Der eher schwache Premierminister Abadi versucht es beiden Verbündeten recht zu machen: Damit die USA ihn aus der Luft unterstützen, muss er versuchen, die iranisch-assoziierten schiitischen Milizen vom Schlachtfeld fernzuhalten (Standard 4.12.2015).

 

Unter großem öffentlichem Druck und nach Demonstrationen tausender Menschen vor dem schwer bewachten Regierungsviertel in Bagdad hat Abadi Ende März 2016 angekündigt, sein altes Kabinett durch eine Regierung unabhängiger Technokraten zu ersetzen. Bisher waren alle Minister mit politischen Gruppen verbunden. Die neuen sollen nun laut Abadi auf Basis von Professionalität, Effizienz und Integrität ausgewählt werden (Spiegel 31.3.2016). Jedoch scheint das neue Kabinett zu zerbröckeln, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Die meisten Parteien stemmen sich gegen den drohenden Machtverlust (SK 8.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html , Zugriff14.1.2016

 

 

 

 

 

 

2.1. "Islamischer Staat"

 

Der IS (der "Islamische Staat") baut innerhalb seiner Einflussgebiete pseudo-staatliche Strukturen auf. So gibt es beispielsweise einen "Diwan" (vergleichbar mit einem Ministerium) für natürliche Ressourcen, einschließlich der Verwertung von Antiquitäten. Ein anderer Diwan behandelt die "Verwertung" von Kriegsbeute, einschließlich SklavInnen (The Daily Star 29.12.0215). Unterstützung bekommt der IS von einigen ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei. Die Organisation Jaysh Rij?l a?-?ar?qa an-Naqshabandiya (Army of the Men of the Naqshbandi Order, auch Naqshabandi Order genannt - kurz JRTN) und andere ähnliche Ex-Baathistische Gruppen stimmen zwar nicht mit der Ideologie des IS überein, unterstützen diesen zum Teil aber als eine Organisation, die die irakische Regierung bekämpft (CRS 9.2015). Frühere Geheimdienstagenten, Kommandanten von Spezialeinheiten und Parteifunktionäre des Saddam-Regimes zählen zu den führenden Mitgliedern des IS und waren auch maßgeblich bei seinem strategischen Aufbau beteiligt (Qantara 13.7.2015).

 

Es gibt eine strenge Religionspolizei (Welt 21.9.2015), ein IS-Regierungskabinett, den IS-Militärrat sowie den Schura-Rat, in dem die IS-Kleriker sitzen, die gleichzeitig als oberste Richter fungieren. Eine Trennung zwischen Religion und Staat existiert nicht. Die IS-Ideologie ist offizielle Staatsdoktrin. Der IS hat seine Gebiete in Provinzen aufgeteilt, diese wiederum in Bezirke. Jede Provinz wird von einem IS-Gouverneur regiert. Dabei nutzt der IS die ihm unterstellte zivile Verwaltung, einen eigenen Sicherheitsapparat samt Geheimdienst sowie eigene Gerichtshöfe. Die Bezirke haben ebenfalls eigene Verwaltungs- und Sicherheitsorgane sowie Richter. Der Islamische Staat bezeichnet Abu Bakr al-Baghdadi als seinen Kalifen und Anführer. Zumindest nach außen ist Baghdadi das Gesicht der Organisation. Die Finanzierung des IS findet über viele verschiedene Quellen statt. Die wichtigsten sind:

Zwangspfändungen, Versklavung, Zwangsprostitution, Lösegeld, Einkommensteuer, Zoll, Kulturraub, Ölschmuggel sowie die Übernahme von Strom- und Wasserversorgern. Teilweise zahlt die irakische Regierung die Gehälter der in IS-Gebiet lebenden Staatsbediensteten noch aus – wovon der IS profitiert (Spiegel 2.12.2015). Teilweise setzt der Staat die Zahlungen der Gehälter aber aus, und versucht damit dem IS zu schaden, macht damit aber gleichzeitig die dort lebende Bevölkerung erst recht vom IS abhängig (Al Arabiya 23.12.2015).

 

Die Anführer des IS haben langjährige Erfahrung im Untergrund. Während der US-Besatzungszeit mussten sie sich verstecken und sie wissen daher auch, wie man die Überwachungsmethoden der US-Amerikaner austrickst (Spiegel 2.12.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html , Zugriff14.1.2016

 

 

 

3. Sicherheitslage

 

Seit der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 ist ein starker Anstieg der Todeszahlen zu beobachten, der sich insbesondere ab dem Jahr 2012 noch einmal verstärkt. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Todeszahlen im Irak (in Dunkelrot) bis zum Jahr 2014.

 

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(VOH 17.11.2015)

 

Im Jahr 2014 war der Konflikt im Irak der zweit-tödlichste (nach Syrien) weltweit. Es wurden laut der österreichischen Botschaft in Amman 21.073 Todesopfer verzeichnet. Damit haben sich die Opferzahlen im Irak verglichen zu 2013 (9.742 Todesopfer) mehr als verdoppelt. Auch die Anschlagskriminalität im Irak erreichte, vor allem durch die Taten des IS, 2014 einen Höhepunkt. Die Anzahl der IrakerInnen, die 2014 Opfer von Anschlägen wurden, erreichte ein Ausmaß wie zuvor nur in den berüchtigten Bürgerkriegsjahren 2006/2007: über 12.000 tote und 23.000 verletzte ZivilistInnen (ÖB Amman 5.2015).

 

Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der getöteten Zivilisten im Irak (inkl. Zivilpolizisten) für die Monate Jänner bis Dezember 2015 sowie die Anzahl der getöteten Iraker insgesamt. Demnach wurden im Jahr 2015 12.740 Iraker getötet, 7.515 davon waren Zivilisten (inklusive Zivilpolizei). 14.855 Zivilisten (inkl. Zivilpolizei) wurden verletzt. UNIRAQ wurde bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten daher als Minimumangaben gesehen werden. Sofern man anhand dieser Zahlen auf die Sicherheitslage im Irak schließen kann, hat sich die diese im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr 2014 gebessert. Verglichen mit dem Jahr 2013 war die Sicherheitslage im Jahr 2015 schlechter. In der folgenden Grafik finden sich die Mindestzahlen für das Jahr 2015:

 

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Quelle: Daten: UNAMI (Jänner bis Dezember 2015), Grafik:

Staatendokumentation

 

Für den Monat Februar 2016 berichtet UNAMI, dass zumindest 670 Iraker getötet und 1.290 verletzt wurden. Darunter waren 410 getötete Zivilisten (einschließlich Bundespolizei, Sahwa Zivilschutz, Leibwächter, Polizei für den Schutz von Gebäuden und Anlagen, sowie Feuerwehr) und 1.050 verletzte. Die Provinz Bagdad war (im Monat Februar 2016) mit zumindest 277 getöteten Zivilisten dabei am stärksten betroffen, ebenfalls stark betroffen waren Diyala (40 getötete Zivilisten), Nineweh (42 getötete Zivilisten) und Kirkuk (29 getötete Zivilisten). Auf Grund der unübersichtlichen und volatilen Sicherheitslage können laut UNAMI die zu Anbar dokumentierten Zahlen (4 getötete und 126 verletzte Zivilisten) besonders stark von den tatsächlichen Zahlen abweichen (UNAMI 2.2016). Im März 2016 wurden nach der Zählung von Iraq Body Count (IBC) 1.073 Zivilpersonen getötet. Nach der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) gab es 575 zivile Todesopfer und 1.196 Verletzte im März 2016. Weiter wurden 544 Mitglieder der irakischen Armee, Peshmerga-Kämpfer und andere Verbündete (ohne Opferzahlen der Anbar-Operationen) getötet und 365 verletzt. Die am stärksten betroffene Provinz war im März abermals Bagdad mit 1.029 (259 Tote, 770 Verletzte) zivilen Opfern. In der Provinz Nineweh gab es 133 Tote und 89 Verletzte, in der Provinz Babil 65 Tote und 141 Verletzte, in der Provinz Kirkuk 34 Tote und 57 Verletzte, in der Provinz Diyala elf Tote und in der Provinz Salahuddin sechs Tote und einen Verletzten (Mindestzahlen) (BAMF 4.4.2016).

 

Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016). Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (National 6.3.2016).

 

Die am meisten gefährdeten Personengruppen sind neben religiösen und ethnischen Minderheiten auch Berufsgruppen wie Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, Mitglieder des Sicherheitsapparats, sogenannte "Kollaborateure", aber auch Mitarbeiter von Ministerien (AA 18.2.2016, s. auch Abschnitt 8).

 

Insgesamt kann die Sicherheitslage im Irak im Jahr 2015 als weiterhin höchst instabil bezeichnet werden. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich weitgehend auf die Provinzen Anbar, Ninewah und Salah al-Din. Die irakische Regierung und die KRG konzentrierten sich weiterhin darauf, territoriale Fortschritte gegen den IS zu machen (UN Security Council 26.10.2015).

 

Der Aufstieg der zahlreichen konfessionellen Milizen und sonstigen bewaffneten Organisationen und Gruppen geht insbesondere auf den Bürgerkrieg von 2005 bis 2007 zurück. Heute stehen sich v.a. der aus Al-Qaida hervorgegangene "Islamische Staat", die schiitischen Milizen und die kurdischen Peschmerga gegenüber. Die schiitischen Milizen in ihrer Gesamtheit werden als militärisch stärker als die irakische Armee eingeschätzt (Standard 18.11.2015), und einige davon machen sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig (RSF 18.4.2015, vgl. HRW 20.9.2015, vgl. Rohde 9.11.2016). Neben deren gewaltsamen Übergriffen auf Teile der sunnitischen Bevölkerung gibt es auch schiitische Milizen, die - ähnlich wie islamistische sunnitische Gruppen - gegen (nach deren Definition) "un-islamisches" Verhalten vorgehen und z.B. Bordelle, Nachtclubs oder Alkoholgeschäfte attackieren (Washington Post 21.1.2016). Die Peschmerga kämpfen zwar an der Seite der Zentralregierung, beschränken sich jedoch auf die Verteidigung der kurdischen Gebiete gegen den IS (Rohde 9.11.2015), gleichzeitig befinden sie sich aber auch in einem gespannten Verhältnis zu den schiitischen Milizen (Deutschlandfunk 5.12.2015). All diese Akteure sind mit externen Mächten liiert, allen voran Iran, Saudi-Arabien, Türkei oder den USA (Rohde 9.11.2015). Die USA sind mit einigen tausend US-Soldaten im Irak präsent und haben vor, ihre Präsenz mit weiteren Bodentruppen auszubauen. (Spiegel 2.12.2015, vgl. FAZ 24.10.2015, vgl. Focus 9.3.2016). Die von den USA angeführte Koalition gegen den IS hat im Irak seit Beginn ihrer Luftangriffe im August 2014 mehr als 6.800 Luftschläge durchgeführt (auf der folgenden Karte in blau dargestellt). Die Karte zeigt außerdem, welche Gebiete vom IS kontrolliert werden, bzw. in welchen Gebieten der IS die Möglichkeit hat, frei zu operieren – schraffiert dargestellt (BBC 29.2.2016):

 

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Quelle: BBC (29.2.2016)

 

Die folgende Karte zeigt, welche Gebiete im Irak von welchen militärischen Organisationen/Milizen kontrolliert werden:

 

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Quelle: ISW (9.2.2016)

 

Laut einer Untersuchung des in den USA ansässigen Instituts IHS Jane's habe der IS im Jahr 2015 in Syrien und Irak insgesamt mehr Land eingebüßt als erobert. Insgesamt soll die Miliz etwa 14 Prozent ihres Territoriums eingebüßt haben. Zu den Verlusten im Irak zählten die Stadt Tikrit und die Raffinerie von Baiji. Zudem haben die Extremisten die Kontrolle über einen Teil einer Schnellstraße zwischen Raqqa in Syrien und Mossul im Irak verloren, was logistische Schwierigkeiten mit sich bringe. Erobert hat der IS im Irak die Provinz Anbar, sowie deren Hauptstadt Ramadi [letztere wurde in der Zwischenzeit wieder zurückerobert] (Standard 22.12.2015).

 

Im November 2015 eroberten die irakisch-kurdischen Peschmerga gemeinsam mit Einheiten der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihres syrischen Ablegers YPG und mit Unterstützung durch amerikanische Luftschläge die Stadt Sinjar vom IS zurück (NZZ 13.11.2015). (In der Folge dessen kam es dort zwischenzeitlich zu Zusammenstößen zwischen jesidischen Kämpfern und Einheiten der KDP-Peschmerga (Ekurd 26.11.2015).)

 

Den Kurden gelang es auch, den IS aus Dörfern in der Nähe von Kirkuk zu vertreiben (NTV 11.9.2015). Gleichzeitig benutzen die Kurden den Krieg gegen den IS aber auch, um in den ohnehin lange umstrittenen Gebieten kurdische Fakten zu schaffen (unter anderem auch mit der Übernahme der Stadt Kirkuk im Sommer 2014), Araber werden zum Teil vertrieben (20Minuten 8.2015, vgl. Deutschlandfunk 15.7.2015). Umgekehrt kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, wo Teile der sunnitischen Bevölkerung den vorrückenden Peshmerga in den Rücken fallen und mit dem IS zusammenarbeiten. Es herrscht Misstrauen auf beiden Seiten, bei den Kurden, sowie den Arabern (20Minuten 8.2015).

 

Im Dezember 2015 gab Abadi die Rückeroberung der Stadt Ramadis bekannt, die im Mai in die Hände des IS gefallen war. Für die Armee ist der Sieg in Ramadi ein wichtiger und lang ersehnter Erfolg (Standard 29.12.2015). In dem ein Jahr andauernden Kampf gegen den IS in Ramadi, wurde die Stadt völlig zerstört (Haaretz 18.1.2016).

 

Stammeskämpfer haben die am 19.02.16 begonnenen Gefechte gegen den IS in Falluja eingestellt, nachdem der IS Angaben der Armee zufolge mehr als 100 Bewohner der Stadt als Geiseln gefangen genommen hatte. Angaben des Verwaltungschefs zufolge soll es sich um rund 60 Gefangene handeln. Die Stämme befürchteten, dass die Geiseln hingerichtet würden (BAMF 22.2.2016). Ende März 2016 begannen irakische Truppen (mit Unterstützung durch US-Luftangriffe) mit einer Großoffensive auf die vom IS besetzte Großstadt Mossul, der zweitgrößten Stadt Iraks, die nach wie vor vom IS gehalten wird (Standard 24.3.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html , Zugriff14.1.2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4111:casualty-figures-for-the-month-of-july-2015&Itemid=633&lang=en , August:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4230:un-casualty-figures-for-the-month-of-august-in-grievous-increase&Itemid=633&lang=en , Sept.:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4344:un-casualty-figures-for-the-month-of-september-2015&Itemid=633&lang=en , Oct.:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4454:un-casualty-figures-for-the-month-of-october-2015&Itemid=633&lang=en , Nov.

 

 

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http://reliefweb.int/report/iraq/un-casualty-figures-month-december-2015 , Jan.2016

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5147:un-casualty-figures-for-the-month-of-january-2016&Itemid=633&lang=en , Feb.2016

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5284:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2016&Itemid=633&lang=en

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/301090/437831_de.html , Zugriff 19.1.2016

 

 

 

 

3.1. Die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

 

Iraqi Security Forces (ISF)

 

Den ISF kommt nach dem Abzug der Streitkräfte der Koalition ab 2011 eine besonders gewichtige Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit im Irak zu. Die ISF haben drei Hauptzweige: die irakische Armee, die irakische Polizei und die National Police.

 

Die ISF sind zum Teil infiltriert von schiitischen Arabern, während sunnitische Araber in den ISF unterrepräsentiert sind (ISW o.D.a). Teilweise wurden schiitische Milizen, die für ihr brutales Vorgehen gegen Sunniten bekannt sind (s. Abschnitt 8., sowie 8.2.), auch in die ISF integriert, was die Sunniten Iraks mit besonderer Sorge sehen.

 

Die ISF verübten aber auch selbst Attacken auf zivile sunnitische Gebiete (ISW o.D.b). Darüber hinaus haben die ISF das Problem, dass es im Land schiitische Milizen gibt, die zusammengenommen sogar als militärisch stärker als die ISF eingeschätzt werden (Standard 18.9.2015).

 

Insbesondere im Sommer 2014 machten die ISF keine gute Figur und überließen dem IS kampflos große Gebiete des Landes - unter anderem die Stadt Mossul (Spiegel 15.6.2014). Zehntausende irakische Soldaten verließen im Juni 2014 ihre Posten und flüchteten. Viele aus Angst vor dem IS, viele meinten, sie hätten den Befehl dazu bekommen. Es fehlte unter anderem an einer starken Führung, sowie an fehlender Motivation, zweiteres wohl auch, weil sich viele nicht mit der Politik des damaligen Präsidenten Maliki identifizieren konnten. Die ursprünglich 400.000 Mann starke Armee, die mit US-Hilfe aufgebaut worden war, wird nunmehr auf 85.000 aktive Soldaten geschätzt. Das Verteidigungsministerium hatte die Zahl offenbar hochgespielt, man spricht in diesem Zusammenhang von "Geistersoldaten". Abadi gab im November 2014 zu, dass es 50.000 solcher Geistersoldaten gab (Global Security o.D.).

 

Schiitische Milizen

 

 

 

 

 

Sunnitische Milizen

 

 

 

 

Ungefähr 100.000 irakische Sunniten sind bekannt als "Sons of Iraq" (auch "Awakening" oder "Sahwa" genannt). Es handelt sich um bewaffnete Männer, die während der Jahre 2003-2006 das US-Militär im Irak bekämpften, aber sich danach mit den US-Streitkräften gegen Al Qaida Iraq (den Vorläufer des IS) verbündeten. Ihnen wurde zugesagt, dass sie in die ISF integriert werden sollen, aber nur ein Teil wurde letztlich tatsächlich eingegliedert. Die übrigen wurden in Checkpoints eingesetzt, und erhielten ein geringes Gehalt, wurden aber nicht formell eingegliedert. Als Ergebnis dessen waren einige dieser Kämpfer desillusioniert und Berichten zufolge schlossen sich einige (Zahlen sind nicht bekannt) dem IS an (CRS 31.12.2015).

 

Kurdische Kämpfer

 

 

 

Es gibt seit langem Bestrebungen zur Zusammenführung der KDP-Peschmerga und der PUK-Peschmerga zu einer einheitlichen Armee. Eine effektive und vollständige Vereinigung ist jedoch auf Grund der Konkurrenzsituation und des Misstrauens gegeneinander nicht erfolgt (CMEC 16.12.2015).

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3.2. Bagdad

 

Bagdad ist fast täglich Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten. Bei vielen der verübten Anschläge sind religiöse oder politische Motive zu vermuten. Einer der tödlichsten Anschläge des Jahres 2015 fand am 13. August statt, bei dem eine Bombe auf einem Markt in der Gegend um Jameela im Osten Bagdads detonierte, zumindest 45 Zivilisten in den Tod riss und 72 weitere verletzte (UN Security Council 26.10.2015). Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016). Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (NG 6.3.2016).

 

Es gab in Bagdad Entführungen und erzwungene Vertreibungen, die von bewaffneten - mit der Regierung verbundenen - Gruppen verübt wurden, sowie Zusammenstöße zwischen den ISF und nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, beziehungsweise zwischen bewaffneten schiitischen Gruppen selbst. Nach einer Stellungnahme, die von sunnitischen Lehrern herausgegeben wurde, haben Regierungstruppen und schiitische Milizen in vielen Vierteln Bagdads Sunniten gewaltsam vertrieben (UK Home Office 11.2015). Laut Human Rights Watch sprachen v.a. in den Provinzen Bagdad und Diyalah kriminelle Banden, die laut sunnitischen Opfern mit den irakischen Sicherheitskräften und den schiitischen Milizen verbunden sind, Drohungen aus und verübten Morde, die nicht untersucht wurden (HRW 27.1.2016). Die für Menschenrechtsverletzungen bekannte schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq hat in Bagdad großen Einfluss, insbesondere in den Vierteln/Bezirken Kadhimiya, Rusafa, Yarmouk, A’amel, 9 Nissan, Dora und Sha'ab. Zum Teil ist die Miliz in Bagdad einflussreicher als die örtliche Polizei. Übergriffe auf benachbarte sunnitische Viertel kommen vor (ISW 12.2012, vgl. FIS 29.4.2015).

 

Die vielen nach Bagdad strömenden Binnenflüchtlinge verschärfen die Spannungen in Bagdad noch zusätzlich. Es kommt zu Vertreibungen von Binnenflüchtlingen, sowie zu Drohungen, Morden und Entführungen (UNAMI 13.6.2015). Iraks Hauptstadt ist in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel stark zunehmen. Gemischte Viertel gibt es immer

 

weniger. Die folgenden Karten von 2003, 2010 und 2015 veranschaulichen dies: Bild kann nicht dargestellt werden

 

Quelle: National Geographic (o.D.)

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

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Quelle: Izady 2016

 

Im Jahr 2015 gab es in der Region Bagdad 12.909 Gewalt-Opfer unter der Zivilbevölkerung, davon kamen 3.736 Personen ums Leben und 9.173 wurden verletzt. Die Region Bagdad war diesbezüglich zahlenmäßig - verglichen mit den übrigen Provinzen Iraks - am stärksten betroffen. Dies gilt auch für die ersten beiden Monate des Jahres 2016, in denen in der Region Bagdad zumindest 576 Zivilisten getötet und

1.623 Zivilisten verletzt (UNIRAQ 1.-12.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448438071_iraq-cig-security-situation-nov-15.pdf , Zugriff 4.1.2016

 

UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (13.6.2015): Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict in Iraq: 11 December 2014 - 30 April 2015,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436959266_unami-ohchr-4th-pocreport-

 

11dec2014-30april2015.pdf, Zugriff 22.3.2016

 

http://reliefweb.int/report/iraq/iraq-un-casualty-figures-april-2015-enar

, May: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=51021 , June:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4031:casualty-figures-for-the-month-of-june-2015-in-iraq-continue-to-be-on-the-high-side&Itemid=633&lang=en

, July:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4111:casualty-figures-for-the-month-of-july-2015&Itemid=633&lang=en , August:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4230:un-casualty-figures-for-the-month-of-august-in-grievous-increase&Itemid=633&lang=en , Sept.:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4344:un-casualty-figures-for-the-month-of-september-2015&Itemid=633&lang=en , Oct.:

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4454:un-casualty-figures-for-the-month-of-october-2015&Itemid=633&lang=en , Nov.

 

 

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=4610:un-casualty-figures-for-the-month-of-november-2015&Itemid=633&lang=en , Dez.

http://reliefweb.int/report/iraq/un-casualty-figures-month-december-2015 , Jan.2016

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5147:un-casualty-figures-for-the-month-of-january-2016&Itemid=633&lang=en , Feb.2016

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5284:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2016&Itemid=633&lang=en

 

3.3. Die mehrheitlich von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen Iraks

 

Die südlichen Provinzen Iraks (Karbala, Babil, Wasit, Najaf, Qadissiya, Missan, Thi-Qar, Muthanna und Basrah) befinden sich unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte (ISF). Jedoch ist der Staat bei der Kontrolle stark auf mehrere schiitische Milizengruppen angewiesen, die in einigen Gebieten eigenmächtig agieren (IDMC 30.6.2015). Im überwiegend schiitischen Gebiet im Süden Iraks wurden im Jahr 2014 427 Personen getötet (schließt Zivilisten und Militärs ein)(UK Home Office 11.2015). Im Jahr 2015 wurden von Iraq Body Count in Basra 90 zivile Todesfälle durch Gewalt dokumentiert (Mindestzahlen), im [spärlich besiedelten Gebiet] Muthanna sechs, im [spärlich besiedelten Gebiet Najaf] einer, in Qadissiya einer, in Missan 27, in Wassit 11, in Thi-Qar 17 und in Babil ca 270 [in dieser Quelle fanden sich keine Angaben zur Provinz Karbala](IBC 2015). In diesen Provinzen (ausgenommen Babil, s.u.) gab es keine direkten Konfrontationen mit dem IS. Die Gewalt hat sich hier auf sporadische terroristische Angriffe beschränkt. Eine Ausnahme stellt die Provinz Babil dar, in der der IS versuchte, Bagdad vom Süden her anzugreifen (CEDOCA 29.5.2015). In der Provinz Babil kam es während des Jahres 2015 darüber hinaus vermehrt zu Morden und Entführungen durch schiitische Milizen (USDOS 14.10.2015).

 

Ein Papier des UNHCR, datiert mit Oktober 2014 besagt, dass sich der aktuelle Konflikt im Irak hauptsächlich auf die Provinzen im Zentral- und Nordirak konzentriert, dass aber auch die südlichen Provinzen mit sicherheitsrelevanten Vorfällen konfrontiert sind, einschließlich Bombenanschlägen, gezielte Entführungen, religiös motivierte Vergeltungsanschläge gegen Individuen (auch Mitgliedern politischer Parteien, religiösen und ethnischen Führungsfiguren, Regierungsangestellten und Fachkräften). Immer wieder finden Entführungen von Sunniten statt (UK Home Office 11.2015).

 

Dadurch, dass der irakische Staat Ende 2014 große Teile der Armee und der Polizei aus den südlichen Provinzen abgezogen hatte, verschlechterte sich die Sicherheitslage zuletzt in diesen Provinzen. Die Kriminalität steigt, es kommt vermehrt zu blutigen Zusammenstößen zwischen schiitischen Klans, zu Entführungen und Lösegelderpressungen. Der zunehmende Einfluss der schiitischen Milizen verschlimmert die Situation zusätzlich. Die Regierung hat im Jänner 2016 eine Armee-Division und eine Polizeitruppe in die südliche Stadt Basra geschickt, um die dortige Bevölkerung zu entwaffnen, und gegen die konkurrierenden, sich gegenseitig bekämpfenden schiitischen Klans vorzugehen (Reuters 15.1.2016, vgl. Al- Arabiya 9.1.2016, vgl. New Arab 7.1.2016). Die großen Stammesverbände in den Provinzen Basrah und Thi-Qar besitzen leichte und mittelschwere Waffen und bekämpfen sich in Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit gegenseitig (Al-Monitor 2.3.2016). Auch das Institute for the Study of War berichtete Anfang des Jahres 2016 von der zunehmenden Instabilität in Basra, die von den rivalisierenden schiitischen Gruppen (darunter auch die Organisation Asa’ib Ahl al-Haqq) nutzen, um an Einfluss zu gewinnen. Das Institut berichtete auch von der stark ansteigenden Kriminalität und Gewalt in Basra (ISW 11.1.2016).

 

In den südlichen Provinzen kommt es darüber hinaus häufig zu Protesten, die sich gegen Regierungskorruption, Mangel an öffentlichen Dienstleitungen, die häufigen Stromausfälle und die schlechte Wasserqualität richten. Dabei seien Berichten zufolge Demonstranten bedroht worden (UNAMI 19.1.2016).

 

Im Süden des Landes finden sich sunnitische Gemeinden eher nur vereinzelt und vorwiegend in spärlich besiedelten ländlichen Gebieten (Columbia University 2014). Diese in den südlichen Provinzen lebende sunnitische Minderheit ist immer wieder Mord, Entführungen und Bedrohungen ausgesetzt (USDOS 14.10.2015).

 

Quellen:

 

 

 

Jaffal),

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-basra-tribes-fightingdisarmament.html , Zugriff 18.3.2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448438071_iraq-cig-security-situation-nov-15.pdf , Zugriff 4.1.2016

 

 

Commissioner for Human Rights (19.1.2016): Report on the Protection of Civilians in the Armed Conflict in Iraq: 1 May – 31 October 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453277693_unamireport1may31october2015.pdf ,Zugriff 18.3.2016

 

 

4. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Anm.: Dieser Abschnitt ist nur relevant für Gebiete, in denen das staatliche Rechtssystem greift. Dies ist in Teilen des Landes nicht oder nur eingeschränkt der Fall (in vom IS besetzten Gebieten, oder teilweise in einigen von schiitischen Milizen dominierten Gebieten).

 

Das Strafjustizwesen wies laut Amnesty International weiterhin gravierende Mängel auf. Der Justiz fehlte es an Unabhängigkeit. Die Verfahren waren systematisch unfair, insbesondere solche, in denen Anklage wegen terroristischer Straftaten erhoben wurde und die Todesstrafe verhängt werden konnte. Gerichte sprachen Angeklagte aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren, und die teilweise bereits vor Prozessbeginn von staatlichen Fernsehsendern ausgestrahlt wurden (AI 24.2.2016). Der irakische Staat verhängt Todesstrafen aufgrund von Geständnissen, die durch Folter erzwungen wurden (RFE/RL 5.11.2015). Rechtsanwälte, die Terrorismusverdächtige verteidigten, wurden von Sicherheitsbeamten bedroht und eingeschüchtert und von Milizen tätlich angegriffen. Der IS und andere bewaffnete Gruppen attackierten und töteten weiterhin Richter, Rechtsanwälte und Justizbedienstete. Im Juli 2015 verurteilte das Zentrale Irakische Strafgericht in Bagdad 24 mutmaßliche IS-Mitglieder zum Tode. Die Männer waren für schuldig befunden worden, im Juni 2014 mindestens

1.700 Militärkadetten des Militärstützpunkts Camp Speicher in der Nähe von Tikrit in der Provinz Salah al-Din getötet zu haben. Vier weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Die Gerichtsverhandlung dauerte nur wenige Stunden und stützte sich weitgehend auf "Geständnisse", die nach Angaben der Angeklagten während ihrer Untersuchungshaft unter Folter erpresst worden waren, sowie auf ein Video des Massakers, das der IS zuvor in Umlauf gebracht hatte. Die Angeklagten bestritten ihre Beteiligung an den Tötungen. Einige gaben an, zum Tatzeitpunkt nicht in Tikrit gewesen zu sein. Keiner der Angeklagten hatte einen Rechtsbeistand seiner Wahl. Alle wurden von Rechtsanwälten vertreten, die das Gericht ernannt hatte. Diese plädierten zwar für milde Urteile, stellten aber die Beweise oder die Zulässigkeit der "Geständnisse" nicht in Frage (AI 24.2.2016).

 

Laut Bericht des Auswärtigen Amtes findet die Verfolgung von Straftaten nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über eine sogenannte "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 18.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Iraq.pdf , Zugriff 10.3.2016

 

 

5. Sicherheitsbehörden

 

Anm.: Zu den irakischen Sicherheitskräften (ISF), sowie zu den (teilweise von der Regierung beauftragten) schiitischen Milizen, und den wichtigsten im Irak agierenden militärischen Kräften s. Abschnitt 3.1.

 

6. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die "Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment (CAT)" unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 18.2.2016).

 

Vernehmungsbeamte folterten Häftlinge, um Informationen zu erpressen und "Geständnisse" zu erzwingen, die später vor Gericht gegen sie verwendet wurden. Einige Häftlinge sollen infolge der Folter gestorben sein. Im April 2015 bestätigte ein Mitglied des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses, dass nach wie vor Häftlinge gefoltert und erpresste "Geständnisse" vor Gericht verwendet würden. Der UN-Ausschuss gegen Folter warf der Regierung vor, Foltervorwürfe nicht zu untersuchen, und forderte bessere Schutzmaßnahmen gegen Folter (AI 24.2.2016). Auch die Bertelsmann-Stiftung berichtet davon, dass Beamten des irakischen Innenministeriums Gefangene (straffrei) zu Tode folterte. Unter der Regierung von Ex-Premierminister Maliki hatte es eine Untersuchung des irakischen "Ministerium für Menschenrechte" [seit August 2015 abgeschafft], die ergeben hatte, dass in der ersten Hälfte des Jahres 2013 20 von 117 Todesfällen in Haft die Folge von Folter waren (BI 2016).

 

Nach glaubwürdigen Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayisch (kurdische Geheimpolizei) in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige, z. B. durch Schläge mit Kabeln, Wasserschläuchen, Holzstöcken und Metallstangen, durch das Halten von Gefangenen in Stresspositionen über längere Zeiträume, tagelanges Fesseln und Verbinden der Augen sowie ausgedehnte Einzelhaft. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht (AA 18.2.2016).

 

In den Abschnitten 8.1. sowie 8.2. finden sich weitere Informationen zu diesem Themenbereich.

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Iraq.pdf , Zugriff 10.3.2016

 

7. Korruption

 

Auf dem Corruption Perception Index 2015 liegt der Irak auf Rang 161 (von 168) (Transparency International 2015).

 

Es gab im Jahr 2015 zahlreiche Demonstrationen gegen Korruption: Zu den Demonstrationen im Juli und August 2015, bei denen tausende Menschen gegen die Korruption im Land protestierten, s. Abschnitt 8. Im März 2016 kam es abermals zu Demonstrationen mit tausenden Menschen vor dem Regierungsviertel in Bagdad. S. Abschnitt 6. Darüber hinaus finden sich einige Informationen zur Korruption in der Autonomen Kurdenregion in Abschnitt 2.1., sowie Informationen zur Korruption im Rechtssystem in Abschnitt 4.

 

Quelle:

 

 

8. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage oder bereit, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen sowie den Vereinten Nationen einher mit Repressionen, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession (AA 18.2.2016).

 

Auch laut Amnesty International sind sowohl Sicherheitskräfte der Regierung, regierungstreue Milizen, als auch die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Regierungstruppen waren für wahllose Angriffe auf Gebiete unter IS-Kontrolle verantwortlich und verübten außergerichtliche Hinrichtungen. Die Menschenrechtslage habe sich im Jahr 2015 weiter verschlechtert. Alle Konfliktparteien begingen Kriegsverbrechen sowie andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und Menschenrechtsverstöße. Berichten zufolge setzten sowohl die "Einheiten der Volksmobilisierung" (al-Hashd al-Shaabi) (v.a. bestehend aus von der Regierung legitimierten schiitischen Milizen) als auch der "Islamische Staat" Kindersoldaten ein.

 

Im Juli und August 2015 beteiligten sich in Bagdad, Basra und anderen Städten tausende Menschen an Straßenprotesten gegen staatliche Korruption, Engpässe in der Strom- und Wasserversorgung und die Unfähigkeit der Behörden, grundlegende Versorgungsleistungen sicherzustellen. Mindestens fünf Personen wurden getötet, als die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt einsetzten, um die Demonstrationen aufzulösen. In den darauffolgenden Wochen wurden mehrere Anführer der Proteste in Bagdad, Nassiriya und Basra von Unbekannten getötet. Der Innenminister behauptete, die Tötungen stünden nicht in Zusammenhang mit den Demonstrationen. Es blieb jedoch unklar, ob die Behörden die Vorfälle gründlich untersuchten.

 

Es kommt weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren.

 

Im Zuge der Rückeroberung von Gebieten, die der IS im Jahr 2014 erobert hatte, kommt es auch zu Repressionen durch kurdische Peschmerga, durch schiitische und auch sunnitische Milizen insbesondere gegen Angehörige (anderer) sunnitischer Stämme, die der Kollaboration mit dem IS bezichtigt werden (AA 18.2.2016).

 

Journalisten mussten 2015 weiterhin unter extrem gefährlichen Bedingungen arbeiten. Sie waren Drohungen und tätlichen Angriffen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt und mussten befürchten, vom IS und anderen bewaffneten Gruppen verschleppt und getötet zu werden. Im April 2015 erklärte der Innenminister, die negative Berichterstattung der Medien über die Sicherheitskräfte behindere den Kampf gegen den IS (AI 24.2.2016).

 

Auf dem Weltpressefreiheitsindex 2014 belegt der Irak Platz 153 von 180 und liegt damit nur unwesentlich besser als am absoluten Tiefpunkt von Platz 158 im Jahr 2008. Zudem war der Irak im Jahr 2014 das viert-tödlichste Land für Journalisten – was insbesondere mit Gewaltakten an Journalisten durch den IS zusammenhängt (ÖB Amman 5.2015).

 

Abgesehen von Journalisten gibt es eine Reihe anderer Personengruppen, die besonders gefährdet sind: Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen sind Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sowie sogenannte "Kollaborateure" sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten. Neben Autobomben kommen dabei häufig schallgedämpfte Waffen zum Einsatz. Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (meist Angehörige von Minderheiten), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, Friseure und medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Anschlägen. Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet [oder im Dienst des IS – s. Abschnitt 2.2.], häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut der UN-Mission haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 18.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

8.1. Islamischer Staat

 

Der IS begeht im Irak massive Menschenrechtsverletzungen. Das Iraqi Observatory for Human Rights berichtet von 7.700 Exekutionen, die der IS im Irak durchgeführt haben soll. Ungefähr 2.100 davon fanden in der IS-Hochburg Mossul statt, 1.900 in der Provinz Anbar. 250 in der Provinz Diyala und 110 in der Provinz Kirkuk. Dabei sind bei diesen Zahlen weitere tausende Opfer des IS noch nicht berücksichtigt, die z.B. im Zuge von Selbstmordattentaten getötet wurden. Ebenfalls nicht in diesen Zahlen berücksichtigt sind die ungefähr 5.000 Jesiden, die im August 2014 in der Provinz Sinjar vom IS getötet wurden, während sie versuchten dem IS zu entkommen. Es kann vermutet werden, dass die Todeszahlen in Wahrheit noch wesentlich höher sind als die bereits sehr hohen hier dokumentierten Zahlen.

 

Der IS wendet besonders grausame Methoden der Folter und Exekution an, wie z.B. Steinigungen, Enthauptungen, Herunterwerfen von Gebäuden oder das Benutzen von Kindern, um die Exekution zu vollziehen (Ibitimes 24.9.2015).

 

Insbesondere die jesidische Bevölkerung ist von Genozid, Vergewaltigungen, Folterungen und Mord betroffen, wie das US Holocaust Memorial Museum in seinem Bericht schreibt. Große Zahlen von jesidischen Frauen und Kindern, die gekidnappt worden sind, werden als SklavInnen, zum Teil als Sex-SklavInnen gehalten oder verkauft (Agence France-Presse 13.11.2015). Auch andere ethnische und religiöse Minderheiten wie beispielsweise die Schabak und die Turkmenen sind von massiven Menschenrechtsverletzungen betroffen (ÖB Amman 5.2015). Christen, Jesiden, Turkmenen und Schabak sind von massiven Vertreibungen von Seiten des IS betroffen (FAZ 15.11.2015).

 

Es gibt in den vom IS kontrollierten Gebieten sehr strenge Verhaltens- und Kleidungsvorschriften. Frauen müssen sich komplett mit schwarzer Kleidung verhüllen, es gibt Berichte von Männern, die ausgepeitscht wurden, weil ihre Ehefrauen nicht vollständig verhüllt waren. Die Menschen in diesen Gebieten leben in ständiger Angst, für "Vergehen" bestraft zu werden (BBC 9.6.2015), wie z.B. den Besitz eines Mobiltelefons. Die Flucht aus Mossul wird durch Verminung verhindert, sodass die Stadt einer Art Gefängnis gleicht (Guardian 9.12.2015).

 

Mit der Genehmigung des IS dürfen Personen teilweise die vom IS kontrollierten Städte verlassen, in der Regel werden dann Besitztümer (z.B. das Auto) als Pfand verlangt, die eingezogen werden, falls der Ausreisende nicht mehr zurückkehrt (Daily Star 2.6.2015). In anderen Fällen wird auch die Herausgabe der Namen der Verwandten des Ausreisenden verlangt. Diese können dann im Falle des Fernbleibens inhaftiert werden (BID 2.1.2016).

 

Berichten des UNHCR zufolge sollen in Falluja (Provinz Anbar), rund 70 Kilometer westlich von Bagdad, mindestens 76 Menschen aufgrund mangelhafter Ernährung und fehlender Medikamente gestorben sein. 65 von ihnen hätten nicht mit den notwendigen Medikamenten versorgt werden können, elf seien durch verdorbene oder ungeeignete Nahrung vergiftet worden. UNHCR zufolge können aufgrund der IS-Kontrolle keine Helfer in die Stadt gelangen. Infolge der Blockade sind - medizinischen Kreisen zufolge - in den vergangenen Wochen rund 200 Menschen gestorben (BAMF 22.2.2016).

 

Angaben aus Diplomatenkreisen zufolge hat der IS im Jahr 2015 Senfgas gegen kurdische Kämpfer südlich der kurdischen Stadt Erbil (Provinz Erbil) eingesetzt. Labortests von Proben, die kurdische Kämpfer im letzten August bei einem Gasangriff genommen hatten, sind allerdings noch nicht abgeschlossen (BAMF 22.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8.2. Regierung, ISF, schiitische Milizen

 

Die laut Human Rights Watch außer Kontrolle geratenen schiitischen Milizen (HRW 20.9.2015) begehen breit angelegte und systematische Menschenrechtsverletzungen (AI 24.2.2016, HRW 27.1.2016). Es werden Zivilisten werden aus ihren Häusern vertrieben, gekidnappt, willkürlich verhaftet, gefoltert und in einigen Fällen in Massenexekutionen getötet. Insbesondere in jenen Gebieten, die die Milizen vom IS zurückerobern, wird die sunnitische Bevölkerung pauschal schikaniert. V.a. die Miliz Asa’ib Ahl Al Haqq ist hier besonders hervorzuheben (HRW 15.2.2015, vgl. BTI 2016). Von den schiitischen Milizen wurden ganze Dörfer systematisch zerstört, sie wurden geplündert, niedergebrannt, oder gesprengt (HRW 27.1.2016). Von April bis Dezember 2015 sind alleine in der Provinz Salah al-Din zumindest 718 Sunniten von Kämpfern schiitischer Milizen entführt worden (Reuters 14.12.2015). Es werden sogar Stimmen laut, die meinen, dass sich einige der schiitischen Milizen teilweise hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen, kritischen JournalistInnen und Menschen mit anderer sexueller Orientierung kaum vom IS unterscheiden (Rohde 9.11.2015).

 

Auch die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) selbst verübten Attacken auf zivile sunnitische Gebiete (ISW o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Iraq.pdf , Zugriff 10.3.2016

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html , Zugriff14.1.2016

 

 

 

 

https://www.ecoi.net/local_link/318408/443588_en.html , Zugriff 6.4.2016

 

 

 

9. Todesstrafe

 

Das Verhängen der Todesstrafe, deren Vollzug, allgemeiner Missbrauch, Vergewaltigung und Folter sind im Irak sehr häufig. Der irakische Staat hat seit Ende 2013 in etwa 240 Personen exekutiert,

1.700 Personen verbleiben in der Todeszelle (Stand 5.11.2015). Der irakische Staat verhängt auch Todesstrafen aufgrund von Geständnissen, die durch Folter erzwungen wurden (RFE/RL 5.11.2015). Im September 2015 verurteilte ein Gericht in Bagdad die drei Brüder Ali, Shakir und Abdel-Wehab Mahmoud Hameed al-'Akla wegen Terrorismus zum Tode, weil sie 2010 einen Mann enthauptet haben sollen. Alle drei Angeklagten gaben an, Sicherheitskräfte hätten sie während ihrer monatelangen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gefoltert und dazu gezwungen, die Tötung ihnen unbekannter Personen zu "gestehen". Die meisten Todesurteile ergingen gegen sunnitische Männer, die wegen Verstößen gegen das Antiterrorgesetz von 2005 schuldig gesprochen worden waren. Im Juni 2015 stimmte das Kabinett einer Änderung der Strafprozessordnung zu, wonach der Justizminister künftig Hinrichtungsbefehle unterzeichnen kann, wenn der Präsident nicht innerhalb von 30 Tagen darüber befindet. Im darauffolgenden Monat unterzeichnete Präsident Masum mindestens 21 Todesurteile (AI 24.2.2016).

 

In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Hussein die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wieder eingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet (AA 18.2.2016).

 

Anm.: Zu den von schiitischen Milizen, bzw. den vom IS durchgeführten extralegalen Exekutionen s. die Abschnitte 8.1. und 8.2.

 

Quellen:

 

 

 

 

10. IDPs und Flüchtlinge / Bewegungsfreiheit

 

Der Irak ist seit über einem Jahrzehnt Schauplatz enormer Vertreibungswellen. Innerhalb der letzten beiden Jahre hat sich dies auf Grund der Verschlechterung der Sicherheitslage im Zentral- und Südirak noch einmal massiv verschärft (RI 2.11.2015). Seit Januar 2014 sind geschätzte 3,2 Millionen Menschen zu Internvertriebenen (IDPs) geworden (Stand 1. Jänner 2016). Über 10 Millionen Menschen sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 4.1.2016). Außerdem befinden sich im Irak rund 245.000 syrische Flüchtlinge (WFP 15.12.2015).

 

Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und dem IS führten dazu, dass fast 3,2 Mio. Menschen aus den Provinzen Anbar, Niniveh und Salah al-Din ihre Heimat verließen und in anderen Teilen des Landes Schutz suchten. Viele flohen in die Region Kurdistan oder in andere Provinzen. Einige der Binnenvertriebenen wurden mehr als einmal vertrieben. Im Mai 2015 flohen etwa 500.000 Menschen aus der Provinz Anbar, nachdem der IS die Provinzhauptstadt Ramadi eingenommen hatte. Vielen von ihnen wurde eine Aufnahme in Bagdad von den Behörden verwehrt. Die humanitären Bedingungen für die Binnenvertriebenen waren nach wie vor hart; in vielen Fällen hatten sie keinen Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen. Einige Vertriebene sollen in der kurdischen Stadt Sulaimaniyah von der dortigen Bevölkerung tätlich angegriffen und verletzt worden sein. Andere, die in die Region Kurdistan geflohen waren, wurden inhaftiert, weil man sie verdächtigte, mit dem IS in Verbindung zu stehen.

 

IOM dokumentierte für den Zeitraum 1.Jänner 2014 bis 3.Dezember 2015

3.195.390 internvertriebene Iraker (532.565 Familien). In den Provinzen Bagdad und Anbar befinden sich mit jeweils 18 Prozent die größten Anteile dieser IDPs, in Dahuk 13 Prozent, Kirkuk 12, Erbil 10, Ninewa 7 und in Suleimaniya 5 Prozent. Bis Dezember 2015 seien Berichten zufolge 458.358 Personen zu ihrem Herkunftsort zurückgekehrt (IOM 18.12.2015). Die folgende Grafik zeigt die Herkunftsregionen der IDPs in Prozent:

 

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(Quelle: IOM 3.2016)

 

Die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) haben zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen kam es jedoch zeitweise zur Schließung von Provinzgrenzen. So wurde z.B. im Mai 2015 Flüchtlingen, besonders jungen Männern, aus Anbar der Zugang nach Bagdad verwehrt (AA 18.2.2016). Es gab Berichte, dass IDPs aufgrund ihrer Identität oder Herkunft der Zugang zu sicheren Gebieten versperrt wurde, wodurch sie potentieller Gefahr ausgesetzt wurden. In zahlreichen Gebieten waren IDPs Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ausgesetzt, die gegen internationale Standards verstoßen. Der für diese Einschränkungen angegebene Grund ist zumeist die Furcht vor militanten Gruppen, die in Checkpoints eindringen oder Schläferzellen aufbauen könnten. Seit Jänner 2015, als der IS in Anbar erstmals aktiv wurde, wurden Berichte von Menschen, die an Checkpoints festgehalten wurden und daran gehindert wurden, bestimmte Provinzen des Irak zu betreten, immer häufiger. Es gibt regelmäßige Berichte von Zugangssperren in von der irakischen Regierung kontrollierte Gebiete, sowie auch in unter der Kontrolle der Autonomieregion Kurdistan stehende Gebiete. Laut OCHA sind zahlreiche Checkpoints für IDPs geschlossen, zuletzt v.a. im Süden von Sulaymaniyah und in der Provinz Kirkuk. Im Süden verhindern die Zugangsbeschränkungen das Vorankommen von sunnitischen IDPs in die vorwiegend schiitischen Provinzen. Das betrifft viele Familien aus Anbar, die z.B. nach Bagdad, Karbala und Basra wollen. Generell gibt es starke Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aufgrund von konfessionellen Spannungen, insbesondere in Bagdad und Salah al-Din, und dies beeinträchtigt die Möglichkeit der Menschen, Zugang zu Versorgungsleistungen und Unterstützung zu finden (IRIN 19.5.2015).

 

Laut UK Home Office hängen die beobachteten Zugangsbeschränkungen meist mit bestimmten Kriterien zusammen, wie der Zusammensetzung der Familie, dem religiösen und ethnischen Hintergrund, dem Herkunftsort, dem Alter, in der betreffenden Provinz und dem Mangel an Aufnahmekapazitäten (Home Office 11.2015, bzgl. des Kriteriums Alter: UNAMI 13.7.2015). Männern, die älter sind als 18 Jahre, ist beispielsweise die Einreise in die Provinz Qadisiya verwehrt worden, während die Provinzen Najaf und Wassit im Berichtszeitraum Dezember 2014 – April 2015 gar keinen neuen IDPs Einlass gewährten (UNAMI 13.7.2015). Die Provinz Babil (Anm.: auch Babylon) hat ab Mai 2015 ebenfalls keine IDPs mehr eingelassen (IOM 11.2015). Die Kriterien, die an solchen Zugangs-Checkpoints gelten, müssen nicht unbedingt klar definiert sein oder können sich plötzlich ändern. Eine häufig angewandte Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist das sogenannte "Sponsorensystem". Personen, die in eine Provinz einreisen wollen, müssen einen Sponsor (eine Referenzperson, die im Zielgebiet lebt) vorweisen (Home Office 11.2015). Ein solches Sponsorensystem wird z. B. angewendet auf IDPs aus Anbar, die nach Bagdad flüchten wollen, sowie für viele IDPs, die in die kurdische Autonomieregion flüchten wollen (Home Office 11.2015) [Anm.: Für die Kurdenregion hat es diesbezüglich Änderungen gegeben, s. dazu Abschnitt 11.1.]. Im November 2015 berichtete auch IOM, dass die Bewegungsmöglichkeiten der Flüchtlinge nun noch mehr eingeschränkt seien, da die meisten Provinzen ein neues Gesetz angenommen hätten, das Binnenvertriebene dazu verpflichte, bei der Ankunft einen lokalen Bürgen vorzuweisen (IOM 11.2015).

 

Selbst wenn der Zugang gewährt wird, kann es für IDPs zusätzliche Anforderungen geben, um sich bei den lokalen Behörden zu registrieren (Home Office 11.2015). Der UNHCR berichtete bereits im Oktober 2014, dass speziell im Süden des Irak Binnenvertriebene von Provinz zu Provinz reisen, um Behörden zu finden, die sie registrieren, damit sie Zugang zu Leistungen wie z.B. Grundversorgung, Bildung und Bargeldversorgung erhalten. Darüber hinaus wird berichtet, dass die Fortbewegungsfreiheit der IDPs zusätzlich durch Unsicherheit (auch auf Grund konfessioneller Spannungen) und laufende militärische Operationen eingeschränkt ist. Der Großteil der Verbindungswege wird von bewaffneten Gruppen kontrolliert (UNHCR 10.2014). Zum Teil werden IDP-Familien nur dann durch einen Checkpoint gelassen, wenn sich die erwachsenen Männer bereit erklären den paramilitärischen Einheiten der Volksmobilisierung (PMU) beizutreten (UNAMI 13.7.2015).

 

Die Ankunft von IDPs in einem bestimmten Gebiet verschärft immer auch die Spannungen zwischen den ethno-religiösen Gruppen (Home Office 11.2015).

 

In den Gebieten, die die Kurden vom IS zurückerkämpft haben, insbesondere in den von den Kurden neu besetzten Gebieten werden arabische IDPs von kurdischen Sicherheits-/Streitkräften zu tausenden in sogenannten Sicherheitszonen festgehalten. Sie werden davon abgehalten, in ihre Wohngebiete zurückzukehren, während die kurdischen IDPs zurückkehren dürfen. Teilweise werden auch gezielt Häuser von Arabern zerstört, damit diese nicht zurückkehren. Außerdem kommt es vor, dass Araber von KRI-Streitkräften ohne Anklage für längere Zeit inhaftiert werden (HRW 25.2.2015).

 

Auch für die Stadt Kirkuk und Umgebung liegen Berichte vor, denen zufolge Sunniten von Kurden aus ihren Gebieten vertrieben werden (Deutschlandfunk 15.7.2015).

 

Die IDPs leben in gemieteten Unterkünften, unfertigen Gebäuden, Notunterkünften, oft ohne adäquate Ernährung, Wasserversorgung oder medizinische Versorgung. Von den 3,2 Millionen IDPs befinden sich in etwa 2,3 Millionen im Zentral- und Südirak (RI 2.11.2015). Das World Food Programme setzte sich das Ziel, 2,2 Millionen Vertriebene und vom Konflikt betroffene Personen im Irak mit einer monatlichen Essensration zu versorgen. Auf Grund der Zugangsbeschränkungen musste das Word Food Programme seine Hilfsleistungen zurückstufen und versorgt nun lediglich 1,5 Millionen Menschen jeden Monat (WFP 1.12.2015). Das World Food Programme war auf Grund von Unterfinanzierung dazu gezwungen, die Essensrationen um bis zu 50 Prozent zu verringern, was dazu führt, dass viele Familien, die bisher versorgt waren, nun ebenfalls unter Nahrungsmittel-Unsicherheiten leiden (UN News Service 27.11.2015).

 

In den nicht-kurdischen Gebieten erreicht die humanitäre Hilfe die Menschen weitaus seltener als in der kurdischen Autonomieregion teilweise, weil es an Information mangelt, welche Güter/Leistungen benötigt werden und wie diese dorthin transportiert werden sollen, und teilweise, weil gewaltsame Konflikte es den humanitären Organisationen praktisch unmöglich machen, in diesen Gegenden zu operieren (RI 2.11.2015).

 

Neben dem IS sind auch die Preisfluktuationen und die reduzierte Wasserversorgung dafür verantwortlich, dass die Nahrungsmittelproduktion im Irak lahm gelegt ist, was die Lage der 2,4 Millionen Iraker, die an unsicherer Nahrungsmittelzufuhr leiden, verschärft (UN News Service 27.11.2015).

 

Ein UN-Beobachter hat bereits im Mai 2015 die irakischen Behörden für ihr Versagen, den fast 3 Millionen IDPs im Irak adäquate Unterstützung und Schutz zu bieten, massiv kritisiert (IRIN 19.5.2015).

 

Beispiele für die Rückkehr von Flüchtlingen, die vor dem Terror des IS geflohen waren, gibt es auch. So sind seit der Rückeroberung von Tikrit im vergangenen März durch schiitische Freiwilligenmilizen und die irakische Armee zwei Drittel der einst 200.000 – überwiegend sunnitischen – Einwohner in die Stadt zurückgekehrt (FAZ 15.11.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

LITTLE AID AND FEW OPTIONS,

http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=563868d14&skip=0&query=displace&coi=IRQ , Zugriff 15.1.2016

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448438071_iraq-cig-security-situation-nov-15.pdf , Zugriff 4.1.2016

 

 

 

Conflict in Iraq: 11 December 2014 - 30 April 2015, 13. Juli 2015

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436959266_unami-ohchr-4th-pocreport-

 

11dec2014-30april2015.pdf , Zugriff 15.1.2016

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/313757/452054_de.html , Zugriff 15. 1.2016

 

 

 

 

10.1. Humanitäre Lage sowie Zugang zur Autonomieregion Kurdistan

 

Der mit Abstand größte Teil der IDPs flüchtet in die vergleichsweise sichere kurdische Autonomieregion (Home Office 11.2015). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Durch den Zustrom von Binnenvertriebenen ist die Region Kurdistan-Irak an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt. Mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge sind allein seit Anfang des Jahres 2014 nach Kurdistan-Irak geflohen. Hinzu kommen mehr als 250.000 syrische Flüchtlinge (AA 18.2.2016).

 

Die humanitäre Lage verschlechtert sich zunehmend, u.a. auf Grund des beschränkten Zugangs zu Jobs und wirtschaftlichen Möglichkeiten, was dafür verantwortlich ist, dass viele gezwungen sind, auf den Körper schädigende Hunger-Bewältigungsstrategien umzustellen. Der Bevölkerungszuwachs erhöht den Druck auf die bereits beschränkten Ressourcen und die aufnehmenden Gemeinden. IDP-Familien müssen meist mehrmals innerhalb von Kurdistan übersiedeln, um Arbeit zu finden und ihre Familien ernähren zu können. (UN News Service 27.11.2015).

 

Die Bevölkerung der Autonomieregion hat sich durch die Flüchtlingswellen um 28 Prozent erhöht. Der kurdischen Regierung (KRG) gelingt es durch diese Situation kaum, den 1,6 Millionen Flüchtlingen und IDPs, die Zuflucht in der Autonomieregion gesucht haben, Unterstützung, Ansiedelungsmöglichkeiten und Schutz bieten zu können. Auch das Gesundheitssystem ist überlastet (HRC 10.2015).

 

Der Zugang in die KRI kann für IDPs jedoch äußerst schwierig sein und hängt vom religiösen und ethnischen Profil der jeweiligen Personen ab. Die Möglichkeit, Zutritt zur KRI zu bekommen, indem man einen Bürgen vorweist, der in der KRI lebt (diese Regelung gab es v. a. für Araber, Turkmenen und Schabakis), wurde weitgehend wieder abgeschafft, weil dieses Bürgen-System offenbar vorwiegend zu einem Geschäft für Menschen innerhalb der KRI wurde, die gegen Geld als Bürgen auftraten. Seit November 2014 wurde die Aufnahme (über den Landweg) von turkmenischen und arabischen IDPs in die KRI weitgehend gestoppt, abgesehen von jenen, die bereits im Besitz von KRI-Aufenthaltsgenehmigungen sind. Bezüglich Personen, die Minderheiten wie z.B. der jesidischen Minderheit angehören, scheint es so zu sein, dass der Zutritt zur KRI im Normalfall gewährt wird. Die Zugangsbeschränkungen zur KRI folgen keinem konsistenten Muster/ keiner konsistenten Politik und können sich laufend ändern. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses UNHCR-Berichts (März 2016) ist es arabischen, turkmenischen und christlichen IDPs im Normalfall möglich, über den Flughafen in Erbil oder jenen in Sulaymaniyah in die KRI zu gelangen. Araber oder Turkmenen sind (in der KRI) wesentlich häufiger in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, als beispielsweise Jesiden. Araber haben regelmäßig das Problem, dass ihre Papiere konfisziert werden, was ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkt (UNHCR 3.2016).

 

Für nicht aus der KRI stammende Kurden kann es durchaus möglich sein, in die KRI zu übersiedeln/zu flüchten. Das hängt von den besonderen Umständen und der Reiseroute ab. Sie können einen 10-Tages-Besuchsaufenthalt in der KRI beantragen, den sie danach für weitere 10 Tage verlängern können. Falls sie Arbeit finden, können sie länger bleiben, sofern sie sich bei den Behörden registrieren und Details ihres Arbeitgebers preisgeben. Es gibt keine Hinweise, dass die Behörden der KRI pro-aktiv Kurden aus der KRI ausweisen, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist (UK Home Office 11.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448437152_iraq-cig-ir-nov-15.pdf , Zugriff 7.12.2015

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448438071_iraq-cig-security-situation-nov-15.pdf , Zugriff 4.1.2016

 

 

 

11. Grundversorgung/Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht stetig und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrien. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über vier

 

Millionen Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" gleichen die Lebensbedingungen von 57 Prozent der städtischen Bevölkerung im Irak denen von "Slums". Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die UN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Viertel der 36 Mio. Iraker lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 US-Dollar/Tag).

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und

 

teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Seit dem Spätsommer 2015 hat Irak mit einem Cholera-Ausbruch zu kämpfen (laut Zahlen der Vereinten Nationen 1.600 Erkrankte Ende Oktober 2015) (AA 18.2.2016).

 

Berichten des UNHCR zufolge sollen in der vom IS kontrollierten Stadt Falluja (Provinz Anbar), rund 70 Kilometer westlich von Bagdad, mindestens 76 Menschen aufgrund mangelhafter Ernährung, ungeeigneter, giftiger Nahrung und fehlender Medikamente gestorben sein (BAMF 22.2.2016).

 

Informationen zu der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage/Ressourcenlage in der Autonomen Kurdenregion finden sich auch in den Abschnitten 2.1. und 11.1., darüber hinaus finden sich einige weitere Informationen zur Grundversorgung im übrigen Irak im Abschnitt 8.

 

Quellen:

 

 

12. Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 18.2.2016).

 

Im Kontrollgebiet des IS hinderten IS-Kämpfer Menschen daran, das Gebiet zu verlassen um andernorts medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen (AI 22.2.2016). Die medizinische Versorgung in den IS-kontrollierten Gebieten ist sehr schlecht: In der vom IS kontrollierten Stadt Falluja beispielsweise sind mindestens 76 Menschen aufgrund mangelhafter Ernährung und fehlender Medikamente gestorben sein. 65 von ihnen hätten nicht mit den notwendigen Medikamenten versorgt werden können. UNHCR zufolge können aufgrund der IS-Kontrolle keine Helfer in die Stadt gelangen. Infolge der Blockade sind - medizinischen Kreisen zufolge - in den vergangenen Wochen (Stand 22.2.2016) rund 200 Menschen gestorben (BAMF 22.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich im Hinblick auf diese Feststellungen auf folgende Erwägungen:

 

2.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest.

 

2.2.2. Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den als glaubhaft erachteten Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Die Identität des Beschwerdeführers wurde von diesem im Wege der Vorlage von irakischen Identitätsdokumenten (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis) hinreichend dargetan. In der Beschwerde wird ein diesbezügliches ergänzendes oder den Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde entgegenstehendes Vorbringen nicht erstattet.

 

Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen glaubhaften Ausführungen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Hinblick auf seine mehrjährige Schulausbildung und die vor der Ausreise ausgeübte Tätigkeit als Friseur. Daraus folgt auch, dass der Beschwerdeführer, der sich im Irak in Bagdad aufgehalten hat, mit der Lage in seinem Heimatstaat vertraut ist, zumal er dort den größten Teil seines Lebens zugebracht hat. Der Beschwerdeführer konnte sich auch durch eigene Arbeit vor seiner Ausreise ein hinreichendes Auskommen erwirtschaften.

 

Die Feststellungen unter Punkt 2.1.3. beruhen schließlich ebenfalls auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Seine Eltern und ein Bruder leben weiterhin im Irak, sodass von ausreichenden Unterstützungsmöglichkeiten seiner engsten Verwandten im Rückkehrfall, insbesondere dem Vorhandensein einer Wohnmöglichkeit, ausgegangen werden kann.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren - abgesehen von einer Allergie und einer länger zurückliegenden Humerusfraktur - diesbezüglich keinerlei Angaben getätigt hat und bezüglich der Frage nach seinem Gesundheitszustand in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl lediglich ausführte, abgesehen von einer benötigten medizinischen Versorgung seines Oberarms weder in ärztlicher Behandlung zu stehen, noch Medikamente einzunehmen.

 

Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregisterauszug vom 17.07.2017.

 

2.2.3. Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt, die in den für den gegenständlichen Beschwerdefall wesentlichen Punkten - insbesondere zur Sicherheits- und Menschenrechtslage - zum überwiegenden Teil aus dem Jahr 2016 stammen, wobei die Länderberichte auch bereits integrierte Kurzinformationen vom 16.02.2017 beinhalten. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.

 

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben, wobei festzuhalten ist, dass die herangezogenen Länderfeststellungen überwiegend aus dem Jahr 2016, teilweise auch bereits aus dem Jahr 2017, stammen.

 

Aufgrund des Umstandes, dass die dem Verfahren zugrunde gelegten Feststellungen zum überwiegenden Teil aus dem Jahr 2016 datieren, hat der erkennende Richter in aktuelle Länderberichte zum Irak Einsicht genommen, wie etwa dem Amnesty International Report 2017 vom 17.02.2017 sowie auf der Homepage des deutschen Auswärtigen Amtes (Abfrage am 19.01.2018) Nachschau gehalten und ist festzuhalten, dass sich aus all diesen Berichten keine aktuelle wesentliche Verschlechterung der allgemeinen Situation und der Sicherheitslage im Irak ergibt, weswegen es, insbesondere nach Prüfung der Situation im Herkunftsstaat anhand aktueller Berichte, auch nicht erforderlich war, dem Verfahren aktuellere Länderfeststellungen zu Grunde zu legen, wobei letztlich noch festzuhalten ist, dass die Aktualität der Länderfeststellungen in der Beschwerdeschrift auch nicht thematisiert wurde.

 

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Der Beschwerdeführer ist in der gegenständlichen Beschwerde den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht substantiiert entgegengetreten, zumal die Beschwerde teilweise selbst aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheids zitiert. Die belangte Behörde hat ihrerseits Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt, wobei der Beschwerdeführer den Wahrheitsgehalt der ausgewählten Berichte in der Beschwerde nicht anzweifelt. In der Beschwerde wird damit insgesamt kein für das gegenständliche Verfahren relevanter zusätzlicher oder abweichender Sachverhalt vorgebracht.

 

Insoweit unter auszugsweiser Zitierung mehrerer Berichte die Verfolgung von Musikern und der Gefährdung als Friseur thematisiert wird, ist auf Folgendes zu verweisen: Die belangte Behörde hat sich in den Feststellungen zur Lage im Irak bereits mit der Gefährdung verschiedener Personengruppen, denen "Kollaboration" oder "unislamisches Verhalten" unterstellt wird, auseinandergesetzt (Seiten 27 und 46 des angefochtenen Bescheides). Selbiges gilt für den Einfluss des Islamischen Staates im Irak (Seiten 24, 45 und 47 des angefochtenen Bescheides). Ferner wurden Feststellungen zu den wichtigsten schiitischen Milizen getroffen und explizit festgestellt, dass die mit der Zentralregierung in Bagdad verbündeten schiitischen Milizen in ihren jeweiligen Einflussgebieten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begingen (Seite 33, 34 und 37 des angefochtenen Bescheides). Die belangte Behörde ist ferner den vorhandenen religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten ausführlich nachgegangen und hat festgestellt, dass Misshandlungen und Diskriminierungen basierend auf Religionszugehörigkeit sowie konfessionelle Gewalt – entsprechend den in der Beschwerde zitierten Berichten zur Frage der Schutzfähigkeit der irakischen Behörden - im Irak vorkommen und Bagdad in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt ist, wobei die schiitisch dominierten Viertel stark zunehmen. Insoweit lässt sich im Ergebnis auch aus dem in der Beschwerde zitierten Berichten keine anders gelagerte Sachlage ableiten.

 

Soweit sich der Beschwerdeführer bezüglich einer allfälligen Rückkehr auf die UNHCR-Position vom Oktober 2014 beruft, ist festzuhalten, dass diese Unterlagen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes veraltet sind und daher von vornherein nicht geeignet, die wesentlich aktuelleren Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak, speziell in Bagdad, aus den Jahren 2016 und 2017 in Zweifel zu ziehen (vgl. auch die Ausführungen unter Punkt 2.2.4.9.)

 

An dieser Stelle ist im Übrigen festzuhalten, dass im Bescheid des BFA im Rahmen der Feststellungen - wie in der Beschwerde dargelegt - irrtümlicherweise angeführt wird, dass bezüglich der Behandlung nach Rückkehr in den Irak ausgeführt werde, dass aufgrund der unübersichtlichen und sich rasch ändernden Lage hierzu keine fundierte Information angeboten werden könne (AS 157 [BS 59]). Aus dieser Mangelhaftigkeit resultiert jedoch weder die Notwendigkeit zur Behebung des Bescheides noch zu einer mündlichen Verhandlung, da nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes dem Bescheid in einer Gesamtbetrachtung in Verbindung mit dem vorliegenden Verfahrensakt eindeutig entnommen werden kann, dass es sich bei der Aufnahme dieser Passage in den Bescheid um ein Versehen handelt, was sich auch darin zeigt, dass diese Formulierung zweifach in den Bescheid aufgenommen wurde (AS 157 [BS 59]). Tatsächlich finden sich umfangreiche Feststellungen zur Situation des BF im Falle der Rückkehr, speziell etwa zur Sicherheitslage, medizinischen Versorgung oder Grundversorgung (AS 123 - 130, 134 - 137, 155 - 157 [BS 25 - 32, 36 - 39, 57 - 59]).

 

Das Bundesamt ist als Spezialbehörde (Erk. d. VwGHs vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602) verpflichtet, sich aufgrund aktuellen Berichtsmaterials ein Bild über die Lage in den Herkunftsstaaten der Asylwerber zu verschaffen. Selbiges gilt für das Bundesverwaltungsgericht. In Ländern mit besonders hoher Berichtsdichte, wozu der Irak zweifelsfrei zu zählen sind, liegt es in der Natur der Sache, dass selbst eine Spezialbehörde nicht sämtliches existierendes Quellenmaterial verwenden kann, da dies ins Uferlose ausarten würde und den Fortgang der Verfahren zum Erliegen bringen würde. Vielmehr wird den oa. Anforderungen schon dann entsprochen, wenn es einen repräsentativen Querschnitt des vorhandenen Quellenmaterials zur Entscheidungsfindung heranzieht. Die der Entscheidung zu Grunde gelegten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers können somit zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben, jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann (dazu auch Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu § 52 AVG). Die vom BFA getroffene Auswahl des Quellenmaterials ist aus diesem Grunde daher ebenso wenig zu beanstanden.

 

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 2.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatte, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat nicht geboten.

 

2.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die vom BFA vorgenommene freie Beweiswürdigung im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, Zl. 92/03/0011; 1.10.1997, Zl. 96/09/0007).

 

Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

Im Sinne dieser Judikatur ist es dem Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde zutreffend folgert - nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft darzulegen. Im Einzelnen:

 

2.2.4.1. So ist dem BFA beizupflichten, dass sich selbst unter der hypothetischen Annahme, dass der BF tatsächlich gezielt angegriffen worden ist, nicht erschließt, wie es dem BF möglich gewesen sein sollte, die Angreifer am 27.05.2015 allein wegen ihres Ausrufes "Allahu Akbar" als Mitglieder des Islamischen Staates zu identifizieren, zumal - wie im bekämpften Bescheid dargelegt – etwa den Medienberichten entnommen werden kann, dass die unterschiedlichsten islamistischen – sunnitischen oder schiitischen – Gruppierungen diesen Ausruf benutzen. Tatsächlich handelt es sich bei "Allahu Akbar" um eine von zahlreichen islamischen Formeln, die viele Musliminnen und Muslime regelmäßig verwenden. Der Ausruf bedeutet "Gott ist groß" bzw. "Gott ist am größten". Er ist Teil des Rufes, mit dem die Muezzine die Gläubigen zum Gebet auffordern. Auch in den Gebeten selbst wiederholen Gläubige die Formel mehrmals. Viele Menschen in nicht-islamischen Ländern verbinden die Worte "Allahu Akbar" mit Terrorismus, da islamistische Attentäter – oftmals Selbstmordattentäter – diesen Ausruf vor oder während ihrer Tat benutzen. Medien berichten darüber häufig, da der Ausruf ein erster Hinweis auf die Motive des oder der Angreifer sein kann. Der Ausruf allein hat aber mit Terrorismus oder Gewalt nichts zu tun. Vielmehr verwenden viele Musliminnen und Muslime "Allahu Akbar" oft im Alltag – auch außerhalb der Gebete. Im Übrigen hat der Irak "Allahu Akbar" sogar auf seiner Nationalflagge geschrieben.

 

2.2.4.2. Des Weiteren ist dem BFA zuzustimmen, dass seitens des Beschwerdeführers auch keine Anzeige bei der Polizei erstattet wurde, obwohl es naheliegend wäre, dass bei einer derartigen Bedrohungssituation bzw. einem gewaltsamen Übergriff Anzeige erstattet werden würde. Der Beschwerdeführer hat diesbezüglich in der Einvernahme lediglich behauptet, dass die Polizei in seinem schiitischen Viertel von der Asa’ib Ahl al-Haqq und der Jaish al-Mahdi kontrolliert werde, von denen er auch bedroht worden sei. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nun nicht verkennt, dass es durch die Polizei und andere Sicherheitskräfte zwar weiterhin auch zu Menschenrechtsverletzungen kommt und die Verfolgung von Straftaten durch die Justiz nur unzureichend erfolgt, kann auf Basis der Länderberichte nicht geschlossen werden, dass die Polizei systematisch in derartigen Angelegenheiten nichts unternimmt und bei einer entsprechenden Anzeige untätig bleiben würde. Der Beschwerdeführer hätte sohin erst nach einem fehlgeschlagenen Versuch, Anzeige zu erstatten, davon ausgehen können, dass ihm die Polizei nicht helfe. Vor allem ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass sich der Vorfall mit der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq erst rund einen Monat nach dem gewaltsamen Übergriff ereignet haben soll. Insoweit hätte unmittelbar nach dem Übergriff durch Angehörige des Islamischen Staates am 27.05.2015 kein Grund bestanden diese Gewalttat nicht anzuzeigen.

 

2.2.4.3. Ferner hat das BFA in trefflicher Weise ausgeführt, dass es nicht plausibel erscheint, dass sunnitische Anhänger des Islamischen Staates in einen schiitischen Bezirk in Bagdad eindringen sollten, um die Person des BF zu bedrohen bzw. anzugreifen. Der BF war weder in der Einvernahme vor dem BFA noch in der Beschwerde in der Lage, eine plausible Erklärung für dieses Vorgehen zu erbringen, sondern beschränkte sich darauf die Argumentation des BFA in diesem Punkt als Mutmaßung zu bezeichnen. Dem BF war es jedoch nicht möglich diese Ausführungen des BFA zu entkräften. Tatsächlich hätte es für die Angehörigen des Islamischen Staates ein hohes Risiko bedeutet in diesen schiitischen Wohnbezirk vorzudringen und erscheint es mehr als fraglich, weshalb diese Personen diese Gefahr einzig wegen der Person des BF und dessen Tätigkeit als Friseur auf sich nehmen sollten.

 

Insoweit in diesem Zusammenhang von Seiten der belangten Behörde auch argumentiert wird, dass der BF zum Teil ausweichende Antworten auf Fragen in der Einvernahme tätigte, so ist der belangten Behörde auch in diesem Punkt beizupflichten. Beispielsweise beantwortete der BF die Frage, wie es vereinbar sei, dass er von einer sunnitischen Terrororganisation und zwei schiitischen Milizen bedroht worden sei, völlig ohne Zusammenhang mit den Worten (AS 57): "Der IS hat mit dem Islam nichts zu tun. Sie verbieten einfach alles. Der Irak wird von den schiitischen Milizen kontrolliert. Selbst die Regierung sind Schiiten." In der Beschwerde beschränkte sich der BF diesbezüglich darauf, die Vorgehensweise der Terroristen des Islamischen Staates bei ihren Anschlägen zu schildern und nochmals sein Ausreisevorbingen bezüglich seiner Tätigkeit als Friseur und Musiker zu wiederholen. Der BF war aber nicht in der Lage zu erklären, weshalb er keine kohärente Antwort auf die zuvor dargestellte Frage geben konnte.

 

2.2.4.4. Ebenso wenig erscheint es plausibel, weshalb der BF lediglich zweimal - einmal durch Angehörige des Islamischen Staates und einmal durch die schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq - belästigt bzw. bedroht worden sein soll, während seine noch in Bagdad aufhältigen Verwandten ständigen Belästigungen ausgesetzt seien, weil man von diesen seinen Aufenthaltsort erfahren wolle. Dies erscheint kaum nachvollziehbar, haben doch die Angehörigen dieser Organisationen ihre Ziel – die Schließung des Geschäfts - bereits erreicht.

 

2.2.4.5. Darüber hinaus beschränkte sich der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.09.2015 auf die Aussage, dass er wegen seines Friseurgeschäfts durch Kämpfer des Islamischen Staates in Bagdad bedroht worden sei. Man habe ihm gesagt, dass man die Haare und den Bart wachsen lassen müsse. Des Weiteren sei er bedroht worden, weil er auch den Frauen die Haare geschnitten hätte. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich - wie in der Beschwerde dargelegt - die Erstbefragung § 19 Absatz 1 AsylG 2005 zufolge nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat und gegen ein unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen Bedenken bestehen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN). Dennoch fällt im gegenständlichen Fall ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung eine zweite Bedrohung seitens der schiitischen Miliz Jaish al-Mahdi – JAM, weil er Saxophon spiele und Frauenfriseur sei – zweifellos ein weiteres einschneidendes Erlebnis – nicht erwähnte. Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, wäre dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu erwarten, dass den Asylwerber selbst betreffende Eingriffe in seine physische oder psychische Integrität zuvorderst dargelegt werden. Die mangelnde Darlegung solcher eigener Erlebnisse bei der Erstbefragung weckt Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer solche tatsächlich zu gewärtigen hatte. Auch wenn der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA behauptete, dies geschildert zu haben, ihm die Niederschrift der Erstbefragung jedoch nicht rückübersetzt worden sei und ihn die Dolmetscherin aufgefordert habe dies zu unterschreiben, ist festzuhalten, dass dem Bundesverwaltungsgericht bis dato keine erwiesenen Verfehlungen, wie sie nun behauptet werden, bezüglich dieser Dolmetscherin bekannt wurden. Zudem trifft die Dolmetscherin als nichtamtliche Sachverständige eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 289 StGB) im Falle einer vorsätzlich falschen bzw. nicht vollständigen Übersetzung, wie sie ihr erstmals in der Einvernahme vor dem BFA am 03.01.2017 vorgeworfen wird, und hätte dies bzw. eine Verurteilung wohl erhebliche Auswirkungen auf ihre berufliche Existenz und ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb die Dolmetscherin ihre berufliche Existenz wegen des Beschwerdeführers aufs Spiel setzen sollte. Auch die Niederschrift der Erstbefragung vom 01.09.2015 ergab keine konkreten Anhaltspunkte für die behauptete unvollständige Übersetzung, zumal der BF mit seiner Unterschrift bestätigte, dass ihm die aufgenommene Niederschrift in einer für ihn verständlichen Sprache rückübersetzt wurde.

 

2.2.4.6. Schlüssig war aus Sicht des erkennenden Richters auch der Hinweis der belangten Behörde darauf, dass der BF schon seit fünf Jahren in einem Friseurgeschäft als Friseur tätig gewesen sei und seiner Behauptung nach erst im Jahr 2015 wegen seiner beruflichen Tätigkeit bedroht worden sei und sich dieser Ablauf per se als wenig plausibel darstellte. Diesbezüglich ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es allgemein bekannter Weise in Bagdad bereits in den Jahren 2006 bis 2008 zu gravierenden konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten und der Vertreibung von jeweiligen Angehörigen dieser Religionsgemeinschaften aus ihren angestammten Wohngebieten zur Etablierung "konfessionell bereinigter" Wohnbezirke kam und seit dieser Zeit auch schiitische regierungsnahe Milizen die schiitisch dominierte irakische Regierung unterstützen, sodass die sunnitische Minorität marginalisiert wurde. Im Lichte dessen stellt es sich daher auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als wenig wahrscheinlich dar, dass der BF als seit mehreren Jahren tätiger - sunnitischer - Friseur erst 2015 die behaupteten gravierenden Schwierigkeiten mit Schiiten wegen dieser Tätigkeit bekommen habe.

 

2.2.4.7. Schließlich ist richtigerweise anzumerken, dass die Eltern und ein Bruder des Beschwerdeführers immer noch im Irak in der Heimatstadt des Beschwerdeführers leben und nie derartige gravierende Probleme gehabt haben. Insbesondere war der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch weder in der Einvernahme noch in der Beschwerde in der Lage, eine plausible Erklärung dafür zu erbringen, weshalb ausgerechnet er und nicht beispielsweise auch diese Personen den Irak verlassen mussten. So vermag es weder zu überzeugen, wenn der BF erläutert, dass seine Eltern bislang aus finanziellen Gründen nicht in ein sunnitisches Viertel verzogen seien. Bei einer tatsächlichen Gefährdung hätte es die Familie sicherlich in Betracht gezogen, das familieneigene Haus zu verkaufen und umzuziehen. Wenn der BF nunmehr in der Beschwerde behauptet, dass seine Eltern und der Bruder aufgrund der anhaltenden Probleme ein Visum für Amerika beantragt haben und auf eine positive Antwort hoffen, um das Land verlassen zu können, so weist dies ebenfalls auf eine Ausreise wegen eines nicht asylrelevanten Grundes hin. Andernfalls würden diese Personen wohl kaum ein Visum für die USA beantragen und jahrelang zuwarten, sondern beispielsweise möglichst schnell eine Ausreise nach Europa vornehmen.

 

2.2.4.8. Neben diesen die gegenständliche Entscheidung tragenden Erwägungen der belangten Behörde wie auch des erkennenden Gerichtes ist ergänzend (zur Zulässigkeit derartiger ergänzender Gründe, die das Gesamtbild nur abrundenden, aber nicht für die Beurteilung ausschlaggebend sind, vgl. VwGH 18.06.2014, Ra 2014/20/0002) darauf zu verweisen, dass, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich eine asylrelevante Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen befürchtet, er wohl bereits etwa bei seinem Aufenthalt in Griechenland oder Ungarn einen Asylantrag gestellt hätte.

 

In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie 2011/95/EG des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes zu verweisen, welche in ihrem Art. 4 Abs. 5 lit. d vorsieht, dass dann, wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises bedürfen, wenn der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war. Wendet man diese sekundärrechtliche Norm im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung auf das gegenständliche Verfahren an, so ergibt sich um Umkehrschluss, dass gegenständlich jedenfalls - glaubwürdige - Beweise erforderlich gewesen wären.

 

Weiters ist auf Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes zu verweisen, wonach die Mitgliedstaaten festlegen können, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn nach dessen lit. h der Antragsteller unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats eingereist ist oder seinen Aufenthalt unrechtmäßig verlängert hat und es ohne stichhaltigen Grund versäumt hat, zum angesichts der Umstände seiner Einreise frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden oder einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

 

Der Beschwerdeführer musste auf seiner Reise nach Österreich zudem auch durch andere als sicher geltende Staaten reisen und wäre es ihm möglich und zumutbar gewesen schon dort um Schutz anzusuchen. Durch das Unterlassen kann geschlossen werden, dass er andere Motive als jene der Schutzsuche hat.

 

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf das ausreisekausale Geschehen auch wesentliche Widersprüche bei der Darlegung der Ausreisegründe durch den BF im Zuge des Asylverfahrens auftraten. Während der Beschwerdeführer in der Erstbefragung von einer Bedrohung wegen des Besitzes eines Friseurgeschäftes sprach (AS 15) und zu Beginn der Einvernahme vor dem BFA am 03.01.2017 ausführte, dass die Scheibe seines Geschäftes zerstört worden sei (AS 56), schilderte er wenig später, nicht zu wissen, wo sich der Besitzer des Friseurgeschäfts aufhalte. Dieser sei aufgrund des Vorfalles verschwunden (AS 57). Im Zuge der Beurteilung der Frage nach der Glaubhaftigkeit des vom Beschwerdeführer behaupteten seine Ausreise begründenden Geschehens fiel in einem Vergleich der Aussagen des Beschwerdeführers darüber hinaus auch eine weitere maßgebliche Diskrepanz ins Auge. So gab der BF in der Einvernahme vor dem BFA am 03.01.2017 zu Protokoll, dass er am 27.05.2015 am Oberarm bzw. Knie verletzt worden sei (AS 56). Dem vorgelegten medizinischen Befund eines österreichischen Facharztes für Unfallchirurgie vom 17.06.2016 (AS 77) kann jedoch entnommen werden, dass sich die Humerusfraktur vor zwei Jahren – also bereits 2014 – ereignet habe.

 

Des Weiteren darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass der BF im Zuge der Erstbefragung am 01.09.2015 darlegte, den Entschluss zur Ausreise bereits vor einem Jahr - also etwa Anfang September 2014 - gefasst zu haben (AS 11). Der von ihm ins Zentrum seiner Schilderungen gestellte gewaltsame Übergriff sei jedoch erst am 27.05.2015 erfolgt (AS 56), was ebenfalls auf eine Ausreise wegen eines nicht asylrelevanten Grundes hinweist.

 

Abschließend bleibt unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter, den Irak betreffender Verfahren gewonnenen Wahrnehmungen bezüglich der vom BF vorgelegten irakischen, medizinischen Unterlagen festzuhalten, dass unabhängig von der Frage der Echtheit der vorgelegten Beweismittel, die notorischer Weise bei Urkunden irakischer Herkunft mit Zweifeln behaftet ist, weil im Irak jedwede Urkunde, sei es als Totalfälschung oder auch nur mit vom befugten Aussteller verfälschtem Inhalt, gegen Bezahlung erhältlich ist, sich aus dem Inhalt dieser Urkunden jedenfalls kein stichhaltiger Hinweis darauf ableiten lässt, weshalb und von wem diese Verletzungen dem BF zugefügt worden seien. Allein das Bestehen einer Humerusfraktur vermag nichts an der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu ändern, zumal eine gesundheitliche Beeinträchtigung eben zwar zu beweisen vermag, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit Verletzungen erlitten hat, ein Rückschluss auf eine einzige konkrete Ursache aufgrund vielfältigen Möglichkeiten der Entstehung oder einen Verursacher jedoch nicht möglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Übrigen zwar nicht, dass grundsätzlich sichtbare Verletzungen auf gewaltsame Einwirkungen durch Dritte hinweisen können und gutachterlich auf ihre Entstehungsursache zu überprüfen sind, jedoch erwies sich im gegenständlichen Fall das Vorbringen hinsichtlich des Übergriffes durch Angehörige des Islamischen Staates auf den Beschwerdeführer aus den zuvor dargelegten Gründen schon im Ansatz als nicht glaubwürdig, sodass von weiteren diesbezüglichen Ermittlungen Abstand genommen werden konnte.

 

Daraus ergibt sich im Folgenden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus dem Irak keiner individuellen Gefährdung oder Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war, zumal eine solche vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft vorgebracht wurde und sich eine mögliche zukünftige Bedrohung seitens schiitischer Milizen oder des Islamischen Staates nicht individuell manifestieren konnte.

 

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist - dem BFA folgend - in Anbetracht der aufgezeigten Unstimmigkeiten nicht von einer tatsächlichen Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq oder Jaish al-Mahdi oder Angehörige des Islamischen Staates auszugehen. Vielmehr liegt ein auf die Erlangung des Status des Asylberechtigten konstruiertes Vorbringen vor. Folglich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Angehörigen der Asa'ib Ahl al-Haqq, der Jaish al-Mahdi oder des Islamischen Staates bedroht wurde. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war. Daraus folgt, dass auch im Rückkehrfall nicht von einer Bedrohung durch die Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq oder Jaish al-Mahdi oder den Islamischen Staat auszugehen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer den Irak aufgrund der schlechten Sicherheitslage und auch aufgrund der religiösen Spannungen verließ, ohne jedoch selbst eine individuelle Gefährdung oder Verfolgung durch staatliche Organe oder durch schiitische Milizen oder den Islamischen Staat erlitten zu haben.

 

2.2.4.9. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich - der belangten Behörde folgend – auch aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers nicht die maßgebliche Gefahr einer Verfolgung im Irak. Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht hervor, dass in Bagdad (wie überhaupt im Irak) hunderttausende Sunniten leben. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Bagdad und die umgebenden Gebiete sind in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel aufgrund von Vertreibungen durch Regierungstruppen und schiitische Milizen zunehmen und es bei Straßensperren zu Beschimpfungen und Diskriminierungen von Sunniten - auch aufgrund ihres Namens - kommen kann.

 

Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung in der Stadt Bagdad kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was sich auch daraus ergibt, dass Familienangehörige des Beschwerdeführers den Feststellungen zufolge nach wie vor im Irak und dort in Bagdad aufhältig sind. Ein genereller Ausschluss von Sunniten vom Arbeitsmarkt und von Bildungseinrichtungen liegt in Anbetracht der Quellenlage sowie den vom Bundesverwaltungsgericht bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter, den Irak betreffender Verfahren gewonnenen Wahrnehmungen ebenfalls nicht vor. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak tatsächlich stattfinden, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Ausweislich der Feststellungen sind auch in Bagdad von Milizen (wie etwa Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen sunnitische Araber dokumentiert und kommen Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso vor wie die bereits zuvor angesprochenen Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung.

 

Bei Abwägung der Feststellungen zu Übergriffen auf sunnitische Araber in Bagdad einerseits und den aus den Feststellungen zur Sicherheitslage ersichtlichen Angaben zu zivilen Opfern, der Bevölkerungszahl und der Anzahl der Binnenvertriebenen in der Provinz Bagdad andererseits ist indes noch nicht davon auszugehen, dass sämtliche männlichen sunnitischen Araber in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in ihre schützende persönliche Sphäre zu gewärtigen hätten. In Anbetracht der Anzahl der Binnenvertriebenen sowie der sonst in Bagdad nach wie vor aufhältigen Sunniten ist die Wahrscheinlichkeit, einem solchen zielgerichteten Übergriff zum Opfer zu fallen, vielmehr derzeit nicht als erheblich anzusehen. Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, genügt indes nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Darüber hinausgehende Übergriffe auf sunnitische Araber betreffen ausweislich der Quellenlage jene Gebiete, die vom Islamischen Staat zurückerobert wurden und richten sich gegen die dort ansässige Bevölkerung aufgrund ihrer mutmaßlichen Unterstützung des Islamischen Staates. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers ist jedoch in die Stadt Bagdad (zu seiner dort bereits jahrelang ansässigen Familie) zu erwarten, sodass nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Beschwerdeführer Opfer von Vergeltungsmaßnahmen als mutmaßlicher Unterstützer des Islamischen Staates zu gewärtigen hätte.

 

Wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, dass sein Vater und sein Bruder wegen ihrer Religionszugehörigkeit an Checkpoints beschimpft werden würden, so wird von Seiten des erkennenden Gerichts nicht in Abrede gestellt, dass dieser Umstand zu Beschimpfungen und Diskriminierungen führen kann, allenfalls auch zu Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit bei Straßenkontrollen, allesamt jedoch Maßnahmen, die aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes noch nicht als Eingriffe von asylrelevanter Intensität anzusehen sind. Eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht dem Beschwerdeführer indes aus den vorstehenden Erwägungen nicht und es kann auch aus den getroffenen Feststellungen nicht der Schluss gezogen werden, dass sämtliche Personen mit sunnitischer Glaubenszugehörigkeit schon deshalb mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in ihre schützende persönliche Sphäre zu gewärtigen hätten. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Kontext nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Die nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, genügt indes nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Eine darüber hinausgehende konkrete Bedrohung aufgrund individueller Merkmale konnte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang im Übrigen nicht glaubhaft darlegen.

 

Aus Sicht des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts ist daher zusammenfassend nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer schon aufgrund seines sunnitischen Religionsbekenntnisses einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Milizen ausgesetzt war bzw. im Falle einer Rückkehr in den Irak einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

 

2.2.4.10. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt hat, war dem Folgend zur Feststellung zu gelangen, dass er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Übrigen im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad und Umgebung nicht, dass der Großraum Bagdad regelmäßig Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten ist und ausweislich der statistischen Daten zu den unsichersten Provinzen gehört. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte in der Provinz Bagdad jedoch nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser Opfer eines Anschlages werden würde (vgl. hiezu auch VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad im Übrigen nicht statt. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer Opfer von terroristischen Anschlägen wird, kann in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage nicht erkannt werden. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers wurden nicht vorgebracht und gehört dieser auch weder den Sicherheitskräften, noch der schiitischen Religion an.

 

2.2.5. Ebenso weist das erkennende Gericht auf folgende Umstände hin:

 

2.2.5.1. Sofern in der Beschwerde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorgetragen wird, wird abschließend festgestellt, dass nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts das BFA ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Nach der Judikatur des VwGH (vgl. 20.01.1993, 92/01/0752; 19.05.1994, 94/19/0465; VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356) obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen sowie Bescheinigungsmittel vorzulegen und ist die Behörde nicht verpflichtet, den Antragsteller derart anzuleiten, dass sein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss.

 

Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung des Vorbringens ergibt sich auch, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch die vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067). Die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus den Akten (etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/1990) dazu Veranlassung geben (VwGH 4.4.2002, 2002/08/0221). Es ist in erster Linie Obliegenheit des Asylwerbers auf Nachfrage alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen (vgl VwGH 16. 12 1987, 87/01/0299; 13. 4. 1988, 87/01/0332; 19. 9. 1990, 90/01/0133; 7. 11. 1990, 90/01/0171; 24. 1. 1990, 89/01/0446; 30. 1. 1991, 90/01/0196; 30. 1. 1991, 90/01/0197; vgl zB auch VwGH 16. 12. 1987, 87/01/0299; 2. 3. 1988, 86/01/0187; 13. 4. 1988, 87/01/0332; 17. 2. 1994, 94/19/0774) und glaubhaft zu machen (VwGH 23.2.1994, 92/01/0888; 19.3.1997, 95/01/0525). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung grds. nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).

 

Auch ist auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren Bedacht zu nehmen (§ 15 AsylG 2005, § 13 BFA-VG) und im Rahmen der Beweiswürdigung - und damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung - zu berücksichtigen (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069). Dabei darf in diesem Zusammenhang aber nicht übersehen werden, dass auf Grund der Spezifika eines Asylverfahrens, unbeschadet dessen, dass es als antragsgebundenes Verwaltungsverfahren nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz abgeführt wird, die Anforderungen an einen Asylwerber insbesondere bei der Beschaffung von Bescheinigungsmitteln auf Grund von fluchttypischen Sachzwängen nicht überzogen werden dürfen. Dennoch sieht der das asylrechtliche Ermittlungsverfahren zum Inhalt habende § 18 Asylgesetz 2005 keine Beweis- bzw. Bescheinigungslastumkehr zugunsten des Beschwerdeführers vor, sondern leuchtet aus den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung hervor, dass in dieser Bestimmung lediglich explizit darauf hingewiesen wird, dass das Asylverfahren den fundamentalen Prinzipen des Verwaltungsverfahrensrechts, insbesondere dem Prinzip der materiellen Wahrheit und dem Grundsatz der Offizialmaxime nach § 39 Absatz 2 AVG, folgt. Eine über §§ 37 und 39 Absatz 2 AVG hinausgehende Ermittlungspflicht normiert § 18 Asylgesetz nicht (vgl. schon die Judikatur zu § 28 AsylG 1997, VwGH 14.12.2000, Zahl 2000/20/0494).

 

Im Lichte der oa. Ausführungen ist es dem BF nicht gelungen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum er vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch das BFA ausgeht. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen des BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.

 

2.2.5.2. Sofern in der Beschwerde zum Ausdruck gebracht wird, dass es konkreterer Fragestellungen bedurft hätte, um den maßgeblichen Sachverhalt zu erforschen und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch geeignete Fragestellung darauf hinwirken hätte müssen, dass die Angaben des Beschwerdeführers vervollständigt werden, ist dahingehend nochmals auszuführen, dass es grundsätzlich dem Asylwerber zukommt, dass dieser die Gründe seiner Furcht vor Verfolgung konkret und substantiiert vorbringen konnte (VwGH 21.11.1996, Zahl 95/20/0334). Dem Antragsteller wurde im vorliegenden Fall im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände anzuführen. Dem BF wurde eindreiviertel Stunden Zeit geboten, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, dass es dem Asylwerber obliegt alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.1.1993, 92/01/0752; 19.5.1994, 94/19/0465 mwN.) und das BFA ist nicht verpflichtet den Antragsteller derart anzuleiten, dass sein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss. Dieses Vorbringen in der Beschwerde ist im Ergebnis nicht dergestalt um damit der Beweiswürdigung des BFA konkret und substantiiert entgegen zu treten, weshalb auch keine Verpflichtung zur Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens besteht. Eine Verletzung der Ermittlungspflichten kann aus diesem Grund nicht festgestellt werden, vielmehr wurde dem BF bereits in der Erstbefragung das Merkblatt bezüglich der Pflichten und Rechte von Asylwerbern in einer ihm verständlichen Sprache ausgehändigt. Ihm mussten also die Mitwirkungspflicht im Asylverfahren und die Folgen einer allfälligen Verletzung dieser Pflicht bewusst sein, was ihn jedoch scheinbar unbeeindruckt ließ.

 

Der Beschwerdeführer wurde im Zuge der Einvernahme auch explizit danach gefragt, wie man sich die Belästigungen bezüglich seiner Familie vorstellen könne (AS 54). Ferner wurde er gefragt, ob er die Gelegenheit gehabt habe, alles seine Gründe für die Asylantragstellung vorzubringen (AS 56) - was vom Beschwerdeführer in der Folge im Ergebnis bestätigt wurde. Für eine mangelhafte Ermittlungstätigkeit besteht sohin kein Anhaltspunkt und liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Insbesondere kann keine Verpflichtung der belangten Behörde erkannt werden, den Beschwerdeführer zu seinem Standpunkt dienlichen Angaben durch zielgerichtete Befragung gleichsam anzuleiten, wie dies in der Beschwerde implizit vorgebracht wird. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde verwundern im Übrigen, zumal der Beschwerdeführer vor der belangen Behörde explizit angab, dass sein Vater und sein Bruder belästigt werden würden, da die Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen wolle. Erst auf Nachfrage erwähnte er, dass diese Belästigungen ständig seien, weil sie die einzigen Sunniten in einem schiitischen Viertel seien (AS 54). Dass er nunmehr in der Beschwerde bezüglich dieser "Angriffe" lediglich angibt, sein Bruder und sein Vater würden an den Checkpoints wegen ihrer Religionszugehörigkeit beschimpft (AS 221), überrascht.

 

Insoweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde auch argumentiert, aufgrund seiner Unerfahrenheit mit Befragungssituationen, nicht in der Lage gewesen zu sein, detaillierte Ausführungen zur Fluchtgeschichte zu treffen, so ist dieser Erklärungsversuch nicht plausibel, denn der Beschwerdeführer gibt vor, dass er gerade mit dem Ziel und zu dem Zweck nach Österreich gekommen ist, um hier Asyl zu beantragen. Daraus ist zu schließen, dass es sich bereits nach seiner anfänglichen Vorstellung bei Österreich um einen Staat handelt, der zur Schutzgewährung bereit und dazu auch in der Lage ist und in dem für ihn gerade keine Bedrohung besteht. Es konnte also auch nach der subjektiven Vorstellung des Beschwerdeführers keinen nachvollziehbaren Grund dafür geben, gerade bei der Asylantragstellung am Zufluchtsort vor der belangten Behörde aus dem zuvor angeführten Grund etwas zu verschweigen oder oberflächlich zu schildern, zumal der Beschwerdeführer bereits zu Beginn des Verfahrens ausdrücklich belehrt bzw. aufgefordert alle Fluchtgründe wahrheitsgemäß anzugeben. Im Übrigen erfolgte die Einvernahme des erwachsenen BF erst mehr als ein Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass er bereits vor dieser Einvernahme Erfahrungen mit österreichischen Behörden sammeln konnte und kann bei einer Person im Alter des BF - im Einvernahmezeitpunkt 23 Jahre - und mit dessen Schulbildung ohnehin auch erwartet werden, mit einer derartigen Behördensituation umgehen zu können.

 

2.2.5.3. Insoweit von Seiten des BF im Rechtsmittelschriftsatz moniert wurde, dass ihm das BFA Gelegenheit zur Stellungnahme – zu Widersprüchen - gemäß § 45 Abs. 3 AVG einzuräumen gehabt hätte, so ist dem zu entgegnen, dass das BFA jedenfalls nicht angehalten war, den Asylwerber zu Widersprüchen in seinen eigenen Angaben in Ansehung seines Asylantrages zu hören, weil keine Verpflichtung besteht, ihm im Wege eines behördlichen Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gem. § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hierzu zu ermöglichen (VwGH 4.11.1992, 92/01/0560; 20.6.1990, 90/01/0041; 30.1.1998, 95/19/1713; 26.4.2001, 98/16/0265; siehe auch Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 29 zu § 45).

 

Die Behörde bzw. das Gericht ist gds. nicht verpflichtet, dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich einer vorgenommenen Beweiswürdigung zu geben [Hinweis E 23. April 1982, 398/80] (VwGH25.11.2004, 2004/03/0139; Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 25 zu § 45 mwN). Wenn die Behörde bzw. das Gericht aufgrund der vorliegenden Widersprüche im Vorbringen des BF zur Auffassung gelangte, dass dem Asylwerber die Glaubhaftmachung (seiner Fluchtgründe) nicht gelungen ist, so handelt es sich um einen Akt der freien Beweiswürdigung (VwGH 4.11.1992, 92/01/0560).

 

2.2.5.4. Soweit der Beschwerdeführer nun im Asylverfahren erstmals in der Beschwerde behauptet, dass ein weiterer Bruder ebenfalls Probleme gehabt habe, weil dieser Friseur und Musiker gewesen sei und er den Beruf dieses Bruders "übernommen" habe, so wird damit gegen das in § 20 BFA-VG normierte Neuerungsverbot verstoßen.

 

Diese Bestimmung lautet:

 

(1) In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden,

 

1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes entscheidungsrelevant geändert hat;

 

2. wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war;

 

3. wenn diese dem Asylwerber bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder

 

4. wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

 

(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht maßgeblich sind.

 

(3) Abs. 1 ist auf Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes auf Grund eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 nicht anzuwenden.

 

Das gegenständliche Verfahren hat keinen hinreichenden Anhaltspunkt für das Vorliegen eines der in § 20 Abs. 1 leg cit normierten Ausnahmetatbestände hervorgebracht und wurden solche auch in der Beschwerdeschrift nicht substantiiert dargetan. Dem Beschwerdeschriftsatz mangelt es an jedweder Begründung für dieses neue Fluchtvorbringen. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die ursächlich dafür ist, dass er dies nicht schon im Verfahren vor dem BFA hätte darlegen können, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat einen Ausnahmetatbestand auch in seiner Beschwerde nicht substantiiert aufgezeigt. Es ist somit nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer dies nicht schon im Verfahren vor dem BFA hätte vorbringen können, wenn es den Tatsachen entsprechen würde, zumal er dazu speziell in der Einvernahme am 03.01.2017 ausreichend Gelegenheit hatte. Auf das in der Beschwerde erstmals neu vorgebrachte Vorbringen hinsichtlich der Verfolgung seines Bruders wegen dessen Tätigkeit als Friseur und Musiker brauchte daher nicht näher eingegangen werden, wobei zur Vollständigkeit anzumerken ist, dass es etwas lebensfremd erscheint, dass der BF den Beruf seines Bruders "übernimmt", wenn dieser tatsächlich derartige - ihn zur Ausreise bewegenden - Probleme gehabt haben soll.

 

2.2.5.5. Im Übrigen ist dem BF zwar beizupflichten, dass unter der hypothetischen Annahme, dass der BF tatsächlich gezielt angegriffen worden ist, es nicht nachvollziehbar erscheint, wenn das BFA behaupte die Bedrohung bzw. der Vorfall gegen den BF erreiche nicht die nötige Intensität, um Asyl zu erlangen. Allerdings schließt sich der erkennende Richter der rechtlichen Beurteilung des BFA in diesem Punkt ohnehin nicht an. Es erübrigt sich näher auf diesen Punkt einzugehen, weil das Vorbringen des BF als nicht glaubhaft zu qualifizieren war.

 

2.2.5.6. Wenn in der Beschwerde auf die UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 verwiesen wird, wonach von dieser Organisation eine allfällige Rückkehr von Menschen in den Irak als deutlich zu früh eingestuft werde, so ist diesbezüglich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach den Empfehlungen internationaler Organisationen lediglich "Indizwirkung" zukommt (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453), insbesondere auch jenen des Flüchtlingshochkommissärs der Vereinten Nationen (VwGH 22.11.2016, 2016/20/0259 mwH). Die Indizwirkung kommt nicht einer Bindungswirkung gleich, sondern verpflichtet die Asylbehörde bloß zu einer Auseinandersetzung mit den Empfehlungen (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453; 19.3.2009, 2006/01/0930; 13.12.2010, 2008/23/0976; 16.12.2010, 2006/01/0788). Wie das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben hat, war das Ausreisevorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft zu qualifizieren und dem BF daher die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Des Weiteren wurde in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung der gegenständlichen Entscheidung auch umfassend dargelegt, weshalb dem BF eine Rückkehr in den Irak zumutbar erscheint.

 

2.2.5.7. Die Rüge in der Beschwerde, dass die Begründung § 60 AVG verletzte, geht ebenfalls ins Leere. Die Bescheidbegründung bezweckt insbesondere, die Parteien über die von der Behörde angestellten Erwägungen zu unterrichten und ihnen damit eine zweckmäßige Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Genau dies hat das BFA getan, was auch durch die Beschwerdeausführungen belegt wurde. Auch das Bundesverwaltungsgericht vermag an der Begründung der belangten Behörde keine entscheidungswesentlichen rechtswidrigen Mängel entdecken.

 

2.2.5.8. Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Beschwerdeschrift eine mündliche Verhandlung bzw. persönliche Einvernahme. Hierbei wurde aber nicht angeführt, was bei einer weiteren - persönlichen Einvernahme im Asylverfahren - konkret an entscheidungsrelevantem und zu berücksichtigendem Sachverhalt noch hervorkommen hätte können. So argumentiert auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass schon in der Beschwerde darzulegen ist, was eine ergänzende Einvernahme an vorliegenden Widersprüchen hätte ändern können bzw. welche wesentlichen Umstände (Relevanzdarstellung) dadurch hervorgekommen wären. (z.B. VwGH 4.7.1994, 94/19/0337). Wird dies unterlassen, so besteht keine Verpflichtung zur neuerlichen Einvernahme, da damit der Beweiswürdigung des BFA, der sich das Bundesverwaltungsgericht anschließt, nicht substantiiert entgegengetreten wird.

 

2.2.5.9. Im Übrigen wird die Beweiswürdigung des BFA in der Beschwerde nicht substantiiert bekämpft, weshalb das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst war, das Ermittlungsverfahren zu wiederholen bzw. zu ergänzen (vgl. zB. VwGH 20.1.1993, 92/01/0950; 14.12.1995, 95/19/1046; 30.1.2000, 2000/20/0356; 23.11.2006, 2005/20/0551 ua.).

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) (Spruchpunkt I.)

 

3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

 

3.1.2. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des erkennenden Richters die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

 

Der Beschwerdeführer vermochte nämlich keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen (vgl. Punkt II.2.2. ff des gegenständlichen Erkenntnisses).

 

3.1.3. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden. Wiewohl ausweislich der Feststellungen im Irak eine sunnitisch-feindliche Politik vorherrscht und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung oder von Entführungen kommt, kann noch nicht von einer zielgerichteten und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat demnach nicht bereits aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. hiezu VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN).

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329 mwN). Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen schließlich keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

 

3.1.4. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.

 

3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

 

Nach der ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der EGMR aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

 

3.2.2. Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

 

3.2.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).

 

3.2.4. Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände vorliegen (EGMR U 02.05.1997, D. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 30240/96; U 06.02.2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 44599/98; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

 

Unter außergewöhnlichen Umständen können auch lebensbedrohende Ereignisse (etwa das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm.

§ 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung dieser Frage unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Außergewöhnlicher Umstände liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VwGH 11.11.2015, Ra 2015/20/0196, mwN).

 

3.2.5. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

 

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführer so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07 ). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen:

ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

 

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

 

Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

 

3.2.6. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

 

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zunächst nicht, dass die Sicherheitslage in Teilen des Iraks prekär ist und Anschlagskriminalität in Bagdad nach wie vor zu gewärtigen ist. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann jedoch in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte in der Provinz Bagdad nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich Opfer eines Anschlages werden würde (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad im Übrigen nicht statt. Risikoerhöhende Umstände, die in der Person des Beschwerdeführers liegen, konnten nicht festgestellt werden.

 

Zum anderen hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände Ereignisse ausgesetzt wäre.

 

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer ist vielmehr - entgegen den unsubstantiierten Schilderungen in der Beschwerde - ein junger, arbeitsfähiger und gesunder Mann mit hinreichender mehrjähriger Schulbildung. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden, zumal dieser im Irak beruflich als Friseur tätig gewesen ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit seiner damals ausgeübten Tätigkeit oder gegebenenfalls mit anderen Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften.

 

Darüber hinaus konnte davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr auch im Rahmen seines Familienverbandes (Eltern und Bruder) eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwird.

 

Zu beachten ist weiters, dass von Seiten des in Belgien aufhältigen Bruders oder den in den USA aufhältigen Geschwistern des BF auch finanzielle Transaktionen oder die Übermittlung von Warensendungen (z.B. Lebensmittel) von Europa oder den USA aus in den Irak möglich sind.

 

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht vor. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr auch insoweit im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwird.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK hat kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland einer Abschiebung nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaats gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142; 11.11.2015, Ra 2015/20/0196, mwN). Ausweislich der getroffenen Feststellungen leidet der Beschwerdeführer nicht an einer schweren Erkrankung.

 

Abschließend ist nochmals zur in der Beschwerde angeführten UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 anzumerken, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Empfehlungen internationaler Organisationen "Indizwirkung" zukommt (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453), insbesondere auch jenen des Flüchtlingshochkommissärs der Vereinten Nationen (VwGH 22.11.2016, 2016/20/0259 mwH). Die Indizwirkung kommt nicht einer Bindungswirkung gleich, sondern verpflichtet die Asylbehörde bloß zu einer Auseinandersetzung mit den Empfehlungen (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453; 19.3.2009, 2006/01/0930; 13.12.2010, 2008/23/0976; 16.12.2010, 2006/01/0788). Wie das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben hat, waren die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht gegeben.

 

3.3. Zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§ 57 AsylG sowie § 52 FPG):

 

3.3.1. Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

3.3.2. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

3.3.2.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Ende August 2015 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.

 

3.3.3. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

3.3.3.1. Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger des Iraks kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

3.3.4. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

3.3.4.1. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen in Österreich. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens.

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008,

 

Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers beträgt seit Ende August 2015 beinahe 29 Monate, womit diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch relativ kurz ist, um bereits jetzt von einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration zu sprechen. In Anbetracht des Umstandes, dass der Antrag auf internationalen Schutz unbegründet ist, er versuchte diesen mit einem nicht glaubhaften Sachverhalt zu begründen und der Beschwerdeführer zur Antragstellung illegal in das Bundesgebiet von Österreich eingereist war, sind gravierende öffentliche Interessen festzustellen, die für eine aufenthaltsbeendende Rückkehrentscheidung sprechen. Diese Interessen überwiegen in ihrer Gesamtheit das private Interesse des Beschwerdeführers am weiteren Verbleib, selbst wenn er in Österreich soziale Kontakte knüpfte und dem BF die Dauer des Verfahrens nicht zuzurechnen ist. Private Interessen von Fremden am Verbleib im Gastland sind jedenfalls weniger stark zu gewichten, wenn diese während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz begründet werden, da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht von vornherein von einem positiven Ausgang des Verfahrens ausgehen konnte und sein Status bis zum Abschluss des Verfahrens ungewiss ist. Auch nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 8 EMRK (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055 mwN).

 

Soweit der BF über private Bindungen in Österreich verfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrecht zu erhalten.

 

Der BF übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus, ist nicht selbsterhaltungsfähig und befand sich bis September 2016 in der Grundversorgung. Nunmehr wird er von seinem in Belgien lebenden Bruder finanziell unterstützt, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Er konnte keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Was mittlerweile erworbene Deutschkenntnisse - einen Deutschkurs hat der BF noch nicht positiv absolviert - betrifft, so sei in diesem Zusammenhang auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die - hier bei weitem nicht vorhandenen - Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029). Zudem hat der BF klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht Mitglied in einem Verein ist und ebenso verneint, eine Schule oder Universität zu besuchen.

 

Der persönliche und familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers liegt im Irak, wo seine Eltern und ein Bruder leben und er somit über ein soziales Netz verfügt, zumal der BF in Bezug auf sein Lebensalter erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig ist und kann auch aufgrund der nicht übermäßig langen Abwesenheit (rund zweieinhalb Jahre) aus seinem Heimatland Irak nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine völlige Entwurzelung vom Herkunftsland stattgefunden hat und somit bestehen nach wie vor Bindungen des BF zum Irak.

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Darüber hinaus sind keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass dem Recht auf Familien- und Privatleben des BF in Österreich im Verhältnis zu den legitimen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung eine überwiegende und damit vorrangige Bedeutung zukommen würde.

 

Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).

 

Das Bundesverwaltungsgericht kann aber auch sonst keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers erkennen: Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Arabisch, sodass auch seine Resozialisierung und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitert und von diesem Gesichtspunkt her möglich ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort ein Teil seiner engsten Familienangehörigen lebt. Es kann daher nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zurecht finden würde. Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Irak - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

 

Angesichts der - somit in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich neben den gefährdeten Sicherheitsinteressen insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07).

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt somit, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.

 

3.3.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

3.3.5.1. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

3.3.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

3.3.6.1. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit zwei Wochen festgelegt worden.

 

Zu A) (Spruchpunkt II.)

 

Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005

 

Soweit erstmals in der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 AsylG 2005 gestellt wurde, war dieser Antrag mangels sachlicher Zuständigkeit zurückzuweisen, zumal ein solcher Antrag beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl persönlich als sachlich zuständige Behörde zu stellen gewesen wäre (vgl. § 58 Abs. 5 AsylG 2005).

 

Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen zutreffend festgestellt, dass eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu unterbleiben hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen – wie hier – eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.

 

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

 

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

 

Der Verwaltungsgerichtshof (Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018) hielt in diesem Zusammenhang fest, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz insoweit übertragen lässt, als sich die diesbezüglichen Vorschriften weder geändert haben noch aus systematischen Gründen sich eine geänderte Betrachtungsweise als geboten darstellt.

 

Die in § 24 Abs. 4 VwGVG getroffene Anordnung kann nach dessen Wortlaut nur zur Anwendung gelangen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist. Schon deswegen kann - entgegen den Materialien - nicht davon ausgegangen werden, diese Bestimmung entspräche (zur Gänze) der Vorgängerbestimmung des § 67d Abs. 4 AVG. Zudem war letztgenannte Norm nur auf jene Fälle anwendbar, in denen ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen war. Eine derartige Einschränkung enthält § 24 Abs. 4 VwGVG nicht (mehr).

 

Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren enthält § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 eigene Regelungen, wann - auch:

trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich "im Übrigen" sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben. Somit ist bei der Beurteilung, ob in vom BFA-VG erfassten Verfahren von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, neben § 24 Abs. 1 bis 3 und 5 VwGVG in seinem Anwendungsbereich allein die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, nicht aber die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des § 24 Abs 4 VwGVG, als maßgeblich heranzuziehen.

 

Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schaffung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 vom bisherigen Verständnis gleichlautender Vorläuferbestimmungen ausgegangen ist, sich aber die Rechtsprechung auch bereits damit auseinandergesetzt hat, dass sich jener Rechtsrahmen, in dessen Kontext die hier fragliche Vorschrift eingebettet ist, gegenüber jenem, als sie ursprünglich geschaffen wurde, in maßgeblicher Weise verändert hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind:

 

* der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und

 

* bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen

 

* die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und

 

* das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen

 

* in der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

 

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde im Verfahren den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde daher nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt.

 

Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung (vgl. diesbezüglich die auch unter Punkt 2.2.4. wiedergegebene Argumentation des BFA).

 

Bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weist die Entscheidung des BFA vom 26.06.2017 immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf.

 

Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in diesen kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Fluchtgründe. Auch tritt der BF in der Beschwerde den seitens der belangten Behörde getätigten beweiswürdigenden Ausführungen nicht in ausreichend konkreter Weise entgegen.

 

Nach Art. 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (in der Folge als Charta bezeichnet) hat zwar jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht iSd des Art. 52 Abs. 1 der Charta ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts allerdings zulässig, weil sie eben - wie in der Charta normiert - gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Art. 47 Abs. 2 der Charta verbürgten Rechts achtet. Die möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge ist ein Ziel der Union, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes). Das Unterbleiben der Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt festgestellt werden kann, ohne dass der Entfall der mündlichen Erörterung zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führt, trägt zur Erreichung dieses Zieles bei. Damit erfüllt die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Art. 52 Abs. 1 der Charta normierte Voraussetzung (vgl. dazu zur im Ergebnis inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG, nämlich § 41 Abs. 7 AsylG 2005, auch VfGH 27.9. 2011, U 1339/11-3). Daher ist auch aus europarechtlicher Sicht eine Verhandlung im Asylverfahren nicht zwingend vorgesehen.

 

Was die in der Beschwerde zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes betrifft, so ist Folgendes anzumerken. Der Verfassungsgerichtshof hat sich (anlässlich von Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes) mit der GRC ausführlich in diesen Entscheidungen zu U 466/11 und U 1836/11, beide vom 14. März 2012, auseinandergesetzt. Auf das Wesentliche zusammengefasst gilt demnach in Verfahren, in denen Unionsrecht eine Rolle spielt, die EU-Grundrechte-Charta wie die Verfassung und sind Grundrechte, die durch diese EU-Charta garantiert sind, gleichsam verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können. Der Verfassungsgerichtshof brachte aber im Zuge dieser Entscheidungen auch zum Ausdruck, dass er vor dem Hintergrund der in diesen Entscheidungen zitierten Rechtsprechung des EGMR weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 [im Ergebnis inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung zu § 21 Abs. 7 BFA-VG] hegt, noch habe der damalige Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung in den Anlassfällen einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Demnach steht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde.

 

Zum Argument der Beschwerde, aufgrund der Entscheidung des EGMR, Denk gegen Österreich, 05.12.2013, 23396/09, sei eine mündliche Verhandlung abzuhalten, ist Folgendes auszuführen: Der EGMR hegte in seiner Entscheidung Denk gegen Österreich, vom 05.12.2013, 23396/09, keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 [im Ergebnis inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung zu § 21 Abs. 7 BFA-VG]. Tatsächlich wurde Österreich im Rahmen dieser Entscheidung wegen Verletzung des Art. 6 EMRK wegen Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung vor dem VwGH betreffend ein auf das Arbeitslosenversicherungsgesetz gestütztes Verfahren (Streichung von Notstandshilfe wegen Vereitelung eines Stellenangebots) verurteilt. Der VwGH sei demnach das erste und einzige Tribunal gewesen, das über das Vorbringen der Beschwerdeführer entschieden habe, und die Nachprüfung habe nicht nur rechtliche, sondern auch wichtige Sachverhaltsfragen betroffen. Ganz abgesehen davon, dass sich der EGMR in seiner in der Beschwerdeschrift zitierten Entscheidung somit nicht auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 [im Ergebnis inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung zu § 21 Abs. 7 BFA-VG] bezieht, da es sich um ein Verfahren im Bereich der Arbeitslosenversicherung handelt, stellt das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall nicht das erste und einzige Tribunal dar, welches das Anliegen des BF überprüfen könne, zumal hier noch die nachprüfende Kontrolle durch den VwGH und VfGH möglich ist.

 

Im Ergebnis bestand daher kein Anlass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wobei im Übrigen darauf hinzuweisen ist, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu keinem anderen Verfahrensausgang geführt hätte.

 

Letztlich ist auch nochmals auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.06.2014, Zl. Ra 2014/20/0002-7 hinzuweisen, in welchem dieser nunmehr auch explizit festhält, dass, insoweit das Erstgericht die die Beweiswürdigung tragenden Argumente der Verwaltungsbehörde teilt, das im Rahmen der Beweiswürdigung ergänzende Anführen weiterer - das Gesamtbild nur abrundenden, aber nicht für die Beurteilung ausschlaggebenden - Gründe, nicht dazu führt, dass die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 28.05.2014, Zlen. Ra 2014/20/0017 und 0018 dargestellten Kriterien für die Abstandnahme von der Durchführung der Verhandlung gemäß dem ersten Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht erfüllt sind.

 

Zu B) Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt 2. bis 4. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Richters auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

 

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

 

Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar. Die fehlenden Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 ergeben sich aus durch den klaren Wortlaut der Bestimmung eindeutig umschriebene Sachverhaltselemente, deren Vorliegen im Fall des Beschwerdeführers nicht einmal behauptet wurde. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheids an.

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