VwGH 2006/01/0930

VwGH2006/01/093019.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stelzl, über die Beschwerden 1. des D C in I (geboren 1985) und 2. des A C in I (geboren 1984), beide vertreten durch Dr. Klaus Herke, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 33, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 25. September 2006, Zlen. 1.) 268.266/0-XIX/61/06 und 2.) 268.254/0-XIX/61/06, betreffend §§ 7, 8 Abs 1 und 2 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erst- bzw. dem Zweitbeschwerdeführer jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Brüder, waren (zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide) Staatsangehörige von Serbien, stammen aus dem Kosovo und sind Angehörige der Volksgruppe der Roma. Sie reisten gemeinsam am 16. August 2004 illegal und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellten am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden wurde die Berufung der Beschwerdeführer gegen Bescheide des Bundesasylamtes (BAA) vom 1. Februar 2006 (Erstbeschwerdeführer) bzw. vom 30. Jänner 2006 (Zweitbeschwerdeführer), mit denen die Asylanträge der Beschwerdeführer abgewiesen wurden, gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I).

Weiters wurde mit den angefochtenen Bescheiden gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erst- bzw. Zweitbeschwerdeführers nach Serbien, Provinz Kosovo, zulässig ist (Spruchpunkt II.).

Sodann wurden der Erst- bzw. Zweitbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien, Provinz Kosovo, ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Begründend stellte die belangte Behörde (im Wesentlichen gleichlautend) fest (II. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens), die Beschwerdeführer stammten aus Prizren im Kosovo, wo sie gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern im Haus der Eltern gelebt hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe nach 12 Jahren Schulbesuch im Jahr 2003 im Zweig Elektrotechnik maturiert, der Zweitbeschwerdeführer habe nach acht Jahren Grundschule zwei Jahre lang ein Musikgymnasium besucht, das er im Jahr 2000 abgebrochen habe. Die Eltern der Beschwerdeführer und einer ihrer Brüder befänden sich (ausgehend von der Erlassung der angefochtenen Bescheide) seit ungefähr einem Jahr als Asylwerber in Schweden. Die Großmutter der Beschwerdeführer lebe weiterhin in Gjakove im Kosovo. Nicht festgestellt habe werden können, dass die Beschwerdeführer auf Grund von Diskriminierungen, insbesondere Beschimpfungen durch Jugendliche oder Mitschüler, gezwungen gewesen seien, den Kosovo zu verlassen bzw. der Zweitbeschwerdeführer gezwungen gewesen sei, seine Ausbildung in einem Musikgymnasium abzubrechen.

Sodann traf die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden Feststellungen zur Sicherheitslage sowie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage im Kosovo. Zur Lage der Roma im Kosovo stellte die belangte Behörde fest:

"Lage der Roma im Kosovo

In der Vergangenheit war die Roma-Minderheit im Kosovo wiederholt Repressionen seitens der albanischen Bevölkerung ausgesetzt, da sie beschuldigt wurden, während den Kampfhandlungen mit den Serben kooperiert zu haben. Diese Repressionen reichten von Diskriminierungen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen. Nicht zuletzt aufgrund dessen haben an die 25.000 Roma den Kosovo verlassen.

Es gab seit Juni 2004 keinen ethnisch motivierten Mord mehr im Kosovo und es ist ein klarer Trend hinsichtlich eines Rückganges der ethnisch motivierten Übergriffe zu erkennen. Dies ist in erster Linie auch eine Folge der zahlreichen Anklagen und Verurteilungen von Personen, die bei den Ausschreitungen im März 2004 beteiligt waren, von denen auch Roma betroffen waren.

Minderheiten, vor allem Serben und Roma, müssen sich im täglichen Leben im Kosovo nach wie vor mit Problemen auseinandersetzen. Sie sind stellenweise Opfer von alltäglichen Belästigungen und Beschimpfungen. Das Ausmaß dieser Diskriminierungen schwankt in Abhängigkeit von der Region. Die allgemeine Lage hat sich allerdings verbessert und auch bei Delikten gegen Minderheiten ist ein Rückgang festzustellen.

Darauf reagierend hat sich das Rechtssystem im Kosovo im Besonderen ethnisch motivierter Gewalt, insbesondere jene im Rahmen der Märzunruhen von 2004 angenommen. Derartige Fälle in letzter Zeit werden und wurden konsequent von den Sicherheitsbehörden und der Justiz verfolgt.

Roma genießen im ganzen Kosovo volle Bewegungsfreiheit. Eine Rückkehr der Binnenflüchtlinge scheitert aber oft aufgrund der in weiten Teilen nicht vorhandenen Wohnmöglichkeiten (zum Unterschied zu fast allen anderen ethnischen Gruppen)

Seitens der UNMIK/KPS/KFOR Truppen besteht ausreichender und effektiver Schutz für Angehörige der Volksgruppe der Roma, falls es in Einzelfällen zu Übergriffen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit kommen sollte. UNMIK/KPS/KFOR sind willens und in der Lage Schutz für diejenigen zu bieten, die Furcht vor Verfolgung von kriminellen Aktivitäten haben."

Zu den herangezogenen Berichten führte die belangte Behörde lediglich aus, dass sie mit den Beschwerdeführern im Zuge der am 19. September 2006 durchgeführten mündlichen Verhandlung im angefochtenen Bescheid näher bezeichnete Berichte zur Situation im Kosovo und der Lage der Roma im Kosovo erörtert habe. Dabei werden die BAA-Staatendokumentation (Länderabriss zum "Kosovo", 31.1.2006), Berichte der Österreichischen Botschaft, Außenstelle Prishtina aus April 2006 bzw. aus Februar 2006, Berichte des UK Home Office aus Oktober 2005 bzw. April 2005, des deutschen auswärtigen Amtes aus Juni 2006 und der OSZE aus Jänner 2006, ein Gutachten eines länderkundlichen Sachverständigen aus Oktober 2003 und letztlich die UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo aus März 2005 (zitiert sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache) genannt.

Sodann führte die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen gleich lautend zu Spruchpunkt I. (§ 7 AsylG) aus, es könne im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführer den Tatsachen entspreche, weil diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zukomme. Dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführer sei nämlich keine aktuelle, konkret und gezielt gegen die Person der Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität zu entnehmen. So habe der Erstbeschwerdeführer vor der Erstbehörde angegeben, "er sei jeden Tag am Schulweg geschlagen worden". "Demgegenüber" habe er eine höherbildende Schule abgeschlossen und im Jahr 2003 im Zweig Elektrotechnik maturiert. Weiters sei der Erstbeschwerdeführer in Form von Beschimpfungen durch Jugendliche diskriminiert worden. Der Zweitbeschwerdeführer habe vor der Erstbehörde selbst angegeben, er sei wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit "täglich sowohl am Weg zur Schule als auch in der Schule beschimpft und geschlagen worden", wogegen er in der Berufungsverhandlung eingeräumt habe, in der Schule keine Probleme gehabt zu haben, außer dass er diskriminiert worden sei, indem er alleine sitzen hätte müssen und als Zigeuner beschimpft worden sei. Vielmehr sei der Zweitbeschwerdeführer "am Weg zur Schule von Jugendlichen beschimpft und geohrfeigt worden". Dies habe er weder irgendwo angezeigt noch dem Schuldirektor gemeldet, sondern sei einfach dem Schulunterricht ferngeblieben. Probleme mit der Polizei oder Behörden hätten die Beschwerdeführer in ihrer Heimat ebenfalls nie gehabt, auch habe es weder von der Polizei noch von anderen Behörden Verfolgungshandlungen gegen sie gegeben.

Die Behörde bestreite im Einklang mit den getroffenen Länderfeststellungen nicht das Vorbringen der Beschwerdeführer, als Roma im Kosovo immer wieder Benachteiligungen ausgesetzt gewesen zu sein. Jedoch könne die belangte Behörde aus den genannten Quellen ebenso "ermessen", dass von staatlicher Seite durch legistische wie vollzugstechnische Maßnahmen ernstzunehmende Schritte gesetzt worden seien und gesetzt würden, die Anerkennung von Roma als nationale Minderheit und deren Gleichstellung mit der sonstigen Bevölkerung in der Praxis umzusetzen. Die in der Berufung vorgenommenen Verweise auf näher genannte Berichte seien nicht einschlägig, da die Eltern der Beschwerdeführer im Gegensatz zu den in den genannten Berichten erwähnten Angehörigen der Roma ein Haus im Kosovo bzw. in Prizren besäßen und weiters über serbische Personaldokumente verfügten sowie eine abgeschlossene höhere Schulausbildung bzw. eine Schulausbildung (zumindest Abschluss der Grundschule) genossen hätten. Somit werde bei den Beschwerdeführern auf Grund des gesamten Vorbringens die Schwelle der Asylrelevanz nicht erreicht.

Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Abschiebung der Beschwerdeführer würde aus näher genannten Gründen keine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten.

Zu Spruchpunkt III. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer verfügten in Österreich über keine familiären Bezüge und es läge keine Integration der Beschwerdeführer in Österreich vor, sodass deren Ausweisung zu verfügen gewesen sei.

Gegen diese Bescheide richten sich die zur hg. Zl. 2006/01/0930 protokollierte Beschwerde des Erstbeschwerdeführers sowie die zur hg. Zl. 2006/01/0931 protokollierte Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung zu verbinden. Er hat sodann erwogen:

1. Zur Indizwirkung der UNHCR-Position aus Juni 2006:

1.1. Die Beschwerden bringen gegen die angefochtenen Bescheide als Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die belangte Behörde hätte sich nicht mit der UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo aus Juni 2006 auseinander gesetzt. Nach dieser Position seien Roma im Kosovo Personen mit besonderem Schutzbedürfnis. Die belangte Behörde hätte daher den Beschwerdeführern Asyl gewähren müssen.

1.2. Der UNHCR kommt in der von der Beschwerde angesprochenen und zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide aktuellen (vgl. dazu die Anmerkungen des UNHCR zu dieser UNHCR-Position aus September 2006) UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (Juni 2006) zur Auffassung, dass

"vor dem Hintergrund der derzeit fragilen Sicherheitssituation im Kosovo und der nach wie vor vorherrschenden Einschränkungen grundlegender Menschenrechte der (...) Roma (...) für Angehörige dieser Volksgruppen nach wie vor ein Verfolgungsrisiko besteht und diese Minderheiten in ihren jeweiligen Zufluchtsstaaten als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge betrachtet werden sollten. Für den Fall, dass ein Staat nach nationaler Gesetzeslage keinen Flüchtlingsstatus gewähren kann, aber die Person nicht vom internationalen Schutz ausgeschlossen ist, sollte komplementärer Schutz gewährt werden. Die Rückkehr von Angehörigen dieser Personengruppen sollte ausschließlich auf einer strikt freiwilligen Grundlage erfolgen."(Randnr. 24 der UNHCR-Position).

1.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben entsprechende Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung (vgl. zum Kosovo das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059, mwN, sowie aus jüngerer Zeit die hg. Erkenntnisse vom 16. Jänner 2008, Zl. 2006/01/0182, und 17. September 2008, Zl. 2008/23/0588, jeweils mwN).

Diese Indizwirkung bedeutet - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - nun nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR Asyl oder Abschiebeschutz zu gewähren haben. Vielmehr hat die Asylbehörde, wenn sie in ihren Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht folgt, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat kommt.

1.4. In den vorliegenden Beschwerdefällen kommt die belangte Behörde in ihren Feststellungen der Lage der Roma im Kosovo zu einer von der genannten UNHCR-Position aus Juni 2006 abweichenden Einschätzung, ohne sich aber mit dieser Position näher auseinander zu setzen und in dieser Weise ihre abweichende Einschätzung mit anderen Berichten, so insbesondere mit auf die UNHCR-Position eingehenden Auskünften der Staatendokumentation (vgl. zu dieser das hg. Erkenntnis vom 11. November 2008, Zl. 2007/19/0279), zu begründen.

2. Feststellungen zu den Verfolgungshandlungen:

In den vorliegenden Beschwerdefällen sind nämlich die sachverhaltsbezogenen Ausführungen zu den gegen die Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlungen widersprüchlich:

So trifft die belangte Behörde einerseits die Negativ-Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer auf Grund von Diskriminierungen gezwungen gewesen seien, den Kosovo zu verlassen. In ihren rechtlichen Erwägungen (zu § 7 AsylG) führt sie aber aus, es könne dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführer den Tatsachen entspreche. Ausgehend von ihrem Vorbringen sind die Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde ausdrücklich anführt - "jeden Tag am Schulweg geschlagen worden" (Erstbeschwerdeführer) bzw. "täglich sowohl am Weg zur Schule als auch in der Schule beschimpft und geschlagen worden" bzw. "am Weg zur Schule von Jugendlichen beschimpft und geohrfeigt worden" (Zweitbeschwerdeführer). Es ist nun nicht ohne Weiteres erkennbar, warum die Beschwerdeführer ausgehend von diesen Verfolgungshandlungen nur - in asylrechtlicher Hinsicht unerheblichen - "Diskriminierungen" bzw. "Belästigungen" ausgesetzt gewesen sein sollten.

Aus den unter 1. und 2. angeführten Erwägungen erweist sich die Begründung der angefochtenen Bescheide als ungenügend und sind diese im Umfang ihrer Spruchpunkte I. (Abweisung nach § 7 AsylG) mit Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

3. Diese Rechtswidrigkeit schlägt auch auf die Spruchpunkte

II. (Abspruch nach § 8 Abs. 1 AsylG) sowie III. (Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG) durch, sodass die angefochtenen Bescheide in ihrer Gesamtheit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben waren.

4. Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. März 2009

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